Schilddrüsenfunktionsstörungen beim Pferd

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Ausgewählter Kongressbeitrag
© Schattauer 2010
Schilddrüsenfunktionsstörungen beim Pferd
G. F. Schusser; A. Uhlig; A. Spallek; St. Recknagel; J. Breuer; N. Gomaa; L. Locher; G. Köller
Medizinische Tierklinik (Direktor: Prof. Dr. Dipl. ECEIM G. F. Schusser), Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig
Einleitung
Die Schilddrüse, die palpabel, leicht verschieblich und sonographisch untersuchbar ist, befindet sich kaudal des Kehlkopfes und
wird vom M. sternohyoideus bedeckt. Die Blutversorgung erfolgt
durch die A. thyroidea cranialis et caudalis aus der A. carotis communis und der Abfluss durch die V. thyroidea cranialis sowie in
das Lymphocentrum cervicale profundum. Die parasympathische
Innervation übernimmt der N. vagus und sympathische Fasern
stammen aus dem Ggl. cervicale craniale (4).
Die Schilddrüsenfollikel, die von den Schilddrüsenepithelzellen
umschlossen werden, beinhalten thyreoglobulinhaltiges Kolloid.
Die entodermalen C-Zellen liegen parafollikulär. Die Schilddrüsenepithelzellen nehmen aus der Blutbahn Jodid mittels eines Natrium-Jodid-Symporters auf, verbinden es mit Thyreoglobulin
(Tg), das mit Mono- und Dijodthyrosin zu Trijodthyronin (T3)
und Thyroxin (T4) gekoppelt wird, und geben das jodierte Tg ins
Kolloid ab. Durch Pinozytose wird das jodierte Tg von der Epithelzelle aufgenommen, in deren Lysosomen proteolytisch abgebaut
und als T3 und T4 in die Blut- und Lymphbahn abgegeben. Der
Transport erfolgt mit thyroxinbindendem Globulin (75%), Präalbumin (15%) und Albumin (10%). Nur je 0,3% des T3 und T4
zirkulieren als freies T3 und freies T4 in nicht eiweißgebundener
Form. T3 trägt den Hauptanteil der peripheren Hormonwirkung,
da die Körperzellen nur T3-Rezeptoren besitzen. Körperzellen sind
jedoch in der Lage, eine T4/T3-Konversion herbeizuführen. Die
Schilddrüsenhormone wirken auf Wärmeproduktion, Körperwachstum und Entwicklung, Nervensystem, Herz- und Skelettmuskulatur. Laut Literatur werden beim Menschen 70–80% des
T4 zu T3 und reversem T3 (rT3) monodejodiert und der Rest wird
über andere Stoffwechselwege metabolisiert.
Die Diagnostik von Schilddrüsenfunktionsstörungen sollte nie
mit der Durchführung von Laboruntersuchungen beginnen. Eine
gezielte Anamnese inklusive verabreichter Medikamente und eine
vollständige allgemeine Untersuchung können einerseits einen
Hinweis auf eine Störung der Schilddrüsenfunktion geben und
andererseits in Zusammenhang mit einem auffälligen Befund im
Bereich der Schilddrüse eine Schilddrüsenerkrankung vermuten
lassen. Die Diagnose einer pathologisch-anatomischen Schilddrüsenveränderung (Struma) und die daraus resultierende Funktionsstörung (Hyperthyreose, Hypothyreose) sollten getrennt beschrieben werden. Zu den Laboruntersuchungen in der Veterinärund Humanmedizin zählen die Bestimmung des thyreoideastimulierenden Hormons (TSH) im Blut und je nach Fragestellung
die Messung von freiem und Gesamt-T3 und -T4, Thyreoglobulin,
Antikörpern gegen die Membran der Schilddrüsenzellen (Thyreoditis) und die zytologische Untersuchung von Feinnadelbioptaten
(5, 8). Szinti- und Sonographie stellen die wichtigsten bildgebenden diagnostischen Verfahren dar (8). Ziel dieser Arbeit war, die in
der Literatur beschriebenen Funktionsanalysen der Schilddrüse
beim Pferd zusammenzufassen und mit Befunden von Patienten
zu vergleichen.
Euthyreose
Euthyreose ist die physiologische Schilddrüsenfunktion, bei der
die Konzentrationen der peripheren Schilddrüsenhormone und
des TSH im Serum im Referenzbereich liegen (씰Tab. 1).
Stimulationstest mit thyreoideastimulierendem Hormon (TSH) oder ThyreotropinReleasing-Hormon (TRH)
Eine Konzentrationsmessung von TT3, FT3, rT3, TT4 und FT4 stellt
nur eine Momentanaufnahme der Sekretionsleistung der Schilddrüse dar und TSH reagiert sehr empfindlich auf einen Mangel
oder Überschuss von T3 und T4. Daher werden die Feststellung der
basalen TSH-Konzentration und die Stimulation mittels TRH, so
wie in der Humanmedizin durchgeführt, zukünftig die wichtigsten
labordiagnostischen Untersuchungen für die Beurteilung der
Schilddrüsenfunktion sein. In 씰Tabelle 2 und 3 sind in der Literatur angegebene Funktionstests und die dazugehörigen Hormonkonzentrationen aufgelistet.
Tierärztl Prax 2010; 38 (Suppl 1): S25–S29
Hyperthyreose
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Gerald Schusser
Medizinische Tierklinik
der Universität Leipzig
An den Tierkliniken 11
04103 Leipzig
E-Mail: [email protected]
Eine übermäßige Sekretion der Schilddrüsenhormone wird als
Hyperthyreose bezeichnet. Ältere Pferde (23 und 21 Jahre) zeigten
Leistungsintoleranz, Gewichtsverlust, Polyphagie, Anhidrosis, Tachykardie und Widersetzlichkeit. Die innere Körpertemperatur
war normal, doch bestanden in Ruhe eine erhöhte AtmungsTierärztliche Praxis Supplement 1/2010
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G. F. Schusser et al.: Schilddrüsenfunktionsstörungen beim Pferd
Autor
Testmethode TT3 (nmol/l)
Breuhaus et al. (2)
RIA
Sommerdahl et al.
(15)
RIA
TT4 (nmol/l)
FT4 (pmol/l)
17,6–22,1
10,5–11,8
Ramirez et al. (12)
RIA
8,8–35,2
8,8–30,4
Messer et al. (10)
RIA
0,76 ± 0,52
19,9 ± 3,4
14,3 ± 1,1
Sojka et al. (14)
RIA
0,57 ± 0,05
20,45 ± 2,5
2,1 ± 0,2
Frank et al. (6)
TT3 RIA,
TT4 chIA
0,8 ± 0,2
29,6 ± 8,5
Frank et al. (6)
thyreoidektomierte
Pferde
TT3 RIA,
TT4 chIA
0,15 ± 0,015
4 W. p. op.
< 13
4 W. p. op.
Vischer et al. (16)
RIA
0,64 ± 0,18
28,8 ± 5,2
Vischer et al. (16)
thyreoidektomierte
Pferde
RIA
< 0,1
2 W. p. op.
<3
2 W. p. op.
Vischer et al. (16)
Referenzbereich
RIA
0,3–1,2
15,7–29,3
Kraft (8)
Referenzbereich
RIA
0,4–2,8
13–53
0,75 ± 0,07
FT3 (pmol/l)
0,77 ± 0,31
1,03 ± 0,53
rT3 (nmol/l)
0,74 ± 0,16
0,55 ± 0,07
(≥ 20/min) und Herzfrequenz (48–56/min). Die rechten Schilddrüsenlappen hatten die Maße 8 × 6 cm bzw. 9 × 12 cm. Die Blutbilder und blutchemischen Laborergebnisse ließen keine Abweichungen von den Referenzbereichen erkennen. Nur beim erstgenannten Pferd lag die Albuminkonzentration bei 23 g/l und die
γ-GT-Aktivität bei 51 U/l. Die Schilddrüsenhormonkonzentrationen im Serum, gemessen mittels Radioimmunassay (RIA), betrugen 1,77 nmol/l Gesamt-T3 (TT3) und 59,84 nmol/l Gesamt-T4
(TT4) bzw. 12,4 nmol/l TT4 und > 126 pmol/l freies T4 (FT4). Nach
der operativen Entfernung der vergrößerten Schilddrüsenlappen
beider Pferde wurde histopathologisch die Diagnose Schilddrüsenadenom bzw. -adenokarzinom gestellt. Der TT4-Wert des ersten Pferdes fiel auf 0,9 nmol/l am 7. Tag post operationem (p. op.).
Die Konzentrationen der peripheren Schilddrüsenhormone waren
Tab. 1
Mittelwerte bzw.
Messbereiche peripherer Schilddrüsenhormone im Serum
von adulten euthyreoten und thyreoidektomierten Pferden
nach Literaturangaben (chIA =
Chemoluminiszenz-I
mmunassay; W.
p. op.= Wochen post
operationem)
beim ersten Pferd 35 Tage und beim zweiten 2 Wochen (TT4
20,1 nmol/l, FT4 35,9 pmol/l) und 6 Monate (TT4 15 nmol/l, FT4
18 pmol/l) nach der Operation wieder im Referenzbereich. Die
Pferde zeigten nach der Operation eine Gewichtszunahme und
waren leistungsfähiger und -williger (1, 12).
Hypothyreose
Eine verminderte Sekretionsleistung der Schilddrüsenhormone
wird als Hypothyreose bezeichnet. Bei 14 Fohlen wurde ein Syndrom mit Schilddrüsenhyperplasie und muskuloskelettaler Missbildung, Hypothermie, Saugunlust und verminderter Aktivität
festgestellt (9). Die Werte der peripheren, basalen Schilddrüsen-
Tab. 2 TSH-Stimulationstest bei euthyreoten adulten Pferden und Werte von TT3, FT3, TT4 und FT4 im Serum (Messung mittels RIA) nach Literaturangaben
(Zeitangabe = Stunden post applicationem)
Autor
TSH
Testwerte
TT3 (nmol/l)
Vischer et al.
(16)
5 IU i. v.
Basalwerte
Stimulationswerte
0,64 ± 0,18
3 h: 2,8 ± 0,9
Messer et al.
(10)
5 IU i. m.
Basalwerte
Stimulationswerte
0,76 ± 0,52
6 h: 5,2 ± 0,5
Sojka et al.
(14)
5 IU i. v.
Basalwerte
Stimulationswerte
0,6 ± 0,08
2 h: 4 ± 0,5
4 h: 2,5 ± 0,3
6 h: 1,6 ± 0,2
FT3 (pmol/l)
TT4 (nmol/l)
FT4 (pmol/l)
28,8 ± 5,2
4 h: 51,2 ± 7,6
1,03 ± 0,53
6 h: 4,02 ± 0,5
19,9 ± 3,4
6 h: 47,9 ± 3,4
14,3 ± 1,1
6 h: 30,3 ± 1,1
21,8 ± 2,5
2 h: 24,6 ± 4,4
4 h: 58,1 ± 3,3
6 h: 56,2 ± 5,4
3,3 ± 0,5
2 h:7,2 ± 0,8
4 h: 10,3 ± 0,9
6 h: 9,4 ± 0,8
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Tab. 3 TRH-Stimulationstest bei euthyreoten adulten Pferden und Werte von TSH, TT3, FT3, TT4 und FT4 im Serum (Messung mittels RIA) nach Literaturangaben (z. B. × erhöht = 3,6 ± 3fach erhöht; Zeitangabe = Stunden/Minuten post applicationem)
Autor
TRH
Testwerte
Breuhaus
et al. (2)
1 mg i. v.
Basalwerte
0,40 ± 0,2
Stimulationswerte 45 min: 0,78 ± 0,2
TSH (ng/ml)
Sommerdahl 1,2 mg i. v. Basalwerte
0,1–0,6
et al. (15)
Stimulationswerte 2 h: 3,6 ± 3× erhöht
TT3 (nmol/l)
FT3 (pmol/l)
TT4 (nmol/l)
FT4 (pmol/l)
0,99 ± 0,5
2–4 h: 2,2 ± 0,06
2,07 ± 1,1
2–4 h: 5,7 ± 1,9
12,9 ± 5,6
4–6 h: 36,8 ± 11,4
12,2 ± 3,5
4–6 h: 23,1 ± 5,9
0,75 ± 0,07
2 h: 2,2 ± 0,3×
erhöht
0,77 ± 03
2 h: 2,9 ± 1,1×
erhöht
24,4 ± 1,3
4 h: 1,6 ± 0,2×
erhöht
19,5 ± 10,8
4 h: 1,4 ± 0,2×
erhöht
hormone TT3 und TT4 betrugen 0,7–3,3 bzw. 3,9–136,4 nmol/l,
wobei Referenzwerte von 0,8–19 bzw. 24,8–464,3 nmol/l, gemessen mittels RIA, angegeben wurden. Ein TSH-Stimulationstest mit
15 IU intramuskulär ergab bei zwei Fohlen einen TT3- und
TT4-Anstieg bis 11 bzw. 74,6 nmol/l nach 24 Stunden (9). Magenulzera und Stress wurden mit niedrigen Serumwerten der peripheren Schilddrüsenhormone (TT3, rT3, TT4) in Verbindung gebracht
(7, 11).
Bei adulten Pferden mit niedrigen Serumkonzentrationen der
peripheren Schilddrüsenhormone umfassten die klinischen Symptome Mattigkeit, Leistungsintoleranz, Alopezie, Anhidrosis, episodische Myopathie, rekurrierende Hufrehe, reduzierte Fertilität
und Agalaktie bei Stuten nach dem Abfohlen (2, 11).
Thyreoidektomierte adulte Pferde zeigten Muskelzittern über
2 Tage p. op. und die innere Körpertemperatur fiel von 37,8 °C auf
36,6 °C in den folgenden 4 Wochen. Die Konzentrationen der Triglyzeride und des Cholesterols stiegen von 0,19 (Referenzbereich
bis 0,6 mmol/l) auf 0,85 mmol/l bzw. von 2,6 (Referenzbereich
1,9–3,9 mmol/l) auf 2,9 mmol/l (6). In einer weiteren Studie entwickelten Pferde nach der Entfernung der Schilddrüse eine Bradykardie (25,2 ± 1,6/min) und erst nach Supplementierung mit
0,6 μg T3/kg KM/d und 2,5 μg T4/kg KM/d p. o. stieg die Herzfrequenz in den Referenzbereich (16). Die Konzentration der peripheren Schilddrüsenhormone, gemessen mittels RIA in verschiedenen Labors, von euthyreoten und thyreoidektomierten adulten
Pferden sind in 씰Tabelle 1 aufgelistet. Bei thyreoidektomierten
Pferden lagen die Konzentrationen von TT3 und TT4 stets sehr
niedrig bzw. unterhalb der Nachweisgrenze.
Beeinflussung der Serumkonzentration
der peripheren Schilddrüsenhormone
Einfluss von Medikamenten
Phenylbutazon in einer Dosierung von 4,4 mg/kg KM/d i. v. über
7 Tage reduzierte die Konzentration von TT4 und FT4 signifikant
(von 36,7 ± 4,4 auf 27 ± 3,9 nmol/l; von 4,7 ± 0,5 auf 3,8 ± 0,6
pmol/l) (15). Dexamethason in einer Dosierung von 0,04 mg/kg
KM/d i. m. über 5 Tage erhöhte nur die Konzentration von rT3 und
FT3 signifikant (von 0,55 ± 0,07 auf 1,17 ± 0,11 nmol/l; von
1,03 ± 0,53 auf 2,47 ± 0,19 pmol/l) (11).
Einfluss von Krankheiten
Operierte und konservativ behandelte Kolikpferde, Pferde mit
Durchfall, Lungenkrankheit, Ösophagusobstipation, Ösophagusruptur, Milzruptur oder Nierenversagen hatten signifikant niedrigere TT4– und FT4-Konzentrationen im Vergleich zu gesunden
Pferden (median 19 nmol/l, 11 pmol/l). Die Medianwerte von TT4
und FT4 der gestorbenen Pferde mit den oben genannten Krankheiten waren niedriger als die der überlebenden Tiere (3).
Pferdepatienten der Medizinischen
Tierklinik mit makroskopischer
Vergrößerung der Schilddrüse
Ein 14-jähriger Warmblutwallach zeigte über einen Zeitraum von
1,5 Jahren diskontinuierliche Kolikanfälle und eine zunehmende
Schwellung in der oberen Halsgegend. Die Herz- und Atmungsfrequenz sowie die innere Körpertemperatur lagen im Normalbereich. Die obere Halsgegend präsentierte sich rechts vergrößert,
weichelastisch und geringgradig schmerzhaft. Sonographisch ließen sich follikuläre, hypoechoische Areale unterschiedlicher Größe darstellen, die durch hyperechoische Septen begrenzt waren
(씰Abb. 1). Diese follikulären Areale konnten sonographisch vom
umliegenden Gewebe der rechten oberen Halsgegend nicht abgrenzt werden. Der linke Schilddrüsenlappen war verschieblich
und nicht schmerzhaft und hatte im Ultraschallbild eine normale
Ausdehnung (3 × 3 × 1,5 cm) und Echogenität.
Die Parameter des Säure-Basen- und Wasserhaushalts sowie die
Ergebnisse der blutchemischen Untersuchungen lagen im physiologischen Bereich. Die Leukozytenzahl betrug 5,6 G/l, das erweiterte Lymphozyten-Neutrophilen-Verhältnis 1 : 3,5 (normal 1 : 2,8).
Die Punktion des follikulären Bereichs der rechten Schilddrüse ergab eine bernsteingelbe Flüssigkeit, in der 0,7 G Leukozyten/l und
53 g Gesamtprotein/l gemessen wurden. Die zytopathologische
Untersuchung zeigte regelrecht differenzierte Thyreozyten mit
einer Proliferationsrate von unter 1%, sodass ein malignes Adenom unwahrscheinlich war.1 Die Konzentrationen von TT3 (RIA)
1
Untersuchungsergebnis von Prof. Dr. A. Tannapfel, Institut für Pathologie,
Medizinische Fakultät, Universität Leipzig
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ämie (27,3 mmol/l; RB 3,1–5,3 mmol/l) mit Glukosurie, Triglyzerid- (13,1 mmol/l) und Cholesterolämie (6,8 mmol/l). Die Konzentrationen von TT3 (nicht nachweisbar) und TT4 (4,7 nmol/l)
waren sehr niedrig und der Basalwert von TSH war nicht messbar.
Da alle drei Hormone erniedrigte Werte aufwiesen, lag eine sekundäre Hypothyreose vor. Die Stute verstarb. Histologisch konnten
ein Adenom in der Pars intermedia der Hypophyse und eine Struma nodosum in der rechten Schilddrüse nachgewiesen werden.2
Diskussion
a)
b)
Abb. 1 14-jähriger Warmblutwallach: a) Ultraschallbild der rechten oberen Halsgegend mit hypoechoischen Arealen, durch hyperechoische Septen
getrennt; b) linker Schilddrüsenlappen mit normaler Echogenität und Ausdehnung
und TT4 (RIA) im Serum (1,3 und 37,3 nmol/l) sowie im Punktat
(0,7 und 21,9 nmol) lagen im Referenzbereich (0,4–2,8 bzw.
13–53 nmol/l) (8). Aufgrund der klinischen Symptome, der zytopathologischen sowie sonographischen Befunde und der Konzentrationen von TT3 und TT4 wurde die Diagnose euthyreote Struma
gestellt. Eine chirurgische Entfernung des rechten Schilddrüsengewebes war nicht indiziert. Im folgenden Jahr vergrößerte sich die
Umfangsvermehrung in der rechten oberen Halsgegend nicht.
Eine 19-jährige Warmblutstute mit Abmagerung hatte permanent eine erhöhte Herz- und Atmungsfrequenz (52 bzw. 24/min)
und eine innere Körpertemperatur von 37,8 °C. Zudem fielen
Polydipsie und Polyurie auf. Die Schilddrüse war rechts enteneigroß mit deutlichen follikulären Arealen im Ultraschallbild und
links hühnereigroß mit normaler Struktur. Das Blutbild zeigte
eine Anämie (Erythrozyten 6,25 T/l; Referenzbereich [RB]
6,8–12,9 T/l). Die Leukozytenzahl betrug 7,4 G/l mit einer Lymphopenie (0,74 G/l; RB 1,5–4 G/l). Es bestanden eine Hyperglyk-
Fehlfunktionen der Schilddrüse haben Auswirkungen auf den gesamten Organismus (Wärmeproduktion, Körperwachstum und
Entwicklung, Nervensystem, Herz- und Skelettmuskulatur), wobei
Fehlfunktionen auf jedem Niveau der Hypothalamus-HypophysenSchilddrüsenachse liegen können, sodass diese dann als tertiäre, sekundäre und primäre Krankheit bezeichnet wird. Hypothalamus-,
Hypophysen- und Schilddrüsentumoren oder angeborene Fehlfunktionen können als Ursachen gefunden werden. Eine Krankheit,
gleich welchen Niveaus, führt zu einer Hypo- oder Hyperthyreose,
die dann wieder den Gesamtorganismus beeinflussen (5).
Beim Fohlen und adulten Pferd wurde am häufigsten die Hypothyreose beschrieben, wobei stets ein ungenügendes Angebot von T3
und T4 an die peripheren Körperzellen besteht (2). Die Ursache der
Hypothyreose der 14 Fohlen könnte ein angeborener Fehler der Hormonsynthese gewesen sein, weil histologisch eine Hyperplasie mit
kleinen, irregulären Follikeln (primäre Hypothyreose) festgestellt
worden war (9). Zwei Formen der Hypothyreose beim Menschen ließen sich als Vergleich heranziehen: Die T4-Synthese ist zu gering infolge eines zu geringen Volumens funktionsfähigen Schilddrüsengewebes oder infolge eines kongenitalen Defekts im Natrium-JodidSymporter, in der Peroxidase oder in der thyreoidalen Dejodase (5).
Die dritte Form der Hypothyreose wurde bei der 19-jährigen Stute
nachgewiesen. Infolge des Tumors in der Pars intermedia der Hypophyse wurde die TSH-Produktion derart vermindert, dass keine normale T3- und T4-Synthese möglich war. Es entstand eine sekundäre
Hypothyreose. Die Struma nodosum könnte durch Wachstumsfaktoren in den Follikelzellen ausgelöst worden sein. Die Triglyzeridund Cholesterolämie zeigten sich ähnlich wie bei Pferden mit Thyreoidektomie (6). Hyperglykämie, Glukosurie, Polydipsie und Polyurie waren Befunde des equinen Cushing-Syndroms.
Die Hyperthyreose wurde hauptsächlich beim älteren Pferd als
Folge von Schilddrüsenadenomen festgestellt (1, 12). In Anlehnung an die Humanmedizin wäre bei den genannten älteren Pferden (21 und 23 Jahre alt) die Knotenstruma mit Hyperthyreose infolge autonomer Follikel vergleichbar, denn die Basedow-Struma
würde eine sich rasch entwickelnde Hyperthyreose nach sich ziehen (5). Die Knotenstruma verläuft zu Beginn euthyreotisch, wo-
2
Institut für Veterinärpathologie, Direktor Prof. Dr. HA. Schoon, Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig
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bei TSH die Schilddrüsenhormonproduktion in normalen Follikelepithelzellen stimuliert und sich die T3- und T4-Konzentrationen im Blut im Referenzbereich befinden. Der 14-jährige Wallach
aus dem Patientengut der Medizinischen Tierklinik und die fünf
Stuten (14–18 Jahre alt) aus der Kasuistik Scharner und Kappe (13)
befanden sich noch in der euthyreotischen Phase, wobei die Follikel mit Kolloid oder inhomogen strukturiert sonographisch nachweisbar waren. Die Hyperthyreose infolge Knotenstruma entwickelt sich allmählich über Jahre, möglicherweise erst bei Pferden
über 18 Jahre (1, 12). Thyreoglobulinkonzentrationen im Serum
als Marker eines aktiv pathologischen Prozesses in der Schilddrüse
wurden bei den vorhin genannten Pferden nach der Operation
nicht untersucht (1, 5, 12, 13).
Fazit
Zur Schilddrüsendiagnostik gehören neben der ausführlichen Anamnese und vollständigen allgemeinen Untersuchung die Funktionsdiagnostik, histologische Gewebeuntersuchung und die Ultraschalluntersuchung. In Zukunft werden die Bestimmung der
Thyreoglobinkonzentration und der Antikörper im Serum sowie
die Szintigraphie die Diagnostik ergänzen.
Die Funktionsdiagnostik umfasst in erster Linie den Nachweis
des TSH-Basalwerts und danach die Messung von TT3, FT3, rT3,
TT4 und FT4, weil die Werte der zirkulierenden Hormone TT3 und
TT4 noch im Referenzbereich sein können, während ein supprimierter TSH-Wert schon eine Hyperthyreose und eine erhöhte
TSH-Konzentration eine Hypothyreose ankündigen.
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