19 Schriften aus der Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg Strategische Frühaufklärung und der Einfluss auf die Innovationsfähigkeit Eine Fallstudienanalyse von Jacqueline Kundt 19 Schriften aus der Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg Schriften aus der Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg Band 19 2014 Strategische Frühaufklärung und der Einfluss auf die Innovationsfähigkeit Eine Fallstudienanalyse von Jacqueline Kundt 2014 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Informationen sind im Internet über http://dnb.ddb.de/ abrufbar. Diese Arbeit hat der Fakultät Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg als Dissertation vorgelegen. 1. Gutachter: Prof. Dr. Johann Engelhard 2. Gutachter: Prof. Dr. Alexander Fliaster Tag der mündlichen Prüfung: 02.07.2014 Dieses Werk ist als freie Onlineversion über den Hochschulschriften-Server (OPUS; http://www.opus-bayern.de/uni-bamberg/) der Universitätsbibliothek Bamberg erreichbar. Kopien und Ausdrucke dürfen nur zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch angefertigt werden. Herstellung und Druck: docupoint Magdeburg Umschlaggestaltung: University of Bamberg Press © University of Bamberg Press Bamberg 2014 http://www.uni-bamberg.de/ubp/ ISSN: 1867-6197 ISBN: 978-3-86309-250-4 (Druckausgabe) eISBN: 978-3-86309-251-1 (Online-Ausgabe) URN: urn:nbn:de:bvb:473-opus4-104602 Für die Werte, die sie sich mich lehrten und die Möglichkeiten, die sie mir eröffneten Meinen lieben Eltern in Liebe und großer Dankbarkeit Danksagung An dieser Stelle der Arbeit blickt man zurück auf lange Jahre harter Arbeit begleitet durch viele Höhen und Tiefen. Dies ist aber auch die Möglichkeit, Dank an alle direkt und indirekt Beteiligten auszusprechen, die entscheidend zum Erfolg der Arbeit beigetragen haben. Zuvorderst gilt mein Dank Prof. Dr. Johann Engelhard der Universität Bamberg, an dessen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre insbesondere Internationales Management ich als externe Doktorandin tätig sein durfte. Dank gilt ihm besonders für die eingeräumten Freiheiten bei der Themenfindung und Umsetzung der Arbeit, aber auch für die fortwährende Betreuung und kritische Würdigung meiner Arbeit. Ebenso danke ich Prof. Dr. Alexander Fliaster des Lehrstuhls für Innovationsmanagements der Universität Bamberg für die Übernahme des Zweitgutachtens und Herrn Prof. Dr. Björn Ivens für die Mitwirkung und Diskussionsfreude in der Promotionskommission. Für die in fachlicher und menschlicher Hinsicht höchst bereichernde Unterstützung vieler meiner Kollegen am Lehrstuhl und bei meinem Arbeitgeber in dieser Zeit gilt dazu ein besonderer Dank. Das gemeinsame „Leiden“ und Austauschen von Gedanken und Ideen hat mich sowohl persönlich als auch fachlich sehr bereichert und zum erfolgreichen Abschluss des Dissertationsprojektes beigetragen. Hierfür danke ich insbesondere Laura Folter, Carolin Fleischmann, Annalena Fajen, Markus Moelgen, Johanna Horzetzky und Georg Trautnitz. Besonderer Dank gilt hierbei auch Ute Hanß für ihre administrative Unterstützung am Lehrstuhl und die vielen motivierenden und aufmunternden Worte. Danken möchte ich auch meinen Interviewpartnern, ohne die meine Untersuchung nicht möglich gewesen wäre und die mich mit Neugierde und Begeisterung für mein Thema unterstützt haben und bereit waren, mir unternehmensinterne Prozesse zu schildern. Besonderer Dank gilt auch meinen Freunden, die immer für den nötigen Ausgleich zur wissenschaftlichen Arbeit gesorgt haben und diese Jahre auf ganz andere Art und Weise unvergesslich machen. Ich danke dafür ganz besonders Alexander Raths, Annika Sahlmann, Stella Cederqvist, Katharina Nagel, Robert Hartmann, Julian van der Linden, Martin Richter, Kai Bisgwa, Christoph Brändle und Maria Hillermeier, die mich nicht nur in allen Arbeitsphasen motiviert haben, sondern auch teilweise fachliche Unterstützung leisteten. Von ganzem Herzen möchte ich auch meiner Familie danken, meinen Eltern und Großeltern, die mich zu jedem Zeitpunkt bedingungslos unterstützt und an mich und meine Arbeit geglaubt haben. Wer ich bin und was ich erreicht habe, verdanke ich besonders meinen Eltern, die mich mit viel Liebe und Hingabe auf jedem Lebensweg begleitet haben und immer mit Rat und Tat zur Seite standen. Dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar. Abschließend möchte ich mich bei meinem geliebten Freund Volker bedanken, der mich nicht nur emotional unterstützt hat, sondern auch geduldig bei unzähligen Korrekturlesungen. Ich danke ihm für die Liebe und Fürsorge, die mir Mut und Kraft für alle Phasen meiner Arbeit gegeben haben. Gütersloh, Juli 2014 Jacqueline Kundt Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht ..................................................................................................... I Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... III Abbildungsverzeichnis..................................................................................... VIII Tabellenverzeichnis .............................................................................................. X Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... XIII 1 Einleitung ........................................................................................................ 1 1.1 Problemstellung ....................................................................................... 1 1.2 Forschungsfragen und Ziele der Arbeit ................................................. 4 1.3 Relevanz ................................................................................................... 5 1.4 Aufbau der Arbeit ................................................................................... 6 2 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen ....... 9 2.1 Hinführung zur theoretischen Konzeption der Innovationsfähigkeit ... 9 2.2 Die Erkenntnisstand der Forschung zur Innovationsfähigkeit in der bestehenden Management- und Betriebswirtschaftsliteratur ............. 41 2.3 Verständnis der Innovationsfähigkeit in dieser Arbeit ....................... 72 2.4 Fazit........................................................................................................ 79 3 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung .......................................... 81 3.1 Grundverständnis .................................................................................. 81 3.2 Implementierung der strategischen Frühaufklärung im Unternehmen ....................................................................................... 110 4 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit ..................................................................... 149 5 Methodik der empirischen Untersuchung ................................................. 157 5.1 Weitergeführte Forschungsziele ......................................................... 157 5.2 Vorgehensweise der Untersuchung..................................................... 158 5.3 Ablauf der empirischen Untersuchung .............................................. 170 I Inhaltsübersicht 5.4 Datenreduktion und Kodierung ..........................................................173 5.5 Vorgehen zur Auswertung des Datenmaterials ..................................178 5.6 Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Erhebung ..........................181 6 Ergebnisse der Forschungsfallstudie .........................................................184 6.1 Falldokumentation und Einzelfallanalyse ..........................................184 6.2 Fallübergreifende Analyse...................................................................259 6.3 Fazit der empirischen Untersuchung ..................................................300 7 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung ..........304 8 Schlussbetrachtung .....................................................................................320 8.1 Zentrale Ergebnisse .............................................................................320 8.2 Implikationen für die Forschung ........................................................324 8.3 Implikationen für die Praxis ...............................................................325 8.4 Weiterer Forschungsbedarf ................................................................326 Literaturverzeichnis ......................................................................................... XIV Anhang ........................................................................................................XXXIX Anhang A: Interviewleitfaden ....................................................................XXXIX Anhang B: Ergänzung zum Interviewleitfaden: Unternehmenskontext ...... XLII II Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht ..................................................................................................... I Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... III Abbildungsverzeichnis..................................................................................... VIII Tabellenverzeichnis .............................................................................................. X Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... XIII 1 Einleitung ........................................................................................................ 1 1.1 Problemstellung ....................................................................................... 1 1.2 Forschungsfragen und Ziele der Arbeit ................................................. 4 1.3 Relevanz ................................................................................................... 5 1.4 Aufbau der Arbeit ................................................................................... 6 2 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen ....... 9 2.1 2.1.1 Hinführung zur theoretischen Konzeption der Innovationsfähigkeit ... 9 Der Innovationsbegriff ........................................................................... 9 2.1.1.1 Definition von Innovationen ........................................................... 9 2.1.1.2 Objekt der Innovation ................................................................... 14 2.1.1.3 Grad der Innovation ...................................................................... 15 2.1.2 Grundlagen zum Fähigkeitsbegriff – der Ressourcenorientierte Ansatz des Unternehmens ................................................................................ 25 2.1.2.1 Entwicklung des ressourcenorientierten Ansatzes ......................... 25 2.1.2.2 Der klassische ressourcenorientierte Ansatz .................................. 27 2.1.2.3 Weiterentwicklungen des Resource-based View ........................... 32 2.2 Die Erkenntnisstand der Forschung zur Innovationsfähigkeit in der bestehenden Management- und Betriebswirtschaftsliteratur ............. 41 2.2.1 Notwendigkeit der Literaturanalyse ..................................................... 41 2.2.2 Methodik der Literaturrecherche .......................................................... 42 2.2.3 Beschreibung der ausgewählten Studien .............................................. 44 2.2.3.1 Überblick ...................................................................................... 44 III Inhaltsverzeichnis 2.2.3.2 Forschungsinhalte ........................................................................ 47 2.2.3.3 Forschungsmethodik .................................................................... 49 2.2.3.4 Forschungsergebnisse .................................................................. 56 2.2.4 Diskussion .......................................................................................... 67 2.3 Verständnis der Innovationsfähigkeit in dieser Arbeit ....................... 72 2.4 Fazit ....................................................................................................... 79 3 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung ......................................... 81 3.1 Grundverständnis ................................................................................. 81 3.1.1 Definition der strategischen Frühaufklärung ........................................ 81 3.1.2 Leitgedanken der strategischen Frühaufklärung................................... 90 3.1.2.1 Die dritte Variable als Störgröße invarianter Kausalbeziehungen . 90 3.1.2.2 Konzept der schwachen Signale ................................................... 91 3.1.3 Unterscheidungsmerkmale von Frühaufklärungsansätzen.................... 96 3.1.3.1 Entwicklungsstufen der strategischen Frühaufklärung .................. 96 3.1.3.2 Operative versus strategische Frühaufklärung .............................102 3.1.3.3 Abgrenzung der Frühaufklärung vom Krisenmanagement...........105 3.1.3.4 Abgrenzung zu anderen Formen der zukunftsorientierten Umfeldaufklärung .....................................................................................107 3.2 Implementierung der strategischen Frühaufklärung im Unternehmen .......................................................................................110 3.2.1 Erkenntnisziele ...................................................................................110 3.2.2 Aufgaben und Einsatzfelder im Unternehmen ....................................112 3.2.2.1 Allgemeine Aufgaben .................................................................112 3.2.2.2 Aufgaben im Innovationsmanagement ........................................114 3.2.3 Organisatorische Verankerung ...........................................................123 3.2.4 Prozessuale Ausgestaltung .................................................................126 3.2.5 Instrumente und Methoden .................................................................133 3.2.6 Implementierungsbarrieren und deren Überwindung ..........................138 3.2.7 Abschließende Betrachtung bestehender Implementierungsbeiträge ...147 IV Inhaltsverzeichnis 4 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit ..................................................................... 149 5 Methodik der empirischen Untersuchung ................................................. 157 5.1 Weitergeführte Forschungsziele ......................................................... 157 5.2 Vorgehensweise der Untersuchung..................................................... 158 5.2.1 Qualitatives Untersuchungsdesign als Forschungsstrategie ................ 158 5.2.2 Auswahl des Untersuchungssamples .................................................. 162 5.2.3 Instrumente zur Datensammlung........................................................ 166 5.2.4 Schlüsselinformanten ......................................................................... 169 5.3 Ablauf der empirischen Untersuchung .............................................. 170 5.4 Datenreduktion und Kodierung ......................................................... 173 5.5 Vorgehen zur Auswertung des Datenmaterials ................................. 178 5.6 Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Erhebung .......................... 181 6 Ergebnisse der Forschungsfallstudie ......................................................... 184 6.1 Falldokumentation und Einzelfallanalyse .......................................... 184 6.1.1 Analyserahmen der Einzelfallanalyse................................................. 184 6.1.2 Fallsammlungen eines internationalen Industrieunternehmens ........... 191 6.1.2.1 Bereichsübergreifende Themen................................................... 191 6.1.2.2 Fallbeschreibung 1 ...................................................................... 198 6.1.2.3 Fallbeschreibung 2 ...................................................................... 205 6.1.2.4 Fallbeschreibung 3 ...................................................................... 210 6.1.2.5 Fallbeschreibung 4 ...................................................................... 215 6.1.2.6 Fallbeschreibung 5 ...................................................................... 220 6.1.2.7 Fallbeschreibung 6 ...................................................................... 225 6.1.3 Fallsammlungen eines internationalen Infrastrukturanbieters ............. 230 6.1.3.1 Bereichsübergreifende Themen................................................... 230 6.1.3.2 Fallbeschreibung 7 ...................................................................... 234 6.1.3.3 Fallbeschreibung 8 ...................................................................... 239 6.1.3.4 Fallbeschreibung 9 ...................................................................... 242 V Inhaltsverzeichnis 6.1.4 Fallsammlungen eines internationalen Energiemanagementunternehmens .....................................................246 6.1.4.1 Bereichsübergreifende Themen ...................................................246 6.1.4.2 Fallbeschreibung 10 ....................................................................248 6.1.4.3 Fallbeschreibung 11 ....................................................................251 6.1.5 6.2 Fallbeschreibung 12 ...........................................................................255 Fallübergreifende Analyse...................................................................259 6.2.1 Analyserahmen fallübergreifende Analyse .........................................259 6.2.2 Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in allen Fällen...................259 6.2.3 Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit273 6.2.3.1 Überblick ....................................................................................273 6.2.3.2 Reduktion der Unsicherheit .........................................................274 6.2.3.3 Widersacher ................................................................................276 6.2.3.4 Initiieren von Aktionen im Innovationsmanagement ...................278 6.2.3.5 Wirkung in Abhängigkeit der Form der strategischen Frühaufklärung ..........................................................................................281 6.2.3.6 Einfluss auf die Innovationsfähigkeit ..........................................284 6.2.4 Einflussfaktoren auf die Wirkung der strategischen Frühaufklärung 289 6.2.4.1 Überblick über die Einflussfaktoren ............................................289 6.2.4.2 Kontextuelle Faktoren .................................................................291 6.2.4.3 Strukturelle Einflussfaktoren .......................................................296 6.2.4.4 Prozessuale Faktoren...................................................................298 6.3 Fazit der empirischen Untersuchung ..................................................300 7 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung ..........304 8 Schlussbetrachtung .....................................................................................320 8.1 Zentrale Ergebnisse .............................................................................320 8.2 Implikationen für die Forschung ........................................................324 8.3 Implikationen für die Praxis ...............................................................325 8.4 Weiterer Forschungsbedarf ................................................................326 Literaturverzeichnis ......................................................................................... XIV VI Inhaltsverzeichnis Anhang ........................................................................................................ XXXIX Anhang A: Interviewleitfaden .................................................................... XXXIX Anhang B: Ergänzung zum Interviewleitfaden: Unternehmenskontext ...... XLII VII Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abb. 1-1: Abb. 2-1: Abb. 2-2: Abb. 2-3: Ablauf der Arbeit ................................................................................... 7 Booz, Allen, Hamilton Matrix zur Bestimmung des Produkttypes ........ 18 Entwicklung des ressourcenorientierten Ansatzes................................. 27 Der Zusammenhang zwischen Ressourcen, Fähigkeiten, Kern- und Metafähigkeiten ................................................................................... 40 Abb. 2-4: Veröffentlichung von Beiträgen zur Innovationsfähigkeit im Zeitverlauf ........................................................................................... 45 Abb. 2-5: Identifizierte Beiträge zur Innovationsfähigkeit .................................... 46 Abb. 2-6: Elemente ausgewählter Modelle zur Innovationsfähigkeit .................... 63 Abb. 2-7: Untersuchte Faktoren und nachgewiesener Einfluss auf die Innovationsfähigkeit ............................................................................. 65 Abb. 2-8: Konzeption der Innovationsfähigkeit in der Arbeit ............................... 79 Abb. 2-9: Zentrale Erkenntnisse aus dem Kapitel ................................................. 80 Abb. 3-1: Zentrale Bestimmungselemente der strategischen Frühaufklärung ....... 85 Abb. 3-2: Frühaufklärungsumfang der Generationen im Vergleich .....................102 Abb. 3-3: Komplementarität zwischen Frühaufklärung und Krisenmanagement107 Abb. 3-4: Zentrale Fragestellungen des Kapitels .................................................111 Abb. 3-5: Felder der Frühaufklärung im Unternehmen ........................................114 Abb. 3-6: Die Rollen der strategischen Frühaufklärung im Innovationsprozess 116 Abb. 3-7: Beitrag der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement 117 Abb. 3-8: Phasenspezifische Bedeutung der strategischen Frühaufklärung im Innovationsprozess ..............................................................................122 Abb. 3-9: Organisationsform nach Unternehmensbezug und -größe ....................125 Abb. 3-10: Prozessphasen der strategischen Frühaufklärung ................................129 Abb. 3-11: Die wichtigsten Methoden nach Einsatzgebieten im Unternehmen ....136 Abb. 3-12: Beobachtungsbereiche der strategischen Frühaufklärung ....................137 Abb. 3-13: Reifegradmodell nach Rohrbeck.........................................................145 Abb. 4-1: Wirkungszusammenhänge und Grundlagen der empirischen Untersuchung ......................................................................................156 Abb. 5-1: Ziele der Erhebung ..............................................................................158 Abb. 5-2: Umsatzanteil und Innovatorenquote ....................................................164 Abb. 5-3: Übersicht zu den Eigenschaften der Falluntersuchung .........................166 Abb. 5-4: Stufen der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ...........................175 Abb. 6-1: Analyserahmen für die Fallauswertung im Überblick ..........................185 Abb. 6-2: Zusammenhang bereichsübergreifender Abteilungen und den Fallbeschreibungen .............................................................................191 VIII Abbildungsverzeichnis Abb. 6-3: Zusammenhang bereichsübergreifende Aktivitäten und Fallbeschreibungen ............................................................................. 230 Abb. 6-4: Grad der Wirkung nach Faktoren der einzelnen Unternehmensbereiche ........................................................................ 281 Abb. 6-5: Einflussnahme nach direkter Wirkweise ............................................. 284 Abb. 6-6: Einfluss der Frühaufklärung auf das Potenzial und tatsächliche Ergebnis.............................................................................................. 287 Abb. 6-7: Einflussfaktoren und deren Häufigkeiten der Nennung im Überblick .. 290 Abb. 6-8: Einflussfaktoren im Wirkungsmodell .................................................. 291 Abb. 6-9: Das vollständige Wirkungsmodell ...................................................... 301 Abb. 7-1: Analyserahmen der strategischen Frühaufklärung mit vorgenommenen Ergänzungen ....................................................................................... 306 Abb. 7-2: Anpassung der Innovationsfähigkeit ................................................... 308 Abb. 7-3: Überblick über die Ziele und Maßnahmen der identifizierten Treiber der strategischen Frühaufklärung .............................................................. 312 Abb. 7-4: Ablauf des internen Ideenwettbewerbes .............................................. 316 Abb. 7-5: Möglichkeiten der Bewertung der strategischen Frühaufklärung ........ 318 IX Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tab. 2-1: Tab. 2-2: Tab. 2-3: Tab. 2-4: Tab. 2-5: Tab. 2-6: Tab. 2-7: Tab. 3-1 Tab. 3-2: Tab. 3-3: Tab. 3-4: Tab. 3-5: Tab. 4-1: Tab. 5-1: Tab. 5-2: Tab. 5-3: Tab. 5-4: Tab. 6-1: Tab. 6-2: Tab. 6-3: Tab. 6-4: Tab. 6-5: Tab. 6-6: Tab. 6-7: Tab. 6-8: Tab. 6-9: Übersicht über ausgewählte Definitionen ............................................ 11 Perspektiven in den einzelnen Studien ................................................. 19 Definitionen des Ressourcenbegriffs in bestehender Literatur .............. 29 Definitionen des Fähigkeitsbegriff in bestehender Literatur ................ 34 Übersicht zu den Definitionen der Innovationsfähigkeit ....................... 53 Verwendete Kontrollvariablen in den Veröffentlichungen .................... 56 Begriffe in der kompetenzbasierten Literatur und deren Bezug zur Innovationsfähigkeit ............................................................................. 61 Zulässige Reaktionstypen nach Ansoff ................................................. 94 Die Generationen und deren Inhalte .................................................... 97 Unterschiede zwischen operativer und strategischer Frühaufklärung ..104 Methoden der strategischen Frühaufklärung nach Typ und Modus .....134 Implementierungsbarrieren ..................................................................141 Die Thesen im Überblick ....................................................................154 Anzahl der Schlüsselinformanten nach Fall und Funktion des Befragten ...........................................................................................170 Phasen der Ausführung der empirischen Erhebung und deren Beschreibung .....................................................................................171 Kategoriensystem und Ankerbeispiele sowie Relevanz im Text .........178 Gütekriterien, deren Beschreibung und Taktiken zur Sicherung der Kriterien .............................................................................................183 Übersicht über die genutzten Kriterien und ihre Ausprägungen für die Organisation ........................................................................................187 Übersicht über die genutzten Kriterien und ihre Ausprägungen für die Informationssammlung........................................................................189 Übersicht über die genutzten Kriterien und ihre Ausprägungen für Netzwerke ...........................................................................................190 Übersicht zum Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in den bereichsübergreifenden Tätigkeiten .....................................................194 Überblick über die kontextuellen Faktoren des Falles 1 .......................199 Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 1 ..............................................................................................201 Überblick über die kontextuellen Faktoren des Falles 2 .......................206 Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 2 ...................................................................................................208 Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 3 .......................211 X Tabellenverzeichnis Tab. 6-10: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 3 ........................................................................................... 213 Tab. 6-11: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 4..................... 216 Tab. 6-12: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 4 ........................................................................................... 218 Tab. 6-13: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 5..................... 221 Tab. 6-14: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 5 ................................................................................................ 223 Tab. 6-15: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 6 .................... 227 Tab. 6-16: ... Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 6 ................................................................................................ 228 Tab. 6-17: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung der bereichsübergreifenden Tätigkeiten .................................................. 232 Tab. 6-18: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 7..................... 235 Tab. 6-19: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 7 ........................................................................................... 237 Tab. 6-20: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 8 ..................... 240 Tab. 6-21: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 8 ........................................................................................... 241 Tab. 6-22: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 9..................... 243 Tab. 6-23: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 9 .......................................................................................... 244 Tab. 6-24: Übersicht über das Ausmaß der bereichsübergreifenden Tätigkeiten 247 Tab. 6-25: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 10 ................... 249 Tab. 6-26: Überblick über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 10 ........................................................................................ 250 Tab. 6-27: Übersicht über die kontextuelle Faktoren des Falles 11..................... 252 Tab. 6-28: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 11 ........................................................................................... 253 Tab. 6-29: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 12 ................... 256 Tab. 6-30: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 12 .............................................................................................. 257 Tab. 6-31: Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in allen Fallbeispielen ..... 261 Tab. 6-32: Ausmaß der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Innovationsstrategie ......................................................................................................... 267 Tab. 6-33: Ausmaß der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Branche................ 268 Tab. 6-34: Ausmaß der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Komplexität und Dynamik der Branche ......................................................................... 268 Tab. 6-35: Eigenschaften zum Ausmaß der strategischen Frühaufklärung ............ 271 Tab. 6-36: Elemente und Beschreibung des Faktors Reduktion der Unsicherheit . 275 XI Tabellenverzeichnis Tab. 6-37: Bestandteile und Beschreibung des Faktors Widersacher ...................277 Tab. 6-38: Bestandteile und Beschreibung des Faktors Initiieren von Aktionen im Innovationsmanagement ......................................................................279 Tab. 6-39: Die Hypothesen im Überblick .............................................................302 Tab. 7-1: Vor- und Nachteile der Methoden zur Verbesserung der Schnittstelle314 Tab. 7-2: Vor- und Nachteile zur Verringerung des kulturellen Einflusses .........317 Tab. 8-1: Die generierten Hypothesen ................................................................322 Tab. 8-2: Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse und des Mehrwertes der Untersuchung ......................................................................................323 XII Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Anmerk. des Verf. Anmerkung des Verfassers CEO Chief Executive Officer CTO Chief Technology Officer GE General Electric HR Human Resources F&E Forschung und Entwicklung MA Mitarbeiter OPAC Online Public Access Catalogue PLM Product-Lifecycle-Management RBV Resource-Based View STAR Strategischer Trend-Analyse-Report TRIZ Theorie des erfinderischen Problemlösens (übersetzt aus dem Russischem) ZEW Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH XIII Einleitung 1 Einleitung 1.1 Problemstellung „Innovationen – neue Produkte, Dienstleistungen, Verfahren und Organisationsformen – gelten in industrialisierten Ländern als die Quelle des Wachstums schlechthin, in der Krise mehr denn je.“1 Innovationen zählen zu den zentralen Triebfedern für den langfristigen Unternehmenserfolg, indem sie nachhaltige Wettbewerbsvorteile aufbauen und über einen Zeitraum hinweg verteidigen. 2 Sie gelten zugleich als „Motor des Erneuerungsprozesses“3 in Unternehmen, da sie eng mit der Veränderung der Innovationsfähigkeit verknüpft sind.4 Inkrementelle Innovationen sind das Ergebnis der Weiterentwicklung der Innovationsfähigkeit, wohingegen radikale Innovationen auf dem Aufbau neuer Fähigkeiten beruhen.5 Daher wird im Zusammenhang mit der Innovationsfähigkeit auch von einer Dynamic Capability gesprochen, die nach den jeweiligen Veränderungen des Marktumfeldes angepasst wird.6 Im Zusammenhang mit der Innovationsfähigkeit müssen Unternehmen den Spagat zwischen inkrementellen Veränderungen und radikalen Disruptionen bewerkstelligen.7 Verlassen sie sich nur auf bestehende Fähigkeiten, verpassen sie Umbrüche in der Unternehmensumwelt, die den Aufbau von neuen Fähigkeiten und der Transformation in radikale Innovationen erfordern. 8 Ein Fokus auf den reinen Aufbau neuer Fähigkeiten würde zu hohen Kosten und auf Dauer zu unausgereiften Produkten führen. 9 Die Dynamik der Märkte ist jedoch nicht vorhersagbar, daher wissen Unternehmen nicht, wie lange ihr Wettbewerbsvorteil durch die aktuelle Innovationsfähigkeit zu verteidigen ist. Um jedoch im Wettbewerb zu bestehen, müssen Unternehmen in der Lage sein, das Marktumfeld langfristig zu beobachten und entsprechende Anpassungen der Innovationsfähigkeit vorzunehmen.10 Nur so bringen sie zum richtigen Zeitpunkt passende Innovationen auf den Markt. Besonders erfolgreiche Unternehmen können ihre Marktposition durch eine Reihe von Innovationen verteidigen, die nicht nur auf 1 Dostert (2010), S. 24. Vgl. Hamel (2001), S. 2; Trantow & Jeschke (2011), S. 1. 3 Schreiner (2006), S. 2. 4 Vgl. Bergmann & Daub (2008), S. 2. 5 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 62. 6 Vgl. Teece et al. (1997), S. 516. 7 Vgl. Schreyögg & Koch (2010), S. 384. 8 Vgl. Enders et al. (2009), S. 20. 9 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 62f. 10 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 6; Enders et al. (2009), S. 23. 2 1 Einleitung eine bestimmte Art von Innovation festgelegt ist.11 Sie schaffen es gleichermaßen Verbesserungsinnovationen in Zeiten inkrementellen Wandels und radikale Innovationen im Fall von tiefgreifenden Disruptionen oder gar zum Auslösen dieser Disruptionen auf den Markt zu bringen. 12 Kleinschmidt et al. haben dazu bereits verdeutlicht, dass Unternehmen neben kontinuierlichen Produktverbesserungen auch regelmäßig radikale Produkte auf den Markt bringen müssen, um den Erfolg langfristig zu sichern.13 Leider gelingt das nur den wenigsten etablierten Unternehmen. 14 Vor allem große Unternehmen neigen dazu, sich nach dem Aufbau eines erfolgreichen Portfolios auf bestehende Fähigkeiten zu verlassen.15 Dabei ignorieren sie neue Chancen und stehen radikalen Produktideen eher ablehnend gegenüber. 16 Welche Konsequenzen das haben kann, zeigt eine von Shell in Auftrag gegebene Untersuchung. Diese veröffentlichte Studie zeigt, dass die Lebenserwartung von großen international agierenden Unternehmen der „Fortune 500“ bei ca. 40 Jahren liegt. 17 Das Scheitern von großen Unternehmen lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass sie zu spät auf disruptive Veränderungen reagieren. Damit wird deutlich, dass Unternehmen nicht nur die Fähigkeit benötigen, auf inkrementelle Veränderungen zu reagieren, sondern auch diskontinuierliche Veränderungen früh aufzuspüren und durch neuartige Innovationen zu managen. 18 Trotz der Bedeutung dieser Anpassungsprozesse neigen Unternehmen dazu, bestehende Innovationsfähigkeiten nur durch inkrementelle Anpassungen zu verändern, selbst in Zeiten fundamentalen Wandels.19 Einstige Kernkompetenzen von Unternehmen verändern sich so zu Kernhindernissen. 20 „Nahezu kein Topkonzern der Gegenwart hat den nächsten Innovationsschub seiner Industrie als Marktführer überlebt.“21 Dieses Phänomen ist häufig zu beobachten und führt meist zu einer existentiellen Bedrohung des Unternehmens oder gar seinem Niedergang. 22 Beispiele dafür sind das Scheitern von Kodak und Nokia. Kodak gelang es bereits in den 70er Jahren die 11 Vgl. Tushman & O'Reilly (1997), S. 158ff. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 5. 13 Vgl. Kleinschmidt et al. (1996), S. 46f. 14 Vgl. Gassmann & Friesike (2012), S. 4f. 15 Vgl. Hamel & Prahalad (1991), S. 82f. 16 Vgl. Berth (2003), S. 18. 17 Vgl. Geus (1997), S. 2ff. 18 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 1. 19 Vgl. Carp (2004). 20 Vgl. Leonard-Barton (1992). 21 Postinett et al. (2011), S. 1. 22 Vgl. Postinett et al. (2011), S. 1. 12 2 Einleitung ersten Digitalkameras zu entwickeln, verwarf jedoch erste Entwürfe, weil die neuen Digitalkameras die alten Produkte bedrohten. Erst als viele Unternehmen Digitalkameras auf dem Markt etablierten und sich diese zum Standard entwickelten, korrigierte Kodak seine Entscheidung. Jedoch kam die Anpassung der bisherigen Kompetenzen und damit der Produktpalette zu spät: Nach ersten Entlassungen aufgrund der Umbaumaßnahmen in den 90er Jahren, ging das Unternehmen 2012 in Insolvenz.23 Nokia, als einstiger Pionier der Handybranche, hat den Trend zum Smartphone verpasst und setzte zu spät und mit den falschen Systemen auf diese neuartigen Handys, die den Nutzen verschiedener Geräte kombinieren. Als Folge hieraus sanken Marktanteile kontinuierlich. Ob ein Neuanfang mit Partner Windows gelingen kann, ist noch fraglich. Kodak und Nokia sind keine Ausnahmen. 24 Die Innovationsfähigkeit als zentraler Wettbewerbsfaktor besteht damit aus den zwei beschriebenen Mechanismen: Einerseits müssen Unternehmen ihre bestehende Kompetenzbasis ausnutzen und Produkte kontinuierlich weiterentwickeln. Andererseits müssen sie ebenso offen für Veränderungen des Unternehmensumfeldes sein und entsprechend der Umbrüche neue Kompetenzen aufbauen oder akquirieren. 25 „(…) Foresight is able not only to detect and interpret weak signals on change, but also to trigger reactions.“26 Als Lösungsmöglichkeit werden in der Forschung hauptsächlich organisationale Faktoren angesehen, die eine Nutzung der Fähigkeiten und eine Weiterentwicklung möglich machen.27 In diesem Zusammenhang wird strategische Frühaufklärung als ein geeignetes Instrument angesehen. 28 Strategische Frühaufklärung dient zu einer frühzeitigen Identifikation von Trends und disruptiven Entwicklungen außerhalb des Unternehmens und entwickelt Handlungsempfehlungen, um auf diese Veränderungen angemessen reagieren zu können.29 Im Zusammenhang mit der Innovationsfähigkeit hilft Frühaufklärung dabei die Bedingungen für Innovationen frühzeitig aufzudecken und die notwendigen Veränderungsprozesse im Unternehmen zu initiieren. Damit kann die strategische Frühaufklärung den Zeitpunkt für das Nutzen der bestehenden Fähigkeiten, aber auch für eine Wandlung der Fähigkeiten bestimmen, die sich dann im Anschluss auf die Innovationen auswirken. 30 Vor dem Hintergrund 23 Vgl. Carp (2004). Vgl. Steuer (2011), S. 8. 25 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 61; Jansen et al. (2006), S. 1661. 26 Rohrbeck (2010), S. 4. 27 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 62. 28 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 182; Becker (2002), S. 9; Burmeister et al. (2004), S. 7. 29 Vgl. Martin (1995), S. 139; Krystek & Müller-Stewens (2006), S. 175. 30 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (2006), S. 175. 24 3 Einleitung dieser Problematik stellt sich damit die Frage, ob und inwiefern die strategische Frühaufklärung tatsächlich zu einer positiven Beeinflussung der Innovationsfähigkeit beiträgt. Die Innovationsforschung hat bisweilen eine lange Tradition und ergründet vor allem erfolgreiche Innovationsprozesse. 31 Mit der Entwicklung der Ressourcentheorie, welche die Ressourcen eines Unternehmens maßgeblich für den Erfolg eines Unternehmens verantwortlich macht, wurde auch die Innovationsfähigkeit in der Theorie betrachtet.32 Wenngleich dieser Forschungsstrang eine gute Basis für die Betrachtung der Innovationsfähigkeit bietet, wird nicht erklärt, welche Faktoren zu einer Verbesserung des beschriebenen Phänomens beitragen. Der Ursprung der Forschung zur Frühaufklärung liegt hauptsächlich in den 50er/60er Jahren.33 Daraus entwickelte sich ein eigener Zweig der Forschung, der sich den Herausforderungen von Unternehmen widmet. Die Forschung zur strategischen Frühaufklärung eignet sich zur Beschreibung der Funktionsweise des Instruments und lässt erste Vermutungen über eine Wirkung auf die Innovationsfähigkeit zu.34 Insgesamt versucht die vorliegende Untersuchung die bisherigen Defizite zu beseitigen und erstmals die Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit zu analysieren. Ziel der Arbeit ist es dabei, ein Wirkungsmodell mit Hypothesen aufzustellen, welches Art und Weise und allgemeine Einflussfaktoren beschreibt. 1.2 Forschungsfragen und Ziele der Arbeit Aus der dargelegten Problemstellung und dem Stand der Forschung ergeben sich zentrale Forschungsfragen, die den Ausgangspunkt für die Untersuchung der vorliegenden Arbeit darstellen. In dieser Arbeit wird allgemein argumentiert, dass strategische Frühaufklärung ein geeignetes Instrument ist, die Innovationsfähigkeit von Unternehmen zu verbessern und somit auf das Innovationsergebnis in Form von sowohl inkrementellen als auch radikalen Innovationen einzuwirken. Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen, die in der Untersuchung ihre Beantwortung suchen: 31 Vgl. Brown & Eisenhardt (1995), S. 343. Vgl. Rasche (1994), S. 334; March (1991), S. 72; Freiling (2002), S. 24. 33 Vgl. Cuhls (2003), S. 96; Davis (2008), S. 65. 34 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7; Burmeister et al. (2004), S. 119; Rohrbeck (2010), S. 182. 32 4 Einleitung Frage 1: Wie kann die Innovationsfähigkeit konzeptionalisiert werden? Frage 2: Kann ein Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmen festgestellt werden? Welche Wirkungszusammenhänge ergeben sich? Frage 3: Welche kontextuellen Faktoren beeinflussen ggf. die Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit? Um diese Fragen zu beantworten, werden in dieser Arbeit zunächst die Sichtweisen zu der Innovationsfähigkeit dargelegt, gleichzeitig die Grundbegriffe zu Innovationen und Ressourcen geklärt, um den Stand der bisherigen Literatur zu verstehen. Darüber hinaus wird im Anschluss strategische Frühaufklärung als Instrument vorgestellt. Darauf aufbauend erfolgt die empirische Untersuchung. Für die Beantwortung der Forschungsfragen werden insgesamt die folgenden Teilziele definiert: Dokumentation und Diskussion des Status quo der Innovationsforschung bzgl. des Innovationsbegriffs und der Innovationsarten sowie der Innovationsfähigkeit Überblick über die strategische Frühaufklärung, deren Ausgestaltung sowie Wirkungsweise im Unternehmen Analyse der Eignung der strategischen Frühaufklärung zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit Ableitung von kontextuellen Faktoren, unter denen die Effizienz und Wirkungsweise einer strategischen Frühaufklärung verbessert wird Aufstellen eines vollständigen Wirkungsmodelles Ableitung erster Handlungsempfehlungen auf Grundlage der Ergebnisse der empirischen Untersuchung 1.3 Relevanz Die Gesamtkonzeption der Untersuchung kann als besonderer Erkenntnisgewinn in der wissenschaftlichen Forschung gesehen werden. Vor allem die Inhalte sind neu und wurden bisher in dieser Form nicht diskutiert.35 Erste Arbeiten, die sich beiden Konzepten widmen, liefern nur erste Ansätze für Wirkungszusammenhänge. 36 Die 35 36 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 203; Tyssen (2012), S. 263; Köpernik (2009), S. 305. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 181ff.; Tyssen (2012), S. 259; Gruber et al. (2003), S. 286. 5 Einleitung Darstellung der einzelnen Fragestellungen sowohl aus einem theoretischen als auch praktischen Blickwinkel dient als Ausgangspunkt, um einen Mehrwert zu schaffen. Die Relevanz der Arbeit ist damit sowohl in Hinblick auf den Wertbeitrag für die Managementpraxis als auch für die theoretischen Überlegungen erkennbar. Der zentrale Nutzen der Arbeit liegt in der Darstellung der strategischen Frühaufklärung und Innovationsfähigkeit in einem gemeinsamen Wirkungsgefüge. Demnach wird nicht nur deutlich, ob die strategische Frühaufklärung die Innovationsfähigkeit beeinflusst, sondern auch auf welche Art und Weise. In diesem Zusammenhang werden Bedingungen für eine sinnvolle Frühaufklärung identifiziert und gleichzeitig Faktoren, die eine Wirkung der Frühaufklärung im Innovationsmanagement verbessern oder behindern. Der Wirkungsmechanismus der Innovationsfähigkeit wird zudem offen gelegt und damit wird dessen Beeinflussung nachvollziehbar. Nicht zuletzt können anhand der Untersuchung Best Practices identifiziert werden, die innerhalb des Unternehmens angewendet werden können. Der erwartete Wertbeitrag für die Forschung liegt zunächst in der Validierung bestehender Ansätze in Zusammenhang mit der Innovationsfähigkeit und dem Nutzen sowie der Wirkungsweise der strategischen Frühaufklärung. Da bisher nur wenige plakative Aussagen über die Vorteile der strategischen Frühaufklärung existieren, beschreibt die vorliegende Untersuchung erstmals den konkreten Beitrag im Innovationsmanagement. 37 Darüber hinaus wird die konkrete Beeinflussung der Innovationsfähigkeit deutlich, die bisher eher als Black Box beschrieben werden konnte und bei der lediglich Input und Output bekannt sind. Der wohl größte Wertbeitrag ist insgesamt in der Aufstellung von Hypothesen und einem vollständigen Wirkmodell zu sehen, was eine Validierung der Ergebnisse anhand einer quantitativen Untersuchung möglich macht. 1.4 Aufbau der Arbeit Der Aufbau der Arbeit ergibt sich zunächst aus den Forschungszielen und den daraus abgeleiteten Forschungsfragen. Insgesamt gliedert sich die Arbeit in acht Kapitel. Zusammenfassend veranschaulicht die Abb. 1-1 den Aufbau der Arbeit. 37 Siehe dazu Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7; Burmeister et al. (2004), S. 119. 6 Einleitung 1 2 4 5 6 7 8 Einleitung Merkmal und Konzept Innovationsfähigkeit 3 Ziele & Funktionsweise strategische Frühaufklärung Theoretischer Bezugsrahmen Zusammenhänge beider Konzepte Empirische Untersuchung Konzeption der empirischen Untersuchung Ergebnisse der empirischen Untersuchung Gestaltungshinweise Hinweise für das Management Schlussbetrachtung Abb. 1-1: Ablauf der Arbeit (Quelle: Eigene Darstellung) Im Anschluss an das erste Kapitel, in welchem die Hinführung zu der thematischen Auseinandersetzung mit der Beschreibung der Problemstellung, der Relevanz und den Forschungszielen sowie -fragen erfolgt, werden im zweiten Kapitel die theoretischen Grundlagen zum Begriff der Innovationsfähigkeit gelegt. Dazu werden zunächst die Begriffe der Innovation und der Fähigkeiten näher vorgestellt. Im Anschluss wird auf die Konzeption der Innovationsfähigkeit in der bestehenden Literatur eingegangen, die mit Hilfe einer umfassenden Literaturanalyse erfolgt. Aufbauend auf den begrifflichen Grundlagen und der Literaturanalyse wird dann das Verständnis der Innovationsfähigkeit in dieser Arbeit hergeleitet. Im dritten Kapitel wird das Grundwissen für das Konzept der strategischen Frühaufklärung geschaffen. Dazu wird die Frühaufklärung definiert sowie Hintergründe 7 Einleitung beleuchtet und die Implementierung anhand von verschiedenen Eigenschaften der organisatorischen Ausgestaltung aufgezeigt. Ziel ist es, ein umfassendes Bild der strategischen Frühaufklärung in Theorie und Praxis zu erhalten. Das grundlegende Verständnis der Innovationsfähigkeit und der strategischen Frühaufklärung dient im vierten Kapitel dazu, erste Zusammenhänge zwischen beiden Konzepten herzustellen. In diesem Zusammenhang werden zunächst in der Theorie aufgeworfene Verbindungen aufgezeigt und erste Thesen über mögliche Wirkungszusammenhänge präzisiert. Aufbauend auf den vorherigen Kapiteln wird im fünften Kapitel die empirische Untersuchung konzipiert. Dazu wird die Auswahl der Forschungsstrategie vorgenommen und diskutiert. Darüber hinaus wird das Vorgehen der einzelnen Untersuchungsschritte erklärt und verdeutlicht. Im sechsten Kapitel, dem eigentlichen Kernstück der Untersuchung, wird die Forschungsfallstudie durchgeführt. Die Ergebnisse werden anhand der Einzelfallstudien und der fallübergreifenden Analyse dargestellt. Abschließend werden die Ergebnisse in Form von Hypothesen zusammengefasst und ein vollständiges Modell der Wirkung der Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit entwickelt. Das siebte Kapitel greift die Forschungsergebnisse auf und leitet erste Gestaltungshinweise für eine im Innovationsmanagement sinnvolle Frühaufklärung ab. Die Ergebnisse der Arbeit werden im achten Kapitel abschließend zusammengefasst und bewertet. Darüber hinaus werden Implikationen für die Forschung und die Praxis in Unternehmen gezogen. Ferner werden die Restriktionen der Arbeit vorgestellt und der daraus resultierende weitere Forschungsbedarf aufgezeigt. 8 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen 2 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen 2.1 Hinführung zur theoretischen Konzeption der Innovationsfähigkeit 2.1.1 Der Innovationsbegriff 2.1.1.1 Definition von Innovationen „Innovationen gelten als Zauberformel, die das Überleben sichert – von Unternehmen, aber auch von ganzen Nationen (…).“38 Um die Innovationsfähigkeit des Unternehmens verstehen und gestalten zu können, ist es unabdingbar, Wissen über die Bedeutung, den Begriff und das Management von Innovationen zu besitzen. Grundsätzlich wird an dieser Stelle keine umfangreiche Diskussion zur Innovationsliteratur erfolgen, sondern nur ein kurzer Überblick über die wichtigsten Grundlagen zum Begriffsverständnis gegeben. Aufgrund der Bedeutung von Innovationen für den langfristigen Erfolg von Unternehmen sind sie zum Schwerpunkt und Inhalt zahlreicher wissenschaftlicher sowie praxisorientierter Veröffentlichungen geworden.39 Jedoch wird bei der Analyse der einschlägigen Literatur schnell deutlich, dass „(...) kein geschlossener, allgemein gültiger Innovationsansatz bzw. keine allgemein akzeptierte Begriffsdefinition (...)“40 vorliegt.41 Bisher gibt es verschiedene definitorische Ansätze, sodass nur wenig begriffliche Klarheit herrscht. Hauschildt & Salomo unterstreichen die Bedeutung einer eindeutigen Definition: „Innovation ist ein schillernder, ein modischer Begriff. Um Missverständnissen vorzubeugen, ist es nötig, diesen Begriff präzise zu bestimmen und abzugrenzen. Eine derartige Definition hat nicht nur eine akademische Aufgabe. Auch der Wirtschaftspraktiker muss für sich festlegen, was er als Innovation bezeichnen will. Seine Einordnung entscheidet über die weitere Behandlung der Aufgabenstellung.“42 Das Wort Innovation im eigentlichen Sinne stammt von den lateinischen Wörtern „novus“, was „neu“ bedeutet, bzw. „innovatio“, was mit „Neuerung“ oder „Erneuerung“ übersetzt werden kann. Definitionsansätze im wissenschaftlichen Kontext 38 Dostert (2010), S. 24. Vgl. Brown & Eisenhardt (1995), S. 343; Page & Schirr (2008), S. 237. 40 Gabler Verlag (2009). 41 Vgl. Herzog (2011), S. 9; Trantow & Jeschke (2011), S. 4. 42 Hauschildt & Salomo (2007), S. 3; siehe dazu auch Gassmann & Friesike (2012), S. 3. 39 9 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen reichen bisweilen von der Darstellung der Innovation sowohl als neuartige Produkte, Dienstleistungen u.ä. als auch als explizite Einführung, Wahrnehmung und Verwertung dieser neuartigen Objekte oder als gesamten Prozess. Teilweise kombinieren die Autoren die verschiedenen Aspekte. Eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Definitionsansätze befindet sich in Tab. 2-1. Definitionsan- Auswahl an Autoren und ihre Definitionsansätze satz Innovationen Brentani (2001), S. 170 als etwas Neu„Innovation involves the creation of a new product, service or process. artiges “New” products can be viewed in terms of their degree of newness, ranging from a totally new, or discontinuous, innovation to a product involving simple line extensions or minor adaptations/adjustments that are of an evolutionary, or incremental, nature.” Veryzer, JR. (1998b), S. 137 “Innovation refers to the creation of a new product, service, or process.” Damanpour (1991), S. 556 „An innovation can be a new product or service, a new production process technology, a new structure or administrative system, or a new plan or program pertaining to organizational members.“ Bergmann & Daub (2008), S. 58 „Innovation ist ein Sammelbegriff für Verbesserungen oder Neuerungen.” Innovationen als erstmalige Einführung des Neuartigen Kieser (1969), Sp. 742 „Als Innovationen sollen alle Änderungsprozesse bezeichnet werden, die die Organisation zum ersten Mal durchführt.“ Vedin (1980), S. 22 „An innovation is an invention brought to its first use, its first introduction to the market.“ Innovationen als wahrgenommen neuartig Rogers (1983), S. 11 “An innovation is an idea, practice or object that is perceived as new by an individual or other unit of adoption. (...) If the idea seems new to the individual, it is an innovation.“ Zaltman et al. (1984), S. 10 „(...) We consider as an innovation any idea, practice, or material artifact perceived to be new by the relevant unit of adoptation.“ 10 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Definitionsansatz Auswahl an Autoren und ihre Definitionsansätze Nohria & Gulati (1996), S. 1246 „Innovation to include any policy, structure, method, or process, or any product or market opportunity that the manager of an operating unit perceives to be new.“ Innovationen als Verwertung des Neuartigen Trott (2002), S. 12 „Innovation = theoretical conception + technical invention + commercial exploitation.“ Damanpour & Evan (1984), S. 393 „Innovations at the organizational level may involve the implementation of a new technical idea or a new administative idea.” Innovationen als Prozess OECD (2005), S. 46 „An innovation is the implementation of a new or significantly improved product (good or service), or process, a new marketing method, or a new organisational method in business practices, workplace organisation or external relations.” OECD in Garcia, Calantone (2002), S. 112 „‘Innovation’ is an iterative process initiated by the perception of a new market and/or new service opportunity for a technology based invention which leads to development, production, and marketing tasks striving for the commercial success of the invention.“ Katila & Shane (2005), S. 814f. „(…) we define innovation as a process that begins with an invention, proceeds with the development of the invention and results in the introduction of a new product, process or service to the marketplace.“ Floricel & Dougherty (2007), S. 68 “Innovation is a stream of action involving a series of activities that create and diffuse new useful products.” Trott (2002), S. 121 “At the heart of the book is the thesis that innovation needs to be viewed as a process.” Tab. 2-1: Übersicht über ausgewählte Definitionen (In Anlehnung an Hauschildt & Salomo (2007), S. 4–6) 11 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Autoren sind in diesem Zusammenhang hauptsächlich bemüht, ihre eigenen Schwerpunkte und Facetten in den Vordergrund zu stellen, ohne jedoch die verschiedenen Definitionsansätze zu integrieren.43 Es ist kritisch zu sehen, dass die vorgenommenen Abgrenzungen nicht ohne Überschneidungen gestaltet sind und sich meist gegenseitig bedingen. Ein Vergleich der verschiedenen Definitionsansätze zeigt jedoch, dass alle auf bestimmte, wenige gemeinsame Merkmale hinweisen. Nahezu alle Definitionsansätze unterstreichen dabei die Neuartigkeit von Innovationen.44 Als einziger Unterschied ergibt sich hierbei, auf was sich diese Neuartigkeit bezieht. Im ersten Definitionsansatz wird dabei das Objekt der Innovation in den Vordergrund gestellt, wohingegen bei dem zweiten eher die Teilnehmer wie z.B. das Unternehmen oder der Markt eine Rolle spielen. Der dritte definitorische Ansatz thematisiert, von wem das Neue wahrgenommen wird und der vierte Ansatz erklärt lediglich, wodurch sich etwas Neuartiges definiert, nämlich in der Änderung des Bestehenden. Die letzten beiden Ansätze thematisieren grundlegend den Prozesscharakter, es muss nicht nur etwas Neuartiges gefunden werden, sondern eben auch auf den Markt gebracht werden. Anders als die Darstellungen von Bullinger & Schlick (2002) und Hauschildt & Salomo (2007) vermuten lassen, sind die bisherigen Nuancen der Definitionsansätze demnach durchaus vereinbar. 45 Eine Neuartigkeit bedingt naturgemäß eine gewisse Erstmaligkeit, denn wenn ein Unternehmen diese Innovation durchgeführt hätte, ließe es sich nicht mehr als neu bezeichnen. Ähnlich sieht es mit der Verwertung der Innovation aus, die per se verlangt, dass sie auf den Markt kommerziell eingeführt wird, denn sonst würde es sich lediglich um eine Erfindung handeln.46 Damit wird auch die Verbindung zum Prozessgedanken deutlich. Eine Erfindung auf den Markt zu bringen, zieht verschiedene Aktivitäten im Unternehmen nach sich, die als Prozess ablaufen. 47 Dies zeigt, dass keinesfalls vollständig unterschiedliche Ansätze vorliegen, sondern nur bestimmte einzelne Merkmale aufgegriffen werden. Diese unterschiedlichen Merkmale sollen im Folgenden genutzt werden, um das Begriffsverständnis von Innovationen in dieser Arbeit abzuleiten und eine möglichst vollständige Charakterisierung vorzunehmen. Diese Merkmale sind der Neuheitsgrad, das Objekt, der Prozess sowie das Subjekt der Innovation, d.h. für wen die Innovation neu ist. Alle Definitionsansätze adressieren die Neuartigkeit von Innovationen, zweifelsohne weisen Innovationen demnach etwas Neues auf. Da Innovationen unterschiedli43 Eine Zusammenfassung der verschiedenen Begriffsauffassungen findet sich bei Hauschildt & Salomo (2007), S. 4f. und Bullinger & Schlick (2002), S. 13–16. 44 Vgl. Sattler (2011), S. 10. 45 Vgl. Bullinger & Schlick (2002), S. 13–16; Hauschildt & Salomo (2007), S. 4f.. 46 Vgl. Mertins et al. (2008), S. 11; Bergmann & Daub (2008), S. 2. 47 Vgl. Cooper (2008), S. 214f. 12 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen che Neuheitsgrade aufweisen können (siehe 2.1.1.3), müssen Abstufungen vorgenommen werden. Ohne den Ausführungen in Kapitel 2.1.1.3 vorgreifen zu wollen, wird hier zwischen der Neuartigkeit im Sinne von brandneu oder signifikant verbessert unterschieden. Diese Unterscheidung entspricht vielen Definitionsansätzen, die diesen Sachverhalt abgrenzen, ermöglicht jedoch eine unkomplizierte Zuordnung.48 Das Objekt der Innovation verdeutlicht, was genau neu ist. Demnach müssen nicht immer nur Produkte oder Dienstleistungen neu sein, sondern auch Prozesse und Methoden im Unternehmen können das Objekt einer Innovation darstellen. Die prozessgetriebenen Definitionen zeigen, dass es sich bei einer Innovation nicht um eine reine Erfindung handelt, sondern das Produkt etc. am Markt verfügbar ist. Die Implementierung ist damit ein Gestaltungsmerkmal, damit die Innovation von unterschiedlichen Marktteilnehmern wahrgenommen werden kann. Am Ende des Innovationsprozesses steht damit zwingend die Markteinführung. Als ein letztes Merkmal wird hier auf das Subjekt verwiesen. Je nach Objekt kann eine Innovation nur im Unternehmen (bei Prozessen oder Methoden) oder aber eben im Unternehmen und seinem Umfeld (im Fall von Produkten, Dienstleistungen) als neuartig wahrgenommen werden. Damit ergibt sich für den weiteren Verlauf der Arbeit die folgende Definition: Eine Innovation ist die Implementierung neuer oder signifikant verbesserter Produkte (Güter oder Dienstleitungen), Prozesse, neuer Marketingmethoden, oder neuer Organisationsmethoden im Unternehmen und seinem Umfeld. 49 Diese Definition wurde von der OECD entwickelt und adressiert vollständig alle erforderlichen Merkmale.50 Der Vorteil dieser Definition besteht darin, dass sie verschiedene Arten von Innovationen umfasst und mit den anderen Definitionsansätzen kompatibel ist. Grundanforderung einer jeden Innovation besteht demnach darin, dass Produkt, Prozess, Strategie neu oder signifikant verbessert für das Unternehmen sind. Innovationen sind das Ergebnis eines Prozesses, der sich in verschiedene Phasen gliedern lässt. Am Ende dieses Prozesses steht zwingend die erfolgreiche Vermarktung bzw. Einführung der Innovation am Markt. 51 Darüber hinaus hat das Oslo-Manual in der wissenschaftlichen Praxis weite Gültigkeit und Verbreitung gefunden und wird oftmals als Grundlage zur Operationalisierung von Innovationen 48 Siehe dazu Brentani (2001), S. 170; Bergmann & Daub (2008), S. 58; Barnett (1953), S. 7; OECD (2005), S. 46. 49 OECD (2005), S. 46. 50 Vgl. OECD (2005), S. 46. 51 Vgl. OECD (2005), S. 46f. 13 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen in Umfragen herangezogen. 52 Daher wird eine gute Vergleichbarkeit zu anderen Arbeiten sichergestellt. Da Objekt und Neuartigkeit eine bedeutende Rolle im Verständnis und Definition von Innovationen spielen, erfolgt ein ausführlicher Diskurs separat in Kapitel 2.1.1.2 sowie in 2.1.1.3. 2.1.1.2 Objekt der Innovation Bei der Unterscheidung nach dem Objekt der Innovation finden sich in der Literatur unter anderem folgende Einteilungen: Produkt- und Prozessinnovationen, Sozialinnovationen, organisatorische Innovationen, Geschäftsmodellinnovationen53 sowie Managementinnovationen. 54 Das Objekt der Innovation erklärt demnach, worauf sich die Innovation an sich bezieht. Sobald Kundenbedürfnisse von neuartigen, bislang nicht existenten Produkten oder Dienstleistungen befriedigt werden, spricht man von Produktinnovationen. Die Neuartigkeit beinhaltet entweder Veränderungen in technischen Spezifikationen, Komponenten und Materialien, Software, Benutzerfreundlichkeit, Design oder anderen funktionellen Eigenschaften. 55 Grundlage für Produktinnovationen bilden neues Wissen oder neue Technologien eines Unternehmens oder die neuartige Nutzung und Kombination dieser Ressourcen. 56 Entgegen vielfacher Unterscheidungen in der Literatur werden Dienstleistungsinnovationen den Produktinnovationen zugerechnet, da sie im weiteren Sinne zu den Produkten und dem Leistungsangebot eines Unternehmens zählen.57 Prozessinnovationen hingegen konzentrieren sich auf die Verbesserung der Effizienz von Verfahren und Abläufen im Unternehmen. Sie ermöglichen deutliche Kosten-, Zeit- oder Qualitätsverbesserungen. 58 Oftmals gehen Produktinnovationen mit Prozessinnovationen einher, da neuartige Produkte meist veränderte Prozesse bedingen und neuartige Prozesse den Weg für neue Produkte ebnen.59 Sozialinnovationen beziehen sich auf So dient die Definition bspw. in der „Community Innovation Study“ der Eurostat und in dem Mannheimer Innovationspanel der ZEW als Grundlage (Quelle: ZEW; Eurostat (2010)). 53 Geschäftsmodellinnovationen laufen im anglo-amerikanischen Raum unter „Strategic Innnovations“ 54 Vgl. Trott (2002), S. 14; dazu auch: Granig (2007), S. 12; Damanpour & Aravind (2011), S. 490. 55 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 111. 56 Vgl. OECD (2005), S. 48. 57 Siehe Brentani (2001); Cooper & Brentani (1991). 58 Vgl. Landwehr (2005), S. 22. 59 Vgl. Bergmann & Daub (2008), S. 61. 52 14 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen den Faktor Personal und seinen direkten sowie indirekten Wirkungsbereich im Unternehmen.60 „Ziele von Sozialinnovationen können die Erhöhung von Arbeitszufriedenheit, Verbesserung der Motivation und eine Reduktion der Krankenstände sein.“61 Organisatorische Innovationen kennzeichnen eine Verbesserung der Struktur, d. h. in der Aufbau- und Ablauforganisation und den im Unternehmen vorherrschenden Systemen.62 Managementinnovationen werden als Implementierung neuer Managementkonzepte charakterisiert, wohingegen Geschäftsmodellinnovationen in Zusammenhang mit der Einführung von neuen Geschäftsmodellen stehen.63 Zusammenfassend wird festgestellt, dass zwischen den einzelnen Innovationsarten in der Praxis vielfältige Zusammenhänge und Interdependenzen bestehen. Beispielsweise kann ein neuartiges Produktionsverfahren auch Sozial- und Organisationsinnovationen einleiten, indem Arbeitsbedingungen und Ablauf-organisation im Unternehmen verbessert werden. In der weiterführenden Arbeit wird sich hauptsächlich auf Produktinnovationen konzentriert, da sich diese besser eignen, den Untersuchungsgegenstand zu analysieren (siehe dazu auch 5.2.2). 2.1.1.3 Grad der Innovation Der Innovationsgrad ist ein Maß, um die Neuartigkeit der Innovation zu messen.64 Hochinnovative Produkte weisen demnach ein hohes Maß an Neuartigkeit auf und wenig innovative Produkte ein geringes Maß. Die Innovationsforschung erweckt den Eindruck, dass alle Facetten von Innovationen erforscht sind, ganz unabhängig davon, welcher Innovationsgrad vorliegt. 65 Diese Facetten reichen von unterschiedlichen Prozessdefinitionen über verschiedene strategische Ausrichtungen für radikale, signifikant neue, verbesserte und inkrementelle Innovationen. 66 In den zahlreichen Studien, die sich dem Innovationsgrad widmen, wurde dem Innovationsgrad von Produkten enormer Einfluss auf andere Faktoren, wie z.B. den Erfolg des Produktes, der Entscheidungsfindung im Unternehmen, dem Innovationsprozess und -zyklus nachgewiesen. 67 Dementsprechend lässt sich auch eine Bedeutung für 60 Vgl. Granig (2007), S. 12. Granig (2007), S. 12. 62 Vgl. Hauschildt & Salomo (2007), S. 13. 63 Vgl. Damanpour & Aravind (2011), S. 490. 64 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 112; Bergmann & Daub (2008), S. 62. 65 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 110. 66 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 110. 67 Vgl. Danneels & Kleinschmidt (2001); Cooper & Brentani (1991); Chandy & Tellis (1998). 61 15 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen die im Anschluss folgende Diskussion der Innovationsfähigkeit vermuten. Insgesamt stellt demnach der Neuheitsgrad eines der Schlüsselkonzepte in der Innovationsforschung dar.68 Gleichwohl wird in der Literatur ähnlich wie bei dem Innovationsbegriff bislang kein einheitliches konsistentes Konstrukt verwendet. 69 Vielmehr wird in der Betrachtung oftmals vernachlässigt, worin genau der Unterschied zwischen den Innovationsgraden besteht, wann genau eine inkrementelle Innovation vorliegt und unter welchen Bedingungen eine radikale, was neu ist und welche Perspektive dabei betrachtet wird. Dabei reicht die begriffliche Unterscheidung weitaus weiter als die Unterscheidung zwischen radikalen und inkrementellen Innovationen. Die folgende Auflistung macht deutlich, dass die in der Literatur benutzten Unterscheidungen je nach Zielsetzung des Forschers stark in Begrifflichkeit und Anzahl der Kategorien variieren: Dichotome Einteilungen: diskontinuierlich/kontinuierlich 70, inkrementell/ radikal71, disruptiv/erhaltend72, kompetenzstärkend/kompetenzzerstörend73, hochgradig neu/inkrementell74; original/neuformuliert75, Innovationen/ Reinnovationen76 Triadische Einteilungen: hoch/mittelmäßig/wenig innovativ77, Pionier-/ Anpassungs-/Nachahmungsinnovation78, radikal/hochgradig neu/inkrementell; Treta-Einteilung: inkrementell/bauformanpassend/modular/radikal 79, radikal/ wirklich neu/ diskontinuierlich/nachahmend 80; inkrementell/Marktdurchbruch/Technologiedurchbruch/radikal81, Nischenschaf82 fung/Architectural/Regular/Revolutionary 68 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 118; dazu auch: Gatignon et al. (2002), S. 1105; Green & Gavin (1995), S. 203; Hauschildt & Salomo (2007), S. 16. 69 Die fehlende Konsistenz wird durch unterschiedliche Kategorisierungen, Skalierungen, Untersuchungsverfahren und Kriterien, die zur Bestimmung Neuartigkeit herangezogen werden, deutlich. Vgl. dazu auch Hauschildt & Salomo (2007), S. 16–18; Garcia & Calantone (2002), S. 118; Danneels & Kleinschmidt (2001), S. 358; Dahlin & Behrens (2005), S. 719. 70 Vgl. Veryzer, JR. (1998b), S. 137; Veryzer, JR. (1998a), S. 307; Brentani (2001), S. 171. 71 Vgl. Dewar & Dutton (1986), S. 1423; Ali et al. (1995), S. 57; Atuahene-Gima (1995), S. 279; Ettlie et al. (1984), S. 683; Laursen & Salter (2006), S. 137; Gatignon et al. (2002), S. 1107; Siguaw et al. (2006), S. 567; Herzog (2011), S. 10; Damanpour & Aravind (2011), S. 491. 72 Vgl. Christensen (1997), S. xviii. 73 Vgl. Tushman & Anderson (1986), S. 442. 74 Vgl. Schmidt & Calantone (1998), S. 112; Olson et al. (1995), S. 52. 75 Vgl. Yoon & Lilien (1985), S. 134. 76 Vgl. Rothwell & Gardiner (1988), S. 373. 77 Vgl. Kleinschmidt & Cooper (1991). 78 Vgl. Crawford (1994), S. 55. 79 Vgl. Henderson & Clark (1990), S. 12. 80 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 121–123. 81 Vgl. Chandy & Tellis (2000), S. 2f. 82 Vgl. Abernathy & Clark (1985), S. 4–7. 16 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Fünfgeteilte Einteilung: sytematisch/bedeutend/geringfügig/inkrementell/ unbedeutend83 In diesem Zusammenhang machen Garcia & Calantone anhand von zwei Beispielen deutlich, dass die gleiche Innovation unterschiedlichen Begriffen und Kategorien zugeordnet werden kann. Derartige Widersprüche erschweren die Vergleichbarkeit von Studien. 84 Um das vorherrschende Verwirrungspotenzial zu lösen, werden die in der Literatur diskutierten Kriterien herangezogen. Daher werden zur vollständigen Ableitung der Innovationsgrade in dieser Arbeit die Charakterisierungsmöglichkeiten anhand der folgenden Kriterien: (1) Innovationsperspektive (2) Innovationsdimension (3) Einflusses auf bestehende Fähigkeiten aufgezeigt.85 (1) Innovationsperspektive Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, aus welcher Perspektive der Grad einer Innovation betrachtet wird.86 Dabei lassen sich zwei Perspektiven unterscheiden: unternehmensintern und unternehmensextern. Einige Artikel ziehen dazu die Neuartigkeit aus Sicht des Unternehmens, der Kunden, der Gesamtheit des Marktes oder eine Kombination aus ihnen heran.87 Eine weitverbreitete Einteilung, die diese Perspektiven abbildet, stellt die Matrix von Booz Allen Hamilton dar (Abb. 2-1). Diese Matrix unterscheidet zwischen dem Neuheitsgrad für das Unternehmen und dem Neuheitsgrad für den Markt, wobei mit Markt vornehmlich die Perspektive des Kunden gemeint ist. 88 Neue Produkte werden anhand dieser Ebenen eingestuft. Als Ergebnis entstehen sechs unterschiedliche Innovationstypen. Da grundsätzlich mit einem Produkt sowohl neue als auch alte Kundengruppen angesprochen werden können, erweist sich die Abgrenzung jedoch als schwierig. Zudem liefern Booz Allen Hamilton keine Kriterien, wie genau ein 83 Vgl. Freeman (1994), S. 474. Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 117f. 85 Vgl. dazu auch Schreiner (2006), S. 19: Schreiner wählt in seiner Darstellung folgende Kriterien: Innovationssubjekt, Innovationsebene, Innovationsdimension, Innovationseinfluss auf bestehende Kompetenzen und Innovationsunsicherheit. Im Gegensatz zu Schreiner werden die Kriterien hier jedoch anders verdichtet und zusammengefasst, weil die von ihm gewählten oftmals nicht überschneidungsfrei und eindeutig sind. 86 Vgl. Ellermann (2010), S. 17. 87 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 113. 88 Vgl. Danneels & Kleinschmidt (2001), S. 360. 84 17 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Produkt aus Sicht des Kunden einzustufen ist und worin die Unterschiede im Neuheitsgrad für den Markt liegen. Hoch „New-to-world“ Produkte Neue Produktlinie Neuheitsgrad für das Unternehmen Verbesserungen/ Korrekturen bei bestehenden Produkten Erweiterung der existierenden Produktlinie Kostenreduktion Repositionierung Gering Gering Neuheitsgrad für den Markt Hoch Abb. 2-1: Booz, Allen, Hamilton Matrix zur Bestimmung des Produkttypes (Quelle: Danneels & Kleinschmidt (2001), S. 360) Garcia & Calantone hingegen unterscheiden in ihrer Argumentation zwischen der Makro- und Mikroebene, auf der die Innovation je nach Innovationsgrad unterschiedlich starke Diskontinuitäten hervorruft. 89 Ausgangspunkt ist hier nicht, wer die Innovation als neu betrachtet, sondern auf welcher Ebene Diskontinuitäten entfaltet werden. Diese Unterscheidung findet sich häufig in der ausgewerteten Literatur wieder, was Tab. 2-2 verdeutlicht. Die Makroperspektive erklärt dabei, inwiefern die Neuartigkeit eines Produktes einen Wechsel in den vorliegenden Standards oder Marktstrukturen einer Branche schafft. Garcia & Calantone fassen zusammen: “From a macro perspective, innovativeness is evaluated based on factors exogenous to the firm, such as familiarity of the innovation to the world and industry or creation of new competitors from the introduction of new innovations.” 90 89 90 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 113; siehe dazu auch Ellermann (2010), S. 18ff. Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 118. 18 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Perspektive Ebene Beispiele aus der Literatur Makro Markt Mikro Unternehmen Anderson/Tushman (1990), Garcia/Calantone (2002), de Brentani (2001), Lawton/Parasuram (1980), Cooper (1979), Chandy/Tellis (2000), Meyer/Utterback (1995), Colarelli O‘Connor (1998), Cooper/de Brentani (1991), Cooper/Kleinschmidt (1991), Ali/Krapfel/LaBahn (1995), Mishra et al. (1996) Anderson/Tushman (1990), Cooper (1979), Gatignon et al. (2002), Henderson/Clark (1990), Garcia/Calantone (2002), Daneels/Kleinschmidt (2001), Colarelli O‘Connor (1998), de Brentani (2001), Dewar/Dutton (1986), Nyström (1985), Schmidt/Calantone (1998), Lee/Na (1994), Cooper/de Brentani (1991), Kleinschmidt/Cooper (1991), Atuahene-Gima (1995), Mishra et al. (1996), Damanpour (1991), Veryzer (1998), Olson/Walker/Ruekert(1995), Meyer/Utterback (1995), Schlaak (1999) Kunde Cooper/de Brentani (1991), Veryzer (1998), Cooper (1979), Garcia/Calantone (2002), Lawton/Parasuraman (1980), Chandy/Tellis (2000), Schmidt/Calantone (1998), Atuahene-Gima (1995), Olson/Walker/Ruekert (1995), Meyer/Utterback (1995) Tab. 2-2: Perspektiven in den einzelnen Studien (Quelle: Eigene Darstellung) Die hervorgerufenen Diskontinuitäten wirken sich weltweit, industrieweit oder marktweit aus und sind nicht abhängig von der Firmenstrategie, den Kompetenzen, Ressourcen oder Strukturen. 91 Je radikaler ein Produkt ist, umso größer sind die Auswirkungen auf die Makroumwelt national wie international. Dadurch kann ein ganz neuer Markt entstehen oder sich die Infrastruktur des Marktes verändern. 92 Auf Kundenseite erfordern neue Produkte oftmals Umdenken in Produktnutzen und 91 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 118. Vgl. O'Connor (1998), S. 152; Ali et al. (1995), S. 57; Brentani (2001), S. 172; Siguaw et al. (2006), S. 567. 92 19 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Kundenverhalten. Neue Produkte bieten einen andersartigen Produktnutzen oder sind mit Risiken für den Kunden verbunden.93 Dahingegen begründet die Mikroperspektive den Einfluss auf bestehende Ressourcen, Fähigkeiten, Wissen und die Strategie des Unternehmens. 94 Im Zusammenhang mit Innovationen treten Diskontinuitäten in der Strategie, der Wertschöpfungskette oder den Fähigkeiten und Kompetenzen des Unternehmens auf. Hauschildt & Salomo fügen dazu an: „Gefragt wurde in den Untersuchungen üblicherweise, inwieweit die betrachtete Unternehmung mit den vom jeweiligen Innovationsprojekt aufgeworfenen Problemen vertraut war oder wie neu sie ihr erscheinen“95 Je neuer ein Innovationsprojekt für die Unternehmung erscheint, desto unbekannter ist ihr dessen Handhabung und demnach treten desto mehr Diskontinuitäten auf. Schlaak hat anhand einer Befragung sieben Faktoren verdichtet, auf die sich entsprechende Diskontinuitäten auswirken oder auf die sich die Vertrautheit im Unternehmen bezieht:96 Produkttechnologie durch technologisches Wissen, Produkttechnologie, Produkttechnik und technische Komponenten Absatzmarkt durch Vertrieb, Kunden und Kommunikation Produktionsprozess durch Produktionsanlagen, Produktmontageverfahren und Produktionsverfahren Beschaffungsbereich durch Lieferantenverhalten, Materialien und Lieferbeziehungen Kapitalbedarf durch Marketing-Kosten, F&E-Kosten, Investitionen in den Produktionsprozess Formale Organisation durch Produktmanager und Bildung einer eigenen Organisationseinheit Informale Organisation durch soziales Verhalten, Unternehmenskultur, Soziale Fähigkeiten, Managementwissen, Wertvorstellungen, Strategie der Produktbereiche 93 Vgl. Chandy & Tellis (2000), S. 2; Schmidt & Calantone (1998), S. 113; O'Connor (1998), S. 152; Ali et al. (1995), S. 57; Atuahene-Gima (1995), S. 278; Veryzer, JR. (1998b), S. 137f.; Veryzer, JR. (1998a), S. 307. 94 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 113. 95 Hauschildt & Salomo (2007), S. 19; dazu auch: Atuahene-Gima (1995), S. 279; Ettlie et al. (1984), S. 683. 96 Vgl. Schlaak (1999), S. 92ff. 20 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Anhand der Beurteilung der einzelnen Faktoren im Unternehmen ergeben sich verschiedene Wertausprägungen. Die entsprechenden Werte für die einzelnen Faktoren machen dem Unternehmen deutlich, inwiefern ein Wandel durch die jeweilige Innovation ausgelöst wird. Je größer der Mittelwert, umso radikaler das Innovationsprojekt und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Unternehmen selbst. Radikale Innovationen weisen einen Wert von 5,5 auf einer 7-Punkte-Skala und eher inkrementelle Innovationen einen Wert von 2,5.97 Kontrolllisten wie die von Schlaak sind im Unternehmen sehr sinnvoll, um das Ausmaß einer Innovation frühzeitig bestimmen zu können. Ungeachtet dessen, lässt sich damit nicht bestimmen, wie die Umwelt die Innovation wahrnimmt. Begibt sich ein Unternehmen in eine fremde Branche, sind die oben genannten Werte stark ausgeprägt aufgrund der nicht vorhandenen Erfahrungen. Wenn das Leistungsangebot jedoch den Durchschnitt der Branche wiedergibt, wird die vermeintliche Innovation als solche nicht wahrgenommen. Die Betrachtung zeigt, dass zur Bestimmung des Innovationsgrades, mehrere Perspektiven herangezogen werden müssen. Eine einseitige Fokussierung z.B. auf die Unternehmensperspektive greift zu kurz und kann nicht vollends klären, wie neu eine Innovation bei Kunden und Wettbewerb wahrgenommen wurde. (2) Innovationsdimension Darüber hinaus kann der Innovationsgrad anhand der verschiedenen Innovationsdimensionen untersucht werden. Garcia & Calantone haben dazu in einer Metaanalyse 17 verschiedene Faktoren identifiziert. 98 Diese Objekte lassen sich jedoch zu zwei grundsätzlichen Faktoren verdichten: Zum einen Marktfaktoren und zum anderen Technologiefaktoren. Salomo et al. definieren diese beiden Dimensionen wie folgt:99 Marktdimension: In der Dimension Markt beschreibt der Innovationsgrad die Summe aller Unterschiede zwischen der Innovation und einem äquivalenten existierenden Produkt, das ähnliche Bedürfnisse befriedigt. Produktinnovationen können zum einen das Entstehen von den Märkten erfordern, im Unternehmen jedoch auch neue Marketingfähigkeiten voraussetzen. Technologiedimension: Mit der Dimension Technologie kann der Innovationsgrad in Abhängigkeit vom benötigtem Wissen bezüglich der Komponen- 97 Vgl. Hauschildt & Salomo (2007), S. 20. Garcia & Calantone identifizieren: neue Technologie, neue Produktlinie, neue Produkteigenschaften, neues Produktdesign, neuer Prozess, neuer Service, neuer Wettbewerb, neue Kunden, neue Kundenbedürfnisse, neues Konsumverhalten, neue Nutzer, neue Entwicklungsfähigkeiten, neue Marketing-/Vertriebs- und Produktionsfähigkeiten, neue Managementfähigkeiten, neues Wissen, oder neue Qualität. 99 Vgl. Salomo et al. (2007), S. 228, Garcia & Calantone (2002), S. 119. 98 21 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen ten der Architektur, das zur Entwicklung der Innovation verwendet wird, beschrieben werden. Innovationen lösen einen Paradigmenwechsel in dem Status Quo von Wissenschaft und Technologie aus. Unternehmen müssen wohlmöglich neue F&E-Fähigkeiten, Wissen oder Produktionsprozesse entwickeln. Diese Dimensionen ergänzen damit die Innovationsperspektive und differenzieren, welche Faktoren auf Makro- und Mikroebene neuartig sind. Einige Produkte verlangen nur unternehmensintern neue Marketingfähigkeiten, weitaus radikalere eben das Entstehen eines neuen Marktes. Ähnlich verhält es sich mit der Technologiedimension, die zum einen neue Technologien und Produktionsprozesse im Unternehmen erfordert oder den Wechsel des technologischen Standards in der gesamten Branche hervorruft. Bei radikalen Produkten treten beide Dimensionen gemeinsam auf und rufen Diskontinuitäten in dem unternehmensinternen und -externen Umfeld hervor. Insgesamt erscheint es als unzureichend, Diskontinuitäten oder Unvertrautheiten nur auf diese beiden Dimensionen zu reduzieren. Bei der Betrachtung der von Schlaak identifizierten Faktoren zum Innovationsgrad im Unternehmen entsprechen nur die ersten drei dieser Sichtweise. Anders als in bisherigen Arbeiten wird damit unterstrichen, dass sich diese Diskontinuitäten nicht nur auf Marketingund Technologiediskontinuitäten beziehen lassen.100 Diese Einschränkung gilt nur für technologische Innovationen. Eine Produktneuheit kann, wie dargestellt, umfassende Auswirkungen auf verschiedene Teilbereiche, vor allem der des Unternehmens, auslösen und dies nicht nur auf Markt und Technologie. (3) Einfluss auf bestehende Kompetenzen Es wurden bereits in der Diskussion des Innovationsgrades auf der Mikroebene, insbesondere anhand der Kriterien von Schlaak, einige Einflussmöglichkeiten auf das Unternehmen dargestellt. 101 Wie bereits dargelegt, können besonders neuartige Innovationen bestehende Fähigkeiten und Kernkompetenzen des Unternehmens beeinflussen und sie sogar überflüssig machen. Aufgrund der Bedeutung von Kernkompetenzen ist daher eine separate Betrachtung des Einflusses der Neuartigkeit auf die Fähigkeiten und Kompetenzen notwendig.102 Tushman & Anderson zeigen in ihrer Studie, dass Innovationen sowohl kompetenzstärkend (‚competence enhancing’) als auch kompetenzzerstörend (‚competence destroying’) wirken können. 103 Kompetenzstärkende Innovationen stützen sich auf 100 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 119. Vgl. Schlaak (1999), S. 92ff. 102 Eine weiterführende fähigkeitsorientierte Betrachtung erfolgt in Kapitel 2.2, in dem das Konzept der Innovationsfähigkeit vorgestellt wird. 103 Vgl. Tushman & Anderson (1986), S. 439. 101 22 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen bisherige Kompetenzen und Know-how, enthalten in den Produkten, die sie ersetzen. Derartige Innovationen werden durch wirkliche Produkt-verbesserungen auf Grundlage bestehenden Wissens charakterisiert.104 Damit erfolgt eine Kompetenzverstärkung in diesem Feld. Im Gegensatz dazu sind kompetenzzerstörende Innovationen anders als bestehende vorherrschende Technologien, so dass die bisherigen Fähigkeiten und die Wissensbasis durch neue ausgetauscht werden.105 Bestehende Kompetenzen des Unternehmens werden dadurch gemeinhin obsolet. Ergänzt wird diese Dichotomie durch McDermott & O'Connor. In ihrer Untersuchung stellen sie fest, dass eine dritte Art von Innovationen existiert, die neue Kompetenzen aufbaut, ohne die bisherige Kompetenz zu zerstören. 106 Damit erweitern sie das Konstrukt von Tushman & Anderson um kompetenzerweiternde (‚competence stretching’) Innovationen. Damit ergeben sich die folgenden Innovationstypologien, die den Einfluss der Innovation auf die Kompetenz- und Wissensbasis des Unternehmens beschreiben: Kompetenzstärkend; bestehende Kompetenzen werden erweitert und gestärkt Kompetenzerweiternd; neue Kompetenzen werden aufgebaut, ohne aber die bestehenden Kompetenzen zu zerstören Kompetenzzerstörend; neue Kompetenzen werden entwickelt und machen bisherige Kompetenzen überflüssig. Ableitung von Innovationstypologien Infolge der verschiedenen Charakterisierungsmöglichkeiten des Innovationsgrades sind unterschiedliche Typologien und Klassifizierungen von Innovationen durchaus nachvollziehbar. Trotz der aufgezeigten Inkonsistenzen charakterisieren die meisten Autoren Innovationen als Diskontinuität. 107 Die Eigenschaft der Diskontinuität bildet derweil in der weiteren Argumentation die Ausgangsbasis, da sie eine Klammerfunktion um die verschiedenen Betrachtungsweisen des Innovationsgrades einnimmt. Denn löst eine Innovation Diskontinuitäten aus, ist von einer gewissen Unvertrautheit mit ihnen auszugehen. Im Falle des Unternehmens müssen gegebenenfalls erst Marktkanäle und -strategien aufgebaut werden, dies wiederum verlangt neue Ressourcen und Fähigkeiten, da die bisherigen unzureichend sind. 108 Die Anwendung der Diskontinuität auf zwei Perspektiven, der Makroperspektive, d.h. neu für Markt sowie Branche und der Mikroperspektive, d.h. neu für das Unternehmen selbst, wird ebenso übernommen, da sie beide wichtigen Einfluss-ebenen um- 104 Vgl. Tushman & Anderson (1986), S. 442; siehe auch: Anderson & Tushman (1990), S. 609. Vgl. Tushman & Anderson (1986), S. 442; siehe auch: Anderson & Tushman (1990), S. 609. 106 Vgl. McDermott & O'Connor (2002), S. 429. 107 Siehe dazu Garcia & Calantone (2002), S. 120. 108 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 120. 105 23 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen fasst.109 Alle weiteren Kriterien, wie die Innovationsdimension und der Einfluss auf bestehende Kompetenzen, dienen zu einer weiteren Erläuterung dieser beiden Perspektiven. Die Innovationsdimension beschreibt dabei, worauf sich die Diskontinuität im Makro- oder Mikroumfeld auswirkt. Der Einfluss der Innovation auf bestehende Kompetenzen dient zur Veranschaulichung der unternehmensinternen Kompetenzmechanismen, bildet demnach einen Teil der Mikroperspektive ab. Mithilfe der beschriebenen Kriterien lässt sich eine Unterscheidung in radikale und inkrementelle Innovationen durchführen. Diese beiden Innovationsarten werden wie folgt definiert: Radikale Innovationen: Radikale Innovationen wirken sich auf mehrere Dimensionen in der Makro- und Mikroumwelt aus. Sie führen zu gravierenden Veränderungen sowohl in der Branche und beim Kunden als auch im Unternehmen. Sie stellen neue Produktlösungen dar, die „(…) eine tiefgreifende Veränderung in der Gestaltung von Prozessen und Produkten nach sich ziehen“110 und damit meist Märkte neu definieren. Im Unternehmen selbst betreffen sie alle wichtigen Funktionsbereiche und haben Einfluss auf Eigenschaften wie Kompetenzen, Prozesse der Organisation. Sie beruhen auf neuerworbenen Ressourcen und Kompetenzen und zerstören zum Teil die „alte“ Kompetenzbasis. Inkrementelle Innovationen: Inkrementelle Innovationen sind Produkte mit neuen Funktionen, Nutzen oder Verbesserungen bestehender Produkte in bereits existierenden Märkten. Sie wirken sich hauptsächlich auf die Mikroperspektive aus. Ihre Basis ist die Weiterentwicklung und Verfeinerung von bestehenden Ressourcen und Kompetenzen. Fazit Da der Innovationsgrad zu den Schlüsselkonzepten der Innovationsforschung gehört, wurde vermutet, dass ihm ebenso eine hohe Bedeutung in der folgenden Diskussion um die Innovationsfähigkeit zukommt. Daher wurde eine vereinheitlichte Definitionsgrundlage angestrebt, die in der Lage ist, bestehende Ansätze zu integ109 110 Vgl. Garcia & Calantone (2002), S. 118. Landwehr (2005), S. 24. 24 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen rieren und eine exakte definitorische Grundlage zu liefern, die die anschließende Auseinandersetzung mit der Innovationsfähigkeit erleichtert. Die Bedeutung hat sich durch die Kriterien zur Bestimmung des Neuheitsgrades bereits bestätigt, indem radikale und inkrementelle Innovationen unterschiedliche Kompetenzen und Fähigkeiten im Unternehmen ansprechen. Dies bedeutet, dass die Innovationsfähigkeit ggf. auf unterschiedliche Mechanismen zurückgreift, um radikale oder inkrementelle Innovationen entstehen zu lassen. Dieser Zusammenhang wird hauptsächlich in 2.2 und 2.3 näher bestimmt. 2.1.2 Grundlagen zum Fähigkeitsbegriff – der Ressourcenorientierte Ansatz des Unternehmens 2.1.2.1 Entwicklung des ressourcenorientierten Ansatzes Für die Diskussion der Innovationsfähigkeit genügt es nicht, den Begriff der Innovation zu klären, sondern es muss ebenso eine Auseinandersetzung mit den Fähigkeiten erfolgen. Diese Auseinandersetzung soll im Anschluss helfen, die Grundlagen für die Ausführungen im Kapitel 2.2 zu verstehen. Die Innovationsfähigkeit bildet einen Teil der relevanten Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens. Diese sind zentraler Gegenstand des ressourcenorientierten Ansatzes, daher ist eine Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen von Bedeutung. Der ressourcenorientierte Ansatz liefert in diesem Zusammenhang nicht nur das theoretische Grundgerüst für die Fähigkeiten eines Unternehmens, zu denen zweifelsohne die Innovationsfähigkeit gehört, sondern wird in der wissenschaftlichen Forschung zur Konzeptionalisierung der Innovationsfähigkeit herangezogen, was die besondere Stellung in der Diskussion hervorhebt. Der ressourcenorientierte Ansatz basiert auf dem Gedanken, dass Stärken und Schwächen eines Unternehmens und dessen Erfolg auf seine Ressourcen zurückzuführen sind.111 Bereits 1959 wurde dieser Gedanke von Penrose in dem Buch „The Theory of the Growth of the Firm“ in die Diskussion gebracht. 112 Penrose beschreibt Unternehmen nicht mehr nur als administrative Einheiten, sondern als Ansammlung von Ressourcen. 113 Auf Basis dieser Idee hat sich seit Mitte der 80er Jah- 111 Vgl. Barney (1991), S. 99. Vgl. Penrose (1959), S. 24. 113 Vgl. Penrose (1959), S. 24. 112 25 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen re der ressourcenorientierte Ansatz als Gegenbewegung und Ergänzung zum marktorientierten Ansatz114 entwickelt.115 Der Erfolg von Unternehmen wird damit nicht allein mit den vorherrschenden Marktstrukturen und bestimmten idealtypischen Verhaltensweisen von Unternehmen erklärt. Die Ursachen für den Unternehmenserfolg liegen vielmehr in der spezifischen Ressourcenausstattung eines jeden Unternehmens. Damit bilden Ressourcen und deren Verwertung die Grundlage für den Erfolg des Unternehmens. 116 Jedes Unternehmen weist eine einzigartige Ressourcenausstattung auf, welche das Ergebnis seiner historischen Entwicklung ist. 117 Erfolgsrelevant sind solche Ressourcen, die wertvoll, selten, nicht nachahmbar und nicht austauschbar sind und somit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz begründen.118 Diese Ressourcen ermöglichen es dem Unternehmen, wertschaffende Strategien umzusetzen, indem sie gegebene Marktchancen ausnutzen und ihren Kunden eine bestimmte Leistung zu besseren Konditionen, wie einem günstigerem Preis oder eine bessere Leistung zu gleichen Preisen, als Konkurrenzunternehmen vermitteln. 119 Der ressourcenorientierte Ansatz hat in den 1990er Jahren eine Weiterentwicklung erfahren.120 Dabei lassen sich zwei wesentliche Richtungen erkennen, zum einen der wissensorientierte Ansatz (Knowledge-based View)121 und zum anderen der fähigkeitsorientierte Ansatz (Capability-based View).122 Die Entwicklung des ressourcentheoretischen Ansatzes mit seinen verschiedenen Schwerpunkten und Vertretern ist in Abb. 2-2 abgebildet. 114 Der marktorientierte Ansatz erklärt den langfristigen Erfolg von Unternehmen im Wesentlichen durch Unterschiede in der Struktur der Branche in dem es tätig ist. Dieser Ansatz geht vor allem auf Porter zurück. Porters Konzept beruht auf der Idee, dass die Attraktivität einer Branche durch die Ausprägung der fünf wesentlichen Wettbewerbskräfte - Verhandlungsmacht der Abnehmer, Verhandlungsstärke der Lieferanten, Bedrohung durch Substitutionsprodukte, Bedrohung durch potenzielle Konkurrenten sowie den brancheninternen Wettbewerb – bestimmt wird. Danach hängt der Erfolg eines Unternehmens (Performance) insbesondere von diesen Eigenschaften der Branche (Structure) ab, die wiederum das Verhalten von Unternehmen (Conduct) bestimmen. (Quelle: Hungenberg (2006), S. 61f.). 115 Vgl. Hungenberg (2006), S. 63. 116 Vgl. Hungenberg (2006), S. 63; Wernerfelt (1995), S. 172. 117 Vgl. Barney (1991), S. 108. 118 Vgl. Barney (1991), S. 105ff.; Teece et al. (1997), S. 514. 119 Vgl. Eisenhardt & Martin (2000), S. 1105; Teece et al. (1997), S. 513. 120 Vgl. Freiling et al. (2006), S. 39. 121 Der wissensorientierte Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er die Ressource Wissen in den Fokus der Betrachtung stellt und ein Unternehmen als spezifische Kombination von explizitem und implizitem Wissen begreift (Quelle: Freiling et al. (2006), S. 40). 122 Vgl. Friedrich et al. (2002), S. 35. 26 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Inhalte Vertreter Weiterentwicklungsphase Konsolidierungsphase Gründungsphase • Herausstellen der Bedeutung von unternehmensinternen Bedingungen • Klassischer Resource-based View • Capability-based View • Knowledge-based View • Dynamic Capability-based View Selznick Penrose Wernerfelt Rumelt Barney Prahalad/Hamel Kogut/Zander Leonard-Barton Teece/Pisano/ Shuen 1950 1980 1990 Abb. 2-2: Entwicklung des ressourcenorientierten Ansatzes (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Freiling et al. (2006), S. 41 und Sammerl (2006), S. 126) Insgesamt haben sich der ressourcenorientierte Ansatz und seine Weiterentwicklungen in den letzten 20 Jahren neben dem marktorientierten Ansatz als zweiter wichtiger Eckpfeiler des strategischen Managements etabliert. 123 Der Versuch eine Überlegenheit eines der beiden Ansätze nachzuweisen, wurde durch die Erkenntnis ersetzt, dass beide Ansätze komplementär wirken.124 Der ressourcenorientierte Ansatz und seine Weiterentwicklungen im Sinne des fähigkeitsorientierten Ansatzes bilden die Grundlage für die anschließende Betrachtung der Innovationsfähigkeit des Unternehmens, da letztlich die Ressourcen und Fähigkeiten eines Unternehmens als Ausgangsbasis für die erfolgreiche Generierung von Innovationen definiert werden. 2.1.2.2 Der klassische ressourcenorientierte Ansatz Der klassische ressourcenorientierte Ansatz, ebenso bezeichnet als Resource-based View (RBV) oder Ressourcentheorie, dient als Ausgangspunkt der Betrachtung, da die Weiterentwicklungen im Wesentlichen auf diesen aufbauen. Daher wird anschließend zunächst ein Begriffsverständnis erarbeitet. 123 124 Vgl. Rühli (1994), S. 32. Vgl. Rühli (1994), S. 49. 27 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Der Ressourcenbegriff erfährt vielfältigen Einsatz in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre, deren Definitionen sich nicht mit der klassischen Ressourcentheorie vereinen lassen. 125 Im weiteren Verlauf wird daher nur von einer Ressource im Kontext des Ressourcenansatzes gesprochen. In der Perspektive des Ressourcenansatzes stehen unternehmensspezifische Ressourcen im Vordergrund und dienen als Erklärung für verschiedene Erfolgspotenziale von Unternehmen. 126 Die wichtigsten Definitionen zur Ressource finden sich zum Überblick in Tab. 2-3.127 Es wird bereits erkennbar, dass der Ressourcenansatz durch sehr diverse Definitionen geprägt ist und nur wenig Einheitlichkeit und Deutlichkeit aufweist. 128 125 Vgl. Rühli (1994), S. 42. Vgl. Leiblein (2011), S. 911. 127 Eine umfassende Diskussion der terminologischen Grundlagen der Ressourcentheorie erfolgt bei Freiling (2002). 128 Vgl. Leiblein (2011), S. 910; Freiling et al. (2006), S. 42; Moldaschl & Fischer (2004), S. 127f. 126 28 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Autor Definition Wernerfelt, 1984, S. 172 „By a resource is meant anything which could be thought of as a strength or weakness of a given firm. More formally, a firm's resources at a given time could be defined as those (tangible and intangible) assets which are tied semipermanently to the firm.” Barney, 1991, S. 101 „(…) firm resources include all assets, capabilities, organizational processes, firm attributes, information etc. controlled by a firm that enable the firm to conceive of and implement strategies that improve its efficiency and effectiveness. (…) firm resources are strengths that firms can use to conceive and implement their strategies.” Amit & Shoemaker, 1991, S. 35 “The firm’s resources will be defined as stocks of available factors that are owned or controlled by the firm.” Teece et al., 1997, S. 516 „Resources are firm-specific assets that are difficult if not impossible to imitate. Trade secrets and certain specialized production facilities and engineering experience are examples. Such assets are difficult to transfer among firms because of transaction costs and transfer costs, and because the assets may contain tacit knowledge.” Freiling, 2002, S.17 „Zusammenfassend ist von Ressourcen im Kontext des Resourcebased View dann zu sprechen, wenn (in Märkten beschaffbare) Inputgüter durch Veredelungsprozesse zu unternehmenseigenen Merkmalen für Wettbewerbsfähigkeit weiterentwickelt worden sind und die Möglichkeit besteht, Rivalen von der Nutzung dieser Ressourcen in nachhaltiger Weise auszuschließen.“ Tab. 2-3: Definitionen des Ressourcenbegriffs in bestehender Literatur (Quelle: Eigene Darstellung) Dies wird bereits an einer der meist verwendeten Definitionen, verfasst von Wernerfelt, deutlich. Er definiert Ressourcen als alle möglichen Schwächen und Stärken des Unternehmens. 129 Ein derart umfassendes Verständnis kann keinen Hinweis darauf geben, inwiefern Ressourcen einen Wettbewerbsvorteil für ein Unternehmen liefern, zumal angezweifelt werden kann, dass auch die Unternehmensschwächen einen Beitrag zum Wettbewerbsvorteil begründen. 130 Somit kommt Freiling (2002) in seiner Analyse folgerichtig zur Aussage: 129 130 Vgl. Wernerfelt (1984), S. 172. Siehe auch Sammerl (2006), S. 134. 29 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen „Insofern ist das Ressourcenverständnis [gemeint ist, dass Ressourcenverständnis von Wernerfelt, Anmerk. des Verf.] als völlig untauglich abzulehnen, was angesichts des erheblichen Verbreitungsgrades mit Nachdruck zu betonen ist.“131 Die Definition von Barney ist als deutliche Verbesserung zu sehen. 132 Barney (1991) definiert nur die Stärken des Unternehmens als Ressource und erweitert die Eigenschaften um eine Effizienz- und Effektivitätssteigerung. 133 Nichtsdestotrotz findet keine ausreichende Abgrenzung zwischen Inputgüter, Prozessen und Fähigkeiten statt, die er ebenso als Ressource betrachtet. Darüber hinaus kann der effizienz- und effektivitätssteigernde Charakter nicht hinreichend erklären, wie genau Wettbewerbsvorteile aufgebaut werden. 134 Barney (1991) sowie Amit & Schoemaker (1993) verweisen darauf, dass Ressourcen vom Unternehmen kontrolliert werden, ohne jedoch weiter zu spezifizieren, wie sich diese Kontrolle gestaltet. 135In diesem Zusammenhang kommt auch Freiling zu dem Schluss, dass die Eingrenzung von Teece et al. (1997) besser geeignet ist, da sie konkret darauf hinweisen, dass Ressourcen firmenspezifisch sind, die nicht ohne weiteres imitiert und transferiert werden können. 136 Erst daraus ergibt sich dann ein Wettbewerbsvorteil.137 Insgesamt kommt Freiling nach Analyse bestehender Definitionen zur folgenden Aussage: „Somit muss man zu dem bedauernswerten Ergebnis gelangen, dass es innerhalb der Forschung zum Resource-based View bislang (…) nicht gelungen ist, die wichtigsten Termini in einer Weise zu belegen, die mit der Grundintention des Ansatzes in Einklang zu bringen sind.“138 Er erarbeitet eine konsistente und trennscharfe Definition, die im Folgenden als Definition für Ressourcen verwendet wird.139 Mit seiner begrifflichen Präzisierung bauen Ressourcen auf Inputgüter auf, die über den Markt beschaffbar sind. Insgesamt sind jedoch diese Inputgüter nicht per se Ressourcen, sondern nur solche, die durch Veredelungsprozesse entstehen und damit Wettbewerbsvorteile aufbauen.140 Dies hat folgende Konsequenzen: zum einen muss es zu einer Transformation der 131 Freiling (2002), S. 10. Vgl. Sammerl (2006), S. 134. 133 Vgl. dazu auch Leiblein (2011), S. 912. 134 Vgl. Freiling (2002), S. 13. 135 Vgl. Barney (1991), S. 101; Amit & Schoemaker (1993), S. 35. 136 Vgl. Teece et al. (1997), S. 516; Freiling (2002), S. 12. 137 Vgl. Teece et al. (1997), S. 516. 138 Freiling (2002), S. 13. 139 Siehe dazu auch Tab. 2-3. 140 Vgl. Freiling et al. (2006), S. 55f. 132 30 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Inputgüter in Ressourcen kommen und zum anderen führen nicht alle Veredelungsprozesse zu Ressourcen, sondern nur jene, die einen Wettbewerbsvorteil begründen.141 Damit wird die Wettbewerbsrelevanz ein bedeutsames Merkmal von Ressourcen.142 Sogenannte Isolationsmechanismen sind die Grundlage für einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil, da sie eine schwere Nachahmung und Akquisition der Ressourcen durch Konkurrenten erklären.143 Insgesamt bleibt darauf hinzuweisen, dass Ressourcen nur die Voraussetzung für das Erreichen von Wettbewerbspotenzialen sind. Es kann „(…) keine eindeutige Aussage darüber getroffen werden, ob die Wettbewerbsvorteile, die sich aus dem Ressourcenstatus ergeben, auch tatsächlich in Marktprozessen genutzt werden können und damit zu einer im Konkurrenzvergleich herausragenden Rentabilität beitragen“144. Wettbewerbsvorteile werden nur genutzt, wenn das Unternehmen über Fähigkeiten verfügt, die Ressourcen in effektiver und effizienter Weise zu kombinieren und zu nutzen. 145 Dies entspricht auch Penrose Arbeit zu den Ressourcen. Denn sie hatte bereits festgestellt, dass nicht die unternehmensspezifischen Ressourcen allein das Wachstum und die Einzigartigkeit von Unternehmen ausmachen, sondern das Zusammenspiel zwischen Ressourcen und „Services“, d.h. die Nutzung der Ressourcen durch Fähigkeiten und Kompetenzen des Unternehmens: 146 „It is never resources themselves that are the ‚inputs’ in the production process, but only the services that the resources can render. (…) The important distinction between resources and services is not their relative durability; rather it lies in the fact that the resources consist of a bundle of potential services and can, for the most part, be defined independently of their use, while services cannot be so defined.”147 Daher ist eine weiterführende Betrachtung notwendig, die Fähigkeiten und Kompetenzen berücksichtigt, woraus der fähigkeitsorientierte Ansatz resultiert.148 Entgegen den Autoren149, die Kompetenzen und Fähigkeiten unter den Begriff Ressourcen zusammenfassen, wird hier aufgrund der vorangegangenen Argumentation 141 Freiling (2002), S. 15. Vgl. Barney (1991), S. 112; Hall (1993), S. 610. 143 Die Isolationsmechanismen werden hier nicht weiter erläutert, da dies für die weitergehende Betrachtung nicht von Bedeutung ist. Zur Vervollständigung sind die folgenden Isolationselemente anzuführen: Unternehmensspezifität, Nichteinräumung von Verfügungsrechten, Verbund von Ressourcen, Kausale Ambiguität, Pfadabhängigkeiten und Akkumulationseffekte sowie historische Kontextbedindungen. Siehe für eine weiterreichende Betrachtung Rasche (1994), S. 68ff. 145 Vgl. Sammerl (2006), S. 135. 146 Vgl. Penrose (1959). 147 Penrose (1959), S. 25. 148 Vgl. Freiling et al. (2006), S. 40. 142 31 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen und aus konzeptionellen Gründen der Ressourcenbegriff von dem der Kompetenzen und Fähigkeiten klar getrennt. Nichtsdestotrotz bilden die allgemeinen Ausführungen zum ressourcenorientierten Ansatz den Ausgangspunkt für die nachfolgende Betrachtung und finden auch dort ihre Gültigkeit. 150 Zusammenfassend kann der Erkenntnisbeitrag aus der klassischen Ressourcentheorie für die spätere Untersuchung zu den folgenden Aspekten verdichtet werden: Ressourcen verschaffen dem Unternehmen einen einzigartigen Wettbewerbsvorteil, sind aber jedoch nur Voraussetzung dafür und nicht Erfolgsgarant, da die Ressourcen noch nicht in Marktprozessen nutzbar sind. Die Innovationsfähigkeit lässt sich in diesem Zusammenhang in die Ressourcentheorie einordnen, da sie ebenso Wettbewerbsvorteile verschafft, aber auch in Marktprozessen, d.h. dem Innovationsergebnis deutlich wird. Damit zeigt sich, dass es sich bei der Innovationsfähigkeit vielmehr als um eine reine Ressource handelt. Es sind nie Ressourcen alleine, die von Bedeutung für Unternehmen sind, sondern erst die Nutzung der Ressourcen stiftet den erfolgsrelevanten Nutzen. Dies spricht für verschiedene Ordnungen von Ressourcen und unterstützt damit folglich den Gedanken, dass die Innovationsfähigkeit auf einer höheren Ebene angesiedelt ist und dementsprechend in der Lage ist, auf Ressourcen zurückzugreifen und diese zu nutzen. Ressourcen können immer wieder durch Veredelungsprozesse neu entstehen, wodurch sich langfristig die Ressourcenbasis des Unternehmens verändert. Dies hat Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeit und dem Ergebnis am Markt, wenn diese durch die Nutzung der Ressourcen Marktprozesse in Gang setzt. 2.1.2.3 Weiterentwicklungen des Resource-based View Der fähigkeitsorientierte Ansatz, auch Competence-based View oder Capabilitybased View genannt, stellt eine gedankliche Weiterentwicklung des ressourcenorientierten Ansatzes dar, indem er dem ressourcenorientierten Ansatz einen spezifischen Fokus verleiht.151 Schwerpunkt des fähigkeitsorientierten Ansatzes bilden 149 Siehe zum Beispiel Barney (1991); Wernerfelt (1984). Siehe dazu auch die Ausführungen von Barney et al. (2001), S. 630f. und Freiling (2004), S. 30, die darauf hinweisen, dass die Weiterentwicklungen immer noch den Grundgedanken der Ressourcentheorie entsprechen. 151 Vgl. Friedrich et al. (2002), S. 35. 150 32 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen nicht mehr generell die Ressourcen eines Unternehmens, sondern nur noch seine besonderen Fähigkeiten.152 „Fähigkeiten werden in diesem Zusammenhang als komplexe Interaktions-, Koordinations- und Problemlösungsmuster verstanden.“153 Als eine derartige Fähigkeit ist die Innovationsfähigkeit zu sehen. Fähigkeiten beschreiben, ob ein Unternehmen in der Lage ist, seine Ressourcen sinnvoll zu koordinieren und das vorhandene Potenzial auszuschöpfen.154 Damit werden Wettbewerbsvorteile nicht mechanisch durch das Vorhandensein der Ressourcen abgeleitet, sondern durch die Fähigkeit diese sinnvoll zu nutzen und zu kombinieren. 155 Mit dieser Weiterentwicklung überwindet der ressourcenorientierte Ansatz seine Innenperspektive und wird mit der Außenperspektive ergänzt, indem der Nutzen für Kunden am Markt berücksichtigt wird.156 Gerade die Außenperspektive ist für die Innovationsfähigkeit von klarer Bedeutung, weil sie letztlich durch innovative Produkte am Markt ihren Ausdruck findet. Eine reine Innenperspektive kann dies nicht berücksichtigen. Ähnlich wie bei der Analyse der Begriffsbestimmungen zu Ressourcen werden Fähigkeiten unterschiedliche Termini und Definitionen zugeordnet. Demnach wird die Diskussion um die Begriffe Skills, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen, Metafähigkeiten, Metakompetenzen geführt.157 Sanchez kommt zu dem Ergebnis: „Nevertheless, taken together, the various conceptualizations suggested by researchers haven often resulted in some confusion as the essential aspects of an organizations’ competences and how those might be identified in a specific firm or within an industry.”158 In diesem Zusammenhang ist es für die weiteren Ausführungen von Bedeutung ein klares Begriffsverständnis von Fähigkeiten auf Grundlage der unterschiedlichen Konzepte und Definitionen vorzunehmen. Daher wird anschließend zunächst der Begriff der Fähigkeit definiert, um darauf aufbauend auf weitere Spezifizierungen einzugehen. In Tab. 2-4 befindet sich eine Auswahl an Definitionen zu Fähigkeiten und Kompetenzen, die ein Verständnis der grundlegendsten Merkmale vor dem Hintergrund 152 Vgl. Freiling et al. (2006), S. 40; Moldaschl & Fischer (2004), S. 124. Hungenberg (2006), S. 65. 154 Vgl. Rühli (1994), S. 43. 155 Freiling (2002), S. 18. 156 Friedrich et al. (2002), S. 36. 157 Vgl. Freiling (2002), S. 18. 158 Sanchez (2004), S. 519. 153 33 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen des fähigkeitsorientierten Ansatzes ermöglichen. Die Tabelle erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In dieser Arbeit wird keine weitere Unterscheidung zwischen Kompetenzen und Fähigkeiten vorgenommen. Hinter diesen beiden Begriffen stecken vielmehr gleiche Annahmen und Konzepte, eine Unterscheidung würde demnach zu keinem weiteren Erkenntniszuwachs führen.159 Daher wird im Folgenden auf Fähigkeiten verwiesen. Autor Definition Prahalad & Hamel, 1990, S. 82 „Core competencies are the collective learning in the organization, especially how to coordinate diverse production skills and integrate multiple streams of technologies.” Sanchez , 2004, S. 519 „Repeatable patterns of action in the use of assets to create, produce and/or offer products to a market. Because capabilities are intangible assets that determine the uses of tangible assets and other kinds of intangible assets, capabilities are considered to be an important special category of assets. Capabilities arise from the coordinated activities of groups of people who pool their individual skills in using assets.” Teece et al., 1997, S. 516 “We define those competences that define a firm’s fundamental business as core. Core competences must accordingly be derived by looking across the range of a firm’s products and services. The value of the core competences can be enhanced by combination with the appropriate complementary assets.” Freiling, 2002, „Kompetenzen kennzeichnen die wiederholbare, nicht auf Zufälligkeiten basierende Möglichkeit zum kollektiven Handeln in einer Unternehmung, welches darauf beruht, verfügbare Inputgüter in auf Marktanforderungen ausgerichteten Prozessen so zu kombinieren, dass dadurch ein Sichbewähren-können ggü. der Marktgegenseite gewährleistet wird.“ S. 21 Tab. 2-4: Definitionen des Fähigkeitsbegriff in bestehender Literatur (Quelle: Eigene Darstellung) 159 Siehe dazu auch: Freiling (2002), S. 19; Sammerl (2006), S. 162; Schreiner (2006), S. 78; Day (1994), S. 38. 34 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Trotz unterschiedlicher Begriffe weisen die Definitionen zentrale Gemeinsamkeiten auf und lassen sich zu folgenden Eigenschaften verdichten: Das kollektive und nicht-individuelle Handeln des einzelnen Mitarbeiters ist Inhalt der Betrachtung. Damit rücken organisationale Fähigkeiten in den Vordergrund und werden zum Bezugssystem. 160 Wie bereits angeführt wurde, geben Ressourcen nur ein Handlungspotenzial wieder, welches erst durch die Fähigkeiten des Unternehmens genutzt werden kann. 161 Fähigkeiten kommt in diesem Zusammenhang eine koordinierende Aufgabe zu, indem sie Ressourcen kombinieren und nutzen. Fähigkeiten geben damit „(…) Aufschluss darüber, ob und inwieweit die jeweilige Unternehmung über Möglichkeiten verfügt, dieses Potenzial zu aktivieren und zu nutzen.“162 Ausgeführt werden diese durch organisationale Prozesse, die dem Unternehmen eine Koordinierung und Nutzung seiner Ressourcen ermöglichen.163 Dies zeigt zudem, dass Fähigkeiten Elemente von Prozessen und Routinen im Unternehmen sind. 164 Rasche vergleicht die Wirkung von Fähigkeiten deswegen mit der Initiierung von Computerprogrammen: „Die Anwendung einer Fähigkeit vollzieht sich in der Regel als Abfolge programmgesteuerter Handlungsschritte, die von der Programminitiierung bis hin zur Programmterminierung reichen.“165 Der Vergleich mit Computerprogrammen verdeutlicht zugleich eine weitere Eigenschaft. Das Wirken einer Fähigkeit ist nicht zufällig, sondern es handelt sich hierbei um wiederholbare Tätigkeiten.166 Fähigkeiten sind zeitabhängig und in ihrer Entwicklung nicht geradlinig. Durch vermehrtes Lernen im Unternehmen kommt es zu einer Verbesserung des kollektiven Handelns im Unternehmen und damit zu einer Leistungssteigerung der Fähigkeit. Ebenso ist eine Leistungsherabsetzung im Falle nicht genutzter Fähigkeiten möglich. 167 Für den Fähigkeits- bzw. Kompetenzbegriff wird in dieser Arbeit die Definition von Freiling übernommen. Seine Definition greift inhaltlich alle Facetten des Konzeptes auf und wird zugleich inhaltlich konkret.168 Diese grundlegende Charakterisierung der Fähigkeit kann indes weiter spezifiziert werden. Analog zur Abgrenzung zwischen Ressourcen und Fähigkeiten sind auch 160 Vgl. Prahalad & Hamel (1990), S. 90; Sanchez (2004), S. 519; Freiling (2002), S. 21. Vgl. Freiling (2002), S. 20f. 162 Freiling (2002), S. 20f. 163 Vgl. Day (1994), S. 38. 164 Vgl. Freiling et al. (2006), S. 58. 165 Rasche (1994), S. 94. 166 Vgl. Sanchez (2004), S. 519. 167 Vgl. Freiling et al. (2006), S. 58; Freiling (2002), S. 21. 168 Vgl. Freiling (2002), S. 21. 161 35 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen hier Autoren anzuführen, die keinerlei Abgrenzung vornehmen, und wiederum solche, die Hierarchieebenen von Fähigkeiten einführen.169 In dieser Arbeit bietet sich eine weiterreichende Darstellung an. Dies ist aus folgenden Gründen zu rechtfertigen: Zum einen ist eine Argumentation, die ausschließlich auf dem Konzept der Fähigkeiten beruht, zu undifferenziert, wodurch verschiedene Dimensionen des Fähigkeitskonstruktes nicht berücksichtigt oder schlichtweg zu weitreichend zusammengefasst würden.170 Zum anderen ist in Hinblick auf das Verständnis der Innovationsfähigkeit anzumerken, dass diese in der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion als besondere Art der Fähigkeit dargestellt wird. 171 Dieser Tatsache wird dementsprechend Rechnung getragen. Dazu bietet sich eine weitere Unterscheidung in Kernfähigkeiten/-kompetenzen sowie Metafähigkeiten an. 172 Diese Hierarchieebenen finden sich in bestehenden Diskussionen und wurden von diversen Autoren vielfältig hergeleitet. 173 Henderson & Cockburn (1994) führen in ihrer Arbeit zwei Arten von Kompetenzen an: Die „Component Competence“ beschreibt die Fähigkeit Routineprozesse im Unternehmen ablaufen zu lassen, wohingegen die „Architectural Competence“ die Fähigkeit, Kompetenzen zu nutzen und zu erneuern, zum Ausdruck bringt. 174 Damit spielt die zweite Kompetenzart auf eine Metaebene an. Teece et al. unterscheiden ähnlich zwischen alltäglichen Ressourcen, Fähigkeiten und den dynamischen Fähigkeiten, die wie bei Henderson der Anpassung der Fähigkeitsbasis im Zeitverlauf dienen.175 March (1991) führt das Konzept der Exploitation und Exploration ein, was im Prinzip wiederum verschiedene Fähigkeitsarten zum Ausdruck bringt, jedoch im Zusammenhang mit organisationalem Lernen angewendet wird. 176 Exploitation bezieht sich auf die Nutzung und Anwendung bestehender funktionaler Fähigkeiten. Dagegen wird Exploration zum Aufbau von neuen Ressourcen und Fähigkeiten genutzt. 177 Weiterhin unterscheiden Freiling et al. (2006) drei Arten von Fähigkeiten: Die Veredelungskompetenz (1), der die Transformation von zukünftigen wichtigen Inputgütern in Ressourcen und die Weiterentwicklung von aktuellen Inputgütern, Ressourcen und Kompetenzen 169 Wernerfelt (1984) und Barney (1991) machen keine weitere Unterscheidung, wohingegen Henderson & Cockburn (1994), Teece et al. (1997); Danneels (2002) und Freiling et al. (2006) verschiedene Hierarchien darstellen. 170 Vgl. Sammerl (2006), S. 163 171 Vgl. Rasche (1994), S. 161; Eisenhardt & Martin (2000), S. 1111; Leonard-Barton (1992), S. 114. 172 Siehe dazu auch Freiling et al. (2006), S. 59. 173 Vgl. Freiling et al. (2006); Henderson & Cockburn (1994); Kogut & Zander (1992); Teece et al. (1997). 174 Vgl. Henderson & Cockburn (1994), S. 65. 175 Vgl. Teece et al. (1997), S. 516. 176 Vgl. March (1991), S. 72. 177 Vgl. March (1991), S. 72. 36 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen zukommt.178 Die Marktzufuhrkompetenz (2) betrifft „(…) die Aktivierung der zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbaren Leistungsbereitschaft im Rahmen konkreter Marktzufuhr und Marktprozesse zur Überführung des Handlungspotenzials in konkrete Leistungsangebote und ggf. erfolgreiche Transaktionen am Markt“ 179. Darüber hinaus wirken auf der Metaebene Metakompetenzen (3), die einzelne funktionale Fähigkeiten für die andauernde Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gestalten. 180 Insgesamt zeigt sich, dass die verschiedenen Autoren trotz unterschiedlicher Begrifflichkeiten auf ähnliche Arten von Fähigkeiten zurückgreifen. Folglich lassen sich aufgrund dieser Überlegungen zwei Hierarchieebenen von Fähigkeiten unterscheiden: auf der ersten Ebene funktionale Kompetenzen und Kernkompetenzen und auf der zweiten übergeordneten Ebene Metafähigkeiten.181 Auf der ersten Ebene bietet sich eine weitere Abgrenzung von Fähigkeiten und Kernfähigkeiten an. Freiling begründet die Notwendigkeit einer weiterreichenden Definition damit, dass der Fähigkeitsbegriff nicht ausreicht, um das Verhältnis der Erzielung von nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen zu erklären. Dazu sei eine bestimmte Kategorie von Fähigkeiten nötig, die er in diesem Fall als Kernkompetenzen bezeichnet.182 Kernkompetenzen (oder auch Kernfähigkeiten) gehen über die Definitionsmerkmale von Kompetenzen hinaus und zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Behauptung gegenüber der Konkurrenz durch die Herbeiführung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile ermöglichen.183 Freiling und andere Autoren verweisen darüber hinaus auf eine weitere wichtige Eigenschaft, dem organisationsspezifischen Charakter von Kernfähigkeiten. 184 Damit wird betont, dass eine Kernfähigkeit nur in dem Unternehmen, in dem sie auch entwickelt wurde, am wirkungsvollsten eingesetzt werden kann. Ein Transfer ist nicht ohne weiteres möglich und würde zu Wirkungsverlusten führen, da Wissen zur Nutzung sowie komplementäre Ressourcen nicht im vollen Maße vorhanden wären.185 Rasche merkt dazu an, dass Kernfähigkeiten „(…) komplexe, auf Lernprozessen basierende, soziale Interaktionsmuster, die sich nur schwer imitieren, transferieren und handeln lassen“186, darstellen. In diesem Zusammenhang ergibt sich die benachteiligende Position für Konkurrenten, ihnen „(…) bleibt danach lediglich die Möglichkeit strategisch vorteilhafte Kompe178 Vgl. Freiling et al. (2006), S. 59. Freiling et al. (2006), S. 59. 180 Vgl. Freiling et al. (2006), S. 59. 181 Vgl. Sammerl (2006), S. 165. 182 Vgl. Freiling (2002), S. 22. 183 Vgl. Prahalad & Hamel (1990), S. 79; Rühli (1994), S. 43; Freiling (2002), S. 22, siehe auch Rasche (1994), S. 92. 184 Vgl. Freiling (2002), S. 22. 185 Vgl. Freiling (2002), S. 23. 186 Rasche (1994), S. 92. 179 37 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen tenzen durch langwierige Lernprozesse unternehmensintern bzw. im Rahmen von strategischen Allianzen aufzubauen.“187 Diese Art von Isolationsmechanismen schafft durch das Vorhandensein der Kernfähigkeiten für das Unternehmen am Absatzmarkt eine einzigartige Verwendungsmöglichkeit der Ressourcen. Deutlich wird demnach auch, dass nur eine einzigartige Verwendungsmöglichkeit besteht, d.h. Kernfähigkeiten verkörpern eben nur das Potenzial zur Nutzung der Ressourcen. Ob und in welchem Umfang dieses Potenzial genutzt wird, hängt maßgeblich von den anschließenden Prozessen und der Umsetzung in Produkten am Markt ab. Folglich wird deutlich, dass Ressourcen Fähigkeiten und Kernfähigkeiten vorgelagert sind und die Umsetzung in Produkte nachgelagert. 188 Die angesprochenen Fähigkeiten, die es dem Unternehmen ermöglichen, Einfluss auf die bestehende Ressourcen- und Kompetenzbasis zu nehmen, werden unter Metafähigkeiten zusammengefasst.189 Die Metafähigkeiten sind den Ressourcen, Kompetenzen und Kernkompetenzen übergeordnet und enthalten eine dynamische Komponente.190 Sie dienen der Koordination und zeitlichen Anpassung von Ressourcen und Fähigkeiten, um „Selbsterneuerungs- und Adaptionsprozesse“ 191 in Gang zu setzen. Teece et al. sprechen daher von „Dynamic Capabilities“. 192 Der „Dynamic Capabilities-Ansatz“ von Teece et al. (1997) spielt innerhalb des fähigkeitsorientierten Ansatzes eine wichtige Rolle. Teece et al. haben beobachtet, dass es nicht ausreicht, wertvolle Ressourcen anzusammeln: “Winners in the global marketplace have been firms that can demonstrate timely responsiveness and rapid and flexible product innovation, coupled with the management capability to effectively coordinate and redeploy internal and external competences.”193 Daraus leiten sie dynamische Fähigkeiten ab. Teece et al. fassen dies folgendermaßen zusammen: “The term 'dynamic' refers to the capacity to renew competences so as to achieve congruence with the changing business environment; certain innovative responses are required when time-to-market and timing are critical, the rate of technological change is rapid, and the nature of future competition and markets difficult to determine. The term 'capabilities' emphasizes the key role of strategic 187 Rasche (1994), S. 92. Vgl. Freiling (2002), S. 24. 189 Vgl. Leiblein (2011), S. 921. 190 Vgl. Sammerl (2006), S. 166. 191 Rasche (1994), S. 161. 192 Vgl. Teece et al. (1997), S. 509. 193 Teece et al. (1997), S. 515. 188 38 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen management in appropriately adapting, integrating, and reconfiguring internal and external organizational skills, resources, and functional competences to match the requirements of a changing environment.” 194 Der Wert einer Ressource oder Fähigkeit hängt somit stark von den Entwicklungen im Unternehmensumfeld ab. Bestimmtes Know-how und Routinen werden überflüssig, wenn z.B. bestimmte Technologien durch andere ersetzt werden und nicht mehr dem technologischen Standard entsprechen.195 Deshalb muss das Unternehmen in Zeiten der Veränderung die Fähigkeiten des Unternehmens anpassen und neu ausbilden.196 Diese Weiterentwicklung kann damit klären, wie Fähigkeiten im Zeitverlauf entstehen und kombiniert werden und bildet eine sinnvolle Ergänzung des traditionellen ressourcenorientierten Ansatzes. Freiling et al. sprechen deswegen von der Gestaltung von individuellen und organisationalen Fähigkeiten, die „(…) dauerhaft über einen Zeitraum hinweg die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmung“197 stärken. Gleichwohl beschreiben die Vertreter nicht genau den Prozess und die notwendigen Aktivitäten, um die bestehenden Fähigkeiten einem ständigen Wandel zu unterziehen. Insgesamt zeigt sich damit ein komplexes Interaktionsschema von Inputgütern über Ressourcen, Fähigkeiten bis hin zur Umsetzung von Produkten am Markt (siehe Abb. 2-3). 194 Teece et al. (1997), S. 515. Vgl. Tushman & Anderson (1986), S. 442. 196 Vgl. Henderson & Cockburn (1994), S. 65. 197 Freiling et al. (2006), S. 54. 195 39 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Metafähigkeiten Produkte/Leistungsangebot Prozesse Kernfähigkeiten Fähigkeiten Ressourcen Inputgüter Langfristig überdurchschnittliche Renditen Veredelung Nutzung Erreichen Aktivierung Marktangebot Wettbewerbs -vorteils Reinvestment Abb. 2-3: Der Zusammenhang zwischen Ressourcen, Fähigkeiten, Kern- und Metafähigkeiten (Quelle: Freiling et al. (2006), S. 54) Freiling spricht in diesem Zusammenhang auch von einer gedanklichen Kette, die von vielen Autoren nicht bis zum Ende gedacht wird, da sich einige nur auf Ressourcen und Fähigkeiten konzentrieren.198 Daraus folgt zusammenfassend der Erkenntnisbeitrag aus den Weiterentwicklungen der klassischen Ressourcentheorie: Es hat sich gezeigt, dass eine exakte Abgrenzung zwischen Ressourcen, funktionalen Fähigkeiten, Kernkompetenzen und Metafähigkeiten nötig ist. Erst diese Einteilung hilft im Folgenden, den bisherigen Erkenntnisstand einzuordnen und für das hier entwickelte Verständnis der Innovationsfähigkeit zu nutzen. Es konnte weiterhin konkretisiert werden, dass die Veränderung der Ressourcenund Fähigkeitsbasis, die schon als Schlussfolgerung in 2.1.2.2 entwickelt wurde, von den Metafähigkeiten in Gang gesetzt wird. In diesem Zusammenhang sind Metafähigkeiten des Unternehmens in der Lage den Wert der Ressourcen in Abhängigkeit des Umfeldes zu erkennen und ggf. Veränderungsprozesse auszulösen. 198 Vgl. Freiling (2002), S. 24. 40 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen 2.2 Die Erkenntnisstand der Forschung zur Innovationsfähigkeit in der bestehenden Management- und Betriebswirtschaftsliteratur 2.2.1 Notwendigkeit der Literaturanalyse Die Fähigkeiten, die ein Unternehmen besitzt, um einen Wettbewerbsvorteil durch Innovationen zu erzielen, gewinnen in der wissenschaftlichen Theorie in der Betrachtung enorm an Bedeutung. 199 Frenkel & Maital haben dazu treffend festgestellt: “The quantification and evaluation of the innovation capability or competence of companies is an important, though very complex element in understanding the effectiveness and optimal management of innovation activities.”200 Es liegt nahe, dass eine klare Definition und Einschätzung der Innovationsfähigkeit sowohl für Wissenschaft als auch Praxis von Interesse sind. Die Messung der Innovationsfähigkeit im akademischen Umkreis ist wichtig, um sicherzustellen, dass ungeachtet von der Ähnlichkeit einiger Konstrukte, auch gleichartige Operationalisierungen gewählt werden. 201 Nur dann können Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten sinnvoll miteinander verglichen werden. Um zu wissen, wie Manager die Innovationsfähigkeit ihres Unternehmens steigern können, müssen sie vorab wissen, welches Niveau sie bisher erreicht haben und welche Faktoren die Innovationsfähigkeit beeinflussen. Bislang existiert kein vollständiger Literaturüberblick zur Messung und Bewertung der Innovationsfähigkeit in Unternehmen. Ziel des Abschnittes ist deshalb eine ausführliche Darstellung des aktuellen Stands der Forschung zu diesem Thema. Dabei stehen inhaltlich zwei Fragen im Vordergrund: (1) Wie ist der bisherige Kenntnisstand über die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens? (2) Wie kann die Innovationsfähigkeit definiert, operationalisiert und messbar gemacht werden? Welche Elemente sind zentral in der Bildung dieser Fähigkeit? Zu deren Bearbeitung werden die verwendeten Konzepte in internationalen Studien inhaltlich und methodisch ausgewertet und gewürdigt. Dadurch wird es ermöglicht, den bisherigen Diskussionsstand wiederzugeben und zugleich Forschungsdefizite und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Forschung auf diesem Gebiet vorzu199 Siehe dazu allgemein. Cohen & Levinthal (1990);Eisenhardt & Martin (2000); Teece & Pisano (1994); Teece (2007); Henderson & Cockburn (1994); Leonard-Barton (1992). 200 Frenkel & Maital (2000), S. 439. 201 Vgl. Adams et al. (2006), S. 22. 41 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen schlagen. Dazu wird zunächst in Abschnitt 2.2.2 die Methodik der Literaturrecherche erläutert, mit deren Hilfe nach relevanten Publikationen geforscht wird. Anschließend werden die recherchierten Beiträge in Abschnitt 0 vorgestellt und kritisch analysiert. Darauf aufbauend werden die Ergebnisse diskutiert (2.2.4) und die hier vertretene Sichtweise vorgestellt (2.3). 2.2.2 Methodik der Literaturrecherche Mit Hilfe einer systematischen Literaturrecherche wurden konzeptionelle und empirische Publikationen gesucht, welche die Innovationsfähigkeit thematisieren und Aufschluss über die Konzeptionalisierung geben.202 Anhand einschlägiger Literatur wurden zunächst Schlagwörter in englischer und deutscher Sprache festgelegt, die für die Suche herangezogen wurden. Um in der Literaturanalyse aufgenommen zu werden, musste der Artikel im Titel oder in der Zusammenfassung eines der Begriffspaare aufweisen: (a) innovat* ODER new product* (b) capabilit* ODER capacit* ODER competenc* ODER measur* für englischsprachige Suchen und im deutschsprachigen Raum ergaben sich analog die folgenden Begriffspaare: (a) Innovat* (b) Fähig* ODER Kompeten* ODER Mess* Die Suche wurde in verschiedenen Datenbanken durchgeführt. Zunächst wurde in der Datenbank EBSCO Business Source Complete203 nach englischsprachigen Artikeln in Fachzeitschriften gesucht. Um die Suche auf ein vernünftiges Maß zu beschränken, wurde der Veröffentlichungszeitraum zwischen 1980 und 2010 eingegrenzt. 204 Anschließend wurde in der Datenbank WISO nach deutschsprachiger Literatur recherchiert, indem nach Titeln und Schlagwörtern der in der Datenbank 202 Stichtag der Recherche ist der 15.01.2011. Die Datenbank EBSCO Business Source Complete enthält laut eigenen Angaben über 4300 englischsprachige Fachzeitschriften aus den Wirtschaftswissenschaften und ist damit eine der umfangreichsten elektronischen Datenbanken auf diesem Gebiet (Stand: 15.01.2011). 204 Die Innovationsforschung vor 1980 hat sich vielmehr mit den Rahmenbedingungen im Unternehmen selbst wie z.B. Prozesse und Strukturen beschäftigt und weniger mit der Fähigkeit Innovationen hervorzubringen. (Quelle: Brown & Eisenhardt (1995)) Da Fähigkeiten eines Unternehmens erst mit Aufkommen des ressourcenorientierten Ansatzes in den 1980er in den Fokus gestellt wurden, ist diese Einschränkung begründet. 203 42 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen enthaltenen Publikationen nach den Begriffskombinationen gesucht wurde. 205 Die Datenbank bietet gegenüber einer reinen OPAC-Recherche den Vorteil, auf verschiedenste Datenbanken einschließlich Literaturdatenbanken großer Bibliotheken und Zeitschriften zurückzugreifen. 206 So wird die Suche hauptsächlich um deutschsprachige Literatur ergänzt, die sowohl als Zeitschriftenartikel als auch als Monographie veröffentlicht wurde. Anschließend wurden die Artikel hinzugefügt, die in den Beiträgen aus der EBSCO und WISO Recherche bei der Konzeption der Innovationsfähigkeit zitiert wurden, bisher aber noch nicht in der Suche enthalten waren. Zur Ergänzung der Literaturrecherche in den Datenbanken EBSCO und WISO wurde ebenso eine Recherche in Google Scholar, einer auf akademische Texte spezialisierten Suchmaschine, durchgeführt. Dadurch kann sichergestellt werden, dass auch Beiträge, die nicht in den genannten Datenbanken aufgeführt werden, identifiziert werden. Dies trifft insbesondere für Beiträge in Monographien und Sammelbände sowie für Arbeitspapiere und Konferenzbeiträge zu. Die Suche wurde sowohl mit den englischen Begriffspaaren als auch mit den deutschen Begriffspaaren durchgeführt. Da Google Scholar Ergebnisse nach Relevanz sortiert, ist eine Beschränkung der Suche auf die ersten hundert Ergebnisse möglich. In einem weiteren Schritt wurden die für die Analyse relevanten Artikel ausgewählt. Die recherchierten Beiträge wurden durch Lesen der Zusammenfassungen und Einleitungen daraufhin geprüft, ob sie tatsächlich über die Innovationsfähigkeit und ein Konzept zur Messung oder Veranschaulichung dieser Auskunft geben. Studien über Erfolgsfaktoren in der ‚New Product Development’ Forschung wurden explizit nicht einbezogen, da sich diese auf Erfolgsvariablen der einzelnen ‚New Product Development’ Programme beschränken. Dies wird in der vorliegenden Arbeit nicht angestrebt und ist daher nicht Thema der Literaturanalyse. 207 Aufgrund der Verwendung von vielfältigen Begriffen und Konzepten, die zur Identifizierung der Innovationsfähigkeit genutzt werden können, wurden weitere Regelungen vorgenommen. Einige Autoren ziehen zur Klärung der Innovationsfähigkeit das Konzept der „Innovativität“ heran und definieren diese als Fähigkeit Innovationen hervorzubringen.208 Somit wurden solche Beiträge herangezogen die Innovativeness nicht auf die Neuartigkeit von Produkten oder Prozessen beziehen, sondern eben auf die Fähigkeit des Unternehmens neuartige Produkte auf den Markt zu bringen. Darüber hinaus setzen einige Autoren die technologischen Fähigkeiten mit der Innovations- 205 Die Datenbank WISO enthält laut eigenen Angaben mehr als zehn Millionen Literatureinträge aus den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Stand 15.01.2011). 206 Vgl. wiso (2012). 207 Siehe zur Kritik an die bestehende Erfolgsfaktorenforschung auch Sattler (2011), S. 28ff. und Sammerl (2006), S. 45ff. 208 Vgl. Calantone et al. (2002). 43 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen fähigkeit des Unternehmens gleich. 209 Um deren Argumentation einzuschließen, werden ebenso diese Artikel betrachtet. Vielfach wurde die Innovationsfähigkeit im Titel der Publikation erwähnt, ist dann aber letztlich nicht betrachtet worden. Diese Artikel wurden nicht weiter berücksichtigt. Anhand dieser Kriterien für die durchgeführte Suche konnten 70 Veröffentlichungen für den Zeitraum 1990-2010 identifiziert werden, davon fünf Monographien.210 Aufgrund der beschriebenen Methodik der Literaturrecherche kann vorausgesetzt werden, dass eine repräsentative Auswahl über Beiträge zum Thema Innovationsfähigkeiten von Unternehmen getroffen wurde. 2.2.3 Beschreibung der ausgewählten Studien 2.2.3.1 Überblick Abb. 2-4 gibt einen Überblick über alle Veröffentlichungen im Zeitverlauf. Ein erster Blick auf die gesamten Beiträge zeigt, dass die Arbeit von Cohen & Levinthal (1990) zu den absorptiven Fähigkeiten (‚Absorptive Capacity’) weitere Auseinander-setzungen mit der Innovationsfähigkeit initiiert hat. Vor diesem Beitrag konnte kein anderes Werk identifiziert werden, was verdeutlicht, dass die Forschung über die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens als Quelle des Wettbewerbsvorteils, erst auf Grundlage der Kritik an dem verbreiteten Ansatz des marktorientierten Ansatzes der 1980er Jahre entstanden ist.211 209 Vgl. Penner-Hahn & Shaver (2005); Hsieh & Tsai (2007). Auch wenn die Suche in der Datenbank auf den Zeitraum 1980-2010 eingegrenzt wurde, konnten erst relevante Artikel ab dem Jahr 1990 gefunden werden. 211 Vgl. Hungenberg (2006), S. 62. 210 44 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Anzahl der Artikel 12 10 10 8 8 7 7 6 6 6 6 5 3 4 2 2 1 3 2 1 1 0 1 0 0 1 0 0 Abb. 2-4: Veröffentlichung von Beiträgen zur Innovationsfähigkeit im Zeitverlauf (Quelle: Eigene Darstellung) Besonders seit 2002 sind die Veröffentlichungen zu dem Thema enorm angestiegen (83 Prozent aller Beiträge sind seither entstanden), was nahe legt, dass dieses Thema noch nicht vollends ausgeschöpft ist und auch in den nächsten Jahren weitere Diskussionen folgen werden. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass sich die Veröffentlichungen der frühen 1990er Jahre dem Thema Fähigkeiten eher in allgemeiner Natur nähern, hierbei aber einige wichtige Grundlagen für die Betrachtung der Innovationsfähigkeit hervorbringen.212 Weiterhin konzentrieren sich eine Vielzahl der Beiträge auf wenige Journals: die Hälfte der Artikel wurde in nur fünf Journalen veröffentlicht, dem Industrial & Corporate Change, International Journal of Product Innovation Management (jeweils 4 Artikel), Journal of Product Innovation Management (5 Artikel), Research Policy (7 Artikel) und Strategic Management Journal (12 Artikel). Insgesamt wurde in 27 Journalen aus verschiedenen Managementdisziplinen veröffentlicht, was die Vielfältigkeit des Themas und die unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven (Strategie, Marketing, Organisationstheorie, Innovationsmanagement) unterstreicht. Die Bandbreite der Forschungsansätze erstreckt sich über konzeptionelle (11), qua- 212 Vgl. Cohen & Levinthal (1990); Kogut & Zander (1992); Leonard-Barton (1992); Henderson & Cockburn (1994). 45 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen litativ-empirische (16) und quantitativ-empirische (43) Methoden. Abb. 2-5 listet die entsprechenden Beiträge auf. Die erhobenen Daten der Artikel werden mithilfe von Befragungen, Modellrechnungen, Fallstudien und Metaanalysen erhoben. Die Mehrzahl der Studien untersucht die Innovationsfähigkeit in den USA und Europa, nur wenige auch in Asien. Insgesamt unterscheiden sich die Forschungsinhalte und Analysemethoden recht stark, weshalb sie eine separate Betrachtung in Kapitel 2.2.3.2 und 2.2.3.3 erhalten. Konzeptionelle Beiträge O‘Connor (2008), Dervitsiotis (2010a,b) Eisenhardt/Martin (2000), Hurley et al. (2005), Herzhoff (1991), Kogut/ Zander (1992), Siguaw/Simpson/Enz (2006), Spur (2010), Teece (2007), Tura/Harmaakorpi (2005) 11 Beiträge Empirisch-qualitative Beiträge Empirisch-quantitative Beiträge Adams et al. (2006), Capaldo (2007), Capaldo et al. (2003), Carpenter et al. (2003), O‘Connor/ DeMartino (2006), Daneels (2002), Forsman (2009), Lawson/Samson (2001), Leonard-Barton (1992), Pulkanen (2004), Rackensperger (2008), Schreiner (2006), Story et al. (2009), Un (2002), Verona/Ravasi (2003), Wang et al. (2008) Akman/Yilmaz (2008), Albornoz/Yoguel (2004), Alegre et al. (2005), Atuahene-Gima (2005), Calantone et al. (2002), Cakar/Ertürk (2010), Cavusgil et al. (2003), Chen/Wang (2008), Cohen/Levinthal (1990), Dutta et al. (2005), Faber/Hesen (2004), Furman et al. (2002), Greve (2007), Guan/Ma (2003), Haagedorn/Duysters (2002), Henderson/Cockburn (1994), Hsieh/Tsai (2007), Hu/Mathews (2008), Hult/Ketchen (2001), Hurley/Hult (1998), Kindermann (2006), Kochhar/David (1996), Lages et al.(2009), Lin et al.(2010), Luo/ Bhattacharya (2006), Nassimbeni (2001), Oltra/Flor (2003), Paladino(2007), Penner-Hahn/ Shaver (2005), Persaud (2005), Prajago/Ahmed (2006), Quintana-Garcia/BenavidesVelasco (2004, 2008), Radosevic (2004), Romijin/Albaladejo (2002), Sammerl (2006), Souitaris 2002), Stuart/ Podolny (1996), Subramaniam/ Youndt (2005), Yalcinkaya et al. (2007), Yam et al.(2004), Zaheer/Bell (2005), Zhao et al. (2005) 16 Beiträge 43 Beiträge 70 Beiträge zur Innovationsfähigkeit Abb. 2-5: Identifizierte Beiträge zur Innovationsfähigkeit (Quelle: Eigene Darstellung) 46 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen 2.2.3.2 Forschungsinhalte Im Folgenden werden die Forschungsinhalte der recherchierten Beiträge dargestellt. Da die Veröffentlichungen mit gleichen Forschungsansätzen auch ähnliche Forschungsziele verfolgen und damit vergleichbare Forschungsinhalte besitzen, werden die Artikel mit (1) konzeptionellen, (2) empirisch-qualitativen und (3) empirischquantitativen Forschungsansätzen gemeinsam betrachtet. (1) Die konzeptionellen Beiträge thematisieren grundsätzlich die Definition der Innovationsfähigkeit und bedienen sich verschiedener Elemente, um diese zu charakterisieren. Die Arbeiten basieren meist auf dem kompetenzbasierten Ansatz und ziehen eine Vielzahl von Elementen heran, die elementar in der Bestimmung der Innovationsfähigkeit sind. 213 Darüber hinaus erweitern einige Autoren die Grundkompetenzen214 um unternehmenskulturelle215, organisationsspezifische216 und ergebnisorientierte Bestandteile217. (2) Die empirisch-qualitativen Publikationen beschäftigen sich mit verschiedenen Forschungszielen. Wie bei den konzeptionellen Beiträgen gehen Forscher auch bei diesen Arbeiten der Frage nach, welche Elemente die Innovationsfähigkeit ausmachen.218 Darüber hinaus wird beabsichtigt, Einflussfaktoren auf die Innovationsfähigkeit zu identifizieren.219 Eine dritte Gruppe von Studien untersucht den Grad der Innovationsfähigkeit im Unternehmen.220 Schreiner thematisiert den Aufbau und die Transformation der Innovationsfähigkeit in Unternehmen.221 In diese Einteilung fallen ebenso Metaanalysen auf Basis vorliegender Literatur (und damit qualitativen Daten). Bisher wurde nur eine Literaturanalyse zu der Messung von Innovationen veröffentlicht. 222 Adams et al. geben jedoch nicht den Stand der Forschung zum Thema Innovationsfähigkeiten wieder, sondern entwickeln auf Basis bisheriger Literatur ein Framework zur Messung des Innovationsmanage- 213 Vgl. Kogut & Zander (1992); Eisenhardt & Martin (2000); Teece (2007). Vgl. Kogut & Zander (1992); Eisenhardt & Martin (2000); Teece (2007). 215 Vgl. O'Connor (2008); Dervitsiotis (2010a); Dervitsiotis (2010b). 216 Vgl. O'Connor (2008); Siguaw et al. (2006). 217 Vgl. Hurley et al. (2005); Spur (2010). 218 Vgl. Adams et al. (2006); Lawson & Samson (2001); Rackensperger (2008); Danneels (2002). 219 Vgl. Forsman (2009); Un (2002); Wang et al. (2008); Rackensperger (2008). 220 Vgl. Capaldo et al. (2003); Pulkkanen et al. (2004). 221 Vgl. Schreiner (2006). 222 Vgl. Adams et al. (2006). 214 47 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen ments allgemein und beschreiben die Eignung von bisher verwendeten Indikatoren in den jeweiligen Unterkategorien des Frameworks. 223 (3) Der Großteil der empirisch-quantitativen Studien beschäftigt sich mit internen und externen Einflussfaktoren der Innovationsfähigkeit, wobei der eindeutige Schwerpunkt auf internen Faktoren liegt. 224 Nur ein Beitrag thematisiert externe Einflussfaktoren, Kochhar & David untersuchen den Einfluss von Investoren. 225 Bei den Untersuchungen zu den internen Elementen wird der Schwerpunkt klar auf unternehmensinterne Ressourcen und Fähigkeiten gelegt: Wissensmanagement und Netzwerkfähigkeiten, Marketing-, Technologie-, Produktionskompetenzen sowie die Fähigkeit Ressourcen zu konfigurieren, auszuschöpfen und neu anzuwenden (Lernen). 226 Darüber hinaus kommen oftmals unternehmenskulturelle Eigenschaften wie Vertrauen, Offenheit, Verantwortung, Risikobereitschaft in der Betrachtung vor. 227 Der Einfluss der strategischen Orientierung wird ebenso untersucht. Dabei kommt zum Tragen, ob eine Orientierung auf Märkte und Kunden oder auf Technologie einen Vorzug erhalten sollte.228 Noch allgemeiner prüfen Akman & Yilmaz (2008), Calantone et al. (2002), Guan & Ma (2003), Quintana-Garcia & BenavidesVelasco (2004), Stuart & Podolny (1996) und Zhao et al. (2005) den Einfluss des Vorhandenseins einer Innovationsstrategie und Vision. Im Gegensatz dazu zeichnen sich die wenigen Veröffentlichungen, die die Innovationskompetenz als unabhängige oder Moderator-Variable modellieren, durch das gemeinsame Ziel aus, die Wirkung der Innovationsfähigkeit auf Performance getriebene Größen zu bestimmen. Hult & Ketchen, JR. (2001), Lages et al. (2009), Luo & Bhattacharya (2006) sowie Zaheer & Bell (2005) bestimmen dazu den Einfluss auf den Unternehmenserfolg, wohingegen Hult & Ketchen, JR. (2001), Yam et al. (2004) und Sammerl den Wettbewerbsvorteil des Unternehmens heranziehen. Lediglich Lages et al. ziehen in ihrer Betrachtung die Beziehungsperformanz als Variable heran, welche die Güte der Beziehungen zwischen Import- und Exportunternehmen wiedergibt. 229 Einzig Dutta et al. (2005) und Henderson & Cockburn 223 Vgl. Adams et al. (2006). Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Albornoz & Yoguel (2004); Atuahene-Gima (2005); Capaldo (2007); Cavusgil et al. (2003); Chen & Wang (2008); Hurley et al. (2005). 225 Vgl. Kochhar & David (1996). 226 Vgl. Danneels (2002); Furman et al. (2002); Penner-Hahn & Shaver (2005); Quintana-Garcia & Benavides-Velasco (2008); Prajogo & Ahmed (2006); Romijn & Albaladejo (2002); Souitaris (2002); Stuart & Podolny (1996); Yalcinkaya et al. (2007). 227 Vgl. Chen & Wang (2008); Cakar & Ertürk (2010); Hurley et al. (2005); Calantone et al. (2002). 228 Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Paladino (2007); Lin et al. (2010); Nassimbeni (2001); Kindermann (2007). 229 Vgl. Lages et al. (2009). 224 48 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen (1994) stellen den Bezug zu Produktivitäts- und Effizienzkriterien her. Einige Beiträge beschäftigen sich mit der Innovationsfähigkeit ganzer Länder. 230 2.2.3.3 Forschungsmethodik Die Forschungsmethodik einer Veröffentlichung gibt Aufschluss darüber, ob die Forschungsfrage angemessen untersucht wurde. Neben den in Abschnitt 2.2.3.2 vorgenommenen Einteilungen der Beiträge in konzeptionelle, empirisch-qualitative und empirisch-quantitative, können weitere methodische Aspekte analysiert werden. Eingegangen wird auf die untersuchten (1) Branchen und Länder, (2) die Befragungsteilnehmer, (3) die Definition und Operationalisierung der Innovationsfähigkeit in den Beiträgen und (4) den verwendeten Kontrollvariablen. Naturgemäß stehen empirische Arbeiten im Vordergrund. (1) Die untersuchten Unternehmen stammen in den meisten Beiträgen aus gleichen oder ähnlichen Branchen, jedoch erfolgt die Einteilung nach Branchen unterschiedlich breit. Der Großteil der Beiträge betrachtet das verarbeitende Gewerbe als Branchenherkunft, wobei meist nicht spezifiziert wird, welchen Bereich daraus genau. 231 Die Betrachtung des Dienstleistungssektors kommt hierbei noch zu kurz, da sich die Einflüsse auf die Innovationsfähigkeit und deren Ausgestaltung stark unterscheiden können. 232 Gemeinhin ist es durchaus sinnvoll, Unternehmen aus ähnlichen Branchen zu vergleichen, da unterschiedlichen Branchen eigene Dynamiken zuzuschreiben sind, die sich folglich auf den Innovationsdruck im Unternehmen auswirken.233 Insgesamt wird der Schwerpunkt auf technologie- und forschungsgetriebene Branchen gelegt, was die immer noch verbreitete Ansicht widerspiegelt, dass diese innovativer sind.234 Einige wenige Arbeiten beinhalten auch verschiedene Branchen und grenzen bei der Auswahl der Unternehmen nicht ein.235 Dies führt im Allgemeinen zu branchenübergreifenden Ergebnissen, macht aber eine sinnvolle Auswahl von Kontrollvariablen nötig (siehe auch Punkt 4 zu den Kontrollvariablen). Darüber 230 Vgl. Faber & Hesen (2004); Furman et al. (2002); Hu & Mathews (2008). Vgl. Calantone et al. (2002); Cavusgil et al. (2003); Kochhar & David (1996); Prajogo & Ahmed (2006); Zhao et al. (2005). 232 Vgl. de Brentani (2002). 233 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 79. 234 Vgl. Chen & Wang (2008); Danneels (2002); Dutta et al. (2005); Henderson & Cockburn (1994); Lin et al. (2010). 235 Vgl. Cakar & Ertürk (2010); Cavusgil et al. (2003); Faber & Hesen (2004); Hagedoorn & Duysters (2002); Yam et al. (2004); Yalcinkaya et al. (2007); Subramaniam & Youndt (2005); Persaud (2005). 231 49 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen hinaus beschränkt sich eine Vielzahl von Untersuchungen auf Unternehmen aus einem speziellen Land, wobei hochindustrialisierte wie die USA, Japan und europäische Länder im Vordergrund stehen.236 Dabei könnte ein Vergleich zwischen verschiedenen Ländern durchaus von Interesse sein, um zu klären, inwiefern die spezifische Landeskultur das Innovationsverhalten beeinflusst. (2) Die Befragung der Teilnehmer erfolgte entweder in Form von standardisierten Fragebögen, die per Mail oder Post zugestellt wurden oder mit Hilfe von Interviewleitfäden. Es wurde sich dabei hauptsächlich auf Unternehmensvertreter beschränkt. Um der Vielschichtigkeit des Themengebietes gerecht zu werden, gaben CEOs, CTOs, Marketing, Personal- sowie F&E Manager Auskunft. Dieses Vorgehen ist zweifellos angemessen, weil verschiedene Manager Berührungspunkte mit dem Innovationsmanagement haben und je nach untersuchtem Aspekt der Manager einbezogen werden muss, der den entsprechenden Überblick über das Themengebiet aufweist. Indem mehrere Manager befragt wurden, können auch Messfehler in Form eines Common Method Bias vermieden werden. 237 Lediglich Capaldo und Zaheer & Bell befragen Experten zu dem Thema, um unabhängig einzuschätzen, wie innovativ das Unternehmen war. (3) Ferner ist der Erkenntnisbeitrag einer Veröffentlichung wesentlich durch die Qualität der Definition und Operationalisierung der Innovationsfähigkeit bestimmt. Der Großteil der Beiträge hält sich bei der Definition der Innovationsfähigkeit an die Beiträge der kompetenzbasierten Literatur.238 Damit wird die Innovationsfähigkeit als Fähigkeit angesehen, die auf Nutzung bestehender Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens basiert.239 Darunter versteht man eine angemessene Ressourcenallokation, Aufnahme von Wissen intern sowie extern, sowie dessen Assimilation und die Ausschöpfung des unternehmensinternen Potenzials. Dabei stützt sich die Innovationsfähigkeit nicht nur auf existente Ressourcen und Fähigkeiten, sondern wird von vielen Autoren eng mit der Erneuerung und Substitution von Fähigkeiten verstanden.240 Somit wird die Innovationsfähigkeit als eine dynamische 236 Vgl. Alegre et al. (2005); Atuahene-Gima (2005); Calantone et al. (2002); Carpenter et al. (2003); Cavusgil et al. (2003); Cohen & Levinthal (1990); Dutta et al. (2005); Forsman (2009); Hurley et al. (2005); Penner-Hahn & Shaver (2005); Persaud (2005). 237 Vgl. Homburg & Klarmann (2009), S. 147. 238 Vgl. Cohen & Levinthal (1990); Kogut & Zander (1992); Leonard-Barton (1992); Henderson & Cockburn (1994); Teece (2007). 239 Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Atuahene-Gima (2005); Cakar & Ertürk (2010); Capaldo et al. (2003); Dutta et al. (2005); Forsman (2009); Hurley et al. (2005); Lawson & Samson (2001); Lin et al. (2010); Luo & Bhattacharya (2006); Wang et al. (2008); Yalcinkaya et al. (2007). 240 Vgl. Yalcinkaya et al. (2007); Atuahene-Gima (2005); Akman & Yilmaz (2008); Cakar & Ertürk (2010); Cavusgil et al. (2003); Calantone et al. (2002). 50 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Fähigkeit definiert, die sich in Zeiten der Veränderungen anpasst und zu Veränderungsprozessen und damit Lernen im Unternehmen führt. 241 In einigen Veröffentlichungen werden zur Definition diese Eigenschaften in Zusammenhang mit der Transformation und Einführung von neuen Ideen, Produkten und Prozessen gebracht, was die Innovationsfähigkeit darüber hinaus zur „(…) ability of the organization to adopt or implement new ideas, processes, or products successfully“242 macht. In diesem Kontext wird von einigen Autoren explizit erwähnt, dass Innovationen das Ergebnis des aktiven Nutzens und Erneuerns der bestehenden Kompetenzen sind.243 Eine weitere Gruppe von Definitionsversuchen negiert bewusst die kompenzbasierten Ansätze und definiert die Innovationsfähigkeit lediglich als Fähigkeit neue Produkte und Prozesse zu implementieren. 244 Lediglich O'Connor & DeMartino definieren die Innovationskompetenz auch als Prozess, der mehrere Phasen durchläuft (Discovery, Incubation, Acceleration) und sich wiederholt.245 Insgesamt fällt zudem auf, dass viele Beiträge, die verschiedene Einflüsse auf die Innovationsfähigkeit untersuchen, keine Definition vornehmen.246 Dieses Vorgehen erscheint wenig sinnvoll, da eine angemessene Operationalisierung des Begriffes auf die Definition und die Wesensmerkmale angewiesen ist. In Tab. 2-5 findet sich zusammenfassend ein Überblick mit den wichtigsten Ansätzen zur Definition der Innovationsfähigkeit und Autoren, die den jeweiligen Ansatz nutzen. 241 Vgl. Teece (2007); Atuahene-Gima (2005); Yalcinkaya et al. (2007). Hurley & Hult (1998), S. 44. 243 Vgl. u.a. Akman & Yilmaz (2008); Cakar & Ertürk (2010); Carpenter et al. (2003); Luo & Bhattacharya (2006); Lawson & Samson (2001); Persaud (2005); Yalcinkaya et al. (2007); Herzhoff (1991), S. 47; Sammerl (2006). 244 Vgl. O'Connor & DeMartino (2006); Dervitsiotis (2010b); Furman et al. (2002); Hagedoorn & Duysters (2002); Rackensperger (2008), S. 48; Kindermann (2007), S. 31. 245 Vgl. O'Connor & DeMartino (2006), S. 478, 489-491. 246 Vgl. Albornoz & Yoguel (2004); Alegre et al. (2005); Chen & Wang (2008); Faber & Hesen (2004); Greve (2007); Hsieh & Tsai (2007); Hult & Ketchen, JR. (2001); Kochhar & David (1996); Lages et al. (2009); Nassimbeni (2001); Oltra & Flor (2003); Paladino (2007); Penner-Hahn & Shaver (2005); Prajogo & Ahmed (2006); Radosevic (2004). 242 51 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Definitionsansatz Auswahl an Autoren und ihre Definitionsansätze Innovationsfähigkeit als Nutzung bestehender Kompetenzen & Ressourcen Luo & Bhattacharya (2006), S. 6 “(…) defined as a firm’s ability to apply its internal knowledge stock to produce new technology, new products/services, and other new fronts.” Persaud (2005), S. 413 “Innovative capability refers to the absorptive capacity of firms as gauged by their ability to accumulate and exploit new knowledge, leading to new and improved innovations that enhance their chances for growth and survival.” Cakar & Ertürk (2010), S. 327 „Accordingly, the firm’s innovation capability is its ability to mobilize the knowledge, possessed by its employees, and combine it to create new knowledge, resulting in product and/or process innovation.“ Cohen & Levinthal (1990), S. 128 „(…) ability to exploit external knowledge is crucial element of innovation capability.“ Guan & Ma (2003), S. 740 „Innovation capability is a special asset of a firm. It is tacit and non-modifiable, and it is correlated closely with interior experiences and experimental acquirement.“ Lawson & Samson (2001), S. 384 '(…) innovation capability is therefore defined as the ability to continuously transform knowledge and ideas into new products, processes and systems for the benefit of the firm and its stakeholders.“ Innovationsfähigkeit Atuahene-Gima (2005), S. 62 als dynamische Fä- „Successful product innovation demands that a firm must exploit higkeit its existing competencies while trying to avoid their dysfunctional rigidity effects by renewing and replacing them with entirely new ones.“ 52 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Definitionsansatz Auswahl an Autoren und ihre Definitionsansätze Innovationsfähigkeit Forsman (2009), S. 224 als dynamische Fä- “(…) innovation capacity as a continuous improvement higkeit of capabilities and resources that an enterprise possesses to explore and exploit opportunities for developing new products to meet the market needs.” Fähigkeit neue Pro- Lin et al. (2010), S. 113 dukte und Prozesse “Innovation capability refers to the implementation or creation of zu implementieren technology as applied to systems, policies, programs, products, processes, devices, or services that are new to an organization.” Furman et al. (2002), S. 899 “National innovative capacity as the ability of a country to produce and commercialize a flow of innovative technology over the long run.” Hurley et al. (2005), S. 281 “Innovative capacity which is the degree of innovations actually produced or adopted by the organization.” Innovationsfähigkeit O'Connor & DeMartino (2006), S. 478 als wiederholter “A radical innovations competency, then, is the ability for a firm to Prozess commercialize radical innovations repeatedly.” Tab. 2-5: Übersicht zu den Definitionen der Innovationsfähigkeit (Quelle: Eigene Darstellung) Wenngleich die Definitionen der Innovationsfähigkeit Ähnlichkeiten aufweisen, sind große Unterschiede bei den Operationalisierungen zu finden. Mehrheitlich wird die Innovationskompetenz in unzureichender Weise als Ergebnis oder Output des Innovationsprozesses dargestellt. So wird die Innovationsfähigkeit als Anzahl der Einführung von neuen Produkten247, als Anteil des Verkaufs von neuen Produkten am Gesamtumsatz248 oder Performance im Vergleich zu den Wettbewerbern 249 gemessen. Diese Variablen werden oftmals kombiniert, um ein ganzheitlicheres Bild 247 Vgl. Atuahene-Gima (2005); Calantone et al. (2002); Capaldo (2007); Hurley & Hult (1998); Nassimbeni (2001). 248 Vgl. Albornoz & Yoguel (2004); Oltra & Flor (2003); Romijn & Albaladejo (2002); Zhao et al. (2005). 249 Vgl. Atuahene-Gima (2005); Paladino (2009). 53 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen zu gewinnen.250 Die zugrundeliegende Logik dieser Messung fassen Hurley & Hult zusammen: “This capacity [gemeint ist die Innovationsfähigkeit, Anmerk. des Verfassers] can be measured by the number of innovations an organization is able to adopt or implement successfully.“251 Darüber hinaus wird unterschieden, wie neu die Produkte waren, die auf den Markt gebracht wurden, d.h. ob es sich um eher radikale oder inkrementelle Innovationen handelte.252 Oftmals wird in diesem Zusammenhang nur auf den Bestand an Patenten verwiesen, was die verbreitete Annahme widerspiegelt, dass Innovationen zwangsläufig das Ergebnis von F&E darstellen.253 Albornoz & Yoguel (2004) und Luo & Bhattacharya (2006) bilden zudem die Qualität der Produkte als Innovationsfähigkeit ab. 254 Patente und die Einführungen von Innovationen werden in keinem Artikel zur Messung herangezogen, auch wenn dieses Vorgehen zeigen würde, inwiefern die beiden Variablen korrelieren. Häufig wird die Innovationsfähigkeit anhand von Inputfaktoren, d.h. Ressourcen und Kompetenzen im Unternehmen operationalisiert.255 Unterschieden wird dabei grundsätzlich zwischen den Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens 256, aber auch der Wandel bzw. die Lernfähigkeit dieser wird als Innovationsfähigkeit 257 dargestellt. Diese Einteilung ist damit weitgehend konform mit den Definitionen in diesem Bereich. Gleichwohl werden in der Regel nur ausgewählte Mechanismen der Innovationsfähigkeit betrachtet. Es existieren kaum Studien, in denen eine systematische und umfassende Berücksichtigung aller bekannten Ressourcen und Kompetenzmechanismen angestrebt wird. Die Auswahl der relevanten Aspekte erscheint fast willkürlich: Albornoz & Yoguel (2004) thematisieren die HR-Fähigkeit und F&E-Strukturen, Atuahene-Gima (2005) gehen auf ‚Competence Exploitation’ und ‚Competence Exploration’ ein, Cakar & Ertürk (2010) operationalisieren nur durch die ‚New Product Development’ Kompetenz, wohingegen Yam et al. (2004) 250 Vgl. Atuahene-Gima (2005); Souitaris (2002). Hurley & Hult (1998), S. 44. 252 Vgl. Subramaniam & Youndt (2005); Yalcinkaya et al. (2007); Atuahene-Gima (2005). 253 Vgl. Chen & Wang (2008); Faber & Hesen (2004); Furman et al. (2002); Hagedoorn & Duysters (2002); Henderson & Cockburn (1994); Hu & Mathews (2008). 254 Vgl. Albornoz & Yoguel (2004); Luo & Bhattacharya (2006). 255 Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Carpenter et al. (2003); Cakar & Ertürk (2010); Cohen & Levinthal (1990); Guan & Ma (2003); Yam et al. (2004); Atuahene-Gima (2005); Cavusgil et al. (2003); Lages et al. (2009); Prajogo & Ahmed (2006). 256 Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Carpenter et al. (2003); Cakar & Ertürk (2010); Cohen & Levinthal (1990); Guan & Ma (2003); Yam et al. (2004). 257 Vgl. Atuahene-Gima (2005); Cavusgil et al. (2003); Lages et al. (2009); Prajogo & Ahmed (2006). 251 54 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen recht ausführlich die Lernfähigkeit, F&E- Kompetenz, Ressourcenallokation, die Marketing-, Technologie-, Produktions- und strategische Planungskompetenz heranziehen.258 Rackensperger benennt Strategie, Führung, Innovationsprozess, Unternehmenskultur und Organisationsstruktur, wohingegen Sammerl internes Lernen, Lernen von Kunden, Innovationsprozessmanagement, Innovationsportfoliomanagement sowie Innovationskultur aufgreift.259 Ferner beziehen sich insbesondere Atuahene-Gima, Subramaniam & Youndt sowie Yalcinkaya et al. mit ihren Operationalisierungen auf das Forschungsgebiet der „Organizational Ambidexterity“, welches erfolgreichen Unternehmen grundsätzlich zwei Fähigkeiten zuspricht: (1) Fähigkeiten zur ‚Exploitation’, d.h. zur Nutzung und Verbesserung bestehender Kompetenzen sowie (2) Fähigkeiten zur ‚Exploration’, der Akquisition neuer Kompetenzen und Nutzung neuer Marktchancen.260 In dem die Autoren diese Fähigkeiten in Zusammenhang mit Innovationen setzen, gehören sie zu den wenigen Arbeiten, die eigentliche Fähigkeitsmechanismen abbilden können. 261 Lediglich Albornoz & Yoguel (2004), Atuahene-Gima (2005), Cavusgil et al. (2003), Hsieh & Tsai (2007), Nassimbeni (2001), Penner-Hahn & Shaver (2005) und Yalcinkaya et al. (2007) verwenden eine Kombination aus Input- und Outputvariablen. Ausnahmen in der Operationalisierung bilden Dutta et al. (2005) sowie Faber & Hesen (2004), welche die Innovationsfähigkeit als eine Effizienzgröße (Transformation des Inputs in Output) darstellen und Calantone et al. (2002), Hult & Ketchen, JR. (2001), Lages et al. (2009) die Innovationskultur als Innovationskompetenz modellieren. (4) Schließlich stellt auch (Nicht-)Beachtung von Kontrollvariablen einen bedeutenden Aspekt zur Bewertung der Qualität der Beiträge dar. Der Großteil der Veröffentlichungen verweist nicht explizit auf Kontrollvariablen in ihrer Untersuchung, was die Bewertung der Ergebnisse dieser Arbeiten erschwert. 262 Die restlichen Beiträge greifen auf branchen- und firmenspezifische Aspekte zurück. Die Abfrage von branchenspezifischen Eigenschaften wie Porters Five Forces macht vor allem bei branchenübergreifenden Vergleichen Sinn. Firmenspezifische Charakteristika wie Größe, Alter, F&E-Intensität können zudem die Strukturen im Unternehmen so beeinflussen, dass Innovationen gefördert oder gehemmt werden. 263 Tab. 2-6 gibt Aufschluss über die verwendeten Kontrollvariablen. 258 Vgl. Yam et al. (2004), S. 1130. Vgl. Rackensperger (2008), S. 58; Sammerl (2006), S. 238. 260 Vgl. dazu auch March (1991); Jansen et al. (2006); McGrath (2001). 261 Vgl. Atuahene-Gima (2005); Subramaniam & Youndt (2005); Yalcinkaya et al. (2007). 262 Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Alegre et al. (2005); Calantone et al. (2002); Hurley et al. (2005); Oltra & Flor (2003). 263 Vgl. Enders et al. (2009), S. 20; Reger (2001), S. 533. 259 55 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Unternehmensspezifische Kontrollvari- Branchenspezifische Kontrollvariablen ablen Unternehmensalter Unternehmensgröße Marktdynamik (auch „Environmental Turbulence“) F&E-Intensität Marktchancen Marktkomplexität Patentbestand Branchenabfrage Bisherige Umsatzperformance Wettbewerbsintensität Verfügbares Kapital Diversifizierung Quelle des Wettbewerbsvorteils Teamgröße Bestehende Kompetenzen (Marketing, Technologie) Tab. 2-6: Verwendete Kontrollvariablen in den Veröffentlichungen (Quelle: Eigene Darstellung) 2.2.3.4 Forschungsergebnisse Die Forschungsergebnisse können grundsätzlich in verschiedenen Kategorien dargestellt werden: (1) ressourcentheoretische Ansätze, die sich auf die Innovationsfähigkeit anwenden lassen, (2) Rahmenmodelle zur Innovationsfähigkeit und (3) Einflussfaktoren auf die Innovationsfähigkeit. Anschließend werden die wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Forschung zur Innovationsfähigkeit in diesen Kategorien diskutiert. (1) Die Beiträge, die auf dem ressourcentheoretischen Ansatz beruhen und teilweise in Kapitel 2.1.2 behandelt wurden, kommen insgesamt zu ähnlichen Ergebnissen und leiten wichtige Erkenntnisse für die Innovationsfähigkeit ab. Die Autoren unterscheiden grundsätzlich zwischen zwei Kompetenzen: Ressourcen und Grundkompetenzen, die bedeutend für das Ablaufen von Routineprozessen im Unternehmen sowie für das Nutzen und Ausschöpfen des firmeninternen Wissens oder Know-hows sind und Kompetenzen, die nötig sind, um das bestehende Wissen und die bestehenden Fähigkeiten im Unternehmen zu erneuern. 264 Kogut & Zander nen- 264 Vgl. Kogut & Zander (1992), S. 384; Henderson & Cockburn (1994), S. 65; March (1991), S. 71. 56 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen nen diese zweite Fähigkeit die „kombinative Fähigkeit“, welche die grundlegenden Informationen und Know-how anwendet, sowie durch Rekombinierung dieser neue Fertigkeiten hervorbringt.265 Henderson & Cockburn verwenden für das gleiche Konzept den Begriff der „architectural component“. 266 Insgesamt müssen Unternehmen demnach die vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen nutzen und einem ständigen Wandel unterziehen, da sich die Umwelt auch verändert. Daher nutzt Teece (2007) den Begriff der dynamischen Fähigkeiten. 267 Er kategorisiert diese Fähigkeiten in drei Hauptkompetenzen: (1) die Fähigkeit Chancen und Bedrohungen wahrzunehmen, (2) erste Konsequenzen daraus zu ziehen und mit neuen Produkten, Prozessen sowie Wissen zu reagieren und (3) die Fähigkeiten des wachsenden Unternehmens fortlaufend zu konfigurieren.268 Er argumentiert: “When opportunities are first glimpsed, entrepreneurs and managers must figure out how to interpret new events and developments, which technologies to pursue, and which market segments to target.“269 Die Notwendigkeit die Kompetenzen weiterzuentwickeln, fasst er wie folgt zusammen: “A key to sustained profitable growth is the ability to recombine and to reconfigure assets and organizational structures as the enterprise grows, and as markets and technologies change, as they surely will. Reconfiguration is needed to maintain evolutionary fitness and, if necessary, to try and escape from unfavourable path dependencies.”270 Wenngleich Teece feststellt, dass sich die dynamischen Fähigkeiten in jedem Unternehmen andersartig darstellen, finden Eisenhardt & Martin Ähnlichkeiten abhängig von der jeweiligen Marktdynamik.271 In Zeiten von moderatem Wandel entsprechen die dynamischen Fähigkeiten den traditionellen Routinen im Unternehmen und werden durch stabile, detaillierte Prozesse widergespiegelt. Verändern sich die Märkte schnell und umbruchartig, sind die Prozesse experimentell und fragil mit unberechenbarem Ergebnis.272 Grundlagen sind in den von Cohen & Levinthal (1990) entwickelten absorptiven Fähigkeiten zu sehen, die es ermöglichen, externe 265 Vgl. Kogut & Zander (1992), S. 384. Vgl. Henderson & Cockburn (1994), S. 65. 267 Vgl. Teece (2007), S. 1322. 268 Vgl. Teece (2007), S. 1322. 269 Teece (2007), S. 1322. 270 Teece (2007), S. 1335. 271 Vgl. Eisenhardt & Martin (2000), S. 1105. 272 Vgl. Eisenhardt & Martin (2000), S. 1116. 266 57 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Informationen zu erkennen, zu assimilieren und in neue Produkte umzuwandeln. 273 Dabei identifizieren sie vorheriges Wissen als Voraussetzung und Katalysator für die Aufnahme und Verarbeitung weiterer Informationen.274 Dass nicht nur die bestehenden Kernkompetenzen ausreichen, unterstreicht Leonard-Barton in einer Studie zur Neuproduktentwicklung.275 Die Kernkompetenzen basieren dabei auf vier Dimensionen: (1) das Wissen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter eingebunden in (2) technische Systeme, den Prozess der Wissensentstehung und -kontrolle in Form des (3) Managementsystems und schließlich (4) die Werte und Normen, die mit den genannten Prozessen und Einstellungen verknüpft sind.276 Sie zeigt auf, dass je höher die Kongruenz zwischen dem Innovationsprojekt und den vier Dimensionen ist, desto mehr wirken diese Kernkompetenzen förderlich. Diese Kernkompetenzen ermöglichen in diesem Fall kontinuierlich neue Produkte und Prozesse zu generieren, weil Ressourcen in die Suche nach neuen Anwendungsgebieten investiert werden. Gleichzeitig können diese Kernkompetenzen die Generierung von Innovationen behindern. Bei nicht vorhandener Kongruenz zwischen Kernkompetenzen und Innovationsprojekt werden sie zu Kernhindernissen. In diesem Zusammenhang stellen sie eine Hürde für die Entwicklungsprojekte dar.277 Atuahene-Gima (2005), Subramaniam & Youndt (2005) sowie Yalcinkaya et al. (2007) stellen einen Zusammenhang zwischen dem von March (1991) entwickelten Konzept der Kompetenzexploitation und -exploration und der Innovationsfähigkeit her.278 Unter Kompetenzexploitation versteht sich „(…) the tendency of a firm to invest resources to refine and extend its existing product innovation knowledge, skills and processes”279. Wenn in einem Unternehmen nur Kompetenzexploitation vollzogen wird, werden sich schnell die bestehenden Kompetenzen in Kernhindernisse nach dem Verständnis von Leonard-Barton wandeln.280 Daher sind ähnlich wie bei den „Dynamic Capabilities“, „Arcitectural Component“ sowie „Combinative Capabilities“, Lern- oder Veränderungsprozesse nötig, welche durch die Kompetenzexploration ausgedrückt werden.281 Damit wird die Kompetenzexploration als Tendenz des Unternehmens definiert, in Ressourcen zu investieren, um neues Wis- 273 Vgl. Cohen & Levinthal (1990), S. 131. Vgl. Cohen & Levinthal (1990), S. 135f. 275 Vgl. Leonard-Barton (1992), S. 111. 276 Vgl. Leonard-Barton (1992), S. 114. 277 Vgl. Leonard-Barton (1992), S. 118ff. 278 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 61; Yalcinkaya et al. (2007), S. 66. 279 Atuahene-Gima (2005), S. 62. 280 Vgl. Leonard-Barton (1992), S. 111; Atuahene-Gima (2005), S. 61. 281 Vgl. March (1991), S. 71; Levinthal & March (1993), S. 95. 274 58 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen sen, neue Fertigkeiten und Prozesse zu akquirieren. 282 Die Kompetenzexploration ermöglicht insofern Flexibilität und Neuartigkeit der Produktinnovationen durch verstärkte Variation und Experimentierfreudigkeit herzustellen. Prinzipiell sind Unternehmen eher bereit in Kompetenzexploitation zu investieren. Um langfristig erfolgreich zu sein, ist jedoch eine Balance zwischen Kompetenzexploitation und Kompetenzexploration notwendig.283 Diese Ansätze stützen sich auf die Theorie der organisationalen Ambidextrie, die ebenso davon ausgeht, dass erfolgreiche Unternehmen gleichzeitig bestehende Geschäfte effizienter gestalten und Anpassungen an Umfeldveränderungen durchführen.284 Insgesamt zeigt sich, dass die kompetenzbasierten Ansätze meist zu den gleichen Ergebnissen kommen, wenngleich die Begrifflichkeiten zu anderen Oberbegriffen zusammengefasst werden. Abschließend bleibt zu klären, in welchen Zusammenhang die Autoren diese Kompetenzen auf die Innovationsfähigkeit beziehen. In allen Beiträgen wird immer ein Bezug zu den Innovationen und der Innovationsfähigkeit hergestellt. Grundsätzlich werden die dargestellten Kompetenzen als Voraussetzung bzw. zugrundeliegender Mechanismus der Innovationsfähigkeit verstanden. Cohen & Levinthal argumentieren, dass die Fähigkeit externes Wissen aufzunehmen und zu assimilieren ein wichtiges Element der Innovationsfähigkeit darstellt.285 Kogut & Zander hingegen kommen zur Erkenntnis, dass Innovationen Ergebnis der kombinativen Fähigkeiten sind und damit das Lernen widerspiegeln. 286 Unter dynamischen Fähigkeiten versteht Teece Unternehmensfähigkeiten, die schwer reproduzierbar sind, wie z.B. die Fähigkeit Innovationen hervorzubringen. 287 Wie auch Cohen & Levinthal mit den absorptiven Fähigkeiten kommt Teece zu dem Ergebnis, dass die dynamischen Fähigkeiten Grundlage für die Generierung und Implementierung erfolgreicher Innovationen sind.288 Weiterhin werden Kompetenzexploitation und -exploration als Mechanismus in der Entstehung von Innovationen gesehen und sind eng mit der Generierung von inkrementellen und radikalen Innovationen verbunden. Die Fähigkeit inkrementelle Innovationen zu generieren basiert auf gestärktem bisherigem Know-how, wohingegen die radikale Innovationsfähigkeit auf neuartigem oder gewandeltem Wissen beruht.289 Eine Darstellung der verschiedenen Begriffe und deren Inhalte sowie dem Bezug zur Innovationsfähigkeit wird in Tab. 2-7 dargestellt. 282 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 62. Vgl. March (1991), S. 85; McGrath (2001), S. 119. 284 Vgl. Tushman & O'Reilly (1996), S. 8; Gibson & Birkinshaw (2004), S. 209. 285 Vgl. Cohen & Levinthal (1990), S. 128. 286 Vgl. Kogut & Zander (1992), S. 385. 287 Vgl. Teece et al. (1997), S. 516; Teece (2007), S. 1320. 288 Vgl. Teece (2007), S. 1320. 289 Vgl. Subramaniam & Youndt (2005), S. 452. 283 59 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Autor Cohen/ Levinthal (1992) Erläuterung Beschreibt die Fähigkeit externe Informationen zu erkennen, zu assimilieren („Absorptive Capacity“) Grundlage um neues Wissen zu akquirieren und zu nutzen LeonardBarton (1992) Kogut/Zander (1992) Assimilierte Wissen äußert sich in neuen Produkten Unterstreicht die Bedeutung der kontextabhängigen Kernkompetenzen Beschreibt die Fähigkeit neues Wissen und neue Fähigkeiten aufzubauen und anzuwenden („Combinative Capability“) Innovationen entstehen als Ergebnis der kombinativen Fähigkeiten Beschreibt zunächst Fähigkeiten und Wissen, welche nötig sind, um Routineprozesse ablaufen zu lassen („Component Competence“) Wichtig die Fähigkeit zu besitzen, die Kompetenzen zu nutzen, zu integrieren und zu erneuern („Arcitechtural Competence“) Teece (2007) Fähigkeit externes Wissen aufzunehmen stellt Element der Innovationsfähigkeit dar Beschreibt allgemein Kernkompetenzen und Bedingungen in denen diese zu Kernhindernissen werden Neue Fähigkeiten werden durch Lernen erzeugt und durch Rekombinations Henderson/ Cockburn (1994) Bedeutung Innovationsfähigkeit Innovationsfähigkeit als eine zentrale Kernkompetenz des Unternehmens Daher ist die kombinative Fähigkeit durchaus als ein Bestandteil der Innovationsfähigkeit anzusehen Beide Kompetenzen nötig, um Innovationen umzusetzen Unterscheidet ebenso zwi Innovationsfähigkeit wird als dyschen alltäglichen Ressourcen namische Fähigkeit dargestellt, und Fähigkeiten und den dydie sich fortlaufend den Bedinnamischen Fähigkeiten gungen des Marktes anpassen muss Dynamische Fähigkeit dient zur Anpassung bestehender Kompetenzen in Zeiten der Veränderung 60 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Autor Erläuterung AtuaheneGima (2005), Subramanian/ Youndt (2005), Yalcinkaya et al. (2007) Tab. 2-7: Unternehmen benötigen Balance zwischen Kompetenzausschöpfung (Stärkung und Verbesserung von bestehenden Produktwissen und – ferigkeiten) und Kompetenzexploration (Akquisition von neuem Produktwissen und – fertigkeiten) Bedeutung Innovationsfähigkeit Kompetenzausschöpfung und – exploration sind der zentrale Mechanismus in der Entstehung von Innovationen Insgesamt als zu Grunde liegender Mechanismus der Innovationsfähigkeit zu sehen Begriffe in der kompetenzbasierten Literatur und deren Bezug zur Innovationsfähigkeit (Quelle: Eigene Darstellung) (2) Die Entwicklung von Rahmenmodellen für die Innovationsfähigkeit wird vor allem in empirisch-qualitativen Beiträgen auf Grundlage von Fallstudien vorgenommen.290 Dabei unterscheiden sich die Modelle recht stark in Form und Ausgestaltung. Adams et al. (2006) entwerfen nicht direkt ein Modell für die Innovationsfähigkeit, bringen aber verschiedene Vorschläge zur Messung des Innovationsmanagements zusammen und identifizieren Messvariablen zu den Prozessphasen des Innovationsmanagements. 291 In diesem Zusammenhang gelingt es ihnen Lücken in der bisherigen Theorie zur Messung aufzuzeigen. Sie schlagen folgende Kategorien für das Modell vor: Inputmanagement, Wissensmanagement, Innovationsstrategie, Organisationskultur und -struktur, Portfoliomanagement, Projektmanagement und Vermarktung.292 In der Arbeit wird damit zusammengefasst: “The capacity of organizations to innovate is determined by multiple factors that relate both to their own internal organization and to their market environment.”293 Die Kategorien von Adams et al. sind grundsätzlich als sehr vollständig zu betrachten, da alle möglichen Faktoren aufgenommen wurden. Im Vergleich dazu schlussfolgern Lawson & Samson (2001), dass die Innovationsfähigkeit ein nicht separat existierendes Konstrukt ist, sondern vielmehr aus verschiedenen Praktiken und Pro- 290 Vgl. Adams et al. (2006); Lawson & Samson (2001); O'Connor (2008); Story et al. (2009); Schreiner (2006). 291 Vgl. Adams et al. (2006), S. 22. 292 Vgl. Adams et al. (2006), S. 22. 293 Adams et al. (2006), S. 38. 61 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen zessen besteht.294 Dabei identifizieren sie die Kernelemente Vision und Strategie, Kompetenzausschöpfung, Organisationsqualität, Kreativitäts- und Ideenmanagement, Organisationsstruktur und -systeme, Kultur und Klima sowie Technologiemanagement.295 Sie verstehen die Innovationsfähigkeit letztlich als Grundlage für die Erneuerung von Wissen, Fähigkeiten und die Schaffung von neuem Wert für die Kunden, die es schafft, die Grundfunktionen des Unternehmens mit der Schaffung von neuen Produkten und Prozessen zu integrieren. 296 Zu ähnlich umfassenden Ergebnissen kommt auch Schreiner (2006) in seinem Kompetenzmodell, wohingegen er zur besseren Einordnung der einzelnen Faktoren drei Kompetenzebenen unterscheidet: (a) strategisches Innovationsleitbild, (b) Innovationsprozesskompetenz und (c) funktionale Kompetenz.297 Herzhoff verweist in diesem Zusammenhang auf organisationsbezogene, informations- und mitarbeiterbezogene, kommunikative, unternehmenspolitische sowie situative Faktoren.298 Rackensperger hingegen konkretisiert weiter und nutzt Strategie, Führung, Innovationsprozess, Unternehmenskultur sowie -struktur zur Konzeptionalisierung. 299 Pulkkanen et al. (2004) geben nicht derart detailliert Auskunft über die Innovationsfähigkeit, aber beziehen sich in ihrem Ansatz auf Maßnahmen zu strategischen Kooperationen, die den gesamten Innovationsprozess inklusive dem Wandel im Unternehmen unterstützen sowie Maßnahmen zum schnellen Handeln, meist ausgeführt durch externe Experten. 300 294 Vgl. Lawson & Samson (2001), S. 388. Vgl. Lawson & Samson (2001), S. 388. 296 Vgl. Lawson & Samson (2001), S. 383. 297 Vgl. Schreiner (2006), S. 94ff. 298 Vgl. Herzhoff (1991), S. 48f. 299 Vgl. Rackensperger (2008), S. 58ff. 300 Vgl. Pulkkanen et al. (2004), S. 38. 295 62 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Adams et al. (2006) Lawson/Samson (2001) O’Connor (2008) Input management Vision & strategy Discovery Knowledge management Competence exploitation Incubation Innovation strategy Quality of organization Organization structure & culture Creativity & Idea management Portfolio management Organizational structure and systems Project management Culture & Climate Commercialization Technology management Abb. 2-6: Acceleration Commercialization Ergänzt durch Story et al. (2009) Elemente ausgewählter Modelle zur Innovationsfähigkeit (Quelle: Eigene Darstellung) Lediglich O'Connor & DeMartino (2006) und Story et al. (2009) beschränken sich in ihrer Betrachtung auf die radikale Innovationskompetenz und nutzen einen prozessorientierten Ansatz zur Klärung der einzelnen Elemente. O'Connor & DeMartino (2006) entwerfen dabei die drei Tätigkeiten: Entdeckung, Inkubation und Beschleunigung, die nötig sind, um eine radikale Innovationskompetenz aufzubauen. Die Entdeckungsfähigkeit bezieht sich auf alle Aktivitäten, die Chancen für radikale Innovationsprojekte erkennen, ausarbeiten und kommunizieren. 301 Die Inkubationsphase bezieht sich auf alle Kompetenzen, die die Idee reifen lassen und zu konkreten Geschäftsvorschlägen führen, wohingegen die Beschleunigungsaktivitäten diese Geschäftsvorschläge zu konkreten eigenständigen Projekten wandeln, die in Bezug zu finanziellen Größen (z.B. erwarteter Umsatz) gesetzt werden. 302 Bestätigt werden sie dabei von Story et al. (2009), die ihr Modell lediglich durch das Element Vermarktung, d. h. die Fähigkeit, das Produkt erfolgreich an den Markt zu bringen, ergänzen. 303 Einzig Un (2002) beschäftigt sich mit der organisatorischen Struktur, die 301 Vgl. O'Connor & DeMartino (2006), S. 489. Vgl. O'Connor & DeMartino (2006), S. 490f. 303 Vgl. Story et al. (2009), S. 475. 302 63 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen eine Innovationskompetenz entstehen lässt und leitet aus Fallstudien drei Möglichkeiten ab: organisationsbasiert, teambasiert und eine gemischte Form. 304 Der Großteil dieser Beiträge bezieht sich demnach auf vielfältige Faktoren im Unternehmen, die die Innovationsfähigkeit charakterisieren.305 Dabei fällt auf, dass diese nicht nur die direkt mit dem Innovationsmanagement verbundenen Faktoren beinhalten, sondern allgemeine Hygienefaktoren, die scheinbar zur Entwicklung von Innovationen nötig sind. (3) Der Großteil der empirisch-quantitativen und einige empirisch-qualitative Untersuchungen identifizieren Einflussfaktoren auf die Innovationsfähigkeit. 306 Insgesamt lassen sich die Faktoren der strategischen Ebene, der Unternehmenskultur und den Ressourcen sowie Fähigkeiten des Unternehmens zuordnen. Gleichwohl sind die einzelnen untersuchten Einflussfaktoren sehr divers und selten in anderen Arbeiten wiederzufinden, was sich auf die unterschiedlich angelegten Untersuchungsfragen und -designs zurückführen lässt. Damit lässt sich aber keine weitgehende Einigkeit zu diesen Faktoren herstellen. Akman & Yilmaz (2008) belegen einen positiven Einfluss der Innovationsstrategie, Kunden- und Wettbewerbsorientierung auf die Innovationsfähigkeit. 307 Atuahene-Gima (2005) bestätigt die Erkenntnisse zur Kunden- und Wettbewerbsorientierung, wohingegen Paladino (2007) zusammenfassend die Marktorientierung und Ressourcenorientierung eines Unternehmens für förderlich hält.308 Für die Technologieorientierung konnten sie keinen signifikanten Zusammenhang bestätigen. 309 Quintana-Garcia & Benavides-Velasco (2004) untersuchen Kooperationsstrategien und liefern Belege dafür, dass eine Zusammenarbeit mit Wettbewerbern die Innovationsfähigkeit steigert, wohingegen Zhao et al. (2005) einen positiven, wenngleich auch differenzierten, Zusammenhang zwischen allen möglichen Technologiequellen und der Innovationskompetenz dokumentieren. 310 Darüber hinaus belegen Studien, dass spezifische Faktoren der Unternehmenskultur beeinflussend wirken. Die Offenheit gegenüber Innovationen und die Bereitschaft des Unternehmens diese zu fördern sowie Risiken einzugehen 311, eine allgemeine 304 Vgl. Un (2002), S. 5. Vgl. Adams et al. (2006), S. 22; Rackensperger (2008), S. 58ff.; Schreiner (2006), S. 94ff. 306 Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Atuahene-Gima (2005); Paladino (2007); Quintana-Garcia & Benavides-Velasco (2004); Zhao et al. (2005); Hurley & Hult (1998), Cakar & Ertürk (2010); Furman et al. (2002); Oltra & Flor (2003); Penner-Hahn & Shaver (2005); Romijn & Albaladejo (2002); Yam et al. (2004). 307 Vgl. Akman & Yilmaz (2008), S. 69. 308 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 61; Paladino (2007), S. 534. 309 Vgl. Paladino (2007), S. 534. 310 Vgl. Quintana-Garcia & Benavides-Velasco (2004), S. 927; Zhao et al. (2005), S. 209. 311 Vgl. Hurley & Hult (1998), Cakar & Ertürk (2010). 305 64 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Positiver Einfluss Lernorientierung312 sowie eine klare Führung des Unternehmens 313 bestärken die Innovationsfähigkeit. Zudem standen oftmals einzelne Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens im Vordergrund. F&E und das in diesem Bereich generierte Wissen wurden von verschiedenen Autoren als positiver Faktor identifiziert.314 Ressourcen/Fähigkeiten Strategie Andere Faktoren • Fähigkeit zur Bildung und Aufrechterhaltung eines unternehmensinternen Netzwerkes • Marketingressourcen • Technologische Ressourcen • F&E Kompetenz • Ressourcenallokation • Humankapital (inkrementelle Innovationsfähigkeit) • Soziales Kapital • Organisationelles Kapital • Patente/F&E Intensität • Kreativität • Gesamte strategische Ausrichtung • Kundenorientierung • Lernorientierung • Marktorientierung • Ressourcenorientierung • Bestimmte Komponenten der Strategiebildung (Analyse des Umfelds, Proaktivität, Langfristorientierung) • Kooperationen mit Wettbewerbern, Kunden • Vergangene Entwicklung • Wissenstransfer • Interne und externe soziale Netzwerke • Innovationskultur • Ad-hoc CustomerRelationshipManagement • Diversifizierte Technologienutzung • Incentives • Nähe zu den Lieferanten • Quelle der Technologie Kein signifikanter Einfluss Negativer Einfluss • Humankapital (nur auf die radikale Innovationsfähigkeit) Strategie Andere Faktoren • Wettbewerbsorientierung • Technologieorientierung • Netzwerkstrukturen • Kundenmiteinbeziehung ( nur auf Prozess und Verwaltungsinnovationen) • Langzeitpartnerschaften (Marketinginnovationen) • Technologiebasierten CustomerRelationship-Management • Kooperationen mit Universitäten Abb. 2-7: Untersuchte Faktoren und nachgewiesener Einfluss auf die Innovationsfähigkeit (Quelle: Eigene Darstellung) 312 Vgl. Calantone et al. (2002). Vgl. Prajogo & Ahmed (2006). 314 Vgl. Furman et al. (2002); Oltra & Flor (2003); Penner-Hahn & Shaver (2005); Romijn & Albaladejo (2002); Yam et al. (2004); auch in Argumentation von Cohen & Levinthal (1990) berücksichtigt. 313 65 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Die Anbindung und Nutzung von Netzwerken konnte ebenso nachweislich als positiver Faktor nachgewiesen werden. 315 Vereinzelt wurden folgende Zusammenhänge festgestellt: Technologische Spezialisierung bzw. Diversifizierung316, Beziehungsmanagement317, Wissensmanagement und -transfer318, Kreativitäts- und Personalmanagement319, Human- und Sozialkapital320 und das Vorhandensein von Marktsowie Technologieressourcen321 tragen alle zur Innovationskompetenz bei. In den Beiträgen, in denen die Innovationsfähigkeit als moderierende oder unabhängige Variable gestaltet wurde, ließ sich ein signifikanter Einfluss auf die Innovationsperformance322, die Firmenperformance sowie den Wettbewerbsvorteil323 erkennen. Auffällig ist zudem, dass die identifizierten Faktoren auch in der Erfolgsfaktorenforschung untersucht werden, d.h. wann genau erfolgreiche Innovationen hervorgebracht werden.324 Dass dies teilweise mit den hier identifizierten Faktoren übereinstimmt, ist insofern nicht verwunderlich, da ein Unternehmen, welches erfolgreich Innovationen auf den Markt bringt, konsequenterweise über eine gute Innovationskompetenz verfügt. Gleichwohl liegt der Ausgangspunkt der Betrachtung in den Faktoren, die das Management erfolgreicher Innovationen bestimmen und nicht zu sehr in den Ressourcen und Kompetenzen. Vernachlässigt werden damit Faktoren, die sich auf die Ressourcen und Fähigkeiten des Unternehmens stützen, welche einen großen Unterschied in den Betrachtungsweisen darstellen und daher die vorliegende Vorgehensweise bestätigen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass vor allem bestimmte organisatorische Prinzipien im Unternehmen, wie eine allgemeine Marktorientierung und strategische Ausrichtung positiv auf die Innovationsfähigkeit wirken. Es bleibt fraglich, ob nicht Ressourcenausstattungen und -mechanismen grundsätzlich die Innovationsfähigkeit ausmachen, anstatt sie zu „beeinflussen“. 315 Vgl. Chen & Wang (2008); Hu & Mathews (2008); Capaldo (2007). Vgl. Furman et al. (2002); Quintana-Garcia & Benavides-Velasco (2008). 317 Vgl. Lages et al. (2009). 318 Vgl. Cavusgil et al. (2003); Prajogo & Ahmed (2006). 319 Vgl. Prajogo & Ahmed (2006). 320 Vgl. Subramaniam & Youndt (2005); Wang et al. (2008). 321 Vgl. Danneels (2002). 322 Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Cavusgil et al. (2003); Prajogo & Ahmed (2006). 323 Vgl. Calantone et al. (2002); Hult & Ketchen, JR. (2001); Zaheer & Bell (2005). 324 Vgl. Luo & Bhattacharya (2006). 316 66 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen 2.2.4 Diskussion Zentrale Diskussionspunkte stellen das (1) Begriffsverständnis und (2) die damit verbundenen Operationalisierungen sowie (3) die Umsetzung der empirischen Untersuchungen dar. (1) Grundsätzlich liegt bei der Bestimmung des Begriffsverständnisses der Innovationsfähigkeit ein Hauptproblem vor: die undifferenzierte und unklare Konzeption der Begrifflichkeiten. Zunächst sind die Begriffsdefinitionen in diesem Zusammenhang vor allem zirkulär, d.h. die Innovationsfähigkeit wird als eine eigenständige Fähigkeit definiert, bestehend aus anderen Fähigkeiten des Unternehmen, die wiederum durch ein Bündel weiterer Fähigkeiten erklärt werden. 325 Williamson vermerkt zu der Definition von Teece: „(…) it comes perilously close to saying that a core competence is a competence that is core“326. Bei genauerem Untersuchen der Definitionen scheint, dass es vielfach reicht, den Fähigkeitsbegriff umfassend genug anzulegen, um jedes beobachtbare Handeln und Handlungsergebnis damit zu erklären. Denn letztlich wird die Innovationsfähigkeit als Bündel an Ressourcen und Fähigkeiten zusammen-gefasst, inklusive der Nutzung und Allokation dieser sowie des geeigneten Wandels der vorhergehenden Ressourcen und Fähigkeiten. Deshalb entsteht ein abstruses Bild der bisherigen Forschung zu dem Thema. In einigen Arbeiten werden bestimmte Elemente wie selbstverständlich zur Innovationsfähigkeit zusammengefasst, wohingegen in vielen quantitativen Arbeiten genau diese Elemente als Einflussfaktoren auf die Innovationsfähigkeit modelliert werden.327 Somit bleibt unklar, was genau das Konstrukt der Innovationsfähigkeit ausmacht und was sie genau beeinflusst. Darüber hinaus werden auch die Implikationen für die Ausgestaltung der Innovationsfähigkeit unkonkret gehalten. Wenngleich die kompetenzbasierte Literatur Anregungen gibt, welche Mechanismen hinter der Innovationsfähigkeit liegen, können diese schwer im Unternehmen nutzbar gemacht werden.328 So bleibt unbeantwortet, wann im Einzelnen die bestehenden Kompetenzen einfach nur angewendet werden müssen und wann es Zeit für den Wandel dieser Kompetenzen ist. 329 Demnach 325 Vgl. Moldaschl (2006), S. 3; Williamson (1999), S. 1093. Williamson (1999), S. 1093. 327 Siehe 2.2.3.3 und 2.2.3.4. 328 Vgl. Cohen & Levinthal (1990); Kogut & Zander (1992); Leonard-Barton (1992); Eisenhardt & Martin (2000). 329 Erste Ansätze dazu finden sich lediglich bei Eisenhardt & Martin (2000), wobei auch hier die Frage der exakten Anwendung im Unternehmen unbeantwortet bleibt. 326 67 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen werden Kernkompetenzen unter bestimmten Umständen zu Kernhindernissen, aber wie man rechtzeitig eingreift und konkret einwirkt, wird nicht diskutiert. 330 Kogut & Zander verweisen z.B. auf organisatorische Prinzipien, die eine Entwicklung der kombinativen Fähigkeiten erleichtern, indem die Kommunikation und Kooperation gefördert wird. 331 Nicht deutlich wird aber, welche organisatorischen Prinzipien konkret gemeint sind. Zu unkonkret fällt an dieser Stelle auch die Unterscheidung zwischen Ressourcen und Fähigkeiten aus. Einerseits gelten Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten als zentrale Ressourcen, andererseits auch als Kompetenzen, diese Ressourcen zu kombinieren und effizient zu nutzen.332 Unzureichend erklärt wird letztlich, wie man die Innovationsfähigkeit im Zusammenhang mit anderen Kernkompetenzen des Unternehmens begreift. Dabei geht nicht hervor, ob sie als Ergebnis vorhandener Kernkompetenzen entsteht oder sie eine eigenständige Kernkompetenz darstellt, die mit den anderen Kernkompetenzen im Austausch ist. An dieser Stelle wird folgendes Vorgehen zur Verbesserung des Verständnisses der Innovationsfähigkeit vorgeschlagen: Ausgangspunkt bei der Betrachtung bleibt, dass es sich bei der Innovationsfähigkeit um eine Metafähigkeit handelt, die auf einzelne Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens zurückgreift, diese mobilisiert und anpasst, um entsprechend den Markterfordernissen Innovationen, sei es radikaler oder inkrementeller Natur, auf dem Markt zu etablieren.333 Daher wird in der vorliegenden Arbeit argumentiert, dass eine generelle Unterscheidung zwischen Inputfaktoren oder Fähigkeiten erster Ordnung, Faktoren, die den eigentlichen zugrundeliegenden Mechanismus beschreiben, sowie Outputfaktoren, also die Innovationen selbst, stattfinden muss. Zusätzlich bietet sich eine Beachtung von Hygiene- bzw. Kontextfaktoren an. Inputfaktoren sind die Ressourcen und Kompetenzen, welche die Grundlage für die Innovationsfähigkeit darstellen. Sie sind wie Zutaten eines Rezeptes, ohne die es nicht zu einem weiteren Vorgang kommen kann. Diese dienen zur Darstellung der eigentlichen Qualität des Innovationsprozesses. Da das Innovationsmanagement viele verschiedene Schnittstellen im Unternehmen hat, ist es letztlich nur eine logische Konsequenz, dass diese Prozesse im Unternehmen bereits effektiv und effizient durchgeführt werden, um erfolgreich Innovationen auf den Markt zu bringen. Sicherlich liegt es nahe, verschiedene Ressourcen und Kompetenzarten der Innovationsfähigkeit zuzuordnen, da Innovationen auf Grundlage des Zusammenwirkens verschiedener Unternehmensbereiche entstehen. Ohne Zweifel ist es daher von Be- 330 Vgl. Leonard-Barton (1992), S. 111. Vgl. Kogut & Zander (1992), S. 391f. 332 Vgl. Un & Montoro-Sanchez (2010), S. 417f. 333 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 62f.; Yalcinkaya et al. (2007), S. 63. 331 68 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen deutung, Marketing- und Technologiekompetenzen aufzuweisen, denn sonst könnte man weder entsprechende Informationen über mögliche Kundenbedürfnisse generieren noch diese technologisch umsetzen. Die Inputfaktoren allein sagen aber noch zu wenig über die Innovationsfähigkeit aus. Um bei der Analogie der Zutaten des Rezeptes zu bleiben, müssen eben diese Zutaten ausgewählt und verarbeitet werden, um zu einem Ergebnis zu kommen. Damit lässt sich ableiten, dass das Unternehmen naturgemäß in der Lage sein muss, diese Prozesse sinnvoll auszugestalten bzw. die Ressourcen zu nutzen und zu wandeln.334 Die ressourcentheoretischen Arbeiten geben dazu erste Einblicke und beschreiben den eigentlichen Kern der Innovationsfähigkeit. Dieser Mechanismus wird weitestgehend durch die Kompetenznutzung und -anpassung sowie den Kompetenzwandel beschrieben. Im Ergebnis entstehen dann inkrementelle oder radikale Innovationen.335 Unternehmensstruktur und -kultur sind ebenso als Treiber der Innovationsfähigkeit zu nennen, ohne diese jedoch an sich auszumachen. Es ließe sich beispielsweise vermuten, dass derartige Faktoren nicht automatisch zur Innovationsfähigkeit gehören, aber dennoch wie eine Art Hygienefaktor wirken und damit Einfluss auf das Ergebnis des Innovationsprozesses ausüben.336 Denkbar wäre sicher eine moderierende Rolle dieser Einflussfaktoren, z.B. je offener und risikofreudiger ein Unternehmen ist, desto besser können unter bestimmten Voraussetzungen (dem Vorhandensein einer stark ausgeprägten Innovationsfähigkeit) Innovationen hervorgebracht werden. Eine ausführliche Darstellung und Begründung dazu erfolgt nochmals in 2.3, wo auch das in dieser Arbeit vorliegende Verständnis der Innovationsfähigkeit erläutert wird. (2) Die Inkonsistenz der Definitionsversuche spiegelt sich in den Operationalisierungen wider. Wenngleich ähnliche Definitionsversuche vorliegen, existiert nicht annähernd ein einheitliches Konstrukt zur Messung und Operationalisierung. Naturgemäß sind Fähigkeiten an sich keine greifbaren und quantifizierbaren Konstrukte, die sich direkt messen lassen. Nichtsdestotrotz erfolgt die Auswahl der Elemente, die zur Operationalisierung herangezogen werden, scheinbar willkürlich (siehe auch Kapitel 2.2.3.3). Oftmals begnügen sich die Veröffentlichungen mit ausgewählten Mechanismen, andere wiederum ziehen fast alle möglichen Unternehmens- 334 Vgl. Teece (2007), S. 1320. Vgl. Jansen et al. (2006), S. 1661; Atuahene-Gima (2005), S. 63. 336 Vgl. Hurley et al. (2005), S. 45. 335 69 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen faktoren heran.337 Derartig unterschiedliche Vorgehensweisen machen eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse fast unmöglich. Eher enttäuschend sind ebenso die Versuche der kompetenzbasierten Forschung, die Innovationsfähigkeit zu operationalisieren. Die viel beachtete Arbeit von Cohen & Levinthal zieht zur Messung der absorptiven Fähigkeiten die F&E-Ausgaben als Indikator heran.338 Henderson & Cockburn operationalisieren die „Component Competence“ durch den Bestand an Patenten und für die „Architectural Competence“ die Bedeutung von Veröffentlichungen bei der Auswahl von neuem Personal.339 Zur Erinnerung: Diese Arbeiten versuchten, höchst komplexe und bedeutende Kompetenzmechanismen zu erklären. Bei einer derart simplen Operationalisierung bleibt offen, wozu überhaupt der Kompetenzbegriff herangezogen wird. Patente sind zwar eine objektive Größe in der Messung, aber sie können nicht Prozesse der Wissensmobilisierung und -schaffung sowie andere Resultate der Innovationsfähigkeit erklären. Einige Forscher und Unternehmen gehen sogar soweit, dass sie Patente als unwichtig für Innovatoren erachten.340 Teilweise werden Operationalisierungen gewählt, die nicht in der Lage sind zu klären, ob ein Unternehmen mehr Innovationen hervorbringt als andere. Wenn die wenigen aufgenommenen Bestandteile der Innovationsfähigkeit nicht einer sinnvollen ergebnisorientierten Variable gegenübergestellt werden, kann keine Aussage über die Validität der Ergebnisse getroffen werden und es muss angezweifelt werden, dass die Ergebnisse überhaupt brauchbar in diesem Forschungsfeld sind. Luo & Bhattacharya benutzen so z.B. Qualitätsscores von Produkten und Dienstleistungen. 341 Die Qualität eines Produktes sagt jedoch nicht aus, ob es sich um eine Innovation handelt oder nicht. Des Weiteren gibt es Veröffentlichungen, die die Innovationsfähigkeit erwähnen und diese über das Ergebnis anhand von Patenten oder der Anzahl an Innovationen messen, aber eine theoretisch fundierte Untermauerung dieses Vorgehens schuldig bleiben. Der Begriff der Fähigkeit oder Kompetenz wird insofern zu wahllos eingesetzt.342 Die vorgeschlagenen Theorien zur Exploitation und Exploration sind bisweilen durchaus geeignet, um verschiedene kompetenzbasierte Faktoren zu integrieren. 337 Siehe zum Beispiel Albornoz & Yoguel (2004); Yam et al. (2004); Rackensperger (2008); Sammerl (2006). 338 Vgl. Cohen & Levinthal (1990), S. 138. 339 Vgl. Henderson & Cockburn (1994), S. 68f. 340 Vgl. Adams et al. (2006), S. 26. 341 Vgl. Luo & Bhattacharya (2006), S. 6. 342 Siehe Albornoz & Yoguel (2004); Chen & Wang (2008); Faber & Hesen (2004); Greve (2007); Hsieh & Tsai (2007); Kochhar & David (1996); Lages et al. (2009); Nassimbeni (2001); O'Connor (2008); Oltra & Flor (2003); Prajogo & Ahmed (2006). 70 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Vielfach wurde zudem nachgewiesen, dass Kompetenzexploration eng mit dem Generieren von radikalen Innovationen verbunden ist, wohingegen Kompetenzexploitation mit den inkrementellen Innovationen in Zusammenhang steht. 343 Analog zu den Vorschlägen unter dem ersten Diskussionspunkt können auch hier wiederum Vorschläge zu verbesserten Operationalisierungen gemacht werden. Um Aussagen über die allgemeine Qualität des Innovationsprozesses zu machen und einzelne Elemente zu überprüfen, bietet sich eine Betrachtung der Inputfaktoren an. Diese sollten dann jedoch nicht nur auf einzelne beschränkt werden, sondern in einem gesamten System untersucht werden. Die eigentliche Innovationsfähigkeit kann mit Hilfe der Elemente Exploitation und Exploration untersucht werden, um abzubilden, wie genau Innovationen entstehen. Das Innovationsergebnis ist letztlich beschränkt geeignet, um die Innovationsfähigkeit zu analysieren, sagt jedoch nichts über den langfristigen Wettbewerbsvorteil aus. Wenn nur eine Momentaufnahme erforderlich ist, ist es daher durchaus angebracht, ergebnisorientierte Variablen, wie den Anteil am Umsatz mit neuen Produkten, die Anzahl der Innovationen generell oder der Innovationsleistung, im Vergleich zum Wettbewerb heranzuziehen. Kommt es zudem zu einer Einteilung der Innovationen nach Neuartigkeit, werden Erkenntnisse über die Bedeutung der hervorgebrachten Innovationen gewonnen. Zukünftigen Forschungsvorhaben bleibt die Chance, kompetenzbasierte Ansätze mit Erkenntnissen aus Team- und Organisationsforschung der Innovationsliteratur, aber auch mit der Theorie der organisationalen Ambidextrie zu integrieren. Die bisher identifizierten Faktoren geben Aufschluss über Praktiken und Prozesse im Unternehmen, die Innovationen erleichtern und ermöglichen. Damit ließen sich auch Mechanismen in der Förderung der Innovationsfähigkeit des Unternehmens verstehen. Darüber hinaus könnten sie erklären, wie die Fähigkeit, Wissen zu mobilisieren sowie zu generalisieren, im Zuge des Innovationsmanagements entwickelt und gewandelt wird. Dieses Vorgehen würde zudem Zugang zu empirisch belegten Prozessen und Praktiken liefern. (3) Die Modellversuche weisen teilweise starke Schwachstellen auf, was Kontrollund Moderatorvariablen angeht. Oftmals wurden Kontrollvariablen nicht in den Artikeln erklärt, was auf eine Nichtbeachtung dieser schließen lässt. 344 Wie viele Artikel besonders im Bereich der Erfolgsfaktoren gezeigt haben, liegen firmen- und 343 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 77; Subramaniam & Youndt (2005), S. 452f.; Menguc & Auh (2010), S. 822. 344 Vgl. Akman & Yilmaz (2008); Alegre et al. (2005); Calantone et al. (2002); Hurley et al. (2005); Oltra & Flor (2003). 71 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen branchenspezifische Faktoren vor, die das Innovationsergebnis beeinflussen. 345 Erfolgt nun eine Operationalisierung ausschließlich mit Hilfe von ergebnisorientierten Variablen, müssen geeignete Kontroll- oder Moderatorvariablen hinzugezogen werden. Diesen Tatbestand verdeutlicht das Beispiel der Messung mit dem Anteil neuer Produkte am Umsatz. In diesem Fall können enorme branchenspezifische Eigenschaften die Aussagefähigkeit beeinflussen. Handelt es sich um eine Branche mit schnelllebigen Konsumgütern wird der Anteil an neuen Produkten weitaus größer sein als in einer Branche, die langlebige Investitionsgüter herstellt. Vergleichbar sind die Ergebnisse erst, wenn diese Faktoren berücksichtigt werden. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass nur wenige Autoren, die Innovationsfähigkeit von Unternehmensexternen untersuchen lassen, sondern meist nur auf Unternehmensvertreter zurückgreifen. Diese können unter Umständen Messfehler verursachen, weil sie nicht realitätsgetreu die Innovativität des Unternehmens einschätzen.346 Nur selten wird der Innovationsfähigkeit eine moderierende Rolle zugesprochen oder diese eben als unabhängige Variable modelliert. Es ist naheliegend, dass dies in einem nächsten Schritt in der Innovationsforschung vorgenommen wird, um abschließend den Zusammenhang zwischen Innovationsforschung und Wettbewerbsvorteil klären zu können. 2.3 Verständnis der Innovationsfähigkeit in dieser Arbeit Aufbauend auf Kapitel 2.1 zu den grundlegenden Begriffen von Innovationen und Fähigkeiten als spezielle Ressourcen des Unternehmens sowie auf Kapitel 2.2, welches die in der Literatur bestehenden Konzepte der Innovationsfähigkeit eingehend diskutiert, wird anschließend die hier angewandte Sichtweise der Innovationsfähigkeit beschrieben. Das Ziel besteht darin, die hier genutzte Konzeption der Innovationsfähigkeit vorzustellen, welche in der anschließenden empirischen Arbeit genutzt wird. Dabei wird nicht angestrebt, ein neues Konzept aufzustellen. Vielmehr werden, im Zuge der Kritik an bestehende Literatur, bisherige Forschungsansätze zusammenhängend dargestellt und integriert. Zunächst werden dazu die Implikationen aus der ressourcenorientierten Forschung dargestellt, um in einem zweiten Schritt diese Sichtweise mit den Ergebnissen aus der Diskussion der Forschung zur Innovationsfähigkeit zu verknüpfen. 345 346 Vgl. Vgl. Enders et al. (2009), S. 20; Reger (2001), S. 533. Siehe dazu auch Homburg & Klarmann (2009), S. 147. 72 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Ressourcentheorie als Ausgangsbasis Wie in Kapitel 2.1 thematisiert, werden Innovationen ganz allgemein als Implementierung neuer oder signifikant verbesserter Produkte verstanden. Damit beschreibt die Innovationsfähigkeit die Fähigkeit, eben diese innovativen Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Die ressourcentheoretischen Erkenntnisse haben eine Unterscheidung zwischen Ressourcen, Fähigkeiten, Kern- und Metafähigkeiten vorgenommen, weshalb eine Einordnung der Innovationsfähigkeit in diese Ressourcenarten erfolgt. 347 Die bestehenden bisherigen Managementkonzepte der Innovationsfähigkeit sowie die Ressourcentheorie selbst bieten Ansatzpunkte für diese Einordnung.348 Das Ergebnis der Literaturanalyse legt nahe, dass es sich bei der Innovationsfähigkeit um ein „(…) unternehmensspezifisches, sozial komplexes und interdependentes Ressourcen- und Fähigkeitsgefüge“349 handelt, welches auf komplexen Prozessen und Routinen beruht, die wiederum auf die „(…) Interaktion und Zusammenarbeit von einer Vielzahl von Mitarbeitern aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen“350 zurückgreifen. Damit zeigt sich bereits, dass die Innovationsfähigkeit eine besondere Fähigkeit darstellt, die über eine reine funktionale Fähigkeit hinausgeht. Sie ist vielmehr eine Fähigkeit zweiter Ordnung, da sie andere Ressourcen und Fähigkeiten nutzt. Autoren haben oftmals hervorgehoben, dass die Innovationsfähigkeit nicht nur andere Fähigkeiten nutzt, sondern diese einem Wandel unterzieht, um immer aktuelle Innovationen auf den Markt zu bringen.351 Damit wird die Innovationsfähigkeit als Metafähigkeit definiert. Dies ist im Einklang mit der Ressourcentheorie, in der die Innovationsfähigkeit als bestes Beispiel für eine Metafähigkeit hervorgehoben wird.352 So argumentiert Rasche: „Die Innovationsfähigkeit manifestiert sich in der kreativen Applikation bestehender Kernfähigkeiten auf neue Aktivitätsfelder. Darüber hinaus ist die Innovativität häufig das Resultat einer modularen Kombination bereits existierender Kernfähigkeiten zu neuartigen Problemlösungen, die einen einzigartigen Kundennutzen stiften.“353 Damit wird der Vorschlag aus der Diskussion der Ergebnisse aufgegriffen, wo bezüglich der Innovationsfähigkeit zwischen Inputfaktoren, d.h. Ressourcen und ande- 347 Vgl. Freiling (2002), S. 22ff.; Rasche (1994), S. 92ff.; Bürki (1996), S. 47, 56. Siehe Ausführungen in Kapitel 2.1.2.3 und 2.2.3.4. 349 Sammerl (2006), S. 154. 350 Sammerl (2006), S. 154. 351 Vgl. Henderson & Cockburn (1994), S. 61; McGrath (2001), S. 118; Atuahene-Gima (2005), S. 61. 352 Vgl. Rasche (1994), S. 161. 353 Rasche (1994), S. 161. 348 73 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen ren Kompetenzen erster Ordnung, dem eigentlichen Mechanismus, demnach die Innovationsfähigkeit als Fähigkeit zweiter Ordnung und dem Ergebnis der Innovationsfähigkeit, den Innovationen, unterschieden wird. Fähigkeiten erster Ordnung als Grundlage der Innovationsfähigkeit Wie bereits in Kapitel 2.2.3.3 erläutert, konzeptionalisiert der Großteil der Autoren die Innovationsfähigkeit als Bündel anderer im Unternehmen bestehender Ressourcen und Fähigkeiten, d.h. den Fähigkeiten erster Ordnung. 354 Guan & Ma operationalisieren auf diese Weise die Innovationsfähigkeit anhand der Lern-, F&E-, Produktions-, Marketing-, Organisations-, Ressourcenexploitations- und strategischen Fähigkeit.355 In diesem Zusammenhang wählt Danneels nur die Kunden- und Technologiekompetenz aus.356 Diese Konzeptionalisierungsart ist nicht ausreichend, weil sie stark die Wirkungsweise der Innovationsfähigkeit vereinfacht und der eigentliche Kern der Innovationsfähigkeit nicht erfasst wird. Letztlich greift die Innovationsfähigkeit lediglich auf diese Kompetenzen erster Ordnung zurück. Dies bedeutet, dass eine Anhäufung an bestimmten Ressourcen und Kompetenzen, wie sie in der Forschung vor allem im Zuge der Erfolgsfaktorenforschung vorkommt, nicht ausreicht, um erfolgreich Innovationen hervorzubringen. Unternehmensbeispiele wie die von Kodak und Nokia machen deutlich, dass die bestehenden Ressourcen nicht immer Erfolg garantieren.357 Nur eine erfolgreiche Nutzung und Erneuerung dieser Fähigkeiten nach den Erfordernissen des Marktumfeldes sichern langfristig eine intelligente Produktentwicklung. 358 Somit sind die Operationalisierungen über funktionale Fähigkeiten nur Behelfskonstruktionen, die nicht hinreichend in der Beschreibung der Innovationsfähigkeit sind. Diese Konzeptionalisierungsart wird daher nicht angestrebt. Innovationsfähigkeit als Metafähigkeit Demnach bleibt zu klären, wie sich die Innovationsfähigkeit als Fähigkeit zweiter Ordnung konzeptionalisieren lässt. Einige Autoren wählen bereits diese direkte Konzeptionalisierung über die zentralen Mechanismen der Innovationsfähigkeit. Daher sind die Ausführungen von Henderson & Cockburn, March, Teece, Atuahene-Gima und Yalcinkaya et al. treffend, da sie die Hauptmechanismen der Innovationsfähigkeit als Metafähigkeit beschreiben, ohne auf die einzelnen funktionalen Kompetenzen einzugehen. Trotz 354 Siehe dazu die ausführliche Darstellung in 2.2.3.3. Vgl. Guan & Ma (2003), S. 745. 356 Vgl. Danneels (2002), S. 1102. 357 Vgl. Carp (2004), S. 46f; Kirsch et al. (2006). 358 Vgl. dazu auch Burmann (2002), S. 114f. 355 74 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen unterschiedlicher Nuancen in der Ausgestaltung der Innovationsfähigkeit, haben alle Konzeptionalisierungen gemeinsam, dass sowohl die entsprechende Nutzung und Integration der bestehenden Ressourcen- und Kompetenzbasis als auch die Anpassung und Wandlung dieser beschrieben werden.359 March brachte erstmals die Unterscheidung zwischen der reinen Nutzung oder Exploitation von bestehenden Ressourcen sowie der Erneuerung der Ressourcen als Exploration in die Betrachtung. 360 Gedanklich darauf aufbauend verknüpfen Kogut & Zander und Henderson & Cockburn diese Eigenschaften mit dem Hervorbringen von Innovationen und schaffen damit die Ausgangsbasis für die Betrachtung der Innovationsfähigkeit. 361 Beide unterscheiden zum einen Basisressourcen und -fähigkeiten sowie Fähigkeiten, eben diese zu nutzen und anzupassen. 362 Im Ergebnis entstehen dann Innovationen, also eine vollständige gedankliche Kette wie sie bereits von Freiling in der Ressourcentheorie aufgegriffen wurde. 363 Eisenhardt & Martin kommen in diesen Zusammenhang zu der Schlussfolgerung, dass die „Produktinnovation“ eine dynamische Fähigkeit ist.364 Je nach Marktdynamik variiert die Innovationsfähigkeit von stabilen Prozessen bei moderater Dynamik, die die bestehende Ressourcenbasis nutzt, bis hin zu kreativen Neuerungen bei stark wandelnder Umwelt.365 Folglich unterstützen auch sie die Unterscheidung zwischen Exploitation und Exploration je nach den Erfordernissen der Dynamik des Marktumfeldes. Bestätigt werden diese Autoren durch die empirischen Arbeiten von Atuahene-Gima und Yalcinkaya et al.366 Diese Unterscheidung manifestiert darüber hinaus den dynamischen Aspekt. Bestehende Ressourcen werden in Abhängigkeit zu Umweltveränderungen entwickelt, um einen ständigen Abgleich sicherzustellen. Exploitation beruht auf kleinen Veränderungen in bestehenden Technologien. Damit weicht sie nur wenig von bestehenden Erfahrungen, die Kundenbedürfnisse zu erfüllen, ab. Nichtsdestotrotz findet eine fortlaufende inkrementelle Anpassung der Kompetenzen statt. Im Gegensatz sind die fundamentalen Veränderungen in Technologien oder Marktbearbeitung bei der Exploration stark ausgeprägt.367 Die veränderten Aktivitäten sind auf aufkom- 359 Vgl. March (1991), S. 72; Henderson & Cockburn (1994), S. 65; Kogut & Zander (1992), S. 385; Atuahene-Gima (2005), S. 63; Yalcinkaya et al. (2007), S. 66. 360 Vgl. March (1991), S. 72. 361 Vgl. Kogut & Zander (1992), S. 385; Henderson & Cockburn (1994), S. 65. 362 Vgl. Kogut & Zander (1992), S. 385; Henderson & Cockburn (1994), S. 65. 363 Vgl. Freiling (2002), S. 24, siehe Kapitel 2.1.2.3. 364 Vgl. Eisenhardt & Martin (2000), S. 1111. 365 Vgl. Eisenhardt & Martin (2000), S. 1115. 366 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 79; Yalcinkaya et al. (2007), S. 83ff. 367 Vgl. Yalcinkaya et al. (2007), S. 67. 75 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen mende neue Kunden zurückzuführen und bieten neuen Nutzen. 368 In beiden Fällen werden die Ressourcen und Prozesse dynamisch transformiert. Weiterhin stehen Exploitation und Exploration in enger Beziehung zueinander. 369 Unternehmen stehen vor der Herausforderung, beide Teilkompetenzen auszubilden, um nachhaltigen Erfolg zu sichern. Eine zu starke Fokussierung auf Exploitation führt laut March zu einem Mangel an neuartigen Ideen und neuartigem Wissen, die Input für Produktinnovationen darstellen.370 Gleichermaßen führt eine Explorationsorientierung zu hohen Kosten und Ausführung riskanter und neuer Ideen, ohne gleichzeitig die bestehenden Kompetenzen weiterzuentwickeln.371 Zudem besteht die Gefahr neue Produkte nicht ausreichend genug zu entwickeln und deren Fit zu Kundenbedürfnissen zu überprüfen. Die gleichzeitige Exploitation kann diese Mangelerscheinung beheben, indem neue Ideen effizienter assimiliert und bewertet werden.372 Insgesamt neigen Unternehmen eher dazu, eine dominierende Rolle der Kompetenzausschöpfung auszubilden, da die Ergebnisse der Exploration unsicher und zeitlich verzögert auftreten.373 Die Herausforderung für Unternehmen liegt in der Ausgestaltung beider Teilkompetenzen, wobei dies nicht bedeutet, dass eine hohe Kompetenzausschöpfung und eine hohe Kompetenzexploration zum gewünschten Ergebnis führen.374 Diese Konzeption steht auch im engen Bezug zur der Theorie der organisationalen Ambidextrie. Diese beschreibt die Fähigkeit von Unternehmen gleichzeitig effizient und flexibel zu sein.375 Dazu müssen sie einerseits bestehende Geschäftsfelder ausrichten sowie nutzen („Alignment“) und andererseits Anpassungen im Zuge von Umfeldveränderungen („Adapations“) vornehmen. 376 Demzufolge gehen Tushman & O'Reilly (1996) davon aus, dass erfolgreiche Unternehmen eben die Fähigkeit besitzen, sowohl inkrementellen als auch radikalen Wandel zu implementieren.377 Darin ist der deutliche Bezug zur Innovationsfähigkeit zu sehen, der es im Sinne der vorliegenden Konzeption gelingt, beide Arten von Wandel anhand der Mechanismen Exploitation und Exploration umzusetzen. Inkrementeller Wandel kann mit Hilfe der Exploitation gestaltet werden, die bestehende Produkte und Prozesse in ihrer Effizienz verbessert. Exploration gestaltet den radikalen Wandel und beruht auf Anpassungen an Umfeldveränderungen. Die hier verwendete Konzeption der 368 Vgl. Danneels (2002), S. 1108. Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 62; March (1991), S. 72. 370 Vgl. March (1991), S. 72. 371 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 62. 372 Vgl. Danneels (2002), S. 1106. 373 Vgl. March (1991), S. 72. 374 Vgl. Atuahene-Gima (2005), S. 62. 375 Vgl. Gibson & Birkinshaw (2004), S. 209. 376 Vgl. Tushman & O'Reilly (1996), S. 8. 377 Vgl.. Tushman & O'Reilly (1996), S. 8. 369 76 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Innovationsfähigkeit steht somit im Einklang den Erkenntnissen aus der organisationalen Ambidextrie. Mit Hilfe dieser Eigenschaften lassen sich viele Erkenntnisse aus der Erfolgsfaktorenforschung besser einordnen. Vielfach dienen deren identifizierte Faktoren zu einer sinnvollen Balance zwischen den beiden Innovationsmechanismen und sind in der Lage, das Aufkommen von Kernhindernissen zu vermeiden. Zusammenhang zwischen Mechanismen der Innovationsfähigkeit und dem Innovationsergebnis Die beiden Mechanismen sind darüber hinaus grundlegend in der Klärung, welche Art der Innovation entsteht und stehen damit in Bezug zu den zentralen Erkenntnissen aus Kapitel 1.1.1.2. Wie dort dargelegt, sind inkrementelle Innovationen die Weiterentwicklung bestehender Produkte, Dienstleistungen und Prozesse. 378 Damit kann die Fähigkeit, inkrementelle Innovationen hervorzubringen als Fähigkeit Innovationen zu generieren, die bereits existierende Produkte weiterentwickelt und festigt, bezeichnet werden.379 Analog dazu sind radikale Innovationen grundlegende Veränderungen bisheriger Produkte, Dienstleistungen und Prozesse oder Technologien, die bestehendes Wissen im Unternehmen sowie teilweise der gesamten Branche überflüssig machen.380 Folglich kann die Fähigkeit, radikale Produkte zu generieren als eine solche verstanden werden, die bestehende Produkte und Dienstleistungen transformiert.381 Diese zugrundeliegenden Unterscheidungen zwischen den inkrementellen und radikalen Innovationsfähigkeiten sind ferner im Zusammenhang mit Ressourcen und Wissen des Unternehmens und damit ebenso mit Exploitation und Exploration in Verbindung zu bringen. Gatignon et al. beobachten, dass inkrementelle Innovationen auf der Verbesserung und Ausschöpfung bestehender technologischer Bahnen beruhen, wohingegen radikale Innovationen einen bestehenden Technologiepfad unterbrechen.382 Gleichermaßen schlussfolgern Abernathy & Clark, dass inkrementelle Innovationen auf die Anwendung bestehenden Wissens zurückgreifen und radikale Innovationen den bisherigen Wert einer Wissensbasis zerstören.383 Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass die inkrementelle Innovationsfähigkeit auf Exploitation beruht, indem sie sich auf vorherrschendes Wissen bezieht und im Ergebnis Innovationen entstehen, die auf diesem Wissen beruhen und verbessert wurden. Exploration macht somit die radikale Innovationsfähigkeit 378 Vgl. Ettlie (1983), S. 37. Vgl. Subramaniam & Youndt (2005), S. 452. 380 Vgl. Chandy & Tellis (2000), S. 2. 381 Vgl. Subramaniam & Youndt (2005), S. 452. 382 Vgl. Gatignon et al. (2002), S. 1107. 383 Vgl. Abernathy & Clark (1985), S. 5. 379 77 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen aus, die auf umgewandelten Ressourcen beruht und Innovationen generiert, die vorherrschende Technologien und Wissen veralten lassen.384 Wenngleich das Innovationsergebnis direkt die Innovationsfähigkeit widerspiegelt, reicht eine reine Betrachtung des Ergebnisses nicht aus, um Aufschluss über die Innovationsfähigkeit zu erhalten. Da es sich bei dem Innovationsergebnis nur um eine Momentaufnahme handelt, gibt es nicht die eigentliche Fähigkeit im Zeitverlauf wieder. Damit kann nicht geklärt werden, wie ausgeprägt die dynamische Komponente ist und ob im Fall von disruptiven Entwicklung wirklich Anpassungen der Grundkompetenzen vorgenommen werden. So wäre beispielsweise denkbar, dass gute Innovationsergebnisse erzielt werden, jedoch bei Veränderungen der Marktbedingungen das Unternehmen nicht entsprechend reagiert. Dann wäre die Innovationsfähigkeit nicht gut ausgeprägt, obwohl vorab gute Ergebnisse erzielt wurden. Zusammenfassend lassen sich damit die zwei Kernmechanismen Exploitation und Exploration zur Beschreibung der Innovationsfähigkeit definieren und dienen im Fortgang der Arbeit zur Konzeption der Innovationsfähigkeit. Die einzelnen Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens gehören demnach nicht ohne weiteres zur eigentlichen Innovationsfähigkeit, sondern dienen als Inputfaktoren. Das Ergebnis in Form von Innovationen ist zwar eng mit der Innovationsfähigkeit verknüpft, kann aber nicht alle Mechanismen beschreiben. Diese Zusammenhänge sind in Abb. 2-8 abgebildet. Die Abbildung verdeutlicht nochmals die Funktion der Innovationsfähigkeit als Fähigkeit zweiter Ordnung, die auf die Ressourcen, Fähigkeiten und Kernkompetenzen des Unternehmens zurückgreift und diese nutzt. Gleichzeitig ist sie in der Lage Veränderungsprozesse im Unternehmen durch einen Wandel der Kompetenzbasis einzuleiten. Nutzt sie vor allem bestehende Ressourcen, Fähigkeiten und Kernkompetenzen handelt es sich um Exploitation, die durch inkrementelle Innovationen am Markt sichtbar wird. Kommt es hingegen zur Exploration und damit einer veränderten Kompetenzbasis, entstehen radikale Innovationen. 384 Vgl. Subramaniam & Youndt (2005), S. 452. 78 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen Innovationsfähigkeit kann Wandel der Kompetenzbasis in Gang setzen Freie Faktormärkte Inputgüter Unternehmen Ergebnis am Markt Isolations- und Veredelungsmechanismen Innovationsfähigkeit Ressourcen Fähigkeiten Nutzen der Ressourcen Kernkompetenzen Erreichen eines Wettbewerbsvorteils Exploitation Inkrementelle Innovationen Exploration Radikale Innovationen Innovationsfähigkeit greift auf Ressourcen, Fähigkeiten und Kernkompetenzen zurück Abb. 2-8: Konzeption der Innovationsfähigkeit in der Arbeit (Quelle: Eigene Darstellung) 2.4 Fazit Ausgangspunkt des vorliegenden Kapitels war die Frage, wie sich die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens definieren lässt und welche Gestaltungsmerkmale sie aufweist. Diese Frage wurde beantwortet, indem zunächst die Grundlagen zu Innovationen, Innovationsarten und dem ressourcenorientierten Ansatz erläutert wurden und anschließend eine Analyse der bestehenden Literatur durchgeführt wurde. Zunächst wurden dabei grundlegende Definitionen zu Innovationen und Innovationsarten aufgezeigt, da sie die Basis für die Innovationsfähigkeit bilden. Eine zusammenfassende Darstellung der Erkenntnisse findet sich in Abb. 2-9. Weiterhin wurde festgestellt, dass in den untersuchten Literaturbeiträgen die Innovationsfähigkeit oftmals ähnlich definiert wird, jedoch vielfältige und oftmals unzureichende Operationalisierungen gewählt werden. Für die vorliegende Ableitung des Verständnisses der Innovationsfähigkeit wurden daher die zentralen Erkenntnisse der Beiträge in Ergebnisse des ressourcenorientierten Bereiches, der Rahmenmodelle und der Forschung zu Einflussfaktoren auf die Innovationsfähigkeit unterteilt. Als zentrale Erkenntnis kann insgesamt, trotz aller Defizite in Definitionen und Umsetzung, festgehalten werden, dass die Innovationsfähigkeit auf zwei grundlegende Mechanismen beruht. Zum einen müssen bestehende Kompetenzen oder Wissen bzgl. der Produkte genutzt und zum anderen gleichzeitig erneuert werden, in Ab79 Merkmale und Konzepte der Innovationsfähigkeit von Unternehmen hängigkeit von der Dynamik der Umwelt. Darüber hinaus ist nicht nur das Vorhandensein dieser beiden Kompetenzarten von Bedeutung, sondern auch ein geeigneter Ausgleich, um die Wandlung von Kernkompetenzen zu Kernhindernissen zu verhindern. Dieser Mechanismus beinhaltet ebenso die absorptiven Fähigkeiten des Unternehmens, denn zur erfolgreichen Balance dieser zwei Fähigkeiten, müssen externe Informationen im Unternehmen assimiliert und verarbeitet werden. Innovation Implementierung neuer oder signifikant verbesserter Produkte (Güter oder Dienstleitungen), Prozesse, neuer Marketingmethoden, oder neuer Organisationsmethoden im Unternehmen und seinem Umfeld Innovationsarten nach Neuheitsgrad Radikal Inkrementell • wirken sich auf mehrere Dimensionen in der Makro- und Mikroumwelt aus und führen zu gravierenden Veränderungen sowohl in der Branche und beim Kunden als auch im Unternehmen • Beruhen auf der Unternehmensseite auf neuartigen, gewandelten Kompetenzen (zerstören den Wert der bisherigen Kompetenzbasis • Produkte mit neuen Features, Nutzen oder Verbesserungen bestehender Produkte in bereits existierenden Märkten. Sie wirken sich hauptsächlich auf die Mikroperspektive aus • Beruhen auf der Unternehmensseite auf gestärktem und ausgebautem Know-how sowie Fähigkeiten Innovationsfähigkeit • Fähigkeit des Unternehmens neue Ideen, Prozesse oder Strukturen erfolgreich umzusetzen und zu implementieren • Beruht einerseits auf der Fähigkeit bestehende Kompetenzen, Wissen und Know-how in Bezug auf neue Produkte zu nutzen und andererseits auf der Fähigkeit, neue Kompetenzen, Wissen und Know-how zu schaffen (in Abhängigkeit zu den internen und externen Bedingungen); und anschließend in Innovationen umzusetzen Abb. 2-9: Zentrale Erkenntnisse aus dem Kapitel (Quelle: Eigene Darstellung) Insgesamt erscheinen die identifizierten Einflussfaktoren auf die Innovationsfähigkeit sehr divers, jedoch ist erkennbar, dass organisatorische Prozesse im Unternehmen ausschlaggebend für den verhältnismäßigen Einsatz von Exploitation und Exploration sind. Daher wird im Anschluss ein Instrument vorgestellt, welches zukunftsbezogene Informationen aufnimmt und aufbereitet, um im Unternehmen entsprechende Wandlungsprozesse einzuleiten. Dieses Instrument, die strategische Frühaufklärung, wurde bereits in der Literatur zur Stärkung der Innovationsfähigkeit hervorgehoben. Es wird deswegen im anschließenden Kapitel vorgestellt. Anschließend sollen denkbare Einflussmöglichkeiten auf die Innovationsfähigkeit modelliert werden, um eine Grundlage für die empirische Untersuchung zu schaffen. ( O'Connor (2008)), (Dervits iotis (2010a), (20 10b); E isenhardt & Martin (2000); H urley et al. (2005); Ko gut & Zander (1992); Siguaw et al. (2 006); Spur (201 0); Teece (2007); Tura & Harmaakorpi (2005); A dams et al. (2006); Capaldo (2007); Capaldo et al. (2003) ; Car penter et al. (2 003); Danneels (2002); Forsman (2009); Lawso n & Samson (200 1); Leonard-Barton (19 92); O'Co nnor & DeMartino (2 006); Pulkkanen et al. (200 4); Schreiner (2006); Story et al. (2009); Un (2002); Verona & Ravasi (200 3); Wang et a l. (2008); A kman & Yilmaz (2008); A lborno z & Yoguel (2 004); Alegre et al. (2 005); A tuahene-Gima (2005); Calantone et al. (2002); Ca kar & Ertürk (2010); Cavusg il et al. (2003); Chen & Wang (2008); Cohen & Levinthal (199 0); Dutta et al. (200 5); Faber & Hesen (2004); Furman et al. (2002); Greve (2007); Guan & Ma (2003); Hagedoorn & Duy sters (2002); Henderson & Coc kburn (1994) ; Hsieh & Tsai (2007); Hu & Mathews (2008) ; Hult & Ketchen, JR. (2 001); Hurley & Hult (199 8); Kochhar & David (1996); Lages et al. (200 9); Lin et al. (201 0); Luo & Bhattachary a (2006); Nassimbeni (2001); Oltra & Flor (2003); Paladino (20 07); Penner-Hahn & Shaver (2005); Persaud (2005); Prajogo & Ahmed (2006); Quintana-Garci-a & Benavides-Velasco (2008), (2004); Romijn & Albaladejo (2002); Stuart & Podolny (1996); Subramaniam & Youndt (2005); Yalc in kay a et al. ( 2007); Yam et al. (2004); Zaheer & Bell (2005); Zhao et al. (200 5)) 80 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung 3 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung 3.1 Grundverständnis 3.1.1 Definition der strategischen Frühaufklärung „Das waren herrliche Zeiten für jene tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten. Alles was sie außer einen Kompass benötigten, waren eine Krawatte, ein Schal und eine Brille. An der Art, wie der Schal flatterte, konnten sie Geschwindigkeit und Seitenwind abschätzen. Hing die Krawatte schräg, musste die Kurvenlage korrigiert werden, und beschlug die Brille, dann zeigte dies baldigen Regen oder Nebel an – und die Notwenigkeit, schleunigst zu landen. Denn Fliegen konnte man eigentlich nur bei schönem Wetter, aber dann war es wunderbar. Welch wehmütige Gedanken mögen Piloten von damals befallen, wenn sie die Fliegerei von heute betrachten? Statt himmlischer Freiheit hoch entwickelte Flugapparate, staatliche Flugüberwachung und in den Cockpits ein kompliziertes System von Schaltern und Instrumenten; dafür aber auch die Möglichkeit, mit Schallgeschwindigkeit durch Nacht und Nebel über Weltmeere und Kontinente zu fliegen, unversehrbare Zwischenfälle zu meistern und dennoch pünktlich und sicher anzukommen – ein Fortschritt für alle Beteiligten, mit Ausnahme vielleicht der Piloten. Nostalgische Gefühle mögen auch aufkommen, wenn man die heutige Art der Unternehmensführung mit jener früherer Zeiten vergleicht. Auch hier eine zunehmende Verwissenschaftlichung, auch hier eine ständige Verfeinerung der Führungssysteme und Instrumente. Und der vorläufig letzte Schritt in diese Richtung ist die Entwicklung eines systematischen Instrumentariums für das Strategische Management eines Unternehmens. Die Gründe für ein Strategisches Management sind ebenso häufig beschrieben worden wie die Skepsis jener, die ihre Unternehmen und Geschäftsbereiche bisher „mit Schal und Krawatte“ erfolgreich geführt haben. Das Instrument der Portfolio-Analyse hat viel dazu beigetragen, dass die Idee eines Strategischen Managements in der Praxis zunehmend an Boden gewinnt. Man lernt in der Praxis, „nach Instrumenten zu fliegen“, und das weckt den Wunsch nach weiteren Instrumenten, insbesondere nach einer Art „Radar“, der aufkommende Probleme möglichst früh sichtbar macht. Freilich schreckt man auch vor einem unübersichtlichen „Cockpit“ mit allzu viel Instrumenten zurück. Wenige aber vielseitige Instrumente wären ideal, und natürlich sollten diese Instrumente darüber hinaus nicht die Fähigkeit verkümmern lassen, notfalls auch „mit Krawatte und Schal fliegen“ zu können. 81 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Doch treiben wir die Analogie nicht zu weit. Wir wollen im vorliegenden Beitrag diskutieren, welche Anforderungen an eine Strategische Frühaufklärung zu richten sind, damit sie die Funktionen eines „Radars“ zu erfüllen vermag.“385 Wie Kirsch bereits Ende der 70er Jahre feststellte, besteht gemeinhin in Unternehmen der Wunsch, dem Komplexitätszuwachs des Unternehmensumfeldes durch frühzeitiges Abbilden von Chancen und Risiken gerecht zu werden.386 Im Zuge von kürzeren Produktlebenszyklen, der Globalisierung von Märkten und Technologien und der Verbreitung von Innovationen und neuen Techniken, wird es für Unternehmen zum Überlebensfaktor, Umbrüche im Unternehmensumfeld frühzeitig zu erkennen und schneller als der Wettbewerb mit neuen Strategien, Produkten und Prozessen zu reagieren. 387 Jedoch gehen mit diesem Wunsch die Abkehr von der üblichen Prognosementalität und die Forderung nach einer Frühaufklärung einher, um eine Auseinandersetzung mit möglichen Zukünften durchzusetzen. Ian Wilson, der Leiter der Strategieabteilung von GE, fasst diese Forderung wie folgt zusammen: „Was wir im Zeitalter des radikalen Wandels benötigen, ist der Gebrauch von Vorhersagen als einen Weg, um Zeit zu kaufen, um Gefahren aufzuspüren, bevor sie unhandbar werden und um Gelegenheiten zu erfassen, bevor sie verloren gehen.“388 Damit rückt der Wettbewerbsfaktor Zeit in den Fokus von Unternehmen mit dem Ziel, die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens sichtlich zu verbessern. 389 Strategische Frühaufklärung dient in diesem Zusammenhang als Basis für zeitgerechtes, strategisch orientiertes Handeln.390 „Sie öffnet Möglichkeiten für ein zeitgerechtes Handeln: Nutzung der Vorteile des Ersteintretenden in einen Markt, frühzeitige Erkennung von Krisensituationen bei Partnern, frühzeitige Einstellungen auf neue technische Normen oder gesetzliche Regelungen, Identifikation von zu erwartenden Verbraucherbedürfnissen usw.“391 385 Diese Geschichte stammt vollständig aus Kirsch & Trux (1979), S. 47. Vgl. Müller-Stewens & Müller (2009), S. 239. 387 Vgl. Reger (2001), S. 533; Cravens et al. (2009), S. 32; Albach (1979), S. 11f. 388 Wilson (1973), S. 39. 389 Vgl. Krystek (2006), S. 175; Niemeyer (2004), S. 132. 390 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (2006), S. 175; Loew (1999), S. 20; Burmeister (2002), S. 44. 391 Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 5. 386 82 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Demnach müssen Unternehmen frühzeitig auf inkrementelle Veränderungen, aber eben auch auf radikale Veränderungen des Unternehmensumfeldes reagieren. 392 Rohrbeck (2010) geht sogar so weit, das Scheitern von Unternehmen mit der Unfähigkeit, rechtzeitig auf Umweltveränderungen zu reagieren, zu begründen. 393 Um sich konkreter diesem Themengebiet anzunähern, erscheint es zunächst zweckmäßig, die strategische Frühaufklärung eindeutig zu bestimmen. Daher muss eine angemessene Definition festgelegt werden. Jedoch zeigt die Forschung der strategischen Frühaufklärung, dass vielschichtige Definitionsversuche in diesem Bereich vorliegen und sich keine einheitliche Begriffsbestimmung durchsetzen konnte. 394 Die einzelnen Autoren setzen unterschiedliche Schwerpunkte und stellen die strategische Frühaufklärung als System, als Prozess oder Fähigkeit dar. 395 Trux et al. (1985) definieren die strategische Frühaufklärung als ein System, in welchen „(…) Gefahren und Gelegenheiten in der strategischen Zukunft des sozioökonomischen Feldes bereits zum Zeitpunkt ihres – auch inhaltlich noch unstrukturierten – Entstehens aufgespürt und weiter beobachtet werden, ihre Ursachen und Zusammenhänge erforscht werden, ihre Relevanz, relativiert an den Stärken und Schwächen einer Unternehmung, beurteilt wird, neuentstandene, zukünftige Chancen und Risiken signalisiert werden und mögliche (Kontingenz) Strategien zum Auf- und Ausbau dauerhafter Wettbewerbsvorteile entworfen und bewertet werden“396. Krystek & Müller-Stewens (1993) konstatieren, dass die strategische Frühaufklärung über ein reines Instrumentarium hinausgeht, denn es wird mit einer eigenen Denkhaltung verbunden, die den theoretischen Rahmen für die Handhabung strategischer Informationen bildet.397 Darüber hinaus existieren Definitionsansätze, die die strategische Frühaufklärung entweder als Prozess398 oder Fähigkeit399 beschreiben.400 Müller & Müller-Stewens (2009) weisen darauf hin, dass es sich um „(…) einen „systematisch-partizipatorischen strategischen Unternehmensprozess [mit dem Ziel, Anmerk. des Verf.] die strategische Entscheidungsfindung im Unterneh- 392 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 1, 5. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 5. 394 Vgl. Kuhn & Ruff (2007), S. 304. 395 Vgl. Trux et al. (1985), S. 347f.; Becker (2002), S. 7; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7; Slaughter (1998), S. 382; Rohrbeck (2010), S. 12; Wiedemann & Ries (2007), S. 286. 396 Trux et al. (1985), S. 347f.. 397 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 162. 398 Vgl. Becker (2002), S. 7; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7. 399 Vgl. Slaughter (1998), S. 382; Rohrbeck (2010), S. 12. 400 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 12. 393 83 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung men (…) zu unterstützen“401, handelt. Rohrbeck (2010) hingegen definiert die strategische Frühaufklärung als Fähigkeit des Unternehmens. Diese Fähigkeit beinhaltet alle strukturellen und kulturellen Unternehmensfaktoren, um diskontinuierlichen Wandel frühzeitig aufzuspüren und die Konsequenzen für das Unternehmen zu interpretieren, um letztlich Reaktionsstrategien für den anhaltenden Erfolg des Unternehmens zu sichern.402 Dieser erste Diskurs macht bestehende Unterschiede deutlich. In diesem Zusammenhang distanzieren sich Krystek & Müller-Stewens (1993) bewusst von einer „harten Definition (…), da die Meinungen, was darunter zu verstehen ist, zu sehr auseinander gehen“403. Trotz der erwähnten Differenzen in den Definitionsversuchen lassen sich grundlegende Wesensmerkmale hinsichtlich der zentralen Elemente und Aktivitäten einer strategischen Frühaufklärung bestimmen, die als Ausgangsbasis für eine Arbeitsdefinition dienen sollen. Diese wurden von Nick treffend verdichtet und dienen als Ausgangspunkt der anschließenden Betrachtung. 404 Anders als andere Autoren verweist Nick hierbei nicht auf eine kurze Definition, sondern nähert sich umfassend anhand der verschiedenen Eigenschaften einer Arbeitsdefinition.405 Dieses Vorgehen ist einmalig in der wissenschaftlichen Diskussion zur Definition der Frühaufklärung und wird hier als Referenzvorgehen erachtet, welches nachfolgend seinen Einsatz finden soll. Die zentralen Elemente unterteilen sich in ein komplex-dynamisches Umfeld, der Informationsgenerierung und den Reaktionsstrategien und werden in Abb. 3-1 dargestellt. Im Folgenden werden die Elemente kurz erklärt, um darauf aufbauend eine Arbeitsdefinition der strategischen Frühaufklärung abzuleiten. 401 Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 12. 403 Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 2. 404 Vgl. Nick (2008), S. 17ff. 405 Vgl. Nick (2008), S. 17ff. 402 84 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Komplexdynamisches Umfeld Umfeldturbulenzen Diskontinuitäten Schwache Signale Trends Informationsgenerierung Issues Chancen Gefahren Willensbildung Reaktionsstrategien & Handlung Entscheidung Handlung Abb. 3-1: Zentrale Bestimmungselemente der strategischen Frühaufklärung (Quelle: Nick (2008), S. 17) Komplex-dynamisches Umfeld Das Unternehmensumfeld kann laut Mintzberg durch die Dimensionen Komplexität und Dynamik bestimmt werden.406 Dadurch ergeben sich die folgenden Umwelttypen: einfach-statisch, einfach-dynamisch, komplex-statisch sowie komplexdynamisch.407 Ein komplex-dynamisches Umfeld zeichnet sich durch eine Vielartigkeit von Umwelteinflüssen und deren schnellem Wandel aus: Eine erhöhte Kom- 406 Vgl. Mintzberg (1979), S. 87; siehe dazu auch Ansoff (1979), S. 31f., der die Umwelt durch die Faktoren Geschwindigkeit, Komplexität, Intensität und Neuartigkeit des Unternehmenswandels beschreibt. Siehe auch Zimmermann (1992), S. 45f. 407 Vgl. Mintzberg (1979), S. 87. 85 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung plexität bedeutet, dass immer mehr Umfeldbereiche auf das Unternehmen Einfluss ausüben.408 Die erhöhte Dynamik zeigt sich in der Geschwindigkeit der Veränderung.409 Gleichzeitig sinkt die Vertrautheit mit den Ereignissen des Unternehmensumfeldes, wodurch das Unternehmen neuen Themenfeldern und diskontinuierlichen Entwicklungen gegenübersteht. 410 Eine diskontinuierliche Entwicklung oder kurz Diskontinuität stellt eine strategische Umweltveränderung411 dar, „(…) die in ihrer Art und Wirkungsweise völlig neuartig, nahezu nicht vorhersagbar und bedeutend für die Unternehmen sind.“412 Unternehmen befinden sich heute in einem zunehmend komplex-dynamischen Umfeld.413 Die einzige Möglichkeit den neuartigen Herausforderungen zu begegnen, besteht in der Identifikation und Handhabung dieser Herausforderungen, was jedoch gleichzeitig ein tiefergehendes Verständnis der Umformungen impliziert. Genau dies ist Aufgabe der strategischen Frühaufklärung.414 Ziel ist es dabei nicht, verlässliche Prognosen über die Turbulenzen zu erstellen, die ohnehin aufgrund des erheblich verkürzten Prognosezeitraums nicht möglich wären, sondern sich den möglichen Entwicklungen der Zukunft schrittweise zu nähern.415 Diese Annäherung bildet den Ausgangspunkt für eine gestaltbare Zukunft.416 Informationsgenerierung Ein zentrales Element der strategischen Frühaufklärung stellt die Informationsgenerierung über die Entwicklungen in der komplex-dynamischen Umwelt dar. 417 Bei der Informationsgenerierung bildet die Wahrnehmung von schwachen Signalen den Ausgangspunkt der Betrachtung. 418 Schwache Signale sind erste Vorboten für Diskontinuitäten.419 Diese werden im Unternehmen weiter untersucht, um zu klären, ob sie sich zu Trends und Issues verdichten. 420 Als Issues werden dabei alle Entwick- 408 Vgl. Müller (1981), S. XXI, 5. Vgl. Hungenberg (2006), S. 89. 410 Vgl. Liebl (2000), S. 10. 411 Laut Bea & Haas (2009), S. 300 lassen sich zwei Arten von Umweltveränderungen unterscheiden: Operative Umweltveränderungen sind leicht vorherzusagen und in ihrer Wirkungsweise bekannt, damit ist auch das Reaktionsmuster erprobt. Strategische Umweltveränderungen, sogenannte Diskontinuitäten treten erstmals auf und die Wirkungsweise und Reaktionsmöglichkeiten sind unbekannt. 412 Bea & Haas (2009), S. 300. 413 Vgl. Liebl (2000), S. 10; Hazebrouck (1998), S. 1. 414 Vgl. Ansoff (1980), S. 134. 415 Vgl. Horton (1999), S. 7; Hazebrouck (1998), S. 1. 416 Vgl. Liebl (2000), S. 17; Hahn (1979), S. 25. 417 Vgl. Horton (1999), S. 6; Hauff (2009), S. 1; Konrad (1991), S. 49. 418 Vgl. Krystek (2006), S. 181. 419 Vgl. Ansoff (1975), S. 23. 420 Vgl. Nick (2008), S. 20. 409 86 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung lungen des Unternehmensumfeldes erklärt, die einen signifikanten Einfluss auf den künftigen Unternehmenserfolg ausüben. 421 Ein Issue stellt ein künftiges Ereignis dar, welches noch nicht hinsichtlich seines Chancen- oder Risikocharakters bewertet ist.422 Sie verfügen meist schon über definierte Komponenten und einen Deutungsrahmen. Trends bilden in diesem Zusammenhang einen Issue in vorgelagerter Form, d.h. in „embryonalem Zustand“423, da sie über diese Komponenten und Deutungsrahmen nicht verfügen müssen.424 Sobald ein Abgleich mit den unternehmenseigenen Stärken und Schwächen erfolgt, bilden sich die Issues zu realen Chancen und Gefahren heraus.425 Die strategische Frühaufklärung soll demnach aus den lückenhaften, schwer interpretierbaren Informationen aus dem Umfeld weitere Ableitungen treffen. 426 Mit der Verfahrensweise der strategischen Frühaufklärung zur Informationsgenerierung ergeben sich nichtsdestotrotz unüberwindbare Schwächen des Instruments. 427 Die strategische Frühaufklärung muss Informationen über die Umwelt erheben und auswerten, ohne vorab Erkenntnisziele zu definieren.428 Darüber hinaus wird aufgrund der Informationsflut nur ein Teil der verfügbaren Informationen beachtet. Daher ist die entsprechende Filterung der Informationen Teil der Informationsgenerierung der strategischen Frühaufklärung, was jedoch eine Nichtbeachtung bestimmter Trends zur Folge hat.429 So schlussfolgert Hauff, dass eine „(…) vollständige Abdeckung aller potentiellen Risiken bzw. Chancen nicht möglich ist, da zum einen Früherkennungssysteme nicht in der Lage sind, die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zum anderen stets auf der subjektiven Interpretation von Ursachen-Wirkungszusammenhängen beruhen.“430 Trotz dieser umfassenden Kritik liegen die Chancen einer strategischen Frühaufklärung darin, den Horizont potentieller Entwicklungen eröffnen zu können, wenn man sich deren Grenzen bewusst ist und die Fehler zumindest ein Stück weit in Kauf nimmt. 431 Basierend auf diesen Informationen werden dann Reaktionsstrategien formuliert und die Handlung eingeleitet.432 421 Vgl. Liebl (2000), S. 15. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 195f. 423 Liebl (2003), S. 63. 424 Vgl. Liebl (2000), S. 66; siehe auch Kuhn & Ruff (2007), S. 309, die einen Trend als „Leitideen und verdichtete Beschreibungen“ verstehen. 425 Vgl. Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 192. 426 Vgl. Liebl (2000), S. 20. 427 Vgl. Aguilar (1967), S. 8ff. 428 Vgl. Aguilar (1967), S. 1; Nick (2008), S. 20. 429 Vgl. Trux et al. (1985), S. 344; Liebl (2003), S. 66f; Krystek (2006), S. 181. 430 Hauff (2009), S. 34. 431 Vgl. Hauff (2009), S. 36. 432 Vgl. Hauff (2009), S. 36. 422 87 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Reaktionsstrategien oder Handlungseinleitung Die Informationsgenerierung über mögliche Chancen und Risiken alleine würde einer Nutzung des gewonnenen Handlungsspielraumes nicht helfen. 433 Da die strategische Frühaufklärung auf die proaktive Gestaltung der Zukunft abzielt, müssen die identifizierten Chancen genutzt und Gefahren abgewendet werden. 434 Dies ist nur mit Reaktionsstrategien und anschließenden Handlungen möglich. 435 In diesem Zusammenhang dient die strategische Frühaufklärung zur Willensbildung, um zunächst die Notwendigkeit zum Handlungsbedarf auszuprägen. 436 Anschließend wird dann die Entscheidungsfindung unterstützt. 437 In der vorherrschenden Wissenschaft wird indes die Diskussion geführt, ob die Ableitung von Reaktionsstrategien und die Handlungseinleitung Bestandteil der strategischen Frühaufklärung sind. Einige Autoren, wie z.B. Bea & Haas und Hazebrouck, sehen die Hauptfunktion in der Informationsgenerierung, wohingegen z.B. Krystek & Müller-Stewens und Hammer explizit das Ableiten von Handlungen anführen.438 Eine ausführliche Darstellung dieser Diskussion erfolgt in 3.2.4. Hier wird insgesamt die Meinung einer umfassenden Frühaufklärung vertreten, die nicht nur die Informationsgenerierung, sondern ebenso die Ableitung von Reaktionsstrategien und die Einleitung von Handlungen versteht. Definition der strategischen Frühaufklärung Aus den vorangegangen Bestimmungselementen der strategischen Frühaufklärung wird nun die Definition der strategischen Frühaufklärung für den weiteren Verlauf der Arbeit abgeleitet. Die beschriebenen Elemente machen zusammenfassend folgendes deutlich: Unternehmen agieren zunehmend in einem komplex-dynamischen Umfeld und versuchen durch strategische Frühaufklärung Informationen für die daraus resultierenden Chancen und Risiken hervorzubringen. Diese Informationen fließen anschließend in die Willensbildung im Unternehmen ein, um Entscheidungen zu treffen und letztlich Handlungen auszulösen, die auf die wahrgenommenen Veränderungen reagieren. Strategische Frühaufklärung umfasst in diesem Zusammenhang alle Aktivitäten, die den beschriebenen Prozess durchführen. Folglich kann strategische Frühaufklärung folgendermaßen definiert werden: 433 Vgl. Gomez (1983), S. 52; Gruber & Venter (2006), S. 960. Vgl. Gomez (1983), S. 11; Hines (2006), S. 21; Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 192. 435 Vgl. Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193; Horton (1999), S. 6. 436 Vgl. Roll (2004), S. 195; Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 192. 437 Vgl. Müller-Stewens & Müller (2009), S. 248. 438 Bea & Haas (2009), S. 324f.; Hazebrouck (1998), S. 72; Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 21; Hammer (1988), S. 253. 434 88 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Unter strategischer Frühaufklärung werden im Folgenden alle systematischen Aktivitäten einer Unternehmung verstanden, die durch Informationsgenerierung darauf abzielen, relevante Veränderungen im komplex-dynamischen Umfeld zu identifizieren und zu verarbeiten, um den Handlungsspielraum für das Unternehmen zu vergrößern und Reaktionen im Sinne von Handlungen zu initiieren. Es wird an dieser Stelle darauf verzichtet, die Diskussion um die strategische Frühaufklärung als Prozess oder Fähigkeit, wie sie bereits in der Literatur getätigt wurde, fortzuführen.439 Diese Unterscheidung ist zwar nicht unwesentlich, weist jedoch einige Überschneidungen auf. Wird die strategische Frühaufklärung als Prozess verstanden, bedeutet dies folglich nicht, dass eine gewisse Antizipationsfähigkeit im Unternehmen nicht existiert. 440 Im Gegenteil, bei erfolgreichem Durchlaufen des Prozesses und Gestaltung der strategischen Frühaufklärung, kann davon ausgegangen werden, dass ein Unternehmen die „Fähigkeit“ besitzt, schwache Signale wahrzunehmen und zu verwenden. 441 Das Gleiche gilt für die Definition als Fähigkeit, die zwangsläufig nicht ohne einzelne sukzessive Arbeitsabläufe auskommen wird (die wiederum als Prozess zusammengefasst werden können). 442 Die gewählte Definition zeigt darüber hinaus, dass vor allem eine Betrachtung der rationalen strategischen Frühaufklärung erfolgt. Lasinger (2011) ist der Auffassung, dass strategische Frühaufklärung intuitiv erfolgen kann, d.h. schwache Signale werden durch einzelne Mitarbeiter intuitiv aufgenommen. 443 Es besteht grundsätzlich kein Zweifel daran, dass dies in Unternehmen auftritt, jedoch wird eine Untersuchung dieser Form nicht angestrebt. Im Fokus stehen alle bewusst ausgeführten Aktivitäten des Unternehmens. Insgesamt machen die Ausführungen auch deutlich, dass die Frühaufklärung an sich kein komplett neuer Ansatz im Unternehmen ist. So zielen verschiedene Aktivitäten bereits darauf ab, vorzeitig Veränderungen aufzuspüren. Neu ist in diesem Zusammenhang die Zusammenfassung unter einem einheitlichen Konzept, um auch die verschiedenen Koordinationsmechanismen im Unternehmen, die eine Nutzung der Aktivitäten möglich machen, einzubeziehen. So stellen Kuhn & Ruff fest: 439 Vgl. dazu Becker (2002), S. 7; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7; Slaughter (1998), S. 382; Rohrbeck (2010), S. 12. 440 Vgl. Burmeister et al. (2004), S. 15. 441 Vgl. Krystek (2006), S. 183. 442 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 87. 443 Vgl. Lasinger (2011), S. XXI. 89 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung „Zukunfts- bzw. Trendforschung bezeichnet (…) keine klar umrissene wissenschaftliche Disziplin, sondern ein relativ junges und sich dynamisch weiterentwickelndes Mosaik an Tätigkeitsfeldern.“444 Um das Grundverständnis der strategischen Frühaufklärung abzurunden, sind neben der Arbeitsdefinition die Leitgedanken und die damit verbundene Denkhaltung der strategischen Frühaufklärung sowie Unterscheidungsmerkmale verschiedener Frühaufklärungsansätze von zentraler Bedeutung. Diese werden in anschließenden Kapiteln behandelt. 3.1.2 Leitgedanken der strategischen Frühaufklärung 3.1.2.1 Die dritte Variable als Störgröße invarianter Kausalbeziehungen Die Drittvariablen sind Störfaktoren, die bisherige Entwicklungen im Unternehmensumfeld brechen und stellen einen wichtigen Ausgangspunkt für die Denkhaltung der strategischen Frühaufklärung dar. 445 Die Betriebswirtschaft verfolgt allgemeinhin das Ziel Wirkungszusammenhänge aufzuklären 446. Zu diesem Zweck wird die Beziehung zwischen Variablen untersucht, um Ursache-WirkungsZusammenhänge zu bestimmen.447 Klassische Prognoseverfahren verfolgen ähnliche Ziele und sind auf das Erkennen von Invarianzen, d.h. Gesetzmäßigkeiten zwischen zwei Variablen, ausgerichtet. In diesem Zusammenhang beabsichtigen sie Aussagen der Form: Wenn Variable x eintrifft, wird y folgen. 448 Leider funktionieren derartige Gesetzmäßigkeiten nur in der Naturwissenschaft, wie Galtung feststellte, jedoch nicht in den Sozialwissenschaften.449 Soziale Realitäten verlaufen nicht nach festen Gesetzmäßigkeiten ab. Vielmehr treten sogenannte Drittvariablen ein, die störend auf bisher stabile Wirkungszusammenhänge wirken und zu einem Bruch der Invarianz führen können. In diesem Fall tritt eine Diskontinuität ein, d.h. bisher kontinuierliche Entwicklungen werden durchbrochen. 450 Die sozialen Realitäten wirken sich auch auf Unternehmen aus.451 Daher ist es für Unternehmen von Relevanz, Drittvariablen möglichst früh zu erkennen, um sich auf die möglichen 444 Kuhn & Ruff (2007), S. 304. Vgl. Müller (1981), S. 33. 446 Kirsch et al. (2006), S. 3. 447 Vgl. Kirsch et al. (2006), S. 2. 448 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 163; Kirsch & Trux (1979), S. 52. 449 Vgl. Galtung (1978), S. 120f. 450 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 163. 451 Vgl. Kirsch et al. (2006), S. 5f. 445 90 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Veränderungen einzustellen. 452 Hier setzt auch der Leitgedanke der strategischen Frühaufklärung an. Krystek & Müller-Stewens definieren in diesem Zusammenhang zwei wesentliche Funktionen der strategischen Frühaufklärung: Die Aufdeckung möglicher Kausalbeziehungen und die Identifizierung von Drittvariablen, die möglicherweise bestehende Invarianzen brechen können. 453 Kirsch et al. (2006) ergänzen zudem, dass die strategische Frühaufklärung versucht, Restvarianzen zu erklären. Dabei werden die Ausnahmen auf Gemeinsamkeiten geprüft, die wiederum als Hinweise auf schwache Signale für mögliche, zukünftige Störungen der bisher gültigen Invarianz geben. Damit stellen Restvarianzen wichtige Indizien für das Aufkommen von Drittvariablen dar, deren Einfluss mit strategischer Frühaufklärung beobachtet werden sollte.454 Zusammenfassend lässt sich entsprechend feststellen, dass Drittvariablen maßgebliche Auslöser für Diskontinuitäten darstellen. Wie in der Definition aus 3.1.1 beschrieben dient strategische Frühaufklärung dazu, eben diese Diskontinuitäten aufzuspüren und zu beschreiben. Daher verdeutlicht das Konzept der Drittvariablen lediglich, wie strategische Frühaufklärung dieser Aufgabe gerecht wird, nämlich indem es Diskontinuitäten anhand der beschriebenen Drittvariablen und Restvarianzen aufdeckt. Das Konzept der Drittvariablen ist eng mit dem der schwachen Signale verwandt, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. 3.1.2.2 Konzept der schwachen Signale Das Konzept der schwachen Signale ist auf Ansoffs Arbeiten aus den 70er Jahren zurückzuführen und beeinflusste maßgeblich die strategische Frühaufklärung.455 Ausgangspunkt des Konzeptes, ähnlich wie bei dem Konzept der Drittvariablen, bildet die Überlegung, dass Diskontinuitäten, d.h. der Bruch der Invarianzen, durch schwache Signale eingeleitet werden.456 Schwache Signale sind aber in diesem Fall, anders als bei den Drittvariablen, nicht die Ursache für das Brechen der Invarianz, sondern erste Hinweise auf den möglichen Strukturbruch. Ansoff stützt sein Konzept auf drei Haupterkenntnisse:457 452 Vgl. Kirsch et al. (2006), S. 6. Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 164. 454 Vgl. Kirsch et al. (2006), S. 6. 455 Vgl. Ansoff (1975), S. 23; Ansoff (1984), S. 22; Bea & Haas (2009), S. 322; Müller (1981), S. 36. 456 Vgl. Ansoff (1975), S. 23. 457 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 324. 453 91 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung (1) Diskontinuitäten treten nicht plötzlich auf Unternehmen werden von strategischen Überraschungen heimgesucht, die mit Diskontinuitäten im Unternehmensumfeld einhergehen. 458 Strategische Überraschungen werden als plötzliche, unvorhersagbare und neuartige Veränderungen im Unternehmensumfeld bezeichnet, die einen substantiellen Einfluss auf die Gewinngrößen des Unternehmens ausüben.459 Die dadurch ausgelösten Diskontinuitäten stellen ein Ereignis dar, „(…) durch welches ein Strukturbruch oder eine Unstetigkeit hinsichtlich des Systemzustandes ausgelöst wird.“460. Sobald die Diskontinuität nicht vorhersagbar war, geht sie mit einer strategischen Überraschung einher. 461 Jene Überraschung kann somit nur als solche bezeichnet werden, wenn eine Abweichung der von dem Unternehmen antizipierten Faktoren eintritt, ohne dass diese Abweichung erkannt wurde. 462 Ansoff argumentiert nun, dass es möglich ist, sich auf die von strategischen Überraschungen ausgelösten Diskontinuitäten einzustellen, da diese von schwachen Signalen angekündigt werden. 463 (2) Schwache Signale müssen identifiziert und verarbeitet werden Diese schwachen Signale sollten möglichst früh erkannt werden, da das Unternehmen dann Reaktionsstrategien formulieren kann.464 Krystek (2006) fasst zusammen: „Sie [gemeint sind die schwachen Signale, Anmerk. des Verf.] gilt es frühzeitig zu erfassen, da dann die Manövrierfähigkeit der Unternehmung noch am größten ist, sich jedoch im Zeitablauf bei gleichzeitiger Häufung entsprechender Signale zunehmend verringert“465. Jedoch zeichnen sich schwache Signale dadurch aus, dass sie eher qualitativer Natur sind und meist schlecht strukturierte Informationen abbilden. 466 Dadurch ergeben sich gerade anfangs für das Unternehmen widersprüchliche Aussagen, die nur schwer interpretierbar sind.467 Insgesamt hängt der Unsicherheitsgrad eines schwachen Signals von der Frühzeitigkeit ab, denn je früher ein schwaches Signal erkannt 458 Vgl. Ansoff (1975), S. 22. Vgl. Ansoff (1979), S. 186; Ansoff (1984), S. 24. 460 Müller (1981), S. 37. 461 Vgl. Liebl (2000), S. 17; Roll (2004), S. 26. 462 Vgl. Müller (1981), S. 38. 463 Vgl. Ansoff (1975), S. 22. 464 Vgl. Ansoff (1975), S. 26. 465 Krystek & Müller-Stewens (2006), S. 180. 466 Vgl. Ansoff (1975), S. 23. 467 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 324. 459 92 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung wird, desto unsicherer ist das Eintreten der Diskontinuität.468 Ansoff unterscheidet dabei drei Grade der Unsicherheit: 1. Anzeichen der Bedrohung oder Chance sind vorhanden, es verbreitet sich die Überzeugung, dass eine Diskontinuität bevorsteht. 2. Die Ursachen der Bedrohung oder Chance sind sichtbar. 3. Die Wirkungen der Bedrohung oder Chance machen sich im Zahlenwerk des Unternehmens bemerkbar.469 Ansoff spricht auch von einem hohen Stadium der Ignoranz bei erstmaligem Auftreten eines schwachen Signals.470 Diese Ignoranz wird erst im Zeitverlauf durch Konkretisierung der Information abgebaut. Die Theorie der schwachen Signale bildet für die strategische Frühaufklärung die Grundlage. 471 Ihre Aufgabe besteht darin, die schwachen Signale zu erkennen und zu erfassen, indem kontinuierlich das Unternehmensumfeld untersucht wird und identifizierte Signale weiterverfolgt werden.472 Frühaufklärung führt aber nur dann zum Erfolg des Unternehmens, wenn Reaktionen auf die schwachen Signale im Unternehmen eingeleitet werden. (3) Abgestufte Reaktionsstrategien sind die Antwort auf schwache Signale Da der Unsicherheitsgrad der Informationen im Zeitverlauf abnimmt und sich damit eine zunehmende inhaltliche Klarheit einstellt, schlägt Ansoff die Strategie der abgestuften Reaktion vor.473 Diese sieht vor, dass ein konkreter Informationsgehalt eine konkrete Reaktionsstrategie erfordert. Daher unterteilt Ansoff, je nach Unsicherheitsgrad, die Reaktionsstrategien in drei Kategorien: Strategien der Wahrnehmung, Strategien zur Steigerung der Flexibilität und Strategien zur gezielten Reaktion auf Chancen und Risiken.474 Zusätzlich unterscheidet er danach, ob eine Maßnahme auf die Beziehung zur Umwelt oder auf das eigene Unternehmen abzielt.475 In Tab. 3-1 findet sich eine Übersicht der möglichen Reaktionsstrategien mit Beispielen. 468 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 326. Vgl. Ansoff (1984), S. 22. 470 Vgl. Ansoff (1975), S. 24. 471 Vgl. Liebl (1996), S. 26. 472 Vgl. Jossé (2004), S. 184; Bea & Haas (2009), S. 325. 473 Vgl. Ansoff (1975), S. 27. 474 Vgl. Ansoff (1975), S. 27. 475 Vgl. Rauscher (2004), S. 20. 469 93 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Reaktions- Strategie der strategie Wahrnehmung Reaktionsgebiet Beziehung zur Umwelt Interne Perspektive Strategie zur Steigerung der Flexibilität Strategie der gezielten Reaktion Beobachtung der Umwelt Externe Flexibilität Externe Aktion (Strategische Planung und Durchführung) z.B. Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung, des Absatzes, der strukturellen/ technologischen/ sozialen/politischen Entwicklung z.B. Diversifizierung des Unternehmensrisikos, Begrenzung des Risikoumfanges Selbstbeobachtung Interne Flexibilität Interne Bereitschaft (Kontingenzplanung) z.B. Optimierung des Portfolios der Geschäftseinheiten, Erhöhung der Reaktionsgeschwin digkeit durch Lean Management, Flexibilisierung der Fertigungssysteme und des Arbeitseinsatzes z.B. Wettbewerbsund ProduktMarktstrategien, Ausschöpfen finanzieller und personeller Ressourcen, Erwerb von Technologien, Wissen, Fähigkeiten, Anpassung der Strukturen und Systeme z.B. StärkenSchwächen-Analyse, Ergebnisanalyse, Finanzierungs- und strategische Modelle, Benchmarking z.B. Risikoteilung mit anderen Unternehmen, Sicherung des Zugangs zu Ressourcen, Desinvestition, Eindringen in neue Märkte Tab. 3-1: Zulässige Reaktionstypen nach Ansoff (Quelle: Ansoff (1975), S. 26) Das Vorgehen unterscheidet sich insofern von bisherigen Planungsansätzen, dass die vorliegende Information die Entscheidung im Unternehmen beeinflusst und nicht die Entscheidung die geforderte Information bestimmt. 476 Zweck der strategischen Frühaufklärung bildet in diesem Zusammenhang die Schaffung der geeigneten Informationsbasis.477 Ansoff fasst diese Aufgabe wie folgt zusammen: „The approach is to treat the problem before the fact, minimize the probability of strategic surprise: to prepare in such way, that by the time it strikes, a strategic discontinuity has lost its suddenness, urgency, and unfamiliarity.“478 476 Vgl. Rauscher (2004), S. 22. Vgl. Jossé (2004), S. 185. 478 Ansoff (1976), S. 131. 477 94 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Das Konzept der schwachen Signale bildet somit einen der Ausgangspunkte für die Betrachtung der strategischen Frühaufklärung im Unternehmen. Ansoff hat mit diesem Ansatz erstmals die Notwendigkeit herausgearbeitet, nicht nur auf Strukturbrüche zu reagieren, wenn sie eingeleitet sind, sondern zu handeln, wenn diese noch nicht vollständig umrissen sind.479 Damit wird ein frühzeitiges Handeln mithilfe der abgestuften Reaktionsstrategien auf Basis der vorliegenden schwachen Signale möglich. 480 Mit der Theorie der schwachen Signale steigt die Bedeutung zukunftsrelevanten Wissens und vor allem der Ansatz der proaktiven Gestaltung der Zukunft durch das Unternehmen. Trotz der Bedeutung für die strategische Frühaufklärung, weist das Konzept, vor allem in der betrieblichen Umsetzung weitreichende Schwachstellen auf.481 Zum einen kann a-priori schwer bestimmt werden, wann es sich genau um ein schwaches Signal handelt. 482 Bisher ist nur eine globale Charakterisierung möglich. Daher unterscheiden sich die Praktiken in Unternehmen zur Wahrnehmung der schwachen Signale stark und hängen entscheidend von Kontextfaktoren des Unternehmens ab. 483 Diese Umsetzungsschwächen wirken sich heute noch auf die strategische Frühaufklärung aus, die deren Implementierung im Unternehmen merklich erschweren. 484 Auch wenn Ansoff bereits sehr deutlich die einzelnen Aktivitäten im Rahmen des „Strategic Issues Management“ und den Antwortstrategien auf schwache Signale beschreibt, bilden sie eben nur eine gute Ausgangsbetrachtung, die konkrete Implementierungsmerkmale offen lassen. Die Wahrnehmung der schwachen Signale hängt indes stark von der Intuition des einzelnen Managers ab und kann nur schwer auf das jeweilige Unternehmenssystem angepasst werden.485 Insgesamt stellt das Konzept der schwachen Signale eine Grundlage für die Ausarbeitung der strategischen Frühaufklärung dar, indem es die Identifizierung von Diskontinuitäten anhand schwacher Signalen verdeutlicht und erstmals die Handlungskomponente beinhaltet, die ebenso in der Frühaufklärung Anwendung findet. Anders als Drittvariablen sind hierbei schwache Signale nicht Auslöser der Diskontinuitäten, sondern erste Vorboten. Dies bedeutet für eine funktionierende Frühaufklärung, falls Drittvariablen nicht identifiziert werden, können Veränderungen im komplex-dynamischen Umfeld durch schwache Signale erkannt werden. Die Aus- 479 Siehe auch die Diskussion bei Liebl (1996), S. 24ff. zum Nutzen der Konzeption der schwachen Signale für die strategische Frühaufklärung. 480 Vgl. Rauscher (2004), S. 21f. 481 Vgl. Zimmermann (1992), S. 77. 482 Vgl. Hauff (2009), S. 27. 483 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 328. 484 Vgl. Gruber & Venter (2006), S. 959; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 3; Eggers & Eickhoff (1996), S. 48. 485 Vgl. Zimmermann (1992), S. 77. 95 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung arbeitungen von Ansoff zu dem Thema zeigen hierbei, welche Handlungsmöglichkeiten Unternehmen bleiben und auf welche Art und Weise Reaktionen abgeleitet werden können. 3.1.3 Unterscheidungsmerkmale von Frühaufklärungsansätzen 3.1.3.1 Entwicklungsstufen der strategischen Frühaufklärung Konzeption und Verständnis der strategischen Frühaufklärung haben sich in den vergangenen 50/60 Jahren stark gewandelt. Nichtsdestotrotz ist es für den heutigen Umgang essentiell, die vorangegangenen Entwicklungsstufen darzulegen, da die Grundgedanken in aktuellen Konzeptionen wiederzufinden sind. Die verschiedenen Entwicklungsstufen der Frühaufklärung lassen eine Einteilung in Frühaufklärungssysteme der ersten, zweiten und dritten Generation zu.486 Die verschiedenen Entwicklungsstufen lassen sich direkt mit der Aufklärungsfunktion der Frühaufklärung in Verbindung bringen. Die erste Generation entspricht der Frühwarnung mit dem Ziel, Bedrohungen frühzeitig zu orten, wohingegen die zweite Generation, die Früherkennung, darauf abzielt, Chancen zu erfassen.487 Die dritte Generation, die Frühaufklärung, stellt die ausgereifteste Stufe dar und zielt nicht nur auf die Wahrnehmung der Chancen und Risiken ab, sondern auf die Initiierung von Gegenmaßnahmen.488 Diese dritte Generation entspricht daher der hier vorgenommenen Konzeption der strategischen Frühaufklärung. Trotz dieser eindeutigen Abgrenzung tendieren einige Autoren wie Käslin, Hauff, Baisch und Niemeyer dazu, die Teilkonzepte synonym zu verwenden, wenngleich dieses Vorgehen zu keinerlei Entwirrung in der Begriffskonzeption der strategischen Frühaufklärung führt.489 In den folgenden Ausführungen wird daher eine trennscharfe Abgrenzung angestrebt. Tab. 3-2 stellt die Zusammenhänge zwischen Entwicklungs-stufen und Aufklärungsfunktion dar. Deutlich wird damit, dass die einzelnen Stufen Weiterentwicklungen der Vorgänger darstellen und durchaus Teilelemente beinhalten. 486 Vgl. Gomez (1983), S. 14; Zimmermann (1992), S. 73f. Vgl. Rauscher (2004), S. 13. 488 Vgl. Rauscher (2004), S. 13. 489 So z.B. berichten Käslin (2008); Hauff (2009) sowie Baisch (2000) von Früherkennung; Niemeyer (2004) von Frühwarnsystemen obwohl Frühaufklärung gemeint ist. 487 96 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Eigenschaften Erste Generation Zweite Generation Dritte Generation Begriff Frühwarnung Früherkennung Frühaufklärung Aufklärungsumfang Frühzeitige Ortung von Bedrohungen Frühzeitige Ortung von Bedrohungen und Chancen Frühzeitige Ortung von Bedrohungen und Chancen sowie Initiierung von Gegenmaßnahmen Ansatz Kennzahlen Indikatoren Schwache Signale Hochrechnungen Tab. 3-2: Die Generationen und deren Inhalte (Quelle: in Anlehnung an Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 21) Frühaufklärung der ersten Generation Die Frühwarnung beruht auf der kurzfristig angelegten operativen Unternehmensplanung und baut auf Bestandteile des klassischen Rechnungswesens auf. 490 Es werden Kennzahlen und Hochrechnungen genutzt, folglich rein quantitative Daten. Die Kennzahlen dienen der Feststellung von Abweichungen zwischen Plangrößen und den eigentlich realisierten Istgrößen sowie den mit Hochrechnungen gebildeten Wirdgrößen.491 Sobald eine Abweichung einen vorher definierten Bereich überschreitet, werden Warnungen abgegeben. Damit wird ein signifikanter Schwachpunkt der Systeme deutlich, die zu sehr auf Bedrohungen und Risiken fokussieren und keine neuen Chancen für Unternehmen aufzeigen. Der eigentliche Sinn der Diskontinuitätenerfassung ist indes nicht möglich, da die aus vergangenheitsbasierten Hochrechnungen stammenden Daten keine Hinweise auf kommende Krisen geben.492 In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, dass Bea & Haas (2009) auf die zu starke Systemorientierung hinweisen, die nur das Ergebnis der Veränderungen aufzeigt, nicht aber deren Ursache.493 Darüber hinaus schränkt die Nutzung von quantitativen Daten die Verwendung auf den operativen, eher kurzfristig angelegten Bereich ein. 494 Insgesamt ist damit die Wirksamkeit der ersten Generation sehr begrenzt und hilft nur wenig, die Herausforderungen der wachsen- 490 Vgl. Hazebrouck (1998), S. 55; Bea & Haas (2009), S. 317; Loew (1999), S. 25. Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 19; Hazebrouck (1998), S. 55; Krystek (2006), S. 227. 492 Vgl. Hazebrouck (1998), S. 55; Krystek (2006), S. 227. 493 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 318. 494 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 318, Rauscher (2004), S. 23; Baisch (2000), S. 33. 491 97 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung den Umweltdynamik zu handhaben. Aus diesen Schwächen heraus entwickelte sich die Frühaufklärung der zweiten Generation.495 Frühaufklärung der zweiten Generation Den größten Unterschied zu der Frühaufklärung der ersten Generation bildet die ständige und systematische Suche nach Veränderungen und Entwicklungen des Unternehmensumfeldes anhand von ausgewählten Indikatoren. 496 In diesem Zusammenhang werden zunächst Beobachtungsbereiche, die dem Unternehmen für sinnvoll erscheinen, festgelegt und wichtige Indikatoren für jeden Bereich identifiziert.497 Um die entsprechenden Anzeichen auszuwerten, schlagen Krystek & Müller-Stewens (1993) Soll-Werte und Toleranzgrenzen für jeden Indikator vor, wenngleich sie ein genaues Vorgehen zur Bestimmung offenlassen. 498 Diese Methodik ermöglicht ein zeitnahes Aufspüren der Chancen und Risiken für das Unternehmen, jedoch sind erste Wirkungen schon eingetreten und schränken damit die Reaktionsmöglichkeiten ein. 499 Ähnlich den Systemen der ersten Generation klären die Indikatoren nicht die Ursachen der Veränderungen und können nur Symptome beschreiben.500 Darüber hinaus setzt das Vorgehen voraus, dass bereits Wissen über sowohl relevante Beobachtungsbereiche als auch Indikatoren vorhanden sind. Da man vorab Beobachtungsbereiche festlegt, läuft das Unternehmen Gefahr, andere Bereiche auszublenden, in denen später Diskontinuitäten auftreten. 501 Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich für die Auswahl der Indikatoren. Eine vollständige Aufstellung dieser gestaltet sich schwierig. Darüber hinaus wird unterstellt, dass sie in Zukunft eine ähnliche Bedeutung aufweisen, wovon grundsätzlich nicht ausgegangen werden kann.502 Die Tatsache, dass ein genaues Vorgehen zur Bestimmung der Soll-Werte und Toleranzgrenzen fehlt, schwächt die theoretische Konzeption merklich. 503 Aus dem Wunsch, mögliche Chancen und Risiken vor Eintreten zu identifizieren, entstand nahezu gleichzeitig der Ansatz der strategischen Frühaufklärung, die dritte Entwicklungsstufe. 504 495 Vgl. Zimmermann (1992), S. 74; Baisch (2000), S. 34; Hazebrouck (1998), S. 55. Vgl. Zimmermann (1992), S. 74. 497 Vgl. Rauscher (2004), S. 24; Hahn (1979), S. 30; Krystek (2006), S. 228. 498 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 20. 499 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 318. 500 Niemeyer (2004), S. 77. 501 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 320. 502 Vgl. Rauscher (2004), S. 29; Hazebrouck (1998), S. 58. 503 Vgl. Zimmermann (1992), S. 75; Rauscher (2004), S. 24. 504 Vgl. Rauscher (2004), S. 30. 496 98 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Frühaufklärung der dritten Generation Die strategische Frühaufklärung ermöglicht ein frühzeitiges Aufspüren von strategisch relevanten Umweltveränderungen, ihren Ursachen und Zusammenhängen sowie die Initiierung von geeigneten Maßnahmen zur langfristigen Sicherung des Wettbewerbsvorteils. 505 Im Gegensatz zu der ersten und zweiten Generationen, ist die Form nicht kennzahlen- oder indikatororientiert, sondern konzentriert sich auf Erfolgspotenziale.506 Vergleichbar mit einem strategischen Radar werden nicht nur ausgesuchte Unternehmensbereiche gescannt, sondern das gesamte Umfeld auf mögliche Chancen und Risiken untersucht.507 Erstmals wurde damit die ungerichtete Suche nach schwachen Signalen und Diskontinuitäten eingeführt und wird in ihrer stärksten Umsetzung „(…) zur grundlegenden Leitmaxime einer strategisch ausgerichteten Unternehmensführung“508.509 Besonders die Langfristigkeit dieses Ansatzes ermöglichte eine stärkere Anbindung an das strategische Management, welches ungefähr zeitgleich in Unternehmen an Relevanz gewann. 510 Dementsprechend verfolgt dieser Ansatz eine Sicherstellung von Gegenmaßnahmen, um Gefahren abzuwehren und mögliche Chancen zu nutzen. Besonders geprägt wurde dieser Ansatz durch die Arbeiten von Igor Ansoff zu den schwachen Signalen und der „Strategic Issue Analysis“ in den 70er Jahren und im deutschsprachigen Raum durch die maßgeblichen Weiterentwicklungen von Kirsch, Krystek und Müller-Stewens.511 Trotz der weiten Verbreitung des Ansatzes der strategischen Frühaufklärung und dessen offenkundiger Relevanz für Unternehmen, fehlt es an einer adäquaten Operationalisierbarkeit dieser Theorie. Weder der Umgang mit schwachen Signalen noch die systematische Einbindung in bestehende Managementsysteme wurde abschließend geklärt, was zu einer grundlegenden Implementierungsproblematik in Unternehmen führt.512 Aus dieser Schwäche resultiert der Versuch einiger Autoren, wie z.B. von Müller und Zimmermann, eine vierte Generation der Frühaufklärung einzuführen, die sich einer praktischen Umsetzung in Unternehmen widmet. In diesem Zusammenhang werden teilweise auch andere, dennoch durchaus ähnliche, Generationeneinteilun- 505 Vgl. Hazebrouck (1998), S. 58. Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 10. 507 Vgl. Käslin (2008), S. 40; Day & Schoemaker (2006), S. 53. 508 Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 125. 509 Vgl. Jossé (2004), S. 124f. 510 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 20. 511 Vgl. Ansoff (1975); Ansoff (1980); Kirsch et al. (1979); Müller (1981); Krystek & MüllerStewens (1993); Krystek (1990). 512 Vgl. Roll (2004), S. 20; siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 3.2.6 und 3.2.7. 506 99 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung gen gewählt.513 Müller macht den Versuch, eine vierte Generation der Frühaufklärung zu beschreiben, die auf Mängel der bestehenden Ansätze zurückzuführen ist. Die bestehenden Ansätze fasst er im folgenden Generationensystem zusammen, welches nach Umfang und Methodeneinsatz differenziert und vier Stufen beinhaltet:514 Stufe 0: Die Frühaufklärungsfunktionen werden vernachlässigt. Stufe 1: Frühaufklärung findet in Form von Auswertungen quantitativer Größen statt und wird durch eine Stabsabteilung durchgeführt. Stufe 2: Es erfolgt eine systematische Beobachtung, die vor allem Trendanalysen aufstellt. Die Durchführung erfolgt durch eine Stabsabteilung. Stufe 3: Es erfolgt ein systematisches Scanning und Monitoring, welches partizipativ von allen Beteiligten durchgeführt wird. In Stufe 0 findet nach allen Einteilungen noch gar keine Frühaufklärung statt. Die Ähnlichkeiten zwischen den Stufen 1-3 und der klassischen Einteilung der Generationen sind indes frappierend. Müller kritisiert jedoch, dass die einzelnen Generationen hauptsächlich überbetrieblich orientiert sind und daher wenig unternehmensspezifisch agieren. Darüber hinaus erkennt er ebenso den Mangel an eindeutigen Instrumentarien, die eine Implementierung im Unternehmen ermöglichen. 515 Daher führt er eine vierte Generation der Frühaufklärung ein, die vor allem einen organisationsspezifischen und partizipativen Charakter betont.516 Sie basiert vornehmlich auf der systematischen Beobachtung, beachtet aber auch deterministische statistische Reihen. Ein erster Schritt zur Umsetzung dieser vierten Generation bildet das von ihm entwickelte STAR-Systems (Strategischer Trend-Analyse-Report)517, das deutliche Grundzüge des von ihm später geprägten Prozessmodells der strategischen Frühaufklärung mit seinen zwei Basisaktivitäten Scanning und Monitoring enthält und vor allem einen ersten Versuch zur Ausgestaltung einer von allen durchgeführten strategischen Frühaufklärung im Unternehmen darstellt. 518 Jedoch kann auch diese Generation nicht alle Schwächen der vorherigen ausräumen, da konkrete Gestaltungshinweise offen bleiben.519 513 Die klassische Einteilung, die vorab beschrieben wurde beruht auf die Arbeiten von Krystek & Müller-Stewens und wird in der bestehenden Literatur am meisten Beachtung geschenkt. Vgl. dazu auch Zimmermann (1992), S. 77ff. 514 Vgl. Müller (1984), S. 441ff. 515 Vgl. Müller (1984), S. 444. 516 Vgl. Müller (1984), S. 444. 517 Laut Müller ist STAR ein partizipatives System, dass die Scanning und Monitoring Aufgaben des Unternehmens organisiert (Quelle: Trux et al. (1985), S. 351). 518 Vgl. Müller (1984), S. 444ff.. 519 Vgl. Niemeyer (2004), S. 78. 100 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Zimmermann versucht ebenso, eine vierte Generation zu entwickeln, die „Frühwarnung der Unternehmenspraxis“, die sich als anwendungsorientierte Frühaufklärung versteht und damit Praktiker in die Lage versetzt, strategische Frühaufklärung im Unternehmen umzusetzen.520 Eine vierte Generation einzuführen, war mit den Zielen verbunden, „(…) die theoretischen Erkenntnisse der ersten drei Entwicklungsstufen der Frühwarnung 1. miteinander zu verbinden, um einen ganzheitlichen Ansatz zu generieren, 2. in methodische Handlungsanleitungen für die Praxis umzusetzen 3. und dabei von einer abstrakten Konzeptionalisierung der Frühwarnung durch Deduktion zu einer unternehmensspezifischen Umsetzung zu kommen.“521 Während einige Autoren wie Roll, Zimmermann sowie Baisch die vierte Generation als eigenständige betrachten und mit der Verknüpfung von operativen mit strategischen Ansätzen argumentieren 522, sehen viele Autoren, beispielsweise Jossé, Niemeyer und Nick, die Ansätze zur vierten Generation lediglich als Spezifizierung und vertiefende Betrachtung der dritten Generation an.523 Diese Arbeit folgt dieser Argumentation, da in der vierten Generation keine neuen Ansätze diskutiert werden, sondern lediglich eine bessere Umsetzung der Konzeption der dritten Generation angestrebt wird. Nichtsdestotrotz kann die Operationalisierung der strategischen Frühaufklärung nicht verbessert werden, wodurch der Erkenntniszuwachs einer vierten Generation zu gering ausfällt, um ihn als eigenständigen Ansatz zu betrachten.524 Wenngleich diese neuen Ansätze zu „(…) einer besseren Anwendbarkeit der Frühaufklärung beigetragen“525 haben, bleibt zu kritisieren, dass die systematische Einbindung in den Prozessen der Unternehmen fehlt. 526 Im Folgenden wird das Verständnis der strategischen Frühaufklärung der dritten Generation verfolgt, die vor allem erfolgspotenzialorientiert agiert. Zusammenfassend zu den Generationen der Frühaufklärung bildet Abb. 3-2 die Unterschiede hinsichtlich der Nähe zu Wirkungen, Symptomen oder gar Ursachen ab. Die ersten Generationen spüren Veränderungen in der Umwelt erst auf, wenn Symptome oder gar Wirkungen eingetreten sind. Dies ist zu spät, um angemessene Reaktionen im Unternehmen auszulösen. Einzig die Frühaufklärung der dritten Generation ist in der Lage, nicht nur Symptome und Wirkungen zu beschreiben, son520 Vgl. Zimmermann (1992), S. 103. Zimmermann (1992), S. 77f. 522 Vgl. Roll (2004), S. 24; Baisch (2000), S. 34. 523 Vgl. Jossé (2004), S. 126; Nick (2008), S. 61; Niemeyer (2004), S. 78. 524 Vgl. Heintzeler (2008), S. 66. 525 Nick (2008), S. 61. 526 Vgl. Roll (2004), S. 24. 521 101 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung dern auch Hinweise auf deren Ursache zu geben. Folglich bleibt dem Unternehmen noch Handlungsspielraum, bevor die eigentlichen Wirkungen der Veränderungen eintreten. Ursachen Symptome Wirkungen 1. Generation 2. Generation 3. Generation Zeit Abb. 3-2: Frühaufklärungsumfang der Generationen im Vergleich (Quelle: Bea & Haas (2009), S. 299) Deutlich wird hierbei nochmal der Bezug zum hier verwendeten Konzept der strategischen Frühaufklärung, welches der letzten Generation der Frühaufklärung entspricht. Nur diese ist in der Lage Veränderungen in der Umwelt frühzeitig genug aufzuspüren, um den Handlungsspielraum im Unternehmen zu vergrößern und Reaktionen einzuleiten. 3.1.3.2 Operative versus strategische Frühaufklärung Die Abgrenzung operativer und strategischer Frühaufklärung ist eng mit der vorangegangenen Beschreibung der Generationen der Frühaufklärung verbunden. Ihr wird in der bisherigen Literatur sehr viel Beachtung geschenkt, obwohl gerade in Hinblick auf die Generationen und den damit resultierenden Aufklärungsinhalten wenige neue Erkenntnisse hinzukommen. Nichtsdestotrotz werden an dieser Stelle kurz die wichtigsten Eckpunkte genannt, um einen vollständigen Überblick zu liefern. Der zentrale Unterschied zu den vorangegangenen Unterscheidungen nach 102 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Generationen ist die Betonung des Bezugssystems der operativen und strategischen Frühaufklärung und damit dem organisatorischen Einsatz im Unternehmen 527: Die operative Frühaufklärung mit dem Fokus auf liquiditäts- und ergebnisorientierten Größen unterstützt den operativen Führungskontext des Unternehmens. 528 Die operative Frühaufklärung entspricht dabei den ersten beiden Generationen der Frühaufklärung und nimmt Bezug auf Indikatoren und Kennzahlen wie Bilanzen, Gewinn- und Verlustgrößen. 529 Informationen sind demnach eher von quantitativer und wohl-strukturierter Form und lassen wenig Spielraum für Interpretationen. Die angesprochenen Schwächen der ersten Generationen sind hier weniger tragend, da das operative Management kurzfristige Lenkungsziele verfolgt, demnach der Betrachtungshorizont eher kurzfristige Problembereiche umfasst.530 Diesen Aufgaben wird die operative Frühaufklärung gerecht. 531 Dementsprechend wird auch deutlich, dass die Entwicklungsstufen der ersten und zweiten Generationen durchaus Berechtigung im Unternehmen haben und dort zur Anwendung kommen.532 Dahingegen konzentriert sich die strategische Frühaufklärung vor allem auf strategische Erfolgspotenziale, woraus die Zugehörigkeit zu dem strategischen Management folgt.533 Da das strategische Management auf die Festlegung, Sicherung und Steuerung der langfristigen Unternehmensentwicklung abzielt, muss auch der Input durch die strategische Frühaufklärung einem längerfristigen Zeithorizont gerecht werden.534 Dementsprechend nimmt die strategische Frühaufklärung wie die dritte Generation Bezug auf strategische Führungs- und Leistungspotenziale und verarbeitet qualitative Informationen wie die Attraktivität und relative Wettbewerbsposition.535 Daraus ergeben sich andere Methoden, die zur Anwendung kommen, vor allem Szenariotechnik, Portfolio-Analyse und die Methode des vernetzten Denkens. 536 Folgerichtig haben Krystek & Müller-Stewens in Abhängigkeit des Bezugssystems unterschiedliche Prozesse abgeleitet, da sich verschiedene Informationsquellen (Inputs), die Möglichkeit ihrer Verarbeitung (Throughput), die Ergebnisse (Output) und deren Wirkung (Outcome) ergeben. Eine vollständige Übersicht der wichtigsten Merkmale beider Ansätze findet sich in Tab. 3-3. 527 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (2006), S. 176. Vgl. Hauff (2009), S. 9. 529 Vgl. Rauscher (2004), S. 14. 530 Vgl. Lasinger (2011), S. 43. 531 Vgl. Rauscher (2004), S. 23. 532 Vgl. Baisch (2000), S. 33. 533 Vgl. Zimmermann (1992), S. 198. 534 Vgl. Hungenberg (2006), S. 4f. 535 Vgl. Nick (2008), S. 57. 536 Vgl. Hazebrouck (1998), S. 65ff. 528 103 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Operative Frühaufklärung Input Charakteristika der Informationen Fähigkeiten der Beteiligten Throughput Strategische Frühaufklärung wohl-strukturiert schlecht-strukturiert eher wertfrei eher wertebeladen eher quantitativ eher qualitativ eher analytisch eher holistisch eher erfahrungsgeleitet eher kreativ eher beweisend eher überzeugend Durchführung eher delegierbar nicht delegierbar Instrumente Kausalanalysen Umgang mit Diskontinuitäten Output Signifikante Abweichungen Drittvariablen Abweichungen vom verlauf Tiefenanalysen, Chancen und Gefahren für das Unternehmen Outcome eher in institutionalisierter Form Plan- Reaktionsprozeduren Suche nach Auswirkungen auf die strategische Frühaufklärung eher in informellen Arenen Schwache Signale Reaktionsstrategien und Handlungsanweisungen Suche nach Auswirkungen auf die operative Frühaufklärung Tab. 3-3: Unterschiede zwischen operativer und strategischer Frühaufklärung (Quelle: Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 12) Krystek und Müller-Stewens betonen zudem, dass operative und strategische Frühaufklärung als „(…) gleichwertige, sich ergänzende und überlappende Ansätze“537 fungieren. Wenngleich sie auf sehr viele Merkmale beider Ansätze eingehen, bleibt in ihrer Betrachtung unberücksichtigt, inwiefern der Umfang der Frühaufklärung Auswirkungen auf die Entscheidungs- und Führungsmöglichkeiten eines Unternehmens ausübt.538 537 538 Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 16. Vgl. Roll (2004), S. 39. 104 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Hauff geht indes so weit, die Trennschärfe beider Systeme als gering anzusehen, da sie seiner Auffassung nach beide geeignet sind, Chancen und Gefahren zu ermitteln.539 Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich des Zeithorizonts. Dem ist aber gerade in Hinblick auf Methodeneinsatz und der daraus resultierenden Kritik an den Generationen der Frühaufklärung nicht zuzustimmen. 540 Denn gerade dort wurde bereits festgestellt, dass sich operative Systeme, d.h. die ersten beiden Entwicklungsstufen, nur bedingt eignen, Chancen abzubilden.541 Grundsätzlich erwähnen einige Autoren wie Jossé, Hammer und Heintzeler, dass gesamtunternehmensbezogene Frühaufklärung strategischer Frühaufklärung entspricht und bereichsbezogene Frühaufklärung als operative Frühaufklärung anzusehen ist.542 Zwar wird vor allem strategische Frühaufklärung in gesamtunternehmensbezogenen Abteilungen durchgeführt, jedoch zeigen jüngste Auswertungen zum Einsatz der strategischen Frühaufklärung, dass dies nicht die einzige organisatorische Anbindung ist (siehe 3.2.3).543 So kann auch strategische Frühaufklärung in kleineren Organisationseinheiten zum Tragen kommen, was den Ausführungen Jossés, Hammers und Heintzelers widersprechen würde.544 Daher ist diesem Unterscheidungsmerkmal ebenfalls nicht zuzustimmen. Da in der folgenden Untersuchung strategische Frühaufklärung den Untersuchungsgegenstand ausmacht, wird durch die Unterscheidung das Bezugssystem, welches im strategischen Management zu sehen ist, unterstrichen und die Merkmale anhand des Inputs, Throughputs, Outputs und Outcomes verdeutlicht. 3.1.3.3 Abgrenzung der Frühaufklärung vom Krisenmanagement Im Krisenmanagement geht es um den systematischen Umgang mit Krisensituationen, die von Bedeutung für das Unternehmen sind.545 Insgesamt stellen sich strategische Frühaufklärung und Krisenmanagement nicht als konkurrierende Systeme, sondern als komplementäre Systeme dar. 546 Anders als bei der Frühaufklärung, wo es darum geht, bestimmte Probleme zu verhindern, geht es beim Krisenmanagement darum, den Schaden nach Eintreten einer Krise oder einer bestimmten Entwicklung 539 Vgl. Hauff (2009), S. 28. Vgl. Heintzeler (2008), S. 83. 541 Vgl. Rauscher (2004), S. 30. 542 Vgl. Jossé (2004); Hammer (1988), S. 176; Heintzeler (2008), S. 83. 543 Vgl. Nick (2008); Becker (2002); Daheim & Uerz (2008); Müller & Müller-Stewens (2009); Burmeister (2002). 544 Vgl. Becker (2002), S. 11ff.; Rohrbeck (2010), S. 53f. 545 Vgl. Hahn (1979), S. 42; Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 28. 546 Vgl. Heintzeler (2008), S. 89; Roll (2004), S. 27. 540 105 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung zu minimieren. Aus den schwachen Signalen sind demnach starke geworden, die eine Schadensbegrenzung durch bestimmte Aktivitäten erfordern. 547 Dementsprechend benutzen Krystek & Müller-Stewens auch den Vergleich von „Brand verhüten“ versus „Brand löschen“: „Bildhaft gesprochen will auf der einen Seite das klassische Krisenmanagement den bereits bestehenden Brand unter Minimierung des Brandschadens bekämpfen und löschen; auf der anderen Seite steht mit der Frühwarnung der Versuch, über die möglichst frühzeitige Identifikation und Ausschaltung möglicher Brandherde einen Brand zu vermeiden.“548 Die Frühaufklärung ist trotz Funktion als strategisches Radar nicht in der Lage, alle Frühindikatoren und daraus entstehende Diskontinuitäten zu erfassen, weshalb es unabdingbar ist auch ein Krisenmanagement zu implementieren. 549 Insofern gehen einige Autoren wie Hahn, Niemeyer und Krystek & Müller-Stewens so weit, eine gewisse Verknüpfung der Systeme zu sehen.550 Sobald ein noch nicht bewertetes künftiges Ereignis Krisenform annimmt, wird an das Krisenmanagement übergeben, was in diesem Kontext als eine mögliche Methode verstanden wird, diskontinuierlichen Wandel zu managen. 551 Hahn (1979) ordnet der Frühaufklärung in diesem Zusammenhang sogar die Rolle zu, als Input des Krisenmanagements zu fungieren. Er beschränkt in seinen Ausführungen die Anwendbarkeit der Frühwarnung auf latente Unternehmenskrisen, da potentielle Krisen aufgrund fehlender Indikatorwerte noch nicht wahrgenommen werden und akute Unternehmenskrisen bereits direkt wahrnehmbar und spürbar sind. Damit spielt die Frühwarnung für präventives Krisenmanagement eine Rolle und kann die Ableitung von Präventivplanungen und deren Realisierung sowie deren Kontrolle möglich machen.552 Zusammenfassend sind beide Funktionen im Unternehmen unabdingbar, um mit unerwarteten Ereignissen umzugehen, wobei die eine Funktion vor einer Krise relevant ist und die andere nach Ausbruch der Krise (siehe Abb. 3-3). 547 Vgl. Ansoff (1975), S. 20. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 27. 549 Vgl. Roll (2004), S. 28. 550 Vgl. Hahn (1979), S. 42; Niemeyer (2004), S. 85; Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 28. 551 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 31. 552 Vgl. Hahn (1979), S. 42. 548 106 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Direkter Krisenausbruch Ex ante Ex post Aspekte des Krisenmanagements Aspekte der Frühaufklärung Zeit Abb. 3-3: Komplementarität zwischen Frühaufklärung und Krisenmanagement (Quelle: Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 28) 3.1.3.4 Abgrenzung zu anderen Formen der zukunftsorientierten Umfeldaufklärung Die strategische Frühaufklärung ist ein relativ neues Konzept in der Zukunftsforschung und gleichwohl nicht die einzige Forschungsrichtung, die sich mit der Zukunft auseinandersetzt. Daher ist es nötig, dieses Konzept deutlich von anderen in der Literatur bereits diskutierten abzugrenzen. Zunächst wird die Abgrenzung zu dem durchaus bekannteren Ansatz des Forecastings behandelt. Darin werden „(…) Wahrscheinlichkeitsaussagen über zukünftige Ereignisse“553 getroffen, die „(…) auf Beobachtungen der Vergangenheit, einer Theorie zur Erklärung dieser Beobachtungen sowie der Annahme der Fortgeltung der Erklärungszusammenhänge in der Zukunft“554 basieren Forecasting ist prinzipiell vor der Frühaufklärung entstanden, wurde aber nicht von dieser abgelöst, vielmehr existieren beide Konzepte nebeneinander weiter.555 Rohrbeck & Gemünden haben zu der Auseinanderhaltung der beiden festgestellt: „In der Forschungsgemeinschaft besteht zwar über die genaue Abgrenzung keine allgemein gültige Meinung, dennoch werden unter den beiden Begriffen zumeist unterschiedliche Inhalte diskutiert.“556 553 Bea & Haas (2009), S. 301. Bea & Haas (2009), S. 301. 555 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 151. 556 Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 151. 554 107 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Die Diversität der Inhalte wird im Folgenden kurz dargestellt. Unter Forecasting werden meist Konzepte definiert, die eine Vorhersage oder Schätzung der kurz-, mittel- sowie langfristigen Zukunft eines vorher definierten Bereichs abgeben. 557 Armstrong fasst den Begriff weitestgehend unter „estimating the unknown“558 zusammen. Entscheidend ist dabei, dass beim Forecasting das zu untersuchende Gebiet oder die Forschungsfrage vorher feststeht. Laut Martino (1983) sind die wichtigsten Elemente eines Forecast folgende: der Zeithorizont der Prognose; der Gegenstand oder die Technologie, die untersucht wird; Aussagen über die Eigenschaften des untersuchten Gegenstandes und eine Angabe der Wahrscheinlichkeit über das Eintreten des Prognose.559 Forecasts leiten meist auf Grundlage von Vergangenheitsdaten und Indikatoren Zukunftsprognosen ab 560, wobei oftmals die Annahme getroffen wird, dass die Entwicklungen einem linearen Verlauf entsprechen.561 Typisch für Forecasting ist besonders die S-Kurvenanalyse, bei der Forecaster versuchen, emergente Technologien anhand ihres S-Kurvenverlaufs zu identifizieren und dies noch vor seinem ersten Wendepunkt. 562 Ergebnis des Forecast-Prozesses ist die Identifizierung von möglichen Zukunftsbildern. 563 Damit entstehen vor allem Ähnlichkeiten mit den frühen Entwicklungsstufen der Frühaufklärung. Im Gegensatz zu Forecasting, endet die Frühaufklärung nicht mit der Entwicklung von Zukunftsbildern, vielmehr beginnt hier die Auswahl eines möglichen Entwicklungsbildes und die darauf aufbauende Ableitung von Handlungsempfehlungen. 564 Forscher wie Cuhls und Rohrbeck & Gemünden betonen daher, dass Frühaufklärung über Forecasting hinausgeht.565 Cuhls fasst zusammen: “Foresight not only looks into the future by using all instruments of futures research, but includes utilizing implementations for the present.”566 Frühaufklärung wird daher durchgeführt, um mehr Wissen über zukünftige Entwicklungen zu generieren und heutige Entscheidungen auf eine solide Basis zu stellen.567 Unsicherheit wird durch Austausch und Interaktion der Stakeholder im Entscheidungsprozess bewältigt. Darüber hinaus werden im Gegensatz zu der indikato557 Vgl. Cuhls (2003), S. 95. Armstrong (1985), S. 505. 559 Vgl. Martino (1983), S. 2. 560 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 151. 561 Vgl. Cuhls (2003), S. 95. 562 Vgl. Saffo (2007), S. 126. 563 Vgl. Cuhls (2003), S. 95. 564 Vgl. Martin (1995), S. 140; Rohrbeck (2010), S. 47. 565 Vgl. Cuhls (2003), S. 93; Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 151. 566 Cuhls (2003), S. 93. 567 Vgl. Horton (1999), S. 5. 558 108 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung renbasierten Analyse im Forecast, emergente Entwicklungen im Foresight vorwiegend auf Grundlage von qualitativen Daten abgeleitet. Bei der Analyse beschränkt sich Frühaufklärung zudem nicht auf einen Bereich, sondern kann ganzheitlich und auf den Nutzer zugeschnitten Betrachtungsaspekte aufnehmen. Insgesamt wird bei Analyse zu der Abgrenzung von Forecasting und Frühaufklärung sehr deutlich, dass Forecasting vor allem mit den ersten Generationen der Frühaufklärung und damit auch der operativen Frühaufklärung in Verbindung zu bringen ist.568 Der Grundgedanke der strategischen Frühaufklärung findet sich auch in anderen benachbarten Forschungsrichtungen wieder.569 Hier werden vor allem folgende Konzepte benannt: Corporate Foresight, Future Research und Future Analysis (im Deutschen: Zukunftsforschung), Competitive Intelligence, Consumer Foresight, Technological Forecasting sowie Technological Foresight. 570 Da es sich jedoch meist nur um untergeordnete Konzepte handelt, ist die Literatur zu diesen Forschungsrichtungen deutlich eingeschränkter und weniger deutlich als die zu Forecasting, weshalb an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick erfolgt.571 Corporate Foresight wird oftmals, trotz der Unterscheidungsmerkmale, synonym zur strategischen Frühaufklärung verwendet.572 Es versteht sich gemeinhin als Zukunftsforschung im Unternehmen und hat einen engen Bezug zu Future Research und Future Analysis. Es hat damit einen ganzheitlichen und längerfristigen Blick auf die Zukunft. Corporate Foresight begreift sich als allgemeine Unternehmensfunktion und vernachlässigt die organisatorische Integration in die strategischen Entscheidungsprozesse, wie es bei der strategischen Frühaufklärung üblich ist.573 Daher stellt die strategische Frühaufklärung für Müller-Stewens auch das Bindeglied zwischen Corporate Foresight und strategischen Management dar.574 568 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 39. Vgl. Nick (2008), S. 31; Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 150f. 570 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 150f.; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 8ff.; Nick (2008), S. 31. 571 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 150; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 8ff. 572 Die Unterscheidung zwischen Strategischer Frühaufklärung und Corporate Foresight ist zwar angebracht, nichtsdestotrotz benutzen einige Autoren diesen synonym zum Begriff der Strategischen Frühaufklärung. Argumentiert wird in diesen Fällen, dass Corporate Foresight den Gesamtunternehmensbezug hervorheben soll. Dies ist eigentlich nicht notwendig, denn die strategische Frühaufklärung kann sowohl auf Gesamtunternehmensebene als auch auf Bereichsunternehmensebene durchgeführt werden. 573 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 8. 574 Müller & Müller-Stewens (2009) grenzen die strategische Frühaufklärung nochmals von Strategic Foresight ab mit der Begründung, dass es sich bei Strategic Foresight um ein erweitertes Konzept handelt, dass neben den Aktivitäten informationsbasierter Umfeldanalyse auch partizipative Prozesse szenarienbasierter Wissensgenerierung und normativer Visionsbildung in Unternehmen beschreibt. Ihrer Meinung nach steht bei der strategischen Frühaufklärung weniger die partizipative und kreative Verwertung dieser Informationen im Vordergrund. Eine derartige Abgrenzung wird hier nicht vorgenommen, da dieses Vorgehen nur Verwirrung stiftet. Darüber hinaus strebt die 569 109 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Competitive Intelligence bezieht sich auf die Identifizierung, Bewertung und Nutzung von Informationen, die sich auf das Wettbewerbsumfeld des Unternehmens beziehen.575 Analog beschäftigt sich Consumer Foresight mit der Identifizierung, Bewertung und Antizipation von Kundenbedürfnissen.576 Das Technological Forecasting, ähnlich wie das reine Forecasting, betrachtet vor allem Methoden, „(…) die die Informationen aus der Vergangenheit nutzen, um Trends und Entwicklungen in der Zukunft vorherzusagen“577, in diesem Falle jedoch eingeschränkt auf technologische Entwicklungen. Bei Technological Foresight wird dieses Vorgehen durch die Verwertung zur Planung von strategischen Maßnahmen ergänzt.578 Grundsätzlich sind damit die einzelnen Forschungsrichtungen als Teilelemente der strategischen Frühaufklärung zu verstehen, die sich meist nur auf verschiedene Beobachtungsbereiche beziehen.579 Insofern sind besonders Competitive Intelligence, Consumer Foresight und Technological Foresight lediglich Bestandteile einer strategischen Frühaufklärung. 580 Damit bildet die strategische Frühaufklärung ein ganzheitliches Instrument, das keine Einschränkungen bzgl. der Beobachtungsbereiche kennt und einen mittel- bis langfristigen Zeithorizont abdeckt. 581 3.2 Implementierung der strategischen Frühaufklärung im Unternehmen 3.2.1 Erkenntnisziele Neben den theoretischen Grundlagen der strategischen Frühaufklärung ist die Betrachtung der Umsetzung in Unternehmen von großer Relevanz für diese Arbeit. Das Ziel besteht darin, einen Überblick über die gängigen Praktiken der strategischen Frühaufklärung herauszubilden. Das Kapitel folgt dem Aufbau nach den folgenden zentralen Fragestellungen: strategische Frühaufklärung die Verwendung der Informationen an. Müller & Müller-Stewens unterstreichen dies mit Fallstudien, die der strategischen Frühaufklärung zuzuordnen sind und daher sich selbst widersprechen. 575 Vgl. Rohrbeck et al. (2007), S. 4. 576 Vgl. Rohrbeck et al. (2007), S. 4. 577 Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 150. 578 Vgl. Lichtenthaler (2004), S. 122; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 11. 579 Insgesamt muss man bei der Betrachtung der bestehenden Literatur sehr aufmerksam Begrifflichkeiten verfolgen, denn trotz dieser Abgrenzungsmerkmale, werden oftmals Konzepte synonym verwendet. 580 Diese Bestandteile können nach Beobachtungsbereichen der Frühaufklärung unterschieden werden und werden in diesem Zusammenhang in 3.2.5 gesondert behandelt. 581 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 10. 110 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung (1) Aufgaben und Einsatzfelder: Welche Aufgaben werden von der strategischen Fragestellung wahrgenommen und in welcher Form wird die strategische Frühaufklärung im Unternehmen umgesetzt? (2) Verankerung: Wie wird strategische Frühaufklärung im Unternehmen organisatorisch verankert? (3) Prozess: Wie sieht der Prozess der strategischen Frühaufklärung aus und welche Aktivitäten erfolgen in den jeweiligen Prozessphasen? (4) Instrumente und Methoden: Wie wird die strategische Frühaufklärung letztlich umgesetzt? (5) Implementierungshindernisse: Welche Faktoren behindern die Implementierung der Frühaufklärung im Unternehmen und wie können diese umgangen werden? Diese betrachteten Fragestellungen und Aspekte sind nicht trennscharf voneinander zu betrachten, sondern stellen ein ineinander abhängiges System dar. So bedingen beispielsweise Aufgaben und Einsatzfelder meist die Verankerung und eingesetzte Methoden. Die Methoden sind wiederum von der einzelnen Prozessphase abhängig. Dieses System ist zusammenfassend in Abb. 3-4 dargestellt. Aspekte der Implementierung Implementierungsbarrieren Aufgaben & Einsatzfelder Instrumente & Methoden Verankerung Prozessuale Ausgestaltung Abb. 3-4: Zentrale Fragestellungen des Kapitels (Quelle: Eigene Darstellung) 111 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung 3.2.2 Aufgaben und Einsatzfelder im Unternehmen 3.2.2.1 Allgemeine Aufgaben Strategische Frühaufklärung wird vor allem in den Bereichen Strategie & strategische Planung, Planungsprozesse, Marketing, Innovationsmanagement und Unternehmens-kommunikation eingesetzt. 582 Prinzipiell kann die strategische Frühaufklärung in allen Unternehmensbereichen zur Anwendung kommen, in denen „(…) Erkenntnisse über Zukunftsszenarien, Innovationen und Unternehmensrisiken gefragt sind“ 583. In diesem Zusammenhang werden die eigentlichen Aufgaben der strategischen Frühaufklärung deutlich. Burmeister (2002) identifiziert daher folgende Ziele der strategischen Frühaufklärung und damit ebenso Aufgabenfelder: 584 relevante Trends identifizieren, strategische Entscheidungen vorbereiten, Innovationsprozesse unterstützen, zukünftige Geschäftsfelder entwickeln und optimieren, das Unternehmen für Zukunftsfragen sensibilisieren und eine breite Wissensbasis aufbauen und entwickeln. Daheim & Uerz (2008) unterstreichen die Funktion, „harte“ Ziele zu erreichen, indem vor allem die strategische Entscheidungsfindung unterstützt und zugleich die Reaktionsfähigkeit auf Umweltwandel verbessert wird.585 In einer Untersuchung der europäischen Union spezifiziert Becker die einzelnen Aufgaben weiter. Die strategische Frühaufklärung wird demnach in den untersuchten 19 europäischen Unternehmen folgendermaßen eingesetzt: 586 “Anticipatory intelligence”: Abgeben von Hintergrundinformationen und Frühwarnung zu aktuellen Entwicklungen, “Direction setting”: Aufstellen von Eckpunkten für die Unternehmensstrategie “Determining priorities”: Identifikation von aktuellen Suchfeldern und Trends als direkter Input für spezielle Entscheidungen, 582 Vgl. Burmeister (2002), S. 43ff. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 19. 584 Vgl. Burmeister (2002), S. 62; siehe auch Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7, Reger (2001), S. 535. 585 Vgl. Daheim & Uerz (2008), S. 324. 586 Vgl. Becker (2002), S. 9. 583 112 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung “Strategy formulation”: Beteiligung an der Formulierung von strategischen Entscheidungen, “Innovation catalysing”: Stimulation und Unterstützung des Innovationsprozesses zwischen den einzelnen Beteiligten. In den untersuchten Unternehmen wird oft nur ein Einsatzfeld genutzt, jedoch konnten Unternehmen identifiziert werden, die mehrere Funktionen abdecken und folglich die strategische Frühaufklärung zu verschiedenen Zwecken einsetzen. Die Hälfte der Unternehmen sieht vor allem eine Beraterfunktion in der strategischen Frühaufklärung, die zwar Erkenntnisse und Entscheidungen beeinflusst, nicht aber direkt in den Entscheidungsprozess mündet. Nichtsdestotrotz wurden ebenso Unternehmen befragt, die die strategische Frühaufklärung in den Entscheidungsprozess einbinden.587 Hieran wird deutlich, dass es in der Praxis große Unterschiede zu dem bisher möglichen identifiziertem Potenzial aus der theoretischen Konzeption gibt, in der weitestgehend die Initiierung von Reaktionsstrategien als Bestandteil der Frühaufklärung fungiert.588 Eine mögliche Einteilung nimmt Ruff vor, indem er Felder der strategischen Frühaufklärung anhand des zeitliches Horizonts und der thematischen Ausrichtung des Prozesses (Technologie oder Markt) bestimmt, was in Abb. 3-5 gezeigt wird.589 Je nach Zeithorizont und Fokusbereich ergeben sich unterschiedliche Einsatzfelder im Unternehmen. Beispielsweise wird Frühaufklärung im Bereich Technologie als Technologiemonitoring mit eher mittelfristigem Zeithorizont durchgeführt, bei mehr als 10 Jahren eignet sich die Frühaufklärung eher zu einer langfristigen Technik-folgenabschätzung. 590 Hierbei wird wiederum deutlich, dass Frühaufklärung verschiedene Einsatzfelder zusammenfasst und keinen neuen Ansatz darstellt, vielmehr die ganzheitliche Betrachtungsweise neuartig ist. Innerhalb der Frühaufklärung kann man insofern auf verschiedene Instrumente zurückgreifen, die bereits existierten. 587 Vgl. Becker (2002), S. 9. Siehe auch die entsprechenden Prozesskonzeptionen, in Kapitel 3.2.4. 589 Vgl. Ruff (2003), S. 44. 590 Vgl. Ruff (2003), S. 44. 588 113 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Abb. 3-5: Felder der Frühaufklärung im Unternehmen (Quelle: Ruff (2003), S. 44) 3.2.2.2 Aufgaben im Innovationsmanagement Da im Rahmen der vorliegenden Arbeit das Innovationsmanagement eine besondere Rolle spielt, wird die Funktion der strategischen Frühaufklärung nochmals in diesem Zusammenhang separat betrachtet. In den allgemeinen Ausführungen zu den Aufgaben der Frühaufklärung wurde bereits deutlich, dass ein Bezug zum Innovationsmanagement besteht.591 Müller & Müller-Stewens bekräftigen diese Ausführung und fügen hinzu: „Strategic Foresight beinhaltet deshalb im unternehmensstrategischen Kontext (…) die dauerhafte Stärkung der Lern- und Innovationsfähigkeit des Unternehmens.“592 Ebenso wird auch von Burmeister et al. das Einsatzfeld der strategischen Frühaufklärung unterstrichen: 591 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 37; Burmeister et al. (2004), S. 118ff.; Càron-Fàsân & Marie-Laurence (2008), S. 26. 592 Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7. 114 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung „Unternehmen sehen sich vor die Notwendigkeit gestellt, strategisch an ihre Innovationen heranzugehen. Genau hier setzt Corporate Foresight an, ein neues, ein hilfreiches Instrument“593 Tyssen konnte erstmals in seiner Untersuchung einen positiven Zusammenhang zwischen der Durchführung einer strategischen Frühaufklärung und dem Hervorbringen von Innovationen nachweisen. 594 Wie genau diese Beeinflussung stattfindet, wird aber nicht geklärt. Dementsprechend ist es Ziel des folgenden Abschnittes, die Aufgaben und Einsatzfelder der strategischen Frühaufklärung im Kontext des Innovations-managements gesondert darzustellen. Das in der Frühaufklärung generierte Wissen über mögliche Umfeldentwicklungen, Aktivitäten und Reaktionsstrategien in Bezug auf neue Produkte schafft Anknüpfungspunkte zum Innovationsmanagement eines Unternehmens. 595 Diese unterstützen jene Annahmen, indem sie in zahlreichen Befragungen angaben, strategische Frühaufklärung zu diesen Zwecken durchzuführen. Cuhls & Johnston (2008) verdeutlichen wie folgt: „Foresight for innovation does not only deal with technologies but also their applications and potential markets for new products derived from these new applications. (…) Other companies perform innovation foresight as a prerequisite for their own strategic planning. Some firms regard the catalytic function to stimulate and enhance their innovation processes, as important.”596 Wenngleich die einschlägige Literatur und selbst Praktiker diese Meinung vertreten, bleiben oftmals sowohl theoretische als auch empirische Belege aus. 597 So mangelt es nicht nur an der theoretischen Fundierung, sondern auch an empirischen Untersuchungen, die diesem Zusammenhang nachgehen.598 Nichtsdestotrotz lassen sich in den Ausführungen einiger Autoren und in fallbezogenen Untersuchungen, drei Hauptfunktionen der strategischen Frühaufklärung identifizieren, die im Anschluss zur Strukturierung bisheriger Argumentationen dienen:599 593 Burmeister et al. (2004), S. 119. Vgl. Tyssen (2012), S. 243. 595 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 181. 596 Cuhls & Johnston (2008), S. 107; siehe auch Daheim & Uerz (2008), S. 324. 597 Einzig Rohrbeck und Tyssen geben erstmals Hinweise auf die Wirkungsweise. 598 Ein Beispiel dafür bietet die Arbeit von Lasinger (2011), die die strategische Frühaufklärung als die Leistung vor der Innovation darstellt, jedoch mangelhaft Zusammenhänge und deren Rolle im Innovationsprozess oder der Innovationsförderung nachgeht. 599 Rohrbeck (2010) hat in seiner empirischen Untersuchung erstmals alle drei Funktionen aufgedeckt, wobei die einzelnen Rollen nicht neu waren, sondern vielmehr ihre ganzheitliche Darstel594 115 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung 1. Strategische Frühaufklärung als Ideengeber, 2. Strategische Frühaufklärung als Strategieinstrument, 3. Strategische Frühaufklärung als kontinuierliches Instrument zur Untersuchung der Innovationsaktivitäten. Die drei Funktionen werden nach dem Zeitpunkt, d.h. wann genau sie im Innovationsprozess600 zum Tragen kommen, unterschieden und in Abb. 3-6 verdeutlicht.601 Innovationsprozess Ideen-Generierung 1 SF als Inputgeber KonzeptSelektion Entwicklung Markteinführung Identifizierung von neuen Bedürfnissen und Technologien Identifizierung von neuen Wettbewerbern 2 SF als strategisches Instrument Vorschlag neuer Geschäftsfelder 3 Impulse für strategische Ausrichtung von Geschäftsfeldern Abb. 3-6: SF als kontinuirliche Dienstleistung Monitoring des technolgischen Umfelds zur Sicherung des Stands der Technik Monitoring des Marktumfelds (Politik, Kunden, Wettbewerb) Scanning von weißen Feldern, um Disruptionen zu erkennen, die den Erfolg des Produkts gefährden Die Rollen der strategischen Frühaufklärung im Innovationsprozess (Quelle: Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 158) Strategische Frühaufklärung als Ideengeber Die Rolle des Ideengebers wurde erstmalig von Trux et al. (1985) aufgegriffen. Sie sehen zwei Funktionen der Frühaufklärung: Zum einen die Exploration von Innovationen, die ähnlich dem Scanning wie eine Art 360-Grad Radar funktioniert, um möglichst viele Ideen und Hinweise auf Neuerungen aus dem Unternehmensumfeld aufzunehmen.602 Zum anderen erfolgt eine weitere Tiefenanalyse der Innovationsideen. Ähnlich dem Monitoring werden die Innovationsideen analysiert und bewer- lungsform. Sie dienen daher hier als Vorlage zur Darstellung und basieren stark auf den Erkenntnissen der empirischen Untersuchung von Rohrbeck. 600 Der Innovationsprozess bildet die Phasen des Innovationsmanagements ab und untergliedert sich in die Prozessschritte Initialphase, Ideengenerierung, Ideenbewertung und -auswahl, Projektdurchführung sowie Markteinführung (Quelle: Crawford (1994), S. 26). 601 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 182; die Rolle des Ideengebers spielt naturgemäß am Anfang des Innovationsprozess eine Rolle, die Rolle als Strategieinstrument ist losgelöst vom ganzen Prozess und das kontinuierliche Instrument zur Untersuchung der Innovationsaktivitäten ist im gesamten Prozess von Bedeutung. 602 Vgl. Trux et al. (1985), S. 372. 116 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung tet. Damit stellen sie einen direkten Bezug zu den Phasen der strategischen Frühaufklärung her, die ihrem „Aufwirbel-Ansaug-Filter-System“603 entsprechen. 604 In der ersten Aufsaug-Ansaug-Phase erfolgt das Aufwirbeln von Ideen, die dann in der anschließenden Filterphase einer Tiefenanalyse unterzogen werden. 605 Nachdem die Innovationsideen Suchfeldern zugeordnet werden und eine Projektselektion durch das Top-Management erfolgt, wird das Projekt initiiert. Die aussortierten Ideen werden „recycelt“, damit eine regelmäßige Wiedervorlage erfolgen kann und aussortierte Ideen nicht übersehen werden. 606 Rohrbeck & Gemünden (2008) haben mit Hilfe des Planungsparadigmas des Innovationsmanagements mögliche Nutzenfelder der strategischen Frühaufklärung in der Rolle als Ideengeber ergänzt, welche in Abb. 3-7 abgebildet wird. Neue Märkte Neue Technologien Strategische Koordination Taktische Koordination Neue Zielgruppen Umfeldscanning Produktkonzepte Marktscanning Operationale Koordination Umzusetzende Projekte Monitoring d. Marktprämissen Scannen F&E Aktivitäten Verfügbare Technologien Scannen für Technologieq uellen Neue Produktkonzepte Wettbewerbss canning Neue Quellen Scannen disruptiver Technologie Monitoring d. Technologieprämissen Strategic Foresight Abb. 3-7: Beitrag der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement (Quelle: Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 155) Durch Scanning des Umfeldes, des Marktes, der Wettbewerber sowie durch Forschung und Technologie ist eine Identifizierung neuer Märkte, neuer Zielgruppen, Produktkonzepte und Technologien möglich. 607 In diesem Zusammenhang ergänzt Lichtenthaler (2004), dass eine strategische Frühaufklärung, die nicht nur auf Scan603 Das Aufwirbel-Ansaug-Filter-System ist ein von Kirsch & Trux entwickeltes Modell zur Beschreibung der strategischen Frühaufklärung. Es besteht aus mehreren Bestandteilen: (1) Das Aufwirbeln von Ideen aus der Umwelt durch das Frühaufklärungssystem; (2) das Ansaugen der aufgewirbelten Ideen durch die Rezeptoren der strategischen Frühaufklärung, ohne sie hinsichtlich der strategischen Relevanz zu beurteilen; (3) die Filterung der Ideen nach Relevanz und (4) das Ideenrecycling zum Abrufen der Ideen zu einem späteren Zeitpunkt (Quelle: Jossé (2004), S. 187). 604 Vgl. Trux et al. (1985), S. 373. 605 Vgl. Trux et al. (1985), S. 375; siehe auch Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 186. 606 Vgl. Trux et al. (1985), S. 376; siehe auch Cuhls (2011), S. 192. 607 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 155. 117 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung ning und Monitoring beschränkt ist, sondern aktiv an der Formulierung von Bedürfnislandschaften beteiligt wird, sich zu einem visionären Instrument zur Bestimmung von Innovationserfordernissen entwickelt.608 In seiner empirischen Erhebung hat Rohrbeck (2010) darüber hinaus bewährte Praktiken zusammengetragen, die diese theoretische Überlegung bestätigen. Die strategische Frühaufklärung dient in diesem Zusammenhang zur: 609 Identifikation neuer Bedürfnisse: Sowohl soziokultureller Wandel als auch veränderte Kundenbedürfnisse bedingen neue Produktanforderungen, die Innovationen auslösen. Identifikation neuer Technologien: Fortlaufendes Scannen von Wissenschaft und Technologie ermöglicht das Aufspüren neuer relevanter Technologien. Identifikation von Wettbewerbsaktivitäten: Durch fortlaufendes Monitoring von Wettbewerbern besteht die Möglichkeit, künftige Handlungen und Innovationsaktivitäten aufzuspüren. Anhand dieser Informationen werden neue Innovationsprojekte ausgelöst, die in den Ideentrichter am Anfang des Innovationsprozesses gelangen und wiederum eine erhöhte Quantität als auch Qualität an Innovationen ermöglichen.610 In den BestPractices-Fällen fand Rohrbeck zwei mögliche organisatorische Anbindungen. Entweder wird die strategische Frühaufklärung im Rahmen des Innovationsmanagements durchgeführt oder ist vollkommen autark und versorgt die Innovationseinheiten lediglich mit Informationen in Form von Newslettern, E-Mails und Ähnlichem.611 Die Verantwortung Handlungen einzuleiten, liegt in diesem Fall bei den zuständigen Innovationsmanagern. 612 Ruff (2006) zeigt in einer Fallstudie, wie die konkrete organisatorische Umsetzung dieser Funktion erfolgen kann. Die Aufgabe das Produktportfolio durch neue Ideen zu erweitern, wurde mit Hilfe eines fünfstufigen Prozesses durch das Frühaufklärungs-team ausgeführt.613 In der ersten Phase werden zukünftige Trends durch Beobachtung und Experteninterviews identifiziert, um in der nächsten Phase die Auswirkungen dieser Trends an Produktanforderungen abzuschätzen. 614 Im Ergebnis entsteht ein Ranking der künftigen Kundenerwartungen, welches mit dem bestehenden Portfolio für künftige Innovationen abgeglichen wird, um offene Suchfelder zu 608 Vgl. Lichtenthaler (2004), S. 128; siehe auch Gausemeier et al. (2001), S. 137. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 184. 610 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 182. 611 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 189. 612 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 183. 613 Vgl. Ruff (2006), S. 288. 614 Vgl. Ruff (2006), S. 287. 609 118 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung ermitteln. Im Anschluss daran wird ein Ideenworkshop durchgeführt, um die identifizierten Suchfelder mit konkreten Ideen zu füllen. In der vierten Phase werden diese beurteilt und anschließend auf Machbarkeitsworkshops überführt. 615 Dieses Vorgehen bietet den Vorteil jederzeit schnell durchführbar zu sein. Der Einsatz von funktionsübergreifenden Teams sichert darüber hinaus eine schnelle Entscheidungsfindung und Management-Beachtung aller beteiligten Abteilungen.616 Bisher erkennen Unternehmen das Potenzial der Frühaufklärung vor allem in Zeiten von disruptivem Wandel, wenn die Entwicklung von neuen Geschäftsfeldern im Vordergrund steht.617 Die Stärkung oder Validierung bestehender Bereiche rückt dabei in den Hintergrund.618 Strategische Frühaufklärung als Strategieinstrument Neben dem Einsatz der strategischen Frühaufklärung im strategischen Management wird der Einsatz in der Strategieformulierung des Innovationsmanagements diskutiert. Burmeister et al. (2004) sehen hierin die grundlegendste Aufgabe der strategischen Frühaufklärung, da sie „(…) einen fruchtbaren Ansatz zur Entwicklung und Qualifizierung von Innovationsstrategien“619 darstellt. Insgesamt definieren sie sogenannte Innovationsparameter, ohne jedoch näher auf die Implementierungsaspekte einzugehen. Sie argumentieren, dass die strategische Frühaufklärung Orientierungswissen bereithält und damit eine gedankliche Auseinandersetzung der Alternativen sowie die Offenlegung der Annahmen des künftigen Unternehmensumfeldes ermöglicht.620 Darüber hinaus kann die Qualität von Innovationen verbessert werden, da der Mehrwert der Innovation im Kundennutzen näher bestimmt wird. Die strategische Frühaufklärung deckt künftige Kontexte und Wirkungsbeziehungen von Innovationen auf und gibt damit Gestaltungshinweise, d.h. welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um das Produkt erfolgreich einzuführen und Nutzungshürden abzubauen. Des Weiteren hilft die strategische Frühaufklärung sowohl aus Chancen als auch aus Risiken frühzeitig neuartige Produkte abzuleiten und auch einen geeigneten Zeitpunkt zur Markteinführung passend zu den Umfeldbedingungen zu bestimmen. 621 Diese Parameter erscheinen nicht eindeutig überschneidungsfrei und gehen oftmals miteinander einher. Vor allem die organisatorische Umsetzung wird in dieser Betrachtung vernachlässigt und gibt demnach wenig Aufschluss zur konkreten Ausgestaltung. 615 Vgl. Ruff (2006), S. 288. Vgl. Ruff (2006), S. 287f.. 617 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 180. 618 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 184. 619 Burmeister et al. (2004), S. 119. 620 Siehe dazu auch Gausemeier et al. (2000), S. 210; Gausemeier et al. (2001), S. 52. 621 Vgl. Burmeister et al. (2004), S. 119–125; Gausemeier et al. (2000), S. 210. 616 119 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Etwas deutlicher diskutiert wiederum Rohrbeck (2010) die Funktion als Strategieinstrument im Innovationsprozess. Rohrbeck sieht diese Rolle als entscheidend im Erneuerungs- und Neupositionierungsprozess an. In diesem Zusammenhang deckt er fünf Auswirkungsmöglichkeiten auf: 622 Beurteilung und Repositionierung des Innovationsportfolios anhand von Trends und Umfeldentwicklungen Schaffung der strategischen Orientierung durch die Nutzung von Zukunftswissen zur Definition der strategischen Richtung Identifikation von neuen Geschäftsmodellen, indem bestehende Modelle in Frage gestellt werden und neue Alternativen aufgezeigt werden Erzeugen von Diskussionen zu bestehenden Denkmodellen und deren unternehmensweiter Konsolidierung Schaffen einer Zukunftsvision und einem einheitlichen Verständnis der künftigen Entwicklungslinie Die Hauptkunden dieser Frühaufklärungsfunktion sind vor allem in Innovationsstrategieabteilungen oder Abteilungen zu strategischen Technologien zu finden, womit Rohrbeck eine direkte Beteiligung dieser Einheiten an dem Frühaufklärungsprozess empfiehlt.623 Strategische Frühaufklärung als kontinuierliches Instrument zur Untersuchung der Innovationsaktivitäten Die strategische Frühaufklärung ist nicht nur in den Anfangsphasen des Innovationsprozesses von Relevanz, sondern dient dem kontinuierlichen Überprüfen von Markt-, Technologie- und Kundenprämissen.624 Die Innovationsprojekte müssen demnach fortwährend dem Stand der Zeit entsprechen und dürfen nicht an den Bedürfnissen der Kunden vorbei entwickelt werden. In dieser Funktion stellt die Frühaufklärung Informationen bereit und sollte im Idealfall über ein Vetorecht für Entscheidungen im Innovationsprozess verfügen. Auch hier ist wieder auf Rohrbeck zu verweisen, der drei Wirkungen festgestellt hat:625 Herausfordern und Abgleichen der Basisannahmen der Innovationsaktivitäten mit den externen Veränderungen, Scannen von Disruptionen, die bestehende und künftige Innovationen gefährden können, 622 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 185f. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 189. 624 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 159. 625 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 187f. 623 120 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Hinterfragen von derzeitigen F&E Projekten mit dem Fokus der ständigen Anpassung an Umfeldveränderungen. Potter & Roy (2000) und Gruber et al. (2003) ergänzen darüber hinaus, dass die strategische Frühaufklärung zur Ideenbewertung, -priorisierung und -auswahl genutzt werden kann, indem sie die Informationsgrundlage für eben solche darstellt.626 Die Umsetzung erfolgt direkt in face-to-face Workshops mit den F&EProjekteinheiten.627 Gruber et al. ergänzen in diesem Zusammenhang diese Rollen um eine weitere, die Weiterverfolgung der Innovationsideen, was einer Strategieimplementierungsrolle gleichkommt.628 Aufgabe der strategischen Frühaufklärung stellt hierbei die Integration der relevanten Innovationsideen in die Organisationsstruktur des Unternehmens und die Sicherung der Umsetzung dar. 629 Diese Aufgabe der Frühaufklärung wurde bisweilen kaum in der Literatur beachtet oder gar untersucht. Fazit Insgesamt geben diese drei Funktionen Aufschluss über die Nutzung der strategischen Frühaufklärung im Unternehmen. Nichtsdestotrotz besteht bisweilen kein ganzheitliches Verständnis sowohl über eine wirkungsvolle Integration in das Innovationsmanagement als auch über die zugrundeliegenden Mechanismen und Wirkungsweisen.630 Darüber hinaus ist eine trennscharfe Darstellung der Rollen im Innovationsprozess wie bei Rohrbeck nur schwer möglich. Vor allem die Rolle als Ideengeber und Strategieinstrument scheinen oftmals miteinander einherzugehen.631 Das folgende Zitat verdeutlicht dies: „Technology foresight is perceived as being directly useful and necessary for strategy formulation. Results flow directly into short- and long-term research planning. In this respect, technology foresight is regarded as the basis for new fields of business; it can lead to new research projects or programs and strategic innovations projects.”632 Sobald die strategische Frühaufklärung dazu dient, Innovationsstrategien zu formulieren, beeinflusst dies unmittelbar die Ideenphase, die damit gleichzeitig neue An- 626 Vgl. Potter & Roy (2000); Gruber et al. (2003), S. 286. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 189. 628 Vgl. Gruber et al. (2003), S. 286. 629 Vgl. Gruber et al. (2003), S. 286. 630 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 160. 631 Vgl. Càron-Fàsân & Marie-Laurence (2008), S. 26. 632 Reger (2001), S. 537. 627 121 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung regungen erhält. Fraglich bleibt in diesem Zusammenhang auch, wie die Rollen gleichzeitig im Unternehmen umgesetzt werden. Rohrbeck verweist lediglich auf Best Practices, die die Vorreiter für nur eine Rolle im Innovationsprozess darstellen. Wie sich letztlich die Umsetzung mehrerer Rollen und deren gegenseitige Einflussnahme gestalten, bleibt gänzlich offen. Der Einfluss der einzelnen Aufgabenfelder (siehe 3.2.2) kann in den verschiedenen Bereichen des Innovationsprozesses einfließen.633 Abb. 3-8 zeigt die Bedeutung der einzelnen Aufgaben im Innovationsprozess. 634 Innovationsprozess Strategische Frühaufklärung Initialphase Ideengenerierung Ideenbewertung & auswahl Projektdurchführung Markteinführung Anticipatory Intelligence Direction Setting Determining Priorities Strategy Formulation Innovation Catalyzing Hohe Relevanz in der Prozessphase Keine Relevanz in der Prozessphase Abb. 3-8: Phasenspezifische Bedeutung der strategischen Frühaufklärung im Innovationsprozess (Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Becker (2002), S. 9) Somit zeigt sich, dass die Funktion „Anticipatory Intelligence“ innerhalb des gesamten Prozess eine Informations- und Beratungsfunktion hat, indem sie Informationen über Marktentwicklungen und Frühwarnungen bereithält. 635 Das kontinuierliche Scanning und Monitoring stimuliert sowohl Strategiebildung sowie Ideengenerierung als auch die spätere Auswahl und Konsolidierung von Projekten. 636 Dahin- 633 Die von Becker (2002), S. 9 identifizierten Funktionen dienen hier als Diskussionsgrundlage, siehe Kapitel 3.2.2. 634 Siehe dazu auch Müller & Müller-Stewens (2009), S. 32ff. 635 Siehe dazu auch Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 159f. 636 Vgl. Cooper & Edgett (2007), S. 63. 122 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung gegen spielt das „Direction Setting“ vor allem in den frühen Phasen des Innovationsprozesses eine Rolle, in denen der komplette Prozess ausgerichtet und die Orientierung sowohl für die Innovationsstrategie als auch für die Ideengenerierung gegeben wird.637 Das Festlegen von Prioritäten („Determining Priorities“) ist vor allem bei der Ideenauswahl von Relevanz, beeinflusst aber indirekt auch die frühen Phasen des Innovationsprozesses, für den Fall das einzelne Suchfelder bestimmt werden.638 Die Strategieformulierung nimmt ebenso eine Funktion bei der Initialphase ein und wird später bei der Verwirklichung eines Projektes und der konsistenten Verwirklichung sowie Kommunikation der einzelnen Projektidee benötigt. Das „Innovation Catalyzing“ unterstützt allgemein das Innovations- und Zukunftsdenken im Unternehmen und kommt in allen Phasen des Prozesses zum Tragen, ist aber durch die vermutete Visionsleistung stark in der Ideengenerierung von Relevanz. 639 Insgesamt wird deutlich, dass strategische Frühaufklärung je nach Ausgestaltung im Unternehmen, vielfältig Einfluss nehmen kann. Zu beachten ist aber auch hier, dass das Ausmaß der Umsetzung ebenso Einfluss auf die Aufgabenfelder im Innovationsprozess ausübt. Wird klassisch nur eine Informationsfunktion ausgeübt, nimmt die strategische Frühaufklärung nur passiv am Innovationsprozess teil und stellt lediglich Informationen bereit, ohne aber an der Entscheidung über Strategien, Suchfelder oder Ideenpriorisierung teilzunehmen. Nichtsdestotrotz kann das Innovationsmanagement vielfach von einer strategischen Frühaufklärung profitieren. Wie sich eine Beeinflussung der Innovationsfähigkeit, wie sie in dieser Arbeit untersucht wird, gestaltet, soll an dieser Stelle noch nicht betrachtet werden, wenngleich erste Rückschlüsse möglich wären. Diese werden jedoch in Kapitel 4 als Zusammenführung der Ergebnisse aus Kapitel 2 zur Innovationsfähigkeit und diesem Kapitel erhoben. 3.2.3 Organisatorische Verankerung Die strategische Frühaufklärung kann auf vielfältige Weise im Unternehmen eingebunden sein. Grundsätzlich ist eine Differenzierung nach Unternehmensebene und Organisationsform möglich. 640 Zum einen besteht die Möglichkeit, die strategische Frühaufklärung auf Gesamtunternehmensebene anzusiedeln und z.B. dem Corporate Development zuzuordnen. Vielfach ist die strategische Frühaufklärung auf Ge- 637 Vgl. Cooper & Edgett (2007), S. 26f.; Eversheim (2009), S. 45; Gausemeier et al. (2000), S. 21. Vgl. Cooper & Edgett (2007), S. 193; Eversheim (2009), S. 47. 639 Vgl. Càron-Fàsân & Marie-Laurence (2008), S. 19; Becker (2002), S. 9f; Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 159. 640 Vgl. Baisch (2000), S. 105. 638 123 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung schäftseinheitsebene durch Stabsabteilungen vertreten oder findet ihre Funktion in Marketing-, Strategie- oder Innovationsabteilungen. 641 Die Organisationsformen reichen dabei von einzelnen spezialisierten Mitarbeitern, zeitlich begrenzten Projektgruppen, Einzelprojekten oder gar festen Projektgruppen.642 Becker hat in seiner Umfrage in 19 europäischen Großunternehmen die Organisationsformen zu drei grundlegenden verdichtet: 643 Der Sammelposten (“Collection Post”) zeichnet sich durch ein eher geringes Maß an Frühaufklärungsaktivitäten und einen engen thematischen Fokus aus. Zukunftsbezogene Forschung findet hier eher im Zusammenhang mit anderen strategischen F&E-Aktivitäten statt, d.h. bei dieser Gestaltungsform arbeiten aufgrund der limitierten Kapazitäten vornehmlich Einzelspezialisten in einer bestehenden Abteilung, die Entscheidungsträger mit Hintergrundinformationen versorgen. Frühaufklärung hat hierbei eine eher geringe Sichtbarkeit im Unternehmen und wird nur von direkt Involvierten wahrgenommen. Das Observatorium („Observatory“) stellt eine eigenständige Frühaufklärungseinheit mit eigenen Mitarbeitern und eigenem Budget dar.644 Die Einheit widmet sich der Beobachtung eines oder mehrerer vorher definierter Themenfelder, bleibt aber meist in unternehmensnahen Bereichen und ist damit spezialisierter als die dritte Form, die Denkfabrik. Der sogenannte Think Tank ist durch den höchsten Spezialisierungsgrad charakterisiert und daher am breitesten aufgestellt.645 Innerhalb des Think Tanks werden nicht nur unternehmensnahe Umfeldentwicklungen beobachtet, sondern auch Entwicklungen im breiteren sozioökonomischen, kulturellen und regionalen Umfeld. 646 Vielfach greifen sie eigene Themen auf und bringen sie dann ins Unternehmen. 647 Diese Organisationsform arbeitet sowohl für interne als auch für externe Auftraggeber und verfügt über ein internationales Netzwerk. Durch die Eigenschaften der verschiedenen Organisationsformen ergeben sich unterschiedliche Ausprägungen bezüglich der Ansiedlung im Unternehmen (Geschäftseinheitsebene oder Gesamtunternehmensebene) und der Projektgröße (siehe Abb. 3-9). Der Collection Post wird aufgrund der eingeschränkten Frühaufklärungsaktivitäten durch wenige Mitarbeiter ausgeführt und läuft in einzelnen Abteilungen in den jeweiligen Geschäftsbereichen ab. Die Denkfabrik hingegen stellt 641 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 20. Vgl. Burmeister (2002), S. 94; Becker (2002), S. 11. 643 Vgl. Becker (2002), S. 12. 644 Vgl. Becker (2002), S. 12. 645 Vgl. Daheim & Uerz (2008), S. 325. 646 Vgl. Cuhls & Johnston (2008), S. 109. 647 Vgl. Becker (2002), S. 13. 642 124 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung meist eine eigenständige Abteilung auf Gesamtunternehmensebene dar und bedarf wegen den vielen thematischen Fragestellungen einer Vielzahl an Mitarbeitern.648 Unternehmensbereich Think Tank Gesamtunternehmen Observatory Outsourcer Geschäftseinheit Collection Post Viele Mitarbeiter Wenige, vereinzelte Mitarbeiter Abb. 3-9: Größe der Projekteinheit Organisationsform nach Unternehmensbezug und -größe (Quelle: Eigene Darstellung) Daheim & Uerz konnten zeigen, dass der Trend im Unternehmen zu spezialisierten Abteilungen oder Beobachtern geht, die im Unternehmen gut vernetzt sind. Ebenso ist der Aufbau von eigenen Think Tanks fortgeschritten. Die beiden Forscher haben darüber hinaus eine weitere Organisationsform beobachten können und erweitern damit die Untersuchung von Becker um die Organisationsform „Outsourcer“. Bei dieser Form wird im Unternehmen der zu untersuchende Bereich identifiziert sowie definiert und anschließend an einen externen Partner übergeben. 649 Die Ergebnisse werden nach Fertigstellung wieder ins Unternehmen integriert und weiterverwendet.650 In Unternehmen kommt es oftmals zu dem parallelen Einsatz verschiedener Organisationsformen. 651 Inwiefern diese mit den Zielen des Unternehmens korrelieren und vom Kontext des Unternehmens abhängen, wurde bisweilen nicht erforscht. 648 Vgl. Becker (2002), S. 13. Vgl. Daheim & Uerz (2008), S. 324. 650 Vgl. Daheim & Uerz (2008), S. 324. 651 Vgl. Cuhls & Johnston (2008), S. 109. 649 125 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung 3.2.4 Prozessuale Ausgestaltung Im Folgenden erfolgt ein Überblick über die wichtigsten Schritte und Aufgaben des Prozesses der strategischen Frühaufklärung. Insgesamt existiert eine Reihe von Prozessansätzen in der Literatur, die aber weitestgehend erhebliche Übereinstimmungen aufweisen.652 Einzige Unterscheidungsmerkmale dieser Prozessansätze liegen im Detailgrad und im Schwerpunkt der einzelnen Phasen:653 Zum einen gehen einige Autoren wie Becker (2002), Reger (2001) und Day & Schoemaker (2006) sehr detailliert auf die ersten Phasen des Frühaufklärungsprozesses ein. Becker unterscheidet folgende Phasen: Phase 1: Formulierung der Forschungsfrage Phase 2: Auswahl der Informationsquellen und Methodik Phase 3: Datenanalyse und Entscheidung Phase 4: Implementierung Ein ähnliches Vorgehen ist bei Reger und Day & Schoemaker vorzufinden. 654 Die Stärke dieses Ansatzes liegt in der detaillierten Ausgestaltung der Anfangsphasen, wobei die Festlegung des Informationsbedarfes und des Beobachtungsbereiches sowie die Methodenauswahl explizit als einzelne Prozessschritte festgelegt sind. 655 Dieses Vorgehen ist nicht zwingend notwendig, da in anderen Prozessdefinitionen diese einzelnen Prozessschritte lediglich in einer Phase zusammengefasst werden.656 Nachteilig wirkt sich aus, dass die nachfolgenden Phasen oftmals zu stark zusammengefasst und daher weniger eingehend erläutert werden, ohne dabei ihre eigentliche Bedeutung widerzuspiegeln. Eine weiterreichende zweite Unterscheidung bezieht sich auf die Frage, ob das Auslösen von Handlungen und Reaktionen explizit zum eigentlichen Prozess der Frühaufklärung gehört oder sich an den Frühaufklärungsprozess anschließt. So finden sich Beispiele in der Literatur, bei denen der Handlungsaspekt nicht dem Frühaufklärungsprozess zugeteilt wird. 657 Dementsprechend unterteilen Bea & Haas (2009) in die Prozessphasen Erkennung, Diagnose und Weitergabe der Frühaufklärungsinformationen.658 Ähnlich klassifiziert Hazebrouck (1998) in die Phasen: Scanning und Monitoring, Analyse und Planung von Reaktionen sowie anschließend die Wei- 652 Siehe zusammenfassend dazu Niemeyer (2004), S. 128. Vgl. Davis (2008), S. 78. 654 Vgl. Day & Schoemaker (2006), S. 5, Reger (2001), S. 537. 655 Vgl. Davis (2008), S. 79. 656 Vgl. Davis (2008), S. 80. 657 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 321; Hazebrouck (1998), S. 72. 658 Vgl. Bea & Haas (2009), S. 324f. 653 126 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung terverfolgung der Reaktionsmöglichkeiten im strategischen Planungs- und Kontrollprozess.659 Daneben herrschen durchaus umfassendere Prozessauffassungen, die den Handlungsaspekt inkludieren. Diese werden vor allem durch Krystek & Müller-Stewens (1993) und Hammer (1988) vertreten. 660 Hammer untergliedert in folgende Prozessphasen:661 Phase 1: Beobachtung der definierten frühaufklärungsrelevanten Unternehmens- und Umweltbereiche und Erfassung schwacher Signale Phase 2: Analyse der schwachen Signale inkl. ihrer potentiellen Auswirkungen Phase 3: Relevanzbeurteilung von Frühaufklärungssignalen Phase 4: Formulierung von Reaktionsstrategien Phase 5: Implementierung und Kontrolle Diese Unterscheidung entspricht dem Vorgehen in der Praxis wie Becker festgestellt hat und ist eng mit den Aufgaben und Einsatzfeldern der strategischen Frühaufklärung verknüpft. Wenngleich einige Unternehmen die Informationsgenerierung in den Vordergrund stellen, existieren Unternehmen, die die strategische Frühaufklärung mit der tatsächlichen Entscheidungsvorbereitung und Implementierung in Verbindung bringen. 662 Die Unterscheidung, die von den Autoren vorgenommen wird, welche allerdings ebenso den Gegebenheiten in der Praxis entspricht, lässt vielmehr auf verschiedene Reifegrade oder Ausprägungen der Umsetzung der strategischen Frühaufklärung schließen.663 Folglich wird in Unternehmen, deren Frühaufklärungssystem einen ausgeprägten Reifegrad aufweist, das Potenzial der Frühaufklärung zur Entscheidungsfindung und Handlungsvorbereitung besser ausgenutzt als in Unternehmen mit einem geringen Reifegrad. 664 Das Potenzial einer Frühaufklärung liegt dennoch in den abgeleiteten Handlungsimplikationen. Nick betont in diesem Zusammenhang: „Eine erweiterte Betrachtung ist demnach elementar, der Wert der strategischen Frühaufklärung liegt im Wert der Handlung. Strategische Frühaufklärung wird 659 Vgl. Hazebrouck (1998), S. 72; siehe auch Loew (1999), S. 42. Vgl. Krystek & Müller-Stewens (2006), S. 238, Siehe aber auch Nick (2008), S. 21, Davis (2008), S. 88f. 661 Hammer (1988), S. 253. 662 Vgl. Becker (2002), S. 9f. 663 Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 3.2.6 zu Rohrbeck (2010). Er entwickelt ein Reifegradmodell anhand dessen sich eine Einstufung der Ausprägung der strategischen Frühaufklärung vornehmen lässt, welches dort näher erläutert wird. 664 Siehe dazu auch die Erläuterungen zum Reifegrad der Frühaufklärung in Kap. 3.2.6 und dem zugehörigen Modell von Rohrbeck (2010). 660 127 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung sich somit an der Qualität der getroffenen Entscheidung und anschließenden Handlung messen lassen müssen. Die Handlung selbst mag zwar nicht mehr direkt von den Aufgabenträgern strategischer Frühaufklärung zu verantworten sein, die Aktivitäten müssen aber genau darauf hinarbeiten.“665 Dementsprechend wird in dieser Arbeit weiterhin das umfassende Prozessverständnis vertreten, was sich bereits in der vorliegenden Arbeitsdefinition aus Kapitel 3.1.1 zeigt. Insgesamt erfolgt die Darstellung eines Prozesses naturgemäß durch sukzessives Durchlaufen der einzelnen Phasen. In diesem Zusammenhang sei aber darauf hingewiesen, dass die Trennung der Prozessphasen nur idealtypisch vorgenommen wird und der Vereinfachung dient. 666 Insofern kritisiert Sepp in diesem Zusammenhang, dass komplex-dynamische Veränderungen nicht mit einem linearen Prozess erfasst und bewältigt werden können. Daher betont er die Notwendigkeit einer rekursiven Verknüpfung der Prozesselemente.667 Ebenso verweist Davis (2008) darauf: „Je nach Unternehmenskontext werden unterschiedliche Schwerpunkte gelegt oder Phasen vor- oder nachgezogen. Es ist also kein linearer Ablauf vorgegeben. Weiterhin können die einzelnen Phasen nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden; sie überschneiden sich und folgen manchmal sogar einer parallelen Abfolge.“668 Folglich dient die Darstellung als Prozess vor allem der Verdeutlichung der einzelnen Aktivitäten, die sich zu Phasen zusammenfassen lassen können und entspricht somit dem idealtypischen Verlauf. Zur vollständigen Darlegung werden im Anschluss die Aktivitäten in den einzelnen Phasen anhand der Prozesskonzeption von Hammer beschrieben. Hammers Prozesskonzeption wird genutzt, weil die Einteilung in Prozessphasen bei ihm sehr ausgewogen ist – er fasst weder zu grob noch zu detailliert zusammen. 665 Nick (2008), S. 191. Vgl. Nick (2008), S. 73. 667 Vgl. Sepp (1996), S. 209; Baisch (2000), S. 111f. 668 Davis (2008), S. 80. 666 128 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Aktivitäten in der Phase Erfasssung Analyse Relevanzbeurteilung Reaktionsstrategien Implementierung und Kontrolle • Scanning • Monitoring • Dokumentation • Tiefenanalyse zur Feststellung der Muster • Analyse der Ursachen • Wirkungsprojektion • Relevanzbeurteilung • Rangordnungserstellung • Bestimmung der Dringlichkeit • Entwicklung von Reaktionsstrategien • Auswahl der Reaktionsstrategie • Verbindlichmachung der Reaktionsstrategie für Planungsstufen • Kontrolle des Handlungvollzuges Abb. 3-10: Prozessphasen der strategischen Frühaufklärung (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hammer (1988), S. 253) (1) Erfassung schwacher Signale Innerhalb dieser Phase geht es darum, die Ereignisse, die auf eine Veränderung des Unternehmensumfeldes hinweisen, möglichst früh zu identifizieren. 669 Dieser Prozessschritt besteht aus den zwei Basisaktivitäten der strategischen Frühaufklärung, die vor allem von Krystek & Müller-Stewens geprägt wurden: Scanning und Monitoring. 670 In Anschluss an die Basisaktivitäten ist zudem die Dokumentation von schwachen Signalen ein weiterer Bestandteil dieser ersten Phase. 671 Zur Wahrnehmung und Identifikation relevanter und möglicher Ereignisse wird zunächst das Scanning durchgeführt. Das Scanning untersucht das Unternehmensumfeld wie ein 360-Grad Radar, um in den Beobachtungsbereichen jederzeit schwache Signale wahrzunehmen. Das Scanning wird eher durch intuitives Vorgehen hinsichtlich des Ortes der Suche und der Relevanz der Beobachtungsgebiete begleitet 669 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 175; Ansoff (1980), S. 134. Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 175; dazu auch: Loew (1999), S. 41; Hazebrouck (1998), S. 72; Roll (2004), S. 223; siehe auch: Konrad (1991), S. 50ff. 671 Vgl. Krystek (2006), S. 182ff.; Baisch (2000), S. 112. 670 129 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung und kann sowohl begrenzt als auch unbegrenzt auf verschiedene Themenbereiche angewendet werden.672 Anschließend erfolgt das Monitoring. Aufgabe des Monitorings ist die vertiefende und dauerhafte Beobachtung der Signale, um die im Scanning erfassten Signale weiter zu betrachten.673 Im Mittelpunkt der Betrachtung liegt hierbei die Frage, ob das beobachtete Phänomen als Chance oder Gefahr für das Unternehmen definiert wird. Das Monitoring wird vor allem durch analytisches, strukturiertes Vorgehen beschrieben.674 Laut Krystek & Müller-Stewens (1993) lassen sich die beiden Aktivitäten, Scanning und Monitoring, nach Gerichtetheit der Suche weiter beschreiben. 675 Die ungerichtete Suche erfolgt demnach vor allem außerhalb der Domäne des Unternehmens, dies entspricht eher einem outside-in Ansatz, bei dem ohne Verbindung zum Unternehmen das Makroumfeld durchsucht wird. Die gerichtete Suche beschränkt sich auf die Domäne des Unternehmens und verfolgt eine inside-out Pesrpektive, d.h. sie schränkt demnach die Wahrnehmung der Aktivität ein. Sowohl Scanning als auch Monitoring lassen sich gerichtet sowie ungerichtet durchführen.676 Nach dem Scanning und Monitoring erfolgt die Dokumentation der schwachen Signale.677 Krystek & Müller-Stewens (1993) und Trux et al. (1984) sprechen sich für eine wohl-strukturierte und standardisierte Trendmeldung aus.678 Die erfassten und dokumentierten Signale werden damit auf die folgende Analyse vorbereitet. (2) Analyse erfasster Signale Bei der Analyse der erfassten Signale besteht die Aufgabe darin, Verbreitungs- und Verhaltensmuster auszumachen, um die Ursachen und die potentiellen Auswirkungen auf das Unternehmen darzulegen.679 Hammer hat in diesem Zusammenhang folgende Teilaufgaben bestimmt: Feststellung des Verhaltensmusters, Analyse der Ursachen sowie die Prognose der Ereignisauswirkungen. 680 Prognosen sind hier nicht zwingend mathematisch-statistischer Natur, sondern können mit Hilfe der Szenario-Technik entwickelt werden. 681 Dabei steht die Herstellung eines breiten Kontextes des Ereignisses im Vordergrund, so dass komplexe Trendlandschaften 672 Vgl. Krystek (2006), S. 237; Day & Schoemaker (2006), S. 50. Vgl. Hazebrouck (1998), S. 73. 674 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 176. 675 Siehe dazu auch die Ausführungen von Sepp (1996), der einen leicht veränderten Ansatz wie Krystek & Müller-Stewens verfolgt. 676 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 177. 677 Vgl. Krystek (2006), S. 185; Sepp (1996), S. 180; Baisch (2000), S. 113; Roll (2004), S. 226. 678 Krystek & Müller-Stewens (1993) schlagen z.B. Trendmeldeformulare aus, die jederzeit abrufbar sind. 679 Vgl. Rauscher (2004), S. 55f. 680 Vgl. Hammer (1988), S. 257; Zimmermann (1992), S. 124f. 681 Vgl. Zimmermann (1992), S. 131. 673 130 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung entstehen, die hinreichend weit abgegrenzt sind, um keinen Zusammenhang zu vernachlässigen.682 (3) Relevanzbeurteilung Bisher erfolgte die Filterung der schwachen Signale nur anhand von subjektiven Kriterien, jedoch bedarf es einer intersubjektiven, nachvollziehbaren Einstufung der Relevanz. In dieser Phase der strategischen Frühaufklärung sollen die möglichen Auswirkungen eines betrachteten Ereignisses auf die strategische Position des Unternehmens bewertet werden.683 Dazu werden oftmals in einer Matrix die Stärken und Schwächen des Unternehmens mit den betrachteten Gelegenheiten und Gefahren abgeglichen, um die einzelnen Auswirkungen auf das Unternehmen zu erfassen.684 Liebl hat dabei zu bedenken gegeben, dass diese Stärken-SchwächenAnalyse auf dem heutigen Entwicklungsstand des Unternehmens steht. Folglich müssen die Ergebnisse immer unter dieser Prämisse bewertet werden.685 „Beim Auftreten „positiver Synergien“ – bisherige Schwächen wirken sich in Zukunft positiv aus – könnten die bisherigen Stärken und Schwächen dazu benutzt werden, Gelegenheiten auszuschöpfen oder Gefahren abzuwenden. Im Falle „negativer Synergien“ – bisherige Stärken werden wertlos - gelte es, neue Fähigkeiten in der Unternehmung zu kultivieren.“686 Als Ergebnis dieser Beurteilung entsteht ein Chancen- und Gefahrenprofil für das Unternehmen, welches als Grundlage zur Formulierung der Reaktionsstrategien dient.687 (4) Formulierung von Reaktionsstrategien Die Formulierung von Reaktionsstrategien erfolgt laut Hammer nur, wenn Chancen und Gefahren für das Unternehmen festgestellt sind.688 Nick macht darauf aufmerksam, dass der Ansatz der abgestuften Reaktionsstrategien zu berücksichtigen ist, wonach neben den Strategien der gezielten Reaktion ebenso Strategien der Wahr- 682 Vgl. Horton (1999), S. 7; Day & Schoemaker (2006), S. 78; Calof & Smith (2010), S. 34. Vgl. Ansoff (1980), S. 140. 684 Vgl. Zimmermann (1992), S. 136ff.; Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 192; Rauscher (2004), S. 59ff. 685 Vgl. Liebl (1996), S. 16. 686 Liebl (1996), S. 16. 687 Anders als in den Ausführungen von Müller-Stewens & Lechner (2011), sind mit Chancen und Gefahren Ereignisse gemeint, die noch nicht mit dem Stärken- und Schwächenprofil des Unternehmens abgeglichen sind (dort werden sie als Gelegenheiten und Gefahren dargstellt, nach dem Abgleich mit den Stärken und Schwächen ergeben sich Chancen und Risiken, siehe dazu: MüllerStewens & Lechner (2011), S. 192. 688 Vgl. Hammer (1988), S. 259. 683 131 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung nehmung und Strategien zur gesteigerten Flexibilität möglich sind. 689 Hammer unterstreicht zudem die Notwendigkeit, die „(…) Isoliertheit der Betrachtung und Weiterverfolgung von Frühaufklärungssignalen bis zur Entwicklung von Reaktionsstrategien aufzugeben und die Formulierung von Reaktionsstrategien im größeren Kontext der strategischen Planung zu sehen (…)“690. Damit muss die strategische Frühaufklärung immer im Kontext zu bestehenden Managementsystemen gesehen werden.691 Die Formulierung der Reaktionsstrategien erfolgt zunächst durch die Entwickelung von alternativen Reaktionsstrategien und anschließend durch die Bewertung und Auswahl dieser. 692 (5) Implementierung und Kontrolle Wie schon angesprochen wird sehr kontrovers diskutiert, ob die Implementierung der Reaktionsstrategien einen Teil der strategischen Frühaufklärung darstellt. 693 Für Autoren wie Hammer, Krystek & Müller-Stewens und Day & Schoemaker, die diese Meinung vertreten, gehören folgende Aufgaben zu diesem letzten Prozessschritt: Erstellung von operativen Plänen für die Durchführung, Organisation der Durchführung sowie die Kontrolle der Durchführung. 694 Weitgehend unbeachtet bleibt in bisherigen Prozessansätzen die Rolle der Kommunikation. Die Kommunikation der Frühaufklärungsergebnisse stellt einen erheblichen Erfolgsfaktor in der Umsetzung dar, wird aber im klassischen Verständnis nicht weiter untersucht.695 Ohne eine geeignete Kommunikation der Ergebnisse an Entscheidungsträger im Unternehmen wird die Frühaufklärung nicht zu Handlungen führen, wodurch deren Bedeutung im Unternehmen in Frage gestellt werden kann. 696 Dabei sind vor allem Zeitpunkt und Form der Kommunikation der Frühaufklärung von Bedeutung. Als Aktivität im Frühaufklärungsprozess ist die Kommunikation vor allem vor und während der Formulierung der Reaktions-strategien erforderlich.697 Aus diesen Gründen sieht Nick Kommunikation als eine Phase des Prozesses der strategischen Frühaufklärung, die an die Bewertung der Issues und Trends anschließt und die Handlung einleitet.698 689 Vgl. Nick (2008), S. 77, siehe auch Ansoff (1975), S. 26. Hammer (1988), S. 259. 691 Vgl. Horton (1999), S. 8. 692 Vgl. Hammer (1988), S. 261. 693 Vgl. Gomez (1983), S. 52; siehe zusammenfassend auch Niemeyer (2004), S. 128. 694 Vgl. Hammer (1988), S. 262; Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 174; Day & Schoemaker (2006), S. 119. 695 Vgl. Day & Schoemaker (2006), S. 140. 696 Vgl. Day & Schoemaker (2006), S. 149. 697 Vgl. Roll (2004), S. 227f. 698 Vgl. Nick (2008), S. 114. 690 132 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung 3.2.5 Instrumente und Methoden Die zentralen Instrumente und Methoden bilden den Schwerpunkt der Frühaufklärungsaktivitäten innerhalb des Prozesses, da durch diese die einzelnen Phasen bestimmt werden.699 Hierbei müssen nicht nur die Methoden im engeren Sinn festgelegt werden, sondern ebenso die Themenbereiche, Zeithorizonte und Informationsquellen.700 Darüber hinaus muss diese Auswahl in Abhängigkeit des Kontextes und der Problemfrage bestimmt werden.701 Rohrbeck hat in einer Fallstudienuntersuchung festgestellt, dass viele Unternehmen die Methoden nicht nach inhaltlichen Zielvorgaben aussuchen, sondern vielmehr nach Vertrautheit. 702 Ein derartiges Vorgehen korrespondiert nicht mit den eigentlichen Informationsbedürfnissen. In der strategischen Frühaufklärung existiert kein einheitlicher und fester Bestand an Methoden. 703 Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf vielfältige Methoden aus unterschiedlichen Disziplinen wie Sozial-, Wirtschafts- und Naturwissen-schaften.704 An dieser Stelle wird darauf verzichtet, die verschiedenen Methodenfamilien und deren Einzelmethoden genau zu erläutern. 705 Zur Vervollständigung findet sich in Tab. 3-4 ein kurzer Überblick über die wichtigsten Methoden in Anlehnung an Gordon, eingeteilt in explorativ und normativ und in Abhängigkeit davon, ob ein qualitatives oder quantitatives Verfahren vorliegt. 699 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009). Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 25. 701 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 83. 702 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 83. 703 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 25. 704 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), siehe auch: Daheim & Uerz (2008); Gordon (1994); Cuhls (2008); Cuhls & Johnston (2008); Mietzner & Reger (2009), S. 287. 705 Siehe für eine Analyse: Gordon (1994), Lichtenthaler (2004) haben ausführlich Methoden je nach Einsatzbereich für die Branchen Pharma, Elektronik und Automotive/Maschinenbau dargestellt. 700 133 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Methode Typ Modus quantitativ Umfeld-/ Trendanalyse Wechselwirkungsanalyse Entscheidungsanalyse Entscheidungsmodelle Delphi-Methode Ökonometrie Mindmapping Gaming/Simulationstechnik Genius Forecasting Morphologische Analyse Partizipative Methoden Relevanzbäume Szenariotechnik Statistische Modellierungen Dynamische Modellierungen Strukturanalyse Technologieserienanalyse Zeitreihenvorhersagen Trend Impact Analysis Wild Cards Roadmapping qualitativ normativ explorativ Tab. 3-4: Methoden der strategischen Frühaufklärung nach Typ und Modus (Quelle: Gordon (1994), S. 3f.; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 27) Gordon (1994) unterscheidet in seiner Untersuchung zwischen Methoden, die eine Vielzahl an möglichen Zukunftsbildern (explorativ) aufzeigen und Methoden, die 134 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung ein (gewünschtes) Bild (normativ) entwerfen. 706 Darüber hinaus untersuchen Forscher in empirischen Studien die in Unternehmen meist verwendeten Instrumente. Zu diesen gehören: Trendanalysen, Publikations- und Patentanalysen, Szenarios, Roadmapping, Kreativitätsverfahren wie Brainstorming oder TRIZ, Simulationen und Delphi-Befragungen.707 Insgesamt gewinnt der Einsatz von qualitativen Methoden in Unternehmen an Bedeutung, vor allem der Einsatz von Szenarien. 708 Qualitativen Methoden wird eine bessere Eignung zum Aufzeigen von Möglichkeiten in der Umfeldentwicklung und von Risiken zugesagt. 709 Hochrechnungsbasierte Prognosen führten in der Vergangenheit oft zu Fehlern und täuschten eine Reduzierung der Unsicherheit vor. 710 Empfohlen wird ein intelligenter Mix aus quantitativen und qualitativen Methoden, um aus den Vorteilen beider Gruppen zu profitieren. 711 Burmeister (2002) haben in Abhängigkeit des Einsatzfeldes in Unternehmen die wichtigsten Methoden bestimmt (Abb. 3-11). Demzufolge werden am häufigsten Szenariotechnik, Expertenbefragung, Brainstorming, Umfeld- sowie Publikationsanalysen, Trendexploration, Delphi-Methode und Simulationstechnik in Unternehmen eingesetzt.712 Diese Methoden werden in den Unternehmensbereichen Strategieentwicklung, Planung, Innovationsmanagement, Unternehmens-kommunikation und Marketing unterschiedlich intensiv angewendet. Demnach wird die Szenarientechnik vor allem in der Strategieentwicklung bevorzugt eingesetzt, wohingegen im Innovationsmanagement vor allem auf Brainstorming zurückgegriffen wird. 713 Diese Erhebung spiegelt lediglich die bisherigen Einsatzfelder im Unternehmen wider, nicht aber die potentiellen und sinnvollen Einsatzgebiete. 706 Vgl. Gordon (1994), S. 2. Vgl. Daheim & Uerz (2008), S. 326; Burmeister (2002), S. 63; Scapolo & Porter (2008), S. 151. 708 Vgl. Burmeister (2002), S. 81; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 25. 709 Vgl. Burmeister et al. (2004), S. 80. 710 Vgl. Burmeister et al. (2004), S. 81. 711 Vgl. Scapolo & Porter (2008), S. 156; Reger (2001), S. 544. 712 Vgl. Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193. 713 Vgl. Burmeister (2002), S. 85; zur Szenariomethode siehe auch Schoemaker (1993) und zum Einsatz der Szenariomethode Potter & Roy (2000). 707 135 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Einsatzfeld Methode Strategieentwicklung Planungsprozesse Innovationsmanagement Unternehmenskommunikation Marketing Szenarientechnik Expertenbefragung Brainstorming Umfeldanalyse Publikationsanalyse Trendexploration Delphi-Methode Simulationstechnik Oft genutzt Nur selten bis wenig genutzt Abb. 3-11: Die wichtigsten Methoden nach Einsatzgebieten im Unternehmen (Quelle: Burmeister (2002), S. 85) Bei der Auswahl der Instrumente sind ebenso die Beobachtungsgebiete zu berücksichtigen, die Unternehmen mit unterschiedlichen Prioritäten verfolgen. Als Beobachtungsgebiete kommen grundsätzlich Technologie, Wettbewerber, Kunden sowie Politik und Gesellschaft in Frage, wobei nach Nähe zum bisherigen Geschäftsfeld unterschieden wird (siehe Abb. 3-12). Rohrbeck et al. definieren daher die Inhalte und Ziele der Frühaufklärung nach verschiedenen Beobachtungsgebieten: Politische Frühaufklärung befasst sich mit der Identifizierung, Bewertung und Nutzung von Informationen über Rechtsprechung, das politische Umfeld und Veränderungen in der politischen Ordnung. 714 Technologische Frühaufklärung bezieht sich derweil auf die Identifizierung, Bewertung und Nutzung von Informationen über neu entstehende Technologien und technologische Umbrüche. 715 Kundenfrüh- 714 715 Vgl. Rohrbeck et al. (2007), S. 4. Vgl. Rohrbeck et al. (2007), S. 3. 136 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung aufklärung versucht zukünftige Kundenbedürfnisse sowohl in bestehenden als auch in neuen Kundengruppen aufzudecken. Es beschäftigt sich ferner ebenso mit soziokulturellen Trends und neuaufkommenden Lebensgewohnheiten. 716 Als ein letztes Beobachtungsgebiet zielt Wettbewerbsfrühaufklärung auf eine Bewertung der Wettbewerber und ihrer Produkte ab, speziell derer, die sich noch im Entwicklungsstadium befinden.717 Technologische Frühaufklärung Politische Frühaufklärung Weiße Felder Benachbartes Umfeld Aktuelles Geschäftsfeld Wettbewerbsfrühaufklärung Kundenfrühaufklärung Abb. 3-12: Beobachtungsbereiche der strategischen Frühaufklärung (Quelle: Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 154) Aufgrund der Technologiegetriebenheit vieler Unternehmen, liegt oftmals der Schwerpunkt auf dem Bereich Technologie. Die weiteren Themengebiete werden nachrangig bearbeitet. 718 Je nach Beobachtungsbereich und Zeithorizont sind bestimmte Methoden passender und eignen sich besser zur Informationserhebung. 719 Technologiescouting sowie Publikations- und Patentanalysen beschränken sich auf den Bereich Technologie, wohingegen Szenariotechnik und Delphi-Befragungen 716 Vgl. Rohrbeck et al. (2007), S. 4. Vgl. Rohrbeck et al. (2007), S. 4. 718 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 26; Burmeister (2002), S. 56. 719 Vgl. dazu Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 149, der nach marktseitigen und technologieseitigen Instrumenten unterscheidet und integrierende Methoden aufzeigt. 717 137 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung auf alle Bereiche anzuwenden sind.720 In der Praxis beobachten die meisten Unternehmen nicht alle Umfeldbereiche. Darauf wird aufgrund begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen oftmals verzichtet. Je nach Intensität der Frühaufklärung im Unternehmen variiert die Bandbreite, d.h. die Auswahl der Bereiche und die Tiefe (Aktuelles Geschäftsfeld – weiße Felder721) der Beobachtung.722 Abschließend lässt sich feststellen, dass strategische Frühaufklärung allein aufgrund vieler Instrumente und Methoden sowie Beobachtungsbereiche sehr diverse Ausgestaltungen annehmen kann. Grundsätzlich steht die Definition des Informationsbedarfs am Anfang, weshalb im Anschluss Instrumente, Methoden und Beobachtungsbereiche ausgewählt werden.723 3.2.6 Implementierungsbarrieren und deren Überwindung Im folgenden Abschnitt werden als letzter Faktor der Gestaltung der strategischen Frühaufklärung die Implementierungsbarrieren sowie mögliche Ansätze zur Lösung dieser vorgestellt. Implementierungsbarrieren Bisher wurde nur vereinzelt auf Implementierungsbarrieren der strategischen Frühaufklärung hingewiesen. Nichtsdestotrotz sind deren Ursachen maßgeblich für die Nutzung der strategischen Frühaufklärung im Unternehmen. Die Ursachen sind dabei in Gestalt und Form vielfältig. Zusammenfassend bilden Müller-Stewens & Lechner folgende Ursachen für Implementierungsschwierigkeiten der strategischen Frühaufklärung ab:724 Ein früher Methodenoverkill, der die Diskussion auf Nebenschauplätze lenkt. Die Dominanz des Tagesgeschäfts, die ein unzureichendes Klima der Dringlichkeit schafft. Der qualitative Nutzen einer Frühaufklärung, der sich quantitativ kaum nachweisen lässt. Dies erhöht den Legitimationsdruck auf ein solches Projekt. 720 Vgl. Rohrbeck et al. (2007), S. 7. Weiße Felder sind Gebiete, die bisher keine Relevanz für das Unternehmen haben, die aber Potenzial für disruptive Veränderungen aufweisen, die schwer wahrzunehmen und vorzubereiten sind (Quelle: Rohrbeck (2010), S. 105). 722 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 105. 723 Vgl. Rader & Porter (2008), S. 29, 35f; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 25. 724 Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193. 721 138 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Die Struktur vieler Planungsprozesse, die periodisch nach einem festem Schema abläuft, das nur wenig Raum für spontan auftretende schwache Signale lässt. Die oft nur punktuell etablierte Verankerung der Frühaufklärung. Oft wird sie entweder zum Privatthema einiger Weniger oder sie wird in Stabsabteilungen wegdelegiert. Besonders die frühen Arbeiten der strategischen Frühaufklärung bilden vor allem personelle Hürden ab.725 Ansoff hat in diesem Zusammenhang drei Implementierungsbarrieren theoretisch herausgearbeitet: Je nach Zeitpunkt im Frühaufklärungsprozess treten Wahrnehmungs-, Mentalitäts- und Machtfilter auf, die die Wirkungsweise der Frühaufklärung einschränken. 726 Wahrnehmungsfilter ergeben sich durch die eingesetzten Instrumente und Beobachtungsbereiche, die festlegen, welche Informationen aus der Umwelt aufgenommen werden. 727 Mentalitätsfilter entstehen durch kognitive Dissonanzen, d.h. Informationen sind nicht mit der Erfahrungswelt des Mitarbeiters vereinbar und werden daher ausgeblendet. Machtfilter bestehen, wenn Informationen zurückgehalten werden, die die Machtposition einzelner Mitarbeiter reduzieren würde. 728 Ähnlich wie Ansoff legen ebenso Krystek & Müller-Stewens den Schwerpunkt auf personelle Faktoren. Sie identifizieren Wissen-, Willens- und Fähigkeitsbarrieren je nach Unternehmens-, Projekt- oder Projektteamebene.729 Ähnlich dieser Annahmen sieht auch Hauff die Schwierigkeit, die zugrundeliegenden Informationen zu interpretieren. Er argumentiert, dass Menschen aufgrund der selektiven Wahrnehmung nur eingeschränkt schwache Signale aus der Umwelt aufnehmen können. Darüber hinaus zweifelt er grundsätzlich am Interpretationsspielraum von schwachen Signalen, der zu Fehlinterpretationen und entscheidungen führt.730 Neuere Arbeiten u.a. von Baisch (2000), Davis (2008) und Lasinger (2011), die meist mit Fallstudien das Implementierungsobjekt Frühaufklärung untersuchen, bilden weitaus breitere Sichtweisen ab. In diesem Zusammenhang geben vor allem die Werke von Baisch und Davis einen sehr vollständigen Überblick. 731 Davis betrachtet das Image der strategischen Frühaufklärung, strukturelle und organisatorische Bedingungen, Kommunikation, Kultur, Faktor Mensch, Ressourcen, 725 Vgl. Aguilar (1967), S. 13; Ansoff (1984), S. 335; Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 269. Vgl. Ansoff (1984), S. 335. 727 Vgl. Ansoff (1984), S. 326. 728 Vgl. Ansoff (1984), S. 326ff. 729 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 269. 730 Vgl. Hauff (2009), S. 26ff. 731 Lasinger wird hier nicht weiter betrachtet, da ihre Unterteilung in harte, weiche und personenbezogene Faktoren nicht annähernd trennscharf und vergleichbar mit der Genauigkeit der anderen Arbeiten ist. 726 139 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Prozess sowie die Implementierung in der Strategieentwicklung. 732 Baisch hingegen unterscheidet zwischen metakonzeptionellen, instrumentellen, strukturellen und ressourcenbezogenen Barrieren. In Tab. 3-5 befindet ein vollständiger Überblick der identifizierten Barrieren. Die Kategorisierung wurde nach den von Nick beschriebenen Determinanten der Wirksamkeit vorgenommen, da diese trennscharf alle Barrieren umreißen.733 732 733 Vgl. Davis (2008), S. 144. Vgl. Nick (2008), S. 196ff. 140 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Ursache Beschreibung strukturell Zielsetzung Unscharfe Zielvorstellungen Mangelnder Realismus bezüglich der Ziele Aufbauorganisatorische Anbindung Verankerung führt zu Stabslinienbarrieren oder doppelter Arbeit Strategieanbindung Missachtung der Schnittstellen zu anderen Managementsystemen (unzureichende Anbindung an Strategie/Planung) Aufgabenträger Mangelnde Zuständigkeit Querschnittsfunktion führt zu Macht-/Konkurrenz- und Dominanzkonflikten Dominanz von Hard-Facts Personale Mängel Psychologische Informationspathologien kontextuell Kultur Mangelnde Antizipationsfähigkeit Fehlende Zukunftsorientierung Gemeinsames Verständnis der Zukunft fehlt Fehlendes offenes Kommunikationsverhalten prozessual Kommunikation Interne Zielgruppenorientierung fehlt (keine Nutzerangepasste Aufbereitung) Mangel an Kommunikation (Frühaufklärungsergebnisse werden nicht weitergegeben) Instrumente & Methoden Überfrachtung mit Methoden Prozessdurchführung Fehlender Prozess, Transparenz und Koordination Wenig Kontinuität der Aufgaben Zeitliche und finanzielle Ressourcenausstattung Tab. 3-5: Implementierungsbarrieren (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Baisch (2000); Davis (2008) und Nick (2008)) 141 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Lösungsansätze zur Überwindung der Barrieren Um diese Implementierungsbarrieren zu überwinden, werden von den Autoren einige Vorschläge erarbeitet. Dazu ist vor allem ein langfristiger und umfassender Ansatz zu deren Implementierung nötig. Bereits Krystek & Müller-Stewens stellen fest: „Das Attribut „antizipativ“ kann sich eine Organisation nicht von heute auf morgen „aneignen“.“734 Nur eine kontinuierliche Verbesserung der Frühaufklärung führt zu einem erfolgreichen Einsatz. 735 Krystek & Müller-Stewens schlagen vor, das Frühaufklärungsobjekt in 13 Teilaufgaben zu zerlegen, die hier wiederum zur Veranschaulichung den zwei Oberpunkten Zielprofil und Implementierungsprofil zugeordnet wurden: 736 Das Zielprofil setzt sich aus Aufgaben zur Festlegung der Definition der Frühaufklärung, der Bestimmung von Gründen für die Nutzung und Aufgaben zur Veranschaulichung des Nutzens sowie des Anlasses der Einführung zusammen. Das Implementierungsprofil beschäftigt sich folglich mit den Aufgaben zur Umsetzung der Frühaufklärung, wobei das Ausmaß der Umsetzung, die Gliederung in Prozessbereiche, Themenbereiche, Informationsquellen, Methoden, Aufgabenträger und Kommunikationsmaßnahmen bestimmt werden. Krystek & Müller-Stewens weisen darauf hin, dass „(…) die erfolgreiche Verwirklichung einer Frühaufklärung weniger ein methodisches, denn ein ‚menschliches’ Problem darstellt“ 737. Sie führen entsprechend an: „Es mangelt an den entsprechenden Fähigkeiten zu Aktivitäten der mit einer Frühaufklärung verbundenen Nutzenpotenziale.“738 Damit verwundert es, dass sie keine entsprechenden Vorschläge zur Überwindung der von ihnen definierten Willens-, Wissens- und Fähigkeitsbarrieren aufstellen. Dieses Problem findet sich auch bei Davis wieder, die sich zwar ausführlich mit den Barrieren beschäftigt, aber nicht vorsieht, „ein hübsches Problemlösungspaket“ 739 zu deren Überwindung anzubieten. Weiterhin führt sie aus, dass eine Beseitigung der Barrieren allein nicht ausreicht, um eine erfolgreiche Implementierung sicherzustellen. Vielmehr versteht sie die Barrieren als Startpunkt eines Lernprozesses. 740 In 734 Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 232. Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 232. 736 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 233ff. 737 Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 232. 738 Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 232. 739 Davis (2008), S. 230. 740 Vgl. Davis (2008), S. 230. 735 142 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung diesem Zusammenhang sieht sie vor allem Instrumente zur Motivations- und Akzeptanzförderung im Vordergrund dieses Lernprozesses und schlägt diverse erste Maßnahmen zur Kommunikations-, Qualifikations-, Motivations- und Organisationsverbesserung vor, mit denen es möglich ist, Defizite des NichtKennens, -Wollens, -Sollens sowie -Dürfens abzubauen.741 Erste konkrete Ansatzpunkte bietet Becker in seinen Verbesserungsvorschlägen. Er legt die Schwerpunkte auf eine verbesserte Kommunikation, eine größere strategische Relevanz und den Ausbau der methodischen Grundlagen der Frühaufklärung.742 Er betont damit die Bedeutung der Kommunikation der Ergebnisse und schlägt vor, die Sensibilität für den Nutzen der Frühaufklärung im Unternehmen zu erhöhen, die Resultate nutzerfreundlich aufzuarbeiten und thematisch an Nutzerbedürfnissen auszurichten. Zudem wird deutlich, dass das Potenzial der Frühaufklärung im strategischen Prozess oder allgemein bei strategischen Entscheidungen mitzuwirken, nicht vollends ausgeschöpft ist. Baisch geht in seinen Ausführungen etwas weiter als die bereits dargestellten Autorenvorschläge und stellt deutlich differenzierte Lösungsvorschläge zur Überwindung der Implementierungsbarrieren vor:743 Ähnlich wie Krystek & Müller-Stewens schlägt auch Baisch vor, zunächst ein Zielprofil für das Frühaufklärungs-system zu entwerfen. Dieses Zielprofil bestimmt in handhabbarer Form halt, -träger, -termin, und -objekt. Eine solche Explizierung der Ziele strategischer Frühaufklärung dient laut Baisch als Motor der Implementierung und steigert die Attraktivität des Implementierungsobjektes.744 Im nächsten Schritt werden relevante Kontextfaktoren bestimmt und das System in Hinblick auf die Zielerfüllung angepasst. Die Beobachtung des Kontextes offenbart, an welcher Stelle und auf welche Weise ein geplanter Eingriff in das Unternehmen sinnvoll ist. Baisch identifiziert den Einfluss der Unternehmenskultur, die Komplexität des Umfeldes, die Geschichte des Unternehmens und die beigemessene Bedeutung der Frühaufklärung als relevante Kontextfaktoren.745 Als ein letzter Teil werden der Handlungsbedarf und die Implementierungsstrategie bestimmt und die strategische Frühaufklärung durchgesetzt. Hier werden wieder Parallelen zum Implementierungsprofil von Krystek & Müller-Stewens deutlich.746 Baisch schlägt die Lern- und Kulturentwicklungsstrategie ergänzt durch das Kulturmanagement vor. Dieses setzt bei einer Änderung von 741 Vgl. Davis (2008), S. 230. Vgl. Becker (2002), S. 19. 743 Vgl. Baisch (2000), S. 161ff. 744 Vgl. Baisch (2000), S. 161, 168ff. 745 Vgl. Baisch (2000), S. 179. 746 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 232. 742 143 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Einstellungen, Normen und Werthaltungen der Aufgabenträger an und soll ihre Denkhaltung im Sinne der Frühaufklärung verändern.747 Baisch bringt damit erstmals umfassend den Kontext des Unternehmens und damit der Frühaufklärung in die Betrachtung. Ähnlich ganzheitlich geht Nick vor. Nick (2008) gibt zwar in seiner Fallstudienuntersuchung nicht explizit Lösungsvorschläge zur Verringerung von Implementierungsbarrieren vor, stellt jedoch Determinanten der Wirksamkeit struktureller, prozessualer und kontextueller Faktoren vor.748 Damit vereint er Faktoren, die in der Literatur bisher stark vernachlässigt wurden, wie die strukturellen und kontextuellen Faktoren und stellt erstmals einen ganzheitlichen Ansatz auf. Die prozessualen Faktoren sind dabei solche, die sich auf die Wirksamkeit des Prozesses an sich beziehen.749 Dabei stellt Nick die Prozessschritte Erfassung, Bewertung, Kommunikation und Handlung auf. Damit wird wiederum die interne Kommunikation und zielgruppenspezifische Kommunikation der Ergebnisse hervorgehoben. Neben den Prozessphasen ergänzt er die prozessuale Dimension durch zwei begleitende Systeme: die Interaktion mit internen und externen Stakeholdern. Die Zielgruppen und späteren Nutzer der strategischen Frühaufklärung müssen entlang des Frühaufklärungsprozesses eingebunden werden, um Akzeptanz und Nutzung der Erkenntnisse zu fördern. 750 Externe Stakeholder dienen insbesondere dem Verständnis des Unternehmensumfeldes und sind in den Phasen der Erfassung und Bewertung von besonderer Rolle, weil sie von dem Unternehmen losgelöste Denkmuster und Standpunkte in die Betrachtung einbringen. 751 Aspekte, die die grundsätzliche Struktur und den Aufbau der strategischen Frühaufklärung betreffen, werden unter der strukturellen Dimension zusammengefasst. 752 Sie betreffen besonders die Zielsetzung der strategischen Frühaufklärung, vor allem deren aufbauorganisatorische Anbindung, Strategieanbindung und Aufgabenträger. Die kontextuellen Faktoren wirken sich im Wesentlichen stark auf die eigentliche Implementierung aus, hierin sind laut Nick Top-Management-Unterstützung und Unternehmenskultur enthalten. 753 Er teilt diesen Faktoren damit eine moderierende Rolle zu. Die Wirksamkeit der strategischen Frühaufklärung wird durch das TopManagement und durch die allgemeine Unternehmenskultur unterstützt. Diesen einzelnen Faktoren ordnet er wiederum Determinanten der Wirksamkeit zu, die einen geeigneten Rahmen zur Bewertung der Frühaufklärung und deren Umsetzung im 747 Vgl. Baisch (2000), S. 198. Vgl. Nick (2008), S. 195ff. 749 Vgl. Nick (2008), S. 114. 750 Vgl. Nick (2008), S. 145. 751 Vgl. Nick (2008), S. 144f. 752 Vgl. Nick (2008), S. 144f. 753 Vgl. Nick (2008), S. 115. 748 144 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Unternehmen bieten. Nick kommt zu dem Ergebnis, dass nur ein Übereinkommen zwischen und innerhalb der prozessualen, strukturellen und kontextuellen Faktoren zu einer erfolgreichen Umsetzung der strategischen Frühaufklärung führen kann. 754 Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Dimensionen inklusive Faktoren, Determinanten und Indikatoren findet sich bei Nick, S. 196ff. Mit derartigen Analyserahmen wird zunehmend deutlich, dass eine erfolgreiche Überwindung der Barrieren mit einem ganzheitlichen Ansatz zur Einführung und einer kontinuierlichen Bewertung der Frühaufklärung verbunden ist. Daher wird an dieser Stelle auf das Reifegradmodell von Rohrbeck hingewiesen, welches bisher am umfassendsten eine Analyse der bestehenden Frühaufklärungspraktiken im Unternehmen ermöglicht. Um bestehende Unternehmenspraktiken zu vergleichen und unternehmenseigene Stärken und Schwächen bezüglich der Frühaufklärung herauszubilden, entwickelte Rohrbeck (2010) das Reifegradmodell, welches ein umfassendes Benchmarking zulässt. 755 Er unterscheidet in drei zentrale Elemente: Kontingenzfaktoren, Fähigkeitsfaktoren und den Wertbeitrag (siehe dazu Abb. 3-13). Kontext des Unternehmens Komponenten der Frühaufklärung Wertbeitrag Größe des Unternehmens Kultur Unsicherheit reduzieren Strategie Unternehmenskultur Informationsnutzung Fähigkeiten Organisation Angestrebter Wettbewerbsvorteil Umweltkomplexität Mitarbeiter Reaktionen einleiten Handlungen Dritter einleiten Sekundäre Vorteile Methodenqualität Branchendynamik Abb. 3-13: Reifegradmodell nach Rohrbeck (Quelle: Rohrbeck (2010), S. 78) 754 755 Vgl. Nick (2008), S. 187. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 77. 145 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung Kontingenzfaktoren erklären den Unternehmenskontext und bestimmen damit den Bedarf an Frühaufklärung. Daraus resultieren erste Hinweise für eine Gestaltung der Frühaufklärung in Unternehmen.756 Der Kontext des Unternehmens lässt sich anhand der Kriterien Größe des Unternehmens, Art der Strategie, Kultur des Unternehmens, Quelle des Wettbewerbsvorteils, Komplexität des Unternehmens und Branchendynamik bestimmen.757 Daneben definiert er Elemente, die die Frühaufklärungsfähigkeit bestimmen. Diese Fähigkeit setzt sich aus Informations-nutzung, Methodenqualität, Mitarbeiter und Netzwerke, Organisation und Kultur zusammen. Jede Dimension wird anhand von weiteren Kriterien bestimmt. Insgesamt ergeben sich 21 Faktoren.758 Sie beweisen, inwiefern ein Frühaufklärungssystem in der Lage ist, Trends und Issues zu identifizieren sowie zu interpretieren und auf diese zu reagieren. Darüber hinaus kann jede Dimension bei der Verbesserung von Frühaufklärung mitwirken. Im Gegensatz zu bestehenden Ansätzen, wie z.B. dem von Krystek & Müller-Stewens, der dem klassischen Prozessdenken entspricht, wird erstmals der Wertbeitrag der Frühaufklärung als Bestandteil des Reifegradmodells aufgenommen. Diesen hat er wiederum in vier Kategorien unterteilt: Reduzieren der Unsicherheit, Einleiten von Handlungen, externe Stakeholder zum Handeln bringen und sekundäre Vorteile. 759 Das Reifegradmodell bietet vor allem zwei Vorteile. Zum einen bildet ein derartig umfassendes Benchmarking die Grundlage für die fortwährende Verbesserung der Implementierung. Zum anderen wird deutlich, dass nicht jedes Unternehmen im vollen Umfang Frühaufklärung betreiben muss, denn je nach Kontext des Unternehmens muss deren Umsetzung angepasst werden.760 Die Ausführungen zu den Implementierungsbarrieren machen deutlich, dass der Einsatz der strategischen Frühaufklärung im Unternehmen teilweise mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Dabei zeigt sich, dass sich Implementierungsprobleme durch eine intelligente Konzeption der Frühaufklärung, am besten vor deren Einführung, verhindern lassen, indem das System den Rahmenbedingungen des Unternehmens angepasst wird. 756 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 127. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 78. 758 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 78. 759 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 88ff. 760 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 127. 757 146 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung 3.2.7 Abschließende Betrachtung bestehender Implementierungsbeiträge Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Relevanz und der Einsatz der strategischen Frühaufklärung im Unternehmen stark gestiegen sind. 761 Jüngste Untersuchungen belegen in diesem Zusammenhang den vermehrten Einsatz und damit die Aktualität in Unternehmen. 762 Nichtsdestotrotz ist die Implementierung in Unternehmen unzufriedenstellend.763 Bereits Mitte der 90er Jahre kamen Eggers und Eickhoff zu folgender Erkenntnis: „Trotz der Euphorie vieler Autoren ist bisher nur wenigen Unternehmungen gelungen, funktionsfähige Frühaufklärungssysteme nachhaltig und erfolgreich zu betreiben.“764 Auch wenn die Funktionen der Frühaufklärung in Unternehmen deutlich verbessert wurden, bleibt eine gewisse Aktualität dieses Zitates. Rohrbeck trifft ähnliche Aussagen: „Even though I was able to identify various best practices in specific capability dimensions, none of the firms had implemented a comprehensive, stable, and effective corporate foresight system. Most companies had mature practices in one or two capability dimensions but few capabilities in the others. Thus, the overall implementation level is still troubling and raises serious concerns about the ability of firms to retain their competitive advantage in times of discontinuous change.”765 Dies liegt vor allem an zwei Grundproblemen: Zum einem ist das Konzept der strategischen Frühaufklärung bei aller Bemühung der Abgrenzung durch einige Verwirrungen geprägt. 766 Dies macht sich allein in den diversen begrifflichen Überschneidungen deutlich, die nur wenig Klarheit bringen. Zum anderen und viel gewichtiger, ist die Gestaltung der Implementierung zu schwach umrissen, vor allem werden die Ganzheitlichkeit der Implementierung und die Integration in bestehende Managementsysteme vernachlässigt. 767 So fassen Müller & Müller-Stewens zusammen: 761 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 44; Daheim & Uerz (2008), S. 321; Burmeister (2002), S. 109. 762 Vgl. Burmeister (2002), S. 48f. 763 Vgl. Roll & Weber (2006), S. 198; Rohrbeck (2010), S. 196. 764 Eggers & Eickhoff (1996), S. 48. 765 Rohrbeck (2010), S. 196. 766 Vgl. Hazebrouck (1998), S. 54; Sepp (1996), S. 120f. 767 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 47. 147 Grundlagen der strategischen Frühaufklärung „Bis heute bleibt es deshalb weitestgehend unklar, welche Zusammenhänge zwischen Foresight-Prozessen und unternehmensinternen oder -externen Kontextfaktoren bestehen, wie sich Foresight-Prozesse einem veränderten Prozesskontext anpassen und welches dabei die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Prozesses sein können.“768 Deutlich wird dies in der Forschungspraktik, die lange der Implementierung keine wirkliche Beachtung beigemessen hat und nur „(…) zwischen den Zeilen (…)“769 Aussagen trifft. In den letzten Jahren hat sich dies zum Teil geändert. Fallstudienbasierte Arbeiten erweitern das Wissen zur Implementierung. 770 Nichtsdestotrotz konzentrieren sich forschungsrelevante Ansätze vor allem auf die Ausgestaltung des Frühaufklärungsprozesses, angereichert durch Erkenntnisse zu Methoden, Informationsnutzung und Organisation. 771 Zu selten wird hierbei die Ausgangssituation des Unternehmens in Hinblick auf Strategie, Unternehmenskultur, Branchenkomplexität und -dynamik als maßgeblicher Faktor für die Umsetzung der Frühaufklärung im Unternehmen thematisiert. In diesem Zusammenhang unterstreichen nur Rohrbeck, Baisch, Day & Schoemaker sowie Tyssen die Relevanz der Rahmensituation des Unternehmens.772 Rohrbeck geht indes soweit, ein vollständiges Implementierungsmodell einzuführen, dessen Ausmaß der Umsetzung von den Rahmenbedingungen des Unternehmens abhängt. 773 Folglich lässt sich daraus schließen, dass nicht immer Komplettlösungen zur Umsetzung der Frühaufklärung angebracht sind. Insgesamt wird die Wirkung oder der Wertbeitrag einer strategischen Frühaufklärung bislang zu wenig untersucht. Belege, ob und inwiefern die Frühaufklärung zu Verbesserungen im strategischen und Innovationsmanagement führt, könnten helfen die Implementierung in Unternehmen voranzutreiben. 768 Müller & Müller-Stewens (2009), S. 3. Baisch (2000), S. 145. 770 Siehe dazu: Baisch (2000); Nick (2008); Davis (2008); Rohrbeck (2010); Roll (2004); Lasinger (2011). 771 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 47. 772 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 76f.; Day & Schoemaker (2006); Baisch (2000), S. 179ff.; Tyssen (2012), S. 164ff. 773 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 77. 769 148 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit 4 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit In enger Anlehnung an die vorangegangenen Ausführungen und die Erkenntnisse aus dem Kapitel zur Konzeption der Innovationsfähigkeit werden im Folgenden vermutete Wirkungszusammenhänge zwischen der Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit entwickelt. Diese Kausalitäten, die aus den theoretischen Überlegungen stammen, dienen zur Strukturierung des bisher dargestellten Forschungsstandes.774 Sie dienen als Grundlage für die explorativ angelegte Forschungsstudie und werden in allgemeine Thesen zusammengefasst. Wie bereits in Kapitel 2.3. ausführlich dargelegt, stellt die Innovationsfähigkeit eine Metafähigkeit dar, die aus den beiden Mechanismen Exploitation und Exploration besteht und damit auf die zentralen Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmens zurückgreift.775 Im Ergebnis entstehen Innovationen, die dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil am Markt verschaffen. Dabei resultieren aus der reinen Exploitation vornehmlich inkrementelle Innovationen, wohingegen aus Exploration radikale Innovationen hervorgehen.776 Wie bereits verdeutlicht, wird der strategischen Frühaufklärung eine positive Rolle in der Ausbildung der Innovationsfähigkeit zugesprochen, wenngleich eine empirische Fundierung fehlt.777 Nichtsdestotrotz unterstützen die Ausführungen aus Kapitel 3.2.2.2, dass die strategische Frühaufklärung durch die Umfeldanalysen wichtige Impulse für die Innovationsfähigkeit gibt. Alle drei Rollen lassen Rückschlüsse auf positive Wirkungszusammenhänge bzgl. Exploitation und Exploration zu.778 Ähnlich zeigen die Erkenntnisse aus der Ressourcentheorie und der Innovationsforschung einen Zusammenhang auf. Die strategische Frühaufklärung, die Chancen und Gefahren aus der Umwelt aufspürt, wird als Treiber der Innovationsfähigkeit und wesentliche Voraussetzung für die Wirkungsweise der beiden Hauptmechanismen angesehen. Sehr umfangreich diskutiert in diesem Zusammenhang Teece (2007) die Grundlagen der Innovationsfähigkeit als dynamische Metafähigkeit. Als eine Grundlage sieht er die Wahrnehmung von Chancen und Gefahren an. 779 Da Kundenbedürfnisse, technologische Voraussetzungen und die Wettbewerbsaktivität 774 Die Erläuterung der Forschungsstrategie erfolgt im nachfolgenden Kapitel. Vgl. Teece (2007), S. 1320; Jansen et al. (2006), S. 1661; Atuahene-Gima (2005), S. 61. 776 Vgl. Tushman & O'Reilly (1996), S. 14; Atuahene-Gima (2005), S. 72f. 777 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 37; Burmeister et al. (2004), S. 119. 778 Vgl. Trux et al. (1985), S. 372ff.; Rohrbeck (2010), S. 182ff.; Ruff (2006), S. 287f. 779 Vgl. Teece (2007), S. 1322. 775 149 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit einer kontinuierlichen Veränderung unterliegen, müssen Unternehmen den Markt beobachten, um neue Chancen in Märkten und Technologien frühzeitig ausfindig zu machen. 780 Teece konkretisiert: “This activity not only involves investment in research activity and the probing and reprobing of customer needs and technological possibilities, it also involves understanding of latent demand, the structural evolution of industries and markets, and likely supplier and competitor responses. (…) When opportunities are first glimpsed, entrepreneurs and managers must figure out how to interpret new events and developments, which technologies to pursue, and which market segments to target. They must assess how technologies will evolve and how and when competitors, suppliers, and customers will respond.”781 Teilelemente dieser Fähigkeit werden durch „Analytical systems to learn and sense, filter, shape, and calibrate opportunities“782 widergespiegelt. Diese beinhalten laut Teece (1) Prozesse, um interne F&E zu lenken und neue Technologien auszuwählen, (2) Prozesse, um Innovationen seitens der Lieferanten aufzuspüren, (3) Prozesse, um aktuelle Entwicklungen in Technologie und Wissenschaft aufzudecken und (4) Prozesse, um künftige Marktsegmente, veränderte Kundenbedürfnisse und Kundeninnovationen zu identifizieren.783 Ähnlich argumentiert Sanchez. Je nach Umweltdynamik sind verschiedene Kompetenzarten erforderlich. 784 Sowohl bei evolutionären als auch dynamischen Marktentwicklungen benötigen Unternehmen die Fähigkeit “(…) to perceive market needs and identify specific market preferences the organization might serve, to determine the characteristics of products and services that can satisfy those needs and preferences (…), and ultimately to define product offers that will be perceived by markets as having attractive net delivered customer value.”785 Für Day stellt die Innovationsfähigkeit eine Fähigkeit dar, die auf der einen Seite die Geschehnisse des Marktes nach innen ins Unternehmen trägt und durch die Befriedigung der am Markt identifizierten Bedürfnisse mit neuartigen Produkten wieder nach außen auf den Markt bringt. 786 Wie Teece und Sanchez stellen für Day Prozesse zur Wahrnehmung von Trends und Ereignissen in heutigen sowie künftigen Märkten sowie zur Ableitung von Handlungsimplikationen eine der Grundlagen dafür dar.787 Strategische Frühaufklärung nimmt diese Funktionen 780 Vgl. Teece (2007), S. 1322. Teece (2007), S. 1322. 782 Teece (2007), S. 1326. 783 Vgl. Teece (2007), S. 1326. 784 Vgl. Sanchez (2004), S. 530. 785 Sanchez (2004), S. 523. 786 Vgl. Day (1994), S. 42. 787 Vgl. Day (1994), S. 43. 781 150 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit ein.788 Damit kann eine direkte Verbindung zum Innovationsmanagement und der Innovationsfähigkeit hergestellt werden. Als eine zweite Voraussetzung nennt Teece (2007) „Managing Threats and Reconfiguration“.789 Teece verdeutlicht: „A key to sustained profitable growth is the ability to recombine and to reconfigure assets and organizational structures as the enterprise grows, and as markets and technologies change, as they surely will. Reconfiguration is needed to maintain evolutionary fitness and, if necessary, to try to escape from unfavourable path dependencies.”790 Grundvoraussetzung für die Rekonfigurationsprozesse ist wiederum die Fähigkeit, Märkte und Technologien zu beobachten und damit die Notwendigkeit zur Anpassung der bestehenden Ressourcenbasis wahrzunehmen.791 Strategische Frühaufklärung hilft, die Anforderungen aufzudecken und die Notwendigkeit für Veränderung hervorzuheben und ist damit wiederum eine Voraussetzung für die Rekonfiguration als Bestandteil der Innovationsfähigkeit. Insgesamt wird damit zugleich deutlich, dass die strategische Frühaufklärung die Anforderung aus der Forschung zur Ambidextrie des Unternehmens erfüllt. Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen demnach in der Lage sein, sowohl auf inkrementellen als auch disruptiven Wandel reagieren zu können, den Unternehmen durchlaufen.792 „Almost all successful organizations evolve through relatively long periods of incremental change punctuated by environmental shifts and revolutionary change. These discontinuities may be driven by technology, competitors, regulatory events, or significant changes in economic and political conditions.”793 Das Wissen über das engere und weitere Marktumfeld hilft Managern, Defizite in bestehender Ressourcen- und Kompetenzbasis aufzudecken und Marktgelegenheiten, die dem Unternehmen neue Fähigkeiten abverlangen, zu erkennen. 794 Folglich stellt Atuahene-Gima fest: 788 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 155. Teece (2007), S. 1334. 790 Teece (2007), S. 1335. 791 Vgl. Teece et al. (1997), S. 520. 792 Vgl. Tushman & O'Reilly (1996), S. 8; Brown & Eisenhardt (1997), S. 1. 793 Tushman & O'Reilly (1996), S. 11. 794 Sanchez (1995), S. 138. 789 151 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit „The awareness of changing market conditions can cause current practices in the organization to be considered inadequate.”795 Da strategische Frühaufklärung Wissen über die möglichen Veränderungen in dem Marktumfeld des Unternehmens bereitstellt und erste Implikationen ableitet, bereitet es das Unternehmen auf die Anpassung radikaler und inkrementeller Veränderungen vor. In Zeiten von inkrementellen Wandel, ist die Marktdynamik leicht vorhersagbar und das Unternehmen vertraut auf bestehende Ressourcen und Fähigkeiten. Im Gegensatz dazu muss das Unternehmen bei radikalen Veränderungen, neue Kompetenzen aufbauen und neue Chancen und Märkte ergründen. 796 Als Ergebnis entstehen je nach Markterfordernissen inkrementelle oder radikale Innovationen. 797 “The real test of leadership is to be able to compete successfully by both increasing the alignment or fit among strategy, structure, culture, and processes, while simultaneously preparing for the inevitable revolutions required by discontinuous environmental change. This requires organizational and management skills to compete in a mature market (where cost, efficiency, and incremental innovation are key) and to develop new products and services (where radical innovation, speed, and flexibility are critical).”798 Ohne die Fähigkeit, Marktbedingungen zu verstehen, können Unternehmen weder aktuelle Innovationsfähigkeiten nutzen noch neue entwickeln. Zusammenfassend kann damit sowohl aus der Forschung zur strategischen Frühaufklärung als auch der Ressourcentheorie und der Innovationsforschung geschlussfolgert werden, dass die strategische Frühaufklärung insgesamt einen positiven Einfluss auf die Innovationsfähigkeit ausübt. Hieraus leitet sich der erste allgemeine Wirkungszusammenhang ab: These 1: Die strategische Frühaufklärung trägt positiv zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit bei. Wie bereits erwähnt besteht die Innovationsfähigkeit aus Exploitation und Exploration, daher lässt sich diese These weiter konkretisieren. These 1-1: Die strategische Frühaufklärung hat einen positiven Einfluss auf die Exploitation. 795 Atuahene-Gima (2005), S. 64. Tushman & O'Reilly (1996), S. 24. 797 Atuahene-Gima (2005), S. 64 ; Jansen et al. (2006), S. 1662. 798 Tushman & O'Reilly (1996), S. 11. 796 152 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit These 1-2: Die strategische Frühaufklärung hat einen positiven Einfluss auf die Exploration. Deutlich wird demnach durch die Konkretisierung, dass beide Mechanismen positiv beeinflusst werden. Zunächst wird durch die strategische Frühaufklärung inkrementeller Wandel im Unternehmensumfeld wahrgenommen. Dies wiederum führt zu einer weiteren Verbesserung und Bestärkung bestehender Innovationsfähigkeiten, d.h. der Exploitation, im Ergebnis werden inkrementelle Innovationen auf den Markt gebracht. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass die in der strategischen Frühaufklärung aufgezeigten Zukunftsbilder die bisher eingeschlagenen Pfade rechtfertigen und ebenso die bestehenden Fähigkeiten weiter genutzt und gestärkt werden. In beiden Fällen wird damit ein positiver Effekt auf die Exploitation ausgeübt. Wie bereits beschrieben, führt die strategische Frühaufklärung bei disruptivem Wandel zum Aufbrechen bestehender Pfade innerhalb des Unternehmens. „Market knowledge is a resource with which managers can uncover current capabilities deficiencies in the firm and emerging market opportunities that may require the development of new capabilities.”799 Rohrbeck erläutert zur Wirkung der Frühaufklärung: “(…) it is expected to increase the capability of a company to break away from path dependency, enhance its strategic flexibility, and increase its absorptive capacity.”800 Der fehlende Bestand an nötigen Ressourcen und Fähigkeiten führt zum Aufbau und zur Entwicklung eben dieser. Folglich wird die Exploration positiv beeinflusst und es entstehen radikale Innovationen. Die strategische Frühaufklärung ist vor allem ein Instrument, um disruptiven Wandel zu erkennen. 801 Indem Unternehmen nicht nur in ihrer nahen und bekannten Umwelt nach Veränderungen suchen, nehmen sie darüber hinaus mehr neuartige Ideen auf. 802 Wie Rohrbeck beschrieben hat, führt die strategische Frühaufklärung zu einer Repositionierung des Innovationsportfolios.803 Daher fördert strategische Frühaufklärung grundsätzlich eher die Akquisition neuer Technologien, neuer Fä- 799 Atuahene-Gima (2005), S. 63. Rohrbeck (2010), S. 5. 801 Vgl. Martin (1995), S. 39 ; Rohrbeck (2010), S. 7. 802 Vgl. Bessant & Stamm (2006), S. 8. 803 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 94 800 153 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit higkeiten und die Nutzung neuer Geschäftsfelder sowie neuer Märkte und damit die Anwendung von Fähigkeiten in einem neuen Kontext, womit eher radikale Innovationen entstehen.804 Dies führt zu einer weiteren Hypothese explikativen Charakters: These 2: Die strategische Frühaufklärung hat einen größeren Einfluss auf die Exploration als auf die Exploitation. Im Rahmen der Beschreibung der Wirkungszusammenhänge wurden vier allgemeine Thesen über die genauen Zusammenhänge aufgestellt. Diese sind in Tab. 4-1 zusammenfassend dargestellt. Nummer Thesen 1 Strategische Frühaufklärung trägt positiv zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit bei. 1-1 Strategische Frühaufklärung hat einen positiven Einfluss auf die Exploitation. 1-2 Strategische Frühaufklärung hat einen positiven Einfluss auf die Exploration. 2 Der Einfluss von strategischer Frühaufklärung ist größer auf die Exploration. Tab. 4-1: Die Thesen im Überblick (Quelle: Eigene Darstellung) Die bisher vermuteten Wirkungszusammenhänge betrachten noch keine Einflussfaktoren und Kontrollvariablen. Nichtsdestotrotz zeigen die Untersuchungen sowohl zur Innovationsfähigkeit als auch zur strategischen Frühaufklärung, dass eine Reihe von Faktoren existiert. Da in der empirischen Untersuchung auch die Umstände untersucht werden, unter denen der Einfluss der strategischen Frühaufklärung zur Geltung kommt, sollen daher hier kurz die zu beachtenden Faktoren dargestellt werden. Bereits die Auswertung der bestehenden Literatur zur Innovationsfähigkeit macht deutlich, dass zu selten entsprechende Kontrollvariablen in die Untersuchung eingehen. Gleichwohl werden branchen- und firmenspezifische Aspekte als bedeutend hervorgehoben.805 Unter branchenspezifischen Faktoren kamen vor allem Marktdynamik sowie -komplexität, die allgemeine Branchenzugehörigkeit und die Wettbe- 804 Vgl. Rohrbeck & Gemünden (2008), S. 154ff. Hurley & Hult (1998), S. 46f. geben einen Überblick zu bereits bestehenden Arbeiten im Bereich der Innovationsforschung. Siehe auch Nick (2008), S. 187f.; Rohrbeck (2010), S. 79. 805 154 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit werbsintensität vor. Des Weiteren werden unter unternehmensspezifischen Faktoren das Alter, die Größe, F&E-Intensität, Ressourcen und die Quelle des Wettbewerbsvorteils erwähnt.806 Ebenso werden in der Frühaufklärungsliteratur Implementierungsbarrieren identifiziert, die grundsätzlich auch auf die Wirkung im Innovationsmanagement Einfluss ausüben können. Bei Rohrbeck finden sich dazu schon Kontextfaktoren, die maßgeblich für den Einsatz der strategischen Frühaufklärung sind.807 Er stellt Unternehmensgröße, -strategie, -kultur und Quelle des Wettbewerbsvorteils als unternehmensspezifische Faktoren und Branchen-komplexität sowie -dynamik als branchenspezifische Faktoren auf. Da er sehr umfassend aus beiden Theorierichtungen Kontextfaktoren aufstellt, werden diese hier als Referenz angesehen und in der Fallstudienerhebung betrachtet. Darüber hinaus kommen Faktoren in Betracht, welche die vermuteten Wirkungszusammenhänge beeinflussen. Als ein erster Faktor, der vor allem im Rahmen der Frühaufklärungsliteratur hervorgehoben wird, kann die Anbindung oder Integration der Frühaufklärung an bestehende Managementsysteme gesehen werden. Die Güte der Integration der Frühaufklärung bestimmt maßgeblich die Nutzung der Ergebnisse aus der Frühaufklärung im jeweiligen Unternehmensbereich. 808 Werden Ergebnisse nicht entsprechend integriert oder werden entlang des Prozesses der Frühaufklärung Entscheidungsträger eingebunden, entfalten die Ergebnisse kaum Wirkung. 809 In diesem Zusammenhang ist es auch verständlich, dass Nick vor allem auch der Kommunikation der Frühaufklärungsergebnisse eine bedeutende Rolle zuweist. Die Ergebnisse müssen kommuniziert werden, um eine Handlungskette auszulösen.810 Außerdem konnte Nick in seiner Fallstudienuntersuchung zeigen, dass die Unterstützung des Top-Managements Einfluss auf die Implementierung der strategischen Frühaufklärung ausübt. Demnach muss Frühaufklärung eine Priorität im Vorstand haben und die Aktivitäten unterstützt werden. 811 Weiterhin macht eine Betrachtung der Ressourcen Sinn. Ohne das Vorhandensein von entsprechenden Mitteln kann weder Frühaufklärung durchgeführt werden noch die Ergebnisse der Frühaufklärung umgesetzt werden. 812 Der Unternehmenskultur kommt neben der Kontrollfunktion auch eine Einflussfunktion zu. Die Kultur bestimmt grundsätzlich die Umsetzung, aber auch die Einflussnahme der strategischen Frühaufklärung, weswegen sie kein unerheblicher all- 806 Vgl. Hurley & Hult (1998), S. 46f; Nick (2008), S. 187f.; Rohrbeck (2010), S. 79. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 78. 808 Vgl. Cuhls (2011), S. 194. 809 Vgl. Nick (2008), S. 196; 199; siehe auch Salomo et al. (2007), S. 219f. 810 Vgl. Nick (2008), S. 199. 811 Vgl. Nick (2008), S. 197. 812 Vgl. Sammerl (2006), S. 221f. 807 155 Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit gemeiner Einflussfaktor darstellt. 813 Nur wenn sich die Kultur durch eine gewisse Risikobereitschaft, Offenheit und Entscheidungsfreude ausmacht, können Frühaufklärungsergebnisse entsprechend genutzt werden.814 Darüber hinaus sind die vorhandenen Erfahrungen mit strategischer Frühaufklärung im Unternehmen bedeutend, um eine bessere Akzeptanz herzustellen. Sind die Erfahrungen gut und wird die Notwendigkeit gesehen, wird auch eher die Bereitschaft bestehen, die Ergebnisse nutzen zu wollen.815 Insgesamt lassen sich sehr viele Einflussfaktoren vermuten, die vorab nicht alle diskutiert werden können. Vielmehr sollen diese in der Erhebung vorbehaltsfrei aufgenommen und wahrgenommen werden können. Diese Zusammenhänge sind abschließend in Abb. 4-1 dargestellt. Diese hier entwickelten theoretischen Überlegungen sind anschließend Gegenstand der empirischen Untersuchung, die in den folgenden Kapiteln erläutert und abgebildet wird. Kontrollfaktoren: • Unternehmenskontext • Branchenkontext T1-1 Strategische Frühaufklärung Exploitation T1 T1-2; T2 Exploration Zu untersuchende Einflussfaktoren: • Schnittstellen/Kommunikation • Top-ManagementUnterstützung • Ressourcen • Unternehmenskultur Abb. 4-1: Wirkungszusammenhänge und Grundlagen der empirischen Untersuchung (Quelle: Eigene Darstellung) 813 Vgl. Wiedemann & Ries (2007), S. 299; Nick (2008), S. 197. Vgl. Sammerl (2006), S. 209; Herzog (2011), S. 68; Dervitsiotis (2010a), S. 909. 815 Vgl. Nick (2008), S. 197. 814 156 Methodik der empirischen Untersuchung 5 Methodik der empirischen Untersuchung 5.1 Weitergeführte Forschungsziele Die anfängliche Forschungsfrage soll nun anhand der theoretischen Überlegungen aus Kapitel 2, 3 und 4 weiter konkretisiert werden. Eine konkrete Forschungsfrage ist für die empirische Erhebung maßgeblich, da sie den Rahmen der Arbeit klar abgrenzt und damit die Datenerhebung anleitet.816 In diesem Zusammenhang hat Eisenhardt bereits angemerkt: „The rationale for defining the research question is the same as it is in hypothesis-testing research. Without a research focus, it is easy to become overwhelmed by the volume of data.”817 Laut Gläser & Laudel dienen die theoretischen Überlegungen der Sammlung und Strukturierung des für die Forschungsfrage relevanten Wissens.818 In diesem Zusammenhang muss die Forschungsfrage formuliert werden, die Einflussfaktoren, die auf den untersuchten Sachverhalt wirken, definiert werden und die Informationen festgelegt werden, die zur Beantwortung der Forschungsfrage nötig sind. 819 Die Strukturierung des Vorwissens wurde bereits in Kapitel 4 mit Hilfe der entwickelten Thesen vorgenommen. Die Thesen leiten, wie die Forschungsfrage, die empirische Erhebung und die Auswertung an. Gläser & Laudel sehen dadurch einen Vorteil in der Konkretisierung des Informationsbedarfes und erläutern deren Nutzen: „Es ist vielmehr die Aufgabe, ihre Untersuchung zu orientieren, indem es ihre Aufmerksamkeit auf empirische Sachverhalte lenkt, von denen sie aus theoretischen Gründen annehmen können, dass sie für die Beantwortung der Untersuchungsfrage wichtig sind.“820 Folglich werden die Forschungsfrage detailliert und die Annahmen des Forschers explizit.821 Eine derartige Funktion übernehmen die bereits abgeleiteten Thesen. Aufbauend auf die in Kapitel 4 formulierten Thesen können daher zusammenfassend folgende Forschungsfragen konkretisiert werden: 816 Vgl. Miles & Huberman (1985), S. 33f.; Eisenhardt (1989), S. 536; Gläser & Laudel (2009), S. 34. 817 Eisenhardt (1989), S. 536. 818 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 34. 819 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 34. 820 Gläser & Laudel (2009), S. 78. 821 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 78. 157 Methodik der empirischen Untersuchung Welchen Einfluss hat die strategische Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit? Wie wirkt sie sich auf die beiden Hauptmechanismen –Exploitation und Exploration- der Innovationsfähigkeit aus? Welche Faktoren beeinflussen die Nutzung und Wirkung der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement? Daraus lassen sich im Folgenden die Ziele der Erhebung ableiten. Diese werden in Abb. 5-1 dargestellt. • Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit erstmalig modellieren und untersuchen • Relevanz der strategischen Frühaufklärung für die Innovationsfähigkeit beurteilen • Einfluss auf die zentralen Mechanismen der Innovationsfähigkeit ausmachen • Voraussetzungen für das Wirken der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit aufstellen (Moderatoren identifizieren) • Identifizieren eines geeigneten Umfanges der strategischen Frühaufklärung im Verhältnis der kontextuellen Faktoren des Unternehmens Ziele Abb. 5-1: Ziele der Erhebung (Quelle: Eigene Darstellung) • Diese Forschungsfragen und Forschungsziele leiten im Anschluss die empirische • Erhebung und die Auswahl der Forschungsstrategie sowie das Erhebungsdesign. 822 5.2 Vorgehensweise der Untersuchung • 5.2.1 Qualitatives Untersuchungsdesign als Forschungsstrategie Im folgenden Abschnitt wird die gewählte Forschungsstrategie erläutert. Insgesamt kann zwischen quantitativen und qualitativen Forschungsansätzen unterschieden werden. Der qualitative Forschungsansatz bezweckt eine möglichst ganzheitliche Darstellung und damit ein einhergehendes Verständnis von Sinnzusammenhängen 822 Insgesamt können die Forschungsfragen einem Veränderungsprozess unterliegen, da sie nur den Ausgangspunkt der Betrachtung liefern. Eisenhardt verdeutlicht dazu: „At the extreme, some researchers have converted theory-testing research into theory building research by taking advantage of serendipitous findings.“ (Eisenhardt (1989), S. 536); siehe dazu auch Lamnek (2005), S. 25, 89. 158 Methodik der empirischen Untersuchung der sozialen Realität unter Berücksichtigung ihres Kontextes. 823 Dabei kommen Datenerhebungsverfahren zum Einsatz, die vornehmlich qualitative Daten erzeugen. 824 Diese qualitativen Daten werden interpretativ ausgewertet, „(…) um dadurch neue Effekte zu entdecken (Exploration) und (seltener) auch Hypothesen zu prüfen (Explanation)“825. Quantitative Forschung dient zur Erzeugung und statistischen Verarbeitung von quantitativen Daten mit dem Ziel „(…) Verhalten in Form von Modellen, Zusammenhängen und zahlenmäßigen Ausprägungen möglichst genau zu beschreiben und vorhersagbar zu machen“826. Der empirische Teil der vorliegenden Arbeit hat sich das Ziel gesetzt, die Relevanz der strategischen Frühaufklärung für die Innovationsfähigkeit zu untersuchen und den bestehenden Einfluss auf die Innovationsfähigkeit auszumachen.827 Für dieses Erkenntnisinteresse wird ein qualitatives Untersuchungsdesign ausgewählt. Dies ist aus folgenden Gründen zu rechtfertigen: Strategische Frühaufklärung ist im Kontext des Innovationsmanagements kaum erforscht.828 Bisher wurde nur in einigen Studien hervorgehoben, dass sich die strategische Frühaufklärung eignet, die Innovationsfähigkeit von Unternehmen positiv zu beeinflussen.829 Dieser sehr umfassenden Behauptung wurden aber kaum theoretische oder empirische Überlegungen gegenübergestellt. 830 Die Innovationsforschung gibt in diesem Zusammenhang wenig Aufschluss über mögliche Einflussfaktoren und Moderatoren, da dort eine Fülle von diversen Faktoren Beachtung findet, die jedoch in der Frühaufklärung nicht berücksichtigt oder vollends untersucht wurden.831 Die Forschung zur strategischen Frühaufklärung ist zugleich wenig aufschlussreich, da nicht einmal der Wirkungszusammenhang zur Innovationsfähigkeit näher erläutert wird. 832 Damit zeichnet sich ein nur schwach umrissenes Feld ab, was nur schwer mit Hilfe von quantitativen Erhebungen fassbar ist. Weder die allgemeinen Wirkungszusammenhänge zwischen der strategischen Frühaufklärung 823 Vgl. Lamnek (2005), S. 86. Vgl. Bortz & Döring (2002), S. 687. 825 Bortz & Döring (2002), S. 687. 826 Winter (2000), S. 1. 827 Siehe die theoretischen Überlegungen in Kapitel 1 und 4. 828 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 37; Burmeister et al. (2004). 829 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 37; Burmeister et al. (2004); Tyssen (2012), S. 243f. 830 Vgl. Trux et al. (1985), S. 372ff.; Rohrbeck (2010), S. 182ff.; Ruff (2006), S. 287f; Tyssen (2012), S. 243f. 831 Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.3.4 zu den Forschungsergebnissen der Literaturanalyse zu den bestehenden Konzepten der Innovationsfähigkeit. 832 Siehe dazu auch Müller & Müller-Stewens (2009), S. 37; Burmeister et al. (2004), S. 119, die sich nur mit der Funktion zur Innovationsverbesserung begnügen und Trux et al. (1985), S. 372ff.; Rohrbeck (2010), S. 182ff.; Ruff (2006), S. 287f., die zwar spezifischer auf die Frühaufklärung eingehen, jedoch die benannten Mechanismen nicht untersuchen. 824 159 Methodik der empirischen Untersuchung und der Innovationsfähigkeit, noch die Erhebung des Konstruktes an sich und den Rahmenbedingungen der Wirkungsweise können so eindeutig bestimmt werden. Damit war es, trotz erster vermuteter Wirkungszusammenhänge, nicht möglich ein vollständiges Wirkungsmodell herzuleiten, welches alle relevanten statistisch überprüfbaren Abhängigkeiten darstellt. Die bereits formulierten Thesen dienen in diesem Zusammenhang auch nur der Detaillierung der Forschungsfrage und übernehmen nicht die Funktion der in der quantitativen Forschung eingesetzten Hypothesen.833 Darüber hinaus ist das Themengebiet der strategischen Frühaufklärung sehr vielschichtig und komplex, so dass hinsichtlich der Ausprägungen und Relevanz in der Unternehmenspraxis große Unterschiede vorherrschen.834 Folglich ist die Ableitung eines einheitlichen und sinnvollen Kategoriensystems, welches die Fülle von verschiedenen Frühaufklärungsaktivitäten abdeckt, schwierig. 835 Roll merkt dazu an, dass derart nur „(…) wenig aussagekräftige Mittelwerte (…)“836 für einzelne Merkmalsausprägungen zu erheben sind. Ein qualitatives Untersuchungsdesign bietet damit den Vorteil, alle vielschichtigen Implementierungsarten aufzunehmen. Ein weiterer Vorteil dieser Methode besteht darin, dass die zeitliche Verschiebung von Auswirkungen der strategischen Frühaufklärung Berücksichtigung findet und gezielt abgefragt werden kann. Darüber hinaus wird auch ein Verständnis über das Ausmaß an formal durchgeführter Frühaufklärung im Vergleich zur intuitiven Frühaufklärung entwickelt und einbezogen. Dem qualitativen Untersuchungsdesign liegt die Fallstudienmethode (im Englischen „Case Study Method“) insbesondere nach den Ansätzen von Yin und Eisenhardt zu Grunde. Yin definiert die Fallstudienmethode folgendermaßen: „A case study is an empirical inquiry that investigates a contemporary phenomenon within its real-life context, especially when the boundaries between the phenomenon and context are not clearly evident.”837 Fallstudien werden laut Eisenhardt genutzt, um Beschreibungen zu erstellen, Theorien zu testen oder Theorien zu generieren.838 Insgesamt bietet die Fallstudienmethode drei zentrale Vorteile, die von Voss et al. zusammengefasst wurden: 839 833 Vgl. Mayring (2007), S. 22; Lamnek (2005), S. 91, 93. Vgl. Roll (2004), S. 93; siehe auch Rohrbeck (2010); Daheim & Uerz (2008); Becker (2002). 835 Tyssen (2012) hat dies zwar bereits in seiner Untersuchung gemacht, jedoch dabei das Konzept der Frühaufklärung sehr stark vereinfacht. Dadurch ist es nicht möglich, die Vielschichtigkeit dieses Ansatzes abzubilden. 836 Roll (2004), S. 93. 837 Yin (2003), S. 13. 834 160 Methodik der empirischen Untersuchung (1) Das Phänomen kann in seinem natürlichen Umfeld untersucht werden und auf diese Weise anhand aussagekräftiger und relevanter Theorie durch die Erkenntnisse aus der Praxis entwickelt werden. (2) Die Fallstudienmethode erlaubt es Warum-, Was- und Wie-Fragen mit einem ganzheitlichen Verständnis des Wesens und der Komplexität des Phänomens zu beantworten. (3) Die Fallstudienmethode eignet sich für Untersuchungen, in denen Variablen noch unbekannt sind und das Phänomen noch nicht vollständig bekannt ist. Diese Vorteile werden sich in der vorliegenden Arbeit zu Nutzen gemacht und ermöglichen eine Analyse der Wirkung der strategischen Frühaufklärung in ihrem natürlichen Umfeld im Unternehmen. Die komplexen Mechanismen der Innovationsfähigkeit können so eingehend untersucht werden. Da die Methode eine ganzheitliche Erfassung ermöglicht, werden dabei alle Kontextfaktoren und Rahmenbedingungen der strategischen Frühaufklärung berücksichtigt. Die flexible Anpassung der Fallstudienmethode an das Erhebungsmaterial stellt eine angemessene Datensammlung sicher. Forschungsfallstudien lassen sich laut Yin in singuläre und multiple Forschungsfallstudien unterscheiden. 840 Singuläre Forschungsfallstudien konzentrieren sich auf die Darstellung eines Falles und können auf diese Weise intensiv die Besonderheiten des Falles in der Tiefe herausarbeiten.841 Dahingegen basiert eine multiple Forschungsfallstudie auf mehreren Fällen. Durch die größere Menge an Datenmaterial, wird ein Vergleich über die Fälle hinweg angestrebt, um allgemeingültige Aussagen zu treffen.842 Ferner unterscheidet Yin weiter nach holistischer und eingebetteter Betrachtungsweise, die sich durch verschiedene Untersuchungseinheiten kennzeichnet.843 Folglich wird bei der holistischen Betrachtung nur eine Analyseeinheit untersucht, wohingegen im Falle einer eingebetteten Betrachtung verschiedene Analyseeinheiten wie z.B. Unternehmensbereiche untersucht werden. Da in dieser Arbeit allgemeingültigere Aussagen getroffen werden sollen, bietet sich nur eine multiple Falluntersuchung an.844 Aufgrund der Befragung von verschiedenen Expertengruppen, die sowohl Frühaufklärung erstellen als auch nutzen sowie einen Bezug zum Innovationsmanagement aufweisen, müssen verschiedene Unterneh- 838 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 535. Voss et al. (2002), S. 197. 840 Vgl. Yin (2003). 841 Vgl. Lamnek (2005), S. 298f. 842 Vgl. Flick (2007), S. 178. 843 Vgl. Yin (2003). 844 Vgl. Benbasat et al. (1987), S. 373. 839 161 Methodik der empirischen Untersuchung mensbereiche in die Untersuchung eingehen. Daher wird eine multiple, eingebettete Falluntersuchung vorgenommen. Als Hauptquelle für die Gewinnung der empirischen Daten dient eine mündliche Befragung in Form von leitfadengestützten, qualitativen Experteninterviews und eine Analyse von Unternehmensdokumenten. Ergänzend wurden im Zuge der Daten-auswertung Rücksprachen mit einzelnen Interviewteilnehmern eingesetzt. Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse erheben zwar nicht den Anspruch auf Repräsentativität, vermitteln aber erstmals einen sehr umfassenden Einblick über die Wirkungsweise der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement. 5.2.2 Auswahl des Untersuchungssamples Zur Auswahl des Untersuchungssamples im Kontext einer Fallstudienuntersuchung sind keine formalen Regularien existent, jedoch ist es sinnvoll einen Rahmen für die Erhebung vorab zu definieren.845 Vor allem in Hinblick auf begrenzte Forschungskapazitäten müssen sowohl die Kriterien für die Fallerhebung festgelegt werden als auch die Anzahl der Fälle eingeschränkt werden.846 Dies wirkt sich nicht nachteilig auf das Vorgehen aus, sondern ist vielmehr kennzeichnend für das Vorgehen einer qualitativen Untersuchung, zumal keine Repräsentativität angestrebt wird.847 Ziel ist vielmehr das Aufdecken von kausalen Zusammenhängen und von Einflussfaktoren sowie Wirkungen.848 Die zentralen Variablen, die in der Untersuchung eine besondere Bedeutung erfahren, sind die strategische Frühaufklärung und die Innovationsfähigkeit mittels der Exploitation sowie Exploration. Diese befinden sich in einem Gefüge aus intervenierenden Variablen und anderen Einflussfaktoren. Um die Wirkungen der intervenierenden Variablen und Einflussfaktoren klein zu halten, sollten diese möglichst konstant bleiben. 849 Wie bereits dargelegt, haben kontextuelle Faktoren großen Einfluss sowohl auf das Ausmaß der Frühaufklärung als auch auf den Innovationsdruck eines Unternehmens. 850 Daher sollten sich diese Randbedingungen möglichst äh- 845 Vgl. Voss et al. (2002), S. 196; 202; Gläser & Laudel (2009), S. 95. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 537. 847 Vgl. Voss et al. (2002), S. 201ff. 848 Vgl. Witt (2001), S. 19. 849 Vgl. Voss et al. (2002), S. 204; Gläser & Laudel (2009), S. 98. 850 Vgl. Day & Schoemaker (2005), S. 144; Nick (2008), S. 133f.; Rohrbeck (2010), S. 79f. 846 162 Methodik der empirischen Untersuchung neln, um die Auswirkungen der Frühaufklärung unverfälscht zu analysieren. Dementsprechend wird ein ähnlicher Branchen- und Unternehmenskontext angestrebt. Zur Bestimmung der zu untersuchenden Branchen muss berücksichtigt werden, dass Innovationen eine zentrale Eigenschaft darstellen und daher innovationsgetriebene Branchen einen Vorrang erhalten. Im Anschluss soll sich ferner auf Produktinnovationen beschränkt werden, da sich diese besser eignen, die Wirkung der Frühaufklärung zu analysieren. 851 Auf Basis dieser Bedingung wird das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland ausgewählt. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung veröffentlicht regelmäßig Studien zu dem Innovationsverhalten der deutschen Wirtschaft. In Abb. 5-2 ist eine Übersicht zu Umsatzanteilen mit Produktneuheiten nach Branchen im Jahr 2010 und die Innovatorenanteile852 nach Unternehmensgröße für das Jahr 2009 abgebildet. 851 Produktinnovationen werden der Eigenschaft des Ideengebers der strategischen Frühaufklärung besser gerecht, die von Rohrbeck (2010), S. 182f. identifiziert wurde. 852 Die Innovatorenquote misst den Anteil der mit Innovationen erfolgreichen Unternehmen (Quelle: ZEW (2012), S. 2. 163 Methodik der empirischen Untersuchung Umsatzanteil mit Produktneuheiten im Jahr 2010 Umsatzanteil mit Produktneuheiten in % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 Branchen 0 Fahrzeug- Elektro- Maschinen- EDV/ bau industrie bau Telekommunikation Kriterium für das Untersuchungssample Möbel/ Textil/ Spielw./ Bekleidung/ Medizint./ Leder Reparatur Innovatorenquote Industrie 2009 nach Beschäftigungsgrößenklassen Unternehmensanteile in % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 Beschäftigungsgrößenklassen 10 0 5-49 50-249 250-999 1000 u.m. Kriterium für das Untersuchungssample Abb. 5-2: Umsatzanteil und Innovatorenquote (Quelle: ZEW (2012); Rammer et al. (2011)) Deutlich wird, dass der Umsatzanteil mit Produktneuheiten in den Branchen Fahrzeugbau, Elektroindustrie und Maschinenbau am größten ist. 853 Darüber hinaus ist laut ZEW-Bericht eine eindeutige Korrelation zwischen Unternehmensgröße, ge- 853 Vgl. ZEW (2012), S. 1. 164 Methodik der empirischen Untersuchung messen an den Mitarbeitern, und der Innovationsbeteiligung vorzufinden.854 Demnach sind größere Unternehmen tendenziell innovativer: nahezu 100 Prozent der Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern der forschungsintensiven Branchen sind Innovatoren, wohingegen nur 65 Prozent der kleinen Unternehmen mit 5-49 Mitarbeitern zu den Innovatoren zählen. 855 Zudem findet auch Frühaufklärung aufgrund der begrenzten Ressourcen und der höheren Komplexität eher in größeren Unternehmen statt.856 Aufbauend auf diesen Ergebnissen werden demnach Unternehmen aus Fahrzeugbau, Elektroindustrie sowie Maschinenbau in Deutschland mit mehr als 50 Mitarbeitern ausgewählt. 857 Mit ähnlicher Größe und Ausgangsbedingungen in der Branche können die zentralen Wirkungsmechanismen unverfälscht untersucht werden. Da Frühaufklärung für Unternehmen aller Branchen gleichermaßen von Bedeutung ist, stellt dies keine Restriktion für das Ausmaß der Frühaufklärung dar. 858 Die Fallauswahl beinhaltet zwölf große multinationale Unternehmensbereiche mit unterschiedlicher Nutzung der strategischen Frühaufklärung. Aufgrund der strategischen Bedeutung von der Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit, wurde absolute Vertraulichkeit zugesichert. Daher werden auch nur die in den Fällen beschriebenen Angaben gemacht und keine weiteren Informationen zu den einzelnen Unternehmen herausgegeben. Die Eigenschaften in den Fallbeschreibungen reichen zur Darstellung der untersuchten Wirkungszusammenhänge vollkommen aus. Eine Übersicht zu den Falleigenschaften in Bezug auf Branchenzugehörigkeit859 und Firmengröße nach Mitarbeitern sowie Umsatz findet sich in Abb. 5-3. 854 Vgl. Rammer et al. (2011), S. 12. Vgl. Rammer et al. (2011), S. 12. 856 Vgl. Daheim & Uerz (2008), S. 322; Rohrbeck (2010), S. 127. 857 Siehe zum Vorgehen auch Sammerl (2006), S. 293ff. 858 Vgl. Daheim & Uerz (2008), S. 323. 859 Als Branchenindikator wurde die offizielle Brancheneinteilung „International Standard Industrial Classification“ der UNO genutzt. 855 165 Methodik der empirischen Untersuchung Eigenschaften der Falluntersuchung Branchenverteilung Anzahl der Fälle nach Mitarbeitern Anzahl der Fälle nach Umsatz 1 1 2 3 1 1 6 5 7 3 3 4 Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten etc. (26) 100 - 500 500 - 5.000 5.000 - 15.000 > 15.000 > 10 Millionen 100 - 1 Mrd. > 1 Mrd. Herstellung von elektrischen Ausrüstungen (27) Maschinenbau (28) Herstellung Von Kraftwagenteilen (29) So. Fahrzeugbau (30) Abb. 5-3: Übersicht zu den Eigenschaften der Falluntersuchung (Quelle: Eigene Darstellung) 5.2.3 Instrumente zur Datensammlung In Fallstudien kommen typischerweise mehrere Erhebungsinstrumente zum Einsatz mit dem Ziel die Forschungsergebnisse auf eine breite Basis zu stellen und die Triangulation der Forschungsergebnisse zu ermöglichen. 860 Triangulation ist hilfreich, da durch den Vergleich unterschiedlicher Methoden ein fundiertes Bild abgegeben wird. Zum einen ist es möglich, dass unterschiedliche Methoden zum gleichen Ergebnis kommen, so können sich bspw. die Ergebnisse aus Interviews und Dokumentenanalyse ähnlich verhalten.861 Zum anderen und wie Flick festgestellt hat, als häufigerer Fall, ist festzustellen, „(…) dass sich Ergebnisse wechselseitig ergänzen“862. Folglich bereichern mehrere Methoden das Gesamtbild der Untersuchung. In dieser Arbeit werden als Haupterhebungsinstrumente Interviews und Dokumentenanalyse genutzt. 860 Vgl. Voss et al. (2002), S. 204; Benbasat et al. (1987), S. 374. Vgl. Flick (2010b), S. 281. 862 Flick (2010b), S. 284. 861 166 Methodik der empirischen Untersuchung Interview Als zentrales Erhebungsinstrument wird das Interview angesehen. Grundsätzlich lassen sich drei Arten von Interviews unterscheiden: nicht strukturierte, teilstrukturierte und vollstrukturierte Interviews.863 In der vorliegenden Untersuchung werden teilstrukturierte Interviews mit Hilfe eines Leitfadens, sogenannte Leitfadeninterviews, eingesetzt. In Leitfadeninterviews arbeitet der Interviewleiter vorgegebene Themengebiete, die zur Beantwortung der Forschungsfrage dienen, anhand einer Frageliste (dem Leitfaden) ab. 864 Die Funktion des Leitfadens kann ferner beschrieben werden: “It outlines the subjects to be covered during an interview, states the questions to be asked, and indicates the specific data required. (…) The protocol serves both as a prompt for the interview and a checklist to make sure that all topics have been covered.”865 Leitfadengestützte Interviews bieten den Vorteil, dass dem Interviewer eine grobe Orientierung durch den Leitfaden gegeben wird, jedoch jederzeit Anpassungen an den Verlauf des Interviews z.B. durch Verständnisfragen oder Fragen nach aufgeworfenen Aspekten getroffen werden können. 866 Da weder die Frageformulierungen noch die Reihenfolge der Fragen fest vorgegeben sind, ist es möglich einen nahezu natürlichen Gesprächsverlauf herzustellen.867 Darüber hinaus dient der Interviewleitfaden der Vergleichbarkeit der Interviews, indem alle Befragten ähnliche Themenfelder beantworten.868 Befragt werden Experten des Unternehmens, die über besonderes Wissen über strategische Frühaufklärung und Innovationsmanagement verfügen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Experteninterviews.869 Ein Experte „(…) beschreibt die spezifische Rolle des Interviewpartners als Quelle von Spezialwissen über die zu erforschenden sozialen Sachverhalte“870. Prinzipiell sind die Experten nicht das Objekt der Untersuchung, sondern dienen als Zeugen der für die Forschungsfrage relevanten Prozesse und Aktivitäten im Unternehmen. 871 Im Kontext des Experteninterviews erfüllt der Leitfaden zudem eine weitere Funktion: 863 Vgl. Bortz & Döring (2002), S. 308; siehe zu weiteren Formen von Interviews auch Lamnek (2005), S. 356. 864 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 42. 865 Voss et al. (2002), S. 205. 866 Vgl. Nohl (2006), S. 21; Bortz & Döring (2002), S. 315. 867 Gläser & Laudel (2009), S. 42. 868 Vgl. Nohl (2006), S. 21. 869 Vgl. Meuser & Nagel (2005), S. 73f. 870 Gläser & Laudel (2009), S. 12. 871 Vgl. Meuser & Nagel (2005), S. 73; Gläser & Laudel (2009), S. 12. 167 Methodik der empirischen Untersuchung „Die in der Entwicklung eines Leitfadens eingehende Arbeit schließt aus, dass sich der Forscher als inkompetenter Gesprächspartner darstellt.“872 Der Interviewleitfaden wurde anhand der Forschungsfragen entwickelt. Er bestand aus vier zentralen Themenblöcken: dem Unternehmenskontext, dem Ausmaß der strategischen Frühaufklärung, der Innovationsfähigkeit sowie förderlichen bzw. hinderlichen Faktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement. Die Fragen des Leitfadens wurden ausformuliert. 873 Grundsätzlich sollte der Leitfaden übersichtlich und prägnant gehalten werden, deshalb wurden nicht mehr als drei Seiten Leitfaden erstellt.874 Der vollständige Leitfaden ist im Anhang zu finden. Vorab wurde der Leitfaden an Fach- und Methodenexperten getestet und punktuell überarbeitet. 875 Dokumentenanalyse Als weiteres Erhebungsinstrument wird die Dokumentenanalyse genutzt. Dokumente können als „(…) niedergeschriebene Informationen aus dem mittelbaren und unmittelbaren Umfeld des Falles“876 beschrieben werden. Sie können in unternehmensinterne und unternehmensexterne Dokumente unterschieden werden. 877 Unternehmensinterne Dokumente sind meist vertraulicher Natur wie z.B. Emails, Prozessbeschreibungen, Intranetdokumente und Organisationscharts. 878 Dahingegen sind unternehmensexterne Dokumente meist öffentlich zugänglich und umfassen beispielsweise Zeitungsartikel, Studien sowie die allgemeine Unternehmensberichterstattung.879 Besonders unternehmensinterne Dokumente stellen eine wertvolle Bereicherung für die Forschungsergebnisse dar, weil dadurch neben den Interviews ein weiterer Einblick in interne Unternehmensprozesse ermöglicht wird. Unternehmensexterne Informationen sind in diesem Zusammenhang ebenso eine sinnvolle Ergänzung, da sie die Sicht außerhalb des Unternehmens widerspiegeln. Insgesamt muss bei der Auswertung auf die Rolle und damit die Intention der Dokumente geachtet werden, um eine sinnvolle Bewertung sicherzustellen.880 872 Meuser & Nagel (2005), S. 77. Ob die Fragen des Interviewleitfadens auszuformulieren sind oder nur in Stichworten zusammengefasst werden, wird in der Literatur uneinheitlich bewertet. Insgesamt ist man sich jedoch einig, dass die Präferenzen des Forschers entscheidend für den Einsatz sind. (Quelle: Mey & Mruck (2010), S. 430). 874 Vgl. Mey & Mruck (2010), S. 430. 875 Siehe dazu auch Voss et al. (2002). 876 Vgl. Santos et al. (2003), S. 13. 877 Vgl. Yin (2003), S. 85f. 878 Siehe dazu auch Benbasat et al. (1987), S. 374. 879 Vgl. Yin (2003), S. 86. 880 Vgl. Yin (2003), S. 86. 873 168 Methodik der empirischen Untersuchung Für die Dokumentenanalyse in dieser Arbeit wurden folgende Formen von Dokumenten genutzt: Projektdokumente (Prozessbeschreibungen, Templates, Präsentationen) Interne Veröffentlichungen (Intranetartikel, Produktbeschreibungen Ergebnisse von Frühaufklärungsprojekten, Organigramme) Externe Veröffentlichungen (Pressemitteilungen, Studien, Zeitungsartikel) 5.2.4 Schlüsselinformanten Im Rahmen der Interviewerhebung musste zunächst der zu befragende Personenkreis festgelegt werden. Wie Gläser & Laudel erläutern, muss sich der Forscher zunächst darüber klar werden, wer diese Informationen besitzt. Um alle nötigen Informationen zu beschaffen, sind meist mehrere Informanten zu befragen, da sie innerhalb des untersuchten Phänomens über unterschiedliche Einblicke verfügen.881 Vor dem Hintergrund des thematischen Schwerpunktes mussten Personen befragt werden, die einen fundierten Überblick sowohl über die Frühaufklärungsaktivitäten als auch über die Innovationsaktivitäten aufweisen. Um Bias zu verhindern und eine möglichst ganzheitliche Darstellung der Wirkung der Frühaufklärung zu erhalten, wurden daher sowohl Nutzer als auch Durchführer der Frühaufklärung als Befragte in Betracht gezogen.882 Rohrbeck spricht in diesem Zusammenhang vom internen Kunden und dem eigentlichen „Activity Team“ oder „Activity Manager“. 883 Der interne Kunde profitiert von den Aktivitäten der Frühaufklärung und ist Schlüsselinformant für den Wertbeitrag und kontextuelle Faktoren. Seine Perspektive ist objektiver als die der eigentlichen Ersteller der Frühaufklärung. Der Activity Manager mit dem zugehörigen Team ist Schlüsselinformant für die eigentlichen Frühaufklärungsaktivitäten mit Zielen, Methoden und Ergebnissen der Frühaufklärung.884 Insgesamt kam nur ein Personenkreis mit Leitungsfunktion oder gesonderter Schlüsselfunktion im Team in Frage, da derart sichergestellt werden konnte, dass das Wissen über die erforderlichen Aktivitäten und deren Zusammenhänge vorherrscht. Folglich wurde der Personenkreis der Innovations-, F&E-, Strategieleiter sowie Produktmanager ausgewählt. In Tab. 5-1 wird ein Überblick der in dieser Untersuchung befragten Interviewteilnehmer nach Funktion des Befragten und Fall gegeben. 881 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 117. Siehe dazu auch Lichtenthaler (2004), Rohrbeck (2010), Nick (2008). 883 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 64. 884 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 64. 882 169 Methodik der empirischen Untersuchung Funktion des Befragten Fall Bereichsübergreifend Fall 1 Produktmanager F&E Ma- Innovatinager onsmanager 2 Fall 2 Fall 3 Fall 4 2 1 1 1 1 4 1 Fall 5 1 1 1 1 Fall 6 1 Fall 7 Fall 8 1 2 Fall 9 1 1 1 Fall 10 1 Fall 11 1 Fall 12 2 1 Summe 9 5 1 2 9 9 Tab. 5-1: Anzahl der Schlüsselinformanten nach Fall und Funktion des Befragten (Quelle: Eigene Darstellung) 5.3 Ablauf der empirischen Untersuchung Die Vorgehensweise der Untersuchung lässt sich in vier Phasen gliedern: Vorbereitung, Durchführung, Auswertung und Validierung der empirischen Erhebung. Zusammenfassend wird das Vorgehen der Untersuchung in Tab. 5-2 dargestellt. In der ersten Phase, der Vorbereitungsphase, wurde anhand der Literaturauswertung und erster Gespräche mit Experten der Forschungsbedarf identifiziert und die Untersuchung sowohl spezifiziert als auch konzipiert. Darauf aufbauend wurde der Leitfaden entwickelt und die Kriterien für die folgende Fallauswahl spezifiziert. Ziel dieser Phase bestand darin, die Konzeption der Untersuchung soweit voranzutreiben, dass die Erhebung durchgeführt werden kann. 170 Methodik der empirischen Untersuchung Phase Aktivitäten in der Phase Beschreibung Vorbereitung Literaturüberblick Forschungslücke definieren Theoretische Fundierung schaffen Empirisches Design auswählen Vorgespräche Gespräche mit Praktikern und Forschern, die zum Thema Frühaufklärung tätig sind Konkretisierung des Forschungsdesigns Leitfadenerstellung Entwicklung des Leitfadens mit den wichtigsten Themenblöcken Pretest Test des Leitfadens an ausgewählten Personen aus der Zielgruppe des Befragtenkreises Punktuelle Anpassung des Leitfadens Fallauswahl Festlegen der Kriterien zur Fallauswahl Auswahl und Anschreiben erster Unternehmen Durchführung Experteninterviews Führen von 31 leitfadengestützten Experteninterviews mit einer Dauer von 35-90 min Tonaufnahme oder Anfertigung eines Gedächnisprotokolles Auswertung Transkription Transkription aller Interviews, von denen eine Tonaufnahme vorlag Dokumentensammlung Sammlung von internen und externen Dokumenten die Relevanz für die Beschreibung des Falles besaßen Interviewanalyse Datenreduktion und Kodierung mit anschließender Einzelfall- und fallübergreifender Analyse Dokumentenanalyse Analyse der Dokumente Fallzuweisung Ausarbeitung Triangulation der Ergebnisse Schriftliche Ausarbeitung Validierung Expertenfeedback Feedback der Interviewteilnehmer zur Ausarbeitung der Interviewauswertung Tab. 5-2: Phasen der Ausführung der empirischen Erhebung und deren Beschreibung (Quelle: Eigene Darstellung) 171 Methodik der empirischen Untersuchung Anschließend erfolgte in Phase 2 die Durchführung der empirischen Erhebung. Dazu wurden insgesamt 31 Interviews in 12 Unternehmensbereichen, die als einzelne Fälle in die Untersuchung eingehen, realisiert. Da in der Literatur empfohlen wird, Interviews aufzuzeichnen, wurden Audioaufzeichnungen bei vorhandenem Einverständnis der Interviewpartner angefertigt. 885 Da visuelle Faktoren wie Mimik und Gestik bei der Auswertung keine Rolle spielen, war eine Videoaufzeichnung nicht erforderlich.886 Bei verweigertem Aufnahmeeinverständnis wurde der Inhalt und Verlauf des Interviews mit Hilfe eines Gedächnisprotokolles kurz nach dem Interview niedergeschrieben. 887 Eine exakte Auswertung der Interviews bzw. Tonbandaufzeichnungen setzt eine Transkription voraus.888 Da das Wissen der Experten Gegenstand der Interviews ist, sind detaillierte Notationssysteme, die Pausen, Stimmlagen, nonverbale sowie parasprachliche Elemente abbilden, nicht notwendig.889 Dementsprechend wurde bei den durchgeführten Interviews auf eine ausführliche Transkription verzichtet und nur der reine Text zum Inhalt gemacht. Die erhobenen Daten aus Interviews und Dokumentensammlung wurden in der nächsten Phase ausgewertet und interpretiert. Um mit den enormen Mengen an Daten umzugehen, wurde das Datenmaterial reduziert und kodiert. 890 Das genaue Vorgehen hierzu wird in Kapitel 5.4 näher beschrieben. Zugehörige Interviews und Dokumente wurden zu Fällen zusammengefasst. Vor diesem Hintergrund wurden die Daten innerhalb eines Falles ausgewertet und interpretiert. Im Anschluss wurden die Ergebnisse der Fälle fallübergreifend verglichen, um Schlussfolgerungen und allgemeine Aussagen zur Beantwortung der Forschungsfrage getroffen. Auch wenn Datensammlung und Auswertung hier als einzelne Schritte dargestellt werden, weisen diese Phasen eine gewisse Überlappung auf.891 Gläser & Laudel kommentieren dieses Vorgehen: „Mit den ausgewählten Methoden werden Daten über die gewählten Fälle erhoben, die Daten werden mit den dafür gewählten Methoden ausgewertet und die Ergebnisse interpretiert. (…) Kein realer Forschungsprozess wird exakt dieser Schrittfolge entsprechen. Die unterbrochenen Linien sollen andeuten, dass es in der Forschungspraxis immer wieder Rückkopplungen gibt, in denen Erfahrungen aus späteren Phasen der Untersuchung genutzt werden, um frühere Ent- 885 Vgl. Mey & Mruck (2010), S. 431. Vgl. Mey & Mruck (2010), S. 431. 887 Vgl. Mey & Mruck (2010), S. 431. 888 Vgl. Meuser & Nagel (2005), S. 83; Lamnek (2005), S. 390; Flick (2007), S. 379; Dresing & Pehl (2010), S. 724., 727f. 889 Vgl. Meuser & Nagel (2005), S. 83; Flick (2007), S. 380. 890 Vgl. Flick (2007), S. 409. 891 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 538; Flick (2007), S. 128. 886 172 Methodik der empirischen Untersuchung scheidungen zu korrigieren und einige schon absolvierte Phasen noch einmal zu durchlaufen.“892 Abschließend wurden die Ergebnisse der Auswertung in der letzten Phase validiert. Dazu wurden die Interviewpartner mit der Auswertung konfrontiert und konnten ihr Feedback geben, welches zur weiteren Fundierung der Auswertung hinzugezogen wurde. 5.4 Datenreduktion und Kodierung Die Fallstudienmethode mit Hilfe von Experteninterviews und Dokumentenanalyse führt zu enormen Datenmengen qualitativer Natur. Um eine sinnvolle Datenanalyse zu gewährleisten, muss das Datenmaterial vorab strukturiert und reduziert werden, um es handhabbar zu machen. Saunders et al. verdeutlichen hierzu: „During analysis, the non-standardised and complex nature of the data that you have collected will probably need to be condensed (summarised), grouped (categorised) or restructured as a narrative to support meaningful analysis.” 893 Laut Gläser & Laudel bieten sich drei zentrale Auswertungsmethoden an: Kodierung (Grounded Theory), qualitative Inhaltsanalyse oder objektive Hermeneutik. 894 In Rahmen dieser Arbeit wird die qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Sie ist in diesem Fall am besten geeignet, da die vorhandene Theorie und die Themenblöcke des Leitfadens bereits ein strukturiertes Auswertungsraster vorgeben.895 Damit wird sie in diesem Fall auch der Grounded Theory vorgezogen, die sich besser eignet bei kaum vorhandenem oder strukturiertem Vorwissen. 896 Die qualitative Inhaltsanalyse bietet demnach den Vorteil „(…) übersichtlicher und eindeutiger (…) als andere Auswertungsverfahren“897 das Vorgehen zu dokumentieren und für Dritte nachvollziehbar zu gestalten.898 Aufgrund der hohen Interviewzahl ist die objektive Hermeneutik aus ökonomischen Gründen nicht durchzuführen. 899 892 Gläser & Laudel (2009), S. 36. Saunders et al. (2007), S. 482. 894 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 44; für einen umfassenden Methodenvergleich siehe auch Flick (2007), S. 473ff. 895 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 106. 896 Vgl. Flick (2007), S. 400. 897 Vgl. Flick (2007), S. 416. 898 Dies kommt auch den Gütekriterien qualitativer Forschung zu Gute. Siehe Kap. 5.6. 899 Vgl. Flick (2007), S. 448; Gläser & Laudel (2009), S. 106. 893 173 Methodik der empirischen Untersuchung Die qualitative Inhaltsanalyse verfolgt das Ziel, „(…) die manifesten und latenten Inhalte des Materials in ihrem Kontext und Bedeutungsfeld zu interpretieren, wobei vor allem die Perspektive der Akteure herausgearbeitet wird.“900 Im Rahmen dieser Analyse werden Kategorien verwendet: „Kategorien werden an das Material herangetragen und nicht unbedingt daraus entwickelt, wenngleich sie immer wieder daran überprüft und ggf. modifiziert werden.“901 Als Prinzip der qualitativen Inhaltsanalyse fungiert dabei die Überlegung, dass der Text die auszuwertenden Daten enthält. Durch die Inhaltsanalyse werden diese Daten entnommen und weiter verarbeitet. 902 Zusammenfassend stellen Gläser & Laudel die Vorteile der qualitativen Inhaltsanalyse heraus: „Die qualitative Inhaltsanalyse ist das einzige Verfahren der qualitativen Textanalyse, das sich frühzeitig und konsequent vom Ursprungstext trennt und versucht, die Informationsfülle systematisch zu reduzieren sowie entsprechend dem Untersuchungsziel zu strukturieren.“ 903 Im Folgenden werden die wichtigsten Arbeitsschritte der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring dargestellt. Mayrings Vorgehen kann in neun Stufen beschrieben werden, diese werden in Abb. 5-4 zusammengefasst und erläutert. 904 900 Vgl. Bortz & Döring (2002), S. 329. Vgl. Flick (2007), S. 409. 902 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 199. 903 Gläser & Laudel (2009), S. 200. 904 Vgl. Lamnek (2005), S. 518. 901 174 Methodik der empirischen Untersuchung Stufe Beschreibung der Stufe 1 Festlegung des Materials Auswahl der Textstellen, in denen sich der Interviewpartner explizit und bewusst zur Forschungsfrage äußert 2 Analyse der Entstehungssituation Sammlung von Informationen zum Handlungshintergrund wie z.B. Liste der anwesenden Personen, Beschreibung der Erhebungssitutation 3 Charakterisierung des Materials Beschreibung des Materials (Interviewtranskripte, Gedächnisprotokolle) 4 Richtung der Analyse 5 Differenzierung der Fragestellung 6 Festlegung der Ziele der Analyse Bestimmung der Analysetechnik Bestimmung der konkreten Fragestellung der Analyse Auswahl der Analysetechnik: (1) Zusammenfassung (2) Explikation (3) Strukturierung 7 Definition der Analyseeinheit 8 Analyse des Materials Bestimmung und Auswahl der Textteile des Materials 9 Interpretation Interpretation der Hauptergebnisse in Hinblick auf die Hauptfragestellung Analyse des Materials in Abhängigkeit der Analysetechnik Abb. 5-4: Stufen der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Mayring (2007), S. 53ff. und Lamnek (2005), S. 518ff.) Bis zur Stufe fünf wurde eingehend über alle Details der Analyse in vorhergehenden Kapiteln berichtet. Die Bestimmung der Analysetechnik im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse ist von zentraler Bedeutung für die Datenreduktion und die spätere Interpretation und soll daher anschließend kurz erläutert werden. 905 Mayring unterscheidet dabei folgende drei Analysetechniken: (1) Zusammenfassung, (2) Explikation und (3) Strukturierung: 905 Vgl. Mayring (2007), S. 58. 175 Methodik der empirischen Untersuchung Ziel der Zusammenfassung (1) besteht darin, „(…) das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist.“906 Vor diesem Hintergrund werden die wesentlichen Inhalte durch Paraphrasen zusammengefasst. Diese werden anschließend Kategorien zugeordnet und dann zur Beschreibung eines Falles herangezogen.907 Ziel der Explikation (2) ist es, „(…) zu einzelnen fraglichen Textteilen zusätzliches Material heranzutragen, das das Verständnis erweitert, das die Textstelle erläutert, erklärt, ausdeutet.“908 So werden z.B. Lexikon-Einträge genutzt, um die Äußerungen des Interviewpartners näher zu erläutern.909 Ziel der Strukturierung (3) besteht laut Mayring darin, „(…) bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen.“910 Dabei ist die Strukturierung die zentralste inhaltsanalytische Technik.911 Die Struktur wird in Form eines Kategoriensystems an das Material herangetragen. 912 Demzufolge werden „(…) alle Textbestandteile, die durch die Kategorien angesprochen werden, (…) aus dem Material systematisch extrahiert.“913 Gläser & Laudel beschreiben weiterhin, dass durch Lesen des Textes entschieden wird, ob relevante Informationen enthalten sind. Diese Informationen werden den Kategorien zugeordnet. 914 Dieses Vorgehen ist einerseits theoriegeleitet, da die bereits getroffenen theoretischen Annahmen das Vorgehen leiten. 915 Andererseits ist das Kategoriensystem noch offen und kann während der Auswertung anhand des Materials angepasst werden. 916 In der vorliegenden Arbeit wird die Strukturierung als inhaltsanalytische Technik ausgewählt. Ziel der vorliegenden Analyse soll eine Strukturierung des Materials nach bestimmten Gesichtspunkten sein, damit drängt sich diese Form der Analyse auf. Zur Veranschaulichung verdeutlicht Mayring dieses Vorgehen durch drei Arbeitsschritte: (1) die Definition der Kategorien, (2) das Finden von Ankerbeispielen, die beispielhaft eine Kategorie verdeutlichen und (3) das Formulieren von Kodier- 906 Mayring (2007), S. 58. Vgl. Lamnek (2005), S. 520; siehe dazu auch Meuser & Nagel (2005), S. 86. 908 Mayring (2007), S. 58. 909 Vgl. Mayring (2007), S. 78f. 910 Mayring (2007), S. 58. 911 Vgl. Mayring (2007), S. 82. 912 Vgl. Mayring (2007), S. 83. 913 Mayring (2007), S. 83. 914 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 200. 915 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 201. 916 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 201. 907 176 Methodik der empirischen Untersuchung regeln im Falle von Abgrenzungsproblemen zwischen den Kategorien. 917 Auf eine vertiefende Darstellung der Beschreibung des Analyseschrittes in dieser Arbeit soll an dieser Stelle verzichtet werden. Bei der Kategorienbildung stellten die thematischen Schwerpunkte des Leitfadens einen ersten Ausgangspunkt für die Durchsichtung des Materials dar.918 Nach einer ersten explorativen Durchsicht der Interviews und Dokumente wurde das Kategoriensystem am Material erprobt, angepasst und vervollständigt.919 Dieser Vorgang wurde kontinuierlich während der Bearbeitung weitergeführt. Das vollständige Kategoriensystem befindet sich in Tab. 5-3. 917 Vgl. Mayring (2007), S. 83. Siehe dazu auch Meuser & Nagel (2005), S. 82. 919 Vgl. Lamnek (2005), S. 518. 918 177 Methodik der empirischen Untersuchung Kategorie Unterkategorie Anzahl der Nennung der Kategorie Kontextfaktoren 481 Beschreibung des Bereiches 109 Innovationsstrategie 84 Innovationskultur 102 Komplexität der Branche 83 Dynamik der Branche 103 Strategische Frühaufklärung 509 Aktivitäten 159 Prozess 222 Organisation 6 Umfang 22 Beobachtete Bereiche 44 Zeithorizont 39 Ziele & Nutzen 17 Innovationsmanagement 112 Innovationsmanagement allgemein 22 Innovationsfähigkeit 92 Wirkung auf die Innovationsfähigkeit 195 Einflussfaktoren 168 Tab. 5-3: Hemmende Faktoren 126 Förderliche Faktoren 42 Kategoriensystem sowie Relevanz im Text (Quelle: Eigene Darstellung) 5.5 Vorgehen zur Auswertung des Datenmaterials Die vorangegangene Beschreibung der Datenreduktion und Kodierung ist erst der Ausgangspunkt der eigentlichen Datenanalyse.920 Auch wenn das Vorgehen hierzu nicht standardisiert ist, ist es von Bedeutung eine Auswertungsstrategie festzulegen. 921 In der vorliegenden Arbeit wird dazu die von Eisenhardt entwickelte Strate- 920 921 Vgl. Yin (2003), S. 110. Vgl. Yin (2003); Gläser & Laudel (2009), S. 246. 178 Methodik der empirischen Untersuchung gie zur Bearbeitung von Fallstudien genutzt. Sie hat sich im Laufe der letzten Dekaden zum Referenzmodell entwickelt und ist aufgrund der Einfachheit und Flexibilität im Umgang mit den Daten von Vorteil. 922 Eisenhardt beschreibt zwei Analyseschritte: (1) die Einzelfallanalyse und (2) die fallübergreifende Analyse. 923 Die Einzelfallanalyse besteht aus detaillierten Fallbeschreibungen und befindet sich in 6.1.2; 6.1.3; 6.1.4 und 6.1.5. Ziel ist, dass sich der Forscher mit jedem einzelnen Fall vertraut macht und somit die fallübergreifende Analyse vorbereitet. 924 Eisenhardt verdeutlicht hierzu: “This process allows the unique patterns of each case to emerge before investigators push to generalize patterns across cases.”925 Anschließend wird die fallübergreifende Analyse durchgeführt. Dazu erläutert Eisenhardt: „Overall, the idea behind these cross-case searching tactics is to force investigators to go beyond initial impressions, especially through the use of structured and diverse lenses on the data. These tactics improve the likelihood of accurate and reliable theory, that is, a theory with a close fit with the data. (…) enhance probability capture the novel findings (…).” 926 Im Rahmen der fallübergreifenden Analyse schlägt Eisenhardt zwei konkrete Taktiken zur Vorgehensweise vor. Zum einen ist es möglich, die Fälle anhand von Kategorien und Dimensionen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu untersuchen. 927 Zum anderen werden zunächst zwei Fälle verglichen und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herausgearbeitet. Anschließend weitet man die Analyse auf drei bis vier Fälle aus. Vorteil besteht laut Eisenhardt darin, dass die gezwungene Suche nach Gemeinsamkeiten (vor allem wenn es offensichtliche Unterschiede gibt) und das Suchen von Unterschieden (bei vielen Gemeinsamkeiten) bei der Theoriegewinnung hilfreich ist und zu völlig anderen Ergebnissen führt.928 Gläser & Laudel schlagen ein ähnliches Vorgehen vor und leiten drei wesentliche Abstraktionsebenen ab, die mit der Einzelfallanalyse und der fallübergreifenden Analyse einhergehen: Auf der ersten Ebene des Materials sind die durch die Interviewpartner berichteten Kausalmechanismen zu finden. Dabei handelt es sich um 922 Vgl. Eisenhardt & Graebner (2007), S. 25. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 539; siehe dazu auch Lamnek (2005), S. 402. 924 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 540. 925 Eisenhardt (1989), S. 540. 926 Eisenhardt (1989), S. 542. 927 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 540. 928 Vgl. Eisenhardt (1989), S. 540f. 923 179 Methodik der empirischen Untersuchung die rein subjektive Ansicht des Interviewpartners, die nicht ohne weiteres zur eigenen Analyse übernommen werden kann.929 Die zweite Ebene dient zur Rekonstruktion des Kausalmechanismus eines kompletten Falles.930 Dazu werden alle Informationen, die zu einem Fall zur Verfügung stehen, herangezogen und interpretiert. Im Rahmen dieser Interpretation müssen auch widersprüchliche Informationen erklärt und gelöst werden. Ziel der Analyse ist es nach Gläser & Laudel ein umfassendes Bild der Wirklichkeit mit allen relevanten Ursachen und Wirkungen zu erhalten.931 Auf der letzten Analyseebene wird der Kausalmechanismus für alle Fälle abgeleitet, um fallübergreifende Aussagen zu formulieren. Dazu stehen wiederum zwei Vorgehensweisen in Abhängigkeit von der Fallzahl zur Verfügung. So bietet sich bei einer geringen Anzahl von Fällen an, zunächst den Kausalmechanismus jedes Falles zu identifizieren und anschließend diese Mechanismen vergleichend zwischen den Fällen zu analysieren. Dabei sollen folgende Fragen untersucht werden: 932 Welche Faktoren treten in allen Fällen auf, welche nur in einigen? Welche Faktoren treten überraschend auf, welche erwarteten Faktoren fehlen? Wenn unterschiedliche Bedingungen zu gleichen Wirkungen geführt haben: welche der Ursachen ersetzen die Wirkung anderer Faktoren? Wenn gleiche Bedingungen zu unterschiedlichen Wirkungen geführt haben: Welche versteckten, das heißt bisher nicht in die Analyse einbezogenen Faktoren sind für die Unterschiede verantwortlich? Ziel der Analyse besteht in der Bildung eines Kausalmodells über die gesamte Klasse an Fällen, welches die Variation innerhalb der Klasse beschreibt und darauf eingeht, welche variierenden Ursachen zu gleichen oder anderen Wirkungen führen. Dieses Vorgehen ist bei einer größeren Zahl von Fällen nicht mehr handhabbar und scheitert an der Unübersichtlichkeit.933 Ähnlich wie Eisenhardt schlagen die beiden Autoren daher vor, eine Typisierung von Fällen vorzunehmen. Eine Typisierung ist „die Gruppierung von mehreren Fällen entsprechend ihren Merkmalsausprägungen in einer oder mehreren Dimensionen“934. Anschließend werden die Typen von Fällen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede geprüft.935 Dieses Vorgehen bietet eine sehr gute Vereinfachungsmöglichkeit, jedoch besteht immer das Risiko relevante 929 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 247. Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 248. 931 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 248. 932 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 249. 933 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 247. 934 Gläser & Laudel (2009), S. 250. 935 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 250ff. 930 180 Methodik der empirischen Untersuchung Informationen zu stark zusammenzufassen. Insgesamt ist zu kritisieren, dass Gläser & Laudel nicht weiter darauf eingehen, ab wann eine Analyse wenige oder bereits viele Fälle enthält.936 Im Rahmen dieser Arbeit wurde zunächst das komplette Datenmaterial mittels Atlas.ti organisiert und verwaltet, um die Handhabbarkeit zu gewährleisten. 937 Anhand der Forschungsfragen und des Materials wurde darauf aufbauend ein Analyserahmen für die einzelnen Fälle entwickelt, der kontinuierlich während der Bearbeitung angepasst wurde. Dieser diente zugleich zur Bildung des Kategoriensystems, welches in Atlas.ti genutzt wurde. Anhand dieses Vorgehens konnte im nächsten Schritt pro Fall eine Fallbeschreibung erarbeitet werden. Nach Abschluss dieser Fallbeschreibungen wurde die fallübergreifende Analyse durchgeführt, um allgemeine Aussagen über alle Fälle hinweg zu generieren. Dazu wurde das Ausmaß der Frühaufklärung, die direkte und indirekte Wirkungsweise auf die Innovationsfähigkeit und die Einflussfaktoren abgeglichen. Das detaillierte Vorgehen wird in den Kapiteln 6.1.1 und 6.2.1 erläutert. 5.6 Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Erhebung Um die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung abzusichern, wurden Gütekriterien entwickelt, die anhand von verschiedenen Maßnahmen eingehalten werden können. Im Kontext der quantitativen Forschung haben sich die Gütekriterien Reliabilität, Objektivität und Validität etabliert.938 Reliabilität gibt in der quantitativen Forschung die Genauigkeit an, inwiefern die Messwerte durch Störeinflüsse behaftet sind und beschreibt allgemein die Konsistenz der Untersuchungsergebnisse.939 Die Validität misst, in welchem Umfang ein Erhebungsinstrument das misst, was es vorgibt zu messen und kann außerdem in interne und externe Validität unterschieden werden.940 Unter Objektivität wird dabei verstanden, inwiefern die Ergebnisse unabhängig vom Forscher auftreten, „(…) d.h. unterschiedliche Forscher müssen bei der Untersuchung desselben Sachverhaltes mit denselben Methoden zu vergleichbaren Resultaten kommen“941. Insgesamt ist die Frage nach der Bewertung der Qualität der qualitativen Forschung nicht abschließend geklärt. Besonders die Anwendbarkeit der Kriterien der in quan- 936 Vgl. Gläser & Laudel (2009), S. 248ff. Vgl. Atteslander (2006), S. 200. 938 Vgl. Bortz & Döring (2002), S. 326; Lamnek (2005), S. 145. 939 Vgl. Saunders et al. (2007), S. 367; Bortz & Döring (2002), S. 689. 940 Vgl. Bortz & Döring (2002), S. 505. 941 Bortz & Döring (2002), S. 326. 937 181 Methodik der empirischen Untersuchung titativer Forschung eingesetzten Gütekriterien ist umstritten. 942 Zur bestehenden Diskussion führt Flick zusammenfassend aus: „Es hat sicher bislang gezeigt, dass 1. diese Kriterien in sich begrenzt stimmig sind. Die bislang vorliegenden Kriterien sind 2. nicht unbedingt von dem Kontext, in dem sie entwickelt wurden, auf andere methodische Herangehensweisen oder Anwendungsfelder übertragbar. Entsprechend zeichnet sich 3. auch kein Konsens in „der“ qualitativen Forschung hinsichtlich der Kriterienfrage ab, wie er in der quantitativen Forschung zu beobachten ist.“943 Die Kriterien finden zwar auch in der qualitativen Forschung ihren Einsatz, können jedoch nicht ohne weiteres übernommen werden.944 Daher findet eine Modifizierung der Kriterien statt. Mayring stellt sechs Kriterien auf, die Reliabilität, Validität und Objektivität absichern und die bisher diskutierten Kriterien integrieren.945 Zudem werden Taktiken vorgestellt, welche eine Erfüllung der Gütekriterien ermöglichen.946 Die von Mayring entwickelten Kriterien werden in Tab. 5-4 dargestellt und den in dieser Arbeit genutzten Techniken zur Absicherung gegenübergestellt. 942 Vgl. Flick (2010a), S. 395. Flick (2010a), S. 405. 944 Vgl. Bortz & Döring (2002), S. 326. 945 Vgl. Mayring (2002), S. 144ff. 946 Vgl. Yin (2003), S. 34; siehe auch Voss et al. (2002), S. 204. 943 182 Methodik der empirischen Untersuchung Gütekriterium Beschreibung Angewendete Taktiken zur Sicherung des Gütekriteriums Verfahrens- Dokumentation der Ergebnisgewinnung einschließlich Analyseinstrumente, Durchführung und Auswertung der Datenerhebung Erstellung und Nutzung eines Interviewleitfadens Argumentative Interpretations- Adäquates Vorverständnis Theoriegeleitetes Vorgehen absicherung Erläuterung von Brüchen dokumentation Exakte Dokumentation und Erläuterung des Forschungsprozesses Dokumentation der Fälle Schlüssigkeit und exakte Erläuterung der Interpretationen Überprüfen von Alternativdeutungen Regelgeleitetheit Verfahrensregeln zur systematischen Bearbeitung Sequentielles Vorgehen Nähe zum Gegenstand Anknüpfen an der Alltagswelt der beforschten Subjekte Ableitung der Forschungslücke aus konkreten Problemen der Praxis Konfrontation der Beforschten mit den Analyseergebnissen Absicherung der Forschungsergebnisse durch direktes Feedback der Interviewpartner Kommunikative Validierung Praxisnähe durch den direkten Kontakt mit Interviewpartnern und Unternehmensvertretern Vorstellung der Forschungsergebnisse Triangulation Verbindung mehrerer Analysegänge Einsatz und Nutzung verschiedener Datenquellen Tab. 5-4: Gütekriterien, deren Beschreibung und Taktiken zur Sicherung der Kriterien (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Mayring (2002), S. 144ff.) 183 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.1 Falldokumentation und Einzelfallanalyse 6.1.1 Analyserahmen der Einzelfallanalyse Nachfolgend werden die Einzelfallanalysen dargestellt. Um eine Vergleichbarkeit der Fälle zu gewährleisten, wurde die Einzelfallanalyse nach einem einheitlichen Analyseschema durchgeführt. Neben der Einheitlichkeit bietet es den Vorteil einer strukturierten Bewertung zur Darstellung der Fälle entlang der ausgewählten Faktoren. Diese basieren auf den theoretischen Grundlagen in Kapitel 3 und den Fragen, die den Interviewleitfaden angeleitet haben. Das Analyseschema wurde während der Datenerhebung entwickelt und im Fortgang der Untersuchung kontinuierlich weiterentwickelt. Dies ist auch in Einklang mit den Forschungsempfehlungen von Eisenhardt zur Durchführung von Fallstudien-untersuchungen. Abb. 6-1 zeigt das Analyseschema mit den genutzten Faktoren im Überblick. 184 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Unternehmenskontext Größe Strategie Branchenkontext Kultur Bezeichnung Komplexität Dynamik (1) Kontextfaktoren Organisation •Form/Prozess •Art der Durchführung •Integration in andere Prozesse •Kommunikation Informations -sammlung •Reichweite •Tiefe •Zeithorizont •Quellen Netzwerke •Interne Netzwerke •Externe Netzwerke (4) Wirkung auf die Innovationsfähigkeit Exploitation Exploration Innovationsergebnis (3) Innovationsfähigkeit (2) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Ressourcen Durchführung Implementierung von Ideen (5) Erfolgsfaktoren Abb. 6-1: Analyserahmen für die Fallauswertung im Überblick (Quelle: Eigene Darstellung) Die Faktoren, die die Analyse anleiten, bestehen aus: (1) dem Unternehmenskontext, (2) dem Ausmaß der strategischen Frühaufklärung, (3) der Charakterisierung der Innovationsfähigkeit, (4) der Wirkung der Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit und (5) abschließend Erfolgsfaktoren, die die Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit beeinflussen. Wie einige Untersuchungen bereits zeigten, sind die Rahmenbedingungen des Unternehmens für den Einsatz und die Umsetzung der strategischen Frühaufklärung ausschlaggebend.947 Auch wenn diese kontextuellen Faktoren möglichst einheitlich gehalten wurden, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, müssen die Randbedingungen erhoben werden. Auf diese Weise werden kleine Unterschiede deutlich, anhand derer die anderen Faktoren untersucht werden können. Diese Rahmenbedingungen werden anhand des Unternehmenskontextes und Branchen-kontextes be- 947 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 127; Baisch (2000), S. 179. 185 Ergebnisse der Forschungsfallstudie schrieben. Der Unternehmenskontext wird anhand der Größe, Strategie und Kultur des Geschäftsbereiches beschrieben. Ferner wird zur Beschreibung des Branchenkontextes die allgemeine Bezeichnung der Branche nach der ‚International Standard Industrial Classification’948, die Branchenkomplexität und -dynamik herangezogen. Die Beschreibung zum Ausmaß der strategischen Frühaufklärung dient dazu, die Aktivitäten der Frühaufklärung, die im Fallbeispiel ausgeführt werden, darzulegen. Anschließend soll eine Bewertung, wie umfassend strategische Frühaufklärung durchgeführt wird, möglich sein. Die Faktoren stammen hauptsächlich aus den theoretischen Überlegungen basierend auf Nick und Rohrbeck. 949 Zum Einsatz kommen die Kriterien Organisation, Informationssammlung und Netzwerke, die anhand von verschiedenen Merkmalen beschrieben werden. Diese Merkmale wiederum werden durch einzelne Dimensionen abgebildet. Die Dimensionen geben Aufschluss über die Intensität der Frühaufklärung und wurden teilweise auf Grundlage der Darstellungen in Kap. 3 entwickelt und teilweise aus dem Reifemodell von Rohrbeck übernommen.950 Die Intensitätsstufen werden mit Hilfe von vier Stufen (Leveln) beschrieben: Level 1 bedeutet eine besonders geringe Ausprägung des Merkmals; Level 4 gibt an, dass die Eigenschaft der Frühaufklärung sehr umfassend ausgebildet ist. Das Kriterium Organisation wird durch die allgemeine Form der Umsetzung, dem Ausmaß der durchgeführten Prozessschritte, der Art der Durchführung, der Integration in andere Prozesse und der Kommunikation beschrieben.951 Bis auf die Art der Durchführung werden alle Kriterien anhand von den dargelegten Intensitätsstufen spezifiziert. Die Intensitätsstufen wurden bis auf die Beschreibung des Prozesses und die Kommunikation von Rohrbeck übernommen. 952 Die Beschreibung des Prozesses sowie die Kommunikation und deren Intensitäten basieren auf eigene Entwicklung und richten sich nach dem Umfang der durchgeführten Prozessschritte und der Verbreitung der Ergebnisse. Eine zusammenfassende Darstellung der einzelnen Elemente und möglichen Dimensionen findet sich in Tab. 6-1 wieder. 948 Vgl. International Standard industrial classification of all economic activities (ISIC) (2008). Vgl. Nick (2008), S. 114; Rohrbeck (2010), S. 77ff. 950 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 102ff. 951 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 115; Becker (2002), S. 12. 952 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 115. 949 186 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Organisation Level 1 Level 2 Level 3 Level 4 Form Unterscheidung zwischen Sammelposten, Observatory, Think Tank, Outsourcer Prozess Erfassung Erfassung und Analyse Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Erfassung, Analyse, Reaktionsstrategien und Implementierung Art der Durchführung Frühaufklärung ist durch das Topmanagement und spezielle Themen ausgelöst Frühaufklärung ist hauptsächlich durch spezielle Themen ausgelöst Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Kontinuierliche und projektbasierte Frühaufklärung wird bottom-up und top-down durchgeführt Integration in andere Prozesse Technologische Frühaufklärung als Input für die Technologiestrategie Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Erkenntnisse der Frühaufklärung in Strategie und Innovationsmanagement genutzt Frühaufklärung verbunden mit Unternehmensentwicklung, Controlling, Strategie und Innovationsmanagement Kommunikation Frühaufklärung verbleibt in der Abteilung Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinternen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Frühaufklärung wird bereichs-intern und bereichsüber-greifend diskutiert Frühaufklärung in alle Entscheidungsprozesse integriert Tab. 6-1: Übersicht über die genutzten Kriterien und ihre Ausprägungen für die Organisation (Quelle: Rohrbeck (2010), S. 115) 187 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Das Merkmal Informationssammlung soll darüber aufklären, welche Informationen in welchem Umfang erhoben werden. Sie wird anhand der Reichweite, Tiefe, Zeithorizont und eingesetzten Quellen erläutert.953 Die Intensitäten beruhen wiederum auf den Ausführungen von Rohrbeck.954 Die Tab. 6-2 gibt zusammenfassend einen Überblick über Eigenschaften und zugehörige Intensitäten. 953 954 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 81, 105. Vgl. Rohrbeck (2010), S. 105. 188 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Informationssammlung Level 1 Level 2 Level 3 Level 4 Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld Scannen im aktuellen Geschäftsfeld und speziellen Interessengebieten Scannen in aktuellen und benachbarten Geschäftsfeldern Scannen in aktuellen, benachbarten Geschäftsfeldern und White Spaces Tiefe Fokus auf Technologiescanning Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Scannen verschiedener Bereiche des Unternehmensumfeldes mit variierender Intensität Scannen in allen Umweltbereichen des Unternehmens sowohl Mikro als auch Makro Zeithorizont hauptsächlich kurzfristige Zukunft kurz- und mittelfristige Zukunft (1-2 Produktgenerationen) kurz-, mittelund langfristige Zukunft proaktives Scannen in kurz-, mittelund langfristiger Zukunft Quellen Nutzen von wenigen, einfach zugänglichen Quellen Nutzen von verschiedenen zugänglichen Quellen Nutzen von einigen eingeschränkten Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Nutzen von vielen Quellen, die einen Wettbewerbs-vorteil ermöglichen Tab. 6-2: Übersicht über die genutzten Kriterien und ihre Ausprägungen für die Informationssammlung (Quelle: Rohrbeck (2010), S. 105) Das Kriterium Netzwerke beschreibt die intern und extern aufgebauten Netzwerke, die durch die Organisationseinheit betrieben werden.955 Deutlich wird damit, wie gut die Personen, die Frühaufklärung durchführen, innerhalb und außerhalb des Un- 955 Analog zum Vorgehen für die vorherigen Kriterien stammen die Intensitäten von Rohrbeck, S. 113. 189 Ergebnisse der Forschungsfallstudie ternehmens vernetzt sind. 956 Hierzu findet sich analog eine zusammenfassende Darstellung in Tab. 6-3. Netzwerke Level 1 Level 2 Level 3 Level 4 Intern Einige Mitarbeiter haben formelle und informelle Kontakte zu anderen Bereichen Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Formeller und informeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Es wird erwartet, dass jeder formelle und informelle Netzwerke im Unternehmen aufweist Extern Einige Mitarbeiter haben formelle und informelle Kontakte zu externen Kontakten Formeller Austausch zu externen Kontakten wird gefördert, einige hegen informelle Kontakte Formeller und informeller Austausch zu Externen wird gefördert Ein externes Netzwerk aufzubauen und zu halten wird gefördert und als wichtig empfunden Tab. 6-3: Übersicht über die genutzten Kriterien und ihre Ausprägungen für Netzwerke (Quelle: Rohrbeck (2010), S. 113) Die Charakterisierung der Innovationsfähigkeit ermittelt den gegenwärtigen Stand der Innovationsfähigkeit und gibt Aufschluss darüber, in welchem Ausmaß inkrementelle und radikale Innovationen auf den Markt gebracht werden. Bei der Wirkung auf die Innovationsfähigkeit wird beschrieben, inwiefern die Frühaufklärung die Innovationsfähigkeit beeinflusst, d.h. Exploration sowie Exploitation fördert. Der letzte Analysepunkt bildet die Erfolgsfaktoren ab, die eine Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit fördern oder behindern. Bei der Beschreibung der Fälle muss grundsätzlich beachtet werden, dass in vielen Fallbeispielen übergeordnete Tätigkeiten, stammend aus zentralen Unternehmensbereichen, und Tätigkeiten des Geschäftsbereiches selbst existieren. Da einige Fälle aus einem Unternehmen stammen, sind die übergeordneten Tätigkeiten identisch. Um Redundanz zu vermeiden, werden daher die zentral durchgeführten Frühaufklärungstätigkeiten vorab für die betroffenen Fälle beschrieben. Zudem werden die dort wahrgenommene Wirkung und die Erfolgsfaktoren aus Sicht der Zentralabteilung beschrieben. Da die Zentralabteilung lediglich zusammenfassend für alle Be- 956 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 112. 190 Ergebnisse der Forschungsfallstudie reiche kontextuelle Faktoren und die Innovationsfähigkeit angeben kann, werden diese dort nicht behandelt. Diese sind den einzelnen Fallbeschreibungen zu entnehmen, wo die Analyse vollständig mit den beschriebenen Kriterien durchgeführt wird. 6.1.2 Fallsammlungen eines internationalen Industrieunternehmens 6.1.2.1 Bereichsübergreifende Themen Der gesamte Unternehmensbereich besteht aus einigen Geschäftseinheiten, von denen hier sechs ausgewählt wurden und die in 6.1.2.2 bis 6.1.2.7 dargelegt werden. Die kommende Beschreibung geht auf die bereichsübergreifenden Aktivitäten der strategischen Frühaufklärung ein, die auf diese sechs Geschäftsbereiche einwirken. In der folgenden Abbildung sind die Zusammenhänge zwischen den einzelnen bereichsübergreifenden Abteilungen und den Fallbeschreibungen zu finden. Deutlich wird, dass Strategieabteilung 1 nur auf die Fälle 1-3 wirkt, wohingegen Strategieabteilung 2 für die Fälle 3-6 verantwortlich ist. Dies ist auf die organisatorische Struktur zurückzuführen. Die Vorfeldentwicklung ist für alle Fälle gleichermaßen verantwortlich. Strategieabteilung 1 Strategieabteilung 2 • Allgemeine Reportingaufgaben • Sammeln der Portfolio- und Innovationsroadmaps • Technologieentwicklung und – scouting • Szenarioprojekt (letztes 2011) • Allgemeine Reportingaufgaben • Sammeln der Portfolio- und Innovationsroadmaps • Szenarioprojekt (letztes 2010) Fall 1 Fall 2 Fall 3 Fall 4 Fall 5 Fall 6 Vorfeldentwicklung mit gesonderter Technologie- und Innovationsabteilung und Technologiescoutingbereich Abb. 6-2: Zusammenhang bereichsübergreifender Abteilungen und den Fallbeschreibungen (Quelle: Eigene Darstellung) 191 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Strategische Frühaufklärung findet geschäftsübergreifend in verschiedenen Abteilungen statt, in denen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Unterschieden wird zwischen der Vorfeldentwicklung, die einen technischen Fokus verfolgt und den Strategieabteilungen, die hauptsächlich ganzheitlich arbeiten. Vorfeldentwicklung Die Vorfeldentwicklung fungiert als Bindeglied zwischen externen Forschungseinrichtungen, der zentralen F&E des Gesamtunternehmens und den einzelnen Geschäftsbereichen sowie deren Entwicklungsabteilungen. Ihre Aufgabe besteht darin, Technologien für die Geschäftsbereiche verfügbar zu machen und konkrete Implikationen für einzelne Produkte abzuleiten. Damit ist der Fokus der Frühaufklärungsaktivitäten hauptsächlich technologiegetrieben. Koordiniert werden gleichzeitig internationale Technologiescouts, die nach neuen Technologien, Start-ups und Geschäftsmodellen suchen. „Also wir suchen weltweit nach solchen Innovationsideen, nach neuen Technologien in einem Partnernetzwerk. Partnernetzwerk heißt, wir haben auch eigene Technologie- und Ideenscouts in den USA und China, (…) die dort an den Universitäten und in Start-up Unternehmen, Technologiefirmen nach neuen Technologien Ausschau halten und dann genau diesen Prozess durchlaufen, herausfinden, was bedeutet es für unsere Domäne.“ 957 Die Ideen werden aus zwei Perspektiven bewertet: technische Machbarkeit und das Geschäftspotenzial. Falls es sich um eine radikale oder disruptive Innovation handelt, die ein ganz neues Segment ausmachen würde, arbeiten sie konkrete Geschäftsmodelle sowie Businesspläne aus. Die in der Strategieabteilung durchgeführten Szenarioprojekte wurden durch Mitarbeiter der Vorfeldentwicklung unterstützt, in dem sie ein Teil des Projektteams bildeten. Strategieabteilungen In den Strategieabteilungen muss man einerseits zwischen regelmäßigem klassischem Reporting und speziell durchgeführten Frühaufklärungsprojekten anhand von Szenarien unterscheiden. Die klassischen Aufgaben beinhalten Portfolio- und Innovationsworkshops, in diesen werden aber hauptsächlich die Informationen aus den Geschäftsbereichen zusammengetragen. Daher werden diese hier nicht weiter betrachtet, sondern in den einzelnen Falldarstellungen, an späterer Stelle. 957 Manager 1. 192 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Viel relevanter für die Forschungsfrage sind die Projekte, in denen anhand von Szenarien Zukunftsbilder entwickelt und systematisch Ableitungen für das heutige Geschäft getroffen werden. In beiden Strategieabteilungen werden derartige Projekte durchgeführt, wobei Durchführung und Zeithorizont variieren. Insgesamt wird bei beiden Szenarien eine umfassende Analyse der Makro- und Mikroumwelt durchgeführt. Beide Strategieabteilungen wollen die Szenarienentwicklung einem kontinuierlichen Aktualisierungsprozess unterziehen. Aktualisierungen erfolgen alle 3 Jahre, indem die Indikatoren und Rahmenbedingungen überprüft werden. Im Falle von nicht allzu starken Änderungen des Umfeldes werden nur kleine Änderungen im Szenario und in den Maßnahmen vorgenommen. Nach weiteren drei Jahren wird dann der Vorgang wiederholt. Spätestens nach 9 Jahren soll ein komplett neues Zukunftsbild entworfen werden. Im Falle von disruptiven Änderungen kann dies aber auch früher erfolgen. In der Strategieabteilung 1 wird ein Zeitraum von 15-20 Jahren im Voraus betrachtet. Es werden einige wenige Mitarbeiter aus den Geschäftsbereichen involviert und ansonsten interne Berater hinzugezogen. Auf Grundlage der erstellten Zukunftsbilder wird ein Innovationsscoutingprozess initiiert. D.h. aus den Szenarien werden konkret Innovationsfelder und Innovationsideen generiert. Im Anschluss erfolgt eine weitere Ausarbeitung dieser Maßnahmen, um sie den Geschäftsbereichen zu übergeben. Problematisch ist die Übergabe dieser Maßnahmen an die einzelnen Bereiche. Teilweise liegt die Verantwortung immer noch in der Strategieabteilung, die weder die Kapazitäten noch die Kompetenzen hat, alle Maßnahmen weiter voranzutreiben. Auch in Strategieabteilung 2 bildet die Szenarioerstellung einen zentralen Eckpfeiler im Frühaufklärungsprozess. In diesem Falle werden die Szenarios genutzt, um daraus die Strategie festzulegen und Vorfeldprojekte zu steuern. Die Ergebnisse fließen direkt in die strategische Planung ein, woraus die konkreten Projekte für die Vorfeldentwicklung definiert werden. Anders als in Strategieabteilung 1 werden die Szenarien für 2050 entwickelt. Ein Mitarbeiter erläutert hierzu: „Ja, wir haben das aktuelle Szenarioprojekt [Name verändert; Anmerk. des Verfassers], das zielt bis 2050 und ... was aber eine symbolische Größe ist, weil man natürlich sagen kann, bis 2050 kann unheimlich viel passieren. Wenn man aber bis 2020 geht, was auch manche Bereiche machen, dann ist man halt sehr stark auf dieser inkrementellen Schiene unterwegs, ja? Also, es ist dann gerade mal noch die übernächste Produktgeneration, und wenn ich sag, ich werfe jetzt mal 193 Ergebnisse der Forschungsfallstudie den Ball bis 30, 40, 50, dann können in den Szenarien auch wirkliche Brüche drin sein (…).“958 Die Ergebnisse werden zunächst dem Leiter des gesamten Bereiches vorgestellt. Im Austausch mit ihm wurden die Zukunftsbilder und Implikationen abgestimmt. Anschließend werden die Informationen durch Vorträge, Präsentationen, Innovationsworkshops in den einzelnen Geschäftsbereichen verbreitet. Zusammenfassend wird in Tab. 6-4 eine Übersicht zu dem Ausmaß der bereichsübergreifenden Tätigkeiten in Summe gegeben. Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung Kontinuierliche und projektbasierte Frühaufklärung wird Integration in andere Prozesse Erkenntnisse der Frühaufklärung in Strategie und Innovations-management genutzt bottom-up und top-down durchgeführt Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen in aktuellen, benachbarten Geschäftsfeldern und White Spaces Tiefe Scannen in allen Umweltbereichen des Unternehmens - sowohl Mikro- als auch Makro Zeithorizont kurz-, mittel- und langfristige Zukunft Quellen Nutzen von vielen Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller und informeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller und informeller Austausch zu Externen wird gefördert Tab. 6-4: Übersicht zum Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in den bereichsübergreifenden Tätigkeiten (Quelle: Eigene Darstellung) 958 Manager 1. 194 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Wirkung der strategischen Frühaufklärung Wie bereits beschrieben werden in der Strategieabteilung 1 aus den Maßnahmen der strategischen Frühaufklärung sowohl Innovationsfelder als auch Innovationsideen hergeleitet. Diese werden bewertet, inwiefern sie zur Strategie des Bereiches passen und eine angemessene Attraktivität aufweisen. Anschließend werden die ausgewählten Ideen in Roadmaps hinterlegt. Der Manager gibt an, dass wirklich konkrete Innovationsideen für inkrementelle, radikale und disruptive Innovationen gefunden werden. Damit wird sowohl die Exploitation als auch Exploration beeinflusst. Insgesamt dient Frühaufklärung eher dem Erkennen von komplett neuen Innovationsfeldern, um eher radikale und disruptive Innovationen zu generieren. Da viele Maßnahmen noch nicht umgesetzt sind, lässt sich nicht vollends einschätzen, wie die Innovationsfähigkeit gefördert wurde. Aufgrund des Auffindens von eher neuartigen Konzepten ist aber mit mehr Exploration zu rechnen. Ähnlich wie in Strategieabteilung 1 wirkt sich strategische Frühaufklärung in Strategieabteilung 2 positiv auf die Innovationsfähigkeit aus. Die Strategische Frühaufklärung wird als Strategieinstrument genutzt. Dadurch werden neue Technologien systematisiert und Innovationsfelder identifiziert. Interviewpartner geben an, dass inkrementelle Innovationen und radikale Innovationen gleichermaßen im Ergebnis entstehen. Aus Analysen der Kunden- sowie Wettbewerbsstruktur wird Potenzial für Verbesserungsinnovationen im aktuellen Portfolio deutlich. Damit wird auf bestehende Fähigkeit gesetzt und inkrementelle Innovationen entstehen. Zugleich decken die Szenarioerstellung und das Technologiescanning Portfoliodefizite auf. Diese Defizite führen meist zu Vorfeldprojekten und bei erfolgreicher Durchführung zu neuen Produkten. Der Aufbau und Einsatz von den dadurch neuerworbenen Fähigkeiten führt dann zu mehr radikalen Innovationen. Insgesamt wird darauf hingewiesen, dass strategische Frühaufklärung meist nur langfristig wirkt. Frühaufklärung führt zu einem langsamen Aufweichen des Beharrungsvermögens im Unternehmen und rechtfertigt oftmals große Veränderungen, vor allem wenn diese im Unternehmen aufgrund der Neuartigkeit noch nicht anerkannt sind. Es sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass die Interviewpartner ihre wahrgenommene Wirkung erläutern. Daher wird ein umfassendes Bild über die Wirkung erst beim Abgleich zur Wirkung in den einzelnen Fallbeispielen abgegeben. Erfolgsfaktoren aus Sicht der Bereichsübergreifenden Themen Die Erfolgsfaktoren, die von Interviewpartnern aus bereichsübergreifenden Abteilungen aufgeworfen werden, thematisieren Hemmnisse und förderliche Faktoren. Diese Faktoren beziehen sich auf die Durchführung der strategischen Frühaufklärung, die Implementierung von Ideen, die durch die Frühaufklärung aufgeworfen 195 Ergebnisse der Forschungsfallstudie werden, und allgemeine organisationale Faktoren. Anschließend werden die hinderlichen sowie förderlichen Faktoren für jede Kategorie erläutert. Durchführung Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren der wirklichen Nutzung der strategischen Frühaufklärung wird in der Operationalisierbarkeit der Ergebnisse gesehen. Die einzelnen Szenarien müssen bis auf die Produktebene runtergebrochen und operationalisiert werden. Damit dürfen die Ergebnisse nicht nur auf globaler Ebene beschrieben werden, sondern konkret Chancen und Risiken für die einzelnen Geschäftsfelder aufgezeigt werden. Ein weiterer Erfolgsfaktor stellt die regelmäßige Überprüfung der Ergebnisse der strategischen Frühaufklärung dar. Strategische Frühaufklärung wird durchgeführt, um alle Trends und Umfeldentwicklungen aufzunehmen. Auch nach Abschluss von Szenarienworkshops und einer damit erstellten Zukunftssicht, muss man sich die Flexibilität wahren, dass kurzfristig und unangekündigt Ereignisse eintreffen, die das gesamte Geschäftsumfeld beeinflussen. Nur so kann man sicher gehen, dass die gewonnenen Schlüsse und die daraus entwickelte Unternehmensrichtung noch die richtigen sind. Darüber hinaus stellt die Einbindung der einzelnen Geschäftsbereiche in den bereichsübergreifenden Frühaufklärungsaktivitäten einen wichtigen Erfolgsfaktor dar. Die Initiativen dürfen nicht nur auf übergeordneter Ebene durchgeführt werden, sondern Mitarbeiter aus den Geschäftsbereichen müssen vertreten sein. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Maßnahmen in den Geschäftsbereichen weiter verfolgt werden. Dazu muss vorab identifiziert werden, welche Initiativen in welche Geschäftsbereiche passen. In diesem Zusammenhang ist es von Vorteil, in jedem Geschäftsbereich einen ausgewiesenen Innovationsmanager zu haben. Dieser kann sowohl Informationen, aus dem Geschäftsbereich kommend, sammeln als auch aus übergreifenden Initiativen. Die in den verschiedenen Bereichen erstellten Informationen, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Zeithorizonten, werden so an einer Stelle im Geschäftsbereich akkumuliert. In diesem Zusammenhang ist es auch von Bedeutung, dass der Innovationsmanager ausschließlich diese Funktion inne hat und nicht mit operativem Tagesgeschäft von den eigentlichen Aufgaben abgehalten wird. Implementierung von Ideen Eines der größten Hindernisse die Ergebnisse der strategischen Frühaufklärung zu nutzen, stellt der Druck der Wirtschaftlichkeit dar. Ein Interviewter äußert sich dazu wie folgt: 196 Ergebnisse der Forschungsfallstudie „An manchen Stellen ist es natürlich schwierig, weil wir gleichzeitig auch eine der größten Cash Cows sind, ja? Und dann hat man natürlich das Problem, dass eine Cash Cow, nicht mal eben schnell rumspringt, sondern dass man natürlich eine Cash Cow auch weiterhin mit guten Ergebnis da haben will, aber das ist der Vorteil, eine Cash Cow wirft auch so viel ab, dass man die Chance hat, das eine oder das andere jetzt einfach mal neben der Spur zu entwickeln.“959 Gerade in Geschäftsbereichen, die ein sehr gutes Ergebnis erzielen, wird erwartet, dass sich dieses Ergebnis weiter erhöht. Innovationen sind nur erwünscht, wenn sich dadurch risikofrei eine Umsatzverbesserung einstellt. Gerade durch strategische Frühaufklärung werden aber viele neuartige Ideen aufgeworfen, die noch schwer bewertet werden können. „Das heißt, wir haben jetzt zwar die Methodik, mit der wir solche Pflänzchen identifizieren können. Aber dann haben wir auch einen Prozess, der darauf ausgelegt ist, Produkt-Portfolio-Prozess heißt der, wann ist der Return of Invest, wie groß ist die Marge. Und wenn man dann sieht, na ja, ich weiß noch nicht genau, wann der Return of Invest ist, weil ich so in der Frühphase des Pioniers bin, das ist halt das Risiko des Pioniers, er weiß halt nicht, was letztendlich rauskommt, ich muss F&E, und zwar mit der Facette risikobehaftetes Geld, dort reinstecken, das kann auch weg sein. Und dann ist es mir lieber, ich nehme das Geld in was Sicheres, bau meine Plattform weiter aus, weil ich weiß, da sind die Margen groß und so weiter. Also, da müssen wir auch noch an uns arbeiten, dass wir wirklich auch mal es schaffen, in diese Pionierrolle reinzukommen. Und dazu gehört auch das richtige Management dazu, die bereit sind, dieses Risiko auch anzunehmen.“ 960 Wirklich lösen lässt sich dieser Konflikt mit unternehmerischem Risiko, was nur vom obersten Leitungskreis eines Unternehmens getragen werden kann. Daher gibt ein Interviewpartner an, dass im Falle von radikalen Innovationen, die teilweise das heutige Geschäft kannibalisieren, das Management in der Verantwortung ist, diese zu initiieren. Organisationale Faktoren Strategische Frühaufklärung kann besser im Unternehmen Wirkung finden, wenn die Top-Management-Attention und -Unterstützung gesichert ist. Das oberste Management muss die Bedeutung einer Frühaufklärung kennen und konsequent fördern. 959 960 Manager 2. Manager 4. 197 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.1.2.2 Fallbeschreibung 1 Die international agierende Geschäftseinheit gehört zur Branche der Herstellung von elektrischen Ausrüstungen und stellt Produkte mit langen Lebenszyklen her. Durch die verschiedenen Produktgruppen unterteilt sich der Geschäftsbereich in weitere Segmente, denen wiederum die Produktverantwortung obliegt. Das Produktgeschäft kennzeichnet sich hauptsächlich durch Seriengeschäft, vereinzelt wird jedoch in einigen Segmenten Projektgeschäft durchgeführt. Es findet im klassischen Sinn F&E sowie Produktmanagement statt, ohne eine eigene Instanz für Frühaufklärung vorzuweisen. Insgesamt ist der Geschäftsbereich stark dezentral organisiert, wobei die Entwicklung mehrere Produktbereiche verantwortet. Das Branchenumfeld der Geschäftseinheit wird durch wenige radikale Änderungen und Neuerungen bestimmt. Sowohl Kundenanforderungen als auch Schlüsseltechnologien sind relativ stabil. Schlüsseltechnologien folgen den Entwicklungen in anderen Branchen. Die Marktentwicklung lässt sich recht gut abschätzen. Die Wettbewerbsstruktur ist sehr klar umrissen: es gibt einige große Unternehmen am Markt, die international agieren sowie viele verschiedene lokale Wettbewerber. Die Branchenkomplexität ist mittelmäßig. Die etablierten Technologien sind reif und bestimmen seit geraumer Zeit das Branchenumfeld. Kunden und bediente Branchen können durch den Geschäftsbereich eindeutig bestimmt werden. Staatliche Regulierungen treten immer wieder auf und müssen bei der Entwicklung von Produktkonzepten beachtet werden. Der Geschäftsbereich verfolgt eindeutig eine Pionierstrategie, um den langfristigen Erfolg zu sichern und die höheren Preise zu rechtfertigen. Nichtsdestotrotz findet sich keine konsequente Ausrichtung des Geschäftsbereiches an dieser Strategie, daher weist die Umsetzung klare Verbesserungspotenziale auf. Die Produkte adressieren eine eindeutige Kundenorientierung, wenn auch teilweise Technology-Push als Quelle des Wettbewerbsvorteils anzusehen ist. Die Kultur des Geschäftsbereiches ist eher als konservativ zu bezeichnen. Entscheidungen werden nur auf fundierten Grundlagen getroffen, ohne dabei zu großes Risiko einzugehen. Die Offenheit ggü. Neuem ist zwar vorhanden, muss sich aber Risikoaversion und den Entscheidungsprozessen unterordnen. Zusammenfassend sind die wichtigsten Eigenschaften des Geschäftsbereiches in Tab. 6-5 dargestellt. 198 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz > 1 Mrd. Mitarbeiter > 15.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Kundenorientierung Innovationsstrategie Pionierstrategie Risikobereitschaft Gering Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Herstellung von elektrischen Ausrüstungen Komplexität Mittelmäßig Dynamik Mittelmäßig Tab. 6-5: Überblick über die kontextuellen Faktoren des Falles 1 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Innerhalb der Geschäftseinheit gibt es keine Standardinstanz, die zentral die Funktion der strategischen Frühaufklärung übernimmt. Strategische Frühaufklärung wird in verschiedenen Abteilungen mit entsprechenden Schwerpunkten und variierenden Zeitpunkten betrieben. Insofern werden die Ziele der Frühaufklärung, vor dem Wettbewerb mit Produkten auf den Markt zu kommen und wichtige Trends nicht zu verpassen, nicht adäquat durch die Aufstellung der Tätigkeiten repräsentiert. In der F&E Abteilung werden hauptsächlich technologische Informationen gesammelt, um über Wettbewerbsvergleiche, Verbände und Hochschulkooperationen neue Technologien oder Features frühzeitig zu erkennen. Der Zeithorizont beschränkt sich hierbei auf das kurz- bis mittelfristige Umfeld bis maximal 5 Jahre. Durch diese Form der Umfeldbetrachtung werden hauptsächlich Entwicklungsprojekte abgeleitet, die in die Entwicklungsroadmap einfließen. Damit werden nicht nur Informationen gesammelt, sondern auch dezidiert Handlungen abgeleitet. Darüber hinaus findet im Produktmanagement Frühaufklärung statt, wobei die nötigen Informationen vom jeweiligen Produktmanager je nach Bedarf gesammelt werden. Ein Interviewpartner fasst dies wie folgt zusammen: 199 Ergebnisse der Forschungsfallstudie „(…) es gibt verschiedene Aspekte von strategischer Frühaufklärung. Die sind nicht homogen angesiedelt in einer Position oder in einem Job (…), sondern jeder, der Funktionen, die sich im weitesten Sinne mit Portfolio-Entwicklung oder neuen Produkten beschäftigt, betrachtet die Dinge, die seiner Aufgabe nahe sind.“961 Betrachtet werden zum größten Teil Entwicklungen in dem Mikroumfeld des Unternehmens. Marktanalysen werden für einzelne Branchen und Regionen erstellt und Kundenbefragungen zu bestimmten Themen durchgeführt. Vereinzelt werden Entwicklungen außerhalb der eigenen Branche und politisch-regulatorische Rahmenbedingungen analysiert. Die dort identifizierten Haupttrends münden in Produkte, die bei Marktreife auf den Markt gebracht werden, d.h. die so gewonnenen Informationen dienen zur Entscheidung in der Produktportfolioplanung und damit als Grundlage für den darauf aufbauenden Produktprozess. Zudem werden die Frühaufklärungsinformation zur Lastenhefterstellung genutzt, wo sie kaum eine frühaufklärende Wirkung ausüben, sondern nur zur nachträglichen Rechtfertigung von Produktentscheidungen dienen. Die gewonnenen Informationen der F&E Abteilung und des Produktmanagements werden nur innerhalb des für die Produktentstehung relevanten Teilnehmerkreises kommuniziert. Eine Kommunikation in weiten Teilen des Geschäftsbereiches zur Visionsbildung erfolgt nicht. Tab. 6-6 gibt Aufschluss über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in dem vorliegenden Fall. 961 Produktmanager 2. 200 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Sammelposten Ausmaß Prozess Erfassung und Analyse Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld und speziellen Interessengebieten Tiefe Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Zeithorizont kurz- und mittelfristige Zukunft (1-2 Produktgenerationen) Quellen Nutzen von einigen eingeschränkten Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller Austausch zu externen Kontakten wird gefördert, einige Mitarbeiter hegen informelle Kontakte Tab. 6-6: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 1 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit In dieser Geschäftseinheit gibt es keinen offiziell gelebten Innovationsprozess, vielmehr wurden zur Wahrnehmung von Innovationsaufgaben eine Portfolioplanung und ein Produktentstehungsprozess eingeführt, die diese Aufgaben übernehmen. Die Innovationen, die entstehen, sind hauptsächlich inkrementeller Natur und gehören zur fortlaufenden Produktpflege. Allenfalls 10 Prozent der Produkte weisen radikalen Charakter auf, wobei dies auf Einschätzungen der Befragten beruht. Besonders neue Produktplattformen gehören zu diesen radikalen Neuerungen. Insgesamt bescheinigen alle Befragten der Geschäftseinheit sehr gute Innovationsfähigkeiten. Als Indiz sehen sie hierfür die Marktposition, vorhandene Ressourcen 201 Ergebnisse der Forschungsfallstudie und Produkteinführungen vor dem Wettbewerb. Nichtsdestotrotz widersprechen sich einige Interviewpartner mit ihrer Analyse, da sie erhebliche Mängel aufzählen. So schildert ein Interviewpartner, dass teilweise Trends nicht wahrgenommen werden und demnach auch keine passenden Produkte am Markt gebracht wurden: „Also es gab ein paar Fälle, wo wir tatsächlich Schwierigkeiten hatten. (…) da kamen plötzlich Typen auf, die wir lange Zeit so nicht richtig wahrgenommen haben. Und dann sind wir ein bisschen ins Hintertreffen geraten, konnten eigentlich das, was der Markt aktuell verlangt hat, nicht anbieten und mussten in einem riesigen Kraftakt diese Dinge nachziehen.“962 Demzufolge ist die durchgeführte Frühaufklärung nicht ausreichend, um notwendige Veränderungen frühzeitig aufzudecken. Ein Manager erläutert weiter dazu, dass vor allem Unternehmensgröße und das regelmäßige Tagesgeschäft die Einführung von wirklich radikalen Produkten verhindern. „Also ein Unternehmen von der Größe wie unseres ist nicht so richtig dazu geeignet, der erste Doktor einer neuen Technologie zu sein. (…) Wir sind unheimlich beschäftigt mit unseren normalen Entwicklungen und es fehlt die innovative Bastlerecke, die sich mit irgendwelchen spinnerten Ideen befassen kann, die vielleicht noch gar nicht reif sind.“963 Damit wird gerade die Innovationsgeschwindigkeit zu einem entscheidenden Faktor der Innovationsfähigkeit. Vor allem Entwicklungen, die erkannt wurden, wurden teilweise aufgrund von komplexen Unternehmensstrukturen und Entscheidungsprozessen nicht weiter verfolgt und konnten nicht umgesetzt werden. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Wie auch bei dem Ausmaß der Tätigkeiten muss auch bei der Wirkung der Frühaufklärungsaktivitäten zwischen geschäftsbereichsspezifischen und unternehmensweiten Aktivitäten unterschieden werden. Die geschäftsbereichsinternen Tätigkeiten sowohl der F&E Abteilung als auch die des Produktmanagements gelten als Input für die Entwicklungs- sowie Produktroadmap und damit als Ausgangspunkt des Innovationsprozess. Die Befragten geben an, dass auf Grundlage der Frühaufklärungsaktivitäten sowohl neue Kompetenzen aufgebaut wurden als auch bestehende Kompetenzen weiter ausgebaut werden, d.h. sowohl Exploitation als auch Exploration gefördert werden. Nichtsdestotrotz bleibt eine deutliche Mehrheit an realisierten inkrementellen Innovationen. Ein Produkt- 962 963 F&E Manager 2. Produktmanager 2. 202 Ergebnisse der Forschungsfallstudie manager gibt jedoch auch zu bedenken, dass Trends nicht immer die einzige Quelle von Innovationen darstellen, sondern dass viele Kundenanforderungen den Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen darstellen. Insgesamt wird mit bevorstehenden Technologiebrüchen gerechnet, die wiederum neue Kompetenzarten entstehen lassen werden. Bisher wird jedoch wenig unternommen, um mit Frühaufklärung diese Veränderungen rechtzeitig in neue Produkte münden zu lassen. Damit erfüllt hier Frühaufklärung eher eine Rechtfertigungsfunktion für bestehende Produkte. Die Wirkung der bereichsübergreifenden Tätigkeiten ist eher gering und beschränkt sich auf die Vorfeldentwicklung. Diese arbeitet eng mit der F&E Abteilung des Geschäftsbereiches zusammen. Daher können die dort identifizierten technologischen Trends Anwendung finden. Die Wirkung ähnelt den vorhergehenden Erläuterungen zu den internen Aktivitäten. Die in der Strategieabteilung vorgenommenen Aktivitäten wirken sich bisweilen kaum aus, so dass die Innovationsfähigkeit nicht weiter gefördert wird. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Die Faktoren, die eine Nutzung der strategischen Frühaufklärung einschränken oder fördern, lassen sich analog zu denen der bereichsübergreifenden Darstellung in Faktoren der Durchführung der strategischen Frühaufklärung, der Implementierung der aufgegriffenen Ideen und Ressourcenfaktoren zusammenfassen. Insgesamt sind es hauptsächlich Schwächen in der Durchführung, die eine Wirkung der Frühaufklärung einschränken. Dabei wird vor allem die angewandte Methodik kritisiert: das Sammeln und Filtern von Frühaufklärungsinformationen wird nicht strukturiert durchgeführt. Die Informationsflut, vor allem auch durch konzernweite Aktivitäten wird somit nicht eingeschränkt. „(…) es ist unheimlich schwierig, aus den Unmassen von Informationen, die es tatsächlich gibt, (…), da herauszufiltern, was eigentlich wirklich relevant ist oder nicht, ist nicht ganz einfach.“964 Die Informationen, die in vielen Stellen der Geschäftseinheit gesammelt werden, werden nicht nochmal gebündelt oder zusammengefasst. Dies könnte durch das Vorhandensein eines Innovationsmanagers, der die gesamten Frühaufklärungs- und Innovationsaktivitäten bündelt, zusammenfasst und ggf. Handlungsbedarf aufzeigt, behoben werden. „Deswegen fände ich ja die Stelle eines Innovationsmanagers auch gar nicht so schlecht (…). Aber wenn ich mir betrachte, welchen Anteil wir insgesamt für 964 Produktmanager 2. 203 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Produktpflege, mit allem, was da dranhängt, verbringen und welchen Anteil wir mit wirklich Innovationsscouting verbringen, der ist nicht so wie er sein sollte.“965 So könnte mit Hilfe eines Innovationsmanagers ein Sprachrohr für Ideen und Portfoliolücken gefunden werden, die durch Trends und Umfeldbeobachtung entdeckt wurden. Insofern wird der Handlungsdruck erhöht und ggf. eine Handlung durchgesetzt. Oftmals können die durch die Trends identifizierten Ideen und damit benötigten Kompetenzen im Sinne von Exploration nicht genutzt werden, da sie nicht zu den bestehenden Innovationsfähigkeiten der Organisation passen bzw. die Organisation aufgrund ihrer Erfahrungen und Kultur nicht bereit ist, diese anzueignen. „Ich behaupte mal es gibt Grenzen, (…) wo es uns unheimlich schwer fällt, die zu überschreiten, also im Sinne, welche Technologie möchte ich mir eigentlich aneignen und wo fühle ich mich ‚comfortable’, also wohl mit Dinge aneignen, und welche Technologien müsste ich eigentlich haben im eigenen Haus und verstärkt ausbauen, wo fühle ich mich aber überhaupt nicht so schrecklich wohl.(…) ich tue mich unheimlich schwer, …einen Hebel zu finden, um die Organisation oder die Entwicklung zu motivieren, an der Stelle wirklich was zu tun.“966 In diesem Zusammenhang tragen auch oft politische Entscheidungen dazu bei, dass besonders neuartige Innovationen nicht getätigt werden. Damit wird wiederum die Bedeutung der Unterstützung des Top-Managements hervorgehoben. Das TopManagement sollte Prozesse zum Sammeln und Nutzen von zukunftsrelevanten Informationen unterstützen und damit dazu beitragen, dass die Wirkung sukzessiv verbessert wird. Als ein letztes Hemmnis werden Ressourcen angegeben. Vor allem finanzielle Ressourcen wie F&E Mittel und personelle Ressourcen hindern die Nutzung der Frühaufklärung im Innovationsmanagement. Fazit Insgesamt zeichnet sich Fall 1 durch ein konservatives Umfeld aus, verfolgt jedoch ambitionierte Innovationsziele. Mangels unzureichender Frühaufklärung, die in diesem Fall klassisch in den involvierten Abteilungen aufgeteilt wird und durch die fehlende Integration bereichsübergreifender Tätigkeiten werden Innovationziele 965 966 Produktmanager 2. Produktmanager 2. 204 Ergebnisse der Forschungsfallstudie nicht erreicht. Die Kompetenzentwicklung ausgelöst durch Exploration kann somit nicht stattfinden, im Ergebnis entstehen demnach keine radikalen Innovationen. 6.1.2.3 Fallbeschreibung 2 Die untersuchte Geschäftseinheit lässt sich in vier Geschäftsfelder unterteilen. Diese vier Geschäftsfelder bieten Produkte in Form von verschiedenen Regelsystemen für industrielle Anlagen an. Das Produktspektrum konzentriert sich hauptsächlich auf Serienfertigung, die mit klassischer F&E bedient wird. Für das geringe Volumen an Projektgeschäft wurde ein Requirement-Engineering967 etabliert. Die Organisation profitiert von einer Matrixorganisation: den einzelnen Technologiekompetenzen werden einzelne Produktlinien, die von Projektmanagern verantwortet werden, gegenübergestellt. Die Branchenkomplexität wird durch die internationale Aufstellung und vielfältige Wettbewerber erhöht, ist aber insgesamt mittelmäßig. Die Veränderungen in der Branche sind mittelfristig gut erkennbar, wenngleich der Wandel immer schneller eintritt. Zudem steht ein Technologiewandel in den Grundlagentechnologien bevor, der viele Veränderungen mit sich bringt. Trotz aufkommender neuer Felder verlässt sich der Geschäftsbereich derzeit noch auf alte Stärken. Die Geschäftseinheit verfolgt in vielen ihrer Produktbereiche eine klare Innovationsführerstrategie. Nichtsdestotrotz gibt ein Interviewpartner zu bedenken, dass diese Strategie nicht vollends im Unternehmen umgesetzt wird.968 Die Unternehmenskultur ist eher innovationshemmend und wird durch Risikoscheue und daten- und faktenbasierten, längeren Entscheidungsprozessen charakterisiert. Auch wenn die Offenheit ggü. Neuem vorhanden ist, werden ungern Alternativen jenseits des bestehenden Geschäftes gesucht und akzeptiert. Der Unternehmenskontext findet sich zusammenfassend in Tab. 6-7. 967 Reine Produktpflege und Anpassungsentwicklungen. Als Beispiel fügt er hinzu, dass zwar die Innovationsführerstrategie etabliert ist, jedoch gleichzeitig der Wunsch nach Kostenführerschaft vorherrscht. 968 205 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz > 1 Mrd. Mitarbeiter 5.000 – 15.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils n/a Innovationsstrategie Pionierstrategie Risikobereitschaft Gering Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Herstellung von elektrischen Ausrüstungen Maschinenbau Komplexität Mittelmäßig Dynamik Mittelmäßig Tab. 6-7: Überblick über die kontextuellen Faktoren des Falles 2 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Die Frühaufklärungsthemen werden in der F&E und in dem Portfolio-/Innovationsmanagement aufgegriffen, wobei wiederum Schwerpunkte je nach Aufgabenbereich gesetzt werden. In diesem Zusammenhang beschränkt sich die Frühaufklärung in F&E auf technologie- und wettbewerbsspezifische Aspekte der Frühaufklärung. Der Zeithorizont ist allenfalls mittelfristig bis fünf Jahre im Voraus. Alle Themen, die über diesen Zeithorizont hinausgehen, werden extern an Universitätsnetzwerke, Forschungsinstitute und -projekte vergeben. Technologiefelder werden einem Experten zugewiesen, dieser verantwortet die Beobachtung relevanter Entwicklungen und Trends im Technologiefeld. Dieser ist auch für die Initiierung der Kooperationen bei längerfristigem Zeithorizont zuständig. Bei Identifizierung von Handlungsbedarf werden ggf. Vorfeldprojekte abgeleitet und Investitionen getätigt. Auf Basis der Trends werden dann erste Entscheidungen getroffen. Bei Relevanz eines Technologietrends werden so Vorfeldprojekte mit gesamtunternehmensspezifischen Entwicklungseinheiten ausgelöst, die bis zur Produktumsetzung reichen, falls beobachtete Trends ihre Relevanz beibehalten. Gleichzeitig verfolgt der Produktmanager die kurzfristi- 206 Ergebnisse der Forschungsfallstudie gen Marktentwicklungen und stimmt diese mit dem Experten des Technologiefeldes ab. Gleichzeitig verfügt die Geschäftseinheit über ein Portfolio- und Innovationsmanagement, in dem der Innovationsmanager den Rahmen für künftige Projekte setzt. In dieser Funktion wird die Frühaufklärung eher mit mittel- bis langfristigen Zeithorizont durchgeführt. Trends und Zeichen aus der Umwelt werden systematisch gesammelt, vor allem durch das Zusammentragen von bereits erstellten Szenarien aus gesamtbereichsbezogenen Abteilungen oder verwandten Geschäftsgebieten. Damit wird der direkte Austausch zu anderen Frühaufklärungsaktivitäten sichergestellt. Der Schwerpunkt liegt nicht nur auf Umfeldbereichen der Mikroumwelt, sondern auch der Makroumwelt. Aus dieser Umfeldbetrachtung entstehen allgemeine Innovationsfelder, die helfen systematisch zu agieren. Aufbauend darauf finden dann Innovationsworkshops statt, um die einzelnen Felder mit Ideen zu befüllen. Gleichzeitig dienen sowohl die Trends als auch die Innovationsfelder zur Bewertung der Ideen, die aus dem Unternehmen kommen. Innovationsideen werden anhand des zu erwartenden Kundennutzens, der Marktgröße, der Umsetzungsfähigkeit und der Erfolgswahrscheinlichkeit bewertet. Die Umsetzungsfähigkeit ist wiederum direkt mit der Innovationsfähigkeit verbunden: entweder kann die Idee mit bestehenden Kompetenzen realisiert werden oder durch Vorfeldprojekte oder Akquisitionen werden die Fähigkeiten aufgebaut. Tab. 6-8 gibt Aufschluss über die Ausprägungen der einzelnen Dimensionen des Ausmaßes der strategischen Frühaufklärung in diesem Geschäftsbereich. 207 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Erkenntnisse der Frühaufklärung in Strategie und Innovations-management genutzt Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen in aktuellen und benachbarten Geschäftsfeldern Tiefe Scannen verschiedener Bereiche des Unternehmensumfeldes mit variierender Intensität Zeithorizont kurz-, mittel- und langfristige Zukunft Quellen Nutzen von vielen Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller und informeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller Austausch zu externen Kontakten wird gefördert, einige Mitarbeiter hegen informelle Kontakte Tab. 6-8: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 2 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Die Interviewten bescheinigen dem Geschäftsbereich eine ausgeprägte Innovationsfähigkeit. Sobald die Rahmenbedingungen für Innovationsideen im Unternehmen gesetzt sind, werden Innovationen sehr erfolgreich umgesetzt. „(…) woran wir uns am Ende messen lassen müssen, ist dann, was haben wir denn eigentlich an Innovationsideen tatsächlich an den Markt gebracht. Aber dass wir Innovation in den Markt bringen können, haben wir schon vielfach gezeigt.“ Insgesamt werden viele inkrementelle Innovationen hervorgebracht. Im Vergleich zum Wettbewerb konnten jedoch einige radikalere Innovationen eingeführt werden, 208 Ergebnisse der Forschungsfallstudie die die Innovativität der Hauptproduktlinien unterstreichen. Die Innovationen beruhen hauptsächlich auf neuartigen Technologien oder Funktionen. Nichtsdestotrotz wurde angegeben, dass teilweise Produkte an den Markt gebracht wurden, die zwar hohes Innovationspotenzial aufwiesen, jedoch zu früh für die Kundengruppen angeboten wurden, da sich der Markt dazu erst im Aufbau befand. Demnach war das Timing der Markteinführung nicht angemessen. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Die strategische Frühaufklärung beeinflusst in der Geschäftseinheit in vielfältiger Hinsicht das Innovationsmanagement allgemein und im Besonderen die Innovationsfähigkeit. Die Frühaufklärung wirkt sich ganz grundsätzlich auf den Rahmen des Innovationsmanagements aus. Sie bietet dem Geschäftsbereich eine Systematik die Zukunft zu denken und damit zu erklären, wie der Weg in die Zukunft beschreitet werden kann. Da die Strategiediskussion somit transparenter und expliziter ist, wird damit der Innovationsbedarf sowie -druck spürbar. Als eine Folge werden die Themen greifbarer für die involvierten Mitarbeiter, ein idealer Ausgangspunkt, um den Bedarf an Exploitation und Exploration zu bestimmen. In diesem Zusammenhang werden Portfoliolücken identifiziert und sukzessiv mit Innovationen gefüllt. Strategische Frühaufklärung dient ebenso zur Bewertung von Ideen. So werden Innovationsideen mit den identifizierten Trends abgeglichen und finden damit weitere Unterstützung. Im Falle von vorhandenen passenden Trends dient die Frühaufklärung daher einer weiterreichenden Reifung und Verteidigung für neuartige Produktideen. Die Aufstellung des Geschäftsbereiches mit einer eigenen Innovations- und Portfolioabteilung lässt auch die bereichsübergreifenden Aktivitäten optimaler wirken. Die dort behandelten Themen werden systematisch aufgegriffen und münden in das Innovationsmanagement. Die Vorfeldprojekte wirken sich wiederum in Zusammenarbeit mit der F&E Abteilung aus. Insgesamt sind die Wirkungen auf die Innovationsfähigkeiten noch nicht vollends einschätzbar, jedoch lässt sich ein positiver Einfluss sowohl auf die Exploitation als auch die Exploration vermuten. Erste Innovationskompetenzen wurden akquiriert und erweitert, jedoch eher komplementär zu bestehenden Kompetenzen. Folglich kann man von einem „Competence stretching“ sprechen. Zudem wird Exploitation gefördert, indem bestehende Kompetenzen weiter nutzbar gemacht wurden. Die Umsetzung in konkrete Innovationen steht dahingegen noch aus. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung In diesem Fallbeispiel werden diverse hemmende und positive Faktoren genannt, die die Wirkung der strategischen Frühaufklärung beeinflussen. Ein grundsätzliches Problem stellt die Dominanz des operativen Tagesgeschäftes dar, die die Wirt209 Ergebnisse der Forschungsfallstudie schaftlichkeit des Unternehmens in den Vordergrund stellt und nicht so sehr den zukünftigen Erfolg. In diesem Zusammenhang unterstreicht ein Interviewpartner, dass Produktmanagern die Zeit fehlt sich neben ihren operativen Aufgaben der Zukunftssicht zu widmen. Folglich wird die Bedeutung einer separaten Organisationseinheit wie die Portfolio- und Innovationsabteilung ersichtlich, die diese Aufgaben wahrnimmt und kontinuierlich Informationen mit Produktmanagement und Entwicklung austauscht. Als ein weiterer Erfolgsfaktor wird wiederum die Umsetzung von neuen Ideen thematisiert. Der Erfolg des heutigen Geschäftes wird nicht einfach zugunsten von neuen Geschäftsideen und Innovationsfeldern aufgegeben. Damit erweist sich eine gewisse kulturelle Barriere als Hemmnis. Zudem schaffen es einige Innovationsideen nicht von guten Vorfeldprojekten zu konkreten Produktentwicklungen. Darin sind Schwierigkeiten in der Umsetzung des Innovationsprozesses und der Entscheidungsfindung des Unternehmens zu sehen. Ein weiterer Faktor bezieht sich konkret auf die Durchführung der strategischen Frühaufklärung: die Unterstützung des Top-Managements. Zum einen ist die Frühaufklärung durch den CEO zu unterstützen und voranzutreiben, gerade um ihm eine adäquate Entscheidungsgrundlage zu bieten. Schließlich kann nur er die Verantwortung und damit das Risiko für Zukunftsthemen tragen. Zum anderen unterstreichen die Interviewten, dass Mitstreiter und Unterstützer aus dem mittleren Management von Bedeutung sind. Im Idealfall bildet sich ein Netzwerk von Mentoren, die die durch die Frühaufklärung aufgegriffenen Themen weiter verfolgen. Weiterhin wurde in diesem Fall der Mangel an Ressourcen als entscheidend angesehen. Fazit Trotz der eher konservativen Aufstellung des Geschäftsbereiches wird hier durch eine eigene Innovationsabteilung zum einen selbst intensiv Frühaufklärung betrieben und zum anderen besser Frühaufklärung aus den bereichsübergreifenden Abteilungen nutzbar gemacht. Dadurch zeigen sich entsprechend die Wirkungsmöglichkeiten der Frühaufklärung, indem nicht nur allgemein Exploitation und Exploration gefördert wird, sondern die Wirkungsweise anhand des Initiierens von Handlungen, des Bewertens von Ideen und der Strategiegebung deutlich wird. 6.1.2.4 Fallbeschreibung 3 Dieser Geschäftsbereich bestand zum Zeitpunkt des Interviews erst seit einem Jahr und wurde aufgrund der allgemeinen Markt- und Technologieentwicklung gegründet. Teilweise lagen bereits entsprechende Fähigkeiten vor, die neue Branche zu bedienen. Diese wurden durch den Aufbau neuer Fähigkeiten und Kompetenzen 210 Ergebnisse der Forschungsfallstudie ergänzt, um der Branche entsprechend Produkte auf den Markt zu bringen. Dies ist vor allem durch das Bedienen neuartiger Kundengruppen zu erklären: wo bisher hauptsächlich Industriekunden im Fokus stehen, ist es jetzt die Automobilindustrie. Durch die erst kurze Entstehungsgeschichte ist der Geschäftsbereich mit ca. 100 Mitarbeitern noch recht klein. Der Markt bestand bereits vor Eintreten des Bereiches mit definierter Wettbewerbsund Kundenstruktur. International herrschen zwar große Unterschiede in den Kundenanforderungen, nichtsdestotrotz bleiben die Grundbedürfnisse ähnlich. Technologien stammen teilweise aus anderen Branchen, divergieren aber noch. Die Dynamik der Branche ist als hoch anzusehen, da die Richtung der Marktentwicklung noch offen ist. Quelle des Wettbewerbsvorteils liegt in Kunden- und Technologieorientierung. Derzeit verfolgt man eine Fast Follower Strategie, da bereits etablierte Unternehmen am Markt Standards setzen. Nichtsdestotrotz strebt der Geschäftsbereich mittelfristig eine Pionierstrategie an, die bereits mit laufenden Projekten vorbereitet wird. Die Unternehmenskultur ist als innovationsfreundlich zu bezeichnen. Die Risikobereitschaft, Entscheidungsfreude und Offenheit ggü. Neuem drückt sich durch die Entstehung des Geschäftsbereiches aus und prägt das derzeitige Umfeld. Der Unternehmenskontext wird in Tab. 6-9 veranschaulicht. Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz < 10 Millionen Mitarbeiter < 500 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Technologieorientierung Innovationsstrategie Fast Follower Risikobereitschaft Hoch Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen Komplexität Mittelmäßig Dynamik hoch Tab. 6-9: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 3 (Quelle: Eigene Darstellung) 211 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Die bisherigen Frühaufklärungsaktivitäten finden zum größten Teil in der F&E Abteilung statt, weshalb hauptsächlich die Mikroumwelt mit dem Fokus auf Kunden, Wettbewerber und Technologien beobachtet wird. Der Zeithorizont der Beobachtung liegt bei einem bis zu 10 Jahren. Umgesetzt wird in diesem Zusammenhang vor allem ein Trendscouting, welches nicht ausschließlich intern durchgeführt wird, sondern durch den Zukauf externer Berichte z.B. durch das Fraunhofer-Institut, bereichert wird. Damit will man sichergehen, alle relevanten Informationen aufzunehmen. Da das Trendscouting neue Produkte, Funktionen und Technologien identifizieren soll, wird im Anschluss entschieden, inwiefern diese Trends in Vorfeldprojekte münden. Diese Vorfeldprojekte können bei erfolgreicher Durchführung zu Plattformentwicklungen umgesetzt werden, eine wichtige Grundlage der Produktentwicklung. Damit gehen die aus Trends generierten Ideen direkt in die Entwicklungs- und Technologieroadmap ein. Gleichzeitig können auch Ideen, die aus der Entwicklung heraus generiert werden, mit Hilfe von Trends und Szenarien bewertet werden. Demnach erfüllt die strategische Frühaufklärung damit zwei Rollen: die des Inputgebers und die des Bewerters der Innovationsideen. Das Ausmaß der Frühaufklärung wird in Tab. 6-10 deutlich. 212 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Sammelposten, teilweise Outsourcer Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse, Reaktionsstrategien und Implementierung Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Technology Foresight als Input für die Technologiestrategie Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld Tiefe Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Zeithorizont kurz-, mittel- und langfristige Zukunft Quellen Nutzen von vielen Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller und informeller Austausch zu Externen wird gefördert Tab. 6-10: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 3 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Grundsätzlich ist die Innovationsbereitschaft sehr groß. Durch die kurze Geschichte des Geschäftsbereiches lässt sich noch nicht konkret einschätzen, wie groß der Anteil an inkrementellen und radikalen Innovationen ist und wie erfolgreich sich der Geschäftsbereich am Markt durchsetzen kann. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Der Interviewte war der Meinung, dass die durch die Frühaufklärung betriebene Umfeldbetrachtung immer dazu führt die aktuellen Trends einzuschätzen und darauf aufbauend bestimmte Innovationen, ob nun radikaler oder inkrementeller Natur, zu initiieren. Dies wiederum führt automatisch zur Nutzung bestehender Fähig213 Ergebnisse der Forschungsfallstudie keiten, d.h. Exploitation und zum Aufbauen von neuen Fähigkeiten, Exploration. Hervorgehoben wurde, dass aber gerade neuartige Themen dazu dienen, neue Kompetenzen aufzubauen. Ein Beispiel beschreibt diesen Sachverhalt näher: „Wir haben uns gerade ein Innovationsthema angeschaut, wo wir momentan noch nicht allzu viel machen und es wird Mitte Januar eine Entscheidung geben, ob wir mehr im Bereich dieser Innovation machen. Wenn wir die Entscheidung treffen, ja wir wollen das machen, dann werden wir für dieses Thema noch einmal 20 Leute extra einstellen.“969 Die bereichsübergreifenden Aktivitäten wirken vor allem durch die Vorfeldentwicklung, die mit der internen F&E kooperiert. Die Wirkung ist analog zu der vorher geschilderten Einflussnahme. Die Projekte der Strategieabteilung spielen derzeit eine untergeordnete Rolle, weil das Projekt vor Entstehen des Bereiches abgeschlossen war. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Frühaufklärung in diesem Geschäftsbereich grundsätzlich zu einer Stärkung der Innovationsfähigkeit beiträgt. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Aufgrund der Neuartigkeit des Geschäftsbereiches lassen sich bisher nur wenige hemmende und förderliche Faktoren ausmachen. Prinzipiell verhindern Ressourcenmangel und der Zeitdruck der operativen Tätigkeiten, dass strategische Frühaufklärung zum Einsatz kommt. Angesprochen wurde auch die Unterstützung des TopManagements, wenngleich der Interviewte nicht einschätzen konnte, ob sich dies immer vorteilig auswirkt. Fazit Dieser kürzlich entstandene Geschäftsbereich ist einer höheren Dynamik ausgesetzt. Aufgrund der Gründung ist der Bereich nur mit wenigen Ressourcen ausgestattet und führt dementsprechend stark eingeschränkt Frühaufklärung mit bewusster Fokussierung auf ausgewählte Themen durch. Nichtsdestotrotz wird Frühaufklärung genutzt, um die Innovationsaktivitäten zu leiten und konsequent die Innovationsfähigkeit auszubauen. Durch die übersichtliche Größe ist dabei eine schnelle und unkomplizierte Integration und Umsetzung der Ergebnisse möglich. 969 F&E Manager. 214 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.1.2.5 Fallbeschreibung 4 Der Geschäftsbereich weist insgesamt ein sehr vielfältiges Produktportfolio auf und deckt mit den 26 Portfolioklassen verschiedene klassische Industrieapplikationen ab. Neben dem klassischen F&E findet Engineering statt. Die Innovationszyklen variieren aufgrund der Unterschiede im Portfolio sehr stark und reichen von Zyklen von maximal 2 Jahren wie im B2C-Bereich bis zu 20 Jahren in großen technischen Anlagen. Trotz dieser Unterschiede bleibt der Kunde insgesamt sehr konservativ und scheut große technische Veränderungen. Folglich entwickeln sich Technologien und Kundenbedürfnisse relativ stabil und der Wandel lässt sich gut abschätzen. Der Geschäftsbereich verfolgt in vielen Bereichen des Produktportfolios eine Innovationsführerschaft. Einige Bereiche können sich bisher nur als Fast Follower positionieren, jedoch werden Maßnahmen umgesetzt, die eine Innovationsführerschaft bezwecken. Getrieben werden Innovationen zum größten Teil durch Kundenorientierung (2/3 des Portfolios). Die Kultur des Geschäftsbereiches ist durchschnittlich innovationsfreundlich. Risiken werden nicht gescheut, aber nicht unbedacht eingegangen. Die Entscheidungsfreude ist im Vergleich zu anderen Geschäftsbereichen hoch, wird jedoch durch feste Strukturen bestimmt. Die Offenheit Neues auszuprobieren ist in diesem Bereich sehr ausgeprägt. Daher kommen oft Anfragen aus anderen Unternehmensteilen oder vom Kunden, wenn neue Ideen vorliegen, die einen Mentor benötigen. Zusammenfassend zeigt Tab. 6-11 die wichtigsten Eigenschaften des Kontextes des Unternehmensbereiches. 215 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz 100 Mio. – 1 Mrd. Mitarbeiter 500 – 5.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Sowohl Kunden- als auch Technologieorientierung Innovationsstrategie Fast Follower, in ausgewählten Produktbereichen Pionierstrategie Risikobereitschaft Hoch Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Hoch Branche Bezeichnung Herstellung von elektrischen Ausrüstungen Komplexität Mittelmäßig Dynamik Mittelmäßig Tab. 6-11: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 4 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Strategische Frühaufklärung wird hauptsächlich in der Technologie- und Innovationsabteilung innerhalb der F&E durchgeführt. Das Produktmanagement leistet wenig Frühaufklärung, forciert aber einen regelmäßigen Austausch mit F&E. Die Tätigkeiten der Innovationsabteilung beziehen sich in diesem Geschäftsbereich vor allem auf das Sammeln von marktseitigen und technologischen Trends, demnach eher die Mikroumwelt des Unternehmens. Themen, die die Makroumwelt bedienen, stammen aus gesamtunternehmensbezogenen Abteilungen. Mit diesen erfolgen auch regelmäßige Arbeitskreise, um den Austausch der Informationen zu gewährleisten. Diese Informationen gelangen dann in die marktseitige und technologische Trendbeobachtung des internen Technologie- und Innovationsmanagements. Um die Technologiebeobachtung zu steuern, wurden aus dem Gesamtportfolio 13 kritische Technologien abgeleitet. In diesen Technologiefeldern wird kontinuierlich nach Neuerungen gesucht. Die Suche erfolgt dabei eher kurz- bis mittelfristig. Gleichzeitig werden Marktbeobachtungen mit mittelfristigem Charakter vorgenommen. In diesem Zusammenhang werden Kundenbefragungen durchgeführt, wodurch weniger radikale Innovationen entstehen. Diese beiden Trendbeobachtungen stellen die Ausgangsbasis für den Produktentwicklungsprozess dar. 216 Ergebnisse der Forschungsfallstudie „Aber das sind so die beiden wesentlichen Inputs nochmal zusammengefasst, wir gucken uns die Technologietrends an, wir gucken uns die Markttrends an, dann wir unsere Kunden ihre Strukturen, ihre Anlagen, was auch immer, verändern, dann kreuzen wir das sozusagen mit kritischen Technologien.“970 Markt- und Technologietrends werden anschließend mit Hilfe von anderen Instanzen wie gesamtunternehmensbezogenen Abteilungen oder Kooperationen mit Universitäten bewertet. Die Zusammenführung der Markt- und Technologietrends führt zur Ermittlung des Innovationsbedarfes. Konkrete Produktideen werden anschließend mit Vertrieb, Leitkunden und Produktmanagement anhand von Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft. Tab. 6-12 verdeutlicht das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in den einzelnen Dimensionen. 970 F&E Manager. 217 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Sammelposten, für technologiebezogene Themen Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse, Reaktionsstrategien und Implementierung Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld und speziellen Interessengebieten Tiefe Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Zeithorizont kurz- und mittelfristige Zukunft (1-2 Produktgenerationen) Quellen Nutzen von einigen eingeschränkten Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller und informeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Einige Mitarbeiter haben formelle und informelle Kontakte zu externen Kontakten Tab. 6-12: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 4 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Trotz der eher offenen Innovationskultur wird das Geschäft durch inkrementelle Innovationen beherrscht. Dies ist vor allem auf die Abhängigkeit von anderen Geschäftsbereichen zurückzuführen, da meist komplementäre Produkte angeboten werden. Diese Geschäftsgebiete bringen aber eher inkrementelle Innovationen auf den Markt. Um radikalere Innovationen voranzutreiben, müssten vor allem Entscheidungen schneller getroffen werden. In der Geschichte des Unternehmensbereiches kam es zudem auch vor, dass zwar radikalere Produkte auf den Markt gebracht wurde, jedoch die Marktseite nicht mitentwickelt wurde. Folglich fand das Produkt 218 Ergebnisse der Forschungsfallstudie beim Kunden keinen Absatz. Dies lässt auf ein grundsätzliches Timingproblem schließen. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Frühaufklärung fungiert in diesem Unternehmensbereich als Inputgeber für den Innovationsprozess. Sie dient in diesem Zusammenhang demnach weniger als Strategiegeber, weshalb eine langfristige Entwicklung der Innovationsfähigkeit entfällt. Nichtsdestotrotz wird durch das Aufspüren von Innovationsideen mit Hilfe von Technologie- und Markttrends die Innovationsfähigkeit positiv beeinflusst. Da ein reger Austausch zu geschäftsbereichsübergreifenden Abteilungen herrscht, fließen die Ergebnisse in die laufende Innovationsplanung mit ein. Die bisherigen Ergebnisse führen eher zu einer Bestätigung der eingeschlagenen Innovationsstrategie. Insgesamt dient die strategische Frühaufklärung auf diese Weise der Exploitation. Trends und Szenarios werden dazu genutzt, den bisher eingeschlagenen Innovationsweg zu untermauern. „Die [gemeint sind die Zukunftsszenarien, Anmerk. des Verf.] können wirklich nur die Trends bestimmen, Bestätigung reinbringen und können das vielleicht sogar noch einigermaßen über die Business Units (…) für wen trifft dann welcher Trends am ehesten zu.“971 Technologietrends führen zu einer Erweiterung der bisherigen Fähigkeiten. Ergebnis sind meist neue Features oder komplett neue Produkte. Die Initiativen, die aus den gesamtunternehmensbezogenen Abteilungen stammen, dienen dazu, die Chancen auf radikale Neuerungen durch Exploration zu verbessern. Die Trendscouts können schon früh passende Unternehmen aufspüren und ggf. Kooperationen oder Akquisitionen einleiten. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Die Interviewpartner können verschiedene hemmende und förderliche Faktoren ausmachen. Die Filterung und Bewertung der Frühaufklärungsinformation stellen einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar. Zur sinnvollen Nutzung der Frühaufklärung aus allgemeinen Zukunftsbildern muss die Relevanz für das Unternehmen abgeleitet werden. Des Weiteren ist die Entscheidungsträgheit ein wesentliches Hemmnis, um die Implikationen, die aus der Frühaufklärung gewonnen wurden, in die Produkte umzusetzen. Insgesamt wird vielfach darauf hingewiesen, dass das operative Geschäft das Langfristdenken und damit auch die Wirkung im Innovationsmanage- 971 Innovationsmanager. 219 Ergebnisse der Forschungsfallstudie ment hindert. Gleichermaßen wirkt der Druck der Wirtschaftlichkeit, d.h. mit einem neuen Produkt sofort Umsatz zu machen, hemmend. Fazit Dieser Geschäftsbereich konzentriert sich stark auf inkrementelle Innovationen, also Exploitation der bestehenden Fähigkeiten. Strategische Frühaufklärung wird zwar betrieben und integriert, dient aber meist der Validierung bestehender Vorhaben und selten der Ideengenerierung. Wenngleich Möglichkeiten zur Exploration vorhanden sind, wird diese aufgrund der Dominanz des Tagesgeschäftes und langen Entscheidungsprozessen gehindert. 6.1.2.6 Fallbeschreibung 5 Der Geschäftsbereich verkauft Produkte der Branche der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen. Das Produktgeschäft ist ein Großseriengeschäft und wird vor allem durch den direkten Vertrieb an den Kunden gekennzeichnet. Die Produktgruppen können in ca. 20 unterschiedliche Cluster eingeteilt werden, weisen aber dennoch Ähnlichkeiten in den Anwendungsbereichen auf. Das Unternehmensumfeld ist durchschnittlich komplex. Die Abhängigkeit von globalen Entwicklungen und von staatlichen Regulierungen ist ausgeprägt. Gleichzeitig sind vor allem Kunden- und Wettbewerbsstruktur eindeutig zu bestimmen. Die Anzahl der global agierenden Wettbewerber ist überschaubar, allenfalls kleine regionale Unternehmen sind unbekannt. Die Basistechnologien sind ebenfalls schon lange etabliert. Aus anderen Branchen wirken zunehmend Technologien, die in dem Bereich noch keine Anwendung finden und eher radikaler Natur sind. Die Branchendynamik ist eher gering. Da die Kunden sehr konservativ agieren, ändern sich deren Bedürfnisse nur langsam und langfristig. Insgesamt sind die Produktlebenszyklen mit 5-10 Jahren lang und nur wenige radikale Innovationen bestimmen den Markt. Damit ergibt sich ein sehr stabiles Umfeld für die Produkte und eine gute Vorhersagbarkeit des Wandels. Zur Bedienung der Kundengruppen verfolgt der Geschäftsbereich die Strategie einer Technologieorientierung. Eine Innovationsführerschaft wäre in allen Produktgruppen aufgrund der Kosten nicht umsetzbar, daher wird diese nur in ausgewählten Produktclustern angestrebt. In den restlichen Produktgruppen wird die Strategie des schnellen Folgers verfolgt. Entsprechend der konservativen Einstellung der Kunden, ist auch die Innovationskultur konservativ. Die Risikobereitschaft ist sehr gering und die Entscheidungs220 Ergebnisse der Forschungsfallstudie freude mittelmäßig ausgeprägt. Das natürliche Umfeld des Unternehmens wird von einem Interviewpartner folgendermaßen geschildert: „Wenn nicht alles profitabel von vornherein gerechnet werden kann, dann wird das Risiko gescheut und dementsprechend viele inkrementelle Innovationen und keine radikalen Innovationen.“972 Die Offenheit gegenüber Neuem ist zwar vorhanden, muss sich aber der Risikoscheue unterordnen. Die zentralen Eigenschaften des Bereiches werden in Tab. 6-13 dargelegt. Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz > 1 Mrd. Mitarbeiter 5.000 – 15.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Sowohl Kunden- als auch Technologieorientierung Innovationsstrategie Pionierstrategie Risikobereitschaft Gering Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Herstellung von elektrischen Ausrüstungen Komplexität Mittelmäßig Dynamik Gering Tab. 6-13: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 5 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Strategische Frühaufklärung wird in diesem Geschäftsbereich vor allem in zwei Abteilungen durchgeführt: in der F&E zur Steuerung der Vorfeldprojekte sowie in dem strategischen Portfoliomanagement zur langfristigen Ausrichtung und Bestimmen des Produktportfolios. 972 F&E Manager. 221 Ergebnisse der Forschungsfallstudie In der F&E Abteilung wird hauptsächlich strategische Frühaufklärung mit technologischem Fokus betrieben. In diesem Zusammenhang werden das Screenen von neuen Technologien, der aktuellen Technologieentwicklung und die Zusammenarbeit mit Hochschulen durchgeführt. Ziel ist das Priorisieren, Initiieren und Durchführen von Vorfeldprojekten, um sehr neuartige Technologien zur Marktreife zu bringen. In diesem F&E Bereich werden ca. 10 Leute beschäftigt. Die Technologiebeobachtung wird für den Zeitraum von maximal 5-10 Jahre durchgeführt. Ausgehend und in Abstimmung mit der Produktroadmap wird darüber entschieden, welche Projekte mit welchem Partner durchgeführt werden. Es finden regelmäßig auch Abstimmungen mit konzernübergreifenden Abteilungen statt. Die Ergebnisse der internen Tätigkeiten und des konzernübergreifenden Austausches werden in regelmäßigen Meetings geteilt. Deutlich umfassender wird strategische Frühaufklärung in der Abteilung zum strategischen Portfoliomanagement durchgeführt. Losgelöst von den operativen Aufgaben des Produktmanagements beschäftigen sich hier sechs Mitarbeiter mit der Definition des Produktportfolios. Im Rahmen dieser Abteilung werden folgende Themen bearbeitet: Zunächst wird pro Produktgruppe eine Vision und Strategie erarbeitet. Vision und Strategie thematisieren zukünftige Produktanforderungen und Kunden. Ausgehend davon werden diese Zukunftsvorstellungen auf das heutige Produktportfolio runtergebrochen. Daraus lassen sich anschließend Maßnahmen, F&E- sowie Innovationsprojekte ableiten. Darüber hinaus werden Neuentwicklungsprojekte auf Basis der Zukunftsbetrachtungen priorisiert. Der Schwerpunkt der Beobachtung liegt auf dem Mikroumfeld des Unternehmens mit Kunden und Wettbewerbern. Themenspezifisch wird die Makroumwelt betrachtet. Der Zeitraum der Betrachtung liegt bei mehr als 10 Jahren. Neben den regelmäßigen Tätigkeiten, werden in dieser Abteilung großangelegte Innovationsprojekte betreut, die in Zusammenarbeit mit der F&E Abteilung und weiteren gesamtunternehmensbezogenen Partnern durchgeführt werden. In dem letzten Projekt wurden allgemeine Rahmentrends und gesellschaftliche Trends für den Zeitraum 2025 entwickelt. Es entstanden vier Szenarien, die jährlich in der Abteilung aktualisiert werden. Aus diesem Projekt entstanden wiederum Technologieund Produktanforderungen sowie Definitionen der Kundenmarktbedürfnissen der Zukunft. Zusammenfassend sind die Ergebnisse des Ausmaßes der Frühaufklärung in Tab. 6-14 abgebildet. 222 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse, Reaktionsstrategien und Implementierung Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Erkenntnisse der Frühaufklärung in Strategie und Innovations-management genutzt Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen in aktuellen und benachbarten Geschäftsfeldern Tiefe Scannen verschiedener Bereiche des Unternehmensumfeldes mit variierender Intensität Zeithorizont kurz-, mittel- und langfristige Zukunft Quellen Nutzen von vielen Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Einige Mitarbeiter haben formelle und informelle Kontakte zu externen Kontakten Tab. 6-14: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 5 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Insgesamt zeichnet sich das Innovationsergebnis hauptsächlich durch inkrementelle Innovationen aus. Im Vergleich zu den größten Wettbewerbern bezeichnen die Interviewpartner sich als sehr innovationsfähig, wenngleich einige Defizite deutlich werden. Vor allem mittelständische Unternehmen überraschen häufig mit neuartigen Produkten. Trotzdem kann der Geschäftsbereich die verpassten Trends durch die Größe kompensieren. Wenn Innovationen verpasst werden oder intern nicht entwickelt werden können, werden Schlüsseltechnologien zugekauft. Prinzipiell ist der Geschäftsbereich in der Lage, auch radikale Innovationsideen selbst hervorzubringen, jedoch scheitern diese an internen Entwicklungsprozessen und dem Zwang der Wirtschaftlichkeit. 223 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Insgesamt ist die Innovationsfähigkeit damit eher mittelmäßig. Das volle Potenzial kann durch interne Hürden nicht ausgeschöpft werden. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Bei der Beschreibung der Frühaufklärungstätigkeiten wurde deutlich, dass vor allem die in dem strategischen Portfoliomanagement durchgeführten Aktivitäten dazu dienen, die Produktstrategie zu bewerten sowie Produktideen abzuleiten und zu bewerten. Je nach Neuartigkeit werden dann entsprechend Vorfeldprojekte oder einfache Entwicklungsprojekte ausgelöst. Demnach dient die Frühaufklärung vor allem als Strategieinstrument, Ideengeber, aber auch als Dienstleistung entlang des Innovationsprozesses. Insgesamt weisen die Interviewpartner trotzdem darauf hin, dass auf Grundlage von Frühaufklärung eher bestehende Kompetenzen und Fähigkeiten genutzt werden und damit das Portfolio beibehalten und weiterentwickelt wird. Technologien werden z.B. eher in einem neuen Kontext angewendet, als dass komplett neue Technologien akquiriert werden. Damit dient Frühaufklärung der Bestätigung von erkannten Entwicklungstrends, folglich der Exploitation. Darüber hinaus hilft Frühaufklärung den Zeitpunkt für substantielle Veränderungen der Innovationsfähigkeit zu verbessern. Solange noch Bestätigung für das aktuelle Geschäft vorhanden ist, muss man noch keine radikalen Veränderungsprozesse initiieren. Folglich werden Innovationen passend zu den Marktanforderungen auf den Markt gebracht. Der Interviewpartner gibt dazu an: „(…) aber vielleicht macht es trotzdem Sinn, nochmal eine inkrementelle Entwicklung zu machen, weil die Zeit noch nicht gekommen ist. Und bei dieser Entscheidungsfindung helfen diese Analysen für die Rahmenbedingungen.“973 Diese Wirkung haben auch die bereichsübergreifenden Tätigkeiten, dargestellt in 6.1.2.1. Durch die Untergliederung in F&E und Strategisches Portfoliomanagement wirken die bereichsübergreifenden Themen unterschiedlich. Die Vorfeldentwicklung wirkt sich maßgeblich in der F&E Abteilung aus und treibt derartig Innovationen. Die Ergebnisse der Strategieabteilung 2 werden von dem strategischen Portfoliomanagement aufgegriffen. Trotz der vielen neuartigen Ideen, verbleibt man vorerst beim Ausbau der bestehenden Fähigkeiten und damit inkrementellen Innovationen. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Als wichtige Erfolgsfaktoren wird in diesem Geschäftsbereich wieder auf das Ableiten von konkreten Implikationen für das Tagesgeschäft verwiesen. Die Relevanz 973 Innovationsmanager. 224 Ergebnisse der Forschungsfallstudie für den Geschäftsbereich muss demnach konkret skizziert werden, um im Innovationsmanagement angewendet zu werden. Darüber hinaus wird das Ressourcenproblem benannt, was sich sowohl auf das allgemeine Budget als auch auf die Mitarbeiter, die Frühaufklärung durchführen, bezieht. Vor allem kulturelle Barrieren werden für eine Erschwerung der Implementierung der identifizierten Handlungsanweisungen verantwortlich gemacht. So bezweifelt ein Manager, dass das Unternehmen wirklich in der Lage ist, Produkte einzuführen, die auf disruptive Trends antworten und gleichzeitig, dass aktuelle Portfolio kannibalisieren. Er ist der Meinung, dass die gleichen Menschen diesen Schritt nicht umsetzen werden. Gleichzeitig wirken zu lange Entscheidungsprozesse negativ auf die Wirkung der strategischen Frühaufklärung. Der bisherige Erfolg des Unternehmens wirkt ebenfalls negativ auf die Wirkung der Frühaufklärung. „Wir haben mit unserem Geschäft, das wir ja haben, haben wir ein sehr gutes Ergebnis. Und dadurch, dass das auch immer wieder neu eingefordert wird jedes Jahr, ist das auch nicht vorgesehen, dass wir Abenteuer machen.“974 Neuartige Ideen, die durch strategische Frühaufklärung entstehen, werden demnach immer wieder der Ergebnisorientierung des Geschäftsbereiches untergeordnet. Fazit Dieser Geschäftsbereich zeichnet sich insgesamt durch ein stabiles Umfeld für Innovationen aus und konzentriert sich hauptsächlich auf inkrementelle Innovationen. Strategische Frühaufklärung wird sehr umfassend in dem Vorfeldbereich der F&E mit Fokus auf Technologie und in einer Portfolioabteilung betrieben, die sich losgelöst vom Tagesgeschäft mit Frühaufklärungsthemen beschäftigen kann. Folglich ist auch die Wirkung auf die Innovationsfähigkeit groß, wobei wiederum Wirkungsmechanismen deutlich werden. Strategische Frühaufklärung dient als Strategieinstrument, Ideengeber und dient zur Validierung bestehender Vorhaben. Trotz großen Potenzials zur Beeinflussung von Exploitation und Exploration, wird größtenteils erstere gefördert, da kulturelle Barrieren Exploration hindern. 6.1.2.7 Fallbeschreibung 6 Der Geschäftsauftrag dieser Geschäftseinheit besteht in der Fertigung und Vermarktung von Produkten zur Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen 974 Innovationsmanager. 225 Ergebnisse der Forschungsfallstudie und optischen Erzeugnissen. Mit knapp 10.000 Mitarbeitern werden mehrere Milliarden Umsatz generiert. Die Branche des Geschäftsbereiches ist durch eine klare Struktur und demnach eindeutige Segmentierung der Kundengruppen gekennzeichnet. Die Anzahl der Wettbewerber ist überschaubar und relativ konstant. Regulierungen des Staates oder anderer Einrichtungen beeinflussen kaum das Tagesgeschäft. Die Dynamik der Branche ist durch langsamen Wandel geprägt. Reife Technologien beherrschen den Markt und werden nur langsam ersetzt. Kurz- bis mittelfristig ist der Wandel damit gut einschätzbar. Der Geschäftsbereich arbeitet technologie- und kundenorientiert. Teilweise bringen sie klassische Push-Innovationen auf den Markt, die durch neue Technologien oder neuartige Konzepte geprägt sind. Gleichzeitig arbeiten sie mit Hilfe von konkreten Kundenanforderungen und bringen diese in die Produkte. Größtenteils erlangt der Bereich mit seinen Produkten eine Fast Follower Position. In ausgewählten Bereichen ist die Experimentierfreude jedoch größer und eine Innovationsführerschaft wird verfolgt. Die Innovationskultur ist schwach ausgebildet und wird durch geringe Risikobereitschaft, mittelmäßige Entscheidungsfreude sowie beschränkte Offenheit gegenüber Neuem charakterisiert. Die wichtigsten Eigenschaften des Geschäftsbereiches werden in Tab. 6-15 zusammengefasst. 226 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz > 1 Mrd. Mitarbeiter 5.000 – 15.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Sowohl Kunden- als auch Technologieorientierung Innovationsstrategie Fast Follower Risikobereitschaft Gering Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen Komplexität Mittelmäßig Dynamik Mittelmäßig Tab. 6-15: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 6 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Strategische Frühaufklärung findet in einer separaten Innovationsabteilung statt. Die Aufgaben dieser Abteilung beschreibt der Innovationsmanager mit dem Finden neuer Märkte für bestehende Produkte, dem Bestimmen neuer Portfolio- oder Produktelemente und dem Aufspüren von neuen Geschäftsmodellen. In der Innovationsabteilung werden dazu vor allem Informationen aus Konzernkreisen und aus dem gesamten Geschäftsbereich gesammelt. Die im Geschäftsbereich zugänglichen Quellen beziehen sich auf die Mikroumwelt des Unternehmens. Regionen und Produktmanager werden nach aktuellen Trends befragt und darauf aufbauend Innovationsideen gesammelt. Dazu kommen noch Informationen zu Wettbewerbern, die im Unternehmen vorliegen. Aus konzernweiten Abteilungen stammen Informationen zur Makroumwelt des Unternehmens. Insgesamt fasst der Innovationsmanager das Vorgehen wie folgt zusammen: „Ich sage mal, wir gucken uns die Mikro an, gucken uns die Makro an, sammeln Themen (…), treiben die soweit oder detaillieren die soweit auf eine Einseiter, machen Abschätzungen in Hinblick auf Marktparameter, unsere eigene Position 227 Ergebnisse der Forschungsfallstudie (…), um dann auch die verschiedenen Alternativen und die verschiedenen Themen, priorisieren zu können.“975 Während der Informationssammlung wird nach Technologien gesucht, die bisher noch nicht genutzt und gefordert waren, sowie nach Kundenbedürfnissen, die noch nicht in Produkten berücksichtigt wurden. Anschließend werden die identifizierten Lücken mit konkreten Projektideen gefüllt. Als Ergebnis werden die Entwicklungsprojekte gesteuert. Bei sehr neuen Produkten indirekt über eine Vorfeldentwicklung oder bei inkrementellen Verbesserungen direkt über kleine Entwicklungsprojekte. Das Ausmaß der Frühaufklärung lässt sich der Tab. 6-16 entnehmen. Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Sammelposten Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld Tiefe Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Zeithorizont kurz- und mittelfristige Zukunft (1-2 Produktgenerationen) Quellen Nutzen von einigen eingeschränkten Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Einige Mitarbeiter haben formelle und informelle Kontakte zu externen Kontakten Tab. 6-16: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 6 (Quelle: Eigene Darstellung) 975 Innovationsmanager. 228 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Die Innovationsfähigkeit beruht in starkem Maße auf Exploitation und wenig auf Exploration. Folglich wird das Innovationsergebnis durch viele inkrementelle und wenige radikale Innovationen geprägt. Der Innovationsmanager gab darüber hinaus an, dass Innovationen immer rechtzeitig am Markt platziert werden konnten und bedeutende Trends und Themen, die die Innovationslandschaft verändern, immer frühzeitig aufgegriffen wurden. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Frühaufklärung wird grundsätzlich in diesem Geschäftsbereich genutzt, um die aktuelle Innovationsposition aufrecht zu halten und Chancen oder Risikos aufzuspüren. Durch die eigene Innovationsabteilung werden die Ergebnisse aus bereichsübergreifenden Tätigkeiten aufgegriffen. Insgesamt fungiert die strategische Frühaufklärung als Input für den Ideentrichter am Anfang des Innovationsprozesses. Daraus werden demnach konkrete Innovationsprojekte abgeleitet. Trotz dieser Funktion führt die Frühaufklärung zu einer Bestätigung des bisher eingeschlagenen Weges und damit zu einer Bestärkung der vorhandenen Innovationsfähigkeiten. Es kommt damit eher selten vor, dass strategische Frühaufklärung zu einer Akquisition und zum Aufbau von neuen Innovationskompetenzen, aus denen radikale Innovationen hervorgehen, führt. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Die Analyse des Geschäftsbereiches zeigt, dass viele Hemmnisse bei der Durchführung der strategischen Frühaufklärung die Nutzung und Wirkung einschränken. Gesamtunternehmensbezogene Abteilungen stellen oftmals zu viele Inhalte dar, ohne die Auswirkungen der einzelnen Themen für den Geschäftsbereich zu operationalisieren. Die Analyse muss, um im Geschäftsbereich nutzbar zu sein, konkrete Auswirkungen auf die Produkte beinhalten. Empfohlen wurde daher, zwar viele Themen zu screenen, aber nur relevante Trends weiter darzustellen und konkret zu beleuchten. Teilweise können Barrieren, die sich auf die Einstellung gegenüber Frühaufklärung beziehen, ausgemacht werden. So muss der Mehrwert der Frühaufklärung deutlich vorab kommuniziert werden, damit eine ausgereifte Frühaufklärung überhaupt stattfinden und ihre Anwendung finden kann. Gleiches gilt für die bisherigen Erfahrungen einzelner Geschäftsverantwortlicher mit der strategischen Frühaufklärung. Positive Erfahrungen tragen dazu bei, dass Frühaufklärung weiterhin im Innovationsmanagement genutzt wird, wohingegen negative Erfahrungen zu keiner weiterführenden Nutzung führen. 229 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Fazit Im Fall 6 ist zwar eine eigene Innovationsabteilung vorhanden, diese führt jedoch nur Frühaufklärung im mittelfristigen Bereich mit starkem Branchenfokus durch. Strategische Frühaufklärung wirkt sich hier nicht so sehr auf die Innovationsfähigkeit aus, sondern hilft bei der Bestätigung bestehender Projekte. Diese Projekte dienen hauptsächlich der Exploitation. 6.1.3 Fallsammlungen eines internationalen Infrastrukturanbieters 6.1.3.1 Bereichsübergreifende Themen Der übergreifende Bereich steuert und koordiniert insgesamt drei Geschäftsbereiche. An dieser Stelle wird, ähnlich wie vorhergehend, nicht auf alle Aspekte der Falldarstellung eingegangen, sondern wieder der Fokus auf das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung, deren Wirkung auf die Innovationsfähigkeit und die Erfolgsfaktoren gelegt. Die einzelnen Fälle gehen dann anschließend auf die Besonderheiten und Eigenschaften der Geschäftsbereiche ein. Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Strategische Frühaufklärung findet zentral in der Innovations- und Technologieabteilung statt, die für die Geschäftsbereiche der Fallbeschreibungen 7, 8 und 9 zuständig ist. Der Zusammenhang zwischen den dargelegten bereichsübergreifenden Aktivitäten und den einzelnen Fallbeschreibungen wird in Abb. 6-3 deutlich. Innovations- und Technologieabteilung Innovationsstrategie Technologieprojekte • Allgemeine Reportingaufgaben • Trend- und Szenarioprojekte • Bilden der übergreifenden Innovationsstrategie • Durchführung und Koordination von neuartigen Technologieprojekten Projektteams zur Bearbeitung neuartiger Technologien aus Geschäftsbereichen und übergreifenden Bereichen Innovationsrahmen Innovationsideen Fall 7 Abb. 6-3: Fall 8 Fall 9 Zusammenhang bereichsübergreifende Aktivitäten und Fallbeschreibungen (Quelle: Eigene Darstellung) 230 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Die Innovations- und Technologieabteilung hat als zentrale Aufgaben die Festlegung der übergreifenden Innovations- und Technologiestrategie, die Entwicklung von Trends und Szenarios für die Bereiche, die Absicherung von Patenten und Erfindungen sowie allgemein Krisen- und Qualitätsmanagement. Diese sehr diversen Aufgaben werden wiederum in Unterabteilungen bearbeitet. Von diesen Unterabteilungen sind zwei für die weiteren Ausführungen relevant, weil dort strategische Frühaufklärung betrieben wird. Die Aktivitäten der Unterabteilungen Innovationsstrategie und Technologieprojekte werden daher im Folgenden beschrieben. Der Bereich der Innovationsstrategie verantwortet die Erstellung der bereichsübergreifenden Innovations- und Technologiestrategie und treibt den unternehmensweiten Innovationsprozess. Technologieinitiativen sollen fokussiert werden und die Zusammenarbeit der Geschäftsbereiche verbessert. Zudem unterstützen sie die Geschäftsbereiche bei der Auswahl von strategischen Partnerschaften z.B. mit Universitäten. Neben klassischen Reportingaufgaben werden hier die strategischen Projekte, die langfristigen Charakter aufweisen, durchgeführt. Diese Projekte werden anhand von Szenarien erstellt und bearbeiten sporadisch Sonderthemen. Auch wenn derartige Projekte regelmäßig aufgesetzt werden, gibt es noch keinen systematischen Prozess. Projektauslöser ist meist das Bauchgefühl von Entscheidungsträgern, die Veränderungen vermuten und systematisch aufarbeiten möchten. Zeitraum der letzten Szenariobetrachtung war 10 Jahre und mehr. Der Fokus lag auf der Mikroumwelt, nur am Rande wurde die Makroumwelt betrachtet. In dieser Szenariobetrachtung wurde erarbeitet, welche Anforderungen an die Produkte der Zukunft gestellt werden. Darauf aufbauend wurde abgeleitet, welche Konsequenzen sich für Portfolio und Organisation ergeben. Die Implikationen für die einzelnen Geschäftsbereiche wurden an die Innovationsmanager der jeweiligen Bereiche weitergeleitet. Konkrete Ideen wurden aufgegriffen und anhand von Business Cases erarbeitet. Diese Business Cases umfassen bereits konkrete Produktbeschreibungen, Marktanalysen, Wettbewerbsanalysen, Marketing- sowie Vertriebskonzepte und Zeitpläne. Sie dienen als Entscheidungsgrundlage für das Management. In der Abteilung Technologieprojekte werden technologische Projekte koordiniert und durchgeführt bis sie umgesetzt sind oder an den Geschäftsbereich übergeben werden können. Dort wird hauptsächlich technologische Frühaufklärung betrieben, um Zukunftstechnologien ausfindig zu machen und zu untersuchen. Die Technologieprojekte weisen weitestgehend Charakter einer Vorfeldentwicklung auf. Darüber hinaus werden, in Zusammenarbeit mit dem Technologiescouting des Gesamtunternehmens, neben technologischen Disruptionen auch neue Geschäftsmodelle und mögliche Akquisitionspartner analysiert. Bei Relevanz werden dann entsprechende Akquisitionen getätigt. Zudem wird sich langfristigen Themen gewidmet, die noch keinem Geschäftsbereich zugeordnet werden können. Diese langfristig angelegten 231 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Chancen für zukünftige Geschäfte werden auf Relevanz untersucht und zur Reife gebracht. Im besten Fall werden erste Prototypen gebaut und dann den Geschäftsbereichen übergeben. Eine zusammenfassende Darstellung des Ausmaßes der Frühaufklärung befindet sich in Tab. 6-17. Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung kontinuierliche und projektbasierte Frühaufklärung wird Integration in andere Prozesse Erkenntnisse der Frühaufklärung in Strategie und Innovations-management genutzt bottom-up und top-down durchgeführt Kommunikation der Frühaufklärung wird bereichsintern und bereichsübergreiErgebnisse fend diskutiert Informationssammlung Reichweite Scannen in aktuellen, benachbarten Geschäftsfeldern und White Spaces Tiefe Scannen verschiedener Bereiche des Unternehmensumfeldes mit variierender Intensität Zeithorizont kurz-, mittel- und langfristige Zukunft Quellen Nutzen von vielen Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller und informeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller Austausch zu externen Kontakten wird gefördert, einige MA hegen informelle Kontakte Tab. 6-17: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung der bereichsübergreifenden Tätigkeiten (Quelle: Eigene Darstellung) Wirkung der strategischen Frühaufklärung Bei der Wirkung der strategischen Frühaufklärung muss zwischen den langfristigen Frühaufklärungsaktivitäten, vornehmlich vertreten durch Szenarioprojekte, und der technologischen Frühaufklärung unterschieden werden. Die Szenarioprojekte die- 232 Ergebnisse der Forschungsfallstudie nen hauptsächlich der Ideen- und Strategiefindung, wohingegen die technologische Frühaufklärung Input für die technische Umsetzung von Produkten liefert. Das Ziel der Szenarioprojekte ist vor allem das Erkennen von Defiziten im Portfolio der einzelnen Geschäftsbereiche. Daher sollen möglichst im Anschluss Portfolio- lücken geschlossen werden. Ergebnisse eines Szenarioprojektes sind so z.B. konkrete Geschäftsideen, die in Business Cases überführt werden und nach Entscheidungsfindung in den einzelnen Geschäftsbereichen bearbeitet werden. Anschließend werden neue Kompetenzfelder akquiriert oder bestehende weiter gefördert. Folglich wird die Innovationsfähigkeit positiv gefördert, sowohl Exploitation als auch Exploration. Die Überführung in Business Cases hat den Vorteil, dass die Entscheidungsträger bereits wichtige Informationen erhalten. Gleichzeitig werden aber sehr konkrete Analysen verlangt, die Produkte mit radikalem Charakter nicht liefern können. Insofern ist es zu hinterfragen, ob das Vorgehen mit den Business Cases wirklich radikale Innovationen fördert. Das Szenarioprojekt führte in diesem Fall auch zum Anstoß von Open Innovation Projekten, indem ein Ideenworkshop zur Findung neuer Geschäftsmöglichkeiten angeregt wurde. Darüber hinaus bilden die Szenarios einen Teil der Strategiebildung in der Abteilung. Aufbauend auf die Szenarioerstellung wird langfristig die Innovationsstrategie festgelegt, daraus werden wiederum Handlungsfelder abgeleitet. Die Innovationsstrategie beeinflusst indirekt die Innovationsfähigkeit. In der technischen Abteilung dient die Frühaufklärung zum Finden von ganz neuen Technologien oder Anwendungsfeldern. Demnach wird auch hier die Exploration der Innovationsfähigkeit gefördert. Zusammenfassend lässt sich in beiden Fällen feststellen, dass strategische Frühaufklärung sowohl zur Bestätigung des bisher eingeschlagenen Weges, d.h. Exploitation, als auch zum Finden von neuartigen Produkten, also der Exploration, dient. Erfolgsfaktoren aus Sicht der Bereichsübergreifenden Themen Finanzielle und personelle Ressourcen wurden als ein Haupthemmnis angegeben. Die Mitarbeiter, die sich mit Innovationen beschäftigen, sind begrenzt und mit vielen anderen Aufgaben betreut. Ähnlich können nur für bestimmte Projekte F&E Gelder bereitgestellt werden. Wiederholend wurde die Bedeutung der Operationalisierung der strategischen Frühaufklärung hervorgehoben. Die Implikationen einer strategischen Frühaufklärung müssen konsequent für das Geschäftsfeld abgeleitet werden. Im Idealfall werden Chancen und Risiken in Business-Cases überführt. „Ein entscheidender Faktor ist, dass man diese Lücke schließt zwischen Erkenntnissen über die Zukunft und Geschäftsentscheidungen, die heute gefällt werden. Also, sonst kommt man halt hin, dass irgendwelche Zukunftsszenarien 233 Ergebnisse der Forschungsfallstudie nicht zur Kenntnis genommen werden und dann verschwindet das in Schubladen.“976 Gleichzeitig wurde erläutert, dass oftmals die Incentivierung auf den kurzfristigen Erfolg des Unternehmens die Umsetzung der strategischen Frühaufklärung behindert. Mitarbeiter sollten demnach nicht nur für die Erreichung kurzfristiger Ziele incentiviert werden. Management-Commitment und die Motivation der Mitarbeiter an Frühaufklärungs- themen mitzuarbeiten, entscheiden allgemein über den Erfolg von Frühaufklärung. 6.1.3.2 Fallbeschreibung 7 Der Geschäftsbereich ist gekennzeichnet durch mehr als eine Milliarde Umsatz und über 5.000 Mitarbeiter. Das Geschäft ist durch drei Besonderheiten gekennzeichnet: (1) extrem hohe Sicherheitsanforderungen an das Produkt, (2) Langlebigkeit der Produkte, die teilweise länger als 20/30 Jahre in Betrieb sind und (3) verschiedene nationale Zulassungsbedingungen. In der Vergangenheit wurden hauptsächlich Hardwarekomponenten verkauft. In den letzten Jahren hat sich der Trend zu einer Kombination aus Soft- und Hardware gebildet. Die Branchenkomplexität ist durch die vielen Zulassungsbedingungen ausgeprägt. Die Wettbewerbsstruktur wird durch wenige weltweit agierende Player und regionale Unternehmen gekennzeichnet. Die Dynamik der Branche ist besonders gering. Die Innovationszyklen sind aufgrund des Beharrungsvermögens der Kunden sehr groß. Insgesamt kommt es zu wenigen neuen technischen Änderungen und neuen Kundenbedürfnissen. Kundenansprüche sind allenfalls durch Effizienzverbesserungen geprägt. Technische Neuerungen stammen größtenteils aus anderen Branchen und werden erst nach erfolgreichem Einsatz in diesen Branchen eingesetzt. Damit ist ein langer Vorlauf möglich, um den Wandel zu erkennen. Die Quelle des Wettbewerbsvorteils liegt in der Kundenorientierung. Wenngleich offiziell die Rolle des Innovationsführers angestrebt wird, entspricht die aktuelle Position des Fast Followers. Entsprechend der Konservativität der Branche, ist auch die Innovationskultur nicht stark ausgeprägt. Die Risikobereitschaft ist aufgrund der hohen Investitionssummen, die hinter einzelnen Entscheidungen stecken, sehr gering. Die Entscheidungs- 976 Manager 2. 234 Ergebnisse der Forschungsfallstudie freude wird als gut angegeben, jedoch müssen einzelne Entscheidungen fundiert sein und werden oft in Frage gestellt. Offenheit gegenüber Neuem ist jedoch grundsätzlich vorhanden. Der Unternehmenskontext des Falles 7 wird zusammenfassend in Tab. 6-18 veranschaulicht. Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz > 1 Mrd. Mitarbeiter 5.000 - 15.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Kundenorientierung Innovationsstrategie Fast Follower Risikobereitschaft Mittelmäßig Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Hoch Branche Bezeichnung Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen Komplexität Hoch Dynamik Gering Tab. 6-18: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 7 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Strategische Frühaufklärung findet hauptsächlich in der Abteilung zur Portfolioerstellung statt. Daneben wird eingeschränkt Frühaufklärung in der F&E- und Strategieabteilung durchgeführt. Die Maßnahmen der F&E- sowie Strategieabteilung fokussieren sich sehr stark auf einzelne Bereiche wie Wettbewerber- oder Technologiebeobachtungen und gehen selten über den Planungshorizont von fünf Jahren hinaus. Darüber hinaus eignen sich die regulären Reportingmaßnahmen der Strategieabteilung nur begrenzt zur Übernahme der Funktion der strategischen Frühaufklärung. In der Portfolioabteilung wurden verschiedene Aktivitäten initiiert, die eine Beobachtung der Bereiche Technologie, Kunde und Wettbewerber ermöglichen, demnach eher dem Mikroumfeld des Unternehmens dienen. Zunächst soll ein regelmäßiges Trendscouting neue Technologien aus verwandten oder auch ferneren Bran235 Ergebnisse der Forschungsfallstudie chen aufspüren. Diese Technologien werden anschließend auf Relevanz für die eigenen Produkte und für die bereits im Einsatz befindlichen Technologien überprüft. Darüber hinaus wurde ein systematischer Austausch mit den Vertrieben organisiert. Als dritte Aktivität findet eine Wettbewerbsbeobachtung statt. Diese hat aber wenig Potenzial Frühaufklärung zu leisten, da die Impulse zu spät kommen, um sie noch rechtzeitig an den Markt zu bringen (vor allem auch aufgrund der langen Entwicklungs- und Zulassungszeiten). Diese Informationen werden beim Innovationsmanager, der die Portfolioabteilung leitet, gebündelt und fließen in die Erstellung der Innovationsstrategie und Produktroadmap ein. Der Innovationsmanager definiert Innovationsfelder auf Grundlage der Informationen, die die Ausgangsbasis für Ideenworkshops bilden, um diese Felder zu füllen. Alle Informationen und Ideen werden mit F&E und Produktmanager ausgetauscht und diskutiert. Das Ausmaß der Frühaufklärung wird in Tab. 6-19 abgebildet. 236 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse, Reaktionsstrategien und Implementierung Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Erkenntnisse der Frühaufklärung in Strategie und Innovations-management genutzt Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld und speziellen Interessengebieten Tiefe Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Zeithorizont kurz-, mittel- und langfristige Zukunft Quellen Nutzen von einigen eingeschränkten Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller Austausch zu externen Kontakten wird gefördert, einige MA hegen informelle Kontakte Tab. 6-19: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 7 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Insgesamt ist die Innovationsfähigkeit gut, was sich durch den hohen Marktanteil widerspiegelt. Als Innovationsergebnis entstehen fast ausschließlich inkrementelle Innovationen, was branchenüblich ist. Die Befragten haben angegeben, dass oftmals vor dem Wettbewerb Innovationen auf den Markt gebracht wurden. Teilweise wurden jedoch erforderliche Innovationen aufgrund langwieriger Entscheidungsprozesse verschleppt und zu spät umgesetzt. 237 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Wie bereits bei der Beschreibung der Aktivitäten beschrieben, werden aus der Frühaufklärung die Innovationsstrategie, Innovationsfelder und Ideen für neue Produkte oder Features abgeleitet. Dieses Vorgehen bildet die Grundlage für die Entwicklung späterer Innovationen, wodurch die Innovationsfähigkeit positiv beeinflusst wird. Aus diesen Innovationsworkshops gehen heute schon Produktideen hervor, die erst in 10 Jahren auf den Markt gebracht werden. Damit fördert und beschleunigt die strategische Frühaufklärung den Kompetenzaufbau. In diesem Zusammenhang hilft Frühaufklärung auch dabei den Handlungsdruck zu erhöhen, indem die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes deutlich gemacht wird. Die Veränderungen von Hardzu Softwaregeschäft beruhen laut Innovationsmanager nicht auf der in der Abteilung durchgeführten Frühaufklärung. Da sich vor allem die Portfolioabteilung im direkten Austausch mit der bereichsübergreifenden Abteilung zur Innovationsstrategie befindet, werden die Ergebnisse daraus aufgenommen und fließen in die regulären Tätigkeiten ein. Eine mögliche negative Wirkung der strategischen Frühaufklärung wurde darin gesehen, dass sich das Unternehmen zu sehr in eine Richtung begibt, ohne jedoch die Rahmenbedingungen seiner Umwelt anzupassen. Damit werden die durch Frühaufklärung identifizierten Erfolgsfaktoren nicht mehr revidiert und hinterfragt, sondern lediglich stur umgesetzt. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Als entscheidendes Hemmnis wird wieder der Vorrang operativer Tätigkeiten gesehen. Es herrscht allgemein ein Widerspruch zwischen den Kundenanforderungen, die heute bearbeitet werden müssen und der Zukunftsarbeit. Dabei wird oftmals dem operativen Tagesgeschäft der Vorrang gegeben. Da Ressourcen zuerst an operative Aufgaben vergeben werden, sind nur noch wenige Ressourcen für die Frühaufklärung verfügbar. Die allgemeine Organisationsstruktur wird auch als Hindernis angegeben. Die starke dezentrale Struktur verhindert ein Aufgreifen von wichtigen Querschnittsthemen, die mehrere Bereiche im Unternehmen betreffen. Fazit Dieser Fall befindet sich in einem sehr komplexen, aber wenig dynamischen Umfeld. Diesen Anforderungen wird mit mittelmäßig intensiv durchgeführter Frühaufklärung Rechnung getragen, die sich vor allem auf den mittelfristigen Zeithorizont und dem Mikroumfeld mit technologischen Rahmenbedingungen auseinandersetzt. In diesem Rahmen treibt sie die Innovationsstrategie voran, identifiziert Innovationsfelder und regt Projekte an. Damit werden sowohl Exploitation als auch Exploration beeinflusst, wenngleich aktuell viele inkrementelle Innovationen entstehen. 238 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Langfristig werden die Ergebnisse der Exploration erst in am Markt verfügbaren Produkten deutlich werden. 6.1.3.3 Fallbeschreibung 8 Der sehr junge Geschäftsbereich, der vor 2 Jahren entstanden ist, entwickelt Produkte zur Herstellung von elektrischen Ausrüstungen. Hierzu stellen sie Hard- und Software her. Aufgrund der Neuartigkeit des Marktes und des Geschäftsbereiches konnte bisher noch kein eindeutiges Geschäftsmodell entwickelt werden. Die Komplexität und Dynamik der Branche sind enorm hoch. Die Wettbewerbsund Kundenstruktur ist noch im Entstehen und wenig formiert. Es strömen viele neue Wettbewerber auf den Markt, es gibt jedoch noch keine wirklich etablierten Unternehmen. Die Kundenstruktur kann noch nicht eindeutig bestimmt werden. Es sind vollkommen unterschiedliche Endkunden denkbar, in Abhängigkeit davon, welches Geschäftsmodell sich durchsetzt. Der Innovationsmanager bezeugte, dass sich allgemeine Trends teilweise im Halbjahrestakt ändern, allenfalls eine leichte Tendenz ist erkennbar. Insgesamt ist der Wandel der Branche inklusive Technologien, Kundenanforderungen, Wettbewerbsverhalten damit nur schwer einschätzbar und offen. Es wird eine klare Kundenorientierung angestrebt. Die Technologie bildet in diesem Zusammenhang nur das Mittel zum Zweck. Aufgrund des kurzen Bestandes des Geschäftsbereiches kann aktuell nur die Strategie eines Fast Followers umgesetzt werden. Andere Unternehmen waren zu dem Zeitpunkt schon im Markt und konnten erste Erfahrungen sammeln. Dadurch hat die Konkurrenz einen Zeitvorteil, den es erst aufzuholen gilt. Die Innovationskultur ist mittelmäßig ausgeprägt: Es ist eine klare Risikobereitschaft erkennbar, die Entscheidungsfreude ist aufgrund der Konzern- und Hierarchiestrukturen mittelmäßig. Die Offenheit gegenüber Neuem ist auf das aktuelle Betätigungsfeld beschränkt. Die kontextuellen Faktoren sind in Tab. 6-20 zusammengefasst. 239 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz > 10 Millionen Mitarbeiter < 500 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Kundenorientierung Innovationsstrategie Fast Follower Risikobereitschaft Hoch Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Herstellung von elektrischen Ausrüstungen Komplexität Hoch Dynamik Hoch Tab. 6-20: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 8 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Die strategische Frühaufklärung wird bisher in diesem Geschäftsbereich kaum genutzt. Das Umfeld wird zwar auf Markttrends im Bereich Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern untersucht, allerdings nur im kurzfristigen Rahmen, der maximal 24 Jahre in die Zukunft reicht. Dies ist vor allem auf die sehr beschränkten Ressourcen und auf die hohe Dynamik zurückzuführen. Eine Entwicklung von Zukunftsbildern, die mehr als ein paar Jahre voraus gehen, ist derzeit nicht sinnvoll, da selbst die Entwicklung der nächsten Monate ungewiss ist. Daher werden eher enge Kooperationen mit Kunden angestrebt, um gemeinsam Zukunftsbilder der nahen Zukunft zu entwerfen und diese konsequent umzusetzen. Selbst Wettbewerber werden zu derartigen Kooperationen herangezogen, um dieses gemeinsame Zukunftsbild umzusetzen. Entsprechend gering ist das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung, welches zum Überblick in Tab. 6-21 veranschaulicht wird. 240 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Sammelposten Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse, Reaktionsstrategien und Implementierung Art der Durchführung Frühaufklärung ist hauptsächlich durch spezielle Themen ausgelöst Integration in andere Prozesse Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld Tiefe Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Zeithorizont hauptsächlich kurzfristige Zukunft Quellen Nutzen von einigen eingeschränkten Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller und informeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Ein externes Netzwerk aufzubauen und zu halten wird gefördert und als wichtig empfunden Tab. 6-21: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 8 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Die Innovationsfähigkeit ist im Unternehmensvergleich außerordentlich gut. Die bestehenden Fähigkeiten der anderen Geschäftsbereiche werden sinnvoll genutzt sowie um neue Fähigkeiten ergänzt und ausgebaut. Da vor allem der Innovationserfolg nicht eindeutig bewertbar ist, lässt sich keine abschließende Aussage über die Innovationsfähigkeit treffen. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Der Kompetenzaufbau in diesem Geschäftsbereich beruht weniger auf strategischer Frühaufklärung, sondern auf dem direkten Austausch mit Kunden und Lieferanten. Die gemeinsam entwickelten Zukunftsbilder bilden eine Grundlage für die Ge241 Ergebnisse der Forschungsfallstudie schäftsentwicklung, jedoch sind noch keine direkten Innovationsfolgen erkennbar. Damit ist keine endgültige Wirkung der Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit festzumachen. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Da die strategische Frühaufklärung nur schwach genutzt wird, kann nur wenig zu Erfolgsfaktoren der Nutzung gesagt werden. Die allgemeine Prozesslandschaft, die auch schnelle Entscheidungen verhindert, kann als generelles Hemmnis gesehen werden. Darüber hinaus ist der Druck, bereits Erfolge zu erwirtschaften, hinderlich. Fazit Dieser sehr junge Bereich führt aufgrund der starken Dynamik und der damit schlechten Vorhersagbarkeit der Branchenentwicklung sehr wenig strategische Frühaufklärung durch. Finanzielle Restriktionen schränken darüber hinaus ein. Abschließend ist eine Beeinflussung der Innovationsfähigkeit nicht auszumachen. 6.1.3.4 Fallbeschreibung 9 Dieser Geschäftsbereich verkauft Infrastrukturtechnik an vornehmlich öffentliche Einrichtungen. Mit wenigen hundert Mitarbeiter erwirtschaften sie einen Umsatz zwischen 100 Millionen und einer Milliarde Umsatz. Forschung und Entwicklung sowie Produktmanagement finden sowohl in Deutschland als auch in den USA statt, um die verschiedenen lokalen Märkte zu bedienen. Die F&E Abteilung ist eher mit einem Engineering vergleichbar. Dementsprechend werden Produkte auch ohne Grundlagenentwicklung hergestellt. Die eingesetzten Technologien konvergieren wenig und sind sehr reif. Kundensegmente sind klar strukturiert. Es erfolgt derzeit eine zunehmende Konsolidierung des, aufgrund der vielen Marktteilnehmer, zersplitterten Marktes. Diese Konsolidierung ist vor allem auf einen Hauptwettbewerber zurückzuführen, der schrittweise Konkurrenz aufkauft. Die Dynamik der Branche ist sehr gering. Die Kunden sind sehr konservativ und langfristig orientiert. Dadurch sind die Kundenanforderungen relativ stabil und gut einschätzbar. Das Verhalten des Wettbewerbes ist nicht vollständig kalkulierbar. Neue Wettbewerber bieten vermehrt Nischenprodukte an. Insgesamt zeichnen sich Trends ab, die bestimmte Umbrüche im Markt verursachen könnten. Aufgrund der hohen Sicherheitsbedürfnisse und das Beharrungsvermögen des Kunden wird jedoch damit gerechnet, rechtzeitig Veränderungen wahrzunehmen. Die Quelle des Wettbewerbsvorteils liegt in der Technologieorientierung. In der Vergangenheit konnte sich der Geschäftsbereich als Innovationsführer positionie242 Ergebnisse der Forschungsfallstudie ren, hat diese Position aber verloren. Dennoch wird weiterhin die Position des Innovationsführers angestrebt. Die Innovationskultur ist mittelmäßig. Aufgrund der konservativen Haltung der Kunden, ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen, im Geschäftsbereich sehr gering. Entscheidungsfreude und Offenheit gegenüber Neuem sind mittelmäßig. Oftmals ist viel Überzeugungsarbeit nötig und die langfristigen Planungen schränken die Flexibilität ein. Tab. 6-22 bildet die kontextuellen Faktoren des Falles ab. Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz 100 Mio. – 1 Mrd. Mitarbeiter < 500 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Technologieorientierung Innovationsstrategie n/a Risikobereitschaft Gering Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen Komplexität Mittelmäßig Dynamik Gering Tab. 6-22: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 9 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Frühaufklärung wird anhand von verschiedenen Tätigkeiten durchgeführt. Zunächst wird ein Technologiescouting mit F&E Ressourcen kontinuierlich realisiert. Das Ziel besteht darin, technologische Entwicklungen zu verfolgen und neue Technologien am Markt frühzeitig zu identifizieren. In diesem Zusammenhang werden Forschungs- und Universitätskooperationen selektiv eingegangen und das externe Netzwerk auf Messen, Kongressen sowie Kolloquien systematisch gepflegt, um wichtige Veränderungen in der Branche frühzeitig aufzuspüren. Darüber hinaus wird ein Marktscanning anhand von regelmäßigen Kundenbefragungen und Ver243 Ergebnisse der Forschungsfallstudie triebstreffen betrieben, um auf Kundenseite wichtige Inputs zu erhalten. Diese Infos aus Markt- und Technologiebeobachtung gehen direkt in die Produkt- und Technologieroadmap ein. Die durchgeführten Frühaufklärungsaktivitäten konzentrieren sich auf das Mikroumfeld des Unternehmens, weil sich Veränderungen der Makroumwelt nur langsam auf die Kundenanforderungen auswirken. Der Zeithorizont ist dementsprechend sehr kurzfristig und auf den Rahmen der Geschäftsplanung mit ca. 2 Jahren Planungshorizont ausgelegt. Alles über diese 2 Jahre hinaus, wird nur sporadisch betrachtet. Insgesamt sammeln und bewerten ca. 10 Mitarbeiter, neben ihren operativen Aufgaben, Trends. Das Ausmaß der Frühaufklärung wird in Tab. 6-23 für die einzelnen Kriterien dargestellt. Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Sammelposten Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld und speziellen Interessengebieten Tiefe Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Zeithorizont kurz- und mittelfristige Zukunft (1-2 Produktgenerationen) Quellen Nutzen von verschiedenen zugänglichen Quellen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller und informeller Austausch zu Externen wird gefördert Tab. 6-23: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 9 (Quelle: Eigene Darstellung) 244 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Als Innovationsergebnis entstehen hauptsächlich inkrementelle Innovationen. Aufgrund der eingeschränkten Kompetenzbasis werden viele Bestandteile zugekauft. Nichtsdestotrotz werden viele neue Themen bearbeitet, die nicht auf die traditionellen Fähigkeiten aufbauen. Insgesamt ist das Innovationsmanagement wenig systematisch: weder der Prozess ist definiert und systematisiert noch ein Innovationsmanager, der koordinierend agiert, ist vorhanden. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Die strategische Frühaufklärung wirkt als Ideengeber und Strategieinstrument. Demnach wird die Innovationsfähigkeit direkt über neue Ideen und indirekt über die strategische Ausrichtung beeinflusst. Durch die Beobachtung des Umfeldes werden neue Bereiche entdeckt, die nach Relevanzbeurteilung und Selektion gegebenenfalls bearbeitet werden. Ähnlich verhält es sich mit der strategischen Ausrichtung, die durch Markt- und Technologietrends angepasst wird und die Gesamtstrategie beeinflusst. Die Gesamtstrategie beeinflusst wiederum Portfolioentscheidungen, die demnach wieder die Stärkung bestehender Fähigkeiten oder die Akquisitionen von neuen Fähigkeiten festlegen. Insgesamt wird eher die Exploitation der Innovationsfähigkeit beeinflusst, da der Aufbau und die Akquisition neuer Fähigkeiten stark durch andere Faktoren (siehe Erfolgsfaktoren) gehemmt werden. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Als sehr kritischer Erfolgsfaktor wird vor allem der Ressourcenmangel gesehen. Selbst wenn viele Handlungsdefizite durch Frühaufklärung erkannt werden, werden nur wenige Projekte realisiert. Neue Kompetenzen werden auch aufgrund des nicht vorhandenen Budgets nicht aufgebaut. Teilweise stößt man mit neuen Ideen und Entwicklungen an die Kompetenzgrenze von Mitarbeitern. Da keine neuen Mitarbeiter eingestellt werden und die Fluktuation der bestehenden Belegschaft gering ist, kann kein Wechsel des Kompetenzbestandes der Mitarbeiter vollzogen werden. So wird der eigene Mitarbeiterstab als ein zentrales Hemmnis der Frühaufklärung im Innovationsmanagement. Fazit Das Fallbeispiel zeigt, dass strategische Frühaufklärung mit Fokus Markt- und Technologiefokus betrieben wird. Die Ergebnisse fließen in die Produktroadmap und leiten Innovationsstrategie und Ideengenerierung an. Nichtsdestotrotz wird vor allem Exploitation gefördert. Wie in vielen anderen Fallbeispielen schränkt die mangelnde Ressourcenausstattung die Exploration ein. 245 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.1.4 Fallsammlungen eines internationalen Energiemanagementunternehmens 6.1.4.1 Bereichsübergreifende Themen Die bereichsübergreifende Abteilung, in diesem Fall die Technologie- und Innovationsabteilung, ist für drei Geschäftsbereiche zuständig, von denen hier zwei als Fälle in 6.1.4.2 und 6.1.4.3 dargestellt werden. Zunächst wird das Ausmaß der Frühaufklärung in der bereichsübergreifenden Technologie- und Innovationsabteilung sowie deren Wirkung und Erfolgsfaktoren dargelegt. Die zwei Fallbeschreibungen gehen dann konkreter auf die fehlenden Informationen zum Kontext und Innovationspotenzial ein. Ausmaß der strategischen Frühaufklärung In der Technologie- und Innovationsabteilung läuft neben den langfristigen Frühaufklärungsthemen reguläres Reporting, um die kurzfristige Markt-, Wettbewerbsund Technologieentwicklung aufzudecken und mit der gegenwärtigen Strategie zu vergleichen. Darüber hinaus werden in einem Trendradar die Entwicklungen für den Zeitraum bis sechs Jahre für das Mikroumfeld beobachtet und bewertet. Anschließend werden alle Geschäftsbereiche auf White Spaces untersucht und strategische Optionen für sie herausgearbeitet. Dazu wird der Most-likely-Case ermittelt und mit den Produktplattformen von heute abgeglichen. Bei Handlungsbedarf werden Handlungsfelder ermittelt und in Workshops mit den Business Units besprochen. Im Idealfall wird dann das Budget für einzelne F&E Projekte zugeteilt. Die Aufgabe der Technologie- und Innovationsabteilung besteht jedoch lediglich darin, die Geschäftsbereiche mit dem identifizierten Handlungs-bedarf zu konfrontieren, die Umsetzung obliegt einzig dem jeweiligen Geschäftsbereich. Die Abteilung ist zudem mit der Pflege der internen und externen Netzwerke betraut. In diesem Zusammenhang finden regelmäßige Treffen mit der zentralen F&E Abteilung statt, um über besonders disruptive Themen zu informieren und ggf. Innovationsprojekte anzustoßen. Darüber hinaus initiiert und pflegt die Abteilung alle Forschungskooperationen und Sonderprojekte. Zusammenfassend stellt Tab. 6-24 einen Überblick über die Frühaufklärungsaktivitäten dar. 246 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Erkenntnisse der Frühaufklärung in Strategie und Innovations-management genutzt Kommunikation der Frühaufklärung wird bereichsintern und bereichsübergreiErgebnisse fend diskutiert Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen und benachbarten Geschäftsfeldern Tiefe Scannen verschiedener Bereiche des Unternehmensumfeldes mit variierender Intensität Zeithorizont kurz-, mittel- und langfristige Zukunft Quellen Nutzen von vielen Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller und informeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller und informeller Austausch zu Externen wird gefördert Tab. 6-24: Übersicht über das Ausmaß der bereichsübergreifenden Tätigkeiten (Quelle: Eigene Darstellung) Wirkung der strategischen Frühaufklärung Die strategische Frühaufklärung wird laut Innovationsmanager als Ideengeber und Strategieinstrument genutzt. Sie dient dazu, neue Themen aufzuzeigen und disruptive Felder zu identifizieren. Damit werden weniger Kompetenzen im klassischen Bestandsgeschäft entwickelt. Vielmehr sollen die Geschäftsbereiche herausgefordert werden, indem sie aus ihrer „Komfortzone herausgerissen werden“ und verdeutlicht wird, was für den Erfolg in 10 Jahren notwendig ist. Durch das konsequente Verdeutlichen von Portfoliolücken werden immer wieder Handlungsfelder aufgezeigt. Diese dienen als Input und zur Ausrichtung aller Geschäftsbereiche. Anhand dieses Inputs kann sich der Geschäftsbereich von innen heraus wandeln, indem z.B. Neueinstellungen passender geplant werden. Wird festgestellt, dass der Handlungsbedarf nicht mehr rechtzeitig durch eigene Initiativen gedeckt werden 247 Ergebnisse der Forschungsfallstudie kann, werden durch Akquisitionen neue Fähigkeiten ins Unternehmen gebracht. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass durch Frühaufklärung vor allem Exploration gefördert werden soll und damit radikalere Ideen gefördert werden. Die Umsetzung obliegt aber immer noch den einzelnen Geschäftsbereichen. Erfolgsfaktoren aus Sicht der bereichsübergreifenden Themen Bei der Befragung in der Technologie- und Innovationsabteilung werden hauptsächlich Hemmnisse zur Implementierung des durch strategische Frühaufklärung identifizierten Handlungsbedarfes aufgezeigt. Ein Haupthindernis sind Innovationsideen, die ein bestehendes erfolgreiches Geschäft gefährden oder gar kannibalisieren. In Bereichen, wo man bisher gar nicht vertreten ist, ist es dagegen umso leichter, komplett neuartige Innovationen anzubieten. Darüber hinaus wurde angegeben, dass die Entscheidungsfreude von Managern einen wichtigen Faktor ausmacht. Da sie es sind, die oftmals Verantwortung tragen, scheuen sie sich davor neue Fähigkeiten auszumachen. Damit wird vor allem Exploration behindert. 6.1.4.2 Fallbeschreibung 10 Der Geschäftsbereich bietet Lösungen im Infrastrukturgeschäft an und betreut regierungsnahe Kunden. Das Branchengeschäft zeichnet sich durch die Besonderheit aus, dass der Kunde großen Einfluss auf die Definition der Produkteigenschaften ausübt. Darüber hinaus sind die Sicherheitsansprüche sehr groß. Die eingesetzten Technologien sind sehr reif. Die Dynamik der Branche ist aufgrund von langen Innovationszyklen gering. Diese sind auf lange Produkteinführungszeiten, verursacht durch Zulassungsverfahren, zurückzuführen. Insgesamt gibt es daher kaum technologische Neuerungen und Umbrüche im Kunden- oder Wettbewerbsverhalten. Die strategische Ausrichtung ist auf Kundenorientierung ausgelegt, da der Kunde wie beschrieben, selbst über eingesetzte Technologien entscheiden möchte. Die Innovationsstrategie ist die des Fast Followers, daher ist auch die F&E-Quote im Vergleich zu anderen Bereichen eher klein. Die Innovationskultur wird mit risikobereit, entscheidungsfreudig und offen gegenüber Neuem angegeben. Grundsätzlich stimmen laut Interviewbefragten die kulturellen Rahmenbedingungen für die Innovationsfähigkeit, nur die Umsetzung scheitert an strukturellen Faktoren. Tab. 6-25 bildet die kontextuellen Faktoren des Falles ab. 248 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz 100 Mio. - 1 Mrd. Mitarbeiter 500 – 5.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Kundenorientierung Innovationsstrategie Fast Follower Risikobereitschaft Mittelmäßig Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Herstellung von elektrischen Ausrüstungen Komplexität Mittelmäßig Dynamik Gering Tab. 6-25: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 10 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Strategische Frühaufklärung wird im kleinen Rahmen in der Geschäftseinheit durchgeführt. Zwei Personen sind für ein kontinuierliches Technologiescanning verantwortlich, allerdings nur zu 20 Prozent ihrer Zeit. In dieser Zeit beobachten sie die neusten Trends auf Messen, von Forschungseinrichtungen und im Branchenumfeld. Gleichzeitig sammeln sie alle Innovationsideen, die im Unternehmen entstehen. Diese Ergebnisse fließen in die strategische Innovationsplanung ein, die sich mit den Produkten der nächsten Generationen für 5, 10 und 15 Jahre beschäftigt. Dort wird die strategische Richtung für die nächsten Jahre festgelegt und in die Technologieroadmap transferiert. Darüber hinaus finden in diesem Zusammenhang Ideenfindungsworkshops statt, die die Portfolio-entscheidungen unterstützen und entsprechend erste Ideen liefern sollen. Diese werden anschließend klassifiziert und bewertet. Das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung wird in Tab. 6-26 veranschaulicht. 249 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld und speziellen Interessengebieten Tiefe Fokus auf Technologiescanning Zeithorizont kurz- und mittelfristige Zukunft (1-2 Produktgenerationen) Quellen Nutzen von verschiedenen zugänglichen Quellen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Einige Mitarbeiter haben formelle und informelle Kontakte zu externen Kontakten Tab. 6-26: Überblick über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 10 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Insgesamt wird das Innovationsbild durch viele inkrementelle Innovationen bestimmt. Der Geschäftsbereich spürt sehr viele neue Themen auf und treibt sie voran, hat aber ein Ressourcenproblem, um diese Innovationen auch auf den Markt zu bringen. Oftmals werden Innovationen deswegen an andere Geschäftsbereiche weitergeleitet oder an andere Unternehmen verkauft. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Strategische Frühaufklärung wird genutzt, um den strategischen Rahmen zu definieren, Ideen zu entwickeln und kontinuierlich laufende Innovationsprojekte zu bewerten. Insgesamt ist es aber schwierig die Wirkung auf die Innovationsfähigkeit auszumachen. Oftmals werden interessante Innovationsfelder, die eine Stärkung oder Neuausrichtung des Fähigkeitsbestandes nach sich ziehen, gefunden, jedoch schei250 Ergebnisse der Forschungsfallstudie tern diese Innovationsfelder an dem Ressourcenmangel. Projekte werden so ausgebremst und nicht durchgeführt. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Als kritische Erfolgsfaktoren werden Ressourcenmangel und strukturelle Probleme angesehen. Vor allem die Finanzierung und das Risikopotenzial von langfristigen Projekten bereiten Probleme, die identifizierten Handlungsmaßnahmen umzusetzen. Entgegen der bescheinigten Entscheidungsfreude, scheitern viele neuartige Themen an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen. Entscheidungen werden erst nach vielen Runden abgeschlossen und verzögern sich. Insgesamt wird es als förderlich angesehen, Frühaufklärung in einer Schnittstellenabteilung durchzuführen, da diese Zugriff auf verschiedene Stellen des Unternehmens wie F&E und Produktmanagement hat. Fazit In diesem Fallbeispiel besteht zwar ein Bereich der sich mit Technologiescanning beschäftigt, diese wird aber nur mit beschränkten personellen Ressourcen durchgeführt. Die beschränkte Ressourcenaufstellung führt letztlich ausschließlich zur Exploitation, wenngleich durch strategische Innovationsplanung, Ideengebung und Bewertung von Ideen mittels Frühaufklärung Explorationspotenzial bestünde. 6.1.4.3 Fallbeschreibung 11 Der Geschäftsbereich besteht aus vier Segmenten, die sich in Produkt, System, Lösungs- und Anwendungsgeschäft untergliedern. Mit knapp 1000 Mitarbeitern weltweit wird ein Umsatz von über einer Milliarde erwirtschaftet. Eine Besonderheit in diesem Geschäftsbereich ist darin zu sehen, dass fast ausschließlich Umsatz in den Regionen generiert wird und nur ein kleiner Anteil über das Stammhaus selbst. Die Wettbewerbslandschaft ist insgesamt recht heterogen. Neben wenigen großen Wettbewerbern, die international agieren, treten bei kleineren Projekten sehr viele Mittelständler an. Diese können jedoch gerade bei großen Projekten aufgrund der Haftung und möglichen Schäden bei Ausfall des Produktes nicht konkurrieren. Bisher war die Branchenstruktur des Geschäftsbereiches relativ stabil mit vorhersagbarem Wandel und relativ langen Innovationszyklen von 5-10 Jahren. In den letzten Jahren zeichnen sich jedoch Umbrüche ab, bei denen verschiedene Szenarien möglich sind. Diese Umbrüche verändern Endkunden- und Wettbewerbsstruktur. Besonders viele neue Anbieter strömen auf den Markt und bieten Konkurrenzprodukte an. 251 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Der Unternehmensbereich verfolgt eine klare Kundenorientierung, besonders weil die technologischen Entwicklungen derzeit noch nicht abschätzbar sind. Der Bereich strebt eine Technologieführerschaft an, um sich gegen internationale Wettbewerber durchzusetzen. Nur mittelständische Unternehmen machen dem Bereich die Position streitig, weil sie flexibler auf Veränderungen reagieren können. Die Kultur des Geschäftsbereiches ist mittelmäßig risikobereit und daher nur begrenzt fähig, Neues aufzunehmen. Die Entscheidungsfreude ist aufgrund der standardisierten Entscheidungsprozesse gering und muss sich einer eher starren Planung unterordnen. Der Unternehmenskontext wird in Tab. 6-27 zusammengefasst. Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz > 1 Mrd. Mitarbeiter 500 – 5.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Kundenorientierung Innovationsstrategie Pionierstrategie Risikobereitschaft Gering Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Gering Branche Bezeichnung Herstellung von elektrischen Ausrüstungen Komplexität Mittelmäßig Dynamik Mittelmäßig Tab. 6-27: Übersicht über die kontextuelle Faktoren des Falles 11 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Im Wesentlichen wird die strategische Frühaufklärung durch zwei Prozesse charakterisiert: zum einen durch den Market Intelligence Prozess, der einmal jährlich stattfindet und zum anderem durch die kontinuierliche Marktbeobachtung in den einzelnen Regionen. Im Rahmen des Market Intelligence Prozesses werden neue Projekte, Piloten und Förderprojekte initiiert, die in die Anpassung und Steuerung der F&E Projekte einfließen. In den Märkten selbst werden fortlaufend Informationen bzgl. der Anzahl und Größe von Pilotprojekten, der Wettbewerbsstruktur und Gesetzgebung gesammelt. Dort findet auch ein Austausch mit den bereichsübergreifenden 252 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Tätigkeiten statt. Insgesamt betrachtet, liegt der Fokus fast ausschließlich auf der Mikroumwelt des Unternehmens, nur wenige Informationen aus der Makroumwelt werden gesammelt. Der Zeitraum der Scanningaktivitäten liegt bei fünf Jahren. Basierend auf den Ergebnissen der Marktbeobachtung und des Market Intelligence Prozesses werden Personal- und F&E Planungen vorgenommen. In Tab. 6-28 wird das Ausmaß der Frühaufklärung dargestellt. Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Sammelposten/Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Kommunikation der Frühaufklärungsinformationen werden nur in bereichsinterErgebnisse nen Meetings in betroffenen Abteilungen ausgetauscht Informationssammlung Reichweite Scannen in aktuellen und benachbarten Geschäftsfeldern Tiefe Scannen verschiedener Bereiche des Unternehmensumfeldes mit variierender Intensität Zeithorizont kurz- und mittelfristige Zukunft (1-2 Produktgenerationen) Quellen Nutzen von verschiedenen zugänglichen Quellen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller und informeller Austausch zu Externen wird gefördert Tab. 6-28: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 11 (Quelle: Eigene Darstellung) Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Der Geschäftsbereich kann sowohl die nötigen inkrementellen als auch neuartigere Innovationen entsprechend der Branche auf den Markt bringen. Im Rahmen des Innovationsmanagements ist kein Innovationsmanager verantwortlich, vielmehr arbeiten die verschiedenen Bereiche im Rahmen der Budgetierung zusammen und legen die einzelnen Budgets für die nächsten zehn Jahre fest. 253 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Ausgangpunkt für das Wirken der strategischen Frühaufklärung ist die strategieunterstützende Funktion. Anhand von Frühaufklärungsinformationen wird die strategische Entscheidungsfindung unterstützt. Diese beeinflusst das Portfolio und die F&E Planung. Folglich werden immer direkte Entscheidungen auf Basis der Marktbeobachtung getroffen. Insgesamt wurden mit diesen Entscheidungen sowohl bestehende Kompetenzen als auch neue Kompetenzen im Rahmen der Innovationsfähigkeit gefördert. Der Interviewpartner erläutert dies folgendermaßen: „Das muss man in der Relation zum Volumen sehen, also heute mit ungefähr 90 Prozent des Volumens noch immer im traditionellen Geschäft (…), sind wir in dem bestärkt, was wir machen. Wir brauchen aber dringend die 10 Prozent, weil wir sehen, dass die Entscheidungsprozesse, die werden stärker in die Märkte verlagert.“ 977 Auch wenn deutlich hervorgeht, dass zum größten Teil bestehende Kompetenzen bestärkt werden, sind vor allem die wenigen neuen Kompetenzfelder von Bedeutung. Die Relation kann demnach nicht als Wertung gesehen werden. „Und deshalb bauen wir derzeit auch überproportional viele neue Kompetenzen auf in den Bereichen, weil wir eben sehen, das ist der Enabler.“ 978 Zusammenfassend wirkt sich die strategische Frühaufklärung demnach positiv auf die Innovationsfähigkeit aus und wird direkt im Innovationsmanagement berücksichtigt. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Als entscheidendes Hemmnis, die Ergebnisse der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement zu nutzen, wird der Erfolg im bestehenden Geschäft gesehen. Damit ist der Druck eine Veränderung herbeizuführen noch zu klein, um vor allem neuartige Ideen zu nutzen. Gleichzeitig ist es ein Hemmnis, dass die alte Belegschaft, das alte Management und die alten Strukturen vorhanden sind, weil es dadurch schwerfällt, neue Ideen umzusetzen. Darüber hinaus wird auch der Zwang zur Wirtschaftlichkeit als Hindernis angesehen. Nach spätestens drei Jahren muss ein neues Produkt oder eine neue Sparte einen positiven Gewinn generieren, was vielen neuartigen Produkten keinen geeigneten Rahmen ermöglicht, sich zu bewähren. 977 978 F&E Manager. F&E Manager. 254 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Fazit Trotz der starken Fokussierung der strategischen Frühaufklärung auf das Branchenund Marktumfeld erfolgt eine indirekte Beeinflussung der Innovationsfähigkeit durch die strategiegebende Funktion. Da damit auch nachfolgende Produktgenerationen beeinflusst werden, lässt sich insgesamt ein positiver Einfluss auf Exploitation und Exploration ausmachen. 6.1.5 Fallbeschreibung 12 In diesem Geschäftsbereich werden verschiedene Produktgruppen vertrieben, durch die die Organisation des Bereiches ausgelegt wurde. So agieren die einzelnen Segmente unabhängig voneinander mit eigenen Produktmanagement- und F&EAbteilungen. Es wird jeweils nach oben an die zentrale Technologie- und Innovationsabteilung, die eine koordinierende Funktion einnimmt, berichtet. Die Branchenkomplexität wird vor allem durch das Sicherheitsbestreben und die damit verbundenen verschiedenen Zulassungsprozesse in den einzelnen Regionen erhöht. In den einzelnen Regionen weltweit schwanken die Zulassungsprozesse und deren Anforderungen sehr stark, wodurch die Komplexität variiert. Insgesamt muss der Geschäftsbereich sehr viele Randbedingungen hinsichtlich Kundendefinitionen und Regularien beachten. Die eingesetzten Technologien sind dabei sehr reif. Die Branche ist sehr konservativ und durch sehr lange Produktlebenszyklen von bis zu 30 Jahren geprägt. Folglich ist die Dynamik in der Branche gering. Kundenanforderungen und Technologien entwickeln sich entsprechend langsam und kontinuierlich. Vor allem für die Basistechnologien ist der Wandel sehr gut einzuschätzen. Darüber hinaus ist auch das Wettbewerbsverhalten sehr gut kalkulierbar, da es den gleichen Rahmenbedingungen unterworfen ist. Der Geschäftsbereich verfolgt die Strategie eines Fast Followers. Innovationen finden in den einzelnen Subsystemen, auf die das Produkt aufbaut, statt, die teilweise von externen Partnern stammen. Die einzelnen Technologien finden bereits in anderen Branchen Einsatz. Dementsprechend ist nicht die Technologieorientierung Ursprung des Wettbewerbsvorteils, sondern die Kundenorientierung. Da der Kunde teilweise sehr konkrete Anforderungen hinsichtlich technischer Spezifikationen und Funktionsweise an den Auftrag stellt, muss der Geschäftsbereich genau diese beachten, um erfolgreich zu agieren. Die Kultur des Geschäftsbereiches ist der Dynamik der Branche entsprechend konservativ. Die Risikobereitschaft ist grundsätzlich vorhanden, jedoch nicht was den Einsatz innovativer Technologien angeht, die einer langen Erprobungsphase bedür- 255 Ergebnisse der Forschungsfallstudie fen. Entscheidungen müssen sorgfältig vorbereitet und in Abhängigkeit der Prozesse in einem großen Unternehmen getroffen werden. Die Kriterien zum Unternehmens- und Branchenkontext finden sich in Tab. 6-29. Unternehmenskontext Unternehmen Größe Strategie Kultur Umsatz > 1 Mrd. Mitarbeiter 5.000 – 15.000 Wettbewerbsstrategie Differenzierungsstrategie Quelle des Wettbewerbsvorteils Kundenorientierung Innovationsstrategie Fast Follower Risikobereitschaft Gering Entscheidungsfreude Mittelmäßig Offenheit ggü. Neuem Mittelmäßig Branche Bezeichnung Sonstiger Fahrzeugbau Komplexität Hoch Dynamik Gering Tab. 6-29: Übersicht über die kontextuellen Faktoren des Falles 12 (Quelle: Eigene Darstellung) Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Die einzelnen Produktmanagementabteilungen oder auch Portfolioabteilungen führen ähnliche Frühaufklärungsaktivitäten durch, jedoch separat. In diesen Abteilungen werden kontinuierlich Marktbeobachtungen durchgeführt, die in die Produktstrategie münden. Dazu wird allgemein das Geschehen am Markt mit Stückzahlen, Preisen und Technologien untersucht. Gleichzeitig werden neue Technologien auf Tauglichkeit für diesen Bereich geprüft. Darüber hinaus werden Wettbewerbsaktivitäten analysiert und öffentlich zugängliche Studien ausgewertet. Der Zeithorizont der Aktivitäten beträgt bis zu sechs Jahre. Alle diese Informationen dienen dem jährlich stattfindenden PLM-Prozess. In diesem Zusammenhang wird geprüft, inwiefern die Strategie angepasst werden muss, welche Produkte vorhanden sind und inwiefern diese ggf. an die Strategie angepasst werden müssen. Ähnlich wird der Prozess in den anderen Abteilungen durchgeführt. Die zentrale Innovations- und Technologieabteilung wurde erst kürzlich aufgesetzt, um der Bedeutung der Subprodukte gerecht zu werden und diese zu koordinieren. 256 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Die Beobachtung findet auf mehreren Ebenen statt, geht aber auch nicht über den Zeitpunkt von 6 Jahren hinaus. Es findet zum einem eine Marktbeobachtung für das Gesamtprodukt statt, um aktuelle Ausschreibungen zu identifizieren und darauf aufbauend die Produktportfoliostrategie anzupassen. Zudem werden die Subsysteme untersucht, indem neue Produkte und Lösungen von Lieferanten oder auf Messen identifiziert werden. Als eine dritte Ebene, wird mit Betreibern der Anlagen kooperiert, um die Zulassungsbedingungen entsprechend den eigenen Produkten anzupassen. Demnach dient die strategische Frühaufklärung direkt dem Portfolioprozess und ist ein Ausgangspunkt in dieser Betrachtung. Die einzelnen Kriterien werden nochmals in Tab. 6-30 veranschaulicht. Ausmaß der Frühaufklärung Organisation Form Observatory Ausmaß Prozess Erfassung, Analyse und Reaktionsstrategien Art der Durchführung Kontinuierliche Frühaufklärung beinhaltet projektbasierte, themenspezifische Frühaufklärung Integration in andere Prozesse Frühaufklärung regt Innovationsmanagementaktivitäten an Kommunikation der Frühaufklärung wird bereichsintern und bereichsübergreiErgebnisse fend diskutiert Informationssammlung Reichweite Scannen im aktuellen Geschäftsfeld Tiefe Scannen im Bereich Technologie und in wenigen anderen Bereichen Zeithorizont kurz- und mittelfristige Zukunft (1-2 Produktgenerationen) Quellen Nutzen von einigen eingeschränkten Quellen, die einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen Netzwerke Intern Formeller Austausch zwischen den Abteilungen wird gefördert Extern Formeller Austausch zu externen Kontakten wird gefördert, einige MA hegen informelle Kontakte Tab. 6-30: Übersicht über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung im Fall 12 (Quelle: Eigene Darstellung) 257 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Charakterisierung der Innovationsfähigkeit Innovationen finden meist nur in Subsystemen des Produktes statt, das ganze Produkt ist nie Gegenstand einer Innovation. In diesen Subsystemen werden hauptsächlich inkrementelle Verbesserungsinnovationen durchgeführt. In den letzten Jahren wurden jedoch keine wirklichen Innovationen auf den Markt gebracht. Es werden viele neue potentielle Innovationsbereiche untersucht, jedoch münden diese nicht in den Produktvertrieb. Dies ist auf das Verhalten der Kunden zurückzuführen, da diese durch die langen Produktlebenszyklen und damit auch Einsatzzeiten der Produkte wenig Interesse an Neuerungen haben. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Die strategische Frühaufklärung dient im Innovationsmanagement vornehmlich der Strategiebildung. Die Marktbeobachtung führt direkt zur Beeinflussung der F&E Planung. Es werden neue Nischen identifiziert, die dann mit neuen Produkten bearbeitet werden. Zudem wurden in der Vergangenheit oftmals neue Kompetenzen entwickelt, d.h. Exploration und Exploitation gefördert. So brachte in der Vergangenheit die Positionierung als Komplettanbieter einige Neuerungen, die auch Zukäufe erforderten. Erfolgsfaktoren der Nutzung der strategischen Frühaufklärung Es werden für die Nutzung der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement vornehmlich hemmende Faktoren aufgelistet. Finanzielle Restriktionen sind hauptsächlich ausschlaggebend sowohl für die Durchführung der strategischen Frühaufklärung als auch für die Nutzung im Innovationsmanagement. Die Regularien, die in der Branche vorherrschend sind, wirken als weiteres Hemmnis zur Nutzung der Erkenntnisse der Frühaufklärung. Als entscheidender Faktor wird das Top-Management gesehen, welches bei allen Erfolgsschwankungen die langfristige Perspektive im Unternehmen fördern und unterstützen muss. Insgesamt macht die Stabilität der Branche und die fehlende Dynamik eine umfassende Nutzung der Frühaufklärung überflüssig. Fazit In diesem Fallbeispiel herrscht hohe Komplexität der Branche mit geringer Dynamik. Strategische Frühaufklärung wird wiederum mit starker Aufgabenteilung zwischen den Abteilungen durchgeführt, die durch eine koordinierende Innovationsabteilung überwacht wird. Die Beeinflussung der Innovationsfähigkeit ist aber letztlich nur indirekt durch die Erstellung der Innovationsstrategie möglich. 258 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.2 Fallübergreifende Analyse 6.2.1 Analyserahmen fallübergreifende Analyse Anschließend wird die fallübergreifende Analyse dargestellt. Sie dient der Ergänzung der Einzelfallanalyse und zielt darauf ab, fallübergreifende Eigenschaften und Muster aufzudecken. Letztlich dient dieser Analyseschritt der Hypothesenbildung, um die strategische Frühaufklärung in ihrem Wirkungsgefüge darzustellen. Mit Hilfe der fallübergreifenden Analyse werden Aussagen zum Ausmaß der strategischen Frühaufklärung über alle Fälle hinweg (6.2.2), den indirekten und direkten Wirkungen der Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit (6.2.3) und die allgemeinen Einflussfaktoren auf die Wirkung (6.2.4) dargelegt. Im ersten Analysekapitel zum Ausmaß der strategischen Frühaufklärung werden alle Kriterien mit den verschiedenen Intensitäten betrachtet, um einen Einblick über vorherrschende Strukturen der Organisation der Frühaufklärung zu bekommen. In diesem Zusammenhang wird auch die Auswirkung der kontextuellen Faktoren beleuchtet. Insgesamt werden, darauf aufbauend, verschiedene Frühaufklärungsformen identifiziert, die eine Typisierung des Ausmaßes zulassen. Das Analysekapitel zu der Wirkung der Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit widmet sich den direkt identifizierbaren Effekten im Rahmen des Innovationsmanagements und beleuchtet anschließend deren Wirkung auf die Exploitation und Exploration. Dazu werden zunächst die drei direkt ableitbaren Wirkungen beschrieben: die Reduktion der Unsicherheit, die Widersacherfunktion und das Initiieren von Aktivitäten im Innovationsmanagement.979 Anschließend werden deren Effekte sowie der Effekt in Abhängigkeit des Ausmaßes der Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit dargestellt. Da die Wirkung der strategischen Frühaufklärung häufig durch weitere Faktoren bedingt wird, dient 6.2.4 zur Auflistung aller Faktoren und zur Beschreibung ihrer Einflussnahme im Wirkungsmodell. 6.2.2 Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in allen Fällen Die Metaebene über das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in den einzelnen Falluntersuchungen zeigt diverse Ausprägungen in den verschiedenen Dimensionen. Tab. 6-31 veranschaulicht diese einzelnen Ausprägungen. Die Analyse des Ausmaßes der strategischen Frühaufklärung orientiert sich dabei an den in 6.1.1 identifizierten Kriterien zur Beschreibung und ihren verschiedenen Intensitäten. 979 Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 3.2.2.2. 259 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Anhand der Tabelle wird deutlich, dass neben einzelnen Ausreißern ein konsistentes Ausmaß der Umsetzung in den Fallbeispielen herrscht. Damit werden nicht nur einzelne Dimensionen stark ausgeführt, sondern alle Dimensionen ähnlich. Dies zeigt, dass der Unternehmenskontext derart konstant gehalten wurde, dass Branchen- und Unternehmenseinflüsse aufgrund veränderter Dynamik, Komplexität, Strategie und Kultur nur eine untergeordnete Rolle spielen. Darüber hinaus wird strategische Frühaufklärung mindestens mittelstark betrieben, was wiederum auf die Erfordernisse der kontextuellen Faktoren zurückzuführen ist. 260 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Informationssammlung Netzwerke Organisation Summe Ausmaß Fall 1-6 Fall 1 Fall 2 Fall 3 Fall 4 Fall 5 Fall 6 Fall 7-9 Fall 7 Fall 8 Fall 9 Fall 1011 Fall 10 Fall 11 Fall 12 1- 1,5 2,6- 3,5 1,6- 2,5 3,6- 4 Tab. 6-31: Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in allen Fallbeispielen (Quelle: Eigene Darstellung) 261 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Insgesamt wird strategische Frühaufklärung in den bereichsübergreifenden Funktionen immer deutlich umfassender durchgeführt als in den einzelnen Geschäftsbereichen. Dies spricht dafür, dass dort die Distanz zum operativen Geschäft die Notwendigkeit für zukunftsbezogene Informationen und den damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten aufzeigt. Da in diesen Funktionen keine Entscheidungs- und Ausführungsbefugnis vorliegt, ist es umso bedeutender, die Ergebnisse in die Unternehmensbereiche zu transferieren und dort nutzbar zu machen. Nur dann ist es gerechtfertigt, dass die einzelnen Bereiche über ein geringeres Ausmaß an Frühaufklärung verfügen. Hierbei offenbaren sich zugleich Probleme, da die Interviews zeigen, dass bereichsübergreifende Tätigkeiten ihr Einflusspotenzial nicht vollends ausschöpfen können. Die ausführliche Analyse erfolgt dazu in 6.2.4. Zugleich werden in den Bereichen weitaus eingeschränkter Umfeldinformationen, vor allem was die Reichweite, Tiefe und den Zeithorizont angeht, einbezogen. Wenn sich dementsprechend nur ausgewählte übergeordnete Bereiche mit einer umfassenden Umweltanalyse beschäftigen, müssen, für eine sinnvolle Frühaufklärung, auch deren Ergebnisse betrachtet werden. Erfolgt dies nicht, besteht das Risiko offenkundige Veränderungen zu verpassen. Zudem zeigt die Analyse der Fälle, dass vor allem junge Bereiche, die zwar durch eine besonders hohe Dynamik ausgezeichnet werden, aber nur wenige Ressourcen zur Verfügung haben, deutlich eingeschränkter strategische Frühaufklärung nutzen als andere Bereiche. Vor allem wird die Informationssammlung auf einige wenige Aspekte reduziert, die von besonderer Relevanz sind. Alle weiteren Ergebnisse zu dem Ausmaß der strategischen Frühaufklärung werden im Folgenden entsprechend den Dimensionen Informationssammlung, Netzwerke und Organisation ausführlich betrachtet. Informationssammlung Die untersuchten Kriterien Reichweite, Tiefe, Zeithorizont und Quellen wurden bereits in den einzelnen Fallanalysen dargelegt. An dieser Stelle werden dementsprechend Besonderheiten über alle Fälle hinweg diskutiert. Die Mehrheit der Fallanalysen beschränkt sich bei der Reichweite auf das aktuelle Geschäftsfeld und allenfalls spezielle Interessengebiete sowie benachbarte Geschäftsfelder. White Spaces werden kaum betrachtet und wenn erfolgt das Scanning ausschließlich auf bereichsübergreifender Ebene. Damit können wirkliche Disruptionen und radikale Innovationen, die aus anderen Geschäftsfeldern und White Spaces stammen, nicht identifiziert werden. So beschränkt man sich per se eher auf inkrementelle Neuerungen, die aus den bisherigen Branchenentwicklungen ableitbar sind. Dies spiegelt sich anschließend in der Wirkung der strategischen Frühaufklärung in Bezug auf Exploitation und Exploration wider. Ähnliche Beschränkungen wirken bei der Tiefe der Informationssammlung. Auch hier wird der Schwerpunkt 262 Ergebnisse der Forschungsfallstudie auf technologische Aspekte gelegt, d.h. insgesamt werden oftmals technologische Aspekte aus dem bestehenden und teilweise anliegenden Branchenbereich untersucht. Dementsprechend wird viel Potenzial für inkrementelle Innovationen aufgespürt, radikale Innovationen oder gar Disruptionen aber vernachlässigt. Ähnlichkeiten tauchen auch bei dem Zeithorizont der Informationssammlung auf. Die meisten Fälle beschränken die Frühaufklärung auf die kurz- bis mittelfristige Zukunft, die ein bis zwei Produktgenerationen umfasst. Gleichzeitig gaben die Interviewpartner an, dass die Dynamik sehr gering ist, wodurch sich das Vorgehen teilweise rechtfertigen lässt. Nichtsdestotrotz wurden häufig die langen Produktlebenszyklen unterstrichen, wodurch schon frühzeitig neue Produkte geplant werden müssen, vor allem aufgrund längerer Entwicklungszeiten. Mit dem hier dargelegten Vorgehen werden aber nicht adäquat Branchenveränderungen untersucht, die einen Einfluss auf die künftige Produktlandschaft ausüben. Quellen werden in allen Bereichen umfassend genutzt. Sowohl öffentlich zugängliche als auch Quellen, die nur eingeschränkt wenigen Marktteilnehmern zugänglich sind, kommen zum Einsatz. Insgesamt wird anhand des Ausmaßes der Informationssammlung bereits deutlich, dass es nicht nur eine Form der Frühaufklärung in den Fällen existiert. Je nach Abteilung und nach Bereichsebene wird eine unterschiedlich starke Informationssammlung durchgeführt. In allen Fallbeispielen erfolgt eine viel umfassendere Informationssammlung in den bereichsübergreifenden Abteilungen als in den einzelnen Bereichen selbst. Sowohl Reichweite, Tiefe als auch Zeithorizont wurden in den übergeordneten Bereichen intensiver ausgeführt, was die vorangegangene Kritik über den Fokus auf die inkrementellen Veränderungen abschwächt. Es ist sogar deutlich sinnvoller, wenn ein bereichsübergreifender Bereich, fernab des operativen Geschäftes, die Suche nach Disruptionen und nach langfristigen Entwicklungen in verschiedensten Umfeldbereichen übernimmt. Das spart Ressourcen in den Geschäftsbereichen, da gerade ein hohes Ausmaß an Frühaufklärung finanzielle und personelle Ressourcen in Anspruch nimmt. Damit wird der Transfer in die Geschäftsbereiche aber essentieller, damit eine sinnvolle Nutzung dort stattfinden kann. Darüber hinaus wird selbst in den Abteilungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten gescannt. Dementsprechend beschäftigt sich eine F&E-Abteilung hauptsächlich mit technologischen Fragestellungen, wohingegen Strategie und Produktmanagement allgemeine Marktentwicklungen des aktuellen Geschäftsfeldes analysieren. Einzig die Innovationsabteilungen nehmen eine umfassendere Rolle ein. Dieser Zusammenhang ist auch bei der Organisation zu beobachten. Netzwerke Die Ausprägung der internen und externen Netzwerke ist über alle Fälle hinweg gut. Extern werden vor allem im Bereich der technologischen Zusammenarbeit vie263 Ergebnisse der Forschungsfallstudie le Forschungskooperationen mit Universitäten etabliert, die über lange Zeiträume hinweg verfolgt werden. Die informellen Kontakte sind insgesamt mittelmäßig, jedoch verbesserungswürdig, da sie für die Nutzung des internen Wissens unabdingbar sind. Insgesamt sind Netzwerke in Summe ein wenig schwächer ausgeprägt als die anderen Dimensionen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass gerade in größeren Unternehmen langsamer Kontakte aufgebaut werden und durch Jobrotation schwieriger zu halten sind. Organisation Die Organisation der strategischen Frühaufklärung beinhaltet verschiedene Eigenschaften, die einerseits allgemein den Aufbau beschreiben und andererseits wieder Dimensionen mit Hilfe von Intensitätsklassen aufgreifen. Grundsätzlich wird anhand der Falluntersuchung deutlich, dass fast ausschließlich die Organisationsformen „Observatory“ und „Sammelposten“ eingesetzt werden. Das Observatorium wird durchweg von den bereichsübergreifenden Abteilungen genutzt. Die einzelnen Geschäftsbereiche nutzen sowohl den Sammelposten als auch das Observatorium. In diesem Zusammenhang wird die allgemeine Verfahrensweise in Unternehmen zum Aufbau von strategischer Frühaufklärung deutlich. Sobald eine eigene Innovations- oder Portfolioabteilung im Geschäftsbereich etabliert ist, wird dort strategische Frühaufklärung in der Form des Observatoriums durchgeführt. Alle Abteilungen, die sich nur bestimmte Umfeldbereiche anschauen, nutzen den Sammelposten. Dort arbeiten ausgewählte Mitarbeiter an vorher definierten Themen. So überrascht es wenig, dass auch viele F&E Abteilungen den Sammelposten zum Aufgreifen von technologischen Trends nutzen. Damit wird demonstriert, was bereits unter dem Analysepunkt Informationssammlung herausgestellt wurde: Einzelne Unternehmensabteilungen untersuchen nur bestimmte, für sie relevante, Umfeldbereiche d.h. Frühaufklärung als Ganzes mit allen Beobachtungsbereichen wird selten durchgeführt. Je nachdem wie umfangreich die Informationssammlung erfolgt, wird die Organisationsform Sammelposten oder Observatorium genutzt. Folglich fehlt meist der ganzheitliche Blick, der die einzelnen verfügbaren Informationen zusammenführt und aus dem Gesamtbild Implikationen generiert. Als Prozessschritte in den Fallstudien wurden hauptsächlich alle gängigen Schritte über Erfassung, Analyse bis hin zur Ableitung von Reaktionsstrategien durchgeführt. Die Fallstudien unterstützen einheitlich, dass Frühaufklärung immer genutzt wird, um Handlungsempfehlungen abzugeben. Die Ergebnisse bestätigen damit den gewählten Definitionsansatz zur strategischen Frühaufklärung, der nicht nur die reine Informationsgenerierung beinhaltet, sondern auch das Ableiten von Implikati- 264 Ergebnisse der Forschungsfallstudie onen zur Handlungseinleitung.980 Damit werden auch die Erkenntnisse der Untersuchungen von Roll und anderen Autoren unterstützt, die strategische Frühaufklärung als Einheit von Informationsgenerierung und Handlung verstehen.981 Einzig die Umsetzung der Handlungsempfehlung kann nicht vollends beurteilt werden. In Abhängigkeit von dem Unternehmensbereich werden die Implikationen teilweise sofort umgewandelt oder nur als Entscheidungsanregung genutzt. Vor allem die Handlungsempfehlungen der bereichsübergreifenden Abteilungen werden auf diese Art teilweise nicht umgesetzt. Dies schwächt natürlich die Wirkung der Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit. Darüber hinaus wird Frühaufklärung bis auf wenige Ausnahmen in allen Fallstudien kontinuierlich durchgeführt. So ist zu beobachten, dass vor allem in Forschungsabteilungen kontinuierlich nach neuen technologischen Entwicklungen gescannt wird. Großangelegte Szenarioprojekte in den Unternehmensbereichen oder übergeordneten Bereichen werden nur projektbasiert durchgeführt, jedoch meist regelmäßig aktualisiert. Vor allem in kleineren Bereichen fällt eine kontinuierliche Frühaufklärung schwerer. So wird im beschriebenen Unternehmensbereich im Fall 8 Frühaufklärung nur durch besondere Themen ausgelöst. Die Integration der Frühaufklärungsergebnisse erfolgt auf sehr unterschiedliche Weise in Abhängigkeit der ausgeführten Art der Frühaufklärung. Die technologische Frühaufklärung wird meist direkt in Innovations- und Technologiemanagement einbezogen. In Fallstudien, die eine separate Innovations- und Portfolioabteilung aufweisen, können am besten die vielfältigen Informationen aus verschiedenen Initiativen in den Innovationsprozess integriert werden. Probleme gibt es oft bei der Integration der bereichsübergreifenden Tätigkeiten. Die Ergebnisse werden zwar in die notwendigen Abteilungen kommuniziert, aber nicht konkret integriert. Vor allem wenn keine Innovationsabteilung vorhanden ist, hängt die Integration und damit Nutzung von der Qualität des Austausches in dem Bereich ab. Eine hohe Qualität des Austausches führt dementsprechend zu einer intensiven Nutzung im Innovations- und Technologiemanagement. Bei einer schlechten Qualität wird jedoch die Frühaufklärung wenig integriert. Damit wird eine weitere wichtige Dimension, die Kommunikation, hervorgehoben. In allen Fällen wird die Zukunftssicht nicht offen kommuniziert, sondern nur an betroffene Abteilungen wie Produktmanagement, Strategie sowie F&E weitergeleitet. Damit kann unternehmensweit kein einheitliches Verständnis der zukünftigen Chancen und Risiken entwickelt werden. Ausschließlich die bereichsübergreifenden Tätigkeiten kommunizieren naturgemäß in die einzelnen Bereiche hinein, jedoch auch wieder nur in betroffene Abteilungen. Damit verpasst man, die Mitarbeiter für 980 981 Siehe dazu auch 3.1.1. Vgl. Roll (2004), S. 195; Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 21; Hammer (1988), S. 253. 265 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Zukunftsaufgaben zu sensibilisieren und deren Potenziale zur Lösungsfindung zu nutzen. Einfluss der kontextuellen Faktoren auf das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Auch wenn der Einfluss der kontextuellen Faktoren in der vorliegenden Falluntersuchung so gering wie möglich gehalten wird, sind einige Aussagen ableitbar. Die Umsetzung und das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung erfolgt in den Fallbeispielen passend zu den Erfordernissen des Unternehmenskontextes. Alle Fälle verfügen über eine mittelmäßige Komplexität und geringe bis hohe Dynamik. Die Unternehmen selbst verfolgen oftmals ambitionierte Innovationsziele und die Wettbewerbsstrategie der Differenzierung, was enorme Anforderungen an die Produkte mit sich bringt. Insgesamt ist damit die mittelmäßige bis teilweise hohe Implementierung zu rechtfertigen und sinnvoll. Durch die Größe und Ausstattung der Bereiche ist es fast allen möglich, Frühaufklärungssysteme einzuführen und zu nutzen. Der direkte Abgleich der Dimensionen des Ausmaßes der strategischen Frühaufklärung in Abhängigkeit der einzelnen kontextuellen Faktoren verdeutlicht weitere Zusammenhänge. Dazu wurden Mittelwerte der Kategorien Informationssammlung, Netzwerke und Organisation für bestimmte kontextuelle Faktoren gebildet. Als kontextuelle Faktoren wird hierbei vor allem auf die Innovationsstrategie, den Branchen und den Brancheneigenschaften mit Komplexität sowie Dynamik eingegangen. Größenklassen werden teilweise aufgrund nicht vorhandener Informationen bestimmter Fälle nicht untersucht. Ein Vergleich mit Hilfe der Eigenschaften zur Innovationskultur wird indes nicht ausgeführt, da die Fälle in Summe ähnliche Ausprägungen aufweisen. Allenfalls einzelne Dimensionen unterscheiden sich, was sich bei der Bildung der Mittelwerte jedoch nicht auswirkt. In Tab. 6-32 sind die einzelnen Werte des Ausmaßes der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Innovationsstrategie aufgelistet. 266 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Innovationsführer Fast Follower Informationssammlung Netzwerke Organisation Tab. 6-32: Ausmaß der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Innovationsstrategie982 (Quelle: Eigene Darstellung) In der Falluntersuchung sind nur die Strategie des Innovationsführers und des Fast Followers vertreten. Die unterschiedlichen Strategien drücken sich aber nur kaum in den einzelnen Frühaufklärungsdimensionen aus. Bestenfalls die Informationssammlung ist bei den Innovationsführern leicht höher ausgeprägt, alle anderen Dimensionen zeigen nahezu Übereinstimmung. Die beiden Dimensionen Netzwerke und Organisation sollten bei Innovationsführerschaft auch in besserem Ausmaß gestaltet werden, damit die Strategie in die Realität umgesetzt werden kann. Insgesamt fällt zudem auf, dass sowohl die ambitionierte Strategie des Innovationsführers als auch die Strategie des Fast Followers nicht umfassend genug umgesetzt werden. Trotz dieser Strategien sind die Innovationsprozesse selten darauf ausgelegt sind, die frühzeitig identifizierten Signale zu nutzen. Dies ist eigentlich paradox, gaben doch viele Unternehmensbereiche an, strategische Frühaufklärung zu nutzen, um vor dem Wettbewerb mit Innovationen auf den Markt zu kommen. Demnach werden die Ergebnisse der Frühaufklärung immer noch zu wenig einbezogen oder scheitern in der Umsetzung an internen Faktoren, die in Kapitel 6.2.4 erläutert werden. Die Abhängigkeit einer Branche lässt sich nicht feststellen. Über alle Branchen hinweg sind alle Dimensionen des Ausmaßes ähnlich verteilt. Einzig die Maschinenbaubranche weist deutlich höhere Werte auf. Da diese jedoch nur durch ein Fallbeispiel vertreten ist, lässt sich nicht eindeutig belegen, ob die Unterschiede auf die Branche zurückzuführen sind. In Tab. 6-33 sind alle Werte zusammenfassend aufgeführt. 982 Legende siehe Tab. 6-31. 267 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen (26) Herstellung von elektrischen Ausrüstungen (27) Maschinenbau (28) Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen (29) Sonstiger Fahrzeugbau (30) Informationssammlung Netzwerke Organisation Tab. 6-33: Ausmaß der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Branche983 (Quelle: Eigene Darstellung) Darüber hinaus sind die Werte für die Komplexität und Dynamik der Branche in Tab. 6-34 abgebildet. gering mittel hoch Informationssammlung Netzwerke Organisation Tab. 6-34: Ausmaß der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Komplexität und Dynamik der Branche984 (Quelle: Eigene Darstellung) Rohrbeck hat in seiner Fallstudienuntersuchung hervorgehoben, dass vor allem Dynamik und Komplexität der Branche das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung beeinflussen.985 Demnach wird bei großer Dynamik und hoher Komplexität ein ho- 983 Legende siehe Tab. 6-30. Legende siehe Tab. 6-30. 985 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 127. 984 268 Ergebnisse der Forschungsfallstudie hes Ausmaß an strategischer Frühaufklärung durchgeführt bzw. sollte durchgeführt werden.986 Dieser Zusammenhang kann anhand des vorliegenden Materials nicht unterstützt werden. In Fall 3 und 8 ist eine besonders hohe Umweltdynamik zu konstatieren. Nichtsdestotrotz erfolgte keine intensivere Nutzung der strategischen Frühaufklärung. Im Gegenteil, aufgrund der eingeschränkten Ressourcen bestand eine vergleichsweise geringe Nutzung der strategischen Frühaufklärung. Vor allem in Fall 8 geht man aber auch davon aus, dass ein erhöhtes Ausmaß an Frühaufklärung keinen bedeutenden Mehrwert bringen würde. Denn die Branche ist noch derart instabil, dass eine umfassende Frühaufklärung mit mittel- bis langfristigen Charakter und der Beobachtung des ganzen Umfelds keinen Sinn macht. Daher muss man in diesem Fall nicht die Signale aus dem Umfeld verarbeiten, sondern die Zukunft gestalten. Damit wird in diesem Hinblick den Erkenntnissen von Rohrbeck widersprochen, dass eine hohe Umweltdynamik per se ein hohes Ausmaß an Frühaufklärung verlangt. Wenngleich insgesamt kein höheres Ausmaß an Frühaufklärung durchgeführt wird, ist jedoch festzustellen, dass die Verteilung über die Dimensionen hinweg, Unterschiede aufweist. Zwar ist generell die Informationssammlung schwächer ausgeprägt, jedoch werden starke Netzwerke gebildet. Über die Netzwerke ist es möglich, mit den wenigen vorhandenen Ressourcen Einfluss zu nehmen, indem gemeinsam die Zukunft gestaltet wird. Fazit Insgesamt ist die Nutzung der strategischen Frühaufklärung in den Falluntersuchungen fortgeschritten, wenngleich verschiedene Besonderheiten oder gar Konkretisierungen der bisherigen Literatur zu beobachten sind. Die bereits dargestellten Veranschaulichungen zu den einzelnen Dimensionen Informationssammlung, Netzwerke und Organisation lassen damit weitere Ableitungen zu. Es kann festgestellt werden, dass sich das Ausmaß der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Abteilung oder der Art der Frühaufklärung unterscheiden lässt. Demnach variiert das Ausmaß der Frühaufklärung in einzelnen Dimensionen, je nachdem, ob sie in Strategie-, F&E,- Innovationsabteilungen oder Produktmanagement durchgeführt wird. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass in den Unternehmensbereichen verschiedene Mechanismen vorherrschend sind, die eine Nutzung des Potenzials der Frühaufklärung möglich machen. Als eine letzte Besonderheit können anhand der Fallstudienuntersuchung Typen gebildet werden, die sich nach dem Ausmaß der Frühaufklärung richten. Diese Typen geben Aufschluss über das Zusammenspiel der einzelnen Einheiten, die sich mit Frühaufklärung beschäftigen und deren Umfang. Im Folgenden werden diese Erkenntnisse dargestellt. 986 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 127. 269 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Ausmaß der Frühaufklärung in Abhängigkeit der Art Die Analyse macht deutlich, dass in Unternehmen nicht nur eine Form der Frühaufklärung vorherrscht, sondern diverse Initiativen, die mit unterschiedlichen Ansätzen in den Abteilungen durchgeführt werden, existieren. Wenngleich dieses Ergebnis nahe zu liegen scheint, wird dies bisher in der bestehenden Literatur vernachlässigt.987 Dabei ist es offensichtlich, dass verschiedene Abteilungen einen bestimmten Bereich der Frühaufklärung ausführen. Die vorherrschende Literatur beschreibt bisher dazu nur separat die Organisationsform, den Prozess und auch die Beobachtungsbereiche, ohne die Zusammenhänge zu beleuchten. Dies liegt vor allem an der schwammigen Konstruktion der strategischen Frühaufklärung, die nur als Instrument oder Prozess zur Identifizierung von schwachen Signalen und zum Ableiten von Handlungsstrategien definiert wird. Denn sehr viele Bereiche im Unternehmen zielen darauf ab, Chancen und Risiken für den Geschäftsverlauf zu identifizieren. In der vorliegenden Untersuchung werden F&E, Produktmanagement, Strategie und Innovation als Bereiche im Unternehmen identifiziert, die Frühaufklärungsinformationen sammeln. So findet in der F&E-Abteilung hauptsächlich technologische Frühaufklärung statt. Teilweise werden auch Wettbewerbsinformationen gesammelt, jedoch technologiebezogen. Hier wird der Fokus auf das aktuelle und allenfalls benachbarte Geschäftsfeld mit kurz- bis mittelfristigen Zeithorizont gelegt. Organisiert wird die Frühaufklärung als Sammelposten. Die Vorfeldentwicklung, ein Teil der F&E, ist langfristiger orientiert und versucht frühzeitig Whites Spaces zu identifizieren. In diesem Bereich beschäftigt man sich daher kontinuierlich mit verschiedensten Technologien in Form des Observatoriums. Das Produktmanagement setzt den Schwerpunkt der Beobachtung auf den Markt sowie Wettbewerb und konzentriert sich auf das aktuelle Geschäftsfeld mit maximal mittelfristigem Zeithorizont. Da hier das operative Geschäft Vorrang hat, wird weniger kontinuierlich gescannt und meist in Form des Sammelpostens gearbeitet. Die Innovations- und Strategieabteilungen arbeiten beide ähnlich umfassend. Beide versuchen auch langfristige Entwicklungen einzubeziehen und sind in der Form des Observatoriums organisiert. In diesen Abteilungen finden auch die großangelegten Szenarioprojekte statt, die das vollständige Umfeld des Unternehmens betrachten. Die Strategieabteilung befindet sich auf bereichsübergreifender Ebene und muss für einen Transfer der Ergebnisse in die Bereiche sorgen, wohingegen die Innovationsabteilung die Ergebnisse direkt zur Erstellung von der Innovationsstrategie und Generierung von Ideen nutzt. Alle wichtigen Eigenschaften zum Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in Abhängigkeit 987 Siehe zum Beispiel bei Becker (2002) oder Daheim & Uerz (2008), die sich zwar mit Zielen und Organisation auseinandersetzen, aber nicht diesen Sachverhalt offenlegen. 270 Ergebnisse der Forschungsfallstudie der Art sind in Tab. Tab. 6-35 zu finden. Es sind in der Tabelle nicht alle Eigenschaften aufgelistet, sondern nur solche, die in den Bereichen variieren. Bereiche Ausmaß der Frühaufklärung anhand ausgewählter Aspekte Reichweite Tiefe Zeithorizont Organisationsform F&E Aktuelle und benachbarte Geschäftsfelder Fokus auf Technologie Kurz- bis mittelfristig Sammelposten kontinuierlich Produkt- Aktuelles Geschäftsfeld Fokus Markt, Wettbewerb Max. mittelfristig Sammelposten Weniger kontinuierlich, durch spezielle Themen ausgelöst Innovation und Portfolio Aktuelle und benachbarte Geschäftsfelder, teilweise auch White Spaces Alle Unternehmensbereiche Mittel- bis langfristig Observatorium kontinuierlich Strategie Aktuelle und benachbarte Geschäftsfelder, und White Spaces Alle Unternehmensbereiche Langfristig Observatorium kontinuierlich management Art der Durchführung Tab. 6-35: Eigenschaften zum Ausmaß der strategischen Frühaufklärung (Quelle: Eigene Darstellung) Insgesamt fällt jedoch auch auf, dass keine wirkliche gebündelte Verarbeitung dieser verschiedenen Informationen erfolgt, wodurch das Frühaufklärungspotenzial nicht genutzt wird. Welche Unterschiede zwischen den Fällen bestehen, um das Potenzial besser zu nutzen, wird anschließend erläutert. 271 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Mechanismen zur Potenzialnutzung Wenngleich strategische Frühaufklärung insgesamt gut in den Fällen genutzt wird, fällt auf, dass in einigen Bereichen die Ergebnisse besser eingebunden werden. Da viele Ergebnisse mit unterschiedlichen Schwerpunkten vorliegen, müssen diese im Anschluss allen Innovationsbeteiligten zugänglich gemacht werden, um eine sinnvolle Nutzung zu gewährleisten. Dazu werden in den meisten Fällen hauptsächlich gemeinsame Workshops und Entscheidungsrunden organisiert. Dadurch kommt es meist zu einem erheblichen Informationsverlust, weil die Frühaufklärungsinformationen nicht vollständig ausgetauscht werden können. Vor allem die Ergebnisse der bereichsübergreifenden Frühaufklärungsinitiativen werden oftmals nicht angemessen genutzt, da teilweise keine Mitarbeiter aus den Unternehmensbereichen mitarbeiten und daher anschließend die Ergebnisse in den Bereichen nicht beachtet werden. Besser konnten alle Ergebnisse der Aktivitäten aus den Abteilungen und bereichsübergreifenden Tätigkeiten genutzt werden, wenn eine Innovationsabteilung alle Informationen zusammenführt und für die Entscheidungsfindung aufbereitet. Durch eine Innovationsabteilung werden die bereichsübergreifenden Initiativen in den Geschäftsbereich gebracht und deren Ergebnisse genutzt. Aus den bereichsinternen Abteilungen werden alle Informationen gesammelt. Insgesamt wird aus dem umfassenden Abbild über die möglichen Entwicklungen eine ganzheitliche Reaktionsstrategie erarbeitet und Maßnahmen für das Portfolio und Innovationsmanagement abgeleitet. Damit ist eine Innovationsabteilung anderen Mechanismen deutlich überlegen, wenngleich hierfür höhere Ressourcen notwendig sind. Typisierung Aufbauend auf den Darstellungen in diesem Kapitel lassen sich drei Typen der Frühaufklärungsorganisation ableiten, die in den Fällen vorherrschend sind. Diese drei Typen sind der traditionelle Frühaufklärer, der Front-End-Frühaufklärer und der beschränkte Frühaufklärer. Der traditionelle Frühaufklärer verfügt über die klassische Einteilung in F&E, Produktmanagement und separiert entsprechend dieser Aufgabenteilung seine Frühaufklärungstätigkeiten. Um die Innovationsstrategie festzulegen und Ideen für neue Produkte zu generieren, herrscht ein regelmäßiger Austausch zwischen den Abteilungen. F&E liefert passend zu den Produktideen neuartige Technologien. Oftmals ist es der Kunde der Input für Innovationen liefert, daher entstehen oftmals nur inkrementelle Innovationen. Diese Form der Frühaufklärung kommt vielfach in der Falluntersuchung zum Einsatz und wird in den Fällen 1; 4; 9; 10; 11 genutzt. Der Front-End Frühaufklärer verfügt über eine eigene Innovations- oder Portfolioabteilung, die zum einen selbst Frühaufklärung betreibt und zum anderen die Informationen der diversen Abteilungen zusammenträgt. Die vorhandene Innovationsabteilung lenkt und steuert den gesamten Innovationsprozess. Vor allem zu Beginn 272 Ergebnisse der Forschungsfallstudie des Innovationsprozesses wird sie aktiv, indem sie Vorfeldprojekte initiiert, Ideen generiert und die allgemeine Innovationsstrategie bearbeitet. Dies geschieht jedoch immer unter Einbezug der anderen beteiligten Abteilungen. Der Front-End Frühaufklärer ist in den Fällen 2; 5; 6; 7; 12 zu beobachten. Der beschränkte Frühaufklärer kommt in der vorliegenden Untersuchung recht selten vor, kennzeichnet sich jedoch durch ein schwach ausgeprägtes Frühaufklärungssystem. Insgesamt wird in diesen Fällen sehr wenig Frühaufklärung betrieben. Meist wird nur nach besonderen Interessengebieten gescannt. Fall 3 und 8 sind als beschränkte Frühaufklärer zu bezeichnen. 6.2.3 Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit 6.2.3.1 Überblick Dieses Kapitel widmet sich den zentralen Fragen der empirischen Erhebung: Beeinflusst die strategische Frühaufklärung die Innovationsfähigkeit und wie kann dieser Einfluss beschrieben werden, d.h. anhand welcher Mechanismen entfaltet sich die Wirkung auf die Innovationsfähigkeit. Bisher wurde der Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit selten konkret beschrieben. Die meisten Autoren formulieren eher vage und allgemeine Zusammenhänge, die keinen Aufschluss auf die Wirkungsweise zulassen. Einzig Rohrbeck hat bisher einen konkreten Wertbeitrag der strategischen Frühaufklärung identifiziert, indem er die vier Elemente (1) Unsicherheitsreduktion, (2) Maßnahmeninitiierung, (3) Auswirkung auf Dritte und (4) sekundäre Vorteile aus seiner empirischen Untersuchung ableitet.988 Analog zu Rohrbeck wurden in der vorliegenden Fallstudienuntersuchung die drei Faktoren (1) Unsicherheitsreduktion, (2) Alarmfunktion und (3) Initiator im Innovationsmanagement identifiziert. Diese Faktoren beziehen sich ausschließlich auf die im Innovationsmanagement wahrgenommenen Einflüsse und konkretisieren damit die von Rohrbeck vorgenommene Einteilung. Sie zeichnen sich durch einen direkten Einfluss auf die Innovationsfähigkeit aus und helfen dem Verständnis, auf welche Art und Weise die Innovationsfähigkeit beeinflusst wird. Diese Faktoren werden in den folgenden Kapiteln 6.2.3.2; 6.2.3.3 und 6.2.3.4 eingehend anhand der einzelnen Elemente und ihrer Bedeutung beschrieben. Darüber hinaus wird dort erläutert, welche Aktivitäten im Unternehmen die beschriebene Funktion erfüllen. In Kapitel 6.2.3.6 wird anschließend der Bezug zur Innovationsfähigkeit und den 988 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 88ff. 273 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Mechanismen Exploitation und Exploration hergestellt. In diesem Zusammenhang wird der indirekte Einfluss thematisiert. 6.2.3.2 Reduktion der Unsicherheit Die Reduktion der Unsicherheit stellt einen ersten wesentlichen Faktor dar, der im Innovationsmanagement wirkt. Diese Funktion beschreibt, inwiefern strategische Frühaufklärung dazu beiträgt, die Unsicherheiten in Bezug auf das laufende und kommende Produktgeschäft zu reduzieren. Die zwei identifizierten Elemente, die der Reduktion der Unsicherheit dienen, sind die Rechtfertigung sowie Bestätigung des eingeschlagenen Innovationsweges und die Unterstützung der Entscheidungsfindung. Wie auch schon bei Rohrbeck führt keines der beschriebenen Elemente direkt zu einer Handlung, sondern rechtfertigt lediglich bestehende Innovationswege oder neuartige Ideen. 989 Die Elemente werden zusammenfassend in Tab. 6-36 beschrieben. 989 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 90. 274 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Element Beschreibung Beispiel Rechtfertigung und Bestätigung für bestehende Produkte Lieferung von Informationen, die je nach Information sowohl bestehende Innovationsstrategien und Produkte bestätigen als auch neuartige Innovationsideen rechtfertigen „Ich brauche sie aber, um zu wissen, dass nichts anderes am Horizont droht, warum ich vielleicht die inkrementelle Entwicklung jetzt nicht machen sollte und stattdessen was ganz anderes machen sollte (…), d.h. so eine Bestätigung, dass ich vielleicht mit inkrementell weitermache und jetzt noch nicht alles auf irgendwas anderes werfe.“ Entscheidungsunterstützung Unterstützung der Entscheidungsprozesse durch vielfältige Informationen über die Umfeldentwicklung „Hauptzweck ist natürlich, eine Einschätzung zu geben oder Material für die Entscheidungsfindung zu geben hinsichtlich der Produktentwicklungen, künftiger Produktentwicklungen, wo bauen sich demnächst Geschäftsmöglichkeiten auf (…).“ Tab. 6-36: Elemente und Beschreibung des Faktors Reduktion der Unsicherheit (Quelle: Eigene Darstellung) Frühaufklärung führt beim ersten Element zu einer Rechtfertigung sowohl für bestehende Produkte als auch für neuartige Innovationsideen. Indem die strategische Frühaufklärung Informationen über Markt- und Technologietrends liefert, bietet sie eine weitreichende Rechtfertigung für die getätigten oder sich anbahnenden Entscheidungen. Stehen größere Veränderungen an, kann strategische Frühaufklärung den nötigen Input liefern, um diesen Veränderungsbedarf auch in den Unternehmensteilen zu kommunizieren, die diesen Bedarf noch nicht erkannt haben. Gerade in Hinblick auf das beobachtete Beharrungsvermögen im Unternehmen hilft strategische Frühaufklärung dabei, radikale Innovationsideen zu untermauern und deren Potenziale aufzuzeigen. Gleichzeitig berichten viele Interviewpartner, dass strategische Frühaufklärung dazu dient, die bestehenden Innovationsentscheidungen zu rechtfertigen, vor allem, wenn nur inkrementelle Innovationen auf den Markt gebracht werden. Die mit Hilfe der Frühaufklärung gewonnenen Informationen bestätigen die bisherigen Produkte und führen zu einer Fortführung der eingeschlagenen Innovationsstrategie. Vor allem die umfassenden Szenarioprojekte liefern die nötige Bestätigung. So gaben viele Unternehmen an, dass keine Portfoliolücken gefunden wurden, sondern nur Zuspruch für den bestehenden Innovationsweg. Insgesamt 275 Ergebnisse der Forschungsfallstudie werden damit die bestehenden inkrementellen Innovationen bestätigt. In diesem Zusammenhang hilft strategische Frühaufklärung dabei, das Timing für bestimmte Innovationen und vor allem für radikale Innovationen zu verbessern. Solange noch Informationen vorliegen, die inkrementelle Innovationen bestätigen, liegt kein Bedarf für radikale Innovationen vor. Erst wenn schwache Signale für disruptive Veränderungen auftreten, wird damit der Veränderungsdruck im Unternehmen größer. Folglich werden die bestehenden radikalen Innovationsideen weiter verfolgt oder neue radikale Innovationsprojekte initiiert. Eine weitere Funktion stellt die Entscheidungsunterstützung dar. Wie auch Rohrbeck erkannt hat, unterstützt strategische Frühaufklärung das Management dabei innovationsbezogene Entscheidungen zu treffen.990 Die gesammelten Informationen zu Trends und Umweltentwicklungen fundieren den Entscheidungsprozess und führen zu einer besseren Qualität der Entscheidungen, vor allem in Hinblick auf die Berücksichtigung langfristiger Entwicklungen. 6.2.3.3 Widersacher Die Funktion des Widersachers beschreibt, in welchem Ausmaß die einzelnen Geschäftsbereiche und Abteilungen durch die strategische Frühaufklärung mit der Zukunftssicht konfrontiert werden, um Handlungsbedarf aufzuzeigen und Maßnahmen einzuleiten.991 In der bestehenden Literatur findet diese Funktion bisweilen wenig Beachtung und wird nur stellenweise erwähnt. Einzig Rohrbeck hat die Funktion des Opponenten in einem Best Practice Beispiel bereits ableiten können, allerdings sieht er diese Funktion im Rahmen einer kontinuierlichen Dienstleistung, die auch die Aktualität von laufenden Innovationsprojekten überprüft. 992 Diese umfangreiche Gestaltung kann durch die vorliegende Arbeit nicht bestätigt werden. Daher wird sich auf die Tätigkeit des Herausforderns der bisherigen Geschäfts-annahmen beschränkt. Die wichtigsten Informationen zum Faktor sind in Tab. 6-37 zu finden. 990 Rohrbeck (2010), S. 94f. Siehe dazu auch Rohrbeck (2010), S. 187. 992 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 187. 991 276 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Element Beschreibung Beispiel Herausfordern von Abteilungen oder Bereichen mit zukünftigen Risiken Frühaufklärung deckt Entwicklungen auf, auf die sich das Unternehmen bisher nicht einstellt. In diesem Zusammenhang wird der Veränderungsbedarf aufgezeigt und werden die Bereiche herausgefordert, welche Antworten sie auf die Veränderungen haben. „Ja, wir müssen immer auffordern, Dinge, die die letzten zehn Jahre auch nachweislich sehr erfolgreich sind, dann klarzumachen, das ist nicht automatisch so, dass sie die nächsten zehn Jahre damit auch erfolgreich sind. D.h. die Leute werden häufig aus ihrer Komfortzone herausgerissen.“ Tab. 6-37: Bestandteile und Beschreibung des Faktors Widersacher (Quelle: Eigene Darstellung) Die Funktion wird ausgeführt, indem die Frühaufklärung eine Systematik liefert, die erklärt, wie die Zukunft bestritten werden kann. Vor allem deckt sie Handlungsbedarf auf, wenn das Unternehmen bisher Zukunftsthemen nicht verfolgt hat. Ein Interviewpartner hat darauf verwiesen, dass daher die Geschäftsbereiche aus „ihrer Komfortzone“ herausgerissen werden sollen. Im Ergebnis steigt der Handlungsdruck und Handlungen können einfacher eingeleitet werden. Diese Funktion wird oftmals von bereichsübergreifenden Abteilungen oder den eigenen Innovationsabteilungen durchgeführt. Indem diese vom Tagesgeschäft losgelöst agieren, beurteilen sie die aktuelle Position objektiver. Sie können die Herausforderungen der Zukunft mit den gegenwärtigen Entwicklungen abgleichen und den Bereichen Handlungs-empfehlungen geben. Die Bereiche werden anschließend mit der Zukunftssicht konfrontiert und können konkret abschätzen, wie die Produkte in 10 Jahren aussehen müssen, um noch erfolgreich am Markt zu agieren. Wo strategische Frühaufklärung bei dem Faktor Reduktion der Unsicherheit vorhandene Entscheidungen zusätzlich bestätigen musste, geht es hier vielmehr um die Kommunikation der Erkenntnisse, um eine Handlung einzuleiten. Indem die Zukunftssicht und das nötige Handlungspotenzial kommuniziert werden, werden die Themen der Zukunft und der Handlungsbedarf deutlicher. 277 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.2.3.4 Initiieren von Aktionen im Innovationsmanagement Der beschriebene Faktor verdeutlicht, in welchem Umfang und in welcher Form Aktionen im Innovationsmanagement direkt durch strategische Frühaufklärung ausgelöst werden. Das Initiieren von Aktionen im Innovationsmanagement stellt im Untersuchungssample den umfangreichsten Faktor dar und wurde nahezu in allen Interviews erwähnt. Damit erfolgt ein unmittelbarer Einfluss im Innovationsmanagement. Da diese Handlungen von zentraler Bedeutung im Innovationsprozess sind, wird auch die Innovationsfähigkeit beeinflusst. Der Faktor bestätigt damit die vorliegenden Erkenntnisse aus der Literatur zur strategischen Frühaufklärung und deren Funktion im Innovationsmanagement, wenngleich nicht derart umfassend Aktionen identifiziert wurden.993 In diesem Zusammenhang hat Becker in seiner empirischen Studie allenfalls vage die Funktion zur Stimulation und Unterstützung im Innovationsprozess beschrieben. 994 Rohrbeck identifiziert die folgenden durch Frühaufklärung ausgelösten Aktivitäten: Portfolioänderungen, F&E Projekte und Ausweitung der Geschäftsentwicklung.995 Diese werden hier bestätigt und durch weitere Elemente ergänzt. Alle Faktoren sind in Tab. 6-38 abgebildet und werden im Folgenden näher erläutert. Element Unterstützung bei der Bildung der Innovationsstrategiefindung Beschreibung Die Erkenntnisse über die Umwelt des Unternehmens tragen dazu bei, eine Innovationsstrategie für Zukunft zu bilden und zu bestimmen, welche Innovationsfelder mit welchen Produkten bearbeitet werden. In diesem Zusammenhang wird auch das Portfolio des Unternehmens erarbeitet. 993 Beispiel „Und das ist auch ein ganz wesentlicher Eckpfeiler für den Foresight-Prozess, für die Zukunftsforschung, weil wir daraus dann eben auch unsere Strategien dann ableiten“ „Also, das sind dann durchaus jetzt Folgen, die dazu führen, dass wir eben unser Produktportfolio mittelfristig anders aufbauen werden“ Vgl. Becker (2002), S. 9; Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7; Tyssen (2012), S. 243. Vgl. Becker (2002), S. 9. 995 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 88ff. 994 278 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Element Beschreibung Beispiel Generieren von Innovationsideen Durch die Trends und Entwicklung in Märkten, Technologien, Kundenbedürfnissen werden konkrete Innovationsideen abgeleitet, die in den Innovationstunnel einfließen „Dann kommen da ja bestimmte Maßnahmen raus, und die sind keine Selbstläufer, die haben wir Initiativen genannt. Diese Maßnahmen müssen erstmal, ja weiter ausgearbeitet werden (…) und gereviewt werden, indem man versucht, diese Maßnahmen operative umzusetzen.“ Bewertung von Ideen Innovationsideen werden „Aber bei der Auswertung dieser Idee durch Trends und Szena- haben wir auch geschaut, inwieweit rios bewertet trifft denn eigentliches dieses Produkt die Trends. Und wir haben die Idee hergenommen und gesagt, jetzt schauen wir die Megatrends an und überlegt, was bedeutet eigentlich dieser Megatrend in Bezug auf das Produkt.“ Initiieren von Vor- Durch Frühaufklärung feldprojekten/ werden neue Technologien entdeckt, die in F&E-Projekten Projekten weiter erforscht und auf Anwendbarkeit überprüft werden „Aber wenn da jetzt ein neuer Trend aufkäme, wie z.B. Funk als Kommunikationsmedium, dann ist das für uns ja eine disruptive Technik und die wird natürlich bei uns ausprobiert.“ Business Development „Der Funk als solcher ist natürlich nicht neu gewesen, aber das für die Industrie einzusetzen, das war neu.“ Frühaufklärung trägt dazu bei, neue Anwendungen zu finden, indem vorhandene technische Lösungen in einem neuen Kontext angewendet werden oder neue Märkte für bestehende Produkte identifiziert werden Tab. 6-38: Bestandteile und Beschreibung des Faktors Initiieren von Aktionen im Innovationsmanagement (Quelle: Eigene Darstellung) Laut Interviewpartner dienen die Erkenntnisse der strategischen Frühaufklärung zur Strategiebildung, vor allem im Rahmen der Innovationsstrategie. Die Strategie bildet den Rahmen für zukünftiges Handeln und muss daher fortlaufend an die exter279 Ergebnisse der Forschungsfallstudie nen Entwicklungen angepasst werden. Die Gesamtstrategie lenkt sowohl die Suchfelder als auch die Portfolioentscheidungen und hat damit großen Einfluss auf die Innovationsfähigkeit. Innovationssuchfelder dienen in diesem Zusammenhang dazu, interessante Umweltbereiche oder Funktionalitäten zu untersuchen und dafür entsprechende Innovationsideen zu finden. Gleichzeitig werden darauf aufbauend Portfolioänderungen vorgenommen, die bestimmte Suchfelder und deren Innovationsprojekte abbilden. Ein weiteres wichtiges Element ist in der Ideengenerierung zu sehen. Diese wird auf unterschiedliche Weise angeregt. Durch das systematische Abgleichen von Marktund Technologietrends werden Portfoliolücken identifiziert. Um diese Portfoliolücken zu schließen, werden neue Produkte erstellt, die teilweise nicht am Markt vorhanden sind. Somit sind die Portfolioanpassungen direkt mit der Ideengenerierung in Verbindung zu bringen. Darüber hinaus zeigen die Trends auch Bedarf für Verbesserungsinnovationen, die auch wiederum direkt in inkrementelle Innovationsideen münden. Desweiteren werden Ideen generiert, indem Technologietrends zu neuen Features oder neuen Anwendungen führen, die bisher nicht vorhanden waren. Die Falluntersuchung hat in diesem Zusammenhang gezeigt, dass die Ideen aus der strategischen Frühaufklärung oftmals in die Geschäftsbereiche getragen und durch Business Cases oder Open Innovation Projekte spezifiziert werden. Interviewpartner gaben neben der Ideengenerierung an, dass strategische Frühaufklärung zur Ideenbewertung führt. In diesem Fall werden bestehende Innovationsideen mit langfristigen Entwicklungen abgeglichen. Die vorliegenden Frühaufklärungsinformationen dienen dazu, dass Potenzial der Innovationsidee aufzudecken und den Einklang mit Strategie sowie Portfolio zu überprüfen. Zudem dient strategische Frühaufklärung der Ableitung von F&E- und Vorfeldprojekten. Vor allem durch technologische Frühaufklärung werden neue Technologien aufgespürt und ggf. akquiriert oder im Unternehmen aufgebaut. In diesem Zusammenhang entstehen viele Vorfeldprojekte, um eine sehr neuartige Technologie zu erproben. Im zweiten Schritt mündet diese Erprobung in Produkte, die einen neuartigen Nutzen für Kunden versprechen. Ein weiteres Element der Nutzung der Frühaufklärung ist die Funktion des Business Developments, die gleichzeitig Berührungspunkte zum Innovationsmanagement hegt. Durch strategische Frühaufklärung können für bestehende Produkte und Technologien neue Anwendungsfelder gefunden werden, indem neue Regionen, Märkte und Kundengruppen als Zielgruppe aufgenommen werden. Damit erhöhen sich das Geschäftspotenzial und die Marktdurchdringung des Produktes. Darüber hinaus entstehen Innovationen im Fall von neu angewendeten Technologien, die teilweise neue Anwendungsmöglichkeiten mit sich bringen. 280 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.2.3.5 Wirkung in Abhängigkeit der Form der strategischen Frühaufklärung Die beschriebenen Rollen werden nicht von allen Arten und Abteilungen der strategischen Frühaufklärung gleichermaßen unterstützt. Vielmehr ist zu beobachten, dass bestimmte durchgeführte Frühaufklärungsaktivitäten nur wenige Rollen wahrnehmen und entsprechend der Rollen Einfluss auf die Innovationsfähigkeit ausüben. Wie bereits in Abschnitt 6.2.2 beschrieben, wird Frühaufklärung mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausprägungen in den Strategie-, F&E-Abteilungen, Produktmanagement sowie in den Innovations- und Portfolioabteilungen durchgeführt. Zusammenfassend sind die Wirkungsweisen der einzelnen Unternehmensbereiche, in denen strategische Frühaufklärung mit unterschiedlichem Schwerpunkt durchgeführt wird, in Abb. 6-4 verdeutlicht. Im Anschluss an die Abbildung erfolgt eine ausführliche Beschreibung nach jeweiligem Unternehmensbereich. Direkte Wirkungsweise Unternehmensbereich Reduktion der Unsicherheit Widersacher Initiieren von Handlungen Strategieabteilung F&E-Abteilung Produktmanagement Innovationsabteilung Hoher Wirkungsgrad in der Funktion Kein Wirkungsgrad in der Funktion Abb. 6-4: Grad der Wirkung nach Faktoren der einzelnen Unternehmensbereiche (Quelle: Eigene Darstellung) Strategieabteilungen Die in den Strategieabteilungen durchgeführte Frühaufklärung hat meist durch die regelmäßigen Szenarioprojekte einen sehr umfassenden Charakter und bezieht mehrere Umfeldbereiche und einen langen Zeithorizont des Unternehmens ein. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Rollen wahrgenommen werden und letztlich 281 Ergebnisse der Forschungsfallstudie alle identifizierten Wirkweisen zumindest teilweise zum Tragen kommen. Der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig in der Reduktion der Unsicherheit und der Opponentenrolle. Durch die umfassenden und jedoch weniger spezifischen Szenarioprojekte kann die bisher verfolgte Innovationsstrategie und Portfolioauslastung überprüft werden. Dabei werden eben vor allem die bisherige Produktstrategie und die laufenden Innovationsprojekte bestätigt. Demzufolge haben die Geschäftsbereiche meist erkannt, wie sich die Umwelt entwickelt und entsprechend dieser Entwicklung Projekte in Gang gesetzt. Wird festgestellt, dass wichtige Felder nicht abgedeckt werden, kommt die Wirkung als Opponent zum Tragen, indem der Geschäftsbereich auf mögliche Fehlentwicklungen hingewiesen wird. Das Wirken als Initiator ist eingeschränkt zu sehen. Frühaufklärung dient zwar als Strategieinstrument und nimmt damit Einfluss auf die Strategieformulierung, wenngleich werden nur teilweise Vorfeld- und Innovationsprojekte abgeleitet. Gründe sind darin zu sehen, dass die geschäftsübergreifenden Strategieabteilungen die zu bearbeitenden Themen in die Geschäftsbereiche geben, aber nicht selbst an der Ideengenerierung beteiligt sind. Oftmals werden, im Anschluss an Szenarioprojekte, direkt in den Geschäftsbereichen Ideenworkshops durchgeführt. Teilweise definieren die geschäftsübergreifenden Abteilungen Maßnahmen, meist ist die anschließende Umsetzung mangelhaft. In diesem Zusammenhang scheitern Projekte oft, weil die Einbindung der Geschäftsbereiche nicht ausreichend war oder fehlende Ressourcen, Veränderungsbereitschaft oder Akzeptanz des Managements vorliegen. Insgesamt haben die Aktivitäten der Strategieabteilungen damit durchaus auch Potenzial Handlungen zu initiieren, dennoch wird dieses aufgrund vielfacher Einflussfaktoren nicht vollends ausgeschöpft. Diese Einflussfaktoren werden ausführlich in Kapitel 6.2.4 behandelt. Klassische F&E Abteilungen Mit F&E Abteilungen sind hier die klassischen Aufgaben gemeint. Bereiche der F&E, die sich ausschließlich mit strategischen Aspekten des Technologiemanagements beschäftigen, werden im Abschnitt zu den Innovations- und Portfolio-abteilungen behandelt. Die klassischen F&E Abteilungen generieren hauptsächlich Frühaufklärungsinformationen mit technischem Fokus über technologische Entwicklungen, aber auch Wettbewerbsinformationen. Daher kann nur in Hinblick auf diese Entscheidungsbereiche Einfluss genommen werden. Die Wirkung der in der F&E Abteilung gewonnenen Einblicke ist hauptsächlich in der Reduktion der Unsicherheit und dem Initiieren von F&E nahen Handlungen zu sehen. Die Informationen bestätigen die ausgewählten Innovations- und Entwicklungsprojekte und unterstützen zudem auch die auf Technologien bezogene Entscheidungsfindung. Die Opponentenwirkung kommt laut Fallstudienergebnisse weniger zum Tragen. Dies liegt auch daran, dass die F&E Abteilung nach technologischen Konzepten und Lösungen sucht und sich nicht selbst in Frage stellt. Insgesamt liegt der 282 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Schwerpunkt auf dem Initiieren von F&E Projekten. Sobald neue Anwendungen entdeckt werden, erforscht man diese in Entwicklungsprojekten und überprüft Nutzungsmöglichkeiten innerhalb des Produktspektrums. Produktmanagement Ähnlich wie die F&E Abteilung hat auch das Produktmanagement einen eher engen Fokus auf allgemeine markt- und produktbezogene Entwicklungen mit kürzerem Zeithorizont. Daher ist vor allem die Funktion zur Reduktion der Unsicherheit ausgeprägt. Meist sind Ideen für Produkte bereits vorhanden und müssen durch Marktentwicklungen Bestätigung finden. Dementsprechend ist auch der kurze Zeithorizont zu rechtfertigen. Das Initiieren von Handlungen wird teilweise wahrgenommen. In diesem Zusammenhang wird durch die Aktivitäten vor allem die Strategieentwicklung beeinflusst. Darüber hinaus wird die Geschäftsentwicklung vorangetrieben, indem bestehende Produkte in neue Märkte gebracht oder die technologischen Anwendungen in neue Produkte umgesetzt werden. Insgesamt werden damit aber hauptsächlich Verbesserungsinnovationen initiiert. Innovations- und Portfolioabteilungen Die Aktivitäten in den Innovations- und Portfolioabteilungen sind ähnlich umfangreich wie die der Strategieabteilungen, zumal meist ein reger Austausch an Frühaufklärungsinformationen herrscht. In Summe besteht jedoch der Vorteil, dass die Ergebnisse konkretisiert werden und durch die unmittelbare Arbeit im Geschäftsbereich selbst, also in den wesentlichen Abstimmungsrunden, zum Einsatz kommen. Dementsprechend werden alle Wirkungsweisen erfüllt und damit alle Rollen eingenommen. Die Ergebnisse dienen zur Reduktion der Unsicherheit, indem sie, wie beschrieben, bestehende Produktideen bestätigen sollen und die Entscheidungsfindung mit Hilfe von geeigneten Analysen unterstützen. Da die Umfeldentwicklungen kontinuierlich mit dem bestehenden Portfolio abgeglichen werden, führen sie ebenfalls die Funktion als Opponent aus, für den Fall, dass abweichende Ereignisse eintreten. Insofern erhöhen sie dadurch den Handlungsdruck im Geschäftsbereich. Es werden sehr viele diverse Handlungen ausgelöst. In enger Zusammenarbeit mit der F&E Abteilung und dem Produktmanagement wird die Innovationsstrategie bestimmt und Portfolioanpassungen vorgenommen. Sowohl F&E- als auch Innovationsprojekte werden auf Grund der vorliegenden Informationen veranlasst. Darüber hinaus findet auch die Ideenbewertung statt, um die internen Innovationsideen mit den aktuellen Trends und Szenarios abzugleichen. 283 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.2.3.6 Einfluss auf die Innovationsfähigkeit Die Wirkung der strategischen Frühaufklärung lässt sich anhand der vorangegangenen Diskussion in Abhängigkeit der vorab beschriebenen Mechanismen zur Unsicherheitsreduktion, Widersacher- und Initiatorrolle beschreiben. Darüber hinaus lassen sich mit Hilfe der vorgenommenen Typen der strategischen Frühaufklärung in Abhängigkeit vom Ausmaß ebenfalls Ursache-Wirkungszusammenhänge herleiten und feststellen. Diese Zusammenhänge werden im Folgenden dargelegt. Einfluss nach direkter Wirkungsweise Als direkte Einflussnahme der Frühaufklärung sind drei direkte Wirkungen, wie vorab beschrieben, identifizierbar: die Reduktion der Unsicherheit, der Widersacher und das Initiieren von Handlungen im Innovationsmanagement. Diese bewirken eine unterschiedliche Beeinflussung der Innovationsfähigkeit, mit deren beiden Hauptmechanismen Exploration und Exploitation. Zusammenfassend sind die Wirkungen in Abb. 6-6 dargestellt. Direkte Wirkung Reduktion der Unsicherheit Wirkung(-spotenzial) Innovationsfähigkeit • Moderierend auf Exploitation und Exploration • Exploration Widersacher Initiator im Innovationsmanagement Abb. 6-5: • Exploitation • Exploration Einflussnahme nach direkter Wirkweise (Quelle: Eigene Darstellung) Der erste direkte Einfluss der strategischen Frühaufklärung wirkt sich nur indirekt auf Exploitation und Exploration aus. Die Reduktion der Unsicherheit als Bestätigung für neue sowie bestehende Produkte und als Unterstützung der Entscheidungsfindung übt eine Moderatoren-/Mediatorenrolle aus. Die bestehenden Innovationsideen, die sowohl Exploitation als auch Exploration fördern können, werden durch das Informationsinstrument Frühaufklärung validiert und bestärkt. Dienen die Informationen der Unterstützung des bisher eingeschlagenen Innovationsweges und 284 Ergebnisse der Forschungsfallstudie liegen keine Informationen über disruptive Veränderungen vor, wird Exploitation gefördert. Demnach liefert Frühaufklärung Informationen, dass Trends für bestehende Produkte weiterbestehen und es erfolgt eine kontinuierliche Reinvestition in bestehende Fähigkeiten und Kompetenzen. Liegen bereits erste Ideen für radikale Produkte vor, prüft man deren Geschäftspotenzial und Timing mit Hilfe von Frühaufklärungsinformationen. Liefern diese wiederum Bestätigung, erfolgt die Investition in neue Fähigkeiten, die anschließend Exploration begünstigen. Generell wirkt die strategische Frühaufklärung indirekt als Entscheidungsunterstützung, um die Exploration und Exploitation betreffenden Entscheidungen zu fundieren. Die Funktion des Widersachers hat ganz klar zum Ziel, ausschließlich Exploration zu fördern, indem das Unternehmen mit Veränderungsbedarf konfrontiert wird. Trends und das bestehende Portfolio werden abgeglichen und Portfoliolücken identifiziert. Diese Lücken zu füllen, bedeutet den Aufbau und die Investition in neue Fähigkeiten, wodurch wiederum Exploration gefördert wird. Wie beschrieben haben vor allem bereichsübergreifende Tätigkeiten diese Wirkung auf die Geschäftsbereiche. Nichtsdestotrotz konnte anhand der Falluntersuchungen nicht eindeutig belegt werden, dass die Innovationsfähigkeit in der Realität beeinflusst wird. Die Interviews machten zwar deutlich, dass radikale Innovationsideen aus der Frühaufklärung identifiziert und weiter verfolgt werden, es ist aber nicht immer klar, ob das Ausmaß ausreicht. Das Potenzial dazu besteht zweifelsohne, jedoch ließen sich radikale Innovationsprojekte selten eindeutig auf die Initiativen der Funktion des Widersachers zurückverfolgen. Darüber hinaus hindern die vielen Einflussfaktoren, die in 6.2.4 beschrieben werden, die Umsetzung der radikalen Innovationsideen. Insgesamt kann damit nicht klar das Ausmaß der Beeinflussung bestimmt werden, wenngleich die Möglichkeiten zur radikalen Veränderung vorhanden sind. Am direktesten ist der Einfluss der strategischen Frühaufklärung durch das Initiieren von Handlungen auszumachen. In diesem Zusammenhang dient die mit Hilfe der Frühaufklärung erarbeitete Innovationsstrategie zum allgemeinen Festlegen des Rahmens für Exploitation und Exploration. Je nachdem, welcher Fokus dabei gelegt wird, können somit beide Mechanismen gefördert werden, aber nur wenn die Einflussfaktoren vorteilig ausfallen (siehe dazu auch 6.2.4) Die Innovationsstrategie entscheidet zwar noch nicht direkt über den Aufbau von neuen oder die Rechtfertigung von alten Fähigkeiten, legt aber Bereiche fest, die die Ideengenerierung anleiten oder Ideen bewerten. Die identifizierten Ideen, die durch die Frühaufklärung entstehen, fördern ebenso je nach Neuartigkeit einen der beiden Mechanismen. Werden vollkommen neue Kundenbedürfnisse oder Technologien entdeckt, handelt es sich um eine radikale Idee, die meist mit neuen Fähigkeiten im Unternehmen verbunden ist. Bei Trends, die bestehende Fähigkeiten verstärken, wird Exploitation positiv beeinflusst. Die Bewertung von Innovationsideen mit Hilfe der Frühaufklärungsinformationen wirkt ähnlich wie die Funktion zur Reduktion der Unsicherheit 285 Ergebnisse der Forschungsfallstudie nur indirekt. Je nach Art der Innovationsidee und Bewertungsschema dient die Frühaufklärung zur Bestärkung oder Ablehnung der Idee. Bei Bestärkung der Idee wird ggf. Exploitation oder Exploration ausgelöst. Ebenso fördert das Initiieren von Vorfeld- und F&E-Projekten je nach Art des Projektes sowohl Exploitation und Exploration. Vorfeldprojekte sind ja Projekte, die noch in der Anfangsphase einer Technologie sind. Bei erfolgreicher Erprobung entstehen somit eher Technologien und Anwendungen, die radikaler Natur sind. Gleichzeitig werden Technologien erforscht, die weniger neu sind und meist nur einzelne neue Details enthalten, weshalb auch hier auf bestehende Technologiekompetenzen aufgebaut wird. Dementsprechend wird Exploitation gefördert. Geschäftsausweitung bzw. -entwicklung führt tendenziell zur Exploitation, weil bestehende Anwendungen nur in einem neuen Kontext genutzt werden. Insgesamt lassen sich, beruhend auf diesen Ausführungen, zwei Hypothesen ableiten, die die Wirkungsweise konkretisieren. H1: H2: Strategische Frühaufklärung beeinflusst Exploitation und Exploration positiv. Bei vorhandenen Innovationsideen wirkt strategische Frühaufklärung als Moderator. Wie schon bereits in den aufgestellten Thesen aus Kapitel 4 vermutet, bewirkt strategische Frühaufklärung damit eine positive Beeinflussung der Innovationsfähigkeit mit den Mechanismen Exploitation und Exploration, wenngleich die Einflussfaktoren so ausfallen müssen, dass dies möglich ist (siehe 2.2.4). Frühaufklärungsaktivitäten helfen dabei Potenzial für radikale und inkrementelle Innovationsideen zu finden und damit Investitionen in die bestehenden oder neuen Innovationskompetenzen zu fördern. Anders als mit den Thesen erwartet, kann aber nicht bestätigt werden, dass es generell zu mehr Exploration kommt. Auch wenn die Funktion des Widersachers so ausgelegt ist, dass mehr Exploration gefördert wird, können die Ergebnisse diesen Zusammenhang nicht zweifelsfrei nachweisen. Das liegt vor allem daran, dass diese Rolle durch bereichsübergreifende Tätigkeiten ausgeübt wird und damit die Ergebnisse zunächst in einzelne Geschäftsbereiche transferiert und akzeptiert werden müssen. Dieser Zusammenhang wird nochmal ausführlich in Kapitel 6.2.4 dargestellt. Neu ist in diesem Zusammenhang die identifizierte Moderatorenrolle. Somit dient die strategische Frühaufklärung in verschiedenen Rollen als Validierung für vorab generierte Ideen und hilft somit zu bestimmen, ob die Idee zu den Entwicklungen in der Unternehmensumwelt passend ist. 286 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Einfluss nach Typisierung des Ausmaßes der Frühaufklärung Neben den direkten Faktoren der Einflussnahme kann die Wirkung der strategischen Frühaufklärung auch in Abhängigkeit des Ausmaßes dargestellt werden. Das Ausmaß der Frühaufklärung wird, wie bereits geschildert, durch die Typen beschränkter Frühaufklärer, Front-End Frühaufklärer und den traditionellen Frühaufklärer beschrieben. Abb. 6-6 fasst die Ergebnisse hierzu zusammen. Typen der Frühaufklärung nach Ausmaß Umsetzungspotenzial Tatsächliches Ergebnis Exploitation Exploration Exploitation Exploration Traditionalist Front-End Frühaufklärer Eingeschränkter Frühaufklärer Barrieren Abb. 6-6: • Innovationskultur • Entscheidungsprozesse • Schnittstelle • Ressourcen Einfluss der Frühaufklärung auf das Potenzial und tatsächliche Ergebnis (Quelle: Eigene Darstellung) Beim traditionellen Frühaufklärer führen die Ergebnisse der strategischen Frühaufklärung insgesamt zu mehr Exploitation. Durch das gewählte Ausmaß der strategischen Frühaufklärung werden hier mehr inkrementelle Innovationslösungen gefunden, die auf bestehende Innovationsfähigkeiten aufbauen. Aufgrund der Einschränkungen, die in Hinblick auf Informationsgenerierung und Organisation vorgenommen werden, besteht insgesamt die Gefahr, dass Zeichen für radikale Innovationen übersehen werden. Der Front-End Frühaufklärer verfügt über das größte Potenzial, die Ergebnisse der Frühaufklärung zu nutzen. Die Systeme der Frühaufklärung sind sowohl in Hinblick auf die Informationsgenerierung als auch Organisation am umfassendsten ausgeprägt. Daher werden viele inkrementelle und radikale Innovationsimpulse aufgespürt. Da die bereichsübergreifenden Themen integriert werden, können radikale Ideen besser zum Tragen kommen. Insgesamt lässt sich jedoch keine Aussage tref287 Ergebnisse der Forschungsfallstudie fen, inwiefern beim Front-End Frühaufklärer mehr Exploration bewirkt wird. Zwar wird der Bedarf für radikale Innovationen deutlicher herausgestellt, jedoch kam es in den Fällen nicht zu deutlich mehr radikalen Innovationsprojekten, allein das radikale Innovations-potenzial wird verbessert. Wie bei allen Formen wird auch hier wieder Exploitation gefördert. Angemerkt sollte dazu werden, dass durch Frühaufklärung vor allem auch der Zeitpunkt für Innovationen verbessert wird. In diesem Zusammenhang kann es vorkommen, dass zwar radikale Innovationsideen gefunden werden, diese aber noch nicht an den Markt gebracht werden, weil der Markt noch nicht vollends entwickelt wurde und noch inkrementelle Innovationen eingeführt werden können. Der beschränkte Frühaufklärer führt naturgemäß wenig Frühaufklärung durch. Demzufolge ist der Einfluss der Frühaufklärung auf Exploitation und Exploration entsprechend gering. Die begrenzte Durchführung der technologieorientierten Frühaufklärung wirkt sich vor allem auf die Exploitation aus. Es wird angegeben, dass die bestehenden Innovationskompetenzen für das neue Umfeld genutzt wurden und weiter ausgebaut werden. Dies liegt auch nahe, denn der beschränkte Frühaufklärer ist in den Fällen eingesetzt, wo ein neuer Unternehmensbereich gegründet wurde und das Umfeld durch eine hohe Dynamik geprägt ist. Bei der Gründung werden die bestehenden Innovationskompetenzen des Unternehmens genutzt und in dem neuen Umfeld angewendet. Da die Neugründung ohnehin mit vielen Risiken behaftet ist und der Bereich sich zudem erst beweisen muss, wird der Fokus per se auf Exploitation gelegt. Daher werden die anderen Funktionen der Frühaufklärung hier auch nicht ausgeführt. Anhand der Falluntersuchung wird insgesamt deutlich, dass eine Unterscheidung des Grades der Beeinflussung zwischen Umsetzungspotenzial und tatsächlicher Beeinflussung besteht. Das Umsetzungspotenzial ist bei dem Front-End-Frühaufklärer am größten. In der Realität lässt sich die größte Beeinflussung in Abhängigkeit der Typen nicht eindeutig bestimmen, da das Wirkungsgefüge zu groß ist. Die identifizierten Barrieren haben demnach vor allem radikale Innovationsideen verhindert. Damit ist der Einfluss auf die Exploration weitaus geringer als erwartet. Das Unternehmen neigt insgesamt vielmehr dazu, die aufgegriffenen Trends zu einer verstärkten Exploitation zu benutzen als neue Wege zu beschreiten. Nichtsdestotrotz kommt ein Interviewpartner zum Schluss, dass die wenigen radikalen Innovations-projekte, die durchgesetzt werden, ausreichend sind. Es geht dabei nicht darum, dass Exploitation und Exploration in gleichem Maße durchgeführt werden, sondern dass die radikalen Veränderungen bei ausgesuchten Projekten notwendig sind. Nicht alle radikalen Änderungen sind immer auf Frühaufklärung zurückzuführen, teilweise bestätigt sie aber die radikalen Innovationsideen. Strategische Frühaufklärung hilft vor allem das Timing zu verbessern. So wird oft genannt, dass man noch weiter inkrementell verbessern kann, ohne radikale Innovationen hervorzubringen. D.h. der 288 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Zeitpunkt der Exploration oder Exploitation wird besser bestimmt und das Unternehmen verpasst, zumindest rein theoretisch, den Zeitpunkt der Innovation nicht. Vor allem wird auch der Handlungsdruck deutlich erhöht und damit eine Entscheidung hinsichtlich der Veränderungen durch Exploration beschleunigt. Aus der Analyse zur Wirkung der strategischen Frühaufklärung in Abhängigkeit des durchgeführten Ausmaßes lässt sich damit die folgende Hypothese ableiten: H3: Je kleiner das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung, desto mehr Exploitation wird gefördert. Im Umkehrschluss bedeutet dies zugleich, dass je größer das Ausmaß der Frühaufklärung, desto mehr Potenzial für Exploration besteht. Wie schon bereits darauf hingewiesen, besteht nur mehr Potenzial. Dieses Potenzial wird nur bei der Gestaltung des kompletten Wirkungsgefüges der Frühaufklärung bestmöglich genutzt. 6.2.4 Einflussfaktoren auf die Wirkung der strategischen Frühaufklärung 6.2.4.1 Überblick über die Einflussfaktoren Aus der fallübergreifenden Analyse gehen Einflussfaktoren hervor, welche die Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit beeinflussen. Diese Faktoren werden analog zur Vorgehensweise in 3.2.5 in kontextuelle, strukturelle und prozessuale Einflussfaktoren unterteilt. Als kontextuelle Faktoren wurden die Top-Management-Unterstützung und kulturelle Aspekte identifiziert. Strukturelle Faktoren beinhalten die Dominanz des Tagesgeschäftes, Ressourcen, Entscheidungsprozesse sowie die Schnittstelle zwischen strategischer Frühaufklärung und Innovationsmanagement. Abschließend werden unter prozessualen Einflussfaktoren die Operationalisierbarkeit und die Erfassung sowie Bewertung zusammengefasst. In Abb. 6-7 sind die häufigsten Einflussfaktoren nach Kategorie und Anzahl der Nennung im Untersuchungssample veranschaulicht. 289 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Ressourcen Entschei- Manage- Beste- Dominanz Innova- OperaBeste- Wirtschaftdungs- menthender Tagestionstionalisier- hende lichkeit prozesse Attention Erfolg geschäft manager barkeit der KompeErgebnisse tenzen Filterung & Bewertung von Informationen Abb. 6-7: Einflussfaktoren und deren Häufigkeiten der Nennung im Überblick (Quelle: Eigene Darstellung) Die Beeinflussung der kontextuellen, strukturellen und prozessualen Faktoren erfolgt auf unterschiedliche Weise und lässt eine weitere Einteilung der Faktoren nach Art der Wirkungsweise zu: (1) Faktoren, die Implementierungsbarrieren für die strategische Frühaufklärung darstellen, (2) Faktoren, die nur auf die Qualität der Durchführung der strategischen Frühaufklärung und damit indirekt auf die Innovationsfähigkeit wirken und abschließend (3) Faktoren, die direkt auf die Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf Exploitation und Exploration wirken. Die beobachteten Wirkungszusammenhänge sind in Abb. 6-8 dargestellt und werden in den folgenden Kapiteln nach der Einteilung in kontextuelle, strukturelle und kontextuelle Faktoren separat erläutert, um die unterschiedlichen Wirkungs-zusammenhänge darzustellen. 290 Ergebnisse der Forschungsfallstudie TopManagementAttention Dominanz operatives Tagesgeschäft Kultur des Geschäftsbereiches •Risikobereitschaft •Entscheidungsfreude •Veränderungsbereitschaft Exploitation Strategische Frühaufklärung •Operationalisierbarkeit •Filterung und Bewertung Exploration Ressourcen Schnittstelle Frühaufklärung – Innovationsmanagement Entscheidungsprozesse Abb. 6-8: Einflussfaktoren im Wirkungsmodell (Quelle: Eigene Darstellung) 6.2.4.2 Kontextuelle Faktoren Die kontextuellen Faktoren stellen metakonzeptionelle Faktoren dar, die sowohl die strategische Frühaufklärung als auch deren Wirkung auf die Innovationsfähigkeit beeinflussen.996 Wie bereits beschrieben, konnten die Faktoren Top-ManagementUnterstützung und kulturelle Prägung identifiziert werden. (1) Top-Management-Unterstützung Die Befragten gaben vermehrt an, dass die Unterstützung des Top-Managements die Umsetzung der strategischen Frühaufklärung verbessert. Die Unterstützung des Top-Managements sagt aus, inwiefern strategische Frühaufklärung durch das Top- 996 Die kontextuellen Faktoren, die im Rahmen des Kapitels dargestellt werden, sind nicht zu verwechseln mit den Kontextfaktoren, die im Analyserahmen der Einzelfalluntersuchung aufgestellt werden. Hier geht es nur um die Faktoren, die eine Durchführung der Frühaufklärung beeinflussen. 291 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Management gefördert wird und deren Ergebnisse in der Entscheidungsfindung einbezogen werden. So gaben einige Interviewpartner an, dass strategische Frühaufklärung auf Initiativen des Top-Managements beruht. Vor allem die umfangreichen Szenarioprojekte, die enorme Ressourcen benötigen, werden dort eingeordnet. Da letztlich das Top-Management Budgetentscheidungen trifft, wird hierdurch bestimmt, in welchem Umfang eine strategische Frühaufklärung durchgeführt wird. Damit bestätigen die vorliegenden Ergebnisse die Arbeit von Nick, der als Determinante der Wirksamkeit die Unterstützung des Top-Managements aufgestellt hat. Nach seiner Aufstellung ist es förderlich, wenn der strategischen Frühaufklärung eine Priorität eingeräumt wird und damit die Zukunftssicht im Unternehmen zunehmende Bedeutung erfährt. In diesem Zusammenhang gibt Nick an, dass die TopManagement-Unterstützung die Dominanz des operativen Managements abbaut.997 Gleichzeitig kann das Top-Management die Aktivitäten der strategischen Frühaufklärung direkt über die Kommunikation der Relevanz, die Veränderung der Anreizsysteme und die Machtpromotion unterstützen.998 Insgesamt lässt sich damit folgender Zusammenhang identifizieren: H4: Die Top-Management-Unterstützung wirkt sich positiv auf die Umsetzung der strategischen Frühaufklärung aus. Darüber hinaus kann das Top-Management über die aufgeworfenen Implikationen entscheiden und beeinflusst somit direkt die Wirkung auf Exploitation und Exploration. Da die Wirkungsweise aber maßgeblich von der im Management und Unternehmen verankerten Einstellung sowie kulturellen Prägung abhängt, werden diese Wirkungsmechanismen nicht der Unterstützung des Top-Managements zugeschrieben, sondern im Folgenden als Einflussfaktor zur Kultur des Geschäftsbereiches beschrieben. Die Unterstützung des Top-Managements ist insgesamt damit kein Garant für die Nutzung im Innovationsmanagement. So gaben einige Befragte an, dass Unterstützung seitens des Managements vorhanden ist, jedoch weitere Faktoren einschränkend wirken. (2) Einstellung/Kultur des Geschäftsbereiches Die Befragungen zeigten deutlich, dass bestimmte Aspekte der Unternehmenskultur Einfluss auf die Wirkung der strategischen Frühaufklärung im Kontext des Innovationsmanagements besitzen. Diese kulturellen Aspekte beschreiben den Umgang 997 998 Vgl. Nick (2008), S. 195. Vgl. Nick (2008), S. 197; siehe auch Davis (2008), S. 181. 292 Ergebnisse der Forschungsfallstudie des Unternehmens mit neuartigen Ideen und Innovationen, die durch Frühaufklärung aufgezeigt wurden. In der Fallstudienerhebung wurden von den Interviewpartnern dazu die Eigenschaften Risikobereitschaft, Veränderungsbereitschaft und Entscheidungsfreude benannt und deren Wirkung beschrieben. Die Risikobereitschaft gibt in diesem Kontext an, inwiefern ein Unternehmen bereit ist, unsichere Innovationsideen mit schwer vorhersagbaren Ergebnissen zu verfolgen und an den Markt zu bringen. Diese unsicheren Innovationsideen besitzen radikalen Charakter. Dementsprechend werden bei geringer Risikobereitschaft vornehmlich inkrementelle Innovationen durchgeführt, deren Umsatzerwartungen absehbar sind. Die Interviewpartner haben selten explizit die mangelnde Risikobereitschaft genannt, sondern sind auf Faktoren wie den Druck der Wirtschaftlichkeit und den bestehenden Erfolg als Hemmnis eingegangen. Der Druck der Wirtschaftlichkeit beschreibt, dass die von der strategischen Frühaufklärung aufgeworfenen radikalen Ideen nicht aufgegriffen werden, weil sichere Umsätze generiert werden müssen. Ebenso verhält es sich mit dem Erfolg des bestehenden Geschäftes als Hemmnis. Bei erfolgreichem Produktgeschäft wird erwartet, dass das Unternehmen weiter Umsätze ausbaut, ohne Risiken einzugehen. Die beschriebenen Faktoren gehen deutlich mit mangelnder Risikobereitschaft einher. Insgesamt führte die mangelnde Risikobereitschaft in den Fallbeschreibungen zu einer Verstärkung des positiven Einflusses auf die Exploitation und einer Verringerung des positiven Einflusses auf die Exploration. Darüber hinaus wird die Entscheidungsfreude als Eigenschaft explizit benannt. Entscheidungsfreude verdeutlicht die Bereitschaft des Unternehmens effizient und zügig Entscheidungen zu treffen. Interviewpartner gaben an, dass die mangelnde Entscheidungsbereitschaft Entscheidungen verzögert und die Möglichkeiten der strategischen Frühaufklärung ungenutzt lässt. Maßnahmen werden so teilweise zu spät oder gar nicht umgesetzt. Der Zeitvorteil, den die strategische Frühaufklärung ermöglicht, wird somit untergraben. Erst wenn die Konkurrenz Produkte an den Markt gebracht hatte, wurde gehandelt. Insgesamt werden durch die fehlende Entscheidungsfreude weniger Projekte durchgeführt, die zu einer Ausweitung und Anpassung der Innovationsfähigkeit führen. Damit führt mangelnde Entscheidungsfreude zu einer Verringerung des positiven Einflusses der strategischen Frühaufklärung auf Exploitation und Exploration. Darüber hinaus wird von den Interviewpartnern ein gewisses Beharrungsvermögen einhergehend mit mangelnder Veränderungsbereitschaft beschrieben. Die beschriebenen Unternehmensbereiche verfolgen zum größten Teil inkrementelle Innovationen. Werden radikale Innovationsideen durch die Frühaufklärung aufgeworfen, die bestehende Produkte kannibalisieren und deren Existenz überflüssig machen, neigen die Bereiche dazu, die Innovationsidee nicht anzunehmen. Sie wählen demzufolge eher Ideen aus, die das bestehende Produkt bestätigen und die Marktposition 293 Ergebnisse der Forschungsfallstudie ausbauen. Das liegt einerseits an der mangelnden Risikobereitschaft sowie andererseits an der Fähigkeit des Unternehmens sich kontinuierlich, aber nicht nur inkrementell, zu verändern. Gleichzeitig wurde beschrieben, dass bei nicht vorhandenen Produkten, Unternehmen sehr wohl bereit sind, auch radikale Produkte auf den Markt zu bringen. Auch wenn das Unternehmen bei Portfolioausweitungen Exploration vorantreibt, müssen die Ausweitungen einen strategischen, kulturellen und technologischen Fit ergeben. Ein Interviewpartner meinte dazu, dass sich das Unternehmen „comfortable“ mit der Veränderung fühlen muss. Damit werden auch einzelne Aspekte aus der bestehenden Literatur bestätigt. In der Literatur werden einzelne kulturelle Aspekte beschrieben, jedoch nicht die moderierende Rolle auf den Einfluss auf die Innovationsfähigkeit modelliert. Rohrbeck hat eine eigene Komponente für die Frühaufklärungskultur in seinem Reifegradmodell berücksichtigt, bei der er die Eigenschaft „Willingness to test and challenge basic assumptions“ aufzählt. Bei vorhandenem Beharrungsvermögen oder mangelnder Veränderungsbereitschaft ist die Bereitschaft bestehende Annahmen zu hinterfragen auch eher gering.999 Ähnlich berücksichtigt Nick unter dem Punkt „Unternehmenskultur“ die Offenheit der Unternehmenskultur und vor allem darunter den Umgang mit Veränderungen.1000 Bei einigen Autoren wird das beschriebene Beharrungsvermögen als personelle Implementierungsbarriere der Frühaufklärung angesehen. Krystek & Müller-Stewens nennen in diesem Zusammenhang Willensbarrieren.1001 Diese Barrieren betreffen die Veränderungsbereitschaft der einzelnen Mitarbeiter. Anders als bei den Autoren dargelegt, treten diese hier nicht bei der Durchführung der strategischen Frühaufklärung auf, sondern nur bei der Umsetzung der aufgezeigten Ideen. Darüber hinaus wird hier nicht der Argumentation von Krystek & Müller-Stewens gefolgt, dass es sich ausschließlich um personelle Faktoren handelt, die einzelne Mitarbeiter beschreibt, sondern um eine unternehmensweite Einstellung zu Veränderungen. Ähnlich wie die von Krystek & Müller-Stewens dargestellten Barrieren, sind auch die von Ansoff entwickelten Filter zu sehen.1002 Sein FilterModell müsste nach den vorliegenden Ergebnissen um einen weiteren Filter ergänzt werden, nämlich den Handlungsfilter, der die Handlungsimplikationen der strategischen Frühaufklärung behindert. Zusammenfassend lassen sich die Wirkungen der kulturellen Aspekte folgendermaßen beschreiben: 999 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 88. Vgl. Nick (2008), S. 197. 1001 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 269. 1002 Vgl. Ansoff (1984), S. 335. 1000 294 Ergebnisse der Forschungsfallstudie H 5: Bei nicht vorhandener Risikofreude (a) verstärkt sich der positive Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf Exploitation und (b) verringert sich der positive Einfluss auf Exploration. H 6: Ein Mangel an Entscheidungsfreude verringert den positiven Einfluss der strategischen Frühaufklärung sowohl (a) auf Exploitation als auch (b) auf Exploration. H 7: Bei starkem Beharrungsvermögen (a) verstärkt sich der positive Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und (b) verringert sich der Einfluss auf Exploration. Zweifelsohne wirken sich auch andere kulturelle Aspekte aus, jedoch konnten diese nicht in dem Material bestätigt werden und finden hier keine nähere Betrachtung. (3) Dominanz des operativen Tagesgeschäftes Die Dominanz des operativen Tagesgeschäfts ist eine grundsätzliche weitere Herausforderung im Rahmen der Umsetzung der strategischen Frühaufklärung. 1003 Der Faktor beschreibt, inwiefern die Kurzfristigkeit des Unternehmens verhindert, dass die Zukunftssicht etabliert werden kann. Damit stellt die Dominanz des Tagesgeschäftes in der vorliegenden Analyse eine Implementierungsbarriere der Frühaufklärung dar. Interviewpartner gaben vermehrt an, dass sich innovationsbeteiligte Manager zunächst operativen Aufgaben widmen. Oft bleibt anschließend keine Zeit für die Zukunftsarbeit. Damit bestätigen sich erneut die Ergebnisse von Nick und Müller-Stewens & Lechner, die bereits die Spannungen zwischen einer Zukunftssicht, die den langfristigen Erfolg des Unternehmens sichert, und den heutigen Aufgaben, die zeitnah bearbeitet werden müssen, beschrieben haben. 1004 Eng verknüpft ist die Dominanz des Tagesgeschäftes mit der Unterstützung des Top-Managements und einer geeigneten Schnittstelle zwischen strategischer Frühaufklärung und Innovationsmanagement. Neben der Unterstützung des Top-Managements, wie eingangs beschrieben, kann auch eine eigene Innovations- oder Portfolioabteilung die Dominanz des Tagesgeschäftes verringern. Die Vorteile dieser Organisationsform werden unter 6.2.4.3 ausführlich beschrieben. 1003 1004 Vgl. Nick (2008), S. 193; Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193. Vgl. Nick (2008), S. 193; Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193. 295 Ergebnisse der Forschungsfallstudie H8: Die Dominanz des Tagesgeschäftes hindert die Durchführung einer strategischen Frühaufklärung. 6.2.4.3 Strukturelle Einflussfaktoren Die hier beschriebenen strukturellen Einflussfaktoren geben Aufschluss über die Organisation, Struktur und Ausstattung der strategischen Frühaufklärung und den daraus gewonnenen Handlungsimplikationen. Interviewpartner konnten die Schnittstelle zwischen Frühaufklärung und Innovationsmanagement, die Ressourcenausstattung und die Entscheidungsprozesse als bedeutende Faktoren nennen. (1) Schnittstelle strategische Frühaufklärung zum Innovationsmanagement Um einen optimalen Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit zu gewährleisten, muss eine geeignete organisatorische Schnittstelle, fernab des Tagesgeschäftes, existieren. Die Interviewpartner betonten in diesem Zusammenhang, dass eine eigene Innovations- oder Portfolioabteilung oder ein einzelner Innovationsmanager von Vorteil ist. Mit dieser Organisationsform ist es möglich, die Informationen aus verschiedenen Frühaufklärungsaktivitäten sowohl bereichsintern als auch -übergreifend zu sammeln und erste Implikationen daraus abzuleiten. Die oft sehr vielfältigen Informationen aus verschiedenen Abteilungen innerhalb eines Bereiches werden von einer Stelle zusammengetragen, wodurch gewährleistet wird, dass keine wichtigen Informationen verloren gehen. Zudem werden die Informationen aus bereichsübergreifenden Initiativen integriert. Darüber hinaus dient die Abteilung als Ansprechpartner für die bereichsübergreifenden Abteilungen, was sowohl die Zusammenarbeit und Unterstützung dieser Bereiche verbessert als auch die Verfolgung der Handlungsimplikationen. Die Innovationsabteilung kann sich diesen Informationen und deren Handlungsimplikationen losgelöst von operativen Aufgaben widmen. Damit wird die beschriebene Dominanz des Tagesgeschäftes umgangen. Es wird aus den Informationen Handlungsbedarf aufgezeigt und der Druck zur Veränderung erhöht. Insgesamt wird sie zu einem Sprachrohr für Portfoliolücken und Ideen, die durch strategische Frühaufklärung aufgedeckt wurden. Als Ergebnis wird eine ideale Schnittstelle zu den Entscheidungsträgern geschaffen, die alle wichtigen Informationen aus einer Hand erfahren können. Bereits Baisch hat festgestellt, dass die Erkenntnisse einer Frühaufklärung nur dann zu Veränderungen führen, wenn sinnvolle Schnittstellen zu anderen Management- 296 Ergebnisse der Forschungsfallstudie systemen existieren.1005 Die Handlungsanweisungen einer Frühaufklärung müssen den Managementsystemen zugeführt werden, um letztlich Handlungen auszulösen. Sollte dies nicht der Fall sein, nützt Frühaufklärung dem Unternehmen nichts. Wie auch eingehend in dieser Analyse beschrieben, führt auch er an, dass dadurch Doppelarbeiten vermieden werden, indem nicht nur Informationen selbst gesammelt werden, sondern auch aus anderen Bereichen aufgenommen werden.1006 Rohrbeck gibt auch an, dass ein Bestandteil die Integration in andere Prozesse sowie die formelle und informelle Verbreitung der Ergebnisse ist.1007 Dies wird durch eine sinnvolle organisatorische Anbindung garantiert. Zusammenfassend kann demnach festgestellt werden, dass die organisatorische Anbindung der strategischen Frühaufklärung die Nutzung der Ergebnisse im Innovationsmanagement vereinfacht und damit den positiven Einfluss auf die Innovationsfähigkeit verbessert. H 9: Die organisatorische Anbindung der strategischen Frühaufklärung in Form einer eigenen Innovationsabteilung oder –manager steigert die positive Wirkung auf Exploitation und Exploration. (2) Ressourcen Das Vorhandensein von Ressourcen wirkt sich sowohl auf die Durchführung der strategischen Frühaufklärung als auch auf die Wirkung auf die Innovationsfähigkeit aus. Ein Mangel an Ressourcen, finanziell wie personell, stellt laut der Untersuchung eine der größten Barrieren dar. Mangelnde Ressourcen beschränken eine umfassende Durchführung der strategischen Frühaufklärung. Diesen Zusammenhang hat bereits Davis aufgeführt, die finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcenmängel als Hindernis ansieht.1008 Die Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit wird auch eingeschränkt, indem identifizierte Maßnahmen, die Exploitation oder Exploration beeinflussen, nicht durchgeführt werden können. Wie bereits in der Analyse der Einflussfaktoren auf die Innovationsfähigkeit in Kapitel 2.2.3.4 dargelegt, werden in der bestehenden Literatur Ressourcen als entscheidende Faktoren charakterisiert.1009 Dies ist nicht nur auf einen mangelnden vorhandenen Mitarbeiterstab, der die Projekte initiieren kann, zurückzuführen. Teilweise kann die bestehende Belegschaft die neuartigen Ideen schlichtweg auf- 1005 Vgl. Baisch (2000), S. 152. Vgl. Baisch (2000), S. 152. 1007 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 115; 119. 1008 Vgl. Davis (2008), S. 187f. 1009 Siehe dazu auch Kapitel 2.2.3.4; Vgl. dazu auch Paladino (2007); Furman et al. (2002); Oltra & Flor (2003); Yam et al. (2004). 1006 297 Ergebnisse der Forschungsfallstudie grund fehlender Fähigkeiten nicht umsetzen. Neue Mitarbeiter können aufgrund der fehlenden Ressourcen nicht eingestellt werden, vor allem weil die bestehende Belegschaft nicht einfach ausgetauscht werden kann. Damit führt der beschriebene Ressourcenmangel zu einer Verstärkung der von Krystek & Müller-Stewens dargelegten Fähigkeitsbarrieren der Mitarbeiter. 1010 Vor allem die Veränderung der bestehenden Innovationsfähigkeiten in Hinblick auf Exploration ist damit nicht möglich. H 10: Ein Mangel an Ressourcen verringert die Durchführung der strategischen Frühaufklärung. H 11: Ein Mangel an Ressourcen verringert den positiven Effekt der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und die Exploration. (3) Entscheidungsprozesse Die Struktur der Entscheidungsprozesse ist ein weiterer Faktor, der das Wirken im Innovationsmanagement behindert. Entscheidungsprozesse im Unternehmen laufen nach einem geregelten Planungsprozess ab und können nicht bei Aufkommen eines Themas bearbeitet werden. Damit verzögern sich die Handlungsmaßnahmen einer strategischen Frühaufklärung. Müller-Stewens & Lechner haben die Struktur vieler Planungsprozesse als einen erschwerenden Faktor der Implementierung der Frühaufklärung identifiziert. 1011 Feste Planungsprozesse behindern Reaktionen, die auf „spontan auftretenden schwachen Signalen“1012 beruhen.1013 Damit wird die positive Beeinflussung der Innovationsfähigkeit verringert. H 12: Lange Entscheidungsprozesse verringern die positive Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und Exploration. 6.2.4.4 Prozessuale Faktoren Die aufgeführten Kriterien verbessern den eigentlichen Prozess der strategischen Frühaufklärung und seine Ergebnisse. Damit beziehen sich die folgenden Faktoren eher auf einzelne Schritte oder Kriterien, die eine Qualität der Frühaufklärung verbessern. Grundgedanke ist hierbei, dass je besser die Frühaufklärung durchgeführt 1010 Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993). Vgl. Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193. 1012 Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193. 1013 Vgl. Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193. 1011 298 Ergebnisse der Forschungsfallstudie wird, desto besser können die Ergebnisse für die Innovationsfähigkeit genutzt werden. Es wird dementsprechend Auskunft über Faktoren des Konstruktes der strategischen Frühaufklärung gegeben und eine Ableitung von Wirkungszusammenhängen zwischen diesen Faktoren und der Innovationsfähigkeit ist nicht weiter notwendig. Die aufgeführten Faktoren sind die Operationalisierbarkeit und eine strukturierte Erfassung sowie Bewertung von Informationen. (1) Operationalisierbarkeit Die Operationalisierbarkeit beschreibt das Ausmaß der Konkretheit der Ergebnisse der strategischen Frühaufklärung. Je nach Kontext müssen die Auswirkungen der Umfeldveränderungen klar aufgezeigt werden, so z.B. im Bereich des Innovationsmanagements anhand der Aufdeckung der Portfoliolücken und der Konsequenzen einzelner Entwicklungen für die Produktgruppen. Selten wurde bisher in der Literatur direkt die Operationalisierbarkeit der Ergebnisse der strategischen Frühaufklärung als Erfolgsfaktor benannt. Nick verweist lediglich im Rahmen seiner Analyse darauf, dass die Ergebnisse der Frühaufklärung zielgruppenspezifisch kommuniziert werden müssen und die Relevanz eines Issues für das Unternehmen verdeutlicht werden muss.1014 Dies ist nur möglich, wenn die Beteiligten die möglichen Auswirkungen verstehen können. Je besser die Ergebnisse der strategischen Frühaufklärung im Rahmen des Innovationsmanagements operationalisiert werden, desto größer ist der Einfluss auf Exploitation und Exploration. (2) Erfassung und Bewertung von Informationen Die Interviewpartner gaben in diesem Zusammenhang an, dass eine strukturierte Erfassung, Filterung und Bewertung von Informationen vorgenommen werden muss. Um die Informationsflut beherrschen zu können, ist es vor allem entscheidend, nur ausgewählte Informationen einzubeziehen. Die von den Interviewpartnern genannten Kriterien entsprechen den in der Literatur benannten zentralen Eigenschaften der strategischen Frühaufklärung. Demnach gehen eine Vielzahl an Autoren auf die zentralen Schritte der Erfassung, Filterung und Bewertung der Informationen ein.1015 Dementsprechend ist eine technisch saubere Durchführung dieses Schrittes Voraussetzung für die Nutzung und damit dessen Einfluss auf die Innovationsfähigkeit. 1014 Vgl. Nick (2008), S. 199. Vgl. Krystek & Müller-Stewens (1993), S. 175; Loew (1999), S. 41; Hazebrouck (1998), S. 72; Roll (2004), S. 223; Konrad (1991), S. 50ff. 1015 299 Ergebnisse der Forschungsfallstudie 6.3 Fazit der empirischen Untersuchung Ausgangspunkt des Kapitels war die Frage, welche Wirkung die strategische Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit ausübt. Diese Frage wurde durch die Darstellung der Einzelfallanalyse und der fallübergreifenden Analyse weitestgehend beantwortet. Mit Hilfe der Einzelfallanalyse war es dementsprechend möglich, alle Fälle anhand der vorab definierten Dimensionen darzustellen, um in der fallübergreifenden Analyse Muster und Wirkungszusammenhänge zu entwickeln. In der fallübergreifenden Analyse konnte klar herausgestellt werden, dass strategische Frühaufklärung längst in der Unternehmenspraxis mit teilweise lang existierenden Methoden eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang wurden jedoch einige Besonderheiten und Unzulänglichkeiten in der Nutzung offenkundig, die in der bisherigen Literatur selten adressiert wurden. Grundsätzlich ist das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung in den bereichsübergreifenden Abteilungen deutlich höher als in den Unternehmensbereichen. Vor allem werden durch die durchgeführten Aktivitäten wirklich disruptive Entwicklungen verfolgt, die eine Reaktion mit radikalen Produkten möglich machen. Trotzdem ist die Wirkung dieser Initiativen nicht unbedingt größer. Zwar werden erste Ideen ausgearbeitet, die Wirkung in den Unternehmensbereichen hängt dennoch stark von der Einbindung dieser Ergebnisse ab. Klar herausgestellt hat sich zudem, dass strategische Frühaufklärung selten nur in einem Bereich des Unternehmens durchgeführt wird. Es wurden die Bereiche F&E, Strategie, Produktmanagement und Innovation/Technologie identifiziert, immer in Verbindung mit bereichsübergreifenden Aktivitäten, die meist umfassender das Umfeld abdecken. Alle diese Bereiche führen die Frühaufklärung mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Intensitäten durch und erhalten dadurch meist unterschiedliche Ergebnisse. Erst durch Austausch und Bündelung dieser Ergebnisse kann die strategische Frühaufklärung ihr Potenzial entfalten und wirkliche Disruptionen erkennen. Auch hier gilt, dass mehr Frühaufklärung nicht zwangsweise den Einfluss auf Exploration und Exploitation vergrößert. Vielmehr sind teilweise andere Auswirkungen erkennbar oder eben Faktoren, die eine Nutzung behindern. In jedem Fall sind sich die Interviewpartner einig, dass Frühaufklärung grundsätzlich Input für die Förderung von Exploitation und Exploration liefert. Nur scheint, dass die Umsetzung in Exploration oftmals Schwierigkeiten bereitet. Daher wurden aus den Interviewaussagen Einflussfaktoren abgeleitet. Aus den Ergebnissen der fallübergreifenden Analyse wurden insgesamt 12 Hypothesen abgeleitet, die die Wirkungsweise der strategischen Frühaufklärung in einem 300 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Gefüge von Faktoren veranschaulichen und die komplexen Abläufe deutlich machen. Dieses Wirkungsgefüge wird in Abb. 6-9 dargestellt. TopManagementAttention Kultur des Geschäftsbereiches Dominanz operatives Tagesgeschäft H4 H8 (+) (-) Mangel Risikofreude Mangel Entscheidungsfreude H6 H5 (+) Beharrungsvermögen (-) H3 (-) H7 (-) (+) (-) Exploitation (+) Strategische Frühaufklärung H1, H2 (+) Exploration (+) (-) H9 H10 (+) (-) (-) Organisatorische Anbindung der Frühaufklärung Mangel an Ressourcen (-) (-) H12 Lange Entscheidungsprozesse H11 Abb. 6-9: Das vollständige Wirkungsmodell (Quelle: Eigene Darstellung) Die entwickelten Hypothesen sind zur Vervollständigung der Wirkungsmodells zusammenfassend in Tab. 6-39 veranschaulicht. 301 Ergebnisse der Forschungsfallstudie Nummer Hypothese 1 Strategische Frühaufklärung beeinflusst Exploitation und Exploration positiv. 2 Bei vorhandenen Innovationsideen wirkt strategische Frühaufklärung als Moderator. 3 Je kleiner das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung, desto mehr Exploitation wird gefördert. 4 Die Top-Management-Unterstützung wirkt sich positiv auf die Umsetzung der strategischen Frühaufklärung aus. 5 Bei nicht vorhandener Risikofreude (a) verstärkt sich der positive Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf Exploitation und (b) verringert sich der positive Einfluss auf Exploration. 6 Ein Mangel an Entscheidungsfreude verringert den positiven Einfluss der strategischen Frühaufklärung sowohl (a) auf Exploitation als auch (b) auf Exploration. 7 Bei starkem Beharrungsvermögen (a) verstärkt sich der positive Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und (b) verringert sich der Einfluss auf Exploration. 8 Die Dominanz des Tagesgeschäftes hindert die Durchführung einer strategischen Frühaufklärung. 9 Die organisatorische Anbindung der strategischen Frühaufklärung in Form einer eigenen Innovationsabteilung oder –manager steigert die positive Wirkung auf Exploitation und Exploration. 10 Ein Mangel an Ressourcen verringert die Durchführung der strategischen Frühaufklärung. 11 Ein Mangel an Ressourcen verringert den positiven Effekt der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und die Exploration. 12 Lange Entscheidungsprozesse verringern die positive Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und Exploration. Tab. 6-39: Die Hypothesen im Überblick (Quelle: Eigene Darstellung) Anhand des Wirkungsgefüges wird erkennbar, wie komplex im Kontext des Innovationsmanagement agiert wird. Die Ergebnisse stellen klar heraus, dass strategische Frühaufklärung zwar sehr wohl in der Lage ist, die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern und vor allem den richtigen Zeitpunkt für großangelegte Veränderungen abzupassen, jedoch wird dieser Einfluss durch eine Fülle von Faktoren geschwächt oder gestärkt. Diese Faktoren sind teilweise auch in der Inno- 302 Ergebnisse der Forschungsfallstudie vationsforschung vielfach beschrieben, was die hier gefundenen Ergebnisse unterstützt.1016 Insgesamt besteht der Erkenntnisgewinn aus der Fallstudienuntersuchung somit zum einen in der strukturellen Beschreibung der Organisation der strategischen Frühaufklärung in Großunternehmen und die zugrunde liegende Aufgabenteilung und Fokussierung einzelner Bereiche auf einzelne Aspekte des Umfeldscannings. So werden mit Hilfe der Ergebnisse die Treiber der strategischen Frühaufklärung, die Aufteilung der Aufgaben und der allgemeine Status Quo zur Verwendung von Frühaufklärung im Unternehmen deutlich. Darüber hinaus wird erstmalig das Wirkungsgefüge der strategischen Frühaufklärung im Zusammenhang mit der Innovationsfähigkeit dargestellt und aufgedeckt. Damit wird der bisherige Forschungsstand zu den Rollen im Innovationsmanagement konkretisiert und die allgemeine positive Wirkung sowohl auf Exploitation und Exploration anhand der zugeschriebenen Rollen aufgezeigt. 1017 Die Black Box der Beeinflussung der Innovationsfähigkeit kann somit erstmals anhand der verdeutlichten Mechanismen beschrieben werden. Darüber hinaus werden in diesem Zusammenhang vor allem Einflussfaktoren oder Barrieren, die eine Wirkung der strategischen Frühaufklärung behindern, ausgemacht und präzisiert, um vor allem der unternehmerischen Praxis Ansatzpunkte zur Verbesserung der Ausgestaltung von Frühaufklärungssystemen zu geben. 1016 1017 Einen Überblick dazu liefert Ernst (2002b) in seiner Arbeit. Vgl. Rohrbeck et al. (2007), S. 182. 303 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung 7 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung Auf Basis der Erkenntnisse aus den theoretischen Überlegungen und der empirischen Erhebung werden in diesem Kapitel Hinweise für das Management strategischer Frühaufklärung im Rahmen des Innovationsmanagements gegeben. Diese Hinweise beziehen sich auf den Analyserahmen der strategischen Frühaufklärung, die Innovationsfähigkeit, die Diversität der Frühaufklärung, den Nutzen und die Wirkung der Frühaufklärung, Treibern für die Wirkung der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement sowie den Einfluss des Branchen- und Unternehmens-kontextes auf die abgeleiteten Hinweise. Anschließend erfolgt die Beschreibung der Erkenntnisse nach Themenbereich. Analyserahmen der strategischen Frühaufklärung Der Analyserahmen bestehend aus kontextuellen Faktoren, dem Ausmaß der Frühaufklärung, der Innovationsfähigkeit und der Wirkungsweise auf die Innovationsfähigkeit hat sich prinzipiell als angemessen erwiesen. Besonders die Kriterien Informationssammlung, Organisation und Netzwerke eignen sich, um das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung zu beschreiben und decken somit zentrale Bereiche ab. Gleichwohl lassen sich einige Ergänzungen aus der vorgenommenen Untersuchung ableiten, die für eine ganzheitliche Betrachtung unerlässlich sind. Zunächst hat sich gezeigt, dass in Hinblick auf kontextuelle Faktoren, die sich auf das Unternehmen beziehen, auch die Ressourcenausstattung und die Beachtung des Top-Managements auf die Ausgestaltung der strategischen Frühaufklärung wirken. Beide Faktoren beeinflussen allgemein den Umfang der Aktivitäten. Stehen demnach nur wenige personelle wie finanzielle Ressourcen für die Frühaufklärung bereit, kann auch nur beschränkt Frühaufklärung durchgeführt werden. Darüber hinaus wird insgesamt auch der Einfluss auf die Innovationsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit selbst behindert. Nur wenn Mittel zur Implementierung der identifizierten Ideen vorhanden sind, kann die Frühaufklärung eine Verbesserung der Innovationsfähigkeit bringen. In diesem Zusammenhang sollten Ressourcen als ein wichtiger Faktor der kontextuellen Kriterien hinzugezogen werden, vor allem, um sich des möglichen Rahmens der Frühaufklärung bewusst zu werden. Bei beschränkten Ressourcen ließe sich eine derartige Frühaufklärung auf bestimmte Bereiche fokussieren und reduzieren, um vor allem auch kleinen und mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, nur sinnvolle Teilsysteme einzuführen. Ähnlich ist auch die Beachtung des Top-Managements zu betrachten. Wird Frühaufklärung durch das Top-Management als bedeutend angesehen, wird deren Umsetzung umfangreicher ausfallen und ggf. umfangreiche Szenarioprojekte initiiert. 304 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung Zudem wurden Faktoren identifiziert, die die Organisation der Frühaufklärung betreffen. Als ein erster Faktor wird der Ort der Frühaufklärung angesehen. Die Falluntersuchung identifiziert verschiedene Unternehmensbereiche, die Frühaufklärung mit unterschiedlichen Schwerpunkt und Umfang durchführen. Folglich ist es für das gesamte Wirkmodell von Bedeutung, diese Information zusätzlich zu erhalten, um Rückschlüsse auf die ausgeführten Tätigkeiten und die direkte Wirkungsweise zu bekommen. Wie auch schon in zahlreichen Arbeiten aufgezeigt, ist zu einem detaillierten Verständnis der Frühaufklärung die Methodennutzung nicht unerheblich. 1018 Die Auswahl und der Einsatz der Methoden verdeutlichen in diesem Zusammenhang die Güte der Durchführung, aber auch wiederum den durchgeführten Umfang. Einige Methoden sind somit von vornherein mit einem großem Ausmaß an Frühaufklärung verbunden, wie z.B. die Szenariomethode. Auch wenn die Methodennutzung in der vorliegenden Arbeit nicht den Schwerpunkt bildet, ist sie für ein ganzheitliches Abbild der Frühaufklärung unerlässlich. Darüber hinaus kommt der Schnittstelle zwischen Frühaufklärung und den anderen Managementsystemen eine große Bedeutung in dem Wirkungsmodell zu. Dazu reicht der einfache Verweis auf die Integration in andere Prozesse nicht aus, sondern vielmehr muss deutlich werden, wie die Schnittstelle organisiert wird. Im Rahmen dieser Arbeit hat sich beispielsweise das Vorhandensein eines Innovationsmanagers oder einer Innovationsabteilung als vorteilig erwiesen, um die Ergebnisse im Innovationsmanagement zu nutzen. Die beschriebenen Ergänzungen des Analyserahmens sind in Abb. 7-1 verdeutlicht. 1018 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009); Daheim & Uerz (2008); Gordon (1994); Cuhls (2008); Cuhls & Johnston (2008); Mietzner & Reger (2009), S. 287. 305 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung Kontextfaktoren Größe Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Unternehmenskontext Strategie Kultur Organisation Informations -sammlung •Reichweite •Tiefe •Zeithorizont •Quellen Netzwerke •Interne Netzwerke •Externe Netzwerke Branchenkontext Bezeichnung Abb. 7-1: Komplexität Form/Prozess Art der Durchführung Integration in andere Prozesse Kommunikation • Ort der Frühaufklärung • Art der Schnittstelle zu anderen Managementsystemen Ressourcen TopManagementUnterstützung • • • • Methodeneinsatz •Auswahl der Methoden •Art der Methode Ergänzung im Analyserahmen Dynamik Analyserahmen der strategischen Frühaufklärung mit vorgenommenen Ergänzungen (Quelle: Eigene Darstellung) Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Faktoren sinnvoll aufeinander abgestimmt werden müssen, um eine effektive Wirkung der Frühaufklärung zu erzielen. Hier zeigt sich in der praktischen Umsetzung der größte Verbesserungsbedarf. So wurden diese Rahmenbedingungen in der Praxis wenig beachtet, was zu einer mangelhaften Durchführung oder Nutzung führt. Meist wurden die Frühaufklärungssysteme nicht den Ansprüchen gerecht. Beispielsweise erfordert die Pionierstrategie im Innovationsmanagement ausgeprägte Frühaufklärungssysteme, um einen erheblichen Zeitvorteil zu erwirken.1019 In der Realität wurden derartige Zusammenhänge nicht beachtet. Demnach sollen die kontextuellen Faktoren als Ausgangspunkt der Gestaltung dienen, die anschließend die weiteren Faktoren bedingen. In diesem Gestal- 1019 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 127. 306 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung tungsprozess müssen darüber hinaus klare Zielvorgaben entwickelt werden, um die weiteren Faktoren des Ausmaßes abzuleiten. Wenngleich strategische Frühaufklärung als ein eigenständiges Konzept angesehen wird, ist es doch immer noch fraglich, inwiefern eine eindeutige Trennung vom Innovationsmanagement möglich ist.1020 Natürlich versucht man bereits innerhalb des Innovationsmanagements Trends und mögliche Disruptionen zu identifizieren, um Suchfelder zu identifizieren oder gar Ideen zu generieren.1021 Die strategische Frühaufklärung beansprucht diese Tätigkeit als zum Konzept gehörend, das Innovationsmanagement wiederum als Teil des Innovationsprozesses. Das Zusammenspiel dieser beiden Teilelemente wird bei der Konzeption der Innovationsfähigkeit im folgenden Abschnitt deutlich. Innovationsfähigkeit als Zusammenspiel von Exploitation und Exploration Die vorliegende Analyse hat verdeutlicht, dass Innovationen auf Grundlage von Exploitation sowie Exploration im Unternehmen entstehen und der hergestellte Zusammenhang mit inkrementellen und radikalen Innovationen in der Realität zu beobachten ist. Allerdings konnten ergänzende Aspekte aufgedeckt werden, die teilweise in Einklang mit der bisherigen Innovationsforschung liegen und diese damit weiter validieren. Die Konzeption der Metafähigkeit mit den zwei Mechanismen Exploitation und Exploration muss an bestimmte Bedingungen geknüpft werden, um den eigentlichen Mechanismus in Gang zu setzen. Wie teilweise aus der Untersuchung hervorgegangen ist, kommt es innerhalb der Innovationsfähigkeit zu einem dreistufigen Prozess: (1) Signale aus der Umwelt werden aufgenommen und verarbeitet, (2) die gewonnenen Handlungsimplikationen werden umgesetzt und (3) die eigentliche Konfiguration oder Anpassung im Sinne von Exploitation und Exploration, die letztlich den Vollzug der Handlung wiedergibt, wird vollzogen. Teece (2007) stellt analog in seiner Beschreibung der dynamischen Fähigkeit bereits fest, dass diese drei Elemente von Bedeutung sind, die entsprechend den Beschreibungen in den vorangegangenen Kapiteln für die Innovationsfähigkeit eine Rolle spielen. 1022 Dazu gehört zum einem das Element „Sensing and Shaping“, was durch strategische Frühaufklärung verbessert wird und neben „Seizing Opportunities“ auch die Rekonfiguration sowie das Managen von Gefahren, sprich letztlich die Handlungsauslö- 1020 So wird Frühaufklärung teilweise als Fähigkeit definiert, Disruptionen aufzuspüren (siehe Slaughter (1998), S. 382), was jedoch eine Grundvoraussetzung für die Anpassung der Ressourcenund Kompetenzbasis im Sinne der Innovationsfähigkeit darstellt (siehe Teece (2007), S. 1322). 1021 Vgl. Cooper (2008), S. 215. 1022 Vgl. Teece (2007), S. 1319. 307 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung sung. 1023 Dieses letzte Teilelement, das Zusammenspiel von Exploitation und Exploration, ist in der Untersuchung sehr gut zu beobachten. Ebenso zeigt sich, dass die strategische Frühaufklärung positiv die Wahrnehmung der Signale aus der Umwelt beeinflusst bzw. diese sogar selbst darstellt. Damit schafft die strategische Frühaufklärung die Grundlage für das tatsächliche Anpassen sowie Auslösen sowohl von Exploitation als auch Exploration. Nichtsdestotrotz ist die eigentliche Umsetzung der Handlung, eben diese weitere Komponente notwendig, die scheinbar nur schwer von der strategischen Frühaufklärung beeinflusst wird. Damit wird deutlich, dass Exploration und Exploitation nur beeinflusst werden, wenn alle diese Teilelemente ausgeprägt sind. Das erklärt auch, warum bei den Ergebnissen der Falldarstellung explizit darauf hingewiesen wurde, dass strategische Frühaufklärung vor allem das Potenzial zur Exploitation sowie Exploration verbessert. Andere Faktoren müssen allerdings auch ausgeprägt sein, damit eine tatsächliche Beeinflussung stattfindet. Diese Zusammenhänge sind in Abb. 7-2 dargestellt. Innovationsfähigkeit Innovationsergebnis Entscheidungs- & Umsetzungsfähigkeit Exploitation Inkrementelle Innovationen Exploration Radikale Innovationen Wahrnehmung der Umwelt • Innovationskultur • Entscheidungsprozesse • Schnittstelle • Ressourcen Abb. 7-2: Anpassung der Innovationsfähigkeit (Quelle: Eigene Darstellung) Als bedeutendes Element, um diese Umsetzungsfähigkeit in Gang zu setzen, ist die Unternehmenskultur anzusehen. Diese hat maßgeblichen Einfluss auf die Bereitschaft Exploitation und Exploration zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang 1023 Vgl. Teece (2007), S. 1334. 308 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung können auch Parallelen zu den „Core Capabilities“ und „Core Rigitidies“ geknüpft werden. Einerseits bilden kulturelle Faktoren und einzelne Strukturen einen Bestandteil der Kernfähigkeiten, andererseits behindern genau diese Faktoren die Unternehmensentwicklung bei veränderten Rahmenbedingungen. Insgesamt lässt sich damit zusammenfassend feststellen, dass es nicht ausreichend erscheint, die Innovationsfähigkeit als Metafähigkeit mit den Elementen Exploitation und Exploration darzustellen, sondern einzelne Faktoren, die vor diesen beiden Elementen zum Tragen kommen, Berücksichtigung finden müssen. Exploitation und Exploration spiegeln nur den eigentlichen Prozess der Nutzung bzw. Rekonfiguration der einzelnen Ressourcen und Fähigkeiten wider. Deutlich wird anhand der Ergebnisse, dass vorab Chancen und Risiken wahrgenommen werden müssen, was bei Teece als „Sensing und Shaping“ behandelt wird.1024 Darüber hinaus muss die Bereitschaft zur Umsetzung vorhanden sein, so dass es letztendlich wirklich zur Exploitation oder Exploration kommt. Diversität der Frühaufklärung Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Organisation der strategischen Frühaufklärung deutlich komplexer ist als bisher in der theoretischen Diskussion offenbart. Anhand der Falluntersuchung konnte gezeigt werden, dass es nicht nur ein Frühaufklärungssystem im Unternehmen gibt, sondern gleichzeitig viele verschiedene Initiativen der einzelnen Abteilungen. Wie in 6.2.3.5 diskutiert wurde, verfolgen diese zudem unterschiedliche Schwerpunkte und variieren in der Wirkung. Je größer das Unternehmen, umso komplexer werden diese Systeme, da in bereichsübergreifenden Bereichen wiederum weitere Systeme eingeführt werden. Obwohl diese Erkenntnisse nahe liegen, wurden die Zusammenhänge bisweilen, trotz der vielfältigen Betrachtungen in der Frühaufklärungsliteratur, nicht beachtet und ziehen zwei Implikationen nach sich.1025 Eine volle Wirkung auf die Innovationsfähigkeit kann nur entfaltet werden, wenn diverse Aktivitäten mit unterschiedlichem Fokus durchgeführt werden. Dazu können entweder die Ergebnisse der einzelnen Abteilungen genutzt werden oder vollständige Frühaufklärungseinheiten etabliert werden, die Informationen an die Abteilungen liefern. Nur eine umfassendere Etablierung verschiedener Aktivitäten kann gewährleisten, dass wirklich Beobachtungsbereiche genutzt werden, die disruptive Entwicklungen aufspüren und damit Potenzial für radikale Ideen bergen. Wird dahingegen nur vereinzelt gescannt, besteht die Gefahr, nur inkrementelle Verbesserungen wahrzunehmen und die eigentliche Funktion der Frühaufklärung nicht auszuführen. Darüber hinaus wird wiederum die Bedeutung der Integration aller Frühaufklärungsergebnisse offensichtlich. Nur so kön1024 1025 Vgl. Teece (2007), S. 1322. Vgl. Becker (2002); Daheim & Uerz (2008); Müller-Stewens & Müller (2009). 309 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung nen die durchgeführten Aktivitäten eine Wirkung auf die Innovationsfähigkeit entwickeln. Diese Zusammenhänge werden im Abschnitt zu den Treibern der Wirkung der strategischen Frühaufklärung beleuchtet. Nutzen und Wirkung der strategischen Frühaufklärung Der Nutzen und die Wirkung der strategischen Frühaufklärung wurden bisher kaum in empirischen Untersuchungen nachgewiesen.1026 Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind damit als Novum zu betrachten, weil sie nicht nur allgemein den Nutzen verdeutlichen, sondern auch der Wirkungsweise nachgehen. Die vorliegende Analyse unterstreicht eindeutig die innovationsfördernde Wirkung der strategischen Frühaufklärung in Hinblick auf direkt wahrnehmbare Effekte wie die Reduktion der Unsicherheit, das Aufzeigen von Veränderungsbedarf und das direkte Initiieren von Handlungen im Innovationsmanagement und in Zusammenhang mit Exploitation und Exploration. Gleichwohl müssen die Ergebnisse unter Berücksichtigung des gesamten Wirkungsgefüges differenziert betrachtet werden. Demnach konnte zunächst gezeigt werden, dass die verschiedenen Aktivitäten der Frühaufklärung drei verschiedene direkte Wirkungen verursachen, die wiederum eine unterschiedliche Wirkung auf Exploitation und Exploration ausüben. Die Unsicherheitsreduktion konnte nicht direkt auf die Innovationsfähigkeit wirken, sondern hat nur einen moderierenden Einfluss. Die Widersacherfunktion fördert ausschließlich die Exploration, wohingegen das Initiieren von Handlungen die Exploitation und Exploration verbessert. Zusammenfassend besteht damit durch die Frühaufklärung grundsätzlich das Potenzial, Exploitation und Exploration voranzutreiben. Jedoch weichen Potenzial und tatsächliche Realität deutlich voneinander ab, da oftmals deutlich weniger, vor allem in Zusammenhang mit Exploration, umgesetzt wird. Es lässt sich zwar immer noch generell ableiten, dass sowohl der Einfluss auf Exploitation und Exploration vorhanden ist, aber Exploitation wird deutlich einfacher verbessert. Hier ist zwar nicht eindeutig zu belegen, dass es nicht ohnehin zu Exploitation gekommen wäre, jedoch führt Frühaufklärung meist dazu, dass erkannt wird, dass einige inkrementelle Innovationen noch vorgenommen werden können, d.h. noch keine disruptiven Veränderungen wahrgenommen wurden, die das bestehende Verhalten in Frage stellen. Gleichzeitig kann demnach das Timing von Innovationsprojekten verbessert werden, was einen nicht zu unterschätzenden Faktor in der Gestaltung von Exploitation und Exploration ausmacht. Nichtsdestotrotz zielen vor allem großangelegte Projekte auf das Verbessern der Exploration ab, um dem Unternehmen neue Pfade aufzuzeigen und von der bestehenden Entwicklung abzurücken. Die anschließende Umsetzung scheitert dann oftmals aber an dem gesamten 1026 Vgl. Müller & Müller-Stewens (2009), S. 7; Burmeister et al. (2004), S. 119; Rohrbeck (2010), S. 182. 310 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung Wirkungsgefüge, in dem sich die strategische Frühaufklärung befindet. Daher sollten Unternehmen die Ziele von umfassend angelegten Projekten deutlich festlegen und anschließend die Zielerreichung überprüfen. In diesem Zusammenhang muss Frühaufklärung in Abhängigkeit des ganzen Unternehmenskontextes konzipiert werden. Einige Hinweise werden hierzu unter den Treibern der strategischen Frühaufklärung im folgenden Abschnitt gegeben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Nutzen in der vorliegenden Untersuchung eindeutig erkennbar ist, jedoch das Management zum sinnvollen Einsatz der Frühaufklärung viele Faktoren zu berücksichtigen hat. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Frühaufklärung über ein enormes Potenzial verfügt, die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern, jedoch eben die Rahmenfaktoren nicht beachtet werden. Daher bleibt vor allem radikales Innovationspotenzial zur Einleitung von Exploration unberührt. Treiber für die Wirkung der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement Wie bereits in den vorangegangenen Beschreibungen deutlich wurde, können auf Basis der Fallstudie allgemeine Treiber für eine wirksame strategische Frühaufklärung identifiziert werden. Diese waren teilweise bereits Gegenstand existierender Frühaufklärungsliteratur. 1027 Anders jedoch als bisher, wird der Fokus ganz klar auf den Zusammenhang mit dem Innovationsmanagement gelegt. Dadurch ergeben sich neben bekannten Treibern neue Ansätze. Identifiziert wurden insgesamt drei treibende Faktoren, die im Zusammenhang mit Frühaufklärung notwendig sind. Ein erster Überblick ist in Abb. 7-3 zu finden. Im Anschluss werden die Faktoren kurz beschrieben und erste Vorschläge zur Ausgestaltung im Unternehmen gemacht. 1027 Vgl. Baisch (2000), S. 161ff.; Nick (2008), S. 114. 311 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung Treiber Ziele Maßnahmen • Verbesserung der Schnittstellen • Innovationsabteilung/ Innovationsmanager • Involvieren von Entscheidungsträgern Unternehmenskultur • Aufbrechen und Vermindern der kulturellen Barrikaden • Langfristig: Innovationskultur verbessern • Kurzfristig: Experimentierfonds Ideenwettbewerbe Projektkreise Kommunikation des Nutzens • Kommunikation der Notwendigkeit • Quantifizierung des Nutzens • Erarbeiten und Hinterlegen von Kennzahlen • Einführung und Vergleich mit Umsetzungsquote Schnittstelle Abb. 7-3: Überblick über die Ziele und Maßnahmen der identifizierten Treiber der strategischen Frühaufklärung (Quelle: Eigene Darstellung) (1) Schnittstelle zwischen strategischer Frühaufklärung und Innovationsmanagement In der Falluntersuchung wurde vor allem der Austausch zwischen der Frühaufklärungseinheit und dem Innovationsmanagement als Schnittstelle identifiziert. Eine gute Schnittstelle führt unweigerlich zu einer Verbesserung der Nutzung der Frühaufklärungsinformationen und damit zu einem Einfluss auf die Innovationsfähigkeit. Werden die Ergebnisse nicht ausgetauscht, fehlt die Grundlage, um Reaktionen auszulösen. Wie in vielen Fällen deutlich wurde, ist die Schnittstelle zwischen den Systemen selten wirklich gut ausgeprägt. Ein regelmäßiger Austausch zwischen den Abteilungen in Form von Meetings und Workshops reicht nicht aus, um die Ergebnisse der Frühaufklärung entsprechend ihrer Bedeutung zu beachten. Damit kongruieren die Feststellungen in dieser Arbeit mit den bisherigen Erkenntnissen zu der Wirksamkeit der strategischen Frühaufklärung. 1028 In diesem Zusammenhang ist 1028 Vgl. Baisch (2000); Nick (2008); Davis (2008); Rohrbeck (2010); Roll (2004); Lasinger (2011). 312 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung hervorgehoben worden, dass die Schnittstelle zu anderen Managementsystemen gepflegt werden muss, damit Frühaufklärung einen Nutzen hervorbringen kann. 1029 Insgesamt lassen sich aus den Ergebnissen der Falluntersuchung und aus eigenen Überlegungen zwei Praktiken ableiten, die eine bessere Anbindung der Frühaufklärung ermöglichen. Als eine erste vorteilige Praktik hat sich das Vorhandensein eines Innovationsmanagers oder einer Innovationsabteilung herausgestellt. Auf diese Weise konnten verschiedene Barrieren sinnvoll abgebaut werden und die strategische Frühaufklärung besser ihre Wirkung entfalten. Innerhalb einer Innovationsabteilung oder mit einem Innovationsmanager kann die Dominanz des Tagesgeschäftes abgebaut werden, weil man dort besser die Sammlung von Frühaufklärungsinformationen und das Ableiten von Reaktionen vornehmen kann. Geschäftsübergreifende Abteilungen haben einen zentralen Anlaufpunkt in dem Geschäftsbereich, wodurch Themen wiederum eine bessere Nutzung erfahren. Darüber hinaus hat die Untersuchung ergeben, dass in den Innovationsabteilungen durch das Zusammenführen verschiedener Aktivitäten ein größeres Ausmaß an Frühaufklärung durchgeführt wird, was wiederum zur Folge hat, dass ein größerer Wirkungsgrad erreicht wird, sowohl was direkte Wirkungen als auch Wirkungen auf Exploitation und Exploration angeht. Insgesamt zeigt sich damit, dass das Potenzial für radikale und inkrementelle Innovationen deutlich größer ist. Die Innovationsabteilung fungiert zudem als Inkubator für neue Themen und Innovationsprojekte und erhöht auf diese Weise den Innovationsdruck im bestehenden Geschäft. Als eine weitere Praktik, die Anbindung der Frühaufklärung zu verbessern, bietet sich das Involvieren von Entscheidungsträgern aus den Unternehmensbereichen an. Einige Fallbeispiele haben vor allem Entscheidungsträger in den bereichsübergreifenden Tätigkeiten eingebunden, um sicher zu gehen, dass deren Einstellung zur Frühaufklärung und die Nutzung der Ergebnisse verbessert werden. Dabei müssen gezielt Entscheidungsträger ausgewählt werden, die aus verschiedenen Abteilungen des Geschäftsbereiches stammen. Nur so kann der Nutzen der Frühaufklärung in allen Bereichen kommuniziert werden und die Wirkung in verschiedenen entscheidungsrelevanten Bereichen eintreten. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, Entscheidungsträger als Mentoren für bestimmte Innovationsprojekte zu verpflichten. Damit sind sie direkt für die identifizierten Projekte verantwortlich und wären zur Nutzung der Frühaufklärungsinformation gezwungen. Zusammenfassend sind die Vor- und Nachteile der identifizierten Methoden in Tab. 7-1 aufgelistet. 1029 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 47. 313 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung Methode Vorteile Konzentration auf Trends und Entwicklungen Innovationsabteilung Abbau der Dominanz des Tagesgeschäftes Zusammenführen von verschiedenen Initiativen der Frühaufklärung Inkubator für neue Themen Involvieren der Entscheidungsträger Tab. 7-1: Kommunikation der Ergebnisse in die Geschäftsbereiche Verbesserung der Nutzung der Frühaufklärung Nachteile Ressourcenaufwand Akzeptanz im Unternehmen muss geschaffen werden Ggf. notwendige Prozessanpassungen Ressourcenengpässe bei den Entscheidungsträgern (durch andere operative Tätigkeiten) Setzt Bereitschaft zur Mitarbeit voraus Vor- und Nachteile der Methoden zur Verbesserung der Schnittstelle (Quelle: Eigene Darstellung) (2) Kultur als zentraler Treiber der Frühaufklärung und der Innovationsfähigkeit Bereits in der theoretischen Aufarbeitung der Innovations- und Frühaufklärungsliteratur wurde immer wieder die zentrale Rolle der Kultur hervorgehoben. 1030 Dies konnte im Rahmen der Falluntersuchung bestätigt werden. Die kulturellen Bedingungen spielen eine zentrale Rolle in der Nutzung der strategischen Frühaufklärung im Innovationsmanagement. Folglich ging eindeutig hervor, dass die geprüften Elemente Risikobereitschaft, Entscheidungsfreude und Offenheit gegenüber Neuem oftmals radikale Innovationsideen blockieren. Die fehlende Ausprägung führt zu einer Bevorzugung von inkrementellen Innovationsprojekten und zu einer Verbesserung der Exploitation, ohne jedoch Markterfordernisse zu respektieren. Letztendlich wird damit die Unternehmenskultur zu dem größten Hindernis, um die durch strategische Frühaufklärung identifizierten radikalen Änderungen im Unternehmen umzusetzen. Wenngleich die Unternehmenskultur ein komplexes Gefüge ist, das nicht problemlos wandel- und veränderbar ist, kann das Top-Management bei langfristiger Planung eine innovationsfreundlichere Kultur etablieren.1031 Erste Erkenntnisse finden sich dabei bei Ernst, der dazu eine Typologie von Unternehmenskulturen entwickelt hat und erste Maßnahmen definiert.1032 Nichtsdestotrotz lassen sich 1030 Siehe dazu auch 2.2.3.4 sowie 3.2.6. Vgl. Ernst (2002a), S. 28–34. 1032 Vgl. Ernst (2002a), S. 28–34; siehe dazu auch Schreyögg & Conrad (2006), S. 165. 1031 314 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung kurzfristig weitere Maßnahmen ergreifen, mit denen die Kulturbarrikaden umgangen werden. Sie wirken demnach nicht unmittelbar auf die Innovationskultur, sondern versuchen die Barrieren zu umgehen und abzumildern. Auf Basis eigener Überlegungen und ersten Ansätzen in den Fallbeispielen wurden dazu die Methode Experimentierfonds, interne Wettbewerbe und Projektkreise identifiziert. Diese werden im Folgenden kurz umrissen. Die sogenannten Experimentierfonds werden eingerichtet, um ausschließlich radikale Innovationsideen zu erforschen. Von dem jährlichen F&E Budget wird ein fester einstelliger Prozentsatz an diesen Experimentierfonds übermittelt, der dann zur freien Verfügung steht, aber grundsätzlich nur für radikale Ansätze genutzt werden kann. Damit könnten die radikalen Innovationsideen, die durch die Frühaufklärungsarbeit gefunden wurden, in den Experimentierfonds weiter bearbeitet werden und hinsichtlich Marktattraktivität und Machbarkeit bewertet werden. Anstatt die neuartigen Ideen also gleich abzulehnen, werden sie auf diese Weise weiter ausgearbeitet. Durch die weitere Bearbeitung wird die Unsicherheit durch Klärung wichtiger Aspekte reduziert und damit auch das Risiko handhabbar. Dadurch dass bestimmte radikale Ideen aufgrund kultureller Barrieren nicht einfach verworfen werden, nimmt deren Abstraktionsniveau ab. Mit sinkendem Abstraktionsniveau wird das Potenzial des Projektes deutlicher. Entscheidungsträger können anschließend besser überzeugt werden. Ideenwettbewerbe erfahren innerhalb des Innovationsmanagements im Rahmen von Open Innovation große Beliebtheit. 1033 In diesem Zusammenhang wird der Ideenwettbewerb aber nicht nur zur ausschließlichen Generierung von Ideen, sondern vielmehr zur besseren Konzeptionalisierung der radikalen Ideen herangezogen. Zentraler Bestandteil ist der Wettbewerb zwischen den einzelnen Abteilungen eines Geschäftsbereiches oder verschiedener Geschäftsbereiche, die in Form von Bonus oder Sonderbudget bei Gewinn des internen Wettbewerbes honoriert werden. Die Informationen aus den Frühaufklärungsaktivitäten werden zusammen getragen und den Abteilungen in den Geschäftsbereichen oder verschiedenen Geschäftsbereichen übergeben. Darauf aufbauend findet dort die Ideengenerierung statt, die wiederum auf radikale Projekte beschränkt wird. Nach einem ersten Auswahlprozess wird sich auf die vielversprechendsten Projekte beschränkt und ein Business Case erarbeitet, der wiederum Marktattraktivität und Ressourcenstärke behandelt. 1034 Nach einer weiteren Abstimmungsrunde werden einzelne Projekte auf Machbarkeit geprüft und ggf. ein Prototyp erstellt. Hierbei wird das beste Produkt als Gewinner prämiert. Bei 1033 Vgl. Reichwald & Piller (2009), S. 172ff. Je nach Einstufung der Neuartigkeit muss beim Business Case unterschieden werden: So ist es im Falle von radikalen Produktideen schwer möglich einen vollständigen Business Case abzuliefern. Dieser muss in diesem Zusammenhang den Erfordernissen angepasst werden. 1034 315 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung erfolgreichen Tests werden die Projekte für die Markteinführung vorbereitet. Anders als bei den Experimentierfonds muss man bei den internen Wettbewerben auf die Beteiligung der Abteilungen und Geschäftsbereiche hoffen und dementsprechend interessante Prämien zur Wahl stellen. Durch die gezielte Prämierung von radikalen Ideen werden zumindest die Barrieren zur Bearbeitung abgesetzt. Zwingende Voraussetzung hierfür ist jedoch die Unterstützung des Top-Managements und die Bereitschaft, gute Produkte am Markt einzuführen. Eine Übersicht zum Ablauf des internen Ideenwettbewerbes ist in Abb. 7-4 dargestellt. Strategische Frühaufklärung Abstimmung Initiierung Ideenwettbewerb Phase 1 Abstimmung Business Case bilden Phase 2 Abstimmung Umsetzungsvorbereitung Gewinner Markteinführung Phase 3 Abb. 7-4: Ablauf des internen Ideenwettbewerbes (Quelle: Eigene Darstellung) Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung des Umsetzungspotenzials von radikalen Produkten besteht in wechselnden Projektkreisen. Es werden abteilungsübergreifende temporäre Projektteams einberufen, die wiederum, ähnlich wie bei den internen Wettbewerben, die Aufgabe erhalten, anhand von radikalen Frühaufklärungsideen, konkrete Umsetzungspläne für die Innovation zu erarbeiten. Die Mitarbeiter können aus Traineeprogrammen und Nachwuchsförderkreisen stammen. Dies birgt den Vorteil, dass die Strukturen und die Kultur noch nicht vollends übernommen wurden und neue Sichtweisen auf Problemstellungen möglich sind. Mentoren dienen im Unternehmen dazu, als Schirmherren für identifizierte radikale Innovationsprojekte zu fungieren. Nach Generierung der radikalen Idee wird sie einem unternehmensinternen Mentor, meist aus dem mittleren bis gehobenen Management aus F&E oder Produktmanagement, zugeteilt. Dieser hat im Anschluss die Aufgabe, die weitere Ausarbeitung der Idee voranzutreiben und das Projekt zu finalisieren. In allen Fällen wird die Kulturbarriere mit Hilfe zunehmender Konkretisierung und damit abnehmenden Risiken abgebaut. Insgesamt ist bei allen Varianten aber zu beachten, dass eine Durchführung ohne Ausstattung mit Ressourcen und TopManagement-Akzeptanz sowie -Förderung nicht möglich ist. Zusammenfassend sind die Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden in Tab. 7-2 gegenübergestellt. 316 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung Methode Experimentierfonds Vorteile Nachteile Vorantreiben ausschließlich Ressourcen müssen zur Verradikaler Ideen fügung gestellt werden Zwang zur Ausarbeitung Reduktion der Unsicherheit der Ideen Interne Ideenwettbewerbe Projektkreise Konzeptionalisierung radikaler Ideen Reduktion der Unsicherheit Aufbrechen alter Strukturen und Denkmuster Konzeptionalisierung radikaler Ideen Mentoren Ideen werden durch die Mentoren vorangetrieben Verbreitung und Kommunikation des Nutzens der Frühaufklärung Bereitschaft an Wettbewerb teilzunehmen Organisation aufwendig Gewinn muss bereitgestellt werden Organisation mit erheblichen Mehraufwand für Mitglieder verbunden Bereitschaft der Mentoren notwendig Tab. 7-2: Vor- und Nachteile zur Verringerung des kulturellen Einflusses (Quelle: Eigene Darstellung) (3) Nutzen kommunizieren/quantifizieren Wie teilweise angemerkt wurde, ist der Wertbeitrag der strategischen Frühaufklärung nicht eindeutig bestimmt und damit nicht kommunizierbar. In der Praxis wurde vielfach versäumt, Beteiligte von dem Wertbeitrag zu überzeugen, wodurch die Akzeptanz und anschließend die Wirkungskraft sanken. Wie auch schon in vorangegangenen Arbeiten wird hier wieder bestätigt, dass eine quantitative Bewertung der strategischen Frühaufklärung auch im Rahmen des Innovationsmanagements schwierig und in der Praxis nicht etabliert ist.1035 Gleichwohl sollte in Hinblick auf Transparenz und unternehmensinterne Kommunikationsgründe der konkrete Nutzen verdeutlicht werden.1036 Ansatzpunkte zur Verbesserung der quantitativen Bewertung stellen z.B. die Anzahl an inkrementellen und radikalen Innovationsideen dar, die innerhalb von Szenari1035 1036 Vgl. Nick (2008), S. 188; Müller-Stewens & Lechner (2011), S. 193; Baisch (2000), S. 157. Vgl. Nick (2008), S. 188; Baisch (2000), S. 157. 317 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung oprojekten identifiziert wurden. Trotz ihrer potentiellen Wirksamkeit ist das Misstrauen gegenüber diesen Projekten besonders groß. Wenngleich der Nutzen schwer quantifizierbar ist, können konkrete Erfolgsprojekte kommuniziert werden, die aus den Aktivitäten, vor allem aus den großangelegten Szenarioprojekten, hervorgehen. Wird diese Kennziffer um eine Umsetzungsquote ergänzt, wird nicht nur der Nutzen, sondern auch das Verbesserungspotenzial deutlich. Bei geringer Umsetzungsquote kann im Unternehmen zusätzlich Druck entstehen, mehr Ideen zu realisieren. Darüber hinaus könnte eine Kennziffer für die identifizierten Chancen und Bedrohungen entwickelt werden, die wiederum an eine Umsetzungsquote gekoppelt wird. Diese sagt aus, welche Projekte z.B. nicht realisiert wurden, weil disruptive Veränderungen aufgezeigt wurden. Ein Überblick über mögliche Kennzahlen in Abhängigkeit der Wirkung der Frühaufklärung ist in Abb. 7-5 wiedergegeben. Bewertungsmöglichkeiten Reduktion der Unsicherheit Bewertung oder Quantifizierung schwer möglich Strategische Frühaufklärung Widersacher • Anzahl der Portfoliolücken • Anzahl potentieller Gefährdungen • Abbruchquote von Projekten aufgrund von Frühaufklärung Initiieren von Handlungen • Anzahl der radikalen Innovationsideen • Anzahl der inkrementellen Innovationsideen • Identifizierte Suchfelder • Anzahl der strategisch bedeutsamen Technologien Umsetzungsquote als Parameter hinzufügen Abb. 7-5: Möglichkeiten der Bewertung der strategischen Frühaufklärung (Quelle: Eigene Darstellung) Einfluss des Unternehmens- und Branchenkontextes auf die Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung Der Analyserahmen der strategischen Frühaufklärung und die Erkenntnisse zur Konzeption der Innovationsfähigkeit sind unabhängig der gewählten Unternehmens- und Branchenfaktoren. Grundsätzlich deckt der Analyserahmen alle wichtigen Faktoren zu Bestimmung der Güte der strategischen Frühaufklärung ab. Unter318 Hinweise für das Management der strategischen Frühaufklärung nehmens- und Branchenkontext werden wie veranschaulicht immer übernommen und helfen lediglich einer geeigneten Interpretation des Ausmaßes der strategischen Frühaufklärung anhand der Organisation, Informationssammlung, Netzwerke und des Methodeneinsatzes. Dies bedeutet beispielsweise, dass kleinere Unternehmen durchaus andere Organisationsansätze verfolgen können als Großunternehmen und trotzdem über ausgereifte Frühaufklärungssysteme verfügen. Ähnlich sind auch die Ergebnisse zur Diversität der Frühaufklärung sowie dem Nutzen und der Wirkung kontextunabhängig. Der Nutzen wird dabei über die Ausgestaltung der Frühaufklärungssysteme beeinflusst. Wenn dabei das Umgehen kultureller Faktoren beachtet wird, können auch diese unternehmensindividuellen Einflüsse minimiert werden. Analog dazu, ist dementsprechend die Ausführung zur Innovationsfähigkeit nicht betroffen, weil das Konzept nicht von einzelnen Rahmenbedingungen des Unternehmens abhängt, sondern allgemeine Gültigkeit hat. Die Ergebnisse zu den Treibern der strategischen Frühaufklärung müssen insgesamt jedoch im Unternehmens- und Branchenkontext gesehen werden, da hier keine allgemeine Gültigkeit festzustellen ist. Die Schnittstelle zwischen strategischer Frühaufklärung und Innovationsmanagement hängt maßgeblich von der Unternehmensgröße ab. Für mittelständische und Kleinunternehmer kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine eigene Innovationsabteilung und/oder –manager notwendig sind. In diesem Unternehmen ist der Austausch zwischen Wissens- und Entscheidungsträgern ohnehin deutlich einfacher, was eigene Abteilungen zu dem Thema überflüssig macht. Ein erfolgreicher Treiber unter diesen Rahmenbedingungen ist daher hier ausschließlich die Kommunikation der Ergebnisse. Die Unternehmenskultur als ein Kontextfaktor wirkt bedeutend auf die Wirkung der strategischen Frühaufklärung. Auch hier gilt, wenn wir ein ähnliches Umfeld wie in den untersuchten Fällen finden, d.h. eine konservative, risikoscheue Unternehmenskultur, sind die aufgeführten Hinweise anzuwenden. Eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur kann grundsätzlich die Ergebnisse einer strategischen Frühaufklärung deutlich besser nutzen, da ohnehin die Bereitschaft besteht, neue Ideen und Konzepte auszutesten. Damit entfallen die Schritte zur langfristigen Entwicklung der Innovationskultur und den kurzfristigen Lösungen mit Experimentierfonds, Ideenwettbewerbe und Projektkreisen. Abschließend lässt sich zusammenfassend feststellen, dass das Management strategischer Frühaufklärung in Hinblick auf die Verbesserung der Innovationsfähigkeit ein durchaus komplexes Gefüge darstellt. Das Management muss zur erfolgreichen Konzeption alle Einflussfaktoren überblicken und gestalten, um letztlich die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Ein ganzheitlicher Ansatz hilft dabei, alle Aspekte zu beachten und die Umsetzung kontinuierlich zu überprüfen. 319 Schlussbetrachtung 8 Schlussbetrachtung 8.1 Zentrale Ergebnisse Der Ausgangspunkt der Betrachtung war die Frage, inwiefern die strategische Frühaufklärung zu einer Verbesserung der Innovationsfähigkeit beiträgt. In vielen Unternehmen wird strategische Frühaufklärung durchgeführt, um frühzeitig Veränderungen und Trends des Unternehmensumfeldes aufzuspüren und in innovative Produkte umzusetzen. Eine umfassende Analyse der Merkmale der Innovationsfähigkeit mit Ausgangspunkt der Ressourcentheorie sowie eine Analyse der strategischen Frühaufklärung dienten als Grundlage für die Untersuchung. Die Erkenntnisse wurden in der explorativen Fallstudie genutzt. Insgesamt liefert die Arbeit einige Erkenntnisse für die Beantwortung der eingangs formulierten Forschungsfragen und Forschungsziele. Zunächst hat sich anhand der Literaturanalyse und der Falluntersuchung gezeigt, dass die Innovationsfähigkeit ein komplexes Gefüge darstellt, welches sich aber durch die Mechanismen Exploitation und Exploration abbilden lässt. Daher erscheint es zweckmäßig, nicht auf alle einzelnen, durchaus diversen, Kompetenzen eines Unternehmens einzugehen, sondern nur diese beiden Grundmechanismen zu nutzen. Nichtsdestotrotz wurde mit Hilfe der qualitativen Untersuchung deutlich, dass nicht nur diese beiden Mechanismen eine Rolle spielen, sondern auch die Umsetzungsbereitschaft im Unternehmen. Diese wird vor allem durch die Unternehmenskultur geprägt. Im Zusammenhang mit der strategischen Frühaufklärung lassen sich verschiedene Erkenntnisse feststellen. Die Mutmaßung und bisherige Annahme in der Forschung, dass sowohl branchen- und unternehmensinterne Faktoren maßgeblich das Ausmaß der Frühaufklärung beeinflussen, kann nur bedingt unterstützt werden.1037 In der Untersuchung haben Unterschiede in der Branche und in Komplexität sowie der Dynamik wenige Veränderungen im Ausmaß der strategischen Frühaufklärung aufgezeigt. Vor allem die Kontextfaktoren des Unternehmens selbst machen einen großen Unterschied in der Nutzung und dem Ausmaß der strategischen Frühaufklärung aus. Besonders die bisher nicht zum Tragen gekommenen Ressourcen und die Unterstützung des Top-Managements wirken sich hierauf aus. Bei vorhandenen Ressourcen und der Akzeptanz des Top-Managements werden auch umfangreichere Frühaufklärungssysteme implementiert. Ein Zusammenhang zwischen Innovations- 1037 Vgl. Rohrbeck (2010), S. 127. 320 Schlussbetrachtung strategie und Ausmaß der Frühaufklärung wäre wünschenswert gewesen, lässt sich aber nicht aufzeigen. Egal ob Innovationsführer oder Fast Follower, das Ausmaß verändert sich nicht signifikant. Weiterhin wurde die Frühaufklärung in Abhängigkeit von der Art bzw. des Ortes charakterisiert. Das Ausmaß konnte anhand der vier verschiedenen Abteilungen spezifiziert werden. Die vier Abteilungen sind F&E, Produktmanagement, Strategie- sowie die Innovationsabteilungen, in denen vor allem die Informationssammlung und die Organisation entsprechend der thematischen Fragestellungen variiert. Auf Grundlage der vorhandenen Aufgabenverteilung in den Abteilungen und den unterschiedlichen Intensitäten wurden drei Typen der Frühaufklärung identifiziert, der traditionelle Frühaufklärer, der Front-EndFrühaufklärer und der eingeschränkte Frühaufklärer. Der zentrale Untersuchungsgegenstand ist in der Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit zu sehen. Hierzu wurden wiederum Ergebnisse erzeugt. Die Funktionsweise der strategischen Frühaufklärung kann in direkte und indirekte Wirkungen differenziert werden. Die direkte Einflussnahme verdeutlicht hierzu, wie genau die Veränderungen der Innovationsfähigkeit zu erklären sind. Es konnten in diesem Zusammenhang drei direkte Wirkungen identifiziert werden, die auch auf die Innovationsfähigkeit wirken: die Reduktion der Unsicherheit, die Widersacherfunktion und die Initiatorrolle. In Abhängigkeit von diesen direkten Wirkungen, aber auch in Abhängigkeit von der vorab beschriebenen Art der Frühaufklärung und dem damit variierenden Ausmaß lassen sich unterschiedliche Beeinflussungen der Frühaufklärung identifizieren. Die Reduktion der Unsicherheit als direkter Einfluss wirkt moderierend auf die Innovationsfähigkeit und stärkt oder schwächt bereits vorhandene Innovationsideen und damit den Veränderungsprozess. Die Widersacherfunktion hat ausschließlich die Beeinflussung der Exploration zum Ziel, wohingegen die Initiatorfunktion sowohl Exploitation als Exploration fördert. Da nicht alle Abteilungen gleiche direkte Wirkungen auslösen, ist auch ihr Potenzial zur Beeinflussung der Innovationsfähigkeit insgesamt unterschiedlich. Zusammenfassend kann aber immer nur das Potenzial zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit beurteilt werden. Der tatsächliche Einfluss hängt von vielen anderen Einflussfaktoren ab, die eine abschließende Betrachtung erschweren. Diese Faktoren führen auch letztlich dazu, dass im Ergebnis hauptsächlich Exploitation gefördert wird und daher inkrementelle Innovationen entstehen. Auf Basis der Falluntersuchung werden schließlich Hypothesen für das Wirkungsgefüge der strategischen Frühaufklärung in Hinblick auf die Innovationsfähigkeit abgeleitet, die die Grundlage für eine quantitative empirische Untersuchung sein könnten. Diese Hypothesen fassen nochmals die Wirkungszusammenhänge zusammen und decken die Einflussfaktoren und die Art der Einflussnahme ab. Die Hypothesen sind zusammenfassend in Tab. 8-1 dargestellt. 321 Schlussbetrachtung Nummer Hypothese 1 Strategische Frühaufklärung beeinflusst Exploitation und Exploration positiv. 2 Bei vorhandenen Innovationsideen wirkt strategische Frühaufklärung als Moderator. 3 Je kleiner das Ausmaß der strategischen Frühaufklärung, desto mehr Exploitation wird gefördert. 4 Die Top-Management-Unterstützung wirkt sich positiv auf die Umsetzung der strategischen Frühaufklärung aus. 5 Bei nicht vorhandener Risikofreude (a) verstärkt sich der positive Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf Exploitation und (b) verringert sich der positive Einfluss auf Exploration. 6 Ein Mangel an Entscheidungsfreude verringert den positiven Einfluss der strategischen Frühaufklärung sowohl (a) auf Exploitation als auch (b) auf Exploration. 7 Bei starkem Beharrungsvermögen (a) verstärkt sich der positive Einfluss der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und (b) verringert sich der Einfluss auf Exploration. 8 Die Dominanz des Tagesgeschäftes hindert die Durchführung einer strategischen Frühaufklärung. 9 Die organisatorische Anbindung der strategischen Frühaufklärung in Form einer eigenen Innovationsabteilung oder –manager steigert die positive Wirkung auf Exploitation und Exploration. 10 Ein Mangel an Ressourcen verringert die Durchführung der strategischen Frühaufklärung. 11 Ein Mangel an Ressourcen verringert den positiven Effekt der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und die Exploration. 12 Lange Entscheidungsprozesse verringern die positive Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Exploitation und Exploration. Tab. 8-1: Die generierten Hypothesen (Quelle: Eigene Darstellung) Die zentralen Ergebnisse stehen im engen Zusammenhang mit dem Mehrwert der Arbeit. Dieser lässt sich anhand der Neuartigkeit und Bedeutung der Ergebnisse ableiten. Zum besseren Verständnis dieser Zusammenhänge sind Ergebnisse und Mehrwert in folgender Tabelle abschließend veranschaulicht. 322 Schlussbetrachtung Ergebnis Mehrwert/Nutzen Innovationsfähigkeit Integration der Ergebnisse RBV und der Studien zu den Einflussfaktoren zur Innovationsfähigkeit Beide Ansätze stehen in der Wissenschaftstheorie nicht mehr nebeneinander, sondern Gemeinsamkeiten können als Ausgangsbasis zur weiteren Betrachtung genutzt werden. Hervorheben der Bedeutung der Unternehmenskultur Innovationsfähigkeit sollte nicht ohne Einschätzung der Unternehmenskultur betrachtet werden. Strategische Frühaufklärung Ergänzung des Analyserahmens Strategische Frühaufklärung kann sowohl in der Theorie als auch in der Praxis ganzheitlich betrachtet werden, ohne zentrale Elemente zu vernachlässigen. Spezifizierung der Durchführung der strategischen Frühaufklärung mit Praktiken in Abteilungen, Aufgabenteilung und Typen Implementierung der Frühaufklärung im Unternehmen weiter verdeutlicht. Neue Ansätze zur Beurteilung der Unternehmenspraxis daraus erkennbar. Mangelnde Abstimmung kontextueller Faktoren und Ausmaß der Frühaufklärung Dadurch tiefere Einblicke in die eigentliche Implementierung im Unternehmen möglich. Zwar wurde Abstimmung beider Faktoren als Empfehlung gegeben, aber wird in Praxis nicht berücksichtigt. Wirkung der strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit Direkte Wirkung Nicht nur die allgemeine Wirkung auf die Innovationsfähigkeit erklärt, sondern auch die Art und Weise hervorgehoben. Damit lässt sich die Einflussnahme besser einordnen und gestalten. Einflussnahme auf Exploitation Erstmalige Klärung des Zusammenhanges, was strateund Exploration gische Frühaufklärung als Instrument zur Verbesserung identifiziert. Das gesamte Wirkungsgefüge veranschaulicht hierbei Erfolgsfaktoren. Ableitung von 12 Hypothesen, die Wirkungsbeziehungen verdeutlichen. Typen der Frühaufklärung lassen auf Umsetzungspotenzial und tatsächliche Umsetzung schließen Aus der Organisation anhand der Typen lässt sich direkt die potenzielle Einflussnahme auf Innovationsfähigkeit ableiten. Unternehmen können Organisationstyp ändern und damit verbesserte Wirkung erzielen. Tab. 8-2: Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse und des Mehrwertes der Untersuchung (Quelle: Eigene Darstellung) 323 Schlussbetrachtung 8.2 Implikationen für die Forschung Die vorliegende Untersuchung leistet einen signifikanten Beitrag in verschiedenen Forschungsfeldern mit Bezug zur Innovationsfähigkeit und strategischen Frühaufklärung und bietet Grundlagen für weitere Implikationen in der Forschung. Zunächst liefert diese Arbeit wichtige Hinweise zum Konstrukt der Innovationsfähigkeit. Die Innovationsfähigkeit wurde erstmalig in einer umfassenden Literaturanalyse untersucht und der bisherige Stand der Literatur kritisch diskutiert. Mit Hilfe der Integration des Innovations- und Ressourcenbegriffs wurden darauf aufbauend die zwei zentralen Mechanismen Exploitation und Exploration modelliert. Diese helfen die ‚Black Box’ der Innovationsprozesse und der Kompetenzanpassungen zu verstehen und direkt einen Zusammenhang zu dem Innovationsergebnis mit inkrementellen und radikalen Innovationen herzustellen. Damit bietet das Modell eine zuverlässige Grundlage für weitere Untersuchungen zur Innovationsfähigkeit. Es bietet einen einheitlichen Rahmen für kommende Arbeiten und ermöglicht zudem die Integration von Untersuchungen, die einzelne Kompetenzarten innerhalb dieser Metafähigkeit untersuchen. Die aus der fallübergreifenden Analyse stammenden Hypothesen verbessern das Verständnis zur Eignung der strategischen Frühaufklärung zur Verbesserung und zur Beeinflussung der Innovationsfähigkeit. Demnach kann zukünftige Forschung weitere Gestaltungshinweise für eine strategische Frühaufklärung untersuchen und andere Instrumente auf deren Einflussnahme hin untersuchen. Weiterhin unterstreichen die Ergebnisse die allgemeinen Aussagen zur Ambidextrie und deren Bedeutung für die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens. In diesem Zusammenhang profitieren auch die Forschungsfelder zum Veränderungsmanagement und langfristigen Erfolg von Unternehmen von dieser Arbeit. Insgesamt wird in der Untersuchung die Bedeutung der Unternehmenskultur in Hinblick auf strategische Frühaufklärung und auf die Innovationsfähigkeit deutlich. Die Unternehmenskultur gehört zu den wichtigsten Rahmenbedingungen für Innovationen und Veränderungsprozessen in Zeiten von disruptiven Entwicklungen und bedarf einer weiteren Untersuchung. Vor allem die Frage, wie die Unternehmenskultur langfristig verändert werden kann, um überlebensfähig zu bleiben, drängt sich auf. Die Hypothesen unterstützen zudem den Nutzen der strategischen Frühaufklärung. Zugleich sollten aber immer noch Controlling- und Finanzierungsinstrumente entwickelt werden, die eine Kontrolle über verschiedene Aktivitäten leisten. Die verschiedenen Orte und Aktivitäten der strategischen Frühaufklärung offenbaren zudem, dass strategische Frühaufklärung nicht immer als ein neues Konstrukt anzusehen ist, sondern schon lange in einzelnen Bereichen des Unternehmens zum Alltag 324 Schlussbetrachtung gehört. Nur großangelegte Projekte und teilweise die Zusammenführung von Informationen in den Innovationsabteilungen zur frühzeitigen Identifikation von schwachen Signalen sind neu. Zusammenfassend können das Forschungsmodell und die aufgestellten Hypothesen als Ausgangspunkt für großangelegte quantitative empirische Untersuchungen angesehen werden, um diese Annahmen zu validieren. 8.3 Implikationen für die Praxis Die Betrachtung der strategischen Frühaufklärung im Zusammenhang zur Innovationsfähigkeit lässt die Ableitung weiterer Implikationen für die Praxis zu. Als eine erste wichtige Erkenntnis für Unternehmen stellt sich heraus, dass es nicht ausreichend ist, Systeme zur Wahrnehmung von schwachen Signalen einzuführen, sondern dass das Unternehmen bereit sein muss, Erkenntnisse nutzen zu wollen. In diesem Zusammenhang haben sich vor allem die Entscheidungsprozesse und die Unternehmenskultur als hinderlich erwiesen, demnach Faktoren, die das Unternehmen selbst betreffen. In Unternehmen werden zwar einerseits Systeme eingeführt, um frühzeitig Veränderungen aufzuspüren, anderseits verpassen sie es aber auf diese Veränderungen, aufgrund zu langer Entscheidungsprozesse und der Abneigung gegenüber wirklich Neuem, zu reagieren. Um dem zu entgehen, werden bereits erste Hinweise für die Verbesserung dieser Situation gegeben und Maßnahmen vorgeschlagen, die sowohl kurzfristig als auch langfristig dem entgegenwirken und demnach die Wirkung der Frühaufklärung verbessern. Darüber hinaus zeigt sich, dass Kontextfaktoren bei der Gestaltung der Frühaufklärung mangelhafte Berücksichtigung finden. Der Umfang der Frühaufklärung sollte nach den Erfordernissen des Unternehmens und der Branche gewählt werden. Ressourcen, Strategien und die Brancheneigenschaften wirken sich auf den Umfang aus, werden aber in der Realität oft nicht gelebt. Systeme müssen so konzipiert werden, dass sie auch den Erfordernissen des Unternehmens Rechnung tragen. Insgesamt müssen daher ganzheitliche Systeme geschaffen werden. Dies zeigt sich auch bei der Wirkung der strategischen Frühaufklärung, die eine enge Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen benötigt. Da einzelne Bereiche teilweise nicht ausreichend miteinander kommunizieren oder doppelt Arbeit ausführen, kann sich die Wirkung der Frühaufklärung nicht vollends entfalten. Da das Zukunftsbild nicht unternehmensweit kommuniziert wird, wird das Potenzial der Mitarbeiter nicht genutzt. Für die Konzeption der strategischen Frühaufklärung muss zudem beachtet werden, dass unterschiedliche Maßnahmen und Aktivitäten notwendig sind, um die Innova325 Schlussbetrachtung tionsfähigkeit ganzheitlich zu beeinflussen. Um die vollständige Wirkung zu entfalten, müssen demnach verschiedene Ansätze genutzt werden. Hier zeigt sich wieder, dass ein Controlling für Frühaufklärungsprojekte essentiell ist, um Kosten und Nutzen abzuwägen. Vor allem gilt dies für großangelegte Szenarioprojekte, die viele Ressourcen verschlingen. 8.4 Weiterer Forschungsbedarf Wenngleich die Untersuchung einen enormen Beitrag zur Wirkungsweise der strategischen Frühaufklärung geleistet hat, ergeben sich für die weitere Forschung Empfehlungen. Die erste Empfehlung spricht für eine grundsätzliche Ausweitung des Untersuchungssamples. Da in diesem Fall das Sample auf bestimmte Brancheneigenschaften beschränkt wurde, lassen sich die Ergebnisse zunächst nur in diesem Branchenumfeld berücksichtigen. Innovationen sind in den gewählten Branchen hauptsächlich technologiegetrieben, dementsprechend wäre eine Untersuchung in anderen Bereichen wie Konsumgütern oder Geschäftsmodellinnovationen von Vorteil. Darüber hinaus müssen in diesem Zusammenhang die allgemeinen Wirkungszusammenhänge in einer quantitativen Untersuchung validiert werden. Nur wenn sich die Ergebnisse bestätigen lassen, kann von einer allgemeinen Gültigkeit ausgegangen werden. Zugleich erscheint es sinnvoll, die Untersuchung, neben der Gestaltung der strategischen Frühaufklärung, auch auf das Krisenmanagement auszuweiten. Da strategische Frühaufklärung nicht alle Diskontinuitäten erkennen kann, muss auch die Konzeption des Krisenmanagements eine kurzfristige Anpassung der Innovationsfähigkeit zulassen. Dementsprechend müssen bestimmte Rahmenbedingungen und Gestaltungshinweise untersucht werden. Weiterhin muss in künftigen Arbeiten beachtet werden, dass Frühaufklärung erst zeitversetzt, also später, wirkt. Um sicherzugehen, dass die beobachteten Wirkungen wirklich der Frühaufklärung zuzuordnen sind, müssen einzelne Projekte intensiv beobachtet werden. 326 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis International Standard industrial classification of all economic activities (ISIC) (2008). 4. Aufl. New York 2008. Abernathy, W.; Clark, K. (1985): Innovation: Mapping the winds of creative destruction. In: Research Policy 14 (1), S. 3–22. Adams, R. et al. (2006): Innovation management measurement: A review. In: International Journal of Management Reviews 8 (1), S. 21–47. Aguilar, F. (1967): Scanning the Business Environment. New York 1967. Akman, G.; Yilmaz, C. (2008): Innovative Capability, Innovation Strategy and Market Orientation: An Empirical Analysis in Turkish Software Industry. In: International Journal of Innovation Management 12 (1), S. 69–111. Albach, H. (Hg.) (1979): Frühwarnsysteme. Wiesbaden 1979. Albornoz, F.; Yoguel, G. 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Welche Rolle nehmen Sie in der strategischen Frühaufklärung ein? Aufgabenbereich Managementebene Unterscheidung zwischen Kunde der strategischen Frühaufklärung oder Frühaufklärungsteam Welche Rolle nehmen Sie im Innovati- Aktiv oder passiv onsmanagement ein? Themenkomplex 2: Ausmaß der strategischen Frühaufklärung Gibt es eine strategische Frühaufklärung? Vorhandensein eines formalen Prozesses In welcher Form? Wie ist Ihr Bezug zur strategischen Früh- Siehe Frage Einleitung aufklärung? Welche Umweltbereiche werden unter- Makro- vs. Mikroumwelt sucht? Wie intensiv werden die Umfeldbereiche Scanning nur in bisherigen oder angrengescannt? zenden Geschäftsfeldern oder sog. „Weißen Feldern“ XXXIX Anhang A: Interviewleitfaden Frage Kommentare Welchen Zeithorizont untersuchen Sie? Kurz-, mittel- oder langfristiger Zeithorizont Wie werden die Ergebnisse kommuni- Wie? Dokumente etc? ziert? An wen? Personenkreis im Unternehmen Welche Aktivitäten werden im Rahmen Ausmaß der Durchführung der Prozessphader Frühaufklärung durchgeführt? sen • Reine Informationsgenerierung • Analyse • Bewertung • Ableitung von Strategien und Handlungen Zu welchem primären Zweck werden z.B. Unsicherheit reduzieren, Zeit gewinTrends genutzt? nen, Chancen wahrnehmen, Überraschungen verhindern Wo ist die strategische Frühaufklärung in Gesamtgeschäftsbereichsebene, Projektder Geschäftseinheit angesiedelt? ebene Wie wird die strategische Frühaufklärung z.B. in das Innovationsmanagement in bestehende Managementsysteme integriert? Themenkomplex 3: Innovationsfähigkeit Wie würden Sie Ihre Innovationsfähigkeit bewerten? Wie sieht Ihr Innovationsmanagement aus? Erfolgreicher Innovator? (z.B. Anzahl der Innovationen, Neuartigkeit, Patente) Vorhandensein eines Prozesses, IManagers? Ziel des Innovationsprozesses (Produktinnovation, Technologie) Welche Rolle spielen zukunftsorientierte Beispiele zukunftsorientierter InformatioInformationen (Frühaufklärung) im Inno- nen: vationsmanagement? • Megatrends • Entwicklungen in gesellschaftlichen, politischen Umfeld Unterscheiden der Rollen Impulsgeber Strategieinstrument kontinuierliche DL Inwiefern trägt die strategische FrühaufBsp. klärung dazu bei, neue Ressourcen, Kom• Produktentwicklungsfertigkeiten (Propetenzen und Technologien zu akquirieren duktdesign etc.), die neu in der Branche oder aufzubauen? • Neue Management o. organisationale Fertigkeit XL Anhang A: Interviewleitfaden Frage Kommentare Falls sie nicht dazu beiträgt, wie werden diese Entscheidungen getroffen? Hilft die strategische Frühaufklärung inkrementelle und radikale Innovationen hervorzubringen? In welchen Phasen/zu welchem Zeitpunkt des Innovationsprozesses wird Frühaufklärung genutzt? Wenn Sie an die letzten 2 Innovationsprojekte denken – welche Funktion nahm die Frühaufklärung je nach Projektzeitpunkt ein? Faktoren, die Entscheidung beeinflussen Verhältnis? Unterscheidung nach Phase, Ergebnis (Art der I.) Vor der Innovation: Auslöser? Während des Projektes: Wurden SF-Infos genutzt? Themenkomplex 5: Einflussfaktoren auf die Wirkung der Strategischen Frühaufklärung Gibt es Faktoren, die eine Nutzung der Voraussetzungen oder Treiber, damit SF im strategischen Frühaufklärung im Innovati- Innovationsmanagement genutzt wird onsmanagement vereinfachen oder ermög(im Sinne von Moderatoren) lichen? Bewerten Sie folgende Einflussfaktoren nach Ihrer Relevanz: • Bereits bestehende Kompetenzen oder Wissen • Bereitgestellte Ressourcen (finanzielle, personelle) • Einstellung gegenüber strategischer Frühaufklärung • Vorhandene Erfahrung mit SF • Unterstützung durch das TopManagement • Integration in das Innovationsmanagement Fallen Ihnen weitere Faktoren ein? Gibt es ebenso Faktoren, die eine Nutzung Barrieren, die Nutzung im Innovationsmaerschweren (vergleiche auch mit oben nagement erschweren stehenden Einflussfaktoren)? Woran liegt es, dass strategische Frühaufklärung im Innovationsmanagement nicht genutzt wird? XLI Anhang B: Ergänzung zum Interviewleitfaden: Unternehmenskontext Anhang B: Ergänzung zum Interviewleitfaden: Unternehmenskontext Allgemeine Angaben 1 Geschäftsbereich/Abteilung 2 Position im Unternehmen 3 Branche 4 Umsatz des Geschäftsbereichs [ ] [ ] [ ] > 10 Mio >100 Mio > 1 Mrd 5 Mitarbeiter [ ] [ ] [ ] [ ] > 5.000 5-25.000 25-50.000 50100.000 6 Größe der F&E Abteilung [ ] [ ] [ ] 7 Größe der Frühaufklärung [ ] [ ] [ ] >2 >5 >20 Branchenkomplexität 1 Branchenstruktur Wenige, einfach zu identifizierbare Wettbewerber 2 Marktstruktur Feste Grenzen und einfache Segmentierung 3 Anzahl der Technologien Wenige, reife Technologien 4 Regulierungen (Staat) Wenige und stabile [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] Viele Wettbewerber [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] Fließende Übergänge und komplexe Segmentierung [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] Viele konvergierende [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] Viele und oft verändernde 5 Abhängigkeit von globalen Entwicklungen Gering: hauptsächlich von [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] Hoch: abhängig von heimischen Entwicklungen globalen Entwicklungen XLII Anhang B: Ergänzung zum Interviewleitfaden: Unternehmenskontext Branchendynamik 1 Schnelligkeit der Einführung radikaler Produkte/Prozesse Wenige radikale Änderun- [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] gen, nur inkrementeller Wandel 2 Kontinuität des Technologiewandels Feste Grenzen und einfache [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] Segmentierung 3 Kontinuität des Kundenwandels Stabile Entwicklung der Kun- [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] denbedürfnisse 4 Vorhersagbarkeit des Wandels Gut [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] 5 Verhalten des Wettbewerbs Vorhersagbar [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] Viele radikale Produkteinführungen Schnelles Aufkommen neuer Schlüsseltechnologien Viele neue Kundenbedürfnisse Schlecht Überhaupt nicht vorhersagbar Strategie 1 Quelle des Wettbewerbsvorteils [ ] Technologieorientierung [ ] Kundenorientierung 2 Wettbewerbsstrategie [ ] Differenzierung [ ] Kostenführer [ ] Nischenstrategie 3 Innovationsstrategie [ ] Pionierstrategie [ ] Früher Folger [ ] Später Folger 4 Unternehmenskultur Risikobereitschaft niedrig Entscheidungsfreude niedrig Offenheit ggü. Neuem niedrig Verantwortungsbereitschaft niedrig [1] [1] [1] [1] [2] [2] [2] [2] [3] [3] [3] [3] XLIII [4] [4] [4] [4] [5] [5] [5] [5] [6] [6] [6] [6] [7] [7] [7] [7] Hoch Hoch Hoch Hoch Die Innovationsfähigkeit von Unternehmen stellt einen zentralen Erfolgsfaktor dar, die vor allem durch das frühzeitige Aufspüren und Nutzen von Innovationspotential geprägt ist. Nichtsdestotrotz erschweren zunehmende Komplexität und Dynamik des Unternehmensumfeldes ein rechtzeitiges Agieren. Bekannte Unternehmensbeispiele wie Nokia und Kodak zeigen, dass Unternehmen häufig Produktwandel und damit neue Anforderungen an Innovationen verschlafen. Vor diesem Hintergrund wird die Nutzung einer strategischen Frühaufklärung diskutiert, die frühzeitig Trends und Entwicklungen aus dem Unternehmensumfeld identifiziert und geeignete Maßnahmen ableitet und damit auch in der Lage ist, die Innovationsfähigkeit von Unternehmen zu verbessern. Trotz der hohen wissenschaftlichen und praktischen Relevanz ist es bisher nicht gelungen, den Einfluss einer strategischen Frühaufklärung auf die Innovationsfähigkeit wissenschaftlich zu fundieren, um diesen Zusammenhang abschließend zu bewerten. Diese Forschungslücke wird anhand einer multiplen Fallstudienuntersuchung in internationalen Unternehmen geschlossen. Indem alle relevanten Entscheidungsträger im Prozess befragt werden, wird der Wirkungsmechanismus auf die Innovationsfähigkeit identifiziert und analysiert. Darüber hinaus werden Faktoren identifiziert, die ein Wirken der strategischen Frühaufklärung ermöglichen und verbessern. Im Ergebnis entsteht ein umfassendes Bild über das Wirken der Frühaufklärung und dessen Anwendung im Innovationsmanagement. eISBN 978-3-86309-251-1 www.uni-bamberg.de/ubp/