Ich habe mich über die Einladung sehr gefreut. Es ist eine besondere Herausforderung und gleichzeitig eine große Ehre, dass ich hier bei Ihrem offenen Abend zu Gast sein darf und außerdem bin ich Ihnen sehr dankbar. Es ist eine besondere Herausforderung, weil ich zwar als Politiker öffentliche Reden gewohnt bin, aber Ort und Anlass sind etwas Besonderes. Auch oder gerade mit einem Theologiestudium als Hintergrund. Eine Herausforderung und eine große Ehre ist es aber besonders deshalb, weil ich gesehen habe, wer als GastrednerInnen bereits bei Ihnen war. Unter anderem habe ich dort ehemalige ProfessorInnen wiedergefunden. Deswegen die Packungsbeilage vorneweg: niemals würde ich den Anspruch erheben, dass dies ein theologischer Vortrag wird auf dem Niveau, das Sie offensichtlich gewohnt sind. Sollten Professoren heute Abend anwesend sein: wir sollten trotzdem hinterher über die Anrechnung für meinen Master reden. Im Ernst: Ich will versuchen, Ihnen Einblicke in die Politik, aber auch einen sehr persönlichen Einblick in meine Gedanken zum Thema Kirche und Staat, Kirche und Politik zu geben. Dazu habe ich mir Gedanken gemacht und deswegen meine ich es durchaus ehrlich, wenn ich sage, dass ich dankbar bin, denn in den letzten Wochen kam ich kaum dazu, mich aus dem Hamsterrad der Haushaltsberatungen zurückzuziehen und zu besinnen. Ich komme später auf das Problem zu sprechen, dass wir als PolitikerInnen kaum noch Freiräume haben, anzuhalten, in uns zu gehen. Dieser Anlass war dann eine willkommene Verpflichtung, sich damit zu beschäftigen. Zunächst aber die letzte Vorbemerkung: die simple Feststellung, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten leben. Sicher geglaubte Gesetzmäßigkeiten gehen verloren; Trennlinien zwischen den politischen Lagern werden neu gezogen; der Blick in die Tagesschau lässt uns noch aufgewühlter zurück als sonst. Manchmal wissen wir mit Blick auf die Politik gar nicht mehr, worin sich die Parteien unterscheiden und wo sie sich einig sind. Sie haben es vielleicht über das Wochenende mitbekommen, dass die Parteitage von CSU und Grünen zeitgleich stattfanden. Hinterher war in einigen Kommentaren zu lesen, dass es auf unserem Parteitag mehr Zuspruch für den Kurs der Kanzlerin gegeben hätte, als auf dem Parteitag der Schwesternpartei CSU. Jedenfalls haben uns die Zuwanderung von Flüchtlingen und die Diskussionen über Lösungen in den letzten Monaten beschäftigt, nicht nur uns Politiker sondern eigentlich alle BürgerInnen. Und zu allem was man zu diesem Thema sagen kann oder vielleicht sagen muss, möchte ich hier in diesem Rahmen sagen, dass es ohne die vielen engagierten Gemeinden vor Ort und die vielen ehrenamtlichen HelferInnen aus den Hilfsorganisationen, aus den Kirchen direkt, nicht mehr ginge. In diesen Tagen sind die Kirche und die Gemeinschaft der Christen, ihre Solidarität mit den Ärmsten der Armen und die Bereitschaft, auch unter Inkaufnahme von persönlichen Einschränkungen zu helfen, spürbar. Und es ist ehrlicherweise für mich auch das erste Mal seit langer Zeit, dass ich die Gemeinschaft der Christen und die Verbindung als Glaubensgemeinschaft mit einem gemeinsamen Auftrag wieder spüre. Das ist es auch, was mich mit der Kirche verbindet und was mir viele aus meinem Umfeld erzählen, die nicht oder nicht mehr in der Kirche sind, dass es ja tatsächlich funktioniert, das Prinzip für einander einstehen und füreinander da zu sein. Und da wären wir mittendrin in unserem Thema, was kann Kirche der Gesellschaft geben; wie können ChristInnen Einfluss nehmen; welche Aufgabe hat Kirche, welche Aufgabe hat Politik, welche Spannungsfelder gibt es. Jesaja 58,7: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! “ Ist das nicht die Aufforderung zu sagen „Wir schaffen das?“ Ich werde mich gar nicht grundsätzlich an diesem Thema versuchen, sondern will mich auf einen Teil beschränken, nämlich welche Zusammenhänge es zwischen christlichen Überzeugungen und politischem Handeln gibt. Und ich möchte Ihnen auch sehr persönlich schildern, was Christ sein für mich als Politiker bedeutet, wie es mein politisches Handeln berührt. Dafür ist es für Sie sinnvoll zu erfahren, wer eigentlich zu Ihnen spricht und ich will deswegen einen kleinen Teil meiner Biographie herausnehmen, der - so glaube ich das zumindest selber über mich sagen zu können - maßgeblich dafür war, in die Politik zu gehen: 1985 wurde ich in Leipzig geboren. Meine Mutter war Lehrerin und unterrichtete an einer Schule Deutsch, Geschichte und Russisch. Sie war also im Staatsdienst. In Leipzig-Markkleeberg ließ sie mich in der Martin-Luther-Kirche taufen. Ausschlaggebend für diesen Schritt war weniger eine tiefe Frömmigkeit als die dadurch erwachsende Möglichkeit, dass Sie mich in einen christlichen Kindergarten schicken konnte. Ihr Misstrauen gegenüber den staatlichen Stellen und insbesondere der Ausrichtung des Bildungssystems war groß - schließlich kannte sie es aus der Praxis. Sie wollte vor allem vermeiden, dass ich bereits im Kindergarten vom Sozialismus, der Partei und vor allem der NVA begeistert und überzeugt werden sollte. Meine Mutter würde sagen, sie wollte nicht, dass ich indoktriniert und verroht werde. Die Taufe und die öffentliche Bekanntmachung im Gemeindebrief hat sie schließlich in große Bedrängnis gebracht: vor einem mehrköpfigen Gremium KollegInnen, die Parteimitglieder waren oder irgendwelche Fantasie-Funktionen in nachgeordneten Organisationen innehatten, musste sie sich nicht nur rechtfertigen, sie wurde massiv unter Druck gesetzt. Um es abzukürzen: ständiger Druck, Erpressungsversuche und Einschüchterungen führten schleichend innerhalb von einer kurzen Zeit dazu, dass Sie den Staatsdienst mehr oder weniger freiwillig verließ. Wenige Wochen vor dem Mauerfall floh sie mit mir über die Deutsche Botschaft in Prag in die Bundesrepublik. Sie ließ alles zurück und baute sich eine neue Existenz auf. Auch mit Hilfe und Unterstützung der evangelischen Kirche, der sie dann hier offiziell beitrat. Ich will nicht auf Details eingehen. Meine Mutter arbeitet gerade an einem Buch über diese Zeit. Die Idee dazu wurde geboren beim 25. Jahrestag des Mauerfalls und sie verfolgt das Projekt sehr hartnäckig. Vielleicht liegt es an diesem Teil meiner Biographie, dass ich mich schon immer für Politik und Zeitgeschehen interessiert habe. Das ich nie daran zweifelte, dass die Errungenschaft der Demokratie als Delegation von Macht auf Zeit ein unglaubliches Geschenk und für jeden die große Chance ist, selber mitzugestalten. Auch wenn ich das damals als Jungspund mit 16 Jahren noch nicht so ausdrücken konnte, war für mich in jedem Fall klar, dass ich mich politisch engagieren MUSS. Ich habe während meines Studiums hier an der Kirchlichen Hochschule, aber auch an der Ruhr-Uni in Bochum, viele Bücher, Aufsätze und Seminare besucht, auch um der Frage Christentum und Politik nachzugehen. Freilich bin ich den damit verbundenen Vorsatz, mich intensiv damit zu beschäftigen, nicht immer nachgekommen. Was einerseits mit altersbedingtem Mangel an Disziplin, andererseits hat mich der Versuch, das Graecum mit dem Minimalprinzip irgendwie zu überstehen, letztlich Zeit, Nerven und Muße gekostet, diesen Schwerpunkt zu belegen. Schließlich stand der Entschluss, mich politisch zu engagieren, für die Gemeinschaft einzutreten, vor meiner Studienwahl fest. Aber was bedeutet dies für einen Politiker, Christ zu sein? Kann ein Politiker, kann ein Abgeordneter, überhaupt ein guter Christ sein? Oder ist es eher umgekehrt der Fall: Nur ein Christ, meinetwegen auch ein Humanist, kann ein ordentlicher Politiker sein? Es scheint mir angebracht, dass wir gemeinsam die Begriffe vergegenwärtigen. Was ist Politik? Was bedeutet Christ sein überhaupt? Über Antworten auf diese beiden Fragen sind zehntausende Bücher geschrieben worden. Ich begnüge mich mit der klassischen Definition aus dem Politiklexikon der Bundeszentrale für Politische Bildung: Politik: Im klassischen (aus dem griech. »polis« abgeleiteten) Sinne bezeichnet P. Staatskunst, das Öffentliche bzw. das, was alle Bürger betrifft und verpflichtet, im weiteren Sinne das Handeln des Staates und das Handeln in staatlichen Angelegenheiten. Bei der Frage nach einer Definition zum Christentum verweise ich immer sehr gerne auf eine ältere Ausgabe eines theologischen Standardwerks, der Theologischen Realenzyklopädie. Dort stand unter dem Stichwort Christentum die sehr wissenschaftliche Definition: „Das Feuer, das Jesus auf die Erde geworfen hat.“ Es wäre für unsere Zwecke ausreichend, wenn wir uns darüber verständigen können, dass es Oberbegriffe sind, aber dass es nicht „das Christentum“ in einer einheitlichen Form gibt, genauso wenig wie „die Politik“. In Wuppertal muss ich glaube ich nicht in Erinnerung rufen, dass es selbst unter dem überschaubaren Dach der evangelischen Kirche große Unterschiede zwischen den Bekenntnissen gibt. Als ich mich 2005 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal immatrikulierte, wurde ich von der Mitarbeiterin im Studiensekretariat gefragt, welcher Konfession ich angehörte. Ich schaute etwas verdutzt und fragte, was Sie jetzt von mir wollte. Dann fragte Sie mich, ob ich reformiert, lutherisch oder uniert sei. Ich wusste natürlich grob, was das ist, aber wusste nicht, dass es auch hier bei uns eine Rolle spielte. Ich antwortete „Ich bin normal evangelisch“, worauf Sie sagte „Dann sind sie uniert!“ Die Kirche ist vor allen Dingen für mich eine Gemeinschaft von Gläubigen. Sie kann als Vorbild dienen und viel bewirken. Ganz aktuell sehen wir das in der Debatte um die Flüchtlinge. Die Kirche ist aber auch für Parteien und Politiker in einer pluralen Gesellschaft ein wichtiger Ansprechpartner. Über Jahrhunderte hat die Kirche selber Politik gemacht und war zu den einflussreichsten Zeiten den durchaus auch herrschsüchtigen Eliten Europas eng verbunden. Erst die Reformation, dann Absolutismus und schließlich die Aufklärung haben den Einfluss der Kirche auf den Staat verringert. Die Treue zur Bibel und besonders zur Botschaft Jesu macht es für die Kirchen schwierig, im Getümmel der Tagespolitik, in einer pluralen Gesellschaft ihre Botschaften darzustellen. D.h. nicht, dass die Kirche für christliche Politiker Richtungsinstanz ist. Umgekehrt besprochen: politische Parteien sind keine verlängerten Arme der Kirche. Parteiprogramme sind keine Übersetzung des Evangeliums in das Politische. Sinngemäß schreibt das der kürzlich verstorbene Helmut Schmidt in seinem für mich wegweisenden Buch „Als Christ in der politischen Entscheidung.“ „Wir haben die Erde nur von unsern Kindern geborgt“. Dieses Plakat meiner Partei aus dem Bundestagswahlkampf 1994 ist Ihnen sicherlich bekannt. Die Bewahrung der Schöpfung ist die Grundlage jeder Umweltpolitik. Eben habe ich Jesaja 58,7 „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“ genannt und gefragt ob das nicht die Vorlage für die Aussage „Wir schaffen das“ sein kann. Wo beginnt da das Politische, wo endet das Religiöse? Kirchen sollen nicht selbst Politik machen aber sie sollen Politik möglich machen. Sie müssen klar machen, was verantwortungsvolles Handeln ist. Ich bin mir sicher, mit Blick auf die Beschlüsse unserer Synode, dass es in den Weihnachtspredigten vor allem um die Flüchtlingskrise gehen wird. Ein aktuelles und gutes Beispiel. Ein weiteres Beispiel wäre die Eine-Welt-Arbeit der Kirchen. Die Ursachen von Armut, Ausbeutung und Umweltzerstörung zu bekämpfen. Sind es nicht Themen der Kirche. Dass wir in einer Welt leben? Auch bei diesem Thema könnte es kein besserer Ort in Deutschland sein als Wuppertal. Hauptsitz der GEPA. Die Gesellschafter sind Kirchliche Gruppen. „Und tut nicht Unrecht den Witwen, Waisen, Fremdlingen und Armen, und denke keiner gegen seinen Bruder etwas Arges in seinem Herzen!“ Sacharja 7,10 Flüchtlinge sind meist Fremde für uns, weil sie aus einem anderen Kulturkreis kommen. Sie aufzunehmen ist gelebte Gastfreundschaft. Der Begriff ‚Willkommenskultur‘, der seit kurzem von Politik und Medien gebraucht wird, ist also keine neue Erfindung, sondern ist in der Bibel Auftrag Gottes an sein Volk und wird auch gelebt. Deswegen ist es wichtig, dass Christen sich nicht vornehm zurückziehen und sich auf die Aufnahme des verkündeten Worts beschränken, sondern diesen Auftrag leben. Sie müssen Verantwortung übernehmen in Gesellschaft, Wirtschaft, in Politik. Sie müssen Ausbeutung, Ungerechtigkeiten und Ausgrenzung offen tadeln, und soziale Spaltungen offen tadeln, dies beim Namen nennen, auch oder weil sie es direkt nicht ändern können. Dass sich Gesellschaft verändern kann, das wissen hier. Und das ist keine naive Ansicht eines Jungpolitikers sondern ich kann Ihnen zwei Beispiele nennen: Als erstes die Energiewende. Nach meiner Meinung war der Einstieg in die Atomkraft ein unverantwortlicher Schritt mit unberechenbaren Folgen. Ich nehme hier gerne das Zollstock-Bild unseres ehemaligen Parteivorsitzenden Wilhelm Knabe: Stellen Sie sich einen Zollstock vor: Atommüll hat eine Halbwertszeit von mehreren Millionen Jahren. Um in der Relation zu bleiben: Wenn wir im Jahr 0 ansetzen sind wir auf dem Zollstock bei 2cm. Rufen Sie sich in Erinnerung, was seitdem passiert ist. Wie kann man ernsthaft für die Lagerung und Sicherheit allein des Abfalls, für eine Zeitspanne von mehreren Millionen Jahren Verantwortung übernehmen? Es ist absurd. Wir können diese Technologie nicht bändigen, es setzt die Welt großen Risiken aus. Deshalb ist es ein kleines Wunder, dass vor 14 Jahren die damalige Bundesregierung gemeinsam mit der Energiewirtschaft beschlossen hat, aus der Atomkraft auszusteigen. Ich finde, die Energiewende ist ein gutes Beispiel, dass man nie die Hoffnung aufgeben sollte und Politik und auch Wirtschaft in der Lage sind, Irrwege zu verlassen. Ein weiteres Beispiel wäre Barack Obama und die Umsetzung seiner Gesundheitsreform. Es wurde für unmöglich erachtet, dass ausgerechnet die USA mit ihrer Geschichte gelingen würde, ein öffentlich finanziertes Health Care Programm durchzusetzen. Ich zitiere deshalb noch einmal den EKD Ratsvorsitzenden Schneider: „Das Evangelium rät uns gerade auch inmitten aller Krisen: Bleibt nüchtern und realistisch. Seid mit dem Maß dessen zufrieden, was ihr schon jetzt auf dieser Welt leben und erreichen könnt. Darum aber bemüht euch mit aller Kraft und gebt nicht auf bei Widerständen und Niederlagen.“ An die Verantwortung der Christen für das Gemeinwesen erinnerte auch die rheinische Oberkirchenrätin Barbara Rudolph. "Gemeindeglieder sind aufgefordert, sich politisch zu engagieren und Verantwortliche in der Politik auf ihr Christsein anzusprechen", sagte sie in ihrer Predigt in der Marktkirche Neuwied zum Reformationstag. Kirche soll nicht so tun, als wenn sie eine einheitliche Meinung hätte. Ratzinger hat als Leiter der römischen Glaubenskongregation einen Brief an christliche Politiker in Deutschland geschrieben, sie mögen sich gegen Gesetzesinitiativen der damaligen rot-grünen Bundesregierung zur Wehr setzen, die Homosexualität „normalisieren“ und eingetragene Lebenspartnerschaften ermöglichen sollen. Ratzinger hatte dies begründet, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften seien eine „böse“ Verirrungen und sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe seien eine Sünde gegen Gott. Dieses Beispiel eignet sich deshalb so schön, weil es hier um die katholische Kirche geht. Wenn ich EKD-Beschlüsse und Papiere lese, die während des Höhepunktes der Finanzmarktkrise verabschiedet worden, ist es rückblickend völlig unvorstellbar, dass beispielsweise meine Landeskirche im großen Maße gezockt hat, mehrere Millionen Gelder alleine mit Papieren der Lehman Brothers verloren hat. Und aktuell finde ich es, bei allem Respekt vor seiner Person und seinen Amt, bemerkenswert, wenn Präses Rekowski in einem politischen Magazin auf die Frage nach der Flüchtlingskrise fordert: „Die Politik muss endlich handeln und Konzepte schaffen, die Fluchtursachen bekämpfen.“ Ist die Kirche sich darin denn einig? Ich wage zu behaupten, dass wir selbst hier heute Abend keinen Konsens darüber bekommen. Das bringt uns zu einem weiteren Spannungsfeld: der Glaubwürdigkeit und der Kraft des Wortes. Unsere Kommunikation geht davon aus, dass wir gegenseitig bereit sind, uns die Wahrheit zu sagen. Ohne die Wahrheitsfähigkeit funktioniert unsere Kommunikation nicht mehr. Selbst als reine Zweckgemeinschaft wären wir auf das wechselseitige Vertrauen angewiesen, denn unsere Gemeinschaften werden durch Sprache konstruiert. Ein kleiner Einschub: das ist für mich einer der Hauptgründe für die politisch-gesellschaftlichen Brüche in weiten Teilen der neuen Bundesländer. Politische Verantwortung schließt die Bereitschaft ein, um des Gemeinwohls willen unbequeme Entscheidungen zu treffen. Die Gründe dafür öffentlich zu kommunizieren, um Zustimmung für den eingeschlagenen Weg zu werben, ist ein Kernstück politischer Kommunikation. Zur Gewissenhaftigkeit in der Politik gehört es, zu solchen Entscheidungen auch dann bereit zu sein, wenn sie die Chance, wiedergewählt zu werden, beeinträchtigen. Die repräsentative Demokratie hat Politik zum Beruf gemacht. Die ethische Dimension dieses Berufs, so hat Max Weber 1919 dargelegt, kann nicht nur darin bestehen, in politischen Entscheidungen die eigenen Gesinnungen möglichst rein darzustellen. Sie muss zugleich darin zum Ausdruck kommen, dass Politiker sich der Verantwortung für ihr Handeln und die voraussehbaren Folgen dieses, bewusst sind. Insbesondere dürfen sie nicht davor zurückscheuen, sich den großen Herausforderungen ihrer Zeit zu stellen. Mit dieser Entgegensetzung von Verantwortungsethik und Gesinnungsethik hat Max Weber wegweisend den ethischen Diskurs und die politische Ethik beeinflusst. Er war jedoch selbst keineswegs der Meinung, wie mir das immer wieder begegnet, dass beide einander ausschließen müssten. Vielmehr schreibt er - besser gesagt - sagte er in seinem Vortrag Politik als Beruf: „Während es unermesslich erschütternd ist, wenn ein reifer Mensch – einerlei ob jung oder alt an Jahren-, der diese Verantwortung für die Folgen real mit voller Seele empfindet und verwantwortungsethisch handelt, an irgendeinem Punkte sagt: „hier steh ich nun und kann nicht anders“. Das ist etwas, was menschlich echt ist und ergreift. Denn diese Lage muss freilich für jeden von uns, der nicht innerlich tot ist, irgendwann eintreten können. Insofern sind Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegensätze, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der „Beruf zur Politik“ haben kann.“ Überzeugungstreue und Verantwortung für die Folgen des eigenen Handels können sich durchaus miteinander zu verbinden. Und es ist auch diese ethische Verbindung, die ich erstrebenswert finde und die ich für mich suche und als Prüfmaßstab anlege. Ich hatte die große Ehre Fangmeier in einem Seminar über Karl Barth ein Semester an der KiHo zu hören. Auch wenn ich abstreiten würde, Karl Barth auch nur im Ansatz verstanden zu haben, hat er mir doch einige Ideen gegeben und vor allem viele Fragen wachsen lassen. Vor allem hat er mich mit seinem Engagement für die Gefängnisseelsorge und seiner Hingabe beeindruckt, jungen Studenten und Studentinnen aus wohlbehütetem Hause die Biographien, Nöte und existentiellen Fragen von Inhaftierten näher zu bringen. Jürgen Fangmeier gebrauchte die Bibel nicht als Brücke zu eigenen Ideen und Lieblingsthemen, sondern es ging ihm darum, den Text in der Predigt zu Wort kommen zu lassen und ihm Raum zu geben. Auch in schwierigen Situationen: Als in einer kleinen Dorfgemeinde plötzlich eine große Zahl Sinti und Roma als Asylbegehrende zugewiesen werden, hält Fangmeier eine Predigtreihe zum Buch Rut „eine Asylantengeschichte“ wie er sie damals nannte. Auf die existentiellen Fragen, die bei der Konfrontation mit Leid, Sterben und Tod aufbrechen, versucht er von dem Gesamttext Antwort zu geben, den Sitz im Leben rauszuarbeiten. 2. Mose 23,9: „Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisst um der Fremdlinge Herz, weil ihr auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid.“ Als politisch wirkender Mensch stelle ich mir oft die Frage, ob das, was ich tue und wie ich es tue, im Einklang steht mit dem Wort „alles nun, was ihr wollt, das heutige heute tun soll dass tut Ihnen auch“. Das Besinnen auf das notwendige, das mögliche, das erdenkliche. Die Gefahr, in der jeder politische Mensch schwebt, gleichgültig in welchem Bereich er arbeitet, ist der Terminkalender - Allzu rasch ist das Leben gefüllt mit Verpflichtungen und vor allen Dingen Sitzungen, die teilweise Selbstzweck geworden sind. Ehe man es richtig begreift, wird man zum Gefangenen von Routine, Protokoll und Selbstrechtfertigung. Rechtfertigung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber vor allen Dingen gegenüber der eigenen Partei und seinen unmittelbaren Kollegen. Es beschreibt mich nicht in meiner Arbeit als Politiker. Ich bin Bündnisgrüner Politiker und Christ. Ich hoffe, dass dies in meinem politischen Handeln nicht untergeht. Denn Fragen der Gerechtigkeit spielen in Politik und Kirche eine große Rolle. Es gibt auch politische Entscheidungen oder Gesetzgebungsverfahren, bei denen mein christlicher Hintergrund ausdrücklich eine gewichtige Rolle gespielt hat. Gerade habe ich mit einem ehemaligen Dozenten einen Aufsatz über ethische und tierschutzpolitische Perspektiven der Nutzung von Tieren zu Unterhaltungszwecken abgeschlossen. Gerade im Tierschutz ist die Frage nach der Ethik allgegenwärtig. Aber würde ich mich selbst als christlichen Politiker bezeichnen? Eher nicht. Christsein beschreibt mich als Menschen, unabhängig vom jeweiligen Beruf oder Amt. Entscheidend ist, ob jemand einen funktionierenden Kompass an Werten hat. Um mit Max Weber zu sprechen: Politiker brauchen Verantwortungsgefühl, Leidenschaft und Augenmaß. Wenn es daran fehlt, wird es gefährlich, weil beliebig. Ich hoffe, dass meine Ausführungen Ihnen einen kleinen Einblick in die Gedankenwelt und Handlungsmaximen eines Politikers vermitteln konnten.