Prof. Dr. Fritz Unger Marktforschung Oktober 2015 MASTER OF BUSINESS ADMINISTRATION IM FERNSTUDIENGANG BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE Modul 1 Marketing | 1.1 Marketing als marktorientierte Unternehmensführung 1. Es kann Marketingforschung als Basis und Kontrollinstrument des Marketings zwischen Marketing- und Marktforschung unterschieden werden. Marketingforschung verstehen wir als systematische Beschaffung und Auswertung von Informationen, die dazu dienen, Entscheidungen im Marketing zu verbessern. Marketingforschung bezieht sich somit auf den gesamten Bereich des Marketings, einschließlich solcher Entscheidungen, die sich beispielsweise auf die Personalführung im Vertrieb beziehen, auf Qualitätskontrollen, auf logistische Entscheidungen und durchaus auch auf Entscheidungen aus dem Bereich der Produktion. Marktforschung ist auf solche Entscheidungen beschränkt, die Märkte betreffen, und zwar sowohl Absatz- als auch Beschaffungsmärkte. Marktforschung ist also ein Teilbereich der Marketingforschung. Der folgende Text beschränkt sich diesbezüglich im Wesentlichen auf absatzbezogene Marktforschung. Es sollen drei Aufgabenbereiche unterschieden werden: Frühwarnfunktion, Informationsbeschaffung und Kontrolle. a) In der Rolle als Frühwarnfunktion sollen Risiken rechtzeitig erkannt werden. Als sogenannte Intelligenzverstärker soll die Marketingforschung dazu beitragen, den allgemeinen willensbildenden Prozess zu unterstützen. Es sollen Unsicherheiten reduziert werden, was auch dadurch erreicht werden soll, dass Umweltsignale strukturiert werden, um aus der unüberschaubaren Fülle von Informationen zum einen die relevanten Informationen heraus zu filtern und zum anderen so zu strukturieren, dass sie für Entscheidungsträger/innen verarbeitbar werden. b) Informationsbeschaffung und -auswertung zur Beurteilung geplanter und teilweise auch bereits ausgearbeiteter Maßnahmen, vor ihrer Realisation auf dem Markt, bildet den zweiten Aufgabenkomplex. Hier finden wir das weite Feld der Werbe- und Produkttests. In diesem Fall können Produktmuster oder Werbeentwürfe von möglichen Kunden beurteilt werden. Schon hier sei darauf hingewiesen, dass aus erfolgreichen Tests keinesfalls auf einen späteren Markterfolg geschlossen werden kann. Wir können mit Hilfe der Marktforschung lediglich dafür sorgen, gravierende Fehler im Vorfeld auszuschließen. Das wird im folgenden Kapitel noch verdeutlicht. c) Ferner dient die Informationsbeschaffung der Kontrolle von Wirkungen bereits realisierter Maßnahmen auf dem Markt. Wir können an Imagestudien oder an alle Formen der Marktbeobachtung denken. 1 Wenn wir noch einmal auf den ersten genannten Bereich im Rahmen der Frühwarnsysteme zurückkommen, dann wird der Bezug zum Marketing-Controlling deutlich. Eine wichtige Aufgabe des Marketing-Controlling wird in der strategischen Frühaufklärung gesehen (vgl. Busch, Dögl & Unger, 2001, S. 50-55). Die Bedeutung der Frühaufklärung leitet sich daraus ab, dass die Kosten einer Problemlösung überproportional mit der Zeit ansteigen, die bis zur Lösung vergeht. Kühn und Fasnacht (1998) stellen mehrere Stufen strategischer Frühwarnsysteme vor. In der ersten Phase werden Abweichungen von Plänen, die nach oben oder unten über ein bestimmtes Maß hinausgehen, zum Anlass für weitere Analysen genommen. In einer zweiten Phase wird berücksichtigt, dass Planabweichungen erst spät erkennbar werden und daher statt Entwicklungen der Unternehmung selber und ihres direkten Umfeldes die tatsächlichen Ursachen für mögliche Abweichungen gesucht und beobachtet werden müssen. Ein Problem kann darin gesehen werden, die wirklich relevanten Indikatoren für Planabweichungen zu identifizieren. Kühn und Fasnacht (1998, S. 25) weisen darauf hin, dass es sehr viele mögliche Ursachenindikatoren gibt, die (selbst dann, wenn bekannt) schon aus Kostengründen nicht alle zu beobachten sind. Die Beobachtung mancher Ursachenindikatoren erweist sich als sehr aufwendig. Es ist auch nicht immer deutlich, welchen Einfluss bestimmte Ursachenindikatoren tatsächlich innehaben. In der dritten „Generation strategischer Frühwarnsysteme“, die Kühn und Fasnacht (1998, S. 25) vorstellen, wird auf die Annahme bekannter Ursachen-Wirkungs-Ketten verzichtet, da bisher unbekannte Phänomene zu erfassen seien. „Wesentliche neue Veränderungen zeigen sich häufig zunächst an sehr schwachen, schwer zu interpretierbaren Signalen, die inhaltlich noch so unstrukturiert sind, dass die ihnen zugehörigen strategischen Probleme noch gar nicht oder nur sehr schwer erkannt werden können. Es werden dazu nicht bestimmte Entwicklungen beobachtet. In regelmäßigen Abständen werden dazu größere Umfeld-Bereiche nach möglichen Veränderungen abgesucht. Würde eine Unternehmung beispielsweise laufend und gezielt die Entwicklung in einem bestimmten Handelsbereich beobachtet, so wäre dieses Verfahren nicht dazu geeignet, die Entwicklung zu erkennen, dass größere Umsatzanteile am Handel vorbei per „Electronic Commerce“ vertrieben werden. Ein weiterer Weg strategischer Frühaufklärung ist die „gezielte Suche nach spezifischen Informationen in konkret abgegrenzten Feldern im Sinne eines Monitoring“ (Kühn & Fasnacht, 1998, S. 26). Dazu kann die regelmäßige Befragung von Experten/innen 2 unterschiedlicher Bereiche dienen: das können beispielsweise Personen aus den Bereichen der Utopie-Forschung, Unternehmungsberatung, Medien, Trendforschung, breiten Wissenschaft, Öffentlichkeit, Politik, Marktforschung, Werbeagenturen usw. sein. 2. Grenzen der Marktforschung – methodologische Grundlagen In dem folgenden Kapitel wird verdeutlicht, dass Marktforschung, so wenig wie jede andere Forschung nicht dazu in der Lage ist, sichere Informationen zu liefern. Jede Forschung liefert lediglich mehr oder weniger gut bewährte, aber niemals mit Sicherheit bestätigte Informationen. Ferner wird verdeutlicht, dass jede Forschung von Hypothesen ausgeht und damit niemals unvoreingenommen sein kann. Objektive Forschung ist nicht unvoreingenommene, sondern intersubjektiv nachprüfbare Forschung. Wir beziehen uns damit auf den kritischen Rationalismus (Albert, 2000 b). Danach kann eine Aussage niemals endgültig auf Wahrheit oder Irrtum überprüft werden. Das dürfte eine der wichtigsten Schlussfolgerungen aus dieser Philosophie sein. Wir lernen den Fallibilismus kennen, als eine Denkhaltung, wonach wir nur aus Fehlern lernen, wir erfahren außerdem, dass die Induktion keine Erkenntnis liefern kann. Die wichtigste Schlussfolgerung für das Marketing ist, dass Marktforschung in erster Linie keine Entscheidungssicherheit liefern kann, sondern systematische Suche nach Fehlern ist. Auch Markterfolg schafft keine Sicherheit. 2.1 Die Ausgangssituation Immer wieder zeigt sich, dass trotz umfangreicher Marktforschung Gefahren nicht rechtzeitig erkannt worden sind, bzw. dass Chancen übersehen wurden. Nicht vorab getestete Werbekampagnen erweisen sich oft als erfolgreich, scheinbar erfolgreich getestete Kampagnen versagen später. Lediglich dann, wenn wir nachträglich den Erfolg einzelner Marketing-Maßnahmen zu erfassen glauben, fühlen wir uns in der Praxis einigermaßen sicher – und das zu Unrecht, wie noch gezeigt werden soll. Engagierte Marktforscher/innen mögen als einen Grund für diese Problematik auch ins Feld führen, dass ihre Informationen häufig nicht ausreichend beachtet worden sind, insbesondere dann, wenn die Resultate der Marktforschung den Erwartungen der Auftraggeberseite nicht entsprechen. Dieser Aspekt ist teilweise zutreffend. 3 Andererseits muss sich die Marktforschung in der Praxis vorhalten lassen, dass Daten oft nicht „kundengerecht“ aufbereitet und präsentiert werden. Ferner kann die Marktforschung häufig beklagen, dass Fehlentscheidungen die Folge nicht ausreichender Marktforschung seien. Tatsächlich werden beispielsweise Produkttests oft vorzeitig beendet, weil das Marketing, unter Erfolgsdruck stehend, schnell eine Innovation für den Markt benötigt oder Wettbewerbern zuvorkommen muss/will. Aber selbst dann, wenn diese Probleme alle gelöst wären, dürfen wir daraus nicht den Schluss ziehen, es gäbe ein Qualitätsniveau für Marktforschung, welches eine sichere Entscheidungsgrundlage bieten könne. Diese Annahme wäre grundfalsch. Alle menschlichen Entscheidungen beruhen auf unvollständigen, unsicheren und vermutlich sogar fehlerhaften Informationen. Keine Forschung und auch keine Marktforschung sind auch nur annähernd dazu in der Lage, Sicherheit für Entscheidungen zu liefern. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass Marktforschung in Wirklichkeit nichts anderes sein kann, als der systematische Versuch, das Management vor schwerwiegenden Fehlentscheidungen zu bewahren oder wie es Krasser (1995) heraus arbeitet, möglichst fehlerarme Entscheidungsprozesse zu ermöglichen. Sicherheit für die Richtigkeit von Entscheidungen lässt sich in keinem Bereich unseres Daseins erreichen. Das ist kein allzu bescheidener Anspruch an Forschung einschließlich der Marktforschung. Es ist auch kein akademisches Rückzugsgefecht, um sich der Verantwortung für mögliche Fehlentscheidungen zu entziehen. Diese Denkweise ist realistischeقweise die einzige Möglichkeit, den Prozess der Informationsbeschaffung und den Erkenntnisgewinn als Grundlage für praktische Entscheidungen zu verstehen. Diese Fragen der Erkenntnis gelten überall dort, wo Erkenntnis eingesetzt wird, in allen Bereichen wissenschaftlicher Forschung, in allen Bereichen menschlicher Praxis, in allen Märkten, in allen Bereichen des Managements. Das gilt auch für die im Folgenden aufgezeigten Konsequenzen für Marketing im Allgemeinen und Marktforschung im Besonderen. 4