Wirksamkeit einer Salvage-Ganzhirnbestrahlung nach initialer

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Aus der
Neurologischen Klinik
des Knappschaftskrankenhaus Bochum
- Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum
Direktor: Prof. Dr. med. Uwe Schlegel
Wirksamkeit einer Salvage-Ganzhirnbestrahlung
nach initialer Chemotherapie bei primärem ZNS-Lymphom
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung des Doktorgrades der Medizin
einer
Hohen Medizinischen Fakultät
der Ruhr-Universität Bochum
vorgelegt von
Johanna Kirchberg
aus Gelsenkirchen
2011
Dekan: Prof. Dr. med. Klaus Überla
Referent: Prof. Dr. med. Uwe Schlegel
Koreferent: Prof. Dr. med. Irenäus A. Adamietz
Tag der mündlichen Prüfung: 24.05.2012
Abstract:
Kirchberg
Johanna
Wirksamkeit einer Salvage-Ganzhirnbestrahlung nach initialer Chemotherapie bei primärem ZNSLymphom
Problem: In der Behandlung von primären ZNS Lymphomen (PZNSL) kann mit einer kombinierten
systemischen
und
intraventrikulären
Polychemotherapie
nach
dem
„Bonner
Chemotherapieprotokoll“ ein lang anhaltendes Therapieansprechen erreicht werden. Dennoch
zeigt ein großer Teil der behandelten Patienten ein primäres oder sekundäres Therapieversagen.
Über die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Salvage-Strahlentherapie bei PZNSL nach primärer
Polychemotherapie nach dem „Bonner Chemotherapieprotokoll“ existieren bisher keine Daten.
Problematisch bei der Radiotherapie ist die damit einhergehende Neurotoxizität. Ziel der
vorliegenden Studie ist die Beantwortung der Fragen, wie wirksam eine Salvage-Strahlentherapie
ist und ob ihre Effektivität von der klinischen Situation abhängt: Primärer Tumorprogress unter
Chemotherapie, sekundäres Therapieversagen (Tumorrezidiv) nach Chemotherapie, Abbruch
einer möglicherweise wirksamen Chemotherapie. Es wird weiterhin der Einfluss des Zeitpunktes
der Salvage-Radiotherapie (1./ 2./ 3. Salvagetherapie, d.h. früh gegenüber spät im
Therapieverlauf) auf das Überleben nach Radiotherapie untersucht.
Methode: Für die vorliegende Arbeit wurden die klinischen Daten nach SalvageGanzhirnbestrahlung von 50 Patienten mit PZNSL gesammelt und retrospektiv ausgewertet. Alle
Patienten wurden im Rahmen von klinischen Studien zur Primärtherapie des PZNSL mit einer
systemischen und fakultativ mit einer zusätzlichen intraventrikulären Methotrexat-basierten
Polychemotherapie nach dem Bonner-Protokoll behandelt. Bei Therapieversagen unter
Chemotherapie, d.h. Tumorprogress, Tumorrezidiv oder Abbruch der Chemotherapie erhielten sie
dann eine Salvage-Radiotherapie.
Ergebnis: Die 50 hier analysierten Patienten waren bei Erstdiagnose im Median 65 Jahre alt (25 –
75 Jahre). Die Radiotherapie fand 11 Monate nach der initialen Polychemotherapie (1 – 50
Monate) mit medianer Dosis von 40 Gray (Gy) (18 – 50 Gy) statt. Sie erfolgte bei 25/50 Patienten
(50 %) bei Tumorprogress unter Chemotherapie, bei 17/50 (34 %) im Tumorrezidiv und bei 8/50
Patienten (16 %) wegen Abbruch der primären Chemotherapie bei schwerwiegenden
Nebenwirkungen. Es erreichten 19 von 48 diesbezüglich auswertbaren Patienten (40 %) nach
Radiotherapie eine komplette Remission (CR) und 11 Patienten (23 %) eine partielle Remission
(PR); Gesamtansprechrate 63 %. In 17 Fällen (35 %) war ein Tumorprogress unter Radiotherapie
zu verzeichnen. Das mediane Gesamtüberleben und progressionsfreie Überleben (für Responder)
nach Radiotherapie betrug für das gesamte Patientenkollektiv 12 Monate (95 %-KI 5,8 – 18,2
Monate), 6 Monate (95 %-KI 0,0 – 13,5 Monate) und 20 Monate (95 %-KI 10,3 – 29,7 Monate; nur
CR und PR eingeschlossen). Weder die klinische Situation vor Radiotherapie noch der Zeitpunkt
der Salvage-Bestrahlung hatten einen signifikanten Einfluss auf das Überleben nach Radiotherapie
oder auf das Ansprechen auf die Radiotherapie (p = 0,2; p = 0,78).
Diskussion: Die Salvage-Ganzhirnbestrahlung stellt bei primärem oder sekundärem
Therapieversagen eine wirksame Therapieoption dar. Die späte Anwendung der Radiotherapie im
Salvage-Therapiesetting wirkt sich im Vergleich mit historischen Daten nicht negativ auf das
Ansprechen auf die Radiotherapie und das resultierende Überleben danach aus. Ein solches
Verzögern ist folglich zulässig, da es den Patienten in der frühen Krankheitsphase die potentielle
Neurotoxizität der Radiotherapie erspart.
Meinen Eltern
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1
Definition PZNSL
12
1.2
Bedeutung PZNSL
12
1.3
Lokalisation
13
1.4
Epidemiologie
13
1.5
Pathogenese
14
1.6
Histopathologie
15
1.7
Symptome
15
1.8
Diagnose
15
1.9
Therapeutische Ansätze
17
1.9.1 Konventionelle Radiotherapie
18
1.9.2 Systemische (Poly-)Chemotherapie
19
1.9.3 Intrathekale Chemotherapie
21
1.9.4 Kombinierte Radio-Chemotherapie
21
1.9.5 Vergleich des neurotoxischen Potentials von
23
Radiotherapie gegenüber Chemotherapie
1.9.6 Neuartige Therapieansätze
1.10
Prognose
2. Zielsetzung
27
28
30
3. Patienten und Methoden
3.1
Patientenkollektiv
32
3.2
Definition des Therapieansprechens
34
3.3
Definition der Verlaufskriterien
34
4. Statistik
41
5. Ergebnisse
5.1
Zeitpunkt und klinische Situation
42
(PD, Abbruch der CTX, Rezidiv) vor Applikation
der Salvage-Radiotherapie
5.2
Kenndaten der Salvage-Radiotherapie
44
5.3
Wirksamkeit der Salvage-Radiotherapie
44
5
5.4
Relevanz der klinischen Situation
50
(PD, Abbruch der CTX, Rezidiv) vor SalvageRadiotherapie für deren Wirksamkeit
5.5
Relevanz des Zeitpunkts der Salvage-Radiotherapie
54
(1./2./3. Salvagetherapie) für deren Wirksamkeit
6. Diskussion
59
7. Zusammenfassung
67
8. Literaturverzeichnis
69
9. Danksagung
10. Lebenslauf
6
Liste der verwendeten Abkürzungen
AIDS
Acquired immunodeficiency syndrome
Ara-C
Cytosinarabinosid
BHS
Blut-Hirn-Schranke
CCT
Kranielles Computertomogramm
CR
Complete Remission/Komplette Remission
CT
Computertomographie
CTX
Chemotherapie
CYVE
Chemotherapie mit Cytarabin und Etoposid
EBV
Epstein-Barr-Virus
EFS
Ereignisfreies Überleben
FLAIR
Fluid-attenuated inversion recovery
Gy
Gray
HAART
Hochaktive antiretrovirale Therapie
HD-MTX
Hochdosis-Methotrexat
HIV
Humanes Immundefizienz-Virus
HOPS
Hirnorganisches Psychosyndrom
iv.
intravenös
it.
intrathekal
JÜR
Jahresüberlebensrate
KI
Konfidenz-Intervalle
KOF
Körperoberfläche
KPS
Karnofsky-Performance Status
MMST
Mini mental status test
Mon
Monate
MRT
Magnetresonanztomographie
MSKCC
Memorial Sloan-Kettering Cancer Center
MTX
Methotrexat
NHL
Non-Hodgkin-Lymphom
NSAR
nichtsteroidale Antirheumatika
OS
Overall Survival
7
po.
per os
PZNSL
Primäres ZNS-Lymphom
PCR
Polymerase-Chain-Reaction
PCV
Chemotherapie mit Procarbazin, CCNU, Vincristin
PD
Progressive Disease/Progrediente Tumorerkrankung
PET
Positronen-Emission-Tomographie
PR
Partielle Remission
RT
Radiotherapie
SD
Stable Disease/Stabile Erkrankung
TTF
Time to treatment failure
WBRT
Whole Brain Radiation Therapy/Ganzhirnbestrahlung
WHO
World Health Organisation
ZNS
Zentrales Nervensystem
8
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Bonner Chemotherapie-Protokoll zur Behandlung des Primären ZNSLymphoms der Bonner-CTX-Pilot/PhaseII- Studie
Tabelle 2: Modifiziertes Bonner Chemotherapie-Protokoll der Nachfolgestudie zur
Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms von 08/2003 bis 11/2005 für Patienten
< 60 Jahre
Tabelle 3: Modifiziertes Bonner Chemotherapie-Protokoll der Nachfolgestudie zur
Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms von 08/2003 bis 11/2005 für Patienten
≥ 60 Jahre
Tabelle 4: Modifiziertes Bonner Chemotherapie-Protokoll der Nachfolgestudie zur
Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms ab 11/2005 für Patienten < 60 Jahre
Tabelle 5: Modifiziertes Bonner Chemotherapie-Protokoll der Nachfolgestudie zur
Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms ab 11/2005 für Patienten ≥ 60 Jahre
Tabelle 6: Art der ersten Salvagetherapie vor Radiotherapie
Tabelle 7: Art der zweiten Salvagetherapie vor Radiotherapie
Tabelle 8: Klinischer Zustand vor Ganzhirnbestrahlung
Tabelle 9: Bestrahlende Abteilungen
Tabelle 10: Ansprechen auf die Salvage-Ganzhirnbestrahlung
Tabelle 11: Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit vom Ansprechen auf
die Radiotherapie
Tabelle 12: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
vom Ansprechen auf die Radiotherapie
Tabelle 13: Häufigkeitsverteilung des Ansprechens auf die Radiotherapie in
Abhängigkeit von der klinischen Situation vor Radiotherapie
Tabelle 14: Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit von klinischer
Situation vor Applikation der Radiotherapie
Tabelle 15: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit von
klinischer Situation vor Applikation der Radiotherapie
Tabelle 16: Ansprechen auf die Radiotherapie in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der
Radiotherapie (1./2./3. Salvage-Therapie)
Tabelle
17:
Überleben
nach
Radiotherapie
in
Abhängigkeit
vom
Applikationszeitpunkt der Salvage-Radiotherapie im gesamten Therapieverlauf
9
Tabelle 18: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
vom
Applikationszeitpunkt
der
Salvage-Radiotherapie
im
gesamten
Therapieverlauf
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit vom Ansprechen auf
die Radiotherapie
Abbildung 2: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
vom Ansprechen auf die Radiotherapie
Abbildung 3: Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit von klinischer
Situation vor Applikation der Radiotherapie
Abbildung 4: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
von klinischer Situation vor Applikation der Radiotherapie
Abbildung
5:
Überleben
nach
Radiotherapie
in
Abhängigkeit
vom
Applikationszeitpunkt der Salvage-Radiotherapie im gesamten Therapieverlauf
Abbildung 6: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
vom
Applikationszeitpunkt
der
Salvage-Radiotherapie
im
gesamten
Therapieverlauf
11
1. Einleitung
1.1 Definition
Das primäre ZNS-Lymphom (PZNSL) ist definiert als extranodales Non-HodgkinLymphom, das bei Diagnosestellung auf das Gehirnparenchym, die Meningen
und/oder das Myelon beschränkt ist. Auszuschließen bei Nachweis eines ZNS
(Zentrales
Nervensystem)-Lymphoms
sind
extrazerebrale
systemische
Tumormanifestationen (Batchelor and Loeffler 2006; Pels and Schlegel 2006). Die
bedeutendsten Risikofaktoren für die Entstehung eines PZNSL sind Zustände mit
reduzierter Immunfunktion, also beispielsweise eine Humanes-ImmundefizienzVirus (HIV)-Infektion oder medikamentöse Immunsuppression über einen längeren
Zeitraum wie beim Zustand nach Organtransplantation oder unter Chemotherapie
(Gurney and Kadan-Lottick 2001). Das PZNSL beim Immunkompetenten ist vom
PZNSL beim Immuninkompetenten zu differenzieren, da beide Untergruppen
Unterschiede in Prävalenz, Pathogenese, Therapie und Prognose aufweisen
(Baumgartner, Rachlin et al. 1990). Das PZNSL der Acquired immunodeficiency
syndrome (AIDS)-Patienten ist fast regelhaft Epstein-Barr-Virus (EBV)-assoziiert
und geht mit einer schlechteren Prognose einher als das PZNSL des
Immunkompetenten (Bayraktar, Bayraktar et al. 2011).
1.2 Bedeutung PZNSL
Das PZNSL beim Immunkompetenten stellt in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit
unter den primären, malignen Hirntumoren dar. Es entsteht hier zerebral ein
maligner Tumor aus Ursprungszellen der lymphatischen Reihe, zumeist BLymphozyten, obwohl das Gehirn an sich frei von lymphatischem Gewebe ist. Es
ist noch fraglich, ob eine maligne Transformation von ortsständigen Lymphozyten,
die das Gehirn im Rahmen einer Entzündungsreaktion erreicht haben, im Gehirn
selbst stattfindet, oder ob bereits peripher malignisierte Zellen ins zentrale
Nervensystem (ZNS) migrieren (Montesinos-Rongen, Kuppers et al. 1999;
Thompsett, Ellison et al. 1999). Des Weiteren ist das PZNSL ungewöhnlich
chemosensitiv. Eine Chemotherapie kann ein verlängertes Überleben oder selten
eine Heilung bewirken (Abrey, DeAngelis et al. 1998; Abrey, Yahalom et al. 2000;
DeAngelis, Seiferheld et al. 2002; Batchelor, Carson et al. 2003; Pels, Schmidt12
Wolf et al. 2003). Die chirurgische Resektion einer PZNSL-verdächtigen
zerebralen Raumforderung führt nicht zu einer Verlängerung des Überlebens
(Bellinzona, Roser et al. 2005). Dies steht im Gegensatz zu vielen anderen
primären, malignen Hirntumoren, wo die operative Resektion eine wichtige
Modalität in der interdisziplinären Therapie darstellt.
1.3 Lokalisation
Am häufigsten manifestieren sich PZNSL im Gehirnparenchym, genauer in der
subkortikalen weißen Substanz. Sie treten in 60 - 70 % der Fälle unilokulär, in 30 40 % der Fälle multilokulär auf (Deangelis 1995; Küker, Nagele et al. 2005). 60 %
der PZNSL sind supratentoriell lokalisiert mit Bevorzugung der periventrikulären
und frontalen Hirnregionen (Schlegel, Schmidt-Wolf et al. 2000). Mesencephalon,
Cerebellum und Pons können ebenfalls betroffen sein (Feiden and Milutinovic
2002). In 20 - 30 % der Fälle besteht initial ein Befall der Leptomeningen. Dieser
kann isoliert, aber auch in Kombination mit einer parenchymatösen Manifestation
auftreten. Ein Befall der Augen in Form einer chorioretinalen, vitrealen oder
Nervus opticus-Infiltration kommt mit einer Inzidenz von 10 - 15 % vor (Jahnke,
Korfel et al. 2006). Das PZNSL des Myelons stellt eine Rarität dar (Hochberg and
Miller 1988; Fine and Mayer 1993).
1.4 Epidemiologie
Das PZNSL ist ein seltener Tumor. Der Anteil von bereits diagnostizierten PZNSL
an allen primären intrakraniellen Tumoren liegt derzeit in den USA bei 3-4 %
(CBTRUS 2005). Die jährliche Inzidenz beträgt 0,46 : 100.000 (Korfel, Finke et al.
2001;
CBTRUS
2005).
Die
Inzidenz
des
PZNSL
stieg
sowohl
bei
immunkompetenten Patienten als auch bei immunsupprimierten Patienten in den
80er und frühen 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stetig an (Eby, Grufferman et
al. 1988; Beral, Peterman et al. 1991; Cote, Manns et al. 1996; Schabet 1999;
Schlegel, Schmidt-Wolf et al. 2000; Olson, Janney et al. 2002). Als Ursache hierfür
ist zumindest teilweise die Verbesserung der diagnostischen Methoden,
Magnetresonanztomographie (MRT) und stereotaktische Biopsie, identifiziert
worden (Caroli, Acqui et al. 2004). Bei immunkompetenten Patienten steigt die
Inzidenz des PZNSL in der Altersgruppe > 60 Jahre weiterhin an. Der
13
Häufigkeitsgipfel liegt hier in der 5. - 7. Lebensdekade (Batchelor and Loeffler
2006). Das Verhältnis Mann zu Frau beträgt 1,5 : 1 (Ferreri, Reni et al. 2002).
Bei immunsupprimierten Patienten mit AIDS war das PZNSL der häufigste
intrazerebrale Tumor und tritt mit einer Inzidenz von 2 - 6 % auf (Rosenblum, Levy
et al. 1988; Camilleri-Broet, Davi et al. 1997; Chamberlain and Kormanik 1999;
Schabet 1999). Der Einsatz von hochaktiver antiretroviraler Therapie (HAART) hat
die Inzidenz bei HIV-positiven Patienten in den letzten Jahren drastisch verringert
(Antinori, Cingolani et al. 2001; Kadan-Lottick, Skluzacek et al. 2002; Linnebank,
Schmidt et al. 2004; Pels, Montesinos-Rongen et al. 2004; Montesinos-Rongen,
Brunn et al. 2008; Courts, Brunn et al. 2009).
1.5 Pathogenese
Die Pathogenese des PZNSL bei immunkompetenten Patienten ist bis zum
heutigen Zeitpunkt weitestgehend ungeklärt und Gegenstand der Forschung
(Linnebank, Schmidt et al. 2004; Pels, Montesinos-Rongen et al. 2004;
Montesinos-Rongen,
Brunn
et
al.
Molekulargenetische
Untersuchungen
2008;
Courts,
haben
Brunn
gezeigt,
et
dass
al.
2009).
die
B-Zell
Lymphomzellen des PZNSL den Keimzentrums-B-Lymphozyten entsprechen
(Larocca, Capello et al. 1998) und eine hohe Frequenz somatischer Mutationen in
der variablen Region der Ig-Gene aufweisen (Montesinos-Rongen, Kuppers et al.
1999; Montesinos-Rongen, Brunn et al. 2008). Des Weiteren wurde eine
genetische Instabilität bei PZNSL beschrieben, die mit einem Zugewinn
genetischen Materials auf Chromosom 12q (63 % der untersuchten Fälle), 18q
und 22q (jeweils 37 %) sowie einem Verlust auf Chromosom 6q (47 %)
einhergeht. Damit ist möglicherweise die auf diesen chromosomalen Strukturen
lokalisierte Deaktivierung von bisher nicht identifizierten Tumor-Suppressor-Genen
oder Aktivierung von Protoonkogenen verbunden (Weber, Weber et al. 2000).
Bei Immunsupprimierten gibt es eine klare Hypothese zur Pathogenese des
PZNSL. Hier entwickelt sich der Tumor fast regelhaft aus EBV-infizierten B-Zellen.
Durch die T-Zell-Suppression, erworben oder iatrogen induziert, kann sich das
Immunsystem des Patienten der autonomen Proliferation immortalisierter, latent
EBV-infizierter B-Zellen nicht erwehren (Camilleri-Broet, Davi et al. 1997;
Nakamura, Shimada et al. 2004; Tran, Cheung et al. 2008).
14
1.6 Histopathologie
Nach der WHO-Klassifikation sind PZNSL histologisch in > 90 % der Fälle
hochmaligne B-Zell-Lymphome vom diffus großzelligen Typ. Nur in 1 - 4 % handelt
es sich um T-Zell-Lymphome und niedrig maligne Lymphome (Jahnke, Thiel et al.
2005; Kluin and Deckert 2008). Typische pathologische Merkmale sind ein
angiozentrisches Wachstumsmuster mit Tumorzellabsiedlungen entlang der
zerebralen Gefäße, eine hohe mitotische Aktivität und eine hohe Aktivität des
proliferationsassoziierten Antigens Ki-67 in bis zu 90 % der Tumorzellen (Deckert
2007). In den Tumoren finden sich CD19-, CD20- und CD79a- positive B- Zellen,
CD3-positive T-Lymphozyten und CD68-positive Makrophagen (Kluin and Deckert
2008).
1.7 Symptome
Je nach Lokalisation des PZNSL werden die Patienten mit unterschiedlichen
Symptomen klinisch
auffällig.
Bei den
meisten Patienten bestehen bei
Erstdiagnose Persönlichkeitsveränderungen, psychomotorische Verlangsamung,
kognitive Dysfunktion und Desorientierung im Sinne eines hirnorganischen
Psychosyndroms (Herrlinger, Schabet et al. 1999; Pels and Schlegel 2006). Bei
ungefähr 50 % der Fälle sind bei Krankheitsbeginn fokale, motorische und/oder
sensorische neurologische Ausfälle vorhanden. Ihre unterschiedliche Ausprägung
weist auf den Sitz des PZNSL in unterschiedlichen hemisphärischen Arealen hin.
Seltener, bei 10 - 40 % der Patienten, zeigen sich Zeichen der Kleinhirn-,
Hirnstamm- oder Hirnnervenaffektion durch den Tumor (Ferreri, Reni et al. 2002;
Pels and Schlegel 2006). In ebenfalls 50 % der Fälle sind Symptome der
intrakraniellen
Drucksteigerung,
wie
Cephalgien,
Nausea,
Vomitus
oder
Papillenödeme eruierbar (Schlegel, Pels et al. 2001). Epileptische Anfälle treten
mit einer Häufigkeit von 2 - 33 % auf (Herrlinger, Schabet et al. 1999).
1.8 Diagnosestellung
Die zur Sicherung der Verdachtsdiagnose PZNSL erforderlichen Untersuchungen
sind
als Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der
Neuroonkologischen
Arbeitsgemeinschaft
(NOA)
in
der
Deutschen
15
Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
(DGHO) niedergeschrieben worden (Online Leitlinie Deutsche Gesellschaft für
Neurolgie:
http://www.dgn.org/images/stories/dgn/leitlinien/LL2008/ll08kap_084.
pdf).
Bei Verdacht auf ein PZNSL wird beim initialen Staging eine MRT mit und ohne
Gadolinium durchgeführt. Die MRT-Bildgebung ist das sensitivste radiologische
Verfahren zur Detektion von PZNSL (Küker, Nagele et al. 2005). In der T1Sequenz im MRT kommt der Tumor hypointens zur Darstellung. In den T2- oder
FLAIR
(Fluid-attenuated
inversion
recovery)-gewichteten
MRT-Sequenzen
präsentiert sich das PZNSL als gegenüber der weißen Substanz hyperintense
Raumforderung (Reiche and Deinzer 1998). Das peritumoröse Ödem beim PZNSL
ist oft geringer ausgeprägt als bei zerebralen Metastasen oder Glioblastomen
(Bataille, Delwail et al. 2000; Küker, Nagele et al. 2005). Nach GadoliniumApplikation
zeigt
sich
in
über
90
%
eine
deutliche,
homogene
Kontrastmittelanreicherung (Reiche and Deinzer 1998; Schlegel, Schmidt-Wolf et
al. 2000; Schlegel, Jürgens et al. 2006).
Die chirurgische Resektion ist beim Verdacht auf ein PZNSL nicht sinnvoll. Eine
partielle Resektion ist wahrscheinlich mit einem schlechteren Überleben sowie
einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert (Bellinzona, Roser et al. 2005).
Daher beschränkt sich die Rolle der Neurochirurgie beim PZNSL auf die
Durchführung
der
stereotaktischen
Biopsie
und
Gewebegewinnung
zur
anschließenden histopathologischen Diagnosesicherung (Schlegel, Schmidt-Wolf
et al. 2000). Bei Verdacht auf ein PZNSL in der Bildgebung ist die stereotaktische
Biopsie des Tumors folglich die Methode der Wahl zur Diagnosesicherung
(Herrlinger 2003; Dudel 2004). Es ist zu beachten, vor geplanter Biopsie eine
Kortisongabe möglichst zu vermeiden, da diese aufgrund von regressiven
Veränderungen den histopathologischen Nachweis des PZNSL erschweren kann.
Neuere Studien zeigen jedoch, dass auch nach Steroidvorbehandlung und weiter
bestehender Raumforderung eine Biopsie diagnostisch wegweisend sein kann
(Porter, Giannini et al. 2008). Die Möglichkeit einer nicht-diagnostischen ersten
Biopsie und Notwendigkeit einer Zweitbiopsie im Verlauf besteht.
Zur Diagnosestellung muss der Liquor zytologisch untersucht werden. Bei
erhöhter Zellzahl soll der Liquor immunzytochemisch gefärbt und auf B- und TZell-Oberflächenantigene und kappa/lambda-Leichtketten untersucht werden. Die
Liquorzytologie ist nur in 18 % der Fälle positiv. Selbst in diesem Fall ist der
16
immunzytochemische Nachweis von Antikörpern gegen Lymphozyten (LCA) oder
B-Zellen (CD20) nicht spezifisch für eine klonale Zellproliferation, sondern kann
auch im Rahmen einer reaktiven Pleozytose vorkommen. Auch die PolymeraseChain-Reaction (PCR) auf rearrangierte Gene der schweren Kette der LiqourImmunglobuline (IgH) ist nicht sensitiver als die Routine-Zytopathologie (Fischer,
Martus et al. 2008). Die Diagnose PZNSL kann nur bei wenigen Patienten über die
Liquoranalyse gestellt werden, da diagnostische Marker im Liquor bisher keine
akkurate Diagnosestellung mit ausreichender Sicherheit ermöglichten (Fischer,
Jahnke et al. 2006; Fischer, Martus et al. 2008). Ein neuer, bislang an einer
kleinen Patientenpopulation evaluierter Ansatz zur Detektion von PZNSL-Markern
im Liquor ist die Analyse von microRNAs (Sensitivität 95,7 %; Spezifität 96,7 %)
(Baraniskin, Kuhnhenn et al. 2011). Zur Diagnostik der Augenbeteiligung werden
bei der Spaltlampenuntersuchung Glaskörper und Chorioretina begutachtet
(Batchelor and Loeffler 2006). Erst nach Ausschluss einer systemischen
Lymphommanifestation
durch
diesbezüglich
negative
Befunde
in
der
Computertomographie (Weber, Weber et al.) des Thorax und Abdomens, bei
Männern Sonographie der Testes, in der Knochenmarkszytologie sowie bei
negativer HIV-Serologie ist die Diagnose PZNSL beim Immunkompetenten
gesichert (Abrey, Batchelor et al. 2005).
1.9 Therapie
Es gibt keine allgemein anerkannte Therapie des PZNSL (Pels and Schlegel
2006). Es werden derzeit viele verschiedene Therapiekonzepte in klinischen
Studien
bezüglich
Therapieerfolg
und
Nebenwirkungen
evaluiert.
Die
Strahlentherapie allein ist praktisch nie mit einer Heilung verbunden und führt - in
Kombination mit einer Chemotherapie - vor allem bei Patienten über 60 Jahren zu
signifikanter Neurotoxizität (Bessell, Lopez-Guillermo et al. 2002; Ferreri, Reni et
al. 2002; Fliessbach, Urbach et al. 2003; Fliessbach, Helmstaedter et al. 2005). Es
ist allgemein akzeptiert, dass eine hochdosierte Methotrexat(MTX)-Therapie >
1g/m² Körperoberfläche (KOF) die effektivste Chemotherapie in der PZNSLTherapie darstellt. Gegenstand aktueller Studien ist, welche Kombinationstherapie
von Hochdosis(Fischer, Martus et al.)-MTX mit anderen Substanzen mit oder ohne
intrathekale Chemotherapie-Applikation sich positiv auf das Überleben auswirkt
(Fischer, Thiel et al. 2004). Trotz des andauernden Erkenntnisgewinns über
17
Epidemiologie, Pathogenese, Diagnostik und optimale Therapie des PZNSL
haben sich diese Fortschritte der letzten drei Dekaden allerdings noch nicht in
einer verlängerten Überlebenszeit aller PZNSL-Patienten, d.h. auch der außerhalb
klinischer Studien behandelten Patienten, niedergeschlagen (Panageas, Elkin et
al. 2005).
1.9.1 Konventionelle Radiotherapie
Vor den 1990er Jahren war die alleinige Bestrahlung (RT) eines PZNSL
therapeutischer Standard, obwohl sich dies nicht auf prospektive Studien stützte.
Das PZNSL ist häufig eine multifokale Erkrankung, daher erfolgte eine
Bestrahlung des ganzen Gehirns (whole brain radiation therapy = WBRT)
gegebenenfalls mit anschließendem Boost auf den Tumorfokus (DeAngelis 2001).
Mit einer Strahlendosis von 40 - 50 Gray (Gy) ließ sich bei den meisten Patienten
eine vollständige Remission des Tumors erreichen. Es kam aber in der Regel zu
frühen
Rezidiven
(Nelson
1999).
In
Publikationen
hierzu
war
kein
Dosierungsschema erfolgreicher als eine Ganzhirnbestrahlung mit Dosen von
insgesamt 40 Gy (Nelson 1999).
1992 evaluierten Nelson et al. in der bisher einzigen prospektiven, einarmigen
Phase II-Studie bei 41 Patienten die Wirkung von alleiniger WBRT in der
Primärtherapie des PZNSL. Es wurden 40 Gy fraktioniert und anschließend ein
Tumorboost von 20 Gy appliziert (Nelson, Martz et al. 1992). Das mediane
Überleben nach Erstdiagnose lag bei 12,2 Monaten. Bei Patienten > 60 Jahre
waren es nur 7,6 Monate; 25/41 (61 %) Patienten entwickelten ein lokales Rezidiv,
dabei 21/41 innerhalb des Boostfelds und 4/41 im Gehirn und zusätzlich
extrazerebral. Eine retrospektive Analyse von Shibamoto und Mitarbeitern aus den
90er Jahren ergab bei 132 Patienten mit einem medianen Alter von 63 Jahren bei
alleiniger Radiotherapie eine mediane Überlebenszeit von 18 Monaten und einen
Anteil überlebender Patienten von 18 % nach 5 Jahren (Shibamoto, Ogino et al.
2005). Gerade bei Patienten > 60 Jahre zeigte sich eine stark ausgeprägte
Neurotoxizität (Abrey, DeAngelis et al. 1998).
Zusammenfassend ist die alleinige Bestrahlung als Primärtherapie nicht dazu
geeignet, dauerhafte Remissionen zu erzeugen. Lokale Rezidive sind häufig.
Obwohl PZNSL und systemische Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) histologisch
vergleichbar sind, lassen sich die guten Ergebnisse der Strahlentherapie bei den
18
systemischen NHL nicht für die PZNSL reproduzieren. Zusätzlich schränken
neurotoxische Langzeitschäden der Ganzhirnbestrahlung bis hin zur Demenz,
Leukenzephalopathie und seltenen vaskulären Veränderungen des Gehirns die
Lebensqualität
in
hohem
Maß
ein.
Ihren
Stellenwert
besitzt
die
Ganzhirnbestrahlung nach Auffassung vieler Autoren bei Kontraindikation gegen
eine Chemotherapie und in der Salvage-Therapiesituation (Reni and Ferreri 2001).
1.9.2 Systemische (Poly-)Chemotherapie
Um die Problematik der Neurotoxizität nach Ganzhirnbestrahlung zu umgehen und
um die Lebensqualität der Patienten > 60 Jahre nach Therapie zu erhöhen,
wurden Therapiekonzepte auf der Basis von alleiniger Polychemotherapie ohne
WBRT etabliert. Da hochgradig maligne NHL sehr chemosensibel sind, wurden im
Laufe der Zeit auch beim PZNSL verschiedene Chemotherapeutika, als Monooder
Kombinationstherapie,
nur
intravenös
oder
zusätzlich
auch
intraventrikulär/intrathekal, in klinischen Studien untersucht. Hierbei hat sich MTX
als wirksamste Substanz in der Chemotherapie von PZNSL etabliert (Blay, Conroy
et al. 1998). MTX blockiert als Folsäureantagonist die de-novo-Purinsynthese
durch Hemmung der Dihydrofolatreduktase in der S-Phase des Zellzyklus. In einer
Dosis < 1g/m² Körperoberfläche intravenös (iv.) penetriert MTX nicht in
ausreichendem Maße durch die Blut-Hirn-Schranke ins Hirnparenchym. Deutlich
schlechtere Ergebnisse bezüglich Überlebenszeit und ereignisfreiem Intervall als
mit HD-MTX sind das Resultat (Brada, Dearnaley et al. 1990; Schultz, Scott et al.
1996; Pels and Schlegel 2006). Ferreri und Mitarbeiter analysierten 2002
retrospektiv den Stellenwert einer Chemotherapie bei 370 Patienten, die mit
unterschiedlichsten Therapiemodalitäten behandelt worden waren (Ferreri, Reni et
al. 2002). Hier ergab sich ein signifikant besserer Verlauf für Patienten mit MTXbasierter Chemotherapie und Strahlentherapie im Vergleich zu nur bestrahlten
Patienten.
Ein
signifikanter
Unterschied
im
Verlauf
zwischen
alleiniger
Chemotherapie und Kombinationstherapie aus Bestrahlung und Chemotherapie
fand sich nicht. Zwei multizentrische Studien haben die alleinige HD-MTX
Therapie beim PZNSL systematisch prospektiv beurteilt (Batchelor, Carson et al.
2003; Herrlinger, Küker et al. 2005). In der einarmigen Phase II-Studie von
Herrlinger und Mitarbeitern wurde HD-MTX alle 14 Tage bei 105 Patienten
appliziert. Eine komplette Remission erreichten nur 35 %. Deshalb wurde die
19
Studie, nachdem 37 von 105 Patienten behandelt worden waren, abgebrochen; 20
von diesen 37 Patienten erhielten im Anschluss eine Ganzhirnbestrahlung. Das
mediane Überleben betrug nur 25 Monate (Herrlinger, Küker et al. 2005). Die
andere multizentrische, einarmige Studie untersuchte dasselbe ChemotherapieProtokoll (Batchelor, Carson et al. 2003). Hier erreichten 52 % der Patienten eine
komplette und 22 % eine partielle Remission. Das mediane Überleben lag bei 22,8
Monaten bei moderater Toxizität.
Mehrere
prospektive,
multizentrische
Studien
haben
den
Wert
von
Polychemotherapie ohne begleitende Radiotherapie in der Primärbehandlung
beim
PZNSL
untersucht.
Pels
und
Mitarbeiter
kombinierten
in
einer
multizentrischen Phase I/II-Studie die intravenöse Chemotherapie mit MTX,
Cytarabin, Vinkaalkaloiden und Alkylantien mit intraventrikulärer Applikation von
MTX, Prednisolon und Cytarabin über ein subgaleales Ommaya-Reservoir (Pels,
Schmidt-Wolf et al. 2003). Es wurden von 1995 - 2001 65 Patienten im Alter von
27 bis 75 Jahren mit einem medianen Alter von 62 Jahren behandelt. Dieses
Bonner-Chemotherapieprotokoll führte bei 61 % der Patienten zu einer kompletten
und bei 10 % zu einer partiellen Remission (PR). Das mediane ereignisfreie
Überleben betrug 21 Monate, das mediane Überleben 50 Monate. Es kam in 9 %
der Fälle zu therapieassoziierten Todesfällen. Das 5-Jahres-Überleben bei den 30
eingeschlossenen Patienten < 61 Jahre betrug 75 %. Somit zeigt diese größte
Chemotherapie-Studie bei PZNSL-Patienten < 61 Jahre bisher die besten
dokumentierten Behandlungsergebnisse. Bei Patienten > 60 Jahre kam es nur bei
47 % zu einer kompletten Remission, die Gesamtremissionsrate lag bei 56 %. In
zwei weiteren prospektiven Studien (Hoang-Xuan, Taillandier et al. 2003;
Illerhaus, Marks et al. 2009) und einer Fallsammelserie (Omuro, Taillandier et al.
2007) wurde für Patienten > 60 Jahre der Verlauf unter MTX-basierter
Polychemotherapie ohne primäre Radiotherapie evaluiert. Eine komplette
Remission erreichten unter den heterogenen Polychemotherapieprotokollen ca. 50
% der Patienten. Die progressionsfreien Überlebenszeiten lagen durchweg unter
12 Monaten. Gesamtüberlebenszeiten von über 30 Monaten sind so Ausdruck der
wirksamen
Salvagetherapie
im
Rezidiv.
Zusammenfassend
ist
eine
Kombinationschemotherapie auf MTX-Basis in der Primärtherapie des PZNSL
wahrscheinlich effizienter als eine hochdosierte MTX-Monotherapie.
20
1.9.3 Intrathekale Chemotherapie
Die Bedeutung der zusätzlichen intrathekalen/intraventrikulären Chemotherapie in
der
PZNSL-Behandlung
ist
umstritten.
Die
Rationale
der
regionalen
Chemotherapie des Liquorkompartiments ist, über längere Zeiträume hinaus lokal
hohe Medikamentenspiegel im Liquorkompartiment zu erreichen als mit alleiniger
systemischer Chemotherapie. Somit soll die Rate leptomeningealer Rezidive
reduziert werden. Wegen schlechterer Resultate für Patienten > 61 Jahre, einer
hohen Infektionsrate des Ommaya-Reservoirs (19 %) und nicht sicherem Nutzen
einer
lokalen
intraventrikulären
Behandlung
des
Therapie
Liquorkompartimentes
wurde
eine
im
Nachfolgestudie
Sinne
zum
einer
Bonner-
Chemotherapieprotokoll (s. 1.9.2 (Pels, Schmidt-Wolf et al. 2003) initiiert. Hier
wurde ohne Änderung der systemischen Therapie bei allen Patienten auf die
intraventrikuläre
Chemotherapie
-Applikation
über
ein
Ommaya-Reservoir
verzichtet (Pels, Juergens et al. 2009). Dies führte bei Patienten < 60 Jahren zu
deutlich schlechteren Therapieergebnissen. Die Studie wurde deshalb nach
Rekrutierung von 18 Patienten abgebrochen. Ab 11/2005 erhielten alle Patienten
deshalb
dann
liposomales
Cytarabin
(DepotCyte®)
als
intrathekale
Therapiekomponente. Daten zum Therapieerfolg liegen noch nicht vor. Es fand
sich jedoch mit diesem Konzept bei einer daraufhin untersuchten Subgruppe von
33 Patienten bei 7 (21 %) als Nebenwirkung ein partielles Conus-Cauda-Syndrom
mit nur inkompletter Regredienz im Verlauf (Ostermann, Pels et al. 2010). Andere
Publikationen stützen die Notwendigkeit einer intraventrikulären Chemotherapie
beim PZNSL nicht (Ferreri, Reni et al. 2002; Khan, Shi et al. 2002). Eine
retrospektive Analyse prognostischer Faktoren bei 370 PZNSL konnte keinen
Einfluss intrathekaler Therapie auf das Outcome nachweisen (Ferreri, Reni et al.
2002).
1.9.4 Kombinierte Radio-Chemotherapie
Bei derzeitiger Studienlage wird davon ausgegangen, dass eine Kombination aus
Chemotherapie auf HD-MTX-Basis und Ganzhirnbestrahlung eine effektive
Primärtherapieoption
beim
PZNSL
ist
und
den
Ergebnissen
alleiniger
Radiotherapie überlegen ist. Eine systemische HD-MTX-Gabe war auch
Bestandteil der Kombinationstherapie aus Chemo- und Radiotherapie der drei
21
folgenden großen, einarmigen Phase II-Studien (O'Brien, Roos et al. 2000;
DeAngelis, Seiferheld et al. 2002; Klein, Heimans et al. 2002; Poortmans, KluinNelemans et al. 2003):
Die Trans-Tasman Radiation Oncology Group (O'Brien, Roos et al. 2000) wendete
an 46 Patienten folgendes Protokoll an: MTX 1 g/m² KOF systemisch ohne
intrathekale Therapiekomponente, anschließend Ganzhirnbestrahlung mit 45 Gy
und Tumor-Boost von 5,4 Gy. Darunter erreichten
82 % der Patienten eine
komplette und 13 % eine partielle Remission. Das mediane Überleben betrug 33
Monate, die 2-JÜR 62 %. Auch hier wurden bei 9/36 Patienten bereits ohne
neuropsychologische Testung deutliche neurotoxische Spätfolgen offensichtlich.
In der European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC)Studie erhielten 52 Patienten < 65 Jahre eine kombinierte intravenöse und
intrathekale Chemotherapie sowie anschließend eine Ganzhirnbestrahlung mit 40
Gy (Poortmans, Kluin-Nelemans et al. 2003). Hier wurde in 69 % der Fälle eine
komplette und in 12 % eine partielle Remission erreicht. Das geschätzte mediane
Überleben betrug 46 Monate, die 2-JÜR 69 %.
Die Radiation Therapy Oncology Grop (RTOG)-Studie behandelte 102 Patienten
mit
einer
intravenösen
Polychemotherapie,
intrathekaler
MTX-Gabe
und
anschließender Ganzhirnbestrahlung von 45 Gy in Phase 1 und bei Neurotoxizität
reduzierter Dosis von 36 Gy in Phase 2 (DeAngelis, Seiferheld et al. 2002). Bei 50
auswertbaren Fällen erreichten 58 % eine komplette und 36 % eine partielle
Remission.
Das
mediane
Überleben
betrug
37
Monate,
die
2-Jahres
Überlebensfraktion 64 %.
Der optimale Zeitpunkt zum Einsatz der Bestrahlung war unklar. Thiel et al.
zeigten 2010 in einer prospektiven, multizentrischen, randomisierten Phase IIIStudie (G-PCNSL-SG-1-Studie) nach Einschluss von 551 Patienten, dass nach
Kombinationschemotherapie mit MTX (und Ifosfamid) und anschließender WBRT
mit 45 Gy gegenüber in der Primärtherapie unterlassener WBRT zu verlängertem
progressionsfreien Überleben (18,3 Monate gegenüber 11,9 Monate) ohne
Verlängerung des Gesamtüberlebens führt. Zum selben Schluss kamen Omuro et
al. in einer multizentrischen, retrospektiven Analyse von 64 Patienten < 60 Jahre
mit primärem PNCNSL und first-line Induktionschemotherapie auf MTX-Basis iv.
und intrathekal und Verzögerung der WBRT bei Patienten mit kompletter
Remission (Omuro, Taillandier et al. 2010; Thiel, Korfel et al. 2010).
Zusammenfassend
ist
die
Kombination
aus
Polychemotherapie
und
22
Ganzhirnbestrahlung in der Primärtherapie effektiv bezüglich Krankheitskontrolle,
jedoch relativiert sich der Therapieerfolg durch die neurotoxischen Spätfolgen vor
allem bei Patienten > 60 Jahre (Omuro, Taillandier et al. 2010; Thiel, Korfel et al.
2010).
1.9.5 Vergleich
der
neurotoxischen
Auswirkungen
der
Radiotherapie
gegenüber Chemotherapie
Bei Patienten mit Gehirntumoren verschiedener Entitäten kann häufig im
Krankheitsverlauf eine Abnahme der kognitiven Fähigkeiten beobachtet werden.
Dies kann durch den Tumor selbst sowie durch chirurgische Resektion,
Chemotherapie und Radiotherapie verursacht werden, meistens durch eine
Kombination von mehreren Faktoren (DeAngelis, Delattre et al. 1989; McCunniff
and Liang 1989; Verstappen, Heimans et al. 2003). Das spezifische neurotoxische
Potential jeder einzelnen Behandlungsmodalität kann nur schwer identifiziert
werden (DeAngelis 1991). Im klinischen Alltag stellt die späte Neurotoxizität ein
relevantes Problem dar, da sie gerade bei Langzeitüberlebern die Lebensqualität
stark einschränkt (Kim, Brown et al. 2008). Es muss also Ziel einer multimodalen
Therapiegestaltung sein, bei möglichst hoher Wirksamkeit eine möglichst geringe
Spätneurotoxizität zu gewährleisten.
Die Anwendung ionisierender Strahlung im ZNS kann in Abhängigkeit von
Einzeldosis, Gesamtdosis, Feldgröße und Lage des Bestrahlungsfeldes zu
Radiotherapie-assoziierte Neurotoxizität führen (McCunniff and Liang 1989) An
patientenassoziierten Faktoren beeinflussen Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen
und Vortherapien die Entstehung von Radiotherapie-assoziierter Neurotoxizität
(Waber, Tarbell et al. 1992; Ruifrok, Stephens et al. 1994). Die meist transiente
akute Strahlenreaktion und die subakute strahlenbedingte Enzephalopathie sind
von der zumeist irreversiblen Spätneurotoxizität zu trennen (Omuro, Ben-Porat et
al. 2005). Die Spättoxizität ist oft schwerwiegend und irreversibel (Omuro,
Taillandier et al. 2010). Sie tritt im Median 15 Monate nach Therapiebeginn auf
(Corn, Yousem et al. 1994).
Vereinfachend kann klinisch und bildmorphologisch bei der Spätneurotoxizität
zwischen zwei Formen unterschieden werden: fokalen Strahlennekrosen und
diffusen
leukenzephalopathische
Veränderungen,
d.h.
unspezifischen
Veränderungen der weißen Substanz (Kim, Brown et al. 2008; Herrlinger and
23
Steinbach 2010). Die Häufigkeit fokaler Strahlennekrosen ist unter Einsatz
moderner Strahlentherapietechniken und Fraktionierungsschemata rückläufig
(Herrlinger and Steinbach 2010). Die leukenzephalopathischen Veränderungen
gehen
klinisch
mit
progredienten
neuropsychologischen
Defiziten,
Persönlichkeitsveränderungen, epileptischen Anfällen, später auch Gangstörung
und Urininkontinenz einher. Dies kann bis zum progredienten demenziellen
Syndrom mit Pflegebedürftigkeit führen (Omuro, Ben-Porat et al. 2005; Herrlinger
and Steinbach 2010; Omuro, Taillandier et al. 2010).
Die
Pathogenese
der
Radiotherapie-assoziierten
Spätneurotoxizität
ist
multifaktoriell und bisher nicht komplett verstanden (Eissner, Kohlhuber et al.
1995; Quarmby, Kumar et al. 1999; Quarmby, Kumar et al. 1999; Belka, Schmid et
al. 2001; Monje, Mizumatsu et al. 2002). Oligodendrozyten und Schwann Zellen
scheinen im Gegensatz zu den postmitotischen Neuronen den besonders sensibel
gegenüber Bestrahlung zu sein (Vrdoljak, Bill et al. 1992). Im ZNS findet
offensichtlich nach Bestrahlung ein dynamischer Prozess mit Absterben von
Oligodendrozyten, neuralen Vorläuferzellen und Endothelzellen und sekundärer
neuroinflammatorischer Antwort statt (Kamiryo, Kassell et al. 1996; Hopewell and
van der Kogel 1999; Kim, Brown et al. 2008). Auf intra- und interzellulärer Ebene
wird dieser Prozess durch langlebige freie Radikale, reactive oxygen species
(ROS) und proinflammatorische Zytokine vermittelt (Logan and Berry 1993;
Chiang, Hong et al. 1997; Tsao, Li et al. 1999; Belka, Budach et al. 2001; Belka,
Schmid et al. 2001; Kim, Brown et al. 2008). Diese Effekte scheinen bei
Ganzhirnbestrahlung stärker ausgeprägt zu sein als bei fokaler Bestrahlung
(Constine, Konski et al. 1988; DeAngelis, Delattre et al. 1989; Gregor and Cull
1996; Surma-aho, Niemela et al. 2001; Klein, Heimans et al. 2002). Gregor et al.
fanden 1996 bei einer retrospektiv evaluierten Patientenkohorte mit überwiegend
neidrig-malignen Gliomen in Remission 4 Jahre nach RT bei Patienten mit
Ganzhirnbestrahlung
eine
siebenfach
erhöhte
Wahrscheinlichkeit
von
neuropsychometrischer Verschlechterung gegenüber Patienten mit fokaler RT
(Gregor and Cull 1996). Klein und Mitarbeiter konnten 2001 mutizentrischprospektiv an 195 Patienten mit niedrig-differenzierten Gliomen im Durchschnitt 6
Jahre nach Erstdiagnose zeigen, dass einerseits der Tumor selbst zu kognitiver
Verschlechterung führt und andererseits die Höhe der Fraktionierungsdosis einen
wesentlichen Einfuss auf die Entwicklung von Spätneurotoxizität nimmt (Klein,
Heimans et al. 2002). Einzeldosen mit > 2 Gy pro Tag gingen mit signifikanten
24
neuropsychometrischen Verschlechterungen in fast allen getesteten Bereichen
einher. Dieselbe Arbeitsgruppe führte 2009 ein Langzeit-Follow Up von 65 dieser
ursprünglich 195 Patienten mit stabilem Krankheitsverlauf 12 Jahre nach
Erstdiagnose durch. Hier zeigte sich sogar bei Fraktionierungsdosen ≤ 2 Gy eine
zunehmende Verschlechterung neurokognitiver Parameter im Vergleich zu
Patienten mit niedrig-malignen Gliomen ohne Radiotherapie. Diese kognitive
Verschlechterung ging auch mit radiologischen Auffälligkeiten wie Hyperintensität
der weißen Substanz und kortikaler Atrophie einher (Douw, Klein et al. 2009).
Die Chemotherapie-vermittelte Neurotoxizität kann sich auf das periphere oder
zentrale Nervensystem auswirken. Periphere Neurotoxizität wird häufig durch
Vinkaalkaloide, Taxane und Cisplatin ausgelöst. Die zentrale Chemotherapievermittelte Neurotoxizität wird hauptsächlich durch Methotrexat, Cytosinarabinosid
(Ara-C), Ifosfamid und weitere hervorgerufen. Sie kann sich bei intravenöser Gabe
als akute, subakute oder chronische Enzephalopathie präsentieren (Posner 1996;
Verstappen, Heimans et al. 2003). Die akute und subakute Enzephalopathie sind
potentiell reversibel (Ackermann, Semmler et al. 2010). Die Häufigkeit der
Nebenwirkungen ist abhängig von der Wahl des Zytostatikums, der Einzel- und
kumulativen Dosis, der Zeitdauer der Behandlung und von Risikofaktoren wie
neurologischen Vorerkrankungen (Posner 1996; Schagen, Hamburger et al. 2001;
Verstappen, Heimans et al. 2003).
In der Vergangenheit wurden zur Erfassung der Datenlage zur Radio- und
Chemotherapie-assoziierten Spättoxizität beim PZNSL vor und nach uni- oder
multimodaler Behandlung zumeist keine standardisierten Testbatterien genutzt.
Die Interpretation der Datenlage wird dadurch erschwert (Correa, Maron et al.
2007).
Die wenigen Studien, die den Erfolg alleiniger Radiotherapie in der Primärsituation
beim PZNSL beschreiben, beinhalten keine Aussage zur Spätneurotoxizität
(Nelson, Martz et al. 1992; Nelson 1999; Shibamoto, Tsuchida et al. 2004;
Shibamoto, Ogino et al. 2005).
Die zentrale Chemotherapie-assoziierte Spätneurotoxizität beim PZNSL spielt
aufgrund der MTX und Ara-C-basierten Chemotherapie-Protokolle beim PZNSL
die Hauptrolle (Verstappen, Heimans et al. 2003). Sie präsentiert sich klinisch wie
die
Radiotherapie-assoziierte
Neurotoxizität
unter
dem
Bild
der
Leukenzephalopathie. Das MRT zeigt - unter Umständen bereits bevor
neurologische Symptome auftreten - zerbrale Atrophie, Hyperintensitäten der
25
weißen Substanz, Ventrikelvergrößerung und kortikale Verkalkungen (Armstrong,
Hunter et al. 2002). Tierversuche und Autopsiestudien haben gezeigt, dass MTX
ein multifokal axonal angreifendes Agens ist, das zu Demyelinisierung von
Nervenfasern führt (Gilbert, Harding et al. 1989; Shibutani and Okeda 1989;
Moore, Somers et al. 2002). Es ist bisher ungeklärt, ob es eine Form der
Spätneurotoxizität gibt, die nur durch HD-MTX-Therapie alleine und nicht durch
Kombination mit Strahlentherapie ausgelöst wird. Befunde von Patienten ohne
Strahlentherapie sprechen dagegen (Herrlinger and Steinbach 2010; Juergens,
Pels et al. 2010).
Es gibt Hinweise, dass Chemotherapie auf MTX-Basis ohne Ganzhirnbestrahlung
beim
PZNSL
das
Risiko
verzögerter
Neurotoxizität
gegenüber
Kombinationstherapie reduziert und die kognitiven Fähigkeiten stabil bleiben oder
sich sogar verbessern (Schagen, Hamburger et al. 2001; Fliessbach, Urbach et al.
2003; Fliessbach, Helmstaedter et al. 2005). Fliessbach und Mitarbeiter
evaluierten 2005 prospektiv bei 23 Patienten die kognitive Funktion und
Lebensqualität vor Behandlung nach dem Bonner-Chemotherapie-Protokoll, nach
Behandlung und im Langzeitverlauf. Ziel war die Differenzierung, inwiefern die
Verschlechterung kognitiver Funktionen durch den Tumor selbst oder durch die
Behandlung bedingt ist. Vor Behandlung zeigten 10 Patienten (44 %) moderate
und 6 (26 %) schwere kognitive Beeinträchtigungen. Nach Chemotherapie hatte
sich der kognitive Status von 13 Patienten verbessert, 9 Patienten blieben stabil.
21/22 Patienten waren im Langzeitverlauf stabil oder sogar verbessert bezüglich
ihrer kognitiven Funktionen. Bei Fließbach und Mitarbeitern zeigt sich in
regelmäßig
durchgeführten
MRTs
keine
Korrelation
der
MTX-induzierten
Veränderungen der weißen Substanz mit kognitiver Verschlechterung. Die
Ergebnisse sprechen also dafür, dass die kognitive Verschlechterung auf den
Tumor selbst und nicht auf die Behandlung mit Polychemotherapie auf MTX-Basis
zurückzuführen ist.
Die serielle neuropsychologische Testung von 22 Patienten, die initial nach HDMTX-Chemotherapie nach dem „Bonner Protokoll“ behandelt worden waren,
detektierte im Follow Up-Intervall von 4 – 82 Monaten nach Chemotherapie bei
keinem dieser Patienten eine Abnahme der getesteten Fähigkeiten (Pels,
Schmidt-Wolf et al. 2003).
Wie oben beschrieben induziert auch MTX Veränderungen im ZNS im Sinne einer
Leukenzephalopathie (Fliessbach, Urbach et al. 2003). Dennoch ist die daraus
26
resultierende Toxizität selten und gering ausgeprägt. Die Patienten bleiben
diesbezüglich in der Regel klinisch unauffällig (Fliessbach, Helmstaedter et al.
2005).
Die Inzidenz von Neurotoxizität bei kombinierter Radiochemotherapie beim
PZNSL beträgt nach retrospektiver unizentrischer Analyse von mehr als 180
Patienten 20-30 % (Omuro, Ben-Porat et al. 2005). Pels et al verglichen 2000 die
kognitive Leistungsfähigkeit von 28 Patienten mit HD-MTX-Chemotherapie, WBRT
oder kombinierter Radiochemotherapie (Pels, Deckert-Schluter et al. 2000).
WBRT und kombinierte Radiochemotherapie, nicht jedoch Monotherapie mit
Chemotherapie, waren mit kognitiver Verschlechterung assoziiert. Auch Harder
und Mitarbeiter sowie Correa und Mitarbeiter stellten in ihren Studien fest, dass
das
Hinzufügen
von
WBRT
zu
HD-MTX
mit
signifikanter
kognitiver
Verschlechterung einhergeht (Correa, DeAngelis et al. 2004; Harder, Holtel et al.
2004). Diese Ergebnisse sind nicht spezifisch für PZNSL, sondern stimmen mit
den Ergebnissen für kombinierte Radiochemotherapie gegenüber Chemotherapie
alleine bei primären Hirntumoren oder Hirnmetastasen überein (Correa, Maron et
al. 2007).
Die Studienlage beim PZNSL spricht also derzeit bei der HD-MTX basierten
Chemotherapie für ein geringeres neurotoxisches Potential als bei der
kombinierten Chemo- und Radiotherapie. Daher erscheint es geboten, die
Strahlentherapie nicht in der Primärbehandlung, sondern erst bei Versagen der
Chemotherapie einzusetzen. Die hier vorliegende Studie prüft deshalb, ob die
späte Anwendung der Radiotherapie im Salvage-Therapiesetting erst bei
primärem oder sekundärem Therapieversagen der initialen Chemotherapie sich im
Vergleich mit historischen Daten negativ auf das Ansprechen auf die
Radiotherapie und das resultierende Überleben danach auswirkt. Ein solches
Verzögern der Radiotherapie bis zum Therapieversagen unter Chemotherapie
würde den Patienten in der frühen Krankheitsphase die potentielle Neurotoxizität
der Radiotherapie ersparen.
1.9.6 Neuartige Therapieansätze
In > 90 % der Fälle gehört ein PZNSL zur Gruppe der hochmalignen B-Zell-NHL
und
exprimiert
das
CD-20-Antigen
an
den
Tumorzelloberflächen.
Diese
Eigenschaft machen sich neuartige Therapieprinzipien zunutze. Der Anti-CD-2027
Antikörper Rituximab hat sich in einigen Studien bei therapierefraktären PZNSL in
Kombination mit anderen Chemotherapeutika (Enting, Demopoulos et al. 2004;
Wong 2005) oder als Monotherapie (Batchelor, Grossman et al. 2011) als effektiv
erwiesen. Es ist offen, ob Rituximab trotz seiner Größe die Blut-Hirn-Schranke
(BHS) wirklich in ausreichendem Maße passieren kann. Wie in Einzelfällen
beobachtet, scheint Rituximab - intraventrikulär angewendet - jedoch den Liquor
von
flottierenden
Tumorzellen
zu
befreien
(Pels,
Schulz
et
al.
2003).
Radiokonjugierte Anti-CD-20-Antikörper haben ihre Wirksamkeit beim refraktären,
systemischen B-Zell-NHL bereits bewiesen und könnten ebenfalls zur Therapie
des PZNSL beitragen (Wong 2005).
Die antiproliferative Wirkung des Cyclooxygenase-2(COX-2)-Hemmers Celecoxib
machten sich Wang und Mitarbeiter. 2006 zunutze. Im PZNSL-Mausmodell
bewiesen sie ein signifikant längeres Gesamtüberleben bei Mäusen mit Celecoxib
oral gegenüber Mäusen ohne Celecoxib (p = 0,009). Dies könnte ein Hinweis
dafür
sein,
dass
PZNSL-Zellen
ebenso
wie
Lungencarcinom-
und
Koloncarcinomzellen empfänglich für die proliferationshemmende Wirkung von
nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) sind (Wang, Kardosh et al. 2006).
1.10 Prognose
Das mediane Überleben bei unbehandelten Patienten mit PZNSL liegt zwischen
1,5 und 3,3 Monaten (Ferreri, Reni et al. 2002). Grundlegende klinische Faktoren
wie Alter und der klinische Performance Status (Karnofsky-Performance-Status =
KPS) scheinen die größte prognostische Aussagekraft zu haben (Abrey, Yahalom
et al. 2000; Bessell, Graus et al. 2004; Pels, Juergens et al. 2010). Eine
Arbeitsgruppe unternahm anhand der Daten von 378 PZNSL-Patienten den
Versuch, ein prognostisches Scoring-System zu entwerfen (Ferreri, Blay et al.
2003). Alter > 60 Jahre, Performance Status > 1, LDH-Erhöhung im Serum, hohes
Liquor-Gesamtprotein und die Infiltration tiefer Hirnregionen durch den Tumor
waren signifikant und unabhängig mit einem schlechteren Überleben assoziiert.
Eine andere Arbeitsgruppe konnte in einer Analyse von 383 PZNSL-Fällen nur das
Alter und den KPS als prognostische Variablen identifizieren (Abrey, Ben-Porat et
al. 2006). Anhand dieser beiden Variablen gelang die Einteilung der Patienten in 3
Prognose-Klassen und somit die Installation des technisch einfach zu erhebenden
Memorial-Sloan-Kettering-Cancer-Center (MSKCC)-Score.
28
Es gibt Hinweise, dass das initiale Ansprechen auf Kortison ein wichtiger
prognostischer Faktor beim PZNSL sein könnte (Mathew, Carson et al. 2006).
Auch mittels molekularer Marker gelingt eine prognostische Einteilung der PZNSL.
PZNSL, die das Protein BCL-6 stark exprimieren haben ein signifikant höheres
Gesamtüberleben (Braaten, Betensky et al. 2003). Pels et al. konnten in einer
aktuellen
retrospektiven
Datenanalyse
von
88
Patienten
mit
HD-MTX
Primärtherapie zeigen, dass eine frühe CR nach Zyklus 2 mit einem signifikant
höheren Gesamtüberleben und ereignisfreien Überleben assoziiert ist, als PR
nach Zyklus 2 und CR erst nach Zyklus 6 oder PR nach Zyklus 2 und Zyklus 6
(Pels, Juergens et al. 2010).
29
2. Zielsetzung
Für die vorliegende Arbeit wurden die klinischen Verlaufsdaten nach SalvageGanzhirnbestrahlung von 50 Patienten mit PZNSL gesammelt und retrospektiv
ausgewertet. Alle Patienten wurden im Rahmen von klinischen Studien zur
Primärtherapie
des
PZNSL
mit
einer
systemischen
MTX-basierten
Polychemotherapie und fakultativ zusätzlich mit einer intraventrikulären nach dem
Bonner-Chemotherapieprotokoll (Pels, Schmidt-Wolf et al. 2003) behandelt. Bei
Therapieversagen unter Chemotherapie, d.h. Tumorprogression, Abbruch der
Chemotherapie bei Nebenwirkungen oder Tumorrezidiv erhielten sie dann eine
Salvage-Therapie. Diese war im Verlauf bei allen Patienten auch eine
Ganzhirnbestrahlung,
entweder
als
Zweitlinien-,
Drittlinien-
oder
Viertlinientherapie. Die Wirksamkeit der Strahlentherapie bei Rezidiv oder
Progress eines PZNSL in diesem Kollektiv soll mit den publizierten Daten zur
Wirksamkeit anderer Studiengruppen sowie mit publizierten Daten zu anderen
Therapiemodalitäten
verglichen
werden.
Da
bekannt
ist,
dass
die
Ganzhirnbestrahlung mit klinisch relevanter Neurotoxizität einhergeht, wird der
Einfluss des Zeitpunktes der Radiotherapie im Therapieverlauf untersucht.
Im Einzelnen sollen folgende Fragen beantwortet werden:
•
Wie effektiv ist die Radiotherapie in der Salvage-Situation beim PZNSL?
(Ansprechen auf RT; Überleben nach RT; Progressionsfreies Überleben
nach RT)
•
Ist es für die Wirksamkeit der Radiotherapie bedeutsam, in welcher
klinischen
Situation
(Tumorprogress,
Abbruch
der
Chemotherapie,
Tumorrezidiv) sie appliziert wurde? (Einfluss der klinischen Situation vor RT
(Tumorprogress, Rezidiv, Abbruch der CTX) auf das Ansprechen/
Überleben/ progressionsfreie Überleben nach RT)
•
Hat es signifikanten Einfluss auf den klinischen Verlauf nach Radiotherapie,
ob die Radiotherapie als 1., 2. oder 3. Salvagetherapie, d.h. früh gegenüber
spät im Krankheitsverlauf, eingesetzt wird? (Einfluss des Zeitpunkts der
30
Salvage-RT (1./ 2./ 3. Salvagetherapie) auf das Ansprechen/ Überleben/
progressionsfreie Überleben nach RT)
31
3. Patienten und Methoden
3.1. Patientenkollektiv
Die hier evaluierten 50 Patienten stellen notwendigerweise eine Negativselektion
dar, da sie nach dem Kriterium „Durchführung einer Salvage-Strahlentherapie“
ausgewählt wurden. Die 50 Patienten hatten bei Therapiebeginn ein histologisch
gesichertes B-Zell-PZNSL ohne systemische Manifestation. Sie wurden im
Rahmen klinischer Studien zur Primärtherapie des PZNSL mit einer MTXbasierten Polychemotherapie ohne Strahlentherapie behandelt. Sie erhielten alle
im Verlauf eine Salvage-Radiotherapie. Grund hierfür war entweder ein
Therapieversagen unter Bonner-Chemotherapie, d.h. Tumorprogress (primäres
Therapieversagen), ein Tumorrezidiv nach vorherigem Ansprechen (sekundäres
Therapieversagen)
oder
ein
Abbruch
der
Bonner-Chemotherapie
bei
Nebenwirkungen. Von den 50 Patienten entstammen 35/50 Patienten (70 %) der
Pilot-/Phase II Studie von Pels und Mitarbeitern (Pels, Schmidt-Wolf et al. 2003)
und wurden mit MTX-basierter intravenöser und intraventrikulärer Chemotherapie
behandelt. Wegen schlechter Resultate für Patienten > 61 Jahre, einer hohen
Infektionsrate des Ommaya-Reservoirs (19 %) und nicht sicherem Nutzen einer
lokalen Behandlung des Liquorkompartimentes im Sinne einer intraventrikulären
Therapie wurde eine Nachfolgestudie zum Bonner-Chemotherapieprotokoll
initiiert. Hier wurde von 08/2003 bis 11/2005 ohne Änderung der systemischen
Therapie bei allen Patienten auf die intraventrikuläre Chemotherapie-Applikation
über ein Ommaya-Reservoir verzichtet (Pels, Juergens et al. 2009). Dies führte
bei Patienten < 60 Jahren zu deutlich schlechteren Therapieergebnissen. Ab
11/2005 erhielten alle Patienten deshalb zusätzlich liposomales Cytarabin
(DepotCyte®)
über
Therapiekomponente.
eine
lumbale
Fünfzehn
der
Liquorpunktion
50
Patienten
als
intrathekale
entstammen
dieser
Nachfolgestudie. Sieben von 50 Patienten (14 %) wurden im Zeitraum von
08/2003 – 11/2005 gänzlich ohne intraventrikuläre Therapie behandelt. Acht von
50 (16 %) Patienten erhielten nach 11/2005 dann liposomales Cytarabin
(DepotCyte®) intrathekal.
Bei
25/50
Patienten
(50
%)
wurden
alle
6
Chemotherapiezyklen
A1/B1/C1/A2/B2/C2 appliziert. Bei weiteren 25/50 Patienten (50 %) wurden
weniger als 6 Zyklen Chemotherapie appliziert. In 8 Fällen musste die
32
Chemotherapie wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden. Grund dafür war in
drei Fällen eine Nephrotoxizität mit Niereninsuffizienz und bei zwei Patienten eine
systemische Infektion mit folgender Sepsis. In jeweils einem Fall war die
Entwicklung akraler Nekrosen bei Arterienverschlüssen des linken Unterarms,
kardiale Dekompensation oder eine Aspirationspneumonie der Grund für den
Abbruch. Es gab insgesamt 18 Therapieversager mit primärer Tumorprogression
unter dem Bonner-Cemotherapieprotokoll. Fünfzehn dieser Patienten hatten vor
Abschluss aller 6 Chemotherapie-Zyklen einen Tumorprogress und 2/18 Patienten
nach Abschluss aller 6 Zyklen. Ein weiterer dieser 18 Patienten bat nach Zyklus
A1 ohne medizinische Indikation um Einstellung der Chemotherapie und wurde als
progredient unter Chemotherapie eingestuft.
Die 50 hier analysierten Patienten waren im Median bei Erstdiagnose 65 Jahre alt
(25 – 75 Jahre) und jeweils zur Hälfte (n = 25) männlich und weiblich. Die Frauen
waren bei Erstdiagnose im Schnitt 2 Jahre älter (Median 65 Jahre; 32 – 75 Jahre)
als die Männer (Median 63 Jahre; 25 – 75 Jahre).
Für die 50 Patienten ergibt sich ein medianes Gesamtüberleben ab Erstdiagnose
von 30,0 Monaten (95 %-KI 17,5 – 42,5 Monate, n = 50 evaluierbar). Ein Jahr
nach Erstdiagnose lebten noch 72 % (95 %-KI 68 – 83 %) der Patienten, nach
zwei Jahren 57 % (95 %-KI 48 – 65 %), nach 4 Jahren 36 % (95 %-KI 27 – 40 %)
und nach fünf Jahren lag der Anteil der Überlebenden bei 23 % (95 %-KI 15 – 32
%). Der mediane Follow Up-Zeitraum für alle Patienten betrug 24,5 Monate (5,0 –
85 Monate, n = 50 evaluierbar). Während 37/50 Patienten (74 %) zum Zeitpunkt
des letzten Follow Up bereits verstorben waren, lebten noch 13/50 (26 %)
Patienten. Beim letzten Follow Up befanden sich 6 von den 13 diesbezüglich
auswertbaren Patienten (46,2 %) im Status der kompletten Tumorremission, 5/13
Patienten (38,5 %) hatten eine partielle Remission, zwei von 13 Patienten (15,4
%) zeigten beim letzten Follow Up ein Rezidiv. Dreiunddreißig von 37 (89,2 %)
Patienten verstarben im Rahmen ihrer tumorösen Grunderkrankung, davon 3
unter laufender Radiotherapie bei Tumorprogress. Einer von 37 Patienten (2,7 %)
verstarb an einem Zweittumor (Bronchialcarcinom) ohne Zusammenhang zum
PZNSL. Bei 3/37 (8,1 %) der Patienten ist die Todesursache unbekannt.
Die Chemotherapieprotokolle finden sich in tabellarischer Kurzform am Ende
dieses Abschnittes (Tabellen 1 – 5). In den folgenden Abschnitten 3.2. und 3.3.
werden die zum Verständnis der klinischen Parameter notwendigen Definitionen
33
des
Therapieansprechens,
Therapieversagens
und
der
Verlaufskriterien
eingeführt.
3.2. Definition des Theapieansprechens
Der Verlauf unter Therapie wird nach kernspintomographischem und nach
klinischem Befund beurteilt. Dabei wird das Ansprechen auf die Therapie nach
neuroradiologischen Kriterien wie folgt eingeteilt:
1.
Komplette
tumorverdächtigen
Remission
Bezirke
(CR):
im
Vollständiges
MRT,
Verschwinden
insbesondere
der
aller
Kontrastmittel
aufnehmenden Regionen im Gadolinium-verstärkten T1-gewichteten Bild.
2.
Partielle Remission (PR):
Mehr
als
50%-ige Volumenreduktion
aller
tumorverdächtigen Herde im Vergleich zum Ausgangs-MRT vor Einleitung der
Therapie.
3. Progrediente Tumorerkrankung (PD): Mehr als 25%-ige Volumenzunahme der
im Ausgangs-MRT vor Einleitung der Therapie nachweisbaren Kontrastmittel
aufnehmenden, tumorverdächtigen Areale und/ oder Auftreten neuer Tumorareale.
4. Stabiler Verlauf (SD): Alle anderen Situationen.
Für diese Einteilung ist bei PZNSL erforderlich, dass Patienten beim Kontroll-MRT
steroidfrei sind. Eine klinische Befundverschlechterung, d.h. Progredienz der
neurologischen Symptomatik bei nach radiologischen Kriterien stabilem Verlauf
wird ebenfalls als progrediente Tumorerkrankung gewertet.
3.3.
Definition der Verlaufskriterien
Als primäres Therapieversagen wurde bei der Primärbehandlung der PZNSL ein
Tumorprogress unter Behandlung oder ein fehlendes Ansprechen, also eine
fehlende Größenabnahme des Tumorvolumens unter Therapie definiert. Als
Tumorprogress
wurde
eine
mindestens
25%-ige
Volumenzunahme
kontrastmittelaufnehmender Läsionen und/ oder der neuerliche Nachweis von
Tumorzellen im Liquor (mit oder ohne klinische Verschlechterung) im Sinne eines
primären Therapieversagens definiert. Der Begriff sekundäres Therapieversagen
bedeutet eine Wiederauftreten der Tumorerkrankung (Rezidiv) nach initialem
34
Ansprechen auf die Erstlinientherapie. Dabei wurde als Tumorrezidiv das
Neuauftreten kontrastmittelaufnehmender Läsionen im Kernspintomogramm und/
oder der Nachweis von Tumorzellen im Liquor (ohne oder mit klinischer
Verschlechterung) nach vorausgegangener kompletter Remission definiert.
Das Gesamtüberleben wird als Intervall zwischen dem Datum der histologisch
gesicherten Erstdiagnose und dem Datum des Versterbens des Patienten
beziehungsweise, als zensierter Wert, dem Datum der letzten gesicherten
Kenntnis vom Überleben des Patienten („Last follow up“) berechnet.
Das progressionsfreie Überleben (PFS) berechnet sich aus dem Intervall vom
erstem Nachweis einer kompletten oder teilweisen Remission bis zum Eintreten
eines der folgenden Ereignisse: Tumorprogression oder stabiler Krankheitsverlauf,
Versterben des Patienten oder Auftreten eines Rezidivs nach vorangegangener
kompletter oder teilweiser Remission.
Als Nachuntersuchungs-Zeitraum („Follow Up“) wird das Intervall zwischen dem
Datum der histologisch gesicherten Erstdiagnose und dem Datum der letzten
gesicherten Kenntnis vom Überleben des Patienten oder dem letzten Kontakt mit
dem Patienten („Last follow up“) berechnet.
35
Tabelle 1: Bonner Chemotherapie-Protokoll zur Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms der Bonner-CTX-Pilot/PhaseII- Studie
(Pels, Schmidt-Wolf et al. 2003)
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
Tag 6
Tag 7
Zyklus A1/A2
Methotrexat, 5 g/m² KOF † iv.
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
Ifosfamid, 800 mg/m² KOF ‡ iv.
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. **
Prednisolon, 2,5 mg it.
Methotrexat, 3 mg it.
Ara-C 30 mg it.
Zyklus B1/B2
X
X
Methotrexat, 5 g/m² KOF † iv.
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv. .
Cyclophosphamid, 200 mg/m² KOF ‡ iv.
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. **
Prednisolon, 2,5 mg it.
Methotrexat, 3 mg it.
Ara-C 30 mg it.
Zyklus C1/C2
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
36
Ara-C, 3 g/m² KOF iv.
X
X
Vindesin, 3 mg/m² (maximal 5 mg gesamt) iv.
X
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po.
X
X
X
X
X
Prednisolon, 2,5 mg it.
X
X
X
X
Methotrexat, 3 mg it.
X
X
X
X
Ara-C 30 mg it.
X
Reihenfolge der Zyklen: A1 (Tag 1-5), B1 (Tag 22-26), C1 (43-68); A2 (Tag 64-68), B2 (Tag 85-89), C2 (Tag 106-112)
†: 0,5 g/m²-Infusion über 0,5 h und 4,5 g/m²-Infusion über 23,5 h; ‡: 1 h-Infusion; Ø: 3 h-Infusion; **: Gabe nur in den
Zyklen A2 und B2; Abkürzungen: iv. = intravenös; it. = intrathekal
Tabelle 2: Modifiziertes Bonner Chemotherapie-Protokoll der Nachfolgestudie zur Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms von
08/2003 bis 11/2005 für Patienten < 60 Jahre
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
Tag 6
Tag 7
Zyklus A1/A2
Methotrexat, 5 g/m² KOF † iv.
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
Ifosfamid, 800 mg/m² KOF ‡ iv.
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. **
Zyklus B1/B2
X
X
Methotrexat, 5 g/m² KOF † iv.
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
Cyclophosphamid, 200 mg/m² KOF ‡ iv.
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. **
Zyklus C1/C2
X
X
Ara-C, 3 g/m² KOF iv.
X
X
Vindesin, 3 mg/m² (maximal 5 mg gesamt) iv.
X
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po.
X
X
X
X
X
Reihenfolge der Zyklen: A1 (Tag 1-5), B1 (Tag 22-26), C1 (43-68); A2 (Tag 64-68), B2 (Tag 85-89), C2 (Tag 106-112)
†: 0,5 g/m²-Infusion über 0,5 h und 4,5 g/m²-Infusion über 23,5 h; ‡: 1 h-Infusion; Ø: 3 h-Infusion; **: Gabe nur in den
Zyklen A2 und B2
37
Tabelle 3: Modifiziertes Bonner Chemotherapie-Protokoll der Nachfolgestudie zur Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms von
08/2003 bis 11/2005 für Patienten ≥ 60 Jahre
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
Tag 6
Tag 7
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
Zyklus A1/A2
Methotrexat, 3 g/m² KOF † iv.
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
Ifosfamid, 800 mg/m² KOF ‡ iv.
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. 08:00 h **
Zyklus B1/B2
X
X
Methotrexat, 3 g/m² KOF † iv.
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
Procarbazin po. 100 mg/ m²
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. 08:00 h **
Zyklus C1/C2
X
X
X
Ara-C, 3 g/m² KOF iv.
X
X
Vindesin, 3 mg/m² (maximal 5 mg gesamt) iv.
X
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. 08:00 h
X
X
X
X
X
Reihenfolge der Zyklen: A1 (Tag 1-5), B1 (Tag 22-26), C1 (43-68); A2 (Tag 64-68), B2 (Tag 85-89), C2 (Tag 106-112)
†: 0,5 g/m²-Infusion über 0,5 h und 4,5 g/m²-Infusion über 23,5 h; ‡: 1 h-Infusion; Ø: 3 h-Infusion; **: Gabe nur in den
Zyklen A2 und B2
38
Tabelle 4: Modifiziertes Bonner Chemotherapie-Protokoll der Nachfolgestudie zur Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms
ab 11/2005 für Patienten < 60 Jahre
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
Tag 6
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
Tag 7
Zyklus A1/A2
Methotrexat, 5 g/m² KOF † iv.
X
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
X
Ifosfamid, 800 mg/m² KOF ‡ iv.
Dexamethason, 2 x 4 mg (A1), 2x 5 mg (A2) /m²
KOF po. 08:00 h
Liposomales Cytarabin (DepotCyte®), 50 mg
lumbale Instillation
Zyklus B1/B2
Methotrexat, 5 g/m² KOF † iv.
X
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
X
Cyclophosphamid, 200 mg/ m² KOF i.v. ‡
Dexamethason, 2 x 4 mg (B1), 2x 5 mg (B2) /m²
KOF po. 08:00 h
Liposomales Cytarabin (DepotCyte®), 50 mg
lumbale Instillation
Zyklus C1/C2
Ara-C, 3 g/m² KOF iv.
X
Vindesin, 3 mg/m² (maximal 5 mg gesamt) iv.
X
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. 08:00 h
Liposomales Cytarabin (DepotCyte®), 50 mg
lumbale Instillation
X
X
X
X
X
X
39
Tabelle 5: Modifiziertes Bonner Chemotherapie-Protokoll der Nachfolgestudie zur Behandlung des Primären ZNS-Lymphoms
ab 11/2005 für Patienten ≥ 60 Jahre
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
Tag 6
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
Tag 7
Zyklus A1/A2
Methotrexat, 3 g/m² KOF † iv.
X
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
X
Ifosfamid, 800 mg/m² KOF ‡ iv.
Dexamethason, 2 x 4 mg (A1), 2 x 5 mg (A2) /m²
KOF po. 08:00 h
Liposomales Cytarabin (DepotCyte®), 50 mg
lumbale Instillation
Zyklus B1/B2
Methotrexat, 3 g/m² KOF † iv.
X
Vincristin, 1,4 mg/m² (max. 2 mg gesamt) iv.
X
Procarbazin po. 100 mg/ m²
Dexamethason, 2 x 4 mg (B1), 2 x 5 mg (B2) /m²
KOF po. 08:00 h
Liposomales Cytarabin (DepotCyte®), 50 mg
lumbale Instillation
Zyklus C1/C2
X
X
X
40
Ara-C, 3 g/m² KOF iv.
X
X
Vindesin, 3 mg/m² (maximal 5 mg gesamt) iv.
X
Dexamethason, 10 mg/m² KOF po. 08:00 h
X
X
X
X
X
Liposomales Cytarabin (DepotCyte®), 50 mg
X
lumbale Instillation
Reihenfolge der Zyklen: A1 (Tag 1-5), B1 (Tag 22-26), C1 (43-68); A2 (Tag 64-68), B2 (Tag 85-89), C2 (Tag 106-112)
†: 0,5 g/m²-Infusion über 0,5 h und 4,5 g/m²-Infusion über 23,5 h; ‡: 1 h-Infusion; Ø: 3 h-Infusion
4. Statistik
Kategoriale Variablen wurden als absolute und relative Häufigkeiten (%)
präsentiert. Der Nachweis des Zusammenhangs zwischen kategorialen Variablen
erfolgte mittels χ²-(Chi-Quadrat)-Verfahren nach Pearson. Er gibt den linearen
Zusammenhang zwischen den Variablen einer Kreuztabelle wieder, indem er die
Unabhängigkeit der Variablen einer Kreuztabelle überprüft. Die Variablen gelten
als voneinander unabhängig, wenn die beobachteten Häufigkeiten der einzelnen
Zeilen mit den erwarteten Häufigkeiten übereinstimmen (Jansen and Laatz 1999;
Toutenburg 2000; Bühl and Zöfel 2003).
Kontinuierliche Daten wurden als Median und Spannweite (range) dargestellt.
Überlebenskurven des Gesamtüberlebens und progressionsfreien Überlebens
wurden nach Kaplan-Meier ermittelt und dargestellt (Kaplan and Meier 1958).
Diese Prozedur stellt eine Methode dar, um Modelle, welche die Zeit bis zum
Eintreten des Ereignisses angeben, in Gegenwart zensierter Fälle zu schätzen,
bei denen dieses Ereignis bis zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht eingetreten ist.
Das
Kaplan-Meier-Modell
basiert
auf
der
Schätzung
bedingter
Wahrscheinlichkeiten zu jedem Zeitpunkt eines auftretenden Ereignisses und
bildet den Produktgrenzwerts dieser Wahrscheinlichkeiten zur Schätzung der
Überlebensrate
zu
jedem
Zeitpunkt.
Der
Nachweis
eines
signifikanten
Unterschiedes der Überlebenszeit einzelner Subgruppen erfolgte mittels Log-rankTest. Die Hypothese der Unabhängigkeit wurde bei allen statistischen Verfahren
widerlegt, wenn das α-Niveau < 0,05 war. P-Werte und Dezimalzahlen wurden auf
zwei Stellen hinter dem Komma gerundet. Für alle statistischen Tests wurden 95
%-Konfidenzintervalle verwendet. Die Sammlung, Auswertung und Darstellung der
Daten erfolgte mit dem Programm SPSS 16.0 für Windows.
41
5. Ergebnisse
5.1. Zeitpunkt und klinische Situation (PD, Abbruch der CTX, Rezidiv) vor
Applikation der Salvage-Radiotherapie
Die
Radiotherapie
fand
im
Median
11
Monate
nach
der
initialen
Polychemotherapie statt (1 - 50 Monate, n = 49 evaluierbar). Ein Patient war für
diesen Parameter nicht evaluierbar, weil sich der Zeitpunkt der Radiotherapie nicht
mehr genau eruieren ließ.
In der Mehrzahl der Fälle, bei 26/50 Patienten (52 %) wurde die Radiotherapie als
erste Salvagetherapie eingesetzt. Bei 19/50 Patienten (38 %) erfolgte sie als
zweite Salvagetherapie. Zuvor hatten diese Patienten bereits eine anderweitige
Salvagetherapie erhalten. 5 Patienten (10 %) erhielten die Radiotherapie als dritte
Rezidivtherapie. Tabellen 6 und 7 zeigen die Art der ersten und zweiten
Salvagetherapie vor Radiotherapie (Kombinationstherapien möglich).
Tabelle 6: Art der ersten Salvagetherapie vor Radiotherapie als zweiter
Salvagetherapie
Art der 1.
Anzahl (%)
Salvagetherapie
keine
26 (52)
erneute Bonner-CTX
5 (10)
Temozolomid-CTX
5 (10)
PCV-CTX
5 (10)
HD-CTX + Stammzell-
4 (8)
transplantation
MTX intrathekal
1 (2)
Rituximab intrathekal
1 (2)
Gesamt
50 (100)
42
Tabelle 7: Art der zweiten Salvagetherapie vor Radiotherapie als dritter
Salvagetherapie
Art der 2.
Anzahl (%)
Salvagetherapie
keine
45 (90)
PCV-CTX
2 (4)
Temozolomid-CTX
1 (2)
Vitreale RT
1 (2)
CTX unbekannter Art
1 (2)
Gesamt
50 (100)
Die Strahlentherapie erfolgte bei 25/50 Patienten (50 %) bei Tumorprogress nach
Versagen des primären Bonner-Chemotherapieprotokolls (18/50 Patienten; 36 %)
oder sekundärem Therapieversagen nach vorangegangenen anderen SalvageTherapiemodalitäten (s. Tabelle 6 + 7).
Im Tumorrezidiv nach primärem Ansprechen auf die Bonner-Chemotherapie oder
die vorangegangenen Salvage-Therapiemodalitäten wurde die Radiotherapie bei
17/50 (34 %) Patienten appliziert. 8/50 Patienten (16 %) erhielten die
Radiotherapie wegen Abbruch der primären Chemotherapie bei schwerwiegenden
Nebenwirkungen (s. Tabelle 8).
Tabelle 8: Klinischer Zustand vor Ganzhirnbestrahlung
klinischer Zustand vor
absolute Anzahl (%)
Radiotherapie
PD
25 (50)
Rezidiv
17 (34)
Abbruch CTX
8 (16)
Gesamt
50 (100)
Bei den 17 Patienten mit Bestrahlung im Tumorrezidiv fand die Radiotherapie im
Median 19,0 Monate (6,0 – 50,0 Monate) nach Erstdiagnose statt. Die 24/25
Patienten mit gegenüber Chemotherapie primärem Tumorprogress (PD) wurden
im Median 5,5 Monate (2,0 – 47,0 Monate) nach Erstdiagnose bestrahlt. Bei acht
Patienten war die Chemotherapie wegen Nebenwirkungen abgebrochen worden.
43
5.2. Kenndaten der Salvage-Radiotherapie
Die mediane Dosis der Ganzhirnbestrahlung betrug 40 Gy (18,0 – 50,0 Gy, n = 44
evaluierbar). Bei 6/50 Patienten ließ sich die Bestrahlungsdosis retrospektiv nicht
eruieren. Bei 38/44 Patienten (86,4 %) wurde die komplette ursprünglich geplante
Strahlendosis
auch
Ganzhirnbestrahlung
appliziert.
In
3/44
Fällen
vorzeitig
abgebrochen
(6,8
%)
werden,
musste
einmal
die
wegen
Tumorprogress unter Radiotherapie, in zwei Fällen ist die genaue Ursache
unbekannt.
In
weiteren
3
Fällen
(6,8
%)
wurde
die
initial
geplante
Bestrahlungsdosis bei ausreichendem Therapieerfolg unterschritten. Einen
zusätzlichen Tumorboost erhielten 17/44 Patienten (38,6 %), im Median mit 10 Gy
(5,4 – 20,8 Gy). Die mediane Bestrahlungsdosis betrug sowohl bei Patienten mit
(29,6 – 45,0 Gy) als auch ohne Tumorboost (18,0 – 50,0 Gy) 40 Gy. Bei 48/50
Patienten ist die Radiotherapeutische Abteilung, in der die Bestrahlung erfolgte,
bekannt. Tabelle 9 gibt diese örtliche Verteilung wieder. Bei 2/50 Patienten ließ
sich das bestrahlende Krankenhaus retrospektiv nicht ermitteln.
Tabelle 9: Bestrahlende Abteilungen
Bestrahlendes Krankenhaus
Anzahl (%)
Universitätsklinikum Bonn
20 (40)
Universitätsklinikum Bochum
8 (16)
nicht-universitäres städtisches Haus
7 (14)
Universitätsklinikum Köln
6 (12)
Universitätsklinikum Heidelberg
4 (8)
Universitätsklinikum Dresden
3 (6)
unbekannt
2 (4)
Gesamt
50 (100)
5.3. Wirksamkeit der Salvage-Radiotherapie
Von 50 Patienten konnten 48 in Bezug auf das Therapieansprechen ausgewertet
werden: Davon zeigten 19 (40 %) nach Radiotherapie eine komplette Remission
und 11 Patienten (23 %) eine partielle Remission. Die Gesamtansprechrate auf
eine Salvage-Ganzhirnbestrahlung liegt damit in diesem Kollektiv bei 63 %. Bei
einem Patienten (2 %) blieb die Krankheit über einen Zeitraum von 3 Monaten
44
stabil, dann kam es zum Tumorprogress. In 17 Fällen (35,0 %) sprach der Tumor
nicht auf die Radiotherapie an und es kam zur Tumorprogression, davon
verstarben 3 Patienten während der Radiotherapie. Tabelle 10 gibt das
Ansprechen auf die Radiotherapie wieder. Zwei von 50 Patienten konnten
bezüglich des Ansprechens auf die Radiotherapie nicht ausgewertet werden. Ein
Patient davon wurde direkt nach der Radiotherapie ins Altersheim verlegt und
deshalb nicht bezüglich des Ansprechens nachuntersucht. Er verstarb 11 Monate
nach erfolgter Radiotherapie. Der andere nicht nachverfolgbare Patient erhielt
initial einen Therapiezyklus Chemotherapie mit klinisch gutem Ansprechen, dann
wurde
bei
Nebenwirkung
der
Chemotherapie
(Niereninsuffizienz)
die
Radiotherapie appliziert. Er verstarb 3 Monate danach ohne erneute Evaluation
und Dokumentation des Ansprechens.
Tabelle 10: Ansprechen auf die Salvage-Ganzhirnbestrahlung
Ansprechen auf RT
Das
mediane
absolute Anzahl (%)
CR
19 (40,0)
PR
11 (23,0)
SD
1 (2,0)
PD
17 (35,0)
Gesamt
48 (100)
Überleben
nach
Radiotherapie
betrug
für
das
gesamte
Patientenkollektiv 12 Monate (95 %-KI 5,8 – 18,2 Monate, evaluierbar n = 49/50).
Bei 1/50 Patienten konnte der genaue Beginn der Radiotherapie retrospektiv nicht
ermittelt werden, deshalb entging er der Analyse. Die Überlebensrate 12 Monate
nach Radiotherapie für das gesamte Patientenkollektiv lag bei 49 % (95 %-KI 44 –
53 %), nach 24 Monaten bei 33 % (95 %-KI 27 – 39 %) und nach 36 Monaten bei
19 % (95 %-KI 10 – 27 %). Das mediane Überleben nach Radiotherapie wurde
getrennt für Responder auf die Radiotherapie, d.h. komplette oder partielle
Tumorremission, gegenüber Nicht-Respondern, d.h. allen anderen Zuständen
nach
Radiotherapie,
ausgewertet.
46/50
Patienten
waren
diesbezüglich
evaluierbar. Die Daten von 4 Patienten konnten nicht ausgewertet werden. Bei
einem 1/50 konnte der genaue Beginn der Radiotherapie retrospektiv nicht
ermittelt werden. Ein weiterer von 50 Patienten mit zunächst stabilem
Krankheitsverlauf (SD) wurde aufgrund zu geringer Gruppenfallzahl aus der
45
Analyse des Überlebens nach Radiotherapie ausgeschlossen. Bei 2 weiteren
Patienten ließ sich das Ansprechen auf die Radiotherapie retrospektiv nicht
festlegen. Es konnte keine Einteilung zur Gruppe der Responder oder NichtResponder erfolgen. Achtundzwanzig von 46 Patienten (60,9 %) gehörten zu den
Respondern und lebten nach Radiotherapie im Median 22 Monate (95 %-KI 8,3 –
35,7 Monate). Zwölf Monate nach Radiotherapie lebten noch 69 % der Responder,
24 Monate danach noch 46 % und 36 Monate später 30 %.
Bei 18/46 Nicht-Respondern (39 %) lag das mediane Überleben nach
Radiotherapie bei 4 Monaten (95 %-KI 2,6 – 5,3 Monate). Es lebten 12 Monate
nach Radiotherapie noch 27,8 % der Nicht-Responder, 24 Monate danach noch
11,1 %. 36 Monate später lebt nur noch ein Patient. Statistisch ist der Unterschied
des medianen Überlebens nach Radiotherapie zwischen Respondern und NichtRespondern signifikant (p = 0,002).
Tabelle 11 gibt das mediane Überleben nach Radiotherapie getrennt nach
Ansprechen auf die Radiotherapie wieder. Evaluierbar war das mediane
Überleben nach Radiotherapie bei 46/50 Patienten. Bei einem 1/50 konnte der
genaue Beginn der Radiotherapie retrospektiv nicht ermittelt werden. Ein weiterer
von 50 Patienten mit zunächst stabilem Krankheitsverlauf (SD) wurde aufgrund zu
geringer Gruppenfallzahl aus der Analyse des Überlebens nach Radiotherapie
ausgeschlossen. Bei 2 weiteren Patienten ließ sich das Ansprechen auf die
Radiotherapie retrospektiv nicht festlegen.
Tabelle 11: Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit vom Ansprechen auf
die Radiotherapie
Status nach RT
Anzahl (%)
Median des
Überlebens nach RT (95 %-KI) (Monate)
Nach Kaplan-Meier
CR
PR
PD
Gesamt
18 (39,1)
30,0 (17,7 – 42,4)
11 (23,9)
6,0 (0,1 – 11,9)
17 (37,0)
4,0 (2,7 – 5,3)
46 (100)
46
Abbildung 1: Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit vom Ansprechen auf
die Radiotherapie
Die in Tabelle 11 und Abbildung 1 dargestellten Ergebnisse zeigen statistisch
signifikante Unterschiede im Median des Überlebens nach Radiotherapie (p =
0,001). Im Vergleich des medianen Überlebens nach Radiotherapie sich zwischen
den Patienten mit kompletter Remission und progredienter Tumorerkrankung
findet sich gemäß der in Tabelle 11 dargestellten Werte ein signifikanter
Unterschied (p < 0,001). Auch der Unterschied zwischen den Patienten mit
kompletter und partieller Remission ist statistisch signifikant (p = 0,002). Lediglich
der Unterschied im Gruppenmittelwert zwischen den Patienten mit partieller
Remission
und
progredienter
Tumorerkrankung
erreicht
kein
statistisch
signifikantes Niveau (p = 0,47).
Nach erfolgter Salvage-Ganzhirnbestrahlung erhielten 12/50 Patienten (24 %, n =
50 evaluierbar) eine anderweitige Salvagetherapie: Davon erhielt ein Patient von
12 (8,3 %) die Therapie bei partieller Tumorremission, 4/12 (33,3 %) bei
Tumorprogress und 7/12 (58,3 %) bei initial kompletter Remission nach
47
Radiotherapie, aber mit Rezidiv im weiteren Verlauf. In 4/12 (33,3 %) Fällen war
die Salvage-Therapie nach Bestrahlung eine Temozolomid-Chemotherapie, in
jeweils
einem
Fall
(8,3
%)
Polychemotherapie
nach
dem
Bonner-
Chemotherapieprotokoll, Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzelltransplantation,
Procarbazin-Chemotherapie und nicht näher bezeichnete Chemotherapie. Bei
1/50 Patienten erfolgte nach Ganzhirnbestrahlung die Gabe eines Kortisonstoßes
(2 %), ein weiterer Patient wurde okulär (2 %) und ein anderer aufgrund eines
systemischen Rezidivs cervikal bestrahlt (2 %). Einen Sonderfall stellt eine bei
Erstdiagnose 71-jährige Patientin dar. Sie wurde zunächst beim ersten Rezidiv
vier Jahre nach Erstdiagnose occipital mit 50 Gy bestrahlt. Beim zweiten Rezidiv
ein Jahr später erfolgte dann erneut eine stereotaktische Bestrahlung links
temporal mit 40 Gy Gesamtdosis und einem Boost von 10 Gy. Der Anteil von
Patienten, die nach Salvage-RT eine anderweitige Salvage-Therapie erhielt,
beeinflusst die Werte des Gesamtüberlebens nach Radiotherapie und muss bei
deren Interpretation berücksichtigt werden.
Das
mediane
progressionsfreie
Überleben
nach
Radiotherapie
lag
im
Gesamtkollektiv bei 20 Monaten (95 %-KI 10,3 – 29,7 Monaten). Ausgewertet
wurden gemäß der Definition des Begriffs „progressionsfreies Überleben“ nur die
29 Patienten, die nach Radiotherapie ein Therapieansprechen im Sinne einer
kompletten (n = 19/50) oder mindestens partiellen Tumorremission (n = 11/50)
gezeigt hatten. Im Gegensatz zum Gesamtüberleben nach Radiotherapie wird
durch diesen Parameter also nur der unmittelbare therapeutische Nutzen der
Radiotherapie und nicht der nachfolgenden Salvage-Therapien erfasst. Von den
19 Patienten mit kompletter Remission auf die Radiotherapie konnte einer
bezüglich des progressionsfreien Überlebens nicht ausgewertet werden, da der
genaue Zeitpunkt der Radiotherapie retrospektiv nicht zu eruieren war. Ein
Ereignis trat bei 20/29 ausgewerteten Patienten (69 %) ein. Bei 12/20 Patienten
(60 %) war das Ereignis nach Radiotherapie ein Tumorrezidiv, bei 8/20 (40 %)
Patienten der tumorassoziierte Tod. Das mediane progressionsfreie Überleben
nach Radiotherapie wurde getrennt für Patienten mit kompletter und partieller
Remission ausgewertet und sind in Tabelle 12 dargestellt. 29/29 Patienten waren
diesbezüglich evaluierbar. Das progressionsfreie Überleben der 18/29 (62,1 %)
Patienten mit kompletter Remission nach Radiotherapie lag im Median bei 23
Monaten (95 %-KI 5,6 – 40,4 Monate). 11/29 Patienten (37,9 %) zeigten nach
48
Radiatio
eine
partielle
Tumorremission
und
hatten
ein
medianes
progressionsfreies Überleben von 6 Monaten (95 %-KI 0,0 – 14,0 Monate).
Tabelle 12: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
vom Ansprechen auf die Radiotherapie
Status nach RT
Anzahl (%)
Median des progressionsfreien
Überlebens nach RT (95 %-KI) (Monate)
Nach Kaplan-Meier
CR
18 (62,1)
23,0 (5,6 – 40,4)
PR
11 (37,9)
6,0 (0,0 –14,0)
Gesamt
29 (100)
Abbildung 2: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in
Abhängigkeit vom Ansprechen auf die Radiotherapie
49
Die in Tabelle 12 dargestellten Ergebnisse zeigen statistisch signifikante
Unterschiede im Median des progressionsfreien Überlebens nach Radiotherapie
zwischen den Patienten mit kompletter und partieller Remission auf die
Radiotherapien (p = 0,02). Nach 6 Monaten betrug die progressionsfreie
Überlebensfraktion 75 % (95 %-KI 71 – 80 %), nach 12 Monaten 59 % (95 %-KI
52 – 65 %), nach 24 Monaten 37 % (95 %-KI 29 – 44 %) und nach 36 Monaten 20
% (95 %-KI 12 – 29 %).
5.4. Relevanz der klinischen Situation (PD, Abbruch der CTX, Rezidiv) vor
Salvage-Radiotherapie für deren Wirksamkeit
Eine zentrale Aufgabe der vorliegenden Studie ist die Beantwortung der Frage, ob
es für die Wirksamkeit der Salvage-Radiotherapie von Relevanz ist, ob die RT bei
Tumorprogress, Abbruch der initialen Bonner-Chemotherapie bei Nebenwirkungen
oder Tumorrezidiv appliziert wurde. Bezüglich der Häufigkeitsverteilung des
Ansprechens auf die Radiotherapie in Abhängigkeit von der klinischen Situation in
der die Radiotherapie appliziert wurde, waren 48/50 Patienten evaluierbar. Bei 2
weiteren Patienten ließ sich das Ansprechen auf die Radiotherapie retrospektiv
nicht festlegen. Tabelle 13 zeigt die Häufigkeitsverteilung des Ansprechens auf die
Radiotherapie in Abhängigkeit von der klinischen Situation vor Radiotherapie.
Tabelle 13: Häufigkeitsverteilung des Ansprechens auf die Radiotherapie in
Abhängigkeit von der klinischen Situation vor Radiotherapie
Ansprechen auf RT
Total
CR
PR
SD
PD
Klinische
PD
10 (41,7)
2 (8,3)
1 (4,2)
11 (45,8)
24 (100)
Situation
Rezidiv
5 (29,4)
7 (41,2)
0 (0)
5 (29,4)
17 (100)
vor RT
Abbruch
4 (57,1)
2 (28,6)
0 (0)
1 (14,3)
7 (100)
Anzahl
CTX
(%)
Gesamt
19
11
1
17
48
Die oben dargestellten Unterschiede in den Häufigkeiten des Ansprechens auf die
Radiotherapie in Abhängigkeit von der klinischen Situation vor Applikation der
Radiotherapie erreichen keine statistische Signifikanz (p = 0,2).
50
Tabelle 14 gibt das Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit von der
klinischen Situation vor Applikation der Radiotherapie wieder. Diesbezüglich
evaluierbar waren 49/50 Patienten. Bei 1/50 Patienten konnte der genaue Beginn
der Radiotherapie retrospektiv nicht ermittelt werden, deshalb entging er der
Analyse.
Tabelle 14: Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit von klinischer
Situation vor Applikation der Radiotherapie
Klinischer Zustand vor RT
Anzahl (%)
Median des
Überlebens nach RT
(95 %-KI) (Monate)
Nach Kaplan-Meier
PD
24 (39,1)
6,0 (1,2 – 10,8)
Rezidiv
17 (23,9)
15,0 (2,6 – 27,4)
Abbruch CTX
8 (36,9)
22,0 (
Gesamt
-
)
49 (100)
51
Abbildung 3: Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit von klinischer
Situation vor Applikation der Radiotherapie
Die Patienten mit Applikation der Radiotherapie im Rezidiv lebten nach
Radiotherapie gegenüber jenen mit Applikation bei Tumorprogress unter
Chemotherapie 15 Monate (95 %-KI 2,6 – 27,4 Monate) gegenüber 6 Monaten (95
%-KI 1,2 – 10,8 Monate). Die in Tabelle 14 und Abbildung 3 dargestellten
Ergebnisse zeigen keine statistisch signifikanten Unterschiede im Median des
Überlebens nach Radiotherapie zwischen den Patienten mit Applikation der
Radiotherapie bei Tumorprogress, Tumorrezidiv oder vorangegangenem Abbruch
der Chemotherapie (p = 0,14).
Tabelle 15 gibt das progressionsfreie Überleben nach Radiotherapie in
Abhängigkeit von der klinischen Situation vor Applikation der Radiotherapie
wieder. Ausgewertet wurden gemäß der Definition des Begriffs „progressionsfreies
Überleben“ nur die 29 Responder auf die RT, die nach Radiotherapie ein
Therapieansprechen im Sinne einer kompletten (n = 19/50) oder mindestens
partiellen Tumorremission (n = 11/50) gezeigt hatten. Von den 19 Patienten mit
52
kompletter Remission auf die Radiotherapie konnte einer bezüglich des
progressionsfreien Überlebens nicht ausgewertet werden, da der genaue
Zeitpunkt der Radiotherapie retrospektiv nicht zu eruieren war.
Tabelle 15: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit von
klinischer Situation vor Applikation der Radiotherapie
Klinischer Zustand
Anzahl
Median des
vor RT
(%)
Progressionsfreien Überlebens nach RT (95
%-KI) (Monate)
Nach Kaplan-Meier
PD
11 (37,9)
29,0 ( 9,9 – 48,1)
Rezidiv
12 (41,4)
12,0 ( 7,5 – 16,5)
6 (20,6)
14,0 ( 7,8 – 20,3)
Abbruch CTX
Gesamt
29 (100)
Abbildung 4: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
von klinischer Situation vor Applikation der Radiotherapie
53
Die Patienten mit Applikation der Radiotherapie bei Tumorprogression unter
Chemotherapie zeigten hier mit 29 Monaten (95 %-KI 9,9 – 48,1 Monate) ein
deutlich längeres progressionsfreies Intervall nach Radiotherapie als die Patienten
mit Radiotherapie bei Tumorrezidiv (12,0 Monate (95 %-KI 7,5 – 16,5 Monate))
oder bei Abbruch der Chemotherapie (14,0 Monate (95 %-KI 7,8 – 20,3 Monate)).
Diese Unterschiede in der Dauer des progressionsfreien Intervalls in Abhängigkeit
von der klinischen Situation vor Applikation der Radiotherapie erreichen jedoch
keine statistische Signifikanz (p = 0,96).
Zusammenfassend scheint es für die Wirksamkeit der Salvage-Radiotherapie
nicht von Relevanz zu sein, ob die RT bei Tumorprogress, Abbruch der initialen
Bonner- Chemotherapie bei Nebenwirkungen oder Tumorrezidiv appliziert wird.
5.5. Relevanz
des
Zeitpunktes
der
Salvage-Radiotherapie
(1./2./3.
Salvagetherapie) für deren Wirksamkeit
Eine weitere zentrale Aufgabe der vorliegenden Studie ist die Beantwortung der
Frage, ob es für die Wirksamkeit der Salvage-Radiotherapie von Relevanz ist, ob
die
RT
als
erste,
zweite
oder
dritte
Salvage-Therapiemodalität
im
Krankheitsverlauf, d.h. früh gegenüber spät, appliziert wird.
Tabelle 16 zeigt das Ansprechen auf die Radiotherapie in Abhängigkeit von der
Tatsache, ob die Radiotherapie als erste, zweite oder dritte Salvagetherapie
eingesetzt wurde. Es waren 48/50 Patienten diesbezüglich evaluierbar. Bei 2
weiteren Patienten ließ sich das Ansprechen auf die Radiotherapie retrospektiv
nicht festlegen.
Tabelle 16: Ansprechen auf die Radiotherapie in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der
Radiotherapie (1./2./3. Salvage-Therapie)
Ansprechen auf RT
Total
CR
PR
SD
PD
Wievielte
1.
8 (32)
6 (24)
1 (4)
10 (40)
25 (100)
Salvage-
2.
10 (52,6)
4 (21,1)
0 (0)
5 (26,3)
19 (100)
Therapie ist
3.
1 (25)
1 (25)
0 (0)
2 (50)
4 (100)
Radiotherapie
Gesamt
19
11
1
17
48 (100)
Anzahl (%)
54
Die oben dargestellte Häufigkeitsverteilung erreicht keine statistische Signifikanz
(p = 0,78).
Tabelle 17 gibt das Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit vom
Applikationszeitpunkt
der
Salvage-Radiotherapie
früh
gegenüber
spät
im
gesamten Therapieverlauf wieder. Diesbezüglich evaluierbar waren 49/50
Patienten. Einer von 50 Patienten konnte aus in Absatz 5.3. genannten Gründen
nicht in die Analyse einbezogen werden.
Tabelle
17:
Überleben
nach
Radiotherapie
in
Abhängigkeit
vom
Applikationszeitpunkt der Salvage-Radiotherapie im gesamten Therapieverlauf
Wievielte Salvage-Therapie ist
Anzahl
Median des
Radiotherapie?
(%)
Überlebens nach RT (95 %KI) (Monate)
Nach Kaplan-Meier
1.
26 (53,1)
17,0 (0,0 – 39,9)
2.
18 (36,7)
14,0 (4,7 – 23,2)
3.
5 (10,2)
9,0 (0,0 – 19,7)
Gesamt
49 (100)
55
Abbildung
5:
Überleben
nach
Radiotherapie
in
Abhängigkeit
vom
Applikationszeitpunkt der Salvage-Radiotherapie im gesamten Therapieverlauf
Der Hauptteil der 49 Patienten (26/49 Patienten, 53,1 %) erhielt die Radiotherapie
als 1. Salvage-Therapie ohne vorherige Anwendung anderweitiger SalvageTherapiemodalitäten. Bei dieser Gruppe zeigte sich auch das längste mediane
Überleben nach Radiotherapie von 17 Monaten (95 %-KI 0,0 – 39,9 Monate).
18/49 Patienten (36,7 %) mit Applikation der Radiotherapie als zweite SalvageTherapieoption lebten nach Radiotherapie im Median 14 Monate (95 %-KI 4,7 –
23,2 Monate). Bei 5/49 Patienten (10,2 %) stellte die Radiotherapie im Verlauf die
dritte Salvage-Therapie dar. Das mediane Überleben nach Radiotherapie in dieser
Gruppe betrug 9 Monate (95 %-KI 0,0 – 19,7 Monate). Die in Tabelle 17 und
Abbildung 5 dargestellten Ergebnisse zeigen jedoch keine statistisch signifikanten
Unterschiede im Median des Überlebens nach Radiotherapie zwischen den
Patienten mit Applikation der Radiotherapie als erste, zweite oder dritte SalvageTherapie im Krankheitsverlauf (p = 0,2).
56
Tabelle 18 gibt das progressionsfreie Überleben nach Radiotherapie in
Abhängigkeit vom Applikationszeitpunkt der Salvage-Radiotherapie im gesamten
Therapieverlauf wieder. Ausgewertet wurden gemäß der Definition des Begriffs
„progressionsfreies Überleben“ nur die 29 Patienten, die nach Radiotherapie ein
Therapieansprechen im Sinne einer kompletten (n = 19/50) oder mindestens
partiellen Tumorremission (n = 11/50) gezeigt hatten. Von den 19 Patienten mit
kompletter Remission auf die Radiotherapie konnte einer bezüglich des
progressionsfreien Überlebens nicht ausgewertet werden, da der genaue
Zeitpunkt der Radiotherapie retrospektiv nicht zu eruieren war.
Tabelle 18: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
vom
Applikationszeitpunkt
der
Salvage-Radiotherapie
im
gesamten
Therapieverlauf
Wievielte Salvage-
Anzahl (%)
Median des
Therapie ist
Progressionsfreien
Radiotherapie?
Überlebens nach RT (95
%-KI) (Monate)
Nach Kaplan-Meier
1.
14 (48,3)
14,0 (7,9 – 20,1)
2.
13 (44,8)
29,0 (15,8 – 42,2)
3.
2 (6,9)
Gesamt
3,0 (
-
)
29 (100)
57
Abbildung 6: Progressionsfreies Überleben nach Radiotherapie in Abhängigkeit
vom
Applikationszeitpunkt
der
Salvage-Radiotherapie
im
gesamten
Therapieverlauf
Die
oben
dargestellten
Unterschiede
in
der
medianen
Dauer
des
progressionsfreien Intervalls in Abhängigkeit von der klinischen Situation vor
Applikation der Radiotherapie erreichen jedoch keine statistische Signifikanz (p =
0,31).
Zusammenfassend
scheint
der
Zeitpunkt
der
Applikation
der
Salvage-
Radiotherapie für deren Wirksamkeit nicht von Relevanz zu sein.
58
6. Diskussion
Es gibt in der Literatur zwei Studien, die Wirksamkeit einer Salvage-Radiotherapie
nach Therapieversagen einer primären Chemotherapie bei PZNSL untersuchten
(Nguyen, Chakravarti et al. 2005; Hottinger, DeAngelis et al. 2007). Hottinger et al.
analysierten 2007 bei 48 Patienten retrospektiv, monozentrisch die Effektivität und
Neurotoxizität von Ganzhirnbestrahlung als Salvagetherapie bei rezidiviertem (n =
24) oder therapierefraktärem (n = 24) PZNSL (Hottinger, DeAngelis et al. 2007).
Nguyen und Mitarbeiter untersuchten 2005 prospektiv, monozentrisch die
Ergebnisse der Ganzhirnbestrahlung bei 27 Patienten, die gegenüber einer
initialen MTX-basierten Chemotherapie entweder therapierefraktär waren (n = 17)
oder nach Chemotherapie ein Tumorrezidiv hatten (n = 10) (Nguyen, Chakravarti
et al. 2005). Zur ausschließlichen Hirnbestrahlung als Primärtherapie des PZNSL
wurde lediglich eine prospektiven Phase II-Therapiestudie der Radiation Therapy
Oncology Group (RTOG) mit 40 Gy Ganzhirnbestrahlung und fakultativ 20 Gy
Tumorboost bei 41 Patienten vorgelegt (Nelson, Martz et al. 1992).
Im Folgenden werden die Ergebnisse der hier dargestellten Daten kritisch
interpretiert und hinsichtlich Ansprechraten, Gesamt- und progressionsfreiem
Überleben nach Salvage-Radiotherapie mit den historischen Ergebnissen von
Nelson, Nguyen, Hottinger und ihren Mitarbeitern vergleichend diskutiert.
Eine Einschränkung der vorliegenden Studie ist sicher die retrospektive Analyse.
Die hier analysierten Patienten stellen kein homogenes Kollektiv dar. Zwar war die
primäre Chemotherapie trotz multizentrischer Durchführung durch die detaillierten
Chemotherapieprotokolle standardisiert, jedoch erhielten die Patienten eine
unterschiedliche
Anzahl
an
Chemotherapiezyklen
und
nicht
immer
eine
intrathekale Therapie. Die Salvage-Ganzhirnbestrahlung war nicht standardisiert.
Die Dosis der Radiotherapie war zum Teil sehr unterschiedlich (Median 40,0 Gy,
18,0 – 50,0 Gy); 38,6 % erhielten außerdem einen zusätzlichen Tumorboost. Bei
13,6 % wurde nicht die komplette geplante Dosis verabreicht. Die Bestrahlung
wurde insgesamt 5 Universitätskliniken und mehreren peripheren städtischen
Krankenhäusern deutschlandweit durchgeführt. Auch hierdurch ergeben sich
zwangsläufig Behandlungsunterschiede. Die im Folgenden getroffenen Aussagen
59
zur Wirksamkeit einer Salvage-Ganzhirnbestrahlung müssen folglich mit diesen
Einschränkungen betrachtet werden.
Die Ansprechrate des hier analysierten Kollektivs lag bei 63 % (40 % CR; 23 %
PR). Hottinger und Mitarbeiter ermittelten eine Ansprechrate von 79 % (58 % CR;
21 % PR). In unserem Kollektiv kam es in 35,4 % der Fälle zum Tumorprogress
unter Radiotherapie. Bei Hottinger betrug dieser Anteil nur 15 %. Grundlegende
Patientencharakteristika wie medianes Alter der Patienten bei Erstdiagnose
(Hottinger: 59,5 Jahre, 49 – 77 Jahre gegenüber 65 Jahre, 25 – 75 Jahre),
mediane Bestrahlungsdosis (Hottinger: 40 Gy, 21,60 – 50,40 Gy gegenüber 40
Gy, 18,0 – 50,0 Gy) und Zeitintervall zwischen Beginn der Chemotherapie und
Beginn der Radiotherapie (Hottinger: 8 Monate, 1,2 – 67 Monate gegenüber 11
Monaten, 1 - 50 Monate) unterscheiden sich zwischen Hottingers und dem hier
analysierten Kollektiv nicht maßgeblich. Somit können diese Faktoren die bessere
Ansprechrate auf die Radiotherapie und niedrigere Tumorprogressionsrate von
Hottingers Patienten nicht ausreichend erklären. Hottingers 48 Patienten hatten
alle eine Polychemotherapie auf MTX-Basis als Primärtherapie erhalten, jedoch
jeweils unterschiedliche Protokolle. Das Patientenkollektiv der hier vorliegenden
Arbeit hat im Gegensatz als Primärtherapie in allen Fällen ein gleichartiges
Chemotherapieprotokoll
(Bonner-Chemotherapieprotokoll)
mit
nur
geringen
Modifikationen erhalten. Bezüglich der Primärtherapie ist das Patientenkollektiv
dieser Arbeit also homogener. In die Auswertung gingen hier aber, im Gegensatz
zu Hottingers Studie, auch Patienten ein, die die Radiotherapie nicht bis zur
geplanten Enddosis erhielten (13,6 %). Hottinger und Mitarbeiter schlossen nur
Patienten ein, die monozentrisch am hochspezialisierten Memorial Sloan-Kettering
Cancer Center in New York, USA behandelt wurden. Das hier vorgestellte
Kollektiv erhielt die Bestrahlung in unterschiedlichen Universitätskliniken oder
peripheren städtischen Krankenhäusern. Die Therapie war somit zwangsläufig
weniger standardisiert als bei Hottingers Kollektiv. Nguyen und Mitarbeiter
ermittelten gegenüber dem hier vorliegenden Kollektiv ebenfalls eine höhere
Ansprechrate von 74 % (37 % CR; 37 % PR) und eine stabile und progrediente
Tumorerkrankung unter Radiotherapie in 26 % der Fälle. Alle Patienten erhielten
bei Nguyen und Mitarbeitern eine homogene MTX-Chemotherapie. Zwei/27
Patienten komplettierten die initial geplante Bestrahlungsdosis nicht. Hottingers
und
Nguyens
bessere
Gesamtansprechrate
und
geringerer
Anteil
an
60
Tumorprogression unter Bestrahlungstherapie können möglicherweise durch die
standardisierte, monozentrische Bestrahlungstherapie erklärt werden.
Nelson und Mitarbeiter fanden bei primärer Radiotherapie Ansprechraten von 63
% (39 % CR; 24 % PR). Die hier ermittelte Ansprechrate auf eine SalvageRadiotherapie von 62,5 % ist mit Nelsons Ergebnissen vergleichbar. Hottingers
und Nguyens Ansprechraten sind sogar deutlich besser. Dies unterstützt die
These, dass ein PZNSL auch in der Salvage-Therapiesituation gegenüber
Ganzhirnbestrahlung sensibel bleibt.
Das Zeitintervall des Überlebens nach Radiotherapie setzt sich aus der
Wirksamkeit der Ganzhirnbestrahlung selbst und zusätzlich aus der der SalvageTherapiemodalitäten nach Radiotherapie zusammen. Die hier untersuchte Kohorte
zeigte ein Überleben nach Radiotherapie von im Median 12 Monaten (95 %-KI 5,8
– 18,2 Monate). Aufgeschlüsselt nach dem Ansprechen auf die Radiotherapie
zeigten erwartungsgemäß die Patienten mit kompletter Tumorremission mit 30
Monaten ein längeres medianes Überleben als die Patienten mit partieller
Tumorremission (6 Monate). Die mit 4 Monaten kürzeste Überlebenszeit nach
Radiotherapie hatten die Patienten, deren Tumor unter Radiotherapie weiter
fortschritt. Auffällig ist die signifikante Differenz des Überlebens nach Salvage-RT
von Patienten mit CR gegenüber PR (30,0 Monate versus 6,0 Monate; p = 0,002).
Betrachtet man die graphische Darstellung dieser Ergebnisse (Abbildung 1), dann
fällt auf dass sich das Überleben nach Radiotherapie der Patienten mit partieller
Tumorremission
und
progredienter
Tumorerkrankung
nicht
signifikant
unterscheidet (p = 0,47) und die Kaplan-Meier-Kurven nahezu parallel verlaufen.
Bei Hottinger und Mitarbeitern zeigte die Kurve für das Überleben nach
Radiotherapie in Abhängigkeit vom Ansprechen auf die Radiotherapie denselben
Zusammenhang
mit
Signifikanz
im
Unterschied
des
Überlebens
nach
Radiotherapie von CR gegenüber PR oder weniger (p = 0,0002).
Somit haben zwei voneinander unabhängige Studien gezeigt, dass vor allem das
Erreichen einer kompletten Tumorremission auf Salvage-Radiotherapie mit
signifikant verlängertem Überleben nach Radiotherapie gegenüber allen anderen
Situationen einhergeht. Es ist daher anzunehmen, dass in der Untergruppe mit PR
radioresistente Tumorzellklone den Verlauf der Tumorerkrankung bestimmen,
weitgehend unabhängig von der Präsenz auch strahlentherapieempfindlicher
Klone. Es ist daher zu überlegen, bei Patienten die nach Salvage-RT keine CR
61
erreichen, unmittelbar eine Salvage-Chemotherapie anzuschließen - wenn
möglich- , da ihre Prognose sonst ähnlich schlecht ist, wie die der progredienten
Patienten.
Bei primärer Radiotherapie wurde ein Überleben nach Radiotherapie von 11,6
Monaten beobachtet (Nelson, Martz et al. 1992). Dies lässt die Schlussfolgerung
zu, dass die Verzögerung von Ganzhirnbestrahlung bis zum Therapieversagen
oder Rezidiv die Überlebenszeit nach Radiotherapie gegenüber Applikation als
Teil
einer
Primärtherapie
nicht
verringert.
Ohne
Kontrollgruppe
ohne
Salvagetherapie nach Radiotherapie ist es jedoch nicht möglich, das Überleben
nach Radiotherapie komplett als Effekt der Radiotherapie zu interpretieren.
Nguyen und Mitarbeiter berichteten im Gesamtkollektiv von 9,7 Monaten
medianem progressionsfreien Überleben nach Radiotherapie. Es liegt somit nur
wenig unter dem medianen Gesamtüberleben nach Radiotherapie von 10,9
Monaten
in
seiner
Studie.
Im
hier
berichteten
Kollektiv
zeigte
sich,
definitionsgemäß nur ausgewertet bei Patienten mit mindestens partieller
Tumorremission auf die Bestrahlung, ein medianes progressionsfreies Überleben
nach Radiotherapie von 20 Monaten. Selbst nach Eintritt eines Ereignisses im
Sinne eines Therapieversagens überlebte diese Gruppe von Patienten dann,
teilweise unter anderweitigen Salvage-Therapien, im Median weitere 3 Monate
(Überleben nach Radiotherapie für Patienten mit kompletter Tumorremission im
Median 23,0 Monate). Wie Abbildung 2 zeigt, ist es für das progressionsfreie
Überleben nach RT hochrelevant, ob nach Salvage-RT eine komplette oder
partielle Tumorremission erreicht wird. Die Patienten mit CR blieben ca. vier mal
so lange ohne Therapieversagen wie die Patienten mit PR (23 Monate versus 6
Monate; p = 0,02). Dieser Zusammenhang wird weder bei Nguyen noch bei
Hottinger und Mitarbeitern so beschrieben. Die Ergebnisse der hier vorliegenden
Studie betonen also den guten Effekt der Salvage-RT auf die lokale
Tumorkontrolle bei Erreichen einer kompletten Tumorremission. Wie bereits zuvor
dargestellt, schlägt sich dieser Effekt auch im signifikant verbesserten Überleben
nach RT von Patienten mit CR gegenüber PR nieder. Da das mediane Überleben
neu diagnostizierter und rezidivierter PZNSL ohne Behandlung insgesamt bei 1,5
– 2 Monaten liegt (Plotkin and Batchelor 2001; Reni, Ferreri et al. 2001), lässt sich
trotz
aller
Einschränkungen
zusammenfassen,
dass
eine
Salvage-
Ganzhirnbestrahlung auf jeden Fall zu einem Überlebensvorteil beiträgt.
62
In dem hier untersuchten, vergleichsweise kleinen Kollektiv war ein Unterschied
zwischen den einzelnen Gruppen, d.h. Bestrahlung entweder bei Progress unter
Chemotherapie, Rezidiv nach initialem Ansprechen auf die Chemotherapie oder
Abbruch der Chemotherapie bei Nebenwirkungen, in Bezug auf das Ansprechen
auf die Salvagebestrahlung statistisch nicht signifikant (p = 0,2). Auch die Daten
von Nguyen und Mitarbeitern zeigten keinen signifikanten Unterschied in der
radiologischen Ansprechrate auf die Radiotherapie zwischen den Patienten, die
die Bestrahlung im Rezidiv oder bei Tumrprogress erhalten hatten (70 % versus
76 %). Bei Hottinger und Mitarbeitern ließ sich ein solcher Zusammenhang
ebenfalls nicht bestätigen. Insgesamt kann man daher eine Abhängigkeit des
Therapieerfolges von dieser klinischen Situation nicht ableiten.
Insgesamt fand sich im hier analysierten Kollektiv die statistisch nicht signifikante
Tendenz, dass die Patienten mit Radiotherapie bei Abbruch der Chemotherapie
die längsten Überlebenszeiten nach Radiotherapie erreichen. Diejenigen mit
Bestrahlung im Tumorprogress lebten kürzer als die Patienten mit Bestrahlung im
Tumorrezidiv. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen klinischer Situation vor
Applikation der Radiotherapie und Gesamt-, oder progressionsfreiem Überleben
nach Radiotherapie ließ sich auch bei Hottinger und Mitarbeitern und Nguyen und
Mitarbeitern nicht nachweisen.
Im hier untersuchten Patientenkollektiv spielte auch der Zeitpunkt der SalvageRadiotherapie, d.h. als erste, zweite oder dritte Salvagetherapie, bezüglich des
Ansprechens auf die Radiotherapie (p = 0,78) und das Gesamt- oder
progressionsfreien Überlebens nach Radiotherapie (p = 0,2; p = 0,31) keine
signifikante Rolle. Die Tendenz im hier vorgestellten Kollektiv ging dahin, dass die
Patienten mit Bestrahlung als erste oder zweite Salvage-Therapie länger
überlebten, als solche mit Bestrahlung als dritte Salvage-Therapie. Diese Tendenz
kann möglicherweise durch den sich im Verlauf einer Tumorerkrankung ständig
verschlechternden Allgemeinzustand und durch Anwendung verschiedener
Therapiemodalitäten über Selektion von resistenten Tumorzellen erklärt werden.
Hottinger und Nguyen treffen zu diesem Aspekt keine Aussage. Insgesamt
bestätigt sich hier erneut die bereits vorher postulierte These, dass das
Aufschieben der Radiotherapie bis zum Therapieversagen oder Rezidiv das
Outcome der Patienten nicht negativ beeinflusst.
63
Nun stellt sich die Frage, wie sich die Wirksamkeit einer Salvage-Radiotherapie
gegenüber Salvage-Chemotherapieprotokollen verhält. Das Ansprechen auf
konventionelle Chemotherapieprotokolle in der Salvage-Situation liegt zwischen
25 und 40 % (Enting, Demopoulos et al. 2004; Fischer, Thiel et al. 2004; Reni,
Mason et al. 2004). Reni und Mitarbeiter sahen bei 23 Patienten mit SalvageTemozolomid Therapie in 26 % ein objektives Ansprechen (CR: n = 5; PR) (Reni,
Mason et al. 2004). Enting und Mitarbeiter erreichten bei Kombination der
Temozolomid-Salvage-Therapie
mit
dem
CD-20-Antikörper
Rituximab eine
Ansprechrate von 53 %, ein medianes Gesamtüberleben von 14 Monaten und ein
medianes progressionsfreies Überleben von 7,7 Monaten (Enting, Demopoulos et
al. 2004). Die Patienten waren im Median 69 Jahre alt (3 – 39 Jahre). Fischer und
Mitarbeiter behandelten 16 Patienten mit Topotecan-Salvage-Therapie. Dies
führte zu einer Ansprechrate von 33 % (n = 5 CR; n = 4 PR). Das mediane
Gesamtüberleben betrug 8,4 Monate und das mediane progressionsfreie
Überleben 2 Monate (Fischer, Thiel et al. 2004). Vorteil dieser 3 Studien war die
relativ geringe Toxizität bei insgesamt komorbiden, älteren Patienten. Gegenüber
diesen Studien scheint die Salvage-Radiotherapie des hier vorgestellten
Kollektivs, bei vergleichbarem medianen Lebensalter (65 Jahre; 25 – 75 Jahre),
vorteilhaftere
Ergebnisse
zu
erzielen
(Ansprechrate
62,5
%;
medianes
progressionsfreies Überleben nach RT 20 Monate (bei CR 23 Monate; bei PR 6
Monate)). Soussain und Mitarbeiter therapierten 43 im Vergleich zu oben
genannten Studien jüngere Patienten (medianes Alter 52 Jahre; 23 – 65 Jahre) in
der Salvage-Situation mit HD-Chemotherapie (2 Zyklen Cytarabin und Etoposid
(CYVE)).
27/43
Patienten
erhielten
daraufhin
ein
intensiviertes
Chemotherapieprotokoll (Thiopeta, Busulfan, und Cyclophosphamid) und eine
anschließende autologe Stammzelltransplantation (Fischer, Thiel et al. 2004;
Soussain, Hoang-Xuan et al. 2004; Soussain, Hoang-Xuan et al. 2008). 26/27
Patienten schlossen diese vergleichsweise aggressive Behandlung mit einer
kompletten Remission ab. Einer von 27 Patienten zeigte einen Tumorprogress.
Das mediane Gesamtüberleben lag bei 18,3 Monaten, das progressionsfreie
Überleben bei 7,1 Monaten (2,5 - 42 Monate). Es wurde, ohne prospektive
neuropsychologische Testung, eine relevante Spätneurotoxizität in 11 % der Fälle
betrachtet. Alle Patienten hatten in der Vortherapie HD-MTX und einige zusätzlich
RT erhalten.
64
Da
die
Datenlage
zeigt,
dass
Chemotherapie
auf
MTX-Basis
ohne
Ganzhirnbestrahlung das Risiko verzögerter Neurotoxizität reduziert (Fliessbach,
Urbach et al. 2003; Fliessbach, Helmstaedter et al. 2005; Neuwelt, Guastadisegni
et al. 2005) scheint es also für den Patienten von Vorteil zu sein, zunächst weniger
neurotoxische Therapiemodalitäten einzusetzen und die Ganzhirnbestrahlung erst
in der Salvage-Situation einzusetzen. Shibamoto und Mitarbeiter (Shibamoto,
Hayabuchi et al. 2003) untersuchten 2003 in diesem Zusammenhang retrospektiv
die Frage, ob eine partielle Hirnbestrahlung mit Überlebensnachteilen und
höheren Rezidivraten innerhalb und außerhalb des Bestrahlungsfeldes gegenüber
Ganzhirnbestrahlung einhergeht. Von den 43 untersuchten Patienten hatten 26 im
Krankheitsverlauf eine systemische Chemotherapie erhalten. Es zeigte sich, dass
eine
partielle
Hirnbestrahlung
mit
<
4
cm
Sicherheitsabstand
der
Bestrahlungsgrenzen zum Tumorrand zu einer signifikant erhöhten Rezidivrate
außerhalb des Bestrahlungsfeldes im Vergleich zu Sicherheitsrändern ≥ 4 cm führt
(83 % nach 5 Jahren versus 22 % nach 5 Jahren, p = 0,0079). Der Aspekt der
möglicherweise
geringeren
Neurotoxizität
von
partieller
gegenüber
Ganzhirnbestrahlung, den bereits 1988 Constine und Mitarbeiter beschrieben
(Constine, Konski et al. 1988), wurde von Shibamoto und Mitarbeitern nicht
untersucht. Die partielle Hirnbestrahlung mit Sicherheitsabständen ≥ 4 cm sollte
hinsichtlich ihres therapeutischen Potentials und der damit verbundenen
Neurotoxizität Gegenstand weiterer Studien sein.
Zusammenfassend muss die Modalität der Salvage-Therapie abhängig vom Alter
des Patienten, seinen Komorbiditäten und dem Ansprechen auf die zuvor
durchgeführten Primärtherapien, gewählt werden. Da eine lange Remissionsdauer
nach initialer MTX-Chemotherapie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf erneute
CR einhergeht (Plotkin, Betensky et al. 2004), ist dieses Vorgehen ist bei älteren
Patienten Methode der Wahl. Bei jungen Patienten < 60 Jahre ist die HDChemotherapie mit Stammzelltransplantation von Soussain und Mitarbeitern in der
Salvagesituation erfolgsversprechend (Soussain, Hoang-Xuan et al. 2004;
Soussain, Hoang-Xuan et al. 2008). Die Monotherapie mit Temozolomid oder
Topotecan sowie die Kombination aus Temozolomid und Rituximab sollte bei
initialem Versagen der MTX-Chemotherapie oder bei nur kurz andauerndem
Ansprechen auf die Primärtherapie angewandt werden. Die Radiotherapie hat
zusammenfassend eine zentrale Rolle in der Krankheitskontrolle. In der
65
Primärtherapie scheint sie das PFS zu verlängern, ohne das OS zu beeinflussen
(Omuro, Taillandier et al. 2010; Thiel, Korfel et al. 2010). Beim Treffen
individualisierter Therapieentscheidungen beim PZNSL ist die WBRT weder in der
Primär- noch in der Salvagesituation generell zu verbannen. Es ist zu bedenken,
dass auch ein Tumorrezidiv oder -progress aufgrund der Tumorlast mit relevanter
Verschlechterung der kognititven Funktion einhergehen kann. Die verschiedenen
Therapieoptionen müssen mit dem Patienten hinsichtlich Einfluss auf das OS,
PFS und assoziierte Neurotoxizität diskutiert werden. Bei CR nach Salvage-RT ist
mit einem akzeptablen Gesamt- und progressionsfreien Überleben nach RT
gegenüber PR und PD zu rechnen. Bereits bei PR nach RT sollte die Anwendung
von chemotherapiebasierten Salvage-Therapien diskutiert werden, da hier mit
einem schlechten progressionsfreien und Gesamtüberleben, ähnlich dem von
progredienten Patienten, zu rechen ist.
Zusammenfassend scheint die Verzögerung von WBRT bis zum primären oder
sekundären Therapieversagen bei Patienten mit primärer Chemotherapie nach
dem Bonner-Chemotherapieprotokoll unabhängig vom Ansprechen auf die
Chemotherapie eine effektive Therapieoption zu sein, die sich nicht negativ auf
das OS auswirkt. Weitere prospektive, randomisiert-kontrollierte Studien zur
Untersuchung dieses Zusammenhangs sind nötig.
66
7. Zusammenfassung
Primäre ZNS-Lymphome sind überwiegend B-Zell-Lymphome vom diffusgroßzelligen Typ, die sich primär und ausschließlich im ZNS manifestieren. Ihre
Inzidenz hat in den letzten zwanzig Jahren bei immunsupprimierten und
immunkompetenten Patienten stetig zugenommen. Es existiert jedoch kein
allgemein akzeptierter therapeutischer Standard. Verschiedene Therapie-Ansätze
wie
Radiotherapie,
Chemotherapie
oder
kombinierte
Radio-(Poly-)
Chemotherapie, werden in Studien untersucht. Nur in Ausnahmefällen ist heute
eine Heilung möglich. Jedoch stehen auch bei Therapieversagen oder Rezidiv des
Tumors
verschiedene
Therapieansätze
wie
erneute
Chemotherapie,
Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation oder eine
Salvage-Ganzhirnbestrahlung mit oder ohne Tumorboost zur Verfügung.
Die
vorliegende
Arbeit
analysiert
die
Effektivität
einer
Salvage-
Ganzhirnbestrahlung bei 50 Patienten, die alle initial eine MTX-basierte
Polychemotherapie nach dem „Bonner-Chemotherapieprotokoll“ erhalten hatten.
Die Ganzhirnbestrahlung wurde dann entweder bei primärem Therapieversagen
(Tumorprogress unter Bonner-Chemotherapie), Abbruch der Chemotherapie bei
Nebenwirkungen oder bei sekundärem Therapieversagen (Tumorrezidiv) im
Verlauf
appliziert.
Die
Salvage-Ganzhirnbestrahlung
stellt
eine
wirksame
Therapieoption dar, in der vorliegenden Serie lag das Gesamtüberleben nach
Salvage-Strahlentherapie bei 12 Monaten.
Die Bestrahlung kann aber mit neurotoxischen Spätfolgen assoziiert sein. Es
wurde deshalb untersucht, ob eine Verzögerung der Applikation der Radiotherapie
bis zum Therapieversagen einen negativen Einfluss auf ihre Effektivität, gemessen
an Ansprechen auf Radiotherapie und Überlebenszeiten nach Radiotherapie hat.
Es zeigte sich in der vorliegenden Analyse, dass ein PZNSL auch bei
Therapieversagen unter primärer Chemotherapie oder in der Rezidivsituation
empfindlich gegenüber Radiotherapie bleibt, in der vorliegenden Studie mit einer
Gesamtansprechrate von 63%. Eine Applikation spät im Krankheitsverlauf, selbst
nach
vorheriger
Applikation
von
Salvage-Chemotherapien,
schränkt
die
Wirksamkeit der Bestrahlungstherapie nicht ein.
Unabhängig von der klinischen Situation vor Radiotherapie (Bestrahlung bei
Tumorprogression
unter
Chemotherapie,
Abbruch
der
Chemotherapie,
Tumorrezidiv) können Patienten von der Salvage-Radiotherapie hinsichtlich
67
Überleben nach Radiotherapie und Ansprechen auf die Radiotherapie profitieren.
Es zeigten sich allerdings für diese drei Situationen (statisch nicht signifikante)
unterschiedliche Überlebenszeiten mit 6, 22 und 15 Monaten. Einen großen,
statistisch signifikanten Einfluss auf die Gesamtüberlebenszeit hatte das
Ansprechen auf die Salvagebestrahlung mit 30 Monaten für CR, 6 Monaten nach
PR und 4 Monaten bei Progress.
Die vorliegende Arbeit zeigt, dass die Salvagebestrahlung des PZNSL wirksam ist
und legt nahe, dass deren Wirksamkeit auch nach dem Einsatz (mehrerer)
Chemotherapien nicht reduziert wird.
68
8. Literaturverzeichnis
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9. Danksagung
Herrn Prof. Dr. U. Schlegel danke ich für die freundliche Überlassung des
Themas, die fachliche Betreuung sowie sein Engagement zur Fertigstellung dieser
Arbeit. Den Studiensekretärinnen Frau Simone Middelhauve aus Bochum und
Frau Susanne Herz aus Bonn danke ich für die Hilfe bei der Datenerhebung.
Allen voran habe ich meiner Familie und insbesondere meinen Eltern, Dr. med.
Werner Kirchberg und Monika Kirchberg zu danken, für ihre ständige
Unterstützung.
10. Lebenslauf
Name:
Johanna Kirchberg
Geboren:
15.08.1983
Geburtsort:
Gelsenkirchen
Staatsangehörigkeit: deutsch
Familienstand:
ledig
Bildungsgang:
1989 – 1993
Grundschule an der Parkstraße, Gelsenkirchen
1993 – 2002
Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium, Gelsenkirchen
2000
Schüleraustausch der Landesregierung NordrheinWestfalen Düsseldorf nach Neuseeland, Christchurch
2002
Erlangung der Hochschulreife, Gesamtnote 1,3
2002 – 2008
Studium der Humanmedizin an der Ruhr-Universität
Bochum
2004
Ärztliche Vorprüfung, Note 1,6
2007/2008
Praktisches Jahr Universitätsklinik Bochum-Langendreer:
Chirurgische Klinik, Prof. Dr. med. Viebahn
Innere Klinik, Prof. Dr. med. W. Schmiegel
Neurologische Klinik, Prof. Dr. med. U. Schlegel,
November 2008
2. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung, Gesamtnote 1,5
Auslandsaufenthalte:
Famulatur Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin, AKH
Wien, Österreich, Prof. Dr. med. Zimpfer
Studienbegleitende Weiterbildung:
Kurs für Mikrochirurgie und Neurochirurgie, Universitätsklinik BochumLangendreer, PD Dr. med. Scholz
Sonographiekurs, Universitätsklinik Bochum-Langendreer, Prof Dr. med. W.
Schmiegel
Studentische Aushilfstätigkeiten:
Notrufkoordination, QPG Notfallpraxis Gelsenkirchen
OP-Assistenz, Orthopädische Klinik Städtisches Klinikum Dortmund-Mitte, Prof.
Dr. med. Katthagen
Beruflicher Werdegang:
seit Januar 2009:
Assistenzärztin der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und
Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum
Heidelberg, Prof. Dr. med. Dr. h.c. M. W. Büchler
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