DIAGNOSTIK & THERAPIE Sexualmedizin GMS-Study zur Sexualität des 45-jährigen Mannes Kathleen Herkommer, Veronika Goethe Nur wenige Studien haben sich vor der German Male Sex-Study (GMS-Study) ausschließlich mit der Sexualität des gesunden Mannes im mittleren Alter auseinandergesetzt. Erste Ergebnisse der GMS-Study zeigen Zusammenhänge zwischen sexueller Orientierung und dem Sexualverhalten. Daneben untersucht die GMS-Study die Prävalenz von sexuellen Funktionsstörungen und ihre Assoziation mit weiteren Faktoren. Die Studie analysiert im Kontext der ED außerdem den Zusammenhang mit dem Selbstbild eines Mannes. Die German Male Sex-Study (GMSStudy) ist ein Forschungsprojekt unter anderem zum Sexualverhalten und zu sexuellen Funktionsstörungen 45jähriger Männer in Abhängigkeit von der sexuellen Orientierung. Die Datenerhebung erfolgt als Begleitprojekt im Rahmen der PROBASE-Studie (Riskadapted Prostate Cancer Early Detection Study Based on a „Baseline“ PSA Value in Young Men – a prospective, multicenter, randomized trial), die die Bedeutung einer „Baseline“-PSAWertbestimmung als Screeningmethode für Prostatakarzinome untersucht. Dabei werden im Umkreis von vier Studienzentren (Universitätskliniken Heidelberg und Düsseldorf, medizinische Hochschule Hannover und Klinikum rechts der Isar der TU München) über die Einwohnermeldeämter nach einem Zufallsprinzip 45-jährige Männer zur Teilnahme an der Studie eingeladen, die bei Vorstellung in einem Anamnesegespräch und mittels standardisierter Fragebögen befragt werden. Ausgeschlossen sind Männer, bei denen bereits ein Prostatakarzinom diagnostiziert wurde. Die Männer werden über 15 Jahre in regelmäßigen Abständen kontaktiert und im Rahmen der GMS-Study wiederholt zu Aspekten der Sexualität befragt. Bis zum Ende der Rekrutierungsphase 2020 sollen insgesamt 50.000 45-jährige Männer in die Studie eingeschlossen werden. Dieses Studiendesign ermöglicht es, neben Querschnitt- auch Längsschnittstudien UroForum 5 2017 durchzuführen, die Erkenntnisse über die Veränderung der Sexualität des Mannes vom mittleren bis ins höhere Alter bringen werden. Bisherige Forschung zur männlichen Sexualität Bislang haben sich wenige Studien ausschließlich mit der Sexualität des gesunden Mannes im mittleren Alter auseinandergesetzt. Die meisten Studien legen den Fokus auf Sexualität im höheren Alter (z. B. 1) und auf den Zusammenhang von Sexualität und Krankheit, insbesondere maligne Erkrankungen (z. B. 2, 3). Studien mit einem jüngeren Kollektiv untersuchen vor allem die Entwicklung der Sexualität während der Pubertät (z. B. 4) oder sexuelles Risikoverhalten und sexuell übertragbare Krankheiten (z. B. 5, 6). Vor 20 Jahren haben sich Braun et al. (7) in der Kölner Studie in Deutschland auf ein Kollektiv von gesunden Männern fokussiert. Ziel dieser Studie war die „Analyse der Epidemiologie der männlichen Sexualität und ihre Veränderung über die Zeit“ (7, S. 302). Das Studienkollektiv umfasste 8.000 Männer mit einer breiten Altersverteilung. Sexualverhalten Seit Beginn der GMS-Studie im April 2014 konnten bis April 2016 die ersten 12.354 kaukasischen Männer in die Studie eingeschlossen werden. Davon identifizierten sich 95,1 % als hetero- sexuell, 3,8 % als homosexuell und 1,1 % als bisexuell. Erste sexuelle Erfahrungen mit einer Frau machten alle drei Gruppen mit etwa 18 Jahren. Bezüglich erster sexueller Erfahrungen mit einem Mann gab es einen signifikanten Unterschied von rund 2,5 Jahren von Bisexuellen gegenüber Hetero- und Homosexuellen (22,9 vs. 20,5 und 20,2). 1,6 % der heterosexuellen Männer gaben an, sexuelle Erfahrungen mit einem Mann gemacht zu haben (93,5 % der Homosexuellen, 81,0 % der Bisexuellen). Bei der Anzahl der bisherigen Sexualpartner zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung: Die deutliche Mehrheit der heterosexuellen Männer (70,9 %) hatte bis zum 45. Lebensjahr 1–10 Sexualpartner (Homosexuelle 29,9 %, Bisexuelle 45,3 %). Knapp die Hälfte der homosexuellen Männer (44,0 %) berichtete, über 30 Sexualpartner gehabt zu haben (Heterosexuelle 6,0 %, Bisexuelle 26,6 %) (s. Abb. 1). Der Anteil der Männer mit 11–30 Sexualpartnern unterschied sich in allen drei Gruppen nicht signifikant. Der Großteil der Männer war sexuell aktiv. 85 % hatten in den letzten drei Monaten vor Befragung Geschlechtsverkehr (GV). Die Häufigkeit der einzelnen Sexualpraktiken unterschied sich dabei in Abhängigkeit von der sexuellen Orientierung: Nahezu alle heterosexuellen Männer hatten vaginalen GV (97,6 %), bei den homo- und bisexuellen Männern wurde oraler GV am häufigsten genannt (90,9 % bzw. 75,3 %). 10 % der sexuell aktiven Homosexuellen gaben an, in den letzten 3 Monaten vaginalen GV gehabt zu haben, was eine Diskrepanz zwischen sexueller Orientierung und gelebter Sexualität darstellt. Analer GV wurde in 7,2 %, 63,8 % bzw. 38,5 % (Hetero-, Homo-, Bisexuelle) der Fälle genannt (s. Abb. 2). Die Mehrzahl der Männer in allen drei Gruppen gab an, in den letzten drei Monaten masturbiert zu haben (Heterosexuelle 77,7 %, Homosexuelle 94,3 %, Bisexuelle 93,1 %). Die Zahl der Heterosexuellen, die masturbierten, 31 DIAGNOSTIK & THERAPIE Anzahl der Sexualpartner 45-jähriger Männer 80 % Anteil der Männer heterosexuell 70,9 70 homosexuell bisexuell 60 50 45,3 44,0 40 29,9 30 22,4 20 10 0,6 0,5 0 0 26,6 25,6 23,4 6,0 4,7 1–10 11–30 Anzahl der Sexualpartner > 30 Abb. 1: Fast die Hälfte der homosexuellen Männer hatte bis zum 45. Lebensjahr mehr als 30 Sexualpartner – ein signifikanter Unterschied zu heterosexuellen Männern. Weitere Ergebnisse aus der GMS-Study Sexualpraktiken 45-jähriger Männer 100 % heterosexuell homosexuell bisexuell 97,6 90,9 Anteil der Männer 80 80,6 75,3 60 63,8 58,0 40 38,5 20 0 10,0 vaginaler Geschlechtsverkehr 7,2 oraler Geschlechtsverkehr analer Geschlechtsverkehr ausgeübte Sexualpraktiken innerhalb 3 Monaten vor Befragung Abb. 2: Die Häufigkeit der Sexualpraktiken unterschied sich in Abhängigkeit von der sexuellen Orientierung: Bei homo- und bisexuellen Männern wurde oraler GV am häufigsten genannt. reduzierte sich deutlich, wenn die Männer in einer Partnerschaft lebten. Bei Homo- und Bisexuellen konnte kein Zusammenhang von Masturbationsverhalten und Partnerschaft festgestellt werden. Sexuelle Funktionsstörungen Neben dem Sexualverhalten untersucht die GMS-Study die Prävalenz von sexuellen Funktionsstörungen, z. B. der erektilen Dysfunktion (ED), und ihre Assoziation mit weiteren Faktoren. Eine ED war bei 25,2 % der befragten 45-jährigen Männer nachweisbar. Mehr als jeder 8. Mann hatte nach dem IIEF-6Score sogar eine moderate bis schwere Form der ED. Mehrere Faktoren wurden in der Auswertung auf eine Assoziation mit der Prävalenz der ED untersucht. Insbesondere Depression und ein 32 befragt. Insgesamt zeigten die Männer zum Auswertungszeitpunkt ein positives Selbstbild. Allerdings gaben Männer mit ED deutlich häufiger an, sozialen Druck bezüglich ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit zu verspüren und ein negativeres Körperbild zu haben. Auch beim sexuellen Selbstwertgefühl hatten die Männer mit ED tendenziell niedrigere Werte als Männer ohne ED. Hinsichtlich des Verständnisses von Maskulinität vertraten sie eher traditionelle Vorstellungen. Dies äußerte sich durch die Zustimmung zu den Aussagen, dass ein Mann stark und unnahbar wirken sollte. schlechter subjektiver Gesundheitszustand stellten ein Risiko für die ED dar (OR 1,87 bzw. 1,72). Auch ein IPSS > 7, ein Taillenumfang ≥ 102 cm und eine geringe sportliche Aktivität von < 1x/Woche (z. B. 30 min. leichte körperliche Bewegung wie spazieren gehen, Radfahren) wiesen einen starken Zusammenhang mit der Prävalenz der ED auf. Je mehr Risikofaktoren oder Komorbiditäten vorhanden waren, desto höher war die Wahrscheinlichkeit einer ED laut IIEF-Score. Die GMS-Study analysiert im Kontext der ED außerdem den Zusammenhang mit dem Selbstbild eines Mannes. Hierfür werden die Männer zu ihrem Körperbild, Verständnis von Maskulinität, sexuellem Selbstwertgefühl und Wahrnehmung sozialen Drucks bezüglich sexueller Leistungsfähigkeit Erste Kongressbeiträge der GMS-Study stoßen bislang auf großes Interesse – im Rahmen des Kongresses der deutschen Gesellschaft für Andrologie 2016 wurde die Studie „Prävalenz von Risikofaktoren und Komorbiditäten bei 45-jährigen Männern mit ED – Ergebnisse aus der German Male Sex Study“ mit dem 1. Vortragspreis ausgezeichnet. Weitere Informationen und zukünftige Ergebnisse finden sich auch auf der Internetpräsenz der GMS-Study auf der Seite der Urologischen Klinik des Klinikums rechts der Isar der TU München (www.mriu.de/gms). Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Lindau, S. T. et al. 2007, 762–774. Mücke, C. et al. 2011, 197–204. Jackson, S. E. et al. 2016, 3883–3891. Savin-Williams, R. C. et al. 2012, 103–110. Danta, M. et al. 2007, 983–991. Marcus, U. et al. 2009, 180. Braun, M. et al. 2000, 302–307. Korrespondenzautorin Prof. Dr. med. Kathleen Herkommer MBA Oberärztin Fachärztin für Urologie und Andrologie Klinik und Poliklinik für Urologie Klinikum rechts der Isar der TU München [email protected] UroForum 5 2017