Expertensysteme in der Mikrobiologie Kurs 1

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Expertensysteme in der
Mikrobiologie
«Bitte konzentrieren Sie sich
auf Folie 2-6 und 22-26
Reinhard Zbinden, Prof. Dr. med. et lic. phil. II,
FAMH Mikrobiologie, [email protected]
Leiter Diagnostik
Institut für Medizinische Mikrobiologie
der Universität Zürich
Direktor: Prof. Dr. med. E. C. Böttger
Versuch einer Definition
Expertensystem = Expertenmeinungen
in System verpacken zur automatischen
Anwendung
• Identifikationssysteme für die
Identifizierung von Bakterien
• System, um Nachtestwahrscheinlichkeiten
aufgrund von Vortestwahrscheinlichkeiten
auszurechnen
• Expertensysteme für die Ableitung von
Resistenzen von Bakterien
Identifizierung von Bakterien (1)
• Identifizierung der Bakterien beruht auf
dem Prozess, die Eigenschaften eines
isolierten Bakterium mit den Eigenschaften
bekannter „Referenzbakterien“ oder
„Expertenmeinungen“ zu vergleichen
• Prinzipiell zwei Methoden
– Algorithmus mit Schlüsselreaktionen
– Gleichzeitiger Vergleich mehrerer Reaktionen
mit Datenbasis von Experten oder Firmen
Identifizierung von Bakterien (2)
Algorithmus nach Schlüsselreaktionen
• Identifizierung Gram-positiver Kokken
1. Katalase
2. Koagulase
positiv
negativ
positiv
negativ
Staphylokokken
Streptokokken
Staphylococcus aureus
Koagulase-negative
Staphylokokken
• Vorteil: schnell
• Nachteil: falsche Schlüsselreaktion führt in falsche
Richtung
– Es gibt auch Katalase-negative oder Koagulasenegative Staphylococcus aureus
Identifizierung von Bakterien (3)
Berücksichtigung mehrerer Reaktionen
und Vergleich mit Datenbasis
• Vergleich mehrerer Reaktionen des Bakteriums
mit den Reaktionen möglichst vieler Bakterien in
einem Identifikationssystem, welches viele
verschiedene Bakterien enthält
• In der Regel wird eine wichtige Eigenschaft
vorausgesetzt, z.B. Gram-negatives Stäbchen
• Vorteil: Schlüsselreaktion darf einmal falsch
sein, weil alle Reaktionen berücksichtigt werden
• Nachteil: Keim muss in Datenbasis enthalten
sein
Identifizierung von Bakterien (4)
Datenbasis
• Datenbasis enthält viele Teste und viele Bakterien
• Nach dem Bayes Theorem ist die
Wahrscheinlichkeit eines Profils von mehreren
Reaktionen gleich dem Produkt der
Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Reaktionen
– Jede Reaktion hat für ein getestetes Bakterium die
gleiche Chance positiv oder negativ zu sein.
– Es gibt keine voreingenommene Meinung
– Hilfsregeln wie
„ Ein Gram-negatives Stäbchen im Urin ist bis zum
Beweis des Gegenteils ein Escherichia coli“
haben vorerst keine Gültigkeit
Identifizierung von Bakterien (5)
Struktur der Datenbasis
% der
Positivität
Taxon A
Reaktion Reaktion Reaktion Reaktion
1
2
3
4
50
93
87
2
Taxon B
0
100
85
98
Taxon C
15
15
91
3
Taxon D
0
95
98
1
Identifizierung von Bakterien (6)
Reaktionen des untersuchten Stammes
Untersuchter
Stamm
Häufigkeit
dieser
Reaktion bei
negativ
positiv
positiv
positiv
Reaktion Reaktion Reaktion Reaktion
1
2
3
4
Taxon A
0.50
0.93
0.87
0.02
Taxon B
0.99
0.99
0.85
0.98
Taxon C
0.85
0.15
0.91
0.03
Taxon D
0.99
0.95
0.98
0.01
• 0 wird als 0.01 und 100 als 0.99 gerechnet
Identifizierung von Bakterien (7)
Wahrscheinlichkeit dieses Reaktionsprofils
bei Taxa A-D
Reaktion
1
negativ
Reaktion
2
positiv
Reaktion
3
positiv
Reaktion
4
positiv
Wahrscheinlichkeit
dieses Profils
bei den Taxa
Taxon A
0.50
0.93
0.87
0.02
0.008
Taxon B
0.99
0.99
0.85
0.98
0.816
Taxon C
0.85
0.15
0.91
0.03
0.003
Taxon D
0.99
0.95
0.98
0.01
0.009
Summe der einzelnen Produkte
0.836
• Produkt der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen
Reaktionen = Wahrscheinlichkeit des Reaktionsprofils
Identifizierung von Bakterien (8)
Prozentidentifizierung des einzelnen
Taxons
Taxon A
0.008 / 0.836
0.010
1%
Taxon B
0.816 / 0.836
0.976
97,6%
Taxon C
0.003 / 0.836
0.003
0,3%
Taxon D
0.009 / 0.836
0.011
1,1%
Summe der einzelnen
Prozentidentifizierungen
1.00
100%
Das isolierte Bakterium mit den Reaktionen -,+,+,+
hat eine Prozentidentifizierung von 97,6% für
Taxon B und ist 97,6 wahrscheinlicher als Taxon A
Identifizierung von Bakterien (9)
Wie sind die typischen Reaktionen der
Taxa?
Typische
Reaktionen
%
Taxon A
Taxon B
Taxon C
Taxon D
Reaktion
1
Reaktion
2
Reaktion
3
Reaktion
4
50
+/99
85
-
93
+
99
+
85
-
87
+
85
+
91
+
98
98
+
97
-
99
-
95
+
98
+
99
-
Identifizierung von Bakterien (10)
Wie sind die typischen Profile der Taxa?
Reaktion
1
Reaktion
2
Reaktion
3
Reaktion
4
Wahrscheinlichkeit des
typischen
Profile der
Taxa
Taxon A
0.50
0.93
0.87
0.98
0.396
Taxon B
0.99
0.99
0.85
0.98
0.816
Taxon C
0.85
0.85
0.91
0.97
0.637
Taxon D
0.99
0.95
0.98
0.99
0.912
• Die Wahrscheinlichkeit des Profils -,+,+,+ kann für jedes
Taxon mit der Wahrscheinlichkeit des typischen Profils
verglichen werden
Modale Frequenz
Identifizierung von Bakterien (11)
Modale Frequenz = Wahrscheinlichkei des
gefundenes Profil -,+,+,+ bei den Taxa /
Wahrscheinlichkeit des typischen Profils
Taxon A
Taxon B
Taxon C
Taxon D
0.008 / 0.396 =
0.816 / 0.816 =
0.003 / 0.637 =
0.009 / 0.912 =
0.02
1
0.004
0.009
• Das Profil -,+,+,+ passt ganz klar zu typischem Profil
von Taxon B, da modale Frequenz = 1
• Das isolierte Bakterium mit dem Profil -,+,+,+ ist identisch zu Taxon B
und zwar 97,6 mal wahrscheinlicher als zu Taxon A,
88,7 mal wahrscheinlicher als zu Taxon D und
325,3 mal wahrscheinlicher als zu Taxon C
Identifizierung von Bakterien (12)
• Die Identifizierung eines Bakteriums wird
einerseits durch die Prozentidentifizierung
charakterisiert, welche aussagt,
wie wahrscheinlich die Identifizierung im
Verhältnis zu den anderen passt
und anderseits
wie gut das gefundene Profil eines Isolates zum
typischen Profil des identifizierten Bakteriums
passt.
• Der T-Wert, welcher in verschiedenen Systemen
angegeben wird, ist eine Weiterentwicklung der
Modalen Frequenz
Identifizierung von Bakterien (13)
Beispiel von Api System BioMérieux
• Wie gut ist dann die Identifizierung?
– %ID > 99.9% und T-Wert > 0.75
ausgezeichnete Identifizierung
– %ID > 99.0% und T-Wert > 0.5
sehr gute Identifizierung
– %ID > 90.0% und T-Wert > 0.25
gute Identifizierung
– %ID > 80.0% und T-Wert > 0
akzeptierbare Identifizierung
• Genügt uns das?
– Vergleich mit Gensequenzen
Vergleich mit Gensequenzen (1)
Vergleich mit Gensequenzen (2)
• Vergleich der verschiedenen Systeme zeigt,
dass neue Vitek 2-Karte (colorimetrisch) besser
ist als Api NE und alte Vitek 2-Karte, aber immer
noch Fehler gegenüber Sequenzierung
• Achtung: sehr schwierige Isolate dabei, unter
Routinebedingungen sind alle Systeme O.K.
Vergleich mit Gensequenzen (3)
• Identifikationssystem – technische
Korrektheit vorausgesetzt - sind nur so gut
wie die Datenbasis
• In der Routine sind seltene Taxa nicht in
der Datenbasis
Beispiel aus der Praxis:
Algorithmus kombiniert mit VITEK 2 und
Sequenzierung für Katalase-negative, Grampositive Kokken
Flat colonies
(α-hemolytic)
Milky colonies
(α-hemolytic)
β-hemolysis
Bile soluble,
Optochin
soluble
Hydrolysis of
esculin, bile
resistant, growth
in 6.5% NaCl
Agglutination,
VP for small
colonies
S. pneumoniae
Enterococci
Group A, B, C, G
Streptococci or
S. milleri
α-hemolysis,
(cocci in chains)
cocci in tetrades
(α-hemolytic)
Viridans
Streptococci
I f co n v e nt io na l te s ts a r e eq ui vo ca l o r mo re a c c ura t e id e n t if ica t ion n e ce s sa r y
VITEK 2
VITEK 2
Kocuria rosea /
Micrococcus luteus
retest with correct
McFarland
report
yes
excellent / very
good / good
Identification at
species level
low discrimination and
more accurate
Identification
necessary
A. urinae
A. viridans (resistant to ampicillin)
E. faecium (resistant to ampicillin)
G. adjacens (satellite phenomenon)
S. gordonii, S. mitis/oralis
S. salivarius, S. sanguinis,
S. milleri group
no
more accurate
identification
necessary
yes
16S rDNA sequencing
no
report as Grampositive cocci or as
the possible VITEK 2
identification
? 99%
Sequence similarity:
<99%, ? 95%
<95%
Assignment to
Species
Assignment to
Genus
No Assignment
Berechnung
Nachtestwahrscheinlichkeit aus
Vortestwahrscheinlichkeit (1)
Berechnung
Nachtestwahrscheinlichkeit aus
Vortestwahrscheinlichkeit (2)
Berechnung
Nachtestwahrscheinlichkeit aus
Vortestwahrscheinlichkeit (3)
Berechnung
Nachtestwahrscheinlichkeit aus
Vortestwahrscheinlichkeit (4)
• Im Labor haben wir Daten zur Prävalenz, welche
eigentlich die Vortestwahrscheinlichkeit darstellt
• Aufgrund der Sensitivität und Spezifität kann
man die Likelihood ratio ausrechnen
• Diese erlaubt es dem Arzt, mit FAGAN
Diagramm von der Vortestwahrscheinlichkeit auf
die Nachtestwahrscheinlichkeit zu schliessen,
wenn die Sensitivität und Spezifität (so indirekt
die Likelihood ratio) des Testsystems bekannt ist
Vor- und Nachtestwahrscheinlichkeit des
Vorliegens von Streptokokken Gruppe B
•
Schnelltest aus Vaginalabstrich
– Prävalenz von Streptokokken der Gruppe B
in der 35. SSW ist 20%,
d. h. Vortestwahrsch. 20%
– Sens. des Tests 82,5%
Spez. des Tests 91,8%
„Likelihood ratio“
eines positiven Tests 10
eines negativen Tests 0.19
– Nachtest-Wahrscheinlichkeit
bei positivem Resultat 72 %
bei negativem Resultat 4.5 %
Vor- und Nachtestwahrscheinlichkeit des
Vorliegens von Streptokokken Gruppe B
•
Routinemässiger Schnelltest
aus Urin bei Neugeborenem
– Prävalenz bei gesundem
Neugeborenem 0.1%
d. h. Vortestwahrsch. 0.1%
– Sens. des Tests 95%
Spez. des Tests 95%
„Likelihood ratio“
eines positiven Tests 19
eines negativen Tests 0.05
– Nachtest-Wahrscheinlichkeit
bei positivem Resultat 2 %
bei negativem Resultat <<.1 %
Vor- und Nachtestwahrscheinlichkeit des
Vorliegens von Streptokokken Gruppe B
•
Schnelltest bei Unsicherheit
aus Urin bei Neugeborenem
– Unklarheit für Kliniker
d. h. Vortestwahrsch. 50%
– Sens. des Tests 95%
Spez. des Tests 95%
„Likelihood ratio“
eines positiven Tests 19
eines negativen Tests 0.053
– Nachtest-Wahrscheinlichkeit
bei positivem Resultat 95 %
bei negativem Resultat 5 %
Expertensysteme in der
Mikrobiologie
•
•
•
•
Hilfsmittel im Labor
Nicht mehr weg zu denken
Systeme kritisch betrachten
An sich sind diese Prinzipien auch in
anderen Labordisciplinen anwendbar
Fragen werden im Kurs beantwortet
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