Existenzsicherung durch Frühaufklärung Immer wieder hört man seit einiger Zeit von „Frühaufklärung“ als einem neuen Managementtool. Was ist das eigentlich? Lohnt es, sich damit zu beschäftigen? Bringt es etwas, oder kostet er nur Geld? Sascha Pohlan hat sich an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Pohlan mit diesen Fragen beschäftigt und eine Umfrage unter KMU vorgenommen. Für unsere Zeitschrift hat er seine Überlegungen dazu zusammengefasst – mit besonderem Blick auf die KMU. Dilemma Seit es Unternehmer gibt, haben diese auch das Problem der Entscheidung unter Unsicherheit. Unter den Bedingungen fortschreitender Globalisierung nehmen Komplexität und Dynamik der externen Bedingungen immer mehr zu. Damit wird die Zeitspanne zwischen den ersten Anzeichen ungeplanter Ereignisse und deren Eintritt kürzer. Gleichzeitig verlängern sich die Reaktionszeiten der Unternehmen (Hammer: 216f.) „Schwache Signale“ als Frühindikatoren Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet das Konzept der „weak signals“. Fast immer kündigen sich künftige Ereignisse zuvor in schwachen, erst undeutlichen Signalen an. Diese Signale können sehr vielfältig sein – Anomalien, Abweichungen vom Gewohnten, das Auftauchen neuer Meinungen u.v.a. Ein Beispiel ist die Ablösung der Großrechner durch Personalcomputer, die sich vorab bereits in der zunehmenden Leistungsfähigkeit und Standardisierung von Mikroprozessoren ankündigte. Aber nicht allein die Technik, auch der Markt, die politischen und rechtlichen Bedingungen des Unternehmens unterliegen permanenten Veränderungen, die sich durch „schwache Signale“ ankündigen. Wer diese aufzunehmen und interpretieren kann – wer „das Gras wachsen hören“ kann – erwirbt damit einen Wissensvorsprung. Frühaufklärung als System Der Unternehmer, sich diesen Vorsprung verschaffen will, benötigt zweierlei: ein hinreichend sensibles Sensorium – und die Fähigkeit zur Interpretation der gewonnenen Daten. Um diesen Bedarf zu decken, wurde die Frühaufklärung als Managementtool entwickelt. Am wirkungsvollsten ist die Frühaufklärung, wenn sie in Form eines Systems betrieben wird: denn erst durch Synthese einzelner Beobachtungen bzw. Signale ergibt sich ein aussagekräftiges Bild der bevorstehenden Veränderungen. Je dichter das Netz der Sensoren, desto größer der Informationsgehalt der Daten (Hammer: 183). Die Sensoren bilden die Peripherie des Systems. Sie leiten ihre Daten an die Zentrale weiter, welche die Informationen auf ihren Frühaufklärungsgehalt prüfen und in verdichteter Form an den Systembenutzer weitergeben (Hammer: 183f.; Krystek / Müller-Stewens: 38ff.). 1 Was ist beim Aufbau eines Frühaufklärungssystems zu beachten? 1. Es müssen alle Unternehmensbereiche mitwirken – von der Entwicklung über das Marketing bis zur Buchhaltung . 2. Es müssen alle Hierarchieebenen einbezogen sein. 3. Die Mitarbeiter sind entsprechend zu schulen und zu motivieren. Arten der Frühaufklärung Von operativer Frühaufklärung spricht man bei der Erkennung kurz- bis mittelfristiger Chancen und Risiken. Hier wird meist mit einer Kombination von Kennzahlen, Hochrechnungen und speziell entwickelten Indikatoren gearbeitet, um eine größtmögliche Trefferquote zu erzielen. Die strategische Frühaufklärung zielt auf langfristige Vorhersagen von Umweltentwicklungen und Diskontinuitäten ab. Sie steht vor allem im Dienst der strategischen Unternehmensplanung. Kooperationen Das einzelne Unternehmen als Träger der Frühaufklärung hat nur begrenzte Ressourcen und einen begrenzten Horizont. Dabei können zwei oder mehr Unternehmen direkt zusammenarbeiten oder eine Institution als Zentrale gemeinsam betreiben (Krystek / G. Müller-Stewens). Erfolgreiche Vorbilder hierfür gibt es in den USA, mit dem PIMS- (Profit Impact of Market Strategies)Modell, welches vom SPI (Strategic Planning Institute), einer 1975 gegründeten „nonprofit“-Organisation, betrieben wird und inzwischenca. 450 Unternehmen und über 3000 Geschäftseinheiten als Kunden hat (Krystek / MüllerStewens: 147f.). Kreditwesen als Anwendungsgebiet der Frühaufklärung Ein typisches Anwendungsfeld für Kooperationen in der Frühaufklärung ist die Kreditwirtschaft. Das liegt zunächst im Interesse des Kreditgebers. Er möchte das Risiko, das er mit Vergabe eines Kredites eingehen, minimieren. Natürlich gehört es zu einer guten Geschäftsbeziehung, dass man sich gegenseitig mit relevanten Informationen zum Geschäftsinhalt austauscht. In diesem Fall würde der Kreditnehmer dem Kreditgeber Frühaufklärungsinformationen, die sein Unternehmen betreffen, bereitstellen, so dass der Kreditgeber das mit dem Kredit eingegangene Risiko kontrollieren kann. Aber auch der Kreditnehmer profitiert von dieser Zusammenarbeit. Er kann im Gegenzug auf das Frühaufklärungssystem des Kreditnehmers zurückgreifen. Versorgt der Kreditgeber mehrere Kreditnehmer, kann er auch die Rolle einer Zentrale, in diesem Fall eines überbetrieblichen Frühaufklärungssystems, einnehmen. Methoden der Frühaufklärung - Indikatoren - Diskontinuitätenbefragung - Szenariotechnik - Kennzahlen 2 Ist die Frühaufklärung für KMU geeignet? Es gibt es eine Reihe von Argumenten, warum die Frühaufklärung auch für KMU interessant ist. 1. Die Spezifik kleinerer Unternehmen besteht in dem Paradox, dass sie von Natur aus flexibler auf Veränderungen reagieren können – dass sie von diesen Veränderungen aber häufig erst später erfahren. Man denke nur an die völlig fehlenden Möglichkeiten zur Lobbyarbeit, aus welcher Großunternehmen einen erheblichen Wissensvorsprung erzielen. 2. Der betriebswirtschaftliche Nutzen von Investitionen in ein Frühaufklärungssystem lässt sich zwar in dem gängigen Kennzahlen schwer ausdrücken. Der Unternehmer sollte jedoch bedenken, dass sich die Frühaufklärung auf einen unmittelbaren Wettbewerbsvorteil richtet: auf die Fähigkeit, schneller als die Konkurrenz auf Veränderungen in den Existenzbedingungen des Unternehmens zu reagieren – sei es um sich vor den Gefahren durch diese Veränderungen zu wappnen, um sie für sich auszunutzen oder sie gar selber zu initiieren. 3. Die Hemmschwelle für die Einführung von Frühaufklärung wird von vielen Unternehmen überschätzt. Tatsächlich kommt vieles, was KMU tun, einer Frühaufklärung schon relativ nahe. So sind z.B. in der Gründungsplanung die Aufklärung über die Situation bei Markteintritt und die Unternehmens- und Umweltanalyse selbstverständlich. Im laufenden Unternehmensprozess werden gleichfalls Kennzahlen und Indikatoren benutzt, die als Elemente der strategischen Frühaufklärung fungieren können. Gerade junge Unternehmen sind gefährdet Diese Argumente sind im Hinblick auf junge Unternehmen noch höher zu gewichten. Bekanntlich ist die Sterblichkeit von Unternehmen in den ersten drei Jahren nach Gründung besonders hoch. Jüngste Statistiken zeigen, dass in Deutschland die Zahl der Neugründungen zwar zunimmt, ebenso aber auch die Zahl der Firmenzusammenbrüche. Die Gründe für das Scheitern sind mannigfaltig. An erster Stelle stehen Finanzierungsprobleme (57,0 %), an zweiter Stelle Mängel in Marketing und Umweltanalyse (38,6 %). An diesen wie auch einer Reihe weiterer Ursachen ist ein Faktor stets mitbeteiligt: mangelnde Kenntnis der aktuellen Umweltbedingungen und ihrer Entwicklungstendenzen. Ergebnisse der Befragung Bisher gibt es wenig konkrete Informationen zu Frage, wie verbreitet die Frühaufklärung in KMU ist bzw. welche Erfahrungen es mit ihrer Einführung und Umsetzung gibt. Über diesen Stand hinauszugehen war das Ziel einer Untersuchung, die ich im Rahmen des Forschungsprojekts „Entrepreneurship“ im letzten Quartal 2003 durchgeführt habe. Das Ziel der Befragung war die Analyse des Verbreitungsgrads und der tatsächlichen Ausprägung und Anwendungstiefe von Frühaufklärung. Unterstützt wurde die Befragung von der IHK Frankfurt/Oder sowie dem Verein Creditreform e. V., Neuss, Zweigstelle Frankfurt/Oder Die Befragung richtete sich ausschließlich an klein- und mittelständische Unternehmen. Davon gehören 30% zum Baugewerbe, jeweils 11% zum Dienstleistungsgewerbe und zum Bereich Verkehr / 3 Nachrichtenübermittlung. Das verarbeitende Gewerbe war mit 9%, sonstige Wirtschaftszweige zusammen ebenfalls mit 9% vertreten. Hier die wichtigsten Ergebnisse und Tendenzen: 1. Von den befragten mittelständischen Unternehmen betreiben 94% Frühaufklärung in der einen oder anderen Form – teils ohne sich dessen bewusst zu sein. 2. Ca. 50% betreiben die Frühaufklärung anwendungsgerecht. Von diesen gaben ca. 70% an, dass die praktizierte Frühaufklärung zu einer positiven Unternehmensentwicklung beigetragen hat. 3. Wo die Frühaufklärung nach Aussage der Unternehmen ineffektiv war, wurden fehlendes Know-how und Kapazitäten als Ursachen angegeben. In 50% dieser Fälle war die Verantwortlichkeit nicht geklärt, in 40% fehlten Voraussetzungen (z. B.: Einsicht in die Notwendigkeit von Frühaufklärung, aktives Finanzmanagment, Unternehmensplanung als Fundament für Frühaufklärung) für Maßnahmen der Frühaufklärung. 4. Doch zeigt sich in den verschiedenen Anwendungsformen der Unternehmen auch Potential für mehr als ca. 40% mit anwendungsgerechter Frühaufklärung. 5. Ca. 75% der befragten mittelständischen Unternehmen sahen in dem anwendungsgerechten Betrieb der Frühaufklärung ein Erfolgspotential zur Existenzsicherung. Diese Ergebnisse unterstreichen einerseits die relativ hohe Verbreitung und das Potential der Frühaufklärung als Mittel zur Existenzsicherung von KMU. Andererseits machen sie auch deutlich, dass eine effektive Frühaufklärung nicht „nebenbei“ betrieben werden kann, sondern erhebliche Ansprüche an die Unternehmensführung stellt. Zugleich wurde deutlich, dass sich im Urteil der befragten KMU Investitionen in diesem Bereich rentieren. Der Gesetzgeber hat die Notwendigkeit von Risikofrüherkennungs- und -überwachungssystemen erkannt. Für börsennotierte Aktiengesellschaften, Versicherungsunternehmen und Kreditinstitute hat enthält das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), § 91 (2) des Aktiengesetzes (AktG) sowie § 317 (4) des Handelsgesetzbuches (HGB) die entsprechenden Grundlagen. Nähere Informationen: Sascha Pohlan Pohlan & Partner Unternehmensberatung Hegermühlenstr. 58 15344 Strausberg 03341 / 3901 276 www.pohlan-und-partner.de [email protected] 4 Literatur - Hammer, Richard M: Strategische Planung und Frühaufklärung, München/Wien: R. OldenbourgVerlag, 1988 - Krystek, Ulrich ; Müller-Stewens, G.: Frühaufklärung für Unternehmen. Identifikation und Handhabung zukünftiger Chancen und Bedrohungen, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 1993 - Welge, Martin K. / Al – Laham, Andreas: Strategisches Management: Grundlagen – Prozess – Implementierung, 2. Auflage, Wiesbaden: Gabler, 1999 - Elbling, Oliver / Kreutzer, Christian: Handbuch der strategischen Instrumente, Wien: Oldenburgverlag, 1994 Anlagen: Schema „Ursachen des Scheitern“ Schema: „Frühaufklärungssystem“ 5