Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2016

Werbung
11. Jahrgang, 2. Ausgabe 2017, 40-55
- - - Rubrik Neue Arzneimittel - - -
Was gab es Neues auf dem
Arzneimittelmarkt 2016
Teil 3: Zytostatika
Mammakarzinom
Kolorektalkarzinom
CDK4/6-Inhibitoren
DNA-Replikations-Inhibitor
Palbociclib
Trifluridin/Tipiracil
41
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Was gab es Neues auf dem
Arzneimittelmarkt 2016
Zytostatika
Prof. Dr. Georg Kojda
Fachpharmakologe DGPT,
Fachapotheker für Arzneimittelinformation
Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie
Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf
[email protected]
Aus einem Vortrag des Autors vom 30.01.2017 im Hörsaal des LFI der
Universitätsklinik Köln
(organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein/Apothekerverband Köln
e.V./Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein Bezirksstelle Köln)
Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum
Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier:
http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html
Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
42
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Was gab es Neues auf dem
Arzneimittelmarkt 2016?
Prof. Dr. Georg Kojda
Fachpharmakologe, Fachapotheker für Arzneimittelinformation
Fortbildungsbeauftragter Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V.
Herausgeber „Fortbildungstelegramm Pharmazie“
Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie,
Universitätsklinikum, Düsseldorf,
Fortbildungsvortrag vom 30.01.2017 organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein,
Apothekerverband Köln e.V., Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Bezirksstelle Köln
Der Autor erhielt Forschungsgelder1 sowie dienstlich genehmigte Beratungs-2
und Referentenhonorare3 von folgenden Arzneimittelherstellern:
Actavis1, Alcon3, Allergan2, Boehringer3, Mundipharma3, Schwarz Pharma1, Pfizer1,2, Shire1
Übersicht
Hinweise
Zeitraum
Da die Ausbietung der Kombination
Sacubitril/Valsartan zum 01.01.2016
erfolgte und eine neue oral verfügbare
Therapieoption für die häufige kardiovaskuläre Indikation Herzinsuffizienz
darstellt, wurde Entresto® bereits im
Januar 2016 besprochen.
Kosten
Die Berechnung der Tages-Therapiekosten erfolgte auf der Basis des
Apothekenverkaufspreises der jeweils
größten erhältlichen Packung und der
vom Hersteller empfohlenen Dosierung.
Artikel verfügbar unter: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/SerieNeueArzneimittel.html
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
43
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Übersicht
31 neue Arzneistoffe in 2016
(9 Zytostatika, 7 Orphan-Drugs!)
Seltene Erkrankungen
Antiinfektiva
Andere
Afamelanotid (Scenesse®)
Albutrepenonacog alfa (Idelvion®)
Efmoroctocog alfa (Elocta®)
Eftrenonacog alfa (Alprolix®)
Migalastat (Galafold®)
Pitolisant (Wakix®)
Tasimelteon (Hetlioz®)
Dalbavancin (Xydalba®)
Pivmecillinam (X-Systo®)
Velpatasvir (Epclusa®)
(Kombi mit Sofosbuvir)
Elbasvir (Zepatier®)
(Kombi mit Grazoprevir)
Brivaracetam (Briviact®)
Guanfacin (Intuniv®)
Idarucizumab (Praxbind®)
Mepolizumab (Nucala®)
Milnacipran (Milnaneurax®)
Opicapon (Ongentys®)
Ospemifen (Senshio®)
Susoctocog alfa (Obizur®)
Zytostatika
Autoimmunerkrankungen
Daratumumab (Darzalex®)
Daclizumab (Zinbryta®)
Dinutuximab (Unituxin®)
Elotuzumab (Empliciti®)
Necitumumab (Portrazza®)
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Olaratumab (Lartruvo®)
Selexipag (Uptravi®)
®
Osimertinib (Tagrisso )
Sacubitril/Valsartan (Entresto®)
Palbociclib (Ibrance®)
®
Talimogen laherparepvec (Imlygic )
Tipiracil (Lonsurf®),
(Kombination mit Trifluridin)
Übersicht
Frühe Nutzenbewertung nach AMNOG
erheblich > beträchtlich > gering und nicht quantifizierbar (z.B. bei Orphan-Drugs)
Bewertung erfolgt im Verhältnis zur „zweckmäßigen Vergleichstherapie“.
Prüfung des Dossiers
innerhalb von 3 Monaten
Erstattungsbetragsverhandlungen bis 12. Monat
Schiedsspruch bis 15. Monat
Anhörung und Beschluss
zwischen 4. – 6. Monat
IQWiG
Einigung
G-BA
Dossier
Einigung
Klage oder
Marktrücknahme
Marktrücknahme
durch Hersteller
möglich
Für 8 der 31 neuen Arzneimittel findet sich kein g-BA Eintrag, darunter alle Antibiotika.
Abb. modifiziert nach: http://www.vfa.de/de/download-manager/_infografik-amnog-fruehe-nutzenbewertung.pdf
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
44
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Übersicht
Gruppe Zytostatika
Vollständige Liste erhältlich unter: http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html
Palbociclib (Ibrance®)
Arzneistoff
Palbociclib (Ibrance®)
Indikation
Hormonrezeptor-positives und Her2negatives Mammakarzinom in
Kombination mit einem AromataseHemmer (postmenopausal) oder mit
Fulvestrant bei Frauen, die zuvor eine
endokrine Therapie erhielten
Zusatznutzen
Hersteller
noch nicht festgelegt
Pfizer Pharma GmbH
Abb.: https://de.wikipedia.org/wiki/Palbociclib
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
45
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Palbociclib (Ibrance®)
Mammakarzinom der Frau*
Prozentuale Inzidenz*
weltweit die häufigste invasive Tumorerkrankung bei
Frauen, in der EU etwa 131.000 Todesfälle/Jahr, im
Jahr 2012 in Deutschland 69.550 neue Fälle und
ca. 17.748 Todesfälle pro Jahr,
bei Diagnose ca. 30% <55 Jahre, für Frauen ab dem
50. Lebensjahr liegt die Prävalenz bei 2 % der weiblichen Bevölkerung (http://www.krebsdaten.de)
genetische Risikofaktoren, z.B. Mutationen der
Tumorsupressorgene Breast-Cancer 1 (BRCA1) und
BRCA2 (Tripel-negativ), 10-32-faches Risiko
therapeutische Bestrahlung des Brustkorbes
(<30 Jahre), 7-17-faches Risiko
bei sehr dichtem Brustgewebe, 5-faches Risiko
Postmenopausale Hormonersatztherapie,
insbesondere mit Östrogen/Gestagen-Kombinationen
Anteil an der geschätzten Zahl
maligner Erkrankungen in Deutschland 2012*
(2010 waren es 31,3%)
familiäre Anamnese bei 1, 2 oder 3 Verwandten
ersten Grades (keine Mutation), 2-, 3-, 4-faches
Risiko
Rauchen vor erster Geburt, 1,2-faches Risiko
*Zentrum für Krebsregisterdaten, Robert-Koch-Institut
https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/B/Brustkrebs/Brustkrebs.html
*ist bei Männern ca. 100-fach seltener
Palbociclib (Ibrance®)
Mammakarzinom der Frau
Brustkerbs-spezifisches
Überleben (%)
Brustkrebs-spezifisches Überleben nach Subtyp
Überlebensraten von 3744 Patientinnen
(Erstmanifestation) nach Chirurgie und
adjuvanter Chemotherapie sind abhängig vom
immunohistochemischen Subtyp
Luminal A
Triple-negativ
Core Basal
Basal/HER2+
Jahre nach Diagnose
Relatives Risiko
Relatives Risiko für Rezidiv mit Fernmetastasen
10-Jahres Überlebensraten:
79 % Luminal/HER260 % Luminal/HER2+
67 % Triple-negativ
62 % Core Basal (Triple-negativ/Basalmarker+)
55 % Basal/HER2+ (keine Anti-HER2-Therapie)
Relatives Risiko für Rezidiv mit Fernmetastasen
bei Tripel-negativem Typ starker Anstieg bis zum
ersten Jahr nach Diagnose (korreliert mit starkem
Abfall des Überlebens) und konsekutiver Abfall bis
zum fünften Jahr nach Diagnose
Jahre nach Diagnose
modifiziert nach: N Engl J Med 2010;363:1938-1948
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
46
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Palbociclib (Ibrance®)
Wirkungsmechanismus
• Extrazelluläre Mitogene wie Estradiol oder
Progesteron stimulieren die Proliferation über
die Aktivierung des Retinoblastom-Proteins
(RB, antiproliferativ, RBP proliferativ).
• Dies wird über die Aktivierung von Zyklinabhängigen Kinasen (CDK4/6) durch Bindung
der D-Zykline (D1, D2 und D3) vermittelt, die
jeweils Enzymkomplexe bilden.
• Die Enzymkomplexe phosphorylieren RBP
und aktivieren damit weitere Transkriptionsfaktoren aus der E2F-Familie.
• Dadurch wird die Transkription vieler Gene
aktiviert, welche die Progression des
Zellzyklus von G1 zu S ermöglichen.
• Somit ist die Sensitivität der Tumorzellen
gegenüber Palbociclib abhängig von der
Funktion von RB, während Tumore mit RBMutationen/Verlust oder Verstärkung von
Zyklin E (CDK2-Zyklin E) resistent sind.
N Engl J Med. 2016 Nov 17;375(20):1920-1923
Palbociclib (Ibrance®)
Wirkungsmechanismus
• Die alleinige Hemmung von CDK4/6 reicht
allerdings nicht aus um diesen
Mechanismus der Zellproliferation bei
Hormon-abhängigen Tumorzellen
ausreichend zu unterdrücken.
• Diese Erkenntnis aus Phase 1 Studien hat
die weitere Entwicklung potenter CDK4/6Inhibitoren zunächst behindert.
• Erst nachdem entdeckt wurde, dass solche
Arzneistoffe eine synergistische Wirkung
mit Inhibitoren des mitogenen EstradiolSignalweges aufweist, wurde die klinische
Entwicklung fortgesetzt.
• Zur Kombination wurden der AromataseHemmer Letrozol sowie der EstradiolRezeptor-Antagonist Fulvestrant eingesetzt
(hat keine partial-agonistische Wirkung
wie Tamoxifen).
N Engl J Med. 2016 Nov 17;375(20):1920-1923
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
47
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Palbociclib (Ibrance®)
Klinische Wirksamkeit
Paloma 3 Studie
2:1 randomisiert, doppelblind, Placebokontrolliert, multizentrisch
521 Patientinnen mit rezidivierendem
Hormon-abhängigem Mammakarzinom
(85 % metastasierend), medianes Alter
57 Jahre, 79,3 % postmenopausal,
Palbociclib-Dosis: 125 mg/Tag für 3
Wochen gefolgt von einer Woche Pause
Primärer Endpunkt: progressionsfreies
Überleben (Abb.)
Palbociclib verlängerte das Progressionsfreie Überleben signifikant um 5,7
Monate
N Engl J Med. 2015 Jul 16;373(3):209-19.
Effekte auf das Gesamtüberleben
erfordern eine weitere Beobachtung
Der Effekt war konsistent in fast allen
Subgruppen mit Ausnahme einiger
ethnischer Gruppen und bei einem
Krankheits-freien Intervall von <24
Monaten vor Eintritt in die Studie
Palbociclib (Ibrance®)
Klinische Wirksamkeit
Paloma 2 Studie
2:1 randomisiert, doppelblind, Placebokontrolliert, multizentrisch
666 postmenopausale Patientinnen mit
rezidivierendem Hormon-abhängigem
Mammakarzinom (bei 40 % neu
diagnostizierte Metastasen), medianes
Alter 62 Jahre
Palbociclib-Dosis: 125 mg/Tag für 3
Wochen gefolgt von einer Woche Pause
Primärer Endpunkt: progressionsfreies
Überleben (Abb.)
Palbociclib verlängerte das Progressionsfreie Überleben signifikant um 10,3
Monate
N Engl J Med. 2016 Nov 17;375(20):1925-1936.
Effekte auf das Gesamtüberleben
erfordern eine weitere Beobachtung
Der Effekt war konsistent in fast allen
Subgruppen mit Ausnahme von RBnegativen Tumoren (9%, EPAR Ibrance)
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
48
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Palbociclib (Ibrance®)
Nebenwirkungen
„Die häufigsten (>20 %) unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs) beliebiger
Schweregrade, die bei Patienten berichtet wurden, die Palbociclib in randomisierten
klinischen Studien erhielten, waren Neutropenie, Infektionen, Leukopenie, Fatigue,
Übelkeit, Stomatitis, Anämie, Alopezie und Diarrhö. Die häufigsten (>2 %) UAWs von
Palbociclib mit einem Schweregrad > 3 waren Neutropenie, Leukopenie, Anämie,
Fatigue und Infektionen. Dosisverringerungen oder Dosisanpassungen aufgrund von
UAWs waren unabhängig von der Kombination bei 34,4 % der Patienten erforderlich,
die Palbociclib in randomisierten klinischen Studien erhielten.“
Häufige unerwünschte Wirkungen (> 1% und < 10%):
-
Febrile Neutropenie
Dysgeusie
Verschwommenes Sehen, Verstärkte Tränensekretion, Trockene Augen
Epistaxis
Trockene Haut
Asthenie, Pyrexie
ALT erhöht, AST erhöht
ABDA-Datenbank, Fachinformation
Palbociclib (Ibrance®)
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile
Anwendung von Produkten, die Johanniskraut enthalten
Warnhinweise
Bei prä- oder perimenopausalen Frauen Anwendung nur bei ovarieller Ablation oder
Therapie mit einem LHRH (GnRH) Agonisten (z.B. Goserelin)
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Palbociclib wurde bei Patienten mit kritischer
viszeraler Erkrankung nicht untersucht.
Vorsicht bei mäßig oder stark eingeschränkter Leberfunktion oder Nierenfunktion
Schwangerschaft: keine Anwendung (zuverlässige Kontrazeption obligat)
Stillzeit: Anwendung vermeiden
Fertilität: keine Daten am Menschen, Beeinträchtigung der Fortpflanzungsorgane
männlicher Ratten (z.B. Hypospermie)
ABDA-Datenbank, Fachinformation
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
49
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Palbociclib (Ibrance®)
Fazit
Palbociclib ist ein oral verfügbarer Hemmer der Zyklin-abhängigen Kinasen CDK4/6,
die durch Bindung der D-Zykline (D1, D2 und D3) und Phosphorylierung des
Retinoblastom-Proteins die Progression des Zellzyklus von der G1- zur S-Phase
auslösen und so die Proliferation von Tumorzellen bei Hormon-abhängigem MammaKarzinom fördern. Palbociclib wirkt nur bei gleichzeitiger Antiestradiol-Therapie. Es
handelt sich um ein neues Wirkprinzip.
Bei Frauen mit rezidivierendem Hormon-abhängigen Mammakarzinom verlängerte
Palbociclib signifikant das Progressions-freie Überleben bei gleichzeitiger Therapie
mit Fulvestrant um 5,7 Monate und bei gleichzeitiger Therapie mit Letrozol um 10,3
Monate. Die Effekte waren in nahezu allen Subgruppen konsistent. Die Effekte auf
das Gesamtüberleben erfordern eine weitere Beobachtung.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Neutropenie, Infektionen, Leukopenie, Fatigue,
Übelkeit, Stomatitis, Anämie, Alopezie und Diarrhö. Vor allem die Neutropenie
erforderte sehr häufig eine Dosisreduktion und vorübergehende Unterbrechungen
der Therapie. Endgültige Abbrüche waren bei 4,1 % der Patientinnen notwendig. Die
gleichzeitige Einnahme von Johanniskraut ist kontraindiziert.
Die Tagestherapiekosten, bezogen auf eine Dosis von 125 mg/Tag,
betragen 193,78 €.
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Arzneistoff
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Indikation
Erwachsenen Patienten mit
metastasiertem kolorektalem
Karzinom, die bereits mit
Fluoropyrimidin-, Oxaliplatin- und
Irinotecan-basierte Chemotherapien,
Anti-VEGF- und Anti-EGFR-Substanzen
behandelt wurden oder die für diese
nicht geeignet sind.
Trifluridin
Tipiracil
Zusatznutzen
Hersteller
noch nicht festgelegt
SERVIER Deutschland GmbH
Abb.: https://de.wikipedia.org/wiki/Palbociclib
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
50
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Kolorektalkarzinom
Adenokarzinom von Caecum, Colon oder Rektum,
macht etwa 90 % aller Fälle von Darmkrebs aus
Lokalisation: Kolon 65 %, Rektum 30 %
Etwa 60.000 Neuerkrankungen pro Jahr in
Deutschland
Im Jahr 2012 erkrankten 33.740 Männer und
28.490 Frauen
zweithäufigste tödliche Tumorerkrankung bei
Männern (11,5 %) und dritthäufigste tödliche
Tumorerkrankung bei Frauen (12,1 %)
Wichtige Risikofaktoren sind das Lebensalter (nur
10 % der Fälle bei <55 Jahre) und
Dickdarmpolypen
Anteil an der geschätzten Zahl
maligner Erkrankungen in Deutschland 2012*
(Daten für Frauen siehe Palbociclib)
Vorsorgeuntersuchung (Koloskopie) wird ab dem
55. Lebensjahr von der gesetzlichen Krankenkasse
erstattet.
*Zentrum für Krebsregisterdaten, Robert-Koch-Institut
https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/B/Brustkrebs/Brustkrebs.html
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Kolorektalkarzinom
Die relative 5-Jahres-Überlebensrate insgesamt
liegt bei 63 %
Stadium 0
Wichtigster prognostischer Faktor ist das Stadium
der Erkrankung bei Diagnose
Stadium I
Stadium IV
Fernmetastasen
(Dukes D)
Stadium II
5-Jahresüberlebensrate bei Stadium I >90% und
bei Stadium IV (Fernmetastasen) <10%
Bei Diagnose ist Stadium III am häufigsten und
etwa 35 % der Fälle zeigen bereits Metastasierung
Bei etwa 25 % der Fälle Metastasierung nach
Chirurgie und Chemotherapie
Stadium III
Lymphknotenmetastasen
(Dukes C)
Bei Metastasierung verlängert die Chemotherapie
die mittlere Überlebenszeit von 6 auf 20 Monate
S3 Leitlinie Kolorektales Karzinom, August 2014,
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/021-007OL.html
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
51
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Pharmakotherapie bei Kolorektalkarzinom
Chemotherapie bei Stadium IV
FOLFOX (Folinsäure, 5-FU, Oxaliplatin) oder
FOLFIRI (Folinsäure, 5-FU, Irinotecan)
Stadium 0
Immuntherapie bei Stadium IV
Stadium I
Stadium IV
Fernmetastasen
(Dukes D)
Stadium II
Bevacizumab, VEGF-A Antikörper
Aflibercept, Fusionsprotein aus Domänen 1 und 2
des VEGRR, hemmt VEGF-A, VEGF-B und Placental
Growth Factor PGF (auch PGIF)
Cetuximab, EGFR Antikörper, Behandlung nur wenn
KRAS Gen nicht mutiert ist
Panitumumab, EGFR Antikörper, Behandlung nur
wenn KRAS Gen nicht mutiert ist
Stadium III
Lymphknotenmetastasen
(Dukes C)
Regorafenib als Letztlinientherapie (nicht in Leitlinie
erwähnt)
S3 Leitlinie Kolorektales Karzinom, August 2014,
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/021-007OL.html
VEGF=Vascular Endothelial Growth Factor
VEGFR=Vascular Endothelial Growth Factor Receptor
EGFR=Epidermal Growth factor receptor
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Wirkungsmechanismus
• Nach Aufnahme in die Tumorzelle wird
Trifluridin durch die Thymidilatkinase zu
Trifluridinmonophosphat (TFP) phosphoryliert.
• TFP hemmt die Thymidilatsynthase, sodass
kein Thymidintriphosphat mehr gebildet
werden kann und somit kein Thymidin für die
Synthese der DNA verfügbar ist.
• Dieser Mechanismus wird als weniger wichtig
für die Wirkung von Trifluridin angesehen.
• Nach konsekutiver Phosphorylierung durch die
Thymidilatkinase entsteht der ebenfalls aktive
Metabolit Trifluridintriphosphat, welcher als
falscher Baustein in die DNA inkorporiert wird.
• Dieser Mechanismus wird als hauptsächlicher
Wirkungsmechanismus für die Zytotoxizität
von Trifluridin angesehen.
• Es wird vermutet, dass DNA-Strangbrüche
entstehen.
Lee JJ, Chu E, Clinical Colorectal Cancer, 2017
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
52
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Wirkungsmechanismus
• Nach oraler Gabe wird Trifluridin durch einen
starken „first-pass“ über die hepatische
Thymidinphosphorylase sehr rasch
eliminiert. Daher ist die alleinige
Verwendung des Wirkstoffs nicht
praktikabel.
• Erst durch die Kombination mit Tipiracil,
einem Inhibitor der Thymidinphosphorylase
und einem neuen Wirkstoff, werden nach
oraler Gabe wirksame Plasmaspiegel
erreicht.
• Dadurch wird auch eine erhöhte Bildung der
zytotoxischen Metabolite Trifluridinmonophosphat und –triphosphat ermöglicht.
• Im Gegensatz zu Trifluridin beruht die
Wirkung von 5-Fluorouracil hauptsächlich
auf der Hemmung der Thymidilatsynthase.
Lee JJ, Chu E, Clinical Colorectal Cancer, 2017
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Klinische Wirksamkeit
RECOURSE Studie
Primärer Endpunkt: Gesamtüberleben
2:1 randomisiert, doppelblind,
Placebo-kontrolliert, multizentrisch
800 Patienten mit rezidivierendem
metastasierenden kolorektalem
Karzinom, medianes Alter 63 Jahre,
61% weiblich,
60% >4 Vorbehandlungen, alle
hatten Fluoropyrimidin, Oxaliplatin,
Irinotecan und Bevacizumab erhalten
Dosis: 2x35 mg/qm KOF*/Tag für 5
Tage, dann 2 Tage Pause für 2
Wochen (10 Behandlungstage)
gefolgt von zwei Wochen Pause,
dann neuer Zyklus,
N Engl J Med. 2015;372:1909-19.
Mittleres Gesamtüberleben:
TAS-102: 7,1 Monate
Placebo: 5,3 Monate
*Körperoberfläche
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
53
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Klinische Wirksamkeit
RECOURSE Studie
Sekundärer Endpunkt:
progressionsfreies Überleben
Mittleres progressionsfreies
Überleben:
TAS-102: 2,0 Monate
Placebo: 1,7 Monate
Als weiterer Endpunkt wurde der
„Eastern Cooperative Oncology
Group“ (ECOG) Perfomance Status,
ein validiertes Messinstrument zur
Bestimmung der Einschränkung des
Patienten für sich selbst zu sorgen,
bestimmt, wobei 0 für keine
Beeinträchtigung und 5 für Tod steht
N Engl J Med. 2015;372:1909-19.
Mediane Zeit bis zur Steigerung >2:
TAS-102: 5,7 Monate
Placebo: 4,0 Monate
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Nebenwirkungen
„Die schwerwiegendsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei mit dem
Kombinationsarzneimittel behandelten Patienten sind Knochenmarksuppression und
gastrointestinale Toxizität. Die am häufigsten beobachteten unerwünschten
Arzneimittelwirkungen (>30 %) bei mit dem Kombinationsarzneimittel behandelten
Patienten sind Neutropenie (54 % [35 % >Grad 3]), Übelkeit (39 % [1 % >Grad
3]), Ermüdung (35 % [4 % >Grad 3]), Anämie (32 % [13 % >Grad 3]) und
Leukopenie (31 % [12 % >Grad 3]).“
Sehr häufige unerwünschte Wirkungen (>10%):
-
Neutropenie, Leukopenie, Anämie, Thrombozytopenie
Appetit vermindert
Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen
Ermüdung
ABDA-Datenbank, Fachinformation
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
54
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile
Warnhinweise
Anwendung des Arzneimittels Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung oder
terminaler Niereninsuffizienz wird nicht empfohlen (keine Daten)
Anwendung des Arzneimittels Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung wird
nicht empfohlen (keine Daten)
Schwangerschaft: keine Anwendung (zuverlässige Kontrazeption obligat)
Stillzeit: Anwendung vermeiden bzw. Stillen unterbrechen
Fertilität: keine Daten am Menschen, keine Hinweise aus tierexperimentellen Studien
ABDA-Datenbank, Fachinformation
Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®)
Fazit
Die Kombination besteht aus dem seit 1980 bekannten zytostatisch und virostatisch
wirksamen Arzneistoff Trifluridin. Dessen systemische Verwendung wird erst durch
den neuen Arzneistoff Tipiracil ermöglicht, da dieser den raschen hepatischen Abbau
von Trifluridin durch die Thymidinphosphorylase hemmt. Als hauptsächlicher
Wirkungsmechanismus wird der Einbau von Trifluridintriphosphat als falscher
Baustein in die DNA mit der Folge von Strangbrüchen angesehen.
Bei Patienten mit rezidivierendem metastasierenden kolorektalem Karzinom, die alle
Fluoropyrimidin, Oxaliplatin, Irinotecan und Bevacizumab erhalten hatten, bewirkte
die zyklische Gabe der Kombination eine signifikante Verlängerung des
Gesamtüberlebens um 1,8 Monate und des progressionsfreien Überlebens um
0,3 Monate.
Die wichtigsten und teilweise schwerwiegenden Nebenwirkungen sind
Knochenmarksuppression (Neutropenie, Leukopenie, Anämie, Thrombozytopenie),
gastrointestinale Toxizität (Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen) sowie Ermüdung.
Insgesamt kann die Kombination, ähnlich wie Regorafenib (Stivarga®), als
Letztlinientherapie angesehen werden.
Die Tagestherapiekosten bei mittlerer KOF von 1,73 qm (Dosis von 120 mg/Tag)
betragen für einen 28-Tage Zyklus 170,58 € (20 mg/Tablette).
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
Neue Arzneimittel 2016 – Zytostatika
55
Hinweise
1) Die Bezeichnung Zusatznutzen bezieht sich auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (AMNOG), wonach der G-BA eine Nutzenbewertung neu zugelassener
Arzneimittel nach § 35 a SGB V durchführt.
2) Die Informationen zu den Arzneimitteln sind verkürzt dargestellt. Ausführlichere
Informationen finden besonders interessierte Leser unter Weblink 1 und Weblink 2.
3) Eine vollständige Liste der im Jahr 2016 zugelassen Arzneistoffe mit Indikationen und
und Zusatznutzen bei dieser Indikation ist unter folgendem Link erhältlich:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html
Weblinks
1) wissenschaftliche Diskussion der Arzneistoffdaten einschließlich Nutzen-Risiko Einschätzung in den European
Public Assessment Reports (EPARs,) der Zulassungsbehörde European Medicinal Agency (EMA), verzeichnet
nach Handelsnamen, abgelegt unter Assessment History (nur in englischer Sprache)
http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/epar_search.jsp&murl=menus/medicines/medicines.jsp&mid=WC0b01ac058001d125&jsenabled=true
2) Webseiten des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit einer Übersicht der Arzneimittel mit neuen
Wirkstoffen, für die der G-BA eine Nutzenbewertung nach § 35a SGB V durchführt oder bereits abgeschlossen
hat. Dort sind die Gutachten des IQWiG sowie die tragenden Gründe der Beschlüsse einsehbar.
http://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/
Literatur
Zitate zu Leitlinien, Phase III-Studien und anderer verwendeter Literatur sind - soweit
nicht aufgeführt - auf Nachfrage beim Autor erhältlich
Impressum:
http://www2.hhu.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2017;11(2):40-55
Herunterladen