Was ist Symmetrie? Tobias Dyckerhoff Hausdorff Center for Mathematics Universität Bonn 21. November 2015 Was haben und x 5 + 20x + 16 = 0 gemeinsam? Erster Teil Symmetrie im geometrischen Kontext “Bin ich normal, wenn ich Symmetrie brauche?” - Von Fanny Jimenez (Die Welt) Wes Anderson: The fantastic Mr. Fox (2009) Maurits Cornelis Escher: Convex and Concave (1955) Ustad Ahmad Lahauri: Taj Mahal (1653) Villa Maria (Hausdorff Center for Mathematics) Plato: Timaeus (360 BC) Johannes Kepler: Mysterium Cosmographicum (1596) Wieso fasziniert uns Symmetrie? Wieso fasziniert uns Symmetrie? - Chris Madden Was ist Symmetrie? Eine Symmetrie einer geometrischen Figur F ist eine Abbildung von F auf sich selbst, die Abstände und Winkel erhält. Spiegelung Drehung Verschiebung Wie kann man Symmetrie messen? Drehsymmetrie: Tetraeder Symmetrien: Drehsymmetrie: Tetraeder Symmetrien: I Identität e Drehsymmetrie: Tetraeder Symmetrien: I Identität e I 3 Drehungen a, b, c um 180◦ um diagonale Achsen Drehsymmetrie: Tetraeder Symmetrien: I Identität e I 3 Drehungen a, b, c um 180◦ um diagonale Achsen I 4 Drehungen d1 , d2 , d3 , d4 um 120◦ um Höhenachsen Drehsymmetrie: Tetraeder Symmetrien: I Identität e I 3 Drehungen a, b, c um 180◦ um diagonale Achsen I 4 Drehungen d1 , d2 , d3 , d4 um 120◦ um Höhenachsen I 4 Drehungen d12 , d22 , d32 , d42 um 240◦ um Höhenachsen also insgesamt 12. Drehsymmetrie: Prisma Symmetrien: Drehsymmetrie: Prisma Symmetrien: I Identität e Drehsymmetrie: Prisma Symmetrien: I Identität e I 5 Drehungen v , v 2 , v 3 , v 4 , v 5 um 60◦ , 120◦ , 180◦ , 240◦ , 300◦ um vertikale Achse Drehsymmetrie: Prisma Symmetrien: I Identität e I 5 Drehungen v , v 2 , v 3 , v 4 , v 5 um 60◦ , 120◦ , 180◦ , 240◦ , 300◦ um vertikale Achse I 6 Drehungen h1 , h2 , h3 , h4 , h5 , h6 um 180◦ um horizontale Achsen also insgesamt 12. Multiplikationstafel: Tetraeder ◦ e a b c d1 d12 d2 d22 d3 d32 d4 d42 e e a b c d1 d12 d2 d22 d3 d32 d4 d42 a a e c b d3 d42 d4 d32 d1 d22 d2 d12 b b c e a d4 d22 d3 d12 d2 d42 d1 d32 c c b a e d2 d32 d1 d42 d4 d12 d3 d22 d1 d1 d4 d2 d3 d12 e d42 c d22 a d32 b d12 d12 d32 d42 d22 e d1 b d3 c d4 a d2 d2 d2 d3 d1 d4 d32 c d22 e d42 b d12 a d22 d22 d42 d32 d12 b d4 e d2 a d1 c d3 d3 d3 d2 d4 d1 d42 a d12 b d32 e d22 c d32 d32 d12 d22 d42 c d2 a d4 e d3 b d1 d4 d4 d1 d3 d2 d22 b d32 a d12 c d42 e d42 d42 d22 d12 d32 a d3 c d1 b d2 e d4 Multiplikationstafel: Prisma ◦ e v v2 v3 v4 v5 h1 h2 h3 h4 h5 h6 e e v v2 v3 v4 v5 h1 h2 h3 h4 h5 h6 v v v2 v3 v4 v5 e h6 h1 h2 h3 h4 h5 v2 v2 v3 v4 v5 e v h5 h6 h1 h2 h3 h4 v3 v3 v4 v5 e v v2 h4 h5 h6 h1 h2 h3 v4 v4 v5 e v v2 v3 h3 h4 h5 h6 h1 h2 v5 v5 e v v2 v3 v4 h2 h3 h4 h5 h6 h1 h1 h1 h2 h3 h4 h5 h6 e v v2 v3 v4 v5 h2 h2 h3 h4 h5 h6 h1 v5 e v v2 v3 v4 h3 h3 h4 h5 h6 h1 h2 v4 v5 e v v2 v3 h4 h4 h5 h6 h1 h2 h3 v3 v4 v5 e v v2 h5 h5 h6 h1 h2 h3 h4 v2 v3 v4 v5 e v h6 h6 h1 h2 h3 h4 h5 v v2 v3 v4 v5 e Symmetrie auf mathematisch Definition Eine Gruppe ist eine Menge G mit einem Kompositionsgesetz a, b ∈ G a◦b ∈G mit den folgenden Eigenschaften: 1. Es gilt (a ◦ b) ◦ c = a ◦ (b ◦ c) 2. Es gibt ein Identitätselement e ∈ G mit a ◦ e = a = e ◦ a. 3. Jedes a ∈ G hat ein Inverses a−1 ∈ G mit a ◦ a−1 = e = a−1 ◦ a. Klassifikation der endlichen Drehgruppen ··· Cn (n ≥ 3) ··· S4 A5 A4 A5 S4 Dn (n ≥ 1) Zweiter Teil Symmetrie im algebraischen Kontext x 2 + px + q = 0 (I) Substitution: x = z − p 2 (II) Gleichung wird zu z2 = (III) Lösungen für z sind (r p2 − q. 4 ) r p2 p2 − q, − −q 4 4 (IV) Lösungen für x sind ( ) r r p p2 p p2 − + − q, − − −q 2 4 2 4 x 3 + ax 2 + bx + c = 0 x 3 + ax 2 + bx + c = 0 Niccolò Tartaglia (1500 – 1557) Ehre sei Gott, 1534, dem 22. Februar, in Venedig. Diese sind die dreißig Aufgaben vorgeschlagen von mir, Antonio Maria Fior, an Sie, Herrn Niccolò Tartaglia: 1. Finde eine Zahl, die mit ihrer dritten Wurzel addiert sechs ergibt, 6. 2. Finde zwei Zahlen in doppeltem Verhältnis, so dass wenn das Quadrat der grösseren mit der kleineren multipliziert und dieses Produkt zu den ursprünglichen Zahlen addiert wird, das Ergebnis vierzig ist, 40. 3. . . . Ehre sei Gott, 1534, dem 22. Februar, in Venedig. Diese sind die dreißig Aufgaben vorgeschlagen von mir, Antonio Maria Fior, an Sie, Herrn Niccolò Tartaglia: 1. Finde eine Zahl, die mit ihrer dritten Wurzel addiert sechs ergibt, 6. x3 + x = 6 2. Finde zwei Zahlen in doppeltem Verhältnis, so dass wenn das Quadrat der grösseren mit der kleineren multipliziert und dieses Produkt zu den ursprünglichen Zahlen addiert wird, das Ergebnis vierzig ist, 40. 3. . . . Ehre sei Gott, 1534, dem 22. Februar, in Venedig. Diese sind die dreißig Aufgaben vorgeschlagen von mir, Antonio Maria Fior, an Sie, Herrn Niccolò Tartaglia: 1. Finde eine Zahl, die mit ihrer dritten Wurzel addiert sechs ergibt, 6. x3 + x = 6 2. Finde zwei Zahlen in doppeltem Verhältnis, so dass wenn das Quadrat der grösseren mit der kleineren multipliziert und dieses Produkt zu den ursprünglichen Zahlen addiert wird, das Ergebnis vierzig ist, 40. 4x 3 + 3x = 40 3. . . . Tartaglias Formel (1535): Wenn der Kubus und die Dinge zusammen Gleich einer diskreten Zahl sind, Finde zwei Zahlen mit dieser als Differenz. Dann mache es zur Gewohnheit Dass deren Produkt immer soll gleich sein Genau zum Kubus einem Drittel der Dinge. Der Rest, als allgemeine Regel, Der Subtraktion deren Kubikwurzeln Ist gleich Deiner Unbekannten. Tartaglias Formel (1535): Wenn der Kubus und die Dinge zusammen Gleich einer diskreten Zahl sind, Finde zwei Zahlen mit dieser als Differenz. Dann mache es zur Gewohnheit Dass deren Produkt immer soll gleich sein Genau zum Kubus einem Drittel der Dinge. Der Rest, als allgemeine Regel, Der Subtraktion deren Kubikwurzeln Ist gleich Deiner Unbekannten. x 3 + px = q Tartaglias Formel (1535): Wenn der Kubus und die Dinge zusammen Gleich einer diskreten Zahl sind, Finde zwei Zahlen mit dieser als Differenz. Dann mache es zur Gewohnheit Dass deren Produkt immer soll gleich sein Genau zum Kubus einem Drittel der Dinge. Der Rest, als allgemeine Regel, Der Subtraktion deren Kubikwurzeln Ist gleich Deiner Unbekannten. x 3 + px = q }u − v = q Tartaglias Formel (1535): Wenn der Kubus und die Dinge zusammen Gleich einer diskreten Zahl sind, Finde zwei Zahlen mit dieser als Differenz. Dann mache es zur Gewohnheit Dass deren Produkt immer soll gleich sein Genau zum Kubus einem Drittel der Dinge. Der Rest, als allgemeine Regel, Der Subtraktion deren Kubikwurzeln Ist gleich Deiner Unbekannten. x 3 + px = q } u − v = q uv = ( p3 )3 Tartaglias Formel (1535): Wenn der Kubus und die Dinge zusammen Gleich einer diskreten Zahl sind, Finde zwei Zahlen mit dieser als Differenz. Dann mache es zur Gewohnheit Dass deren Produkt immer soll gleich sein Genau zum Kubus einem Drittel der Dinge. Der Rest, als allgemeine Regel, Der Subtraktion deren Kubikwurzeln Ist gleich Deiner Unbekannten. x 3 + px = q } u − v = q uv = ( p3 )3 √ √ x = 3u− 3v Tartaglias Formel (1535): Wenn der Kubus und die Dinge zusammen Gleich einer diskreten Zahl sind, Finde zwei Zahlen mit dieser als Differenz. Dann mache es zur Gewohnheit Dass deren Produkt immer soll gleich sein Genau zum Kubus einem Drittel der Dinge. Der Rest, als allgemeine Regel, Der Subtraktion deren Kubikwurzeln Ist gleich Deiner Unbekannten. s x= 3 q − 2 r q2 4 + p3 27 s + 3 q + 2 x 3 + px = q } u − v = q uv = ( p3 )3 √ √ x = 3u− 3v r q2 p3 + 4 27 x 4 + ax 3 + bx 2 + cx + d = 0 x 4 + ax 3 + bx 2 + cx + d = 0 Cardano und Ferrari (Ars magna 1545): x 5 + ax 4 + bx 3 + cx 2 + dx + e = 0 x 5 + ax 4 + bx 3 + cx 2 + dx + e = 0 Evariste Galois (1811 – 1832) x 5 + ax 4 + bx 3 + cx 2 + dx + e = 0 Wie symmetrisch ist diese Gleichung? Symmetrie von polynomialen Gleichungen Jede polynomiale Gleichung x n + an−1 x n−1 + · · · + a0 = 0 (?) mit Koeffizienten in Q hat Lösungen x1 , x2 , . . . , xn in C, so dass x n + an−1 x n−1 + · · · + a0 = (x − x1 )(x − x2 ) . . . (x − xn ). Eine Symmetrie der Gleichung (?) ist eine Vertauschung der Lösungen die alle polynomialen Relationen zwischen x1 , . . . , xn mit Koeffizienten in Q erhält. Beispiel: x 4 − 2 = 0 I I √ √ √ √ 4 4 4 4 Lösungen: a = 2, b = i 2, c = − 2, d = −i 2. Polynomiale Relationen: I Wegen x 4 − 2 = (x − a)(x − b)(x − c)(x − d) gelten die Gleichungen abcd = −2 abc + abd + acd + bcd = 0 ab + ac + ad + bc + bd + cd = 0 a + b + c + d = 0. I Zusätzlich gelten a2 b2 = −2 2 2 a c =2 2 b2 d 2 = 2 b c = −2 2 c d = −2 d 2 a2 = −2. I a b d c 2 2 Symmetriegruppe = D4 Beispiel: x 3 + x 2 − 2x + 1 = 0 I I 4π 6π Lösungen: a = 2 cos( 2π 7 ), b = 2 cos( 7 ), c = 2 cos( 7 ). Polynomiale Relationen: I Wegen x 3 + x 2 − 2x + 1 = (x − a)(x − b)(x − c) gelten die Gleichungen abc = −1 ab + ac + bc = −2 a + b + c = −1. I Zusätzlich gelten b b = a2 − 2 c = b2 − 2 a = c 2 − 2. a I Symmetriegruppe = C3 c Galois’ fundamentale Einsicht: Komplexität einer Gleichung ⇐⇒ Komplexität ihrer Symmetriegruppe Wenn die Symmetriegruppe “zu kompliziert” ist, dann können die Lösungen nicht durch eine explizite Formel beschrieben werden. Was haben und x 5 + 20x + 16 = 0 gemeinsam? Die Symmetriegruppe A5 . Dies ist die kleinste Gruppe die “zu kompliziert” ist. Deshalb hat die Gleichung x 5 + 20x + 16 = 0 keine explizite Lösungsformel, die nur die vier Grundrechenarten und Wurzeln einbezieht. Danke!