Dr. habil. Burkhard Utecht Berufsakademie Thüringen – Staatliche Studienakademie Studienbereich Wirtschaft Studienstandort Eisenach VWL im 4. Semester Wirtschaftspolitik Materialien zu 1. Einführung in die Wirtschaftspolitik © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach Gegenstand der Wirtschaftspolitik Definition „Wirtschaftspolitik“: „W. bezeichnet alle politischen und verbandlichen Aktivitäten sowie die staatlichen Maßnahmen, die das Ziel haben, den Wirtschaftsprozess zu ordnen, zu beeinflussen oder direkt in die wirtschaftlichen Abläufe einzugreifen.“ (Bundeszentrale für politische Bildung) Grundziel der Wirtschaftspolitik: Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt Zentrale Grundsätze einer rationalen Wirtschaftspolitik: 1. Beschränkung der staatlichen Eingriffe auf die Bereiche, in denen der Markt – gemessen an den staatlichen Zielen – „versagt“ (Marktversagen). 2. Gestaltung der Wirtschaftspolitik auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse (Anwendung der Wirtschaftstheorie) 3. Gestaltung der Wirtschaftspolitik im Sinne des Wirtschaftlichkeitsprinzips (Maximaler Ertrag bei gegebenen Kosten bzw. minimale Kosten bei gegebenem Ertrag) © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach 2 Grundtatbestände der Volkswirtschaft Beschränkte Ressourcen Arbeitsteilung Gütertausch Die wirtschaftlichen Mittel sind Der volkswirtschaftliche Produktions- Die Verteilung des Güterangebots gemessen an den Bedürfnissen prozess erfolgt arbeitsteilig, d.h. die erfolgt über Tauschvorgänge, d.h. begrenzt. Infolge dessen müssen Güterproduzenten produzieren nicht über den An- und Verkauf der Gü- Wahlentscheidungen über den (nur) für den Eigenbedarf, sondern vor- ter. Dabei fungiert das Geld als uRessourceneinsatz getroffen wer- nehmlich den. für den Bedarf Wirtschaftssubjekte. anderer niverselles Tauschmittel (Tausch in Form von „Ware gegen Geld“). Kernproblem jeder arbeitsteiligen Volkswirtschaft: Koordination der individuellen Produktionsaktivitäten zum Wohle der Allgemeinheit, d.h. Orientierung an den Präferenzen der Güternachfrager Notwendige Voraussetzungen zur Lösung des Koordinationsproblems sind: 1. Anreize für die Produzenten, sich an den Präferenzen der Güternachfrager zu orientieren, und 2. Signale, die die Produzenten über die Präferenzen der Güternachfrager informieren. © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach 3 Das marktwirtschaftliche System schafft im Grundsatz die oben genannten Voraussetzungen „von sich aus“: 1. Über a) das Privateigentum an Produktionsmitteln, b) das Gewinninteresse der Unternehmen und c) den Wettbewerb der Unternehmen um die (zahlungsfähigen) Güternachfrager ergeben sich Anreize ● für eine im Sinne des Wirtschaftlichkeitsprinzips (s.o.) effiziente Ressourcenverwendung und ● für eine Orientierung der Unternehmen an den Wünschen der (zahlungskräftigen) Güternachfrager. 2. Der freie Preisbildungsmechanismus nach Angebot und Nachfrage a) signalisiert den Unternehmen die Zahlungsbereitschaften (und damit die Präferenzen) der Güternachfrager bezüglich der Güter, b) signalisiert den Güternachfragern die Knappheitsverhältnisse der Güter, wie sich aus den verfügbaren Ressourcen und den technischen Produktionsmöglichkeiten ergeben, c) koordiniert die wirtschaftlichen Pläne der Anbieter und Nachfrager auf den Märkten, in dem durch Preisanpassungen Angebot und Nachfrage einander angenähert und im Idealfall ins Gleichgewicht gebracht werden. Im Idealfall sorgt die Institution „Markt“ dafür, dass keine aus Sicht der Individuen wechselseitig vorteilhaften Tauschmöglichkeiten ungenutzt bleiben, also nur noch solche Tauschmöglichkeiten verbleiben, bei denen zumindest eine Seite schlechter gestellt werden würde (Pareto-Optimalität). © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach 4 Die Wirtschaftspolitik ist objektiv nicht in der Lage, durch die Schaffung staatseigener Institutionen die gesamtwirtschaftliche Koordinierungsfunktion des Marktes zu ersetzen. Sie muss vielmehr 1. die grundlegenden Rahmenbedingungen schaffen, die für die wohlfahrtsfördernde Entfaltung der Marktkräfte notwendig sind (Gewährung der wirtschaftlichen Freiheiten, Sicherung des Wettbewerbs, Schaffung von Rechtssicherheit) und 2. dort in die Marktprozesse eingreifen, wo die Koordinierungsfunktion des Marktes versagt und staatliche Instrumente zur Verfügung stehen, die geeignet sind, das Marktversagen zu „heilen“. Formen des Marktversagens sind inbesondere: ● Unfähigkeit des Marktsystems, öffentliche Güter zur Verfügung zu stellen Öffentliche Güter zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Nutzung nicht mit einer unmittelbaren Zahlungsverpflichtung der jeweiligen Nutzer verbunden ist. Da die freiwillige Zahlung für ein öffentliches Gut im Regelfall Null ist, werden diese nicht über den Markt angeboten. Daher muss der Staat solche Güter (sofern sie wohlfahrtsfördernd sind) zur Verfügung stellen und über Zwangsabgaben finanzieren. Für die wirtschaftliche Wohlfahrt förderliche öffentliche Güter sind z.B. ein frei zugängliches, flächendeckendes Straßennetz oder auch die kostenlose Grundschulbildung. ● Nicht-Berücksichtigung von externen Effekten (Externalitäten) bei der Preisbildung Unter dem Begriff „externe Effekte“ versteht man wohlfahrtsmäßige (negative oder positive) Auswirkungen von Marktvorgängen gegenüber Dritten, die – z.B. aufgrund fehlender Eigentumsrechte – keinen Anspruch auf eine Kompensation über den Markt begründen. Ein Beispiel für negative externe Effekte ist die Luftverschmutzung infolge der industriellen Güterproduktion. Da die betroffenen Anwohner keine Eigentumsrechte an der Luft, die sie atmen, haben, können sie über den Markt auch keine Entschädigung für die aus Luftverschmutzung entstehenden Nachteile durchsetzen. ● Gefährdung des Wettbewerbs durch Unternehmenskonzentration Auf Seiten der Unternehmen bestehen Anreize, über unterschiedliche Formen der Unternehmenskonzentration (Kartellbildungen, Zusammenschlüsse, Übernahmen u.Ä.) den Wettbewerb zu Lasten der Konsumenten einzuschränken. ● Krisenanfälligkeit des Marktsystems Die Marktwirtschaft neigt zu konjunkturellen und zu strukturellen Krisen, die durch ein erhebliches Ausmaß unfreiwilliger Arbeitslosigkeit mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Betroffenen gekennzeichnet sind. ● Sozialpolitisch unerwünschte Verteilungswirkungen des Marktsystems In der freien Marktwirtschaft hängt die wirtschaftliche Lage des Einzelnen nur von seiner Ausgangsausstattung mit Ressourcen und den Verwertungsmöglichkeiten dieser Ressourcen auf den Märkten ab. Insbesondere ist hierbei nicht sichergestellt, dass alle Mitglieder der Gesellschaft einen (wie auch immer definierten) angemessenen Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand haben. © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach 5 Verfassungsmäßige Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft Art. 2 Abs. 1 GG (Freiheitsrechte) „(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ „(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu Art. 9 Abs. 3 GG bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder (Vereinigungsfreiheit) zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf ausgerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. (…)“ „(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die BeArt. 12 Abs. 1 u. 2 GG rufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“ (Freiheit der (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen Berufswahl) allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ „(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Art. 14 GG (Eigentum, Erbrecht und Enteignung) Art. 15 (Sozialisierung) (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. (…)“ „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. (…)“ Art. 20 Abs. 1 GG „(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ (Sozialstaatspostulat) Art. 20a (Umweltschutz) „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach 6 Zentrale wirtschaftspolitische Zielsetzungen in der Sozialen Marktwirtschaft Hauptziele Unterziele ○ Stabilität des Preisniveaus ● Stabilisierung des Wirtschaftsprozesses ○ Hoher Beschäftigungsgrad ○ Außenwirtschaftliches Gleichgewicht ○ Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum Wirtschaftspolitische Handlungsfelder ◘ Fiskalpolitik ◘ Geldpolitik ◘ Strukturpolitik ◘ Außenwirtschaftspolitik ◘ Arbeitsmarktpolitik ◘ Sozialpolitik ○ Daseinsvorsorge ● Soziale Sicherung ○ „Sozial gerechte“ Einkommens-, Vermögens- und ◘ Sozialpolitik Lastenverteilung ◘ Steuerpolitik ○ Schutz der Arbeitnehmer vor wirtschaftlicher ◘ Arbeitsmarktpolitik Ausbeutung ○ Verhinderung von Kartellen ● Wettbewerbssicherung ○ Verhinderung von Marktbeherrschung ◘ Wettbewerbspolitik ◘ Strukturpolitik ○ Verhinderung von Markmacht-Missbrauch ○ Verminderung u. Beseitigung von Umweltschäden ● Umweltschutz ○ Verringerung von Umweltrisiken ◘ Umweltpolitik ○ Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach 7 Instrumente der Wirtschaftspolitik Ordnungspolitische Instrumente Internationale Ordnungspolitik ● Formen der regionalen Wirtschaftsintegration: Freihandelszone, Zollunion, Gemeinsamer Markt, Wirtschaftsunion ● Internationale Handelsabkommen, z.B. GATT, GATS und TRIPS ● Internationale Umweltschutzabkommen z.B. UN-Klimarahmenkonvention, Agenda 21 Haushalts- und finanzpolitische Instrumente Nationale Ordnungspolitik ● Grundlegende Wirtschaftsverfassung ● Wirtschafts-, Arbeits-, Sozial- und Umweltgesetzgebung Direkte staatliche Eingriffe z.B.: ● Produktions- und Absatzbeschränkungen (Kontingente) ● Staatliche Preisadministration ● Betriebsstilllegungen ● Untersagung von Unternehmenszusammenschlüssen ● Enteignung und Sozialisierung Einnahmenpolitische Instrumente Ausgabenpolitische Instrumente ● Steuern ● Sozialleistungen ● Beiträge ● Subventionen ● Gebühren ● Staatsverbrauch ● Öffentliche Kreditaufnahme ● Öffentliche Investitionen Geld- und kreditpolitische Instrumente Instrumente der Geldmengensteuerung z.B. Mindestreserve-, Offenmarkt- und Fazilitätenpolitik der Zentralbank © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach Kreditpolitische Instrumente vor allem: Leitzinspolitik der Zentralbank (z.B. TenderZinssatz und Fazilitätenzinssätze der EZB) Instrumente der Währungspolitik z.B. Devisenmarkt-Interventionen der Zentralbank 8 Träger der Wirtschaftspolitik Nationale Träger Entscheidungsträger Gesetzgebungsträger: ● Bundestag ● Bundesrat ● Landtage Verwaltungsträger: ● Bundesregierung ● Bundesbehörden ● Landesregierungen ● Wirtschaftsverwaltungen der Länder und Gemeinden ● Träger der Sozialversicherung(en) ● Bundesbank ● Kreditanstalten des Bundes u. der Länder Einflussträger Politische Parteien Gewerkschaften, z.B. Ver.di, IG Metall Arbeitgeber- und Unternehmensverbände, z.B. BDA, BDI Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft, z.B. IHKn, Handwerkskammern, Landwirtschaftskammern Sozialverbände, z.B. VdK, AWO, Caritas Rechtsprechungsträger: Bundesverfassungsgericht Bundesgerichtshof Bundesarbeitsgericht Bundessozialgericht Bundesverwaltungsgericht Bundesfinanzhof Verbraucherverbände, Supranationale Träger Organe der EU UN-Institutionen Gesetzgebungsträger: ● EU-Ministerrat ● Europäisches Parlament Welthandelsorganisation (WTO): ● „Gesetzgebungsträger“: Ministerkonferenz ● „Verwaltungsträger“: Allgemeiner Rat, Generaldirektor, Sekretariat, Ausschüsse, Organe zur Überprüfung der Handelspolitik ● „Rechtssprechungsträger“: Streitschlichtungsorgan der WTO Verwaltungsträger: ● EU-Kommission ● EU-Generaldirektionen ● Europäische Zentralbank (EZB) ● Europäische Investitionsbank Rechtsprechungsträger: ● Europäischer Gerichtshof z.B. Stiftung Warentest Umweltverbände, z.B. DNR, BUND Sonstige Interessenverbände, z.B. attac © Dr. habil. Burkhard Utecht, Berufsakademie Thüringen, Studienabteilung Eisenach Weltbank Internationaler Währungsfonds (IWF) Sonstige wirtschaftspolitische Organisationen UN-Wirtschafts- und Umweltkonferenzen z.B. OECD, G8, internationale Gewerkschafts-, Unternehmens-, Verbraucherund Umweltverbände Sonstige wirtschaftspolitische Organisationen der UN, z.B. ECOSOC 9