Diskursräume öffnen Potentiale und Probleme der Einrichtung

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Expertise
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Potentiale und Probleme der Einrichtung islamischen
Religionsunterrichts am Beispiel des „Erlanger Modells“
Autor: Dr. Martin Engelbrecht
Nürnberg 2007
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................................................................................... 2
Danksagungen ............................................................................................................................................................................ 4
1
2
Einleitung.......................................................................................................................................................................... 5
1.1
Problemskizze ......................................................................................................................................................... 5
1.2
Perspektive, Arbeitsweise und Grundlagen der Expertise....................................................................................... 7
Problemkontexte rund um die Frage eines islamischen Religionsunterrichts ................................................................. 10
2.1
Das „korporatistische Modell“ der Zusammenarbeit von Staat und Religionen.................................................... 10
2.2
Die Muslime als ‚Quereinsteiger’ in das korporatistische Modell......................................................................... 13
2.2.1
Die sich wandelnde Rolle des Islam in der Türkei ........................................................................................... 14
2.2.2
Die türkischstämmigen Muslime in Deutschland ............................................................................................. 16
2.2.2.1
Überblick über Geschichte und Struktur................................................................................................. 16
2.2.2.2
Das Meinungsspektrum zu Fragen der Religion und der Nationalität .................................................... 19
2.2.3
2.2.3.1
Der traditionalistische Bezugspunkt der Identitätskonstruktion.............................................................. 24
2.2.3.2
Der universalistisch verstandene Islam als Bezugspunkt der Identitätskonstruktion .............................. 26
2.2.3.3
Der nationalistische Bezugspunkt der Identitätskonstruktion ................................................................. 30
2.2.3.4
Individualisierte islamische Identitätskonstruktionen ............................................................................. 32
2.2.3.5
Muslime ‚jenseits’ des Islam und die Frage eines offenen Diskurses ..................................................... 33
2.2.4
Die muslimischen Verbände............................................................................................................................. 35
2.2.4.1
DITIB (Diyanet Đşleri Türk Islam Birliği) .............................................................................................. 37
2.2.4.2
IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüş) ...................................................................................... 39
2.2.4.3
ZMD (Zentralrat der Muslime in Deutschland) ...................................................................................... 41
2.2.4.4
Schura Niedersachsen............................................................................................................................. 42
2.3
3
Dimensionen der muslimischen Pluralisierung ................................................................................................ 22
Zwischenfazit ........................................................................................................................................................ 45
Das ‚Erlanger Modell’ als Beispiel einer erfolgreichen Co-Konstruktion von Muslimen, akademischem und
behördlichen Diskurs................................................................................................................................................................ 47
3.1
Überblick über die aktuellen Anstrengungen bezüglich islamischen Religionsunterrichts in den einzelnen
Bundesländern ..................................................................................................................................................................... 47
3.2
Probleme und Potentiale des islamischen Religionsunterrichts am Beispiel des Erlanger Modells ...................... 52
3.2.1
Überblick über Entwicklung und Struktur........................................................................................................ 52
3.2.2
Diskursfelder, Potentiale und Probleme ........................................................................................................... 54
3.2.2.1
Die islamische Religionslehrerausbildung als Diskursraum ................................................................... 54
Seite 2 von 76
3.3
3.2.2.2
Der islamische Religionsunterricht als Diskursraum .............................................................................. 57
3.2.2.3
Die Diskursräume der muslimischen Eltern............................................................................................ 59
3.2.2.4
Die Moscheen und Verbände als Diskursraum ....................................................................................... 63
Fazit: Die Notwendigkeit einer staatlichen aktiven Moderation des islamischen Religionsunterrichts für einen
Übergangszeitraum .............................................................................................................................................................. 65
4
Literatur .......................................................................................................................................................................... 69
Seite 3 von 76
Danksagungen
Eine ganze Reihe von Institutionen und Personen hat die vorliegende Expertise möglich gemacht. Die
Initiative dazu ging von Professor Dr. Johannes Lähnemann aus. Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge hat diese Initiative bereitwillig aufgegriffen und die Erarbeitung finanziell ermöglicht.
Stellvertretend für alle beteiligten Mitarbeiter des Bundesamtes sei hier PD Dr. Peter Schimany, Herrn
Wolf Walther und Herrn Mark Chalil Bodenstein M.A. gedankt.
Eine Reihe von Forschungsarbeiten des Autors, die einen Hintergrund der Arbeit bilden, wurden im
Rahmen des von Prof. Dr. Michael v. Engelhardt geführten Projekts „Fremdsicht und Eigensicht im
interreligiösen Alltag“ (1996-99) durchgeführt, das am Institut für Soziologie der Universität
Erlangen-Nürnberg angesiedelt war und von der Volkswagenstiftung finanziert wurde. Neben dem
Autor war Herr Andreas Sontheimer M.A. an diesen Arbeiten beteiligt. Eine ganze Reihe von
Gesprächspartnern stellten vor und während der Durchführung der Expertise substanzielle
Informationen zur Verfügung: Prof. Dr. Harun Behr, Prof. Dr. Hartmut Bobzin, Prof. Dr. Johannes
Lähnemann und Prof. Dr. Mathias Rohe vom Interdisziplinären Institut für Islamische Religionslehre
(IZIR) der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Frau Heidemarie Ballasch vom
niedersächsischen Kultusministerium, Frau Lamya Kaddor M.A. vom Lehrstuhl für Religion des Islam
des Centrums für Religiöse Studien in Münster, Frau Anne Kleinschnieder vom Ministerium für
Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz, PD Dr. Martin Laube von der
Evangelischen Akademie Loccum, Frau Dr. Martina Sauer vom Zentrum für Türkeistudien und Dr.
Hansjörg Schmid von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Ihnen allen sei herzlich für die
freundliche Unterstützung gedankt.
Überdies sei Herrn Remzi Güneysu, Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen,
sowie einer Reihe von Studierenden der islamischen Religionslehre und etlichen Mitarbeitern aus dem
Bereich der Schulen und der kommunalen und staatlichen Schulverwaltung im Raum Nürnberg ganz
herzlich für ihre freundliche Mitarbeit gedankt.
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1
1.1
Einleitung
Problemskizze
Die folgende Studie hat die Aufgabe, den von Erlanger Muslimen und Vertretern der FriedrichAlexander Universität Erlangen-Nürnberg in Zusammenarbeit mit den bayerischen Schulbehörden und
dem bayerischen Kultusministerium entwickelten und gestalteten Modellversuch für Islamischen
Religionsunterricht und Islamische Religionslehrerausbildung – das sogenannte „Erlanger Modell“ –
auf seine Potentiale hinsichtlich des langfristigen Ziels der flächigen Einführung eines islamischen
Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen zu untersuchen. Dabei steht im
Mittelpunkt die Leistungsfähigkeit des Modells bezüglich der Integration der Muslime und der
islamischen Religion in die deutsche Gesamtgesellschaft.
Will man eine begründete Einschätzung der Potentiale dieses lokalen Modellversuchs geben, so ist es
nicht damit getan, Konzept, Entwicklung und aktuelle Struktur gleichsam im Stil einer Monographie
zu portraitieren. Das ‚Erlanger Modell’ ist – wie die parallel verlaufenden Anstrengungen zur
Entwicklung eines islamischen Religionsunterrichts in den anderen Bundesländern auch – an einem
zentralen Knotenpunkt eines vieldimensionalen Netzwerks von Problemen angesiedelt. Nur wenn
diese komplexen Problemkontexte zumindest ansatzweise ausgeleuchtet sind, wird verständlich,
welche z.T. deutlich über die fachlichen und sozialen Anforderungen eines ‚normalen’ Lehrfachs
hinausgehenden Aufgaben auf den islamischen Religionsunterricht und seine Lehrkräfte und damit
gleichzeitig auch auf deren akademische Ausbildungsgänge warten.
Darüber hinaus stellt die flächige Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in mehrfacher
Hinsicht einen entscheidenden Schritt in der Geschichte des Zusammenwachsens von Islam und
deutscher Gesellschaft dar. Es ist davon auszugehen, dass dieser Unterricht das Gesicht des Islam in
Deutschland ebenso verändern wird wie das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft. Es handelt
sich also nicht nur um ein Spezialproblem der Einrichtung einer punktuellen fachlichen Kooperation
zwischen muslimischen Vereinen und den Kultusbehörden der Länder, sondern um ein entscheidendes
Projekt zur Gestaltung der gemeinsamen Zukunft der Muslime und dem Land, in dem sie auf Dauer
ihren Lebensmittelpunkt angesiedelt haben, dessen Teil sie sind und dauerhaft sein werden.
Dementsprechend kann es nicht verwundern, dass an sich diesem, an sich schon seit Ende der
siebziger Jahre verhandelten Problemkomplex1 nicht nur Missverständnisse und strukturelle Probleme
entzünden, sondern dass hier auch handfeste Interessenkonflikte konstruktiven und von allen Seiten
mitgetragenen Lösungen zugeführt werden müssen. Folgende Ebenen greifen dabei in komplexer
Weise ineinander:
1
Vgl. u.a. Lähnemann 2004.
Seite 5 von 76
Gleichsam den Ausgangspunkt bildet der rechtliche Rahmen der deutschen Gesetzgebung zur
Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionen, der der Analyse von Mathias König folgend im
weiteren als „korporatistisches Modell“2 analysiert werden soll. (Abschnitt 2.1).
In diese Situation kamen die deutschen Muslime quasi als ‚Quereinsteiger’ (Abschnitt 2.2). Die den
deutschen Islam entscheidend prägenden türkischstämmigen Muslime, die als massenhaft
angeworbene „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen und von der deutschen Öffentlichkeit lange Zeit
überhaupt nicht als ‚religiöse’ Größe wahrgenommen wurden, brachten islamischen Traditionen und
Strukturen mit, die in der Türkei durch den kemalistischen Staat in eine spezifische Form gebracht
worden waren (Abschnitt 2.2.1). Diese Strukturen ‚folgten’ den Migranten in Gestalt einer religiösen
Vereinslandschaft, die sich bis heute im wesentlichen an den Verwerfungen der türkischen
Innenpolitik orientiert und die etwas erzeugte, das mit Bernhard Trautner als „transstaatlicher Raum“3
bezeichnet werden kann (Abschnitt 2.2.4). Gleichzeitig brachte jeder der Migranten naturgemäß ein
komplexes Paket von handlungsleitenden Wissensbeständen mit, in dem emotionale und familiäre
Bindung an das Herkunftsland, Sprache, Religion, lokale Traditionen und nicht selten ein massiver
türkischer Nationalismus in enger und komplexer Verbindung existierten und bis heute existieren. Die
Frage, was davon für das Leben in Deutschland sinnvoll, was gar notwendig und was überflüssig oder
u.U. sogar hinderlich ist, bestimmt einen zentralen Punkt der Auseinandersetzung innerhalb der
Migrantencommunity und wird aufgrund der zahlenmäßigen Dominanz der türkischstämmigen
Muslime auch für die muslimischen Diskussionen insgesamt zu einer zentralen und substanziellen
Herausforderung. Dabei entwickelt sich im islamischen Diskursfeld eine zunehmende Pluralität
(Abschnitt 2.2.3).
In die vielschichtigen und verwickelten Diskurse zwischen Einheitsansprüchen und realer Vielfalt
hinein stößt nun mit zunehmender Dringlichkeit der Impuls der sich mittelfristig abzeichnenden
Etablierung eines islamischen Religionsunterrichts. Es ist abzusehen, dass ein solcher Unterricht eine
prägende Wirkung auf die Inhalte und Gestalt des islamischen Diskursfeldes ausüben wird. In den
Diskussionen um die Einführung des Unterrichts, seine Lehrpläne, die Auswahl der Lehrer und vor
allem die Bestimmung einer ‚Religionsgemeinschaft’ als verantwortlichem Ansprechpartner fließen
die skizzierten Problemlinien zusammen.
Das „Erlanger Modell“ wurde von den beteiligten Muslimen, sowie universitären, kommunalen und
staatlichen Gesprächspartnern in einem langjährigen Prozess der Kooperation entwickelt, um
Antworten auf diese vielschichtigen Problemlinien zu geben und ein Modell für einen konsensfähigen
Religionsunterricht zu schaffen. Die Analyse des Modells vor dem Hintergrund der skizzierten
Problemfelder bildet den zweiten Teil des vorliegenden Textes. (Abschnitt 3). Es sei schon an dieser
frühen Stelle deutlich gesagt, dass es in keiner Weise Ziel dieser Arbeit sein kann und will, ein wie
2
3
König 2005.
Vgl. Trautner 2000.
Seite 6 von 76
auch immer geartetes ‚Ranking’ der Projekte und Ansätze zum islamischem Religionsunterricht in
Bayern und den anderen Bundesländern durchzuführen. Vielmehr geht es darum, inhaltliche
Problemfelder zu identifizieren und konkrete Lösungsansätze zu beschreiben. In dieser Hinsicht ist die
konzeptionelle Vielfalt im aktuellen Feld auch mittelfristig sehr zu begrüßen.
Vor dem Einstieg in die Diskussion der den islamischen Religionsunterricht bestimmenden
Problemfelder sei jetzt noch kurz die wissenschaftliche Perspektive und die Datenbasis der folgenden
Argumentation skizziert.
1.2
Perspektive, Arbeitsweise und Grundlagen der Expertise
Die Perspektive der folgenden Argumentationen versteht sich als rein soziologisch, und zwar präziser
als wissenssoziologisch. Die soziale Größe, die im Zentrum der Betrachtung steht, sind die in
Deutschland lebenden Muslime, wobei unter Muslim grundsätzlich jeder Mensch verstanden werden
soll, der sich selbst als Muslim versteht. Die Muslime sind in vielfältiger Weise sozial miteinander
vernetzt und stehen in einer Fülle von diskursiven Zusammenhängen, von denen der für die
vorliegende Fragestellung entscheidende das Diskursfeld ist, das ‚den Islam’ konstituiert.4 Neben
diesem innermuslimischen Diskursfeld gibt es noch eine Reihe weiterer Diskursfelder innerhalb der
deutschen
Gesellschaft,
die
sich
mit
‚dem
Islam’
auseinandersetzen,
z.B.
juristische,
sozialwissenschaftliche (inklusive der vorliegenden Argumentation), massenmediale und so weiter. Im
Kontext dieser Innen- und Außenperspektiven auf das Diskursfeld Islam werden von allen Seiten
vielfältige Typen von Definitionen und Zuordnungen vorgenommen, von denen vor allem zwei für das
Thema von zentralem Belang sind: die Frage, was ‚den Islam’ ausmacht und die damit in engem
Zusammenhang stehende Frage, wer Moslem ist und deshalb im Diskurs gehört werden muss, bzw.
wer unter welchen Vorgaben ausgeschlossen wird.
Die Frage, was ‚den Islam’ denn nun ‚in Wahrheit’ ausmacht, ist eine ebenso häufig gestellte wie aus
eine ganzen Reihe von Gründen nie je endgültig zu klärende Frage. Gestellt wird sie sowohl von
innerhalb als auch von außerhalb der muslimischen Diskurse, wobei sich in vielen Fällen hinter dieser
Frage nicht das Interesse an religiösem Erkenntniszuwachs verbirgt, sondern das Bestreben, das
‚eigentliche’ politische Gesicht unterschiedlicher muslimischer Akteure endgültig festzulegen. Als
illustratives Beispiel referiert z.B. Jürgen Gottschlich einen Diskussionsbeitrag im Anschluss an eine
Podiumsdiskussion bezüglich der Ziele der AKP:5
„Was die AKP betreibt, sei doch Takkiye. Takkiye ist ein arabischer Begriff aus dem Koran, der dem
Gläubigen in Notsituationen erlaubt, einen Ungläubigen zu täuschen. Insgeheim habe die Partei
4
Die hier skizzierte Sichtweise lässt sich keineswegs nur auf ‚den Islam’ anwenden. Sie ist eine allgemeine
wissenssoziologische Perspektive, mit deren Hilfe diskursive Zusammenhänge in ihrem sozialen
Konstruktionscharakter sichtbar gemacht werden können. Eine genauere Darstellung würde den vorliegenden
Rahmen sprengen (vgl. dazu vertieft Engelbrecht 2006a, Hitzler et al. 1999 und Keller 2005. Für die Anwendung
wissenssoziologischer Perspektiven auf Phänomene der Integration vgl. z.B. Soeffner und Zifonun 2005).
5
Die derzeitige Regierungspartei der Türkei unter Ministerpräsident Erdoğan.
Seite 7 von 76
natürlich das Ziel, die Türkei in einen Gottesstaat umzuwandeln“.6
Argumentation wie diese sollen – nicht selten unter Bezug auf auch innermuslimisch hochumstrittene
theologische Themen – belegen, dass ‚der Islam’ einen unterschiedlich bezeichneten ‚wahren Kern’
habe, der unabhängig von Zeit, Akteuren und Umständen letztlich immer für eine bestimmte Richtung
sorgt, die die Muslime einschlagen werden, egal was sonst noch an Positionen vertreten wird. Das
Argument lässt sich in beide Richtungen führen, dahingehend, dass das kriegerische Gesicht ‚des
Islam’, das ‚eigentliche’ hinter dem vorläufigen und falschen Eindruck des friedlichen sei, genauso
wie umgekehrt.
Hinter dieser Art von Fragen und Argumentationen steht eine verdinglichende Sichtweise religiöser
Konzepte und Diskurse. Sie ist allgegenwärtig, z.B. in zahlreichen Einführungen zum Islam. So wirft
der scheinbar einfache Satz „Ein frommer Muslim betet fünf mal am Tag“ tatsächlich eine Fülle von
Fragen auf: Will dieser Satz sagen, ein frommer Muslim solle fünf mal am Tag beten? Meint er als
soziologische Beobachtung, dass Muslime, die sich selbst als fromm verstehen, mehrheitlich fünf mal
am Tag beten, oder gar als Allaussage, dass nur der, der fünf Mal am Tag betet, ein frommer Muslim
ist? Wenn letzteres der Fall ist, stellt sich sofort die Anschlussfrage, ob damit das Frommsein von
Muslimen ein für alle Mal definiert ist, und natürlich von wem und so fort.
Gerade im Kontext eines von kollidierenden Interessen und emotional geführten öffentlichen Debatten
bestimmten Feldes7 wie dem hier zu diskutierenden sollte versucht werden, einen anderen Weg zu
gehen. Für die vorliegende Argumentation sollen die von je unterschiedlichen Akteuren vorgetragenen
Versionen dessen, was Islam ‚eigentlich’ ist, als ideenpolitische Programme in einem offenen
Diskursfeld betrachtet werden, innerhalb dessen sie je nach den Umständen und der Position der
Akteure mehr oder weniger starke soziale Prägekraft entfalten. In dieselbe Richtung argumentiert
Hans Kippenberg, wenn er sagt: „Derartige Herangehensweisen bewähren sich zunehmend in der
Kulturwissenschaft, zumal in Deutschland, wo die Kulturwissenschaft mehr als anderswo von einer
verdinglichten Vorstellung von Identität geplagt wird“.8
Dementsprechend werden auch die andere Diskurse, die sich mit ‚dem Islam’ befassen in ihrer
jeweiligen Perspektivität beschrieben. So kann der vorliegende Text beispielsweise nicht selbst
juristisch argumentieren, sondern lediglich versuchen, die juristischen Rahmenbedingungen und
Argumentationen in ihrer sozialen und diskursiven Prägekraft für das islamische Diskursfeld zu
skizzieren.
Eng mit der Frage, was ‚der Islam’ denn ‚eigentlich’ sei, ist eine weitere hochbrisante Frage verknüpft.
Von einem verdinglichten Konzept ‚des Islams’ und vor allem einem Kriterienkatalog dessen, was ein
Muslim’ zu glauben und zu tun habe aus wird nicht selten sowohl von islamischer wie von
6
Gottschlich 2006: 51.
Vgl. z.B. den kürzlich erschienen SPIEGEL Artikel von Bartsch et al. 2007.
8
Kippenberg 2002: 23.
7
Seite 8 von 76
nichtislamischer Seite zu bestimmen versucht, wer innerhalb des Diskursfelds Islam als diskursfähiges
Mitglied anzuerkennen ist und wer unter welchen Umständen ausgeschlossen wird. Das von einer
Reihe von muslimischen Akteuren vorgetragene Anliegen, nur „religiös orientierte“ Muslime zu
islamischen Fragen sprechen zu lassen und nicht „Kultur-Muslime“, oder „diejenigen, die nur noch
nominell Muslime sind“9 nimmt eine solche Trennung in einer Weise vor, die für die aktuelle
Entwicklung muslimischer Diskurse in Deutschland typisch ist und die eine Reihe von Problemen
aufwirft (vgl. u.a. Abschnitt 2.2.3.5).
Vom Material her stützt sich die Argumentation auf drei Quellen. Zum einen wird im folgenden
extensiv auf die aktuelle wissenschaftliche Literatur zum islamischen Religionsunterricht und zu den
Muslimen in Deutschland Bezug genommen. Speziell bezüglich des „Erlanger Modells“ wurden
zusätzlich Experteninterviews mit insgesamt acht Akteuren aus dem Feld durchgeführt, und zwar mit
Vertretern der Universität, mit Studierenden, sowie mit Repräsentanten der „Islamischen
Religionsgemeinschaft Erlangen“ und einer Schule, die sich derzeit um die Einführung des
Modellversuchs bemüht. Die dritte Quelle, auf die sich die Expertise stützt, besteht in den Ergebnissen
eines Forschungsprojekts, das von 1996-99 am Institut für Soziologie der Universität ErlangenNürnberg zum interreligiösen Dialog – u.a. zwischen Christen und Muslimen – im Großraum
Nürnberg/Fürth/Erlangen durchgeführt wurde.10
Um die vorliegende Argumentation nicht zu überfrachten, sollen die besonderen Problemlagen zweier
Gruppen ausgeblendet bleiben: Die ca. 400 000 Aleviten und die etwa 125 000 Personen zählenden
Schiiten.11
Während
die
Aleviten12
sich
in
Deutschland
zunehmend
als
eine
eigene
Glaubensgemeinschaft konstituieren und sich dementsprechend um einen eigenen Unterricht
bemühen13, ist die Lage bei den Schiiten komplizierter, kann aber hier nicht weiter verfolgt werden.
Eine letzte einleitende Anmerkung ist noch zu machen. Ähnlich wie in Deutschland zumindest in den
alten Bundesländern die Großkirchen für die Mehrzahl der Christen bildet der Islam für die große
Mehrzahl der Muslime in Deutschland als kollektive religiöse Deutungswelt den selbstverständlichen
ersten Bezugs-, Ausgangs- und natürlich auch Reibungs- und Distanzierungspunkt für jede Form
religiöser biographischer und sozialer Konstruktion. Dieser Bezugspunkt darf nicht schon allein
deshalb als problematisch eingeordnet werden, weil er sich in einer westlichen Gesellschaft nicht von
selbst auflöst. Dass dies keineswegs so selbstverständlich ist wie es sich anhört, zeigt sich, wenn von
deutscher Seite aus – und das gar nicht so selten – eine fortgesetzte muslimische Religiosität an sich
bereits als erklärungsbedürftiges Phänomen angesprochen wird, wie z.B. in folgender Äußerung:
9
Pinn 2006: 5.
Vgl. u.a. Engelbrecht 1998, 2006.
11
Die Zahlen nennen Kiefer und Reichmuth 2006: 8.
12
Vgl. zu den Aleviten vertieft z.B. Vorhoff 1995.
13
Vgl. Kaplan 2006. In Berlin wird seit 2002 (vgl. Kiefer 2006: 18), in Baden-Württemberg seit 2006 (vgl.
Kultusministerium von Baden-Württemberg 2006) alevitischer Religionsunterricht angeboten.
10
Seite 9 von 76
„Mehr denn je scheint zu gelten, dass die mitgebrachte Religion für viele Eingewanderte einen Hort
der Sicherheit und des inneren Halts in einer neuen, wenn auch fremden Heimat bietet. Es ist aber
durchaus eine Hinwendung der zweiten und dritten Einwanderergeneration zu im Herkunftsland der
Eltern dominierenden Religion zu beobachten. Hier helfen eindimensionale Erklärungen nicht, die
Analyse für diese Trends muss genauer durchgeführt werden“ .14
Äußerungen wie der zitierten liegt die implizite Annahme eines automatischen Bedeutungsverlusts
von Religion in der Moderne zugrunde, die mittlerweile freilich auch für westliche Gesellschaften
wieder zunehmend umstritten ist.15 Sie soll in der folgenden Argumentation deshalb außen vor
gelassen werden. Die Wandlungsvorgänge innerhalb der muslimischen Diskurse werden stattdessen
als aktive Neukonstruktion der individuellen und kollektiven Akteure im Rahmen eines
kontinuierlichen Wandels betrachtet, der nicht von vornherein in Kategorien steigender oder sinkender
Bedeutung von Religion einzuordnen ist.
2
Problemkontexte rund um die Frage eines islamischen Religionsunterrichts
2.1
Das „korporatistische Modell“ der Zusammenarbeit von Staat und Religionen
„Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist Religionsfreiheit im Artikel 4 und im Artikel
140, der die entsprechenden Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung (WRV) übernommen hat,
aufgenommen. (...).
1. Artikel 4 des GG bestimmt:
(1) >Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses sind unverletzlich.<
(2) >Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.<
2. Artikel 7 des GG führt zum Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen aus:
(3) >... Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung
mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt...<
3. Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 WRV stellt fest:
(1) >Es besteht keine Staatskirche.<
(2) >Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften wird gewährleistet...<
(3) >Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der
Schranken des für alle geltenden Gesetzes...<
(4) >Religionsgemeinschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des
bürgerlichen Rechtes<.
14
15
Haußmann 2005: 68.
Vgl. z.B. Casanova 1994 oder Davie 2000.
Seite 10 von 76
(5) >Die Religionsgemeinschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche
bisher waren. Anderen Religionsgemeinschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren,
wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten...<16
Die aufgelisteten Grundgesetzartikel bilden die rechtliche Grundlage für die Bestimmung des
Verhältnisses
zwischen
dem
deutschen
Staat
und
den
auf
seinem
Gebiet
lebenden
Religionsgemeinschaften. Entgegen der verbreiteten Vorstellung, mit dem Grundgesetz sei ein
grundsätzlicher Bruch zur früheren Gesetzgebung vollzogen worden, hat es auf dem Feld zwischen
Staat und Religionen in Deutschland „keine echten Brüche“, sondern vielmehr ein „hohes und
erstaunliches Maß an Beständigkeit“ gegeben.17 Christian Walter listet drei Faktoren dieser
Entwicklung auf. Neben der „Landeszuständigkeit“ ist dies vor allem das Kriterium der „sozialen
Nützlichkeit“ der „Religionsgesellschaften“.18 Abgeleitet aus den Bestimmungen des preußischen
Landrechts bezeichnet er als prägend für das deutsche Rechtsdenken, „dass es für die Zuerkennung
des Status einer >aufgenommenen< Religionsgesellschaft nicht mehr auf eine Auseinandersetzung um
religiöse Wahrheit ankam; entscheidend waren vielmehr >Herkommen und Staatsräson, die
Nützlichkeit der Religion für den Staat<“.19 Der dritte entscheidende Aspekt bestand im
Körperschaftsstatus, dessen, so Walter, „schillernder Charakter“ zwischen Quasi-Behörde und
privatrechtlichen Vereinigungsformen praktische Schwierigkeiten verursacht, die sich „bis heute“
fortsetzen.20
Für die vergleichende Erschließung der soziologischen Implikationen dieses Rahmens ordnet Mathias
König die „institutionelle (...) Logik der Religionspolitik“21 in Europa drei Typen zu: Während im
„etatistisch-republikanischen“ Modell französischer Prägung Einzelpersonen „ohne Berücksichtigung
ihrer zivilgesellschaftlichen Bindungen in die öffentliche Ordnung integriert“22 werden und staatliche
Religionspolitik sich ihre institutionellen religiösen Ansprechpartner primär zur Aufrechterhaltung
von Laizität und „zur Garantie der freien Religionsausübung“23 sucht, bzw. im Falle des Islam auch zu
schaffen versucht, fokussiert sich das „liberale Modell“ (Vereinigtes Königreich) ebenfalls auf „freie
und gleiche Individuen“.24 Religionspolitik ist hier jedoch „weniger eine Domäne staatlicher Politik,
sondern vielmehr ein dezentraler, zivilgesellschaftlicher Prozess“.25 Demgegenüber stehen
„korporatistische Modell(e)“ wie das in Deutschland praktizierte, „nach dem Individuen vermittelt
über korporative Einheiten integriert werden“.26 Der Staat bietet dabei „den Religionsgemeinschaften
16
Zinser 2002: 71f
Walter 2005: 34.
18
A.a.O.: 34f.
19
A.a.O.: 35 in Zitation von Korioth (o.A.).
20
A.a.O.: 37.
21
König 2005: 19.
22
A.a.O.: 26.
23
A.a.O.
24
A.a.O.: 28.
25
A.a.O.
26
A.a.O.: 21.
17
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Kooperationsmöglichkeiten in etlichen Handlungsfeldern, insbesondere auch im Bildungssektor“ an.27
Königs Schema ist für die folgende Argumentation besonders fruchtbar, weil es auf eine
entscheidende soziale Ambivalenz des deutschen Modells hinweist: Es bietet zwar – wie gerade am
Beispiel des islamischen Religionsunterrichts noch zu zeigen sein wird – Potentiale zur integrativen
Koevolution von religiösen Gruppen, fokussiert sich dabei aber unter Schwächung der politischen
Position religiöser Einzelpersonen auf die Ebene der religiösen Korporationen. Wie oben bereits
angesprochen, ist diese Politik kein Zufall, sondern erwächst aus der bis in das 19te Jahrhundert
zurückreichenden dynamischen Beziehung zwischen dem Staat und den beiden großen Kirchen, die in
dieses Modell gleichsam ‚hineingewachsen’ sind, bzw. es sogar aktiv kirchen- und verbandspolitisch
co-konstruiert haben. Dabei entwickelten die Kirchen eine Reihe von entscheidenden strukturellen
Eigenschaften:
•
Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg erarbeiteten sich die im akademischen Bereich über
ihre theologischen Lehrstühle, Institute und Fakultäten institutionell wie diskursiv fest verankerten
Kirchen eine enorme Professionalisierung ihrer sozialen (Krabbelgruppe, Kindergarten,
Sozialstationen, Altenheime etc.) und Bildungsangebote. Bei aller Eigenständigkeit sind die
Kirchen und ihre Einrichtungen so fest in eine Fülle von gesamtgesellschaftlichen Diskursen
eingebunden.
•
Gleichzeitig ist der parochiale Aufbau der Kirchen analog zu den Gebietskörperschaften der
Kommunen und Länder strukturiert und ermöglicht durch so vereindeutigte örtliche
Zuständigkeiten auch auf diesen Ebenen einen institutionalisierten Diskurs und eine Partnerschaft
in der Bearbeitung lokaler Probleme.
•
In diesem Rahmen lässt sich in Deutschland von einem eindeutigen Bewusstsein der
Großkirchen sprechen, die Gesamtgesellschaft wohl von den eigenen Werten ausgehend mit zu
gestalten, Gesellschaft und Staat aber als ein dauerhaft offenes, nicht auf irgendeine Religion hin
aufzulösendes System zu verstehen. Parallel dazu hat sich auch das Selbstbild der Kirchen von
einem ‚pfarrherrlichen’ Konzept zur Vorstellung einer Dienstleistungskirche gewandelt.
•
Das System der individuellen Kirchenzugehörigkeit, das das christliche Taufritual auch zu
einem bürokratischen Akt der Aufnahme in eine konkrete Kirche macht, trägt dabei in mehrfacher
Weise zur Stabilisierung dieser Beziehungen bei. Neben der relativen finanziellen Stabilität stellt
diese in der Praxis ‚meinungsunabhängige’ Form der Zugehörigkeit auch sicher, dass der Einzelne
die Beziehung zu seiner Kirche in einer hohen individuellen Freiheit gestalten kann, ohne einen
Ausschluss befürchten zu müssen. Gleichzeitig signalisiert er über die kontinuierliche
Zugehörigkeit die Bereitschaft, die Kirche – und sei es nur in ihrer gesellschaftlichen Funktion –
mitzutragen. Daneben ist aber festzuhalten, dass (völlig in Übereinstimmung mit vielen
27
A.a.O.
Seite 12 von 76
Selbstbeschreibungen der islamischen Verbände) viele gemeindliche und/oder überörtliche
Dienstleistungen der Kirche mit wenigen gottesdienstlich-rituellen Ausnahmen ohne Ansehen der
Konfession, ja sogar der Religion angeboten werden.
Die ausführliche Skizze der Breite, Tiefe und gesamtgesellschaftlichen (Selbst-)verankerung der
Kirchen im Rahmen des deutschen „korporatistischen Modells“ war notwendig, um zu zeigen, welche
praktische Reichweite und Verbindlichkeit des gesamtgesellschaftlichen Engagements notwendig ist,
um als große religiöse Gruppe das Kooperationsangebot des Staates langfristig konstruktiv aufnehmen
zu können. Dass der Körperschaftsstatus auch von einer Reihe kleinerer Gruppen rechtlich
angenommen, bzw. angestrebt wird, kann dabei nicht als Gegenargument gelten.28
Freilich ist auch im Bereich der Kirchen damit keine dauernde Stabilität gesichert. Die
gesamtgesellschaftlichen Vorgänge der Pluralisierung und Individualisierung, sowie eine niedrige,
aber doch konstante Austrittsrate sind als Zeichen von Wandlungsvorgängen zu interpretieren, auf die
die Kirchen selbst mit eigener Weiterentwicklung reagieren.29 Ungeachtet dessen sind beide Partner,
Staat und Kirchen, in Deutschland so fest miteinander verzahnt, dass davon auszugehen ist, dass die
gesamtgesellschaftlich verantwortliche Positionen der Kirchen auch langfristig nicht durch einen
sozialen oder theologischen Partikularismus substanziell unterlaufen werden wird.
2.2
Die Muslime als ‚Quereinsteiger’ in das korporatistische Modell
Die Frage, in welcher Gestalt die Muslime das „korporatistische Angebot“ des deutschen Staates
aufnehmen sollen, wird derzeit in erster Linie auf juristischer Ebene diskutiert.30 Dabei entsteht vor
allem in der Öffentlichkeit nicht selten der Eindruck, es gehe nur darum, irgendeine „einheitliche
Vertretung der Muslime in Deutschland“ zu bilden. Ebenso wichtig, ja sogar noch deutlich wichtiger
ist jedoch die Frage, wie sich eine eventuelle einheitliche islamische Vertretung gegenüber ihrer
deutschen Lebenswelt positioniert, und welche Haltung sie gegenüber der realen Pluralität und
Überzeugungsvielfalt der Muslime in Deutschland einnimmt.31 Diese Frage gewinnt gerade angesichts
der
Etablierung
des
islamischen
Religionsunterrichts
als
ordentliches
Lehrfach
eine
Schlüsselbedeutung und eine neue Dringlichkeit sowohl für die Muslime selbst als auch für die
deutsche Gesellschaft insgesamt.
28
Die Argumentationen von Baumann 2002 bezüglich der deutschen Buddhisten und Rink 2002 bezüglich der
Zeugen Jehovas demonstrieren, dass auch in diesen Fällen ein langer, unabgeschlossener und die
Religionsgemeinschaft substanziell prägender Vorgang der Co-Konstruktion einer neuen institutionellen
Identität vorliegt.
29
Dieser komplexe Vorgang kann hier nicht vertieft diskutiert werden. Vgl. dazu z.B. Gabriel 1992 und Schloz
et al. 2003.
30
Vgl. dazu u.a. die breit angelegten Untersuchungen von Dietrich 2006 und Stock 2003, sowie Campenhausen
2005, Graulich 2006, Heimann 2003, Korioth 1997, Kraft 2006, Langenfeld 2005, Oebbecke 2005, Schaible
2003, Schneider 2005, sowie für die Lage in Berlin Feldmann, Giese und Schlink (alle 2000).
31
„Zum andern ist danach zu fragen, wie die muslimischen Organisationen sich selbst innerhalb der deutschen
Gesellschaft positionieren. Wie gehen sie mit dem religiösen Pluralismus inner- und außerhalb der muslimischen
Gemeinschaft um? Wie bestimmen sie neuerdings ihr Verhältnis zu Staat und Gesellschaft?“ (Lemmen, 2005:
183).
Seite 13 von 76
Für ein adäquates Verständnis dieser Frage ist ein mehrdimensionaler Zugang notwendig. Im
folgenden wird deshalb zunächst in einer kurzen Skizze der sich wandelnden Rolle des Islam in der
Türkei dargestellt (2.2.1). Sie ist von Bedeutung, da die türkisch-islamische Migrantencommunity, die
die islamischen Diskurse in Deutschland entscheidend prägt, in ihrer Struktur (2.2.2.1) und in ihrem
Meinungsspektrum (2.2.2.2) nur vor diesem Hintergrund verstehbar wird. Aus ihm erklären sich auch
die wichtigsten Identitätsmodelle (2.2.3) der sich rapide pluralisierenden muslimischen Landschaft in
Deutschland. Im Anschluss an diese skizzenhafte Beschreibung der muslimischen Diskurse auf der
Ebene der individuellen Akteure folgt eine Einschätzung der Frage, inwieweit die islamischen
Verbände diese Landschaft tatsächlich repräsentieren können (2.2.4).
2.2.1
Die sich wandelnde Rolle des Islam in der Türkei
Einer der entscheidenden Faktoren für das Verständnis der Muslime in Deutschland ist die prägende
Wirkung, die von den innenpolitischen Verhältnissen in der Türkei – vermittelt über die Dominanz der
türkischstämmigen Migranten – auf die muslimischen Diskurse ausgeübt wird. Dazu sollen hier einige
relevante Aspekte skizziert werden.32
Will man die sich wandelnde Rolle des Islam in der Türkei verstehen, so muss man beim osmanischen
Reich beginnen. Ähnlich wie viele europäische Monarchien war es ein Vielvölkerstaat, dessen
staatliche Einheit von einem doppelten Band dynastischer und religiöser Legitimation gesichert wurde.
Im Zuge seines langsamen politischen Niedergangs begann ein obrigkeitlich initiierter Prozess der
Übernahme europäischer wissenschaftlicher und bürokratisch-rechtlicher Strukturen,33 der freilich die
endgültige Auflösung des Staates am Ende des ersten Weltkriegs nicht aufhalten konnte. In dieser
Situation der existenziellen Krise gelang es der von Atatürk angeführten Bewegung reformorientierter
Kräfte in einem kombinierten militärischen, außenpolitischen und innenpolitischen Kraftakt den Staat
‚Türkei’ zu formen. Dabei sind vor allem zwei – wiederum in der „Tradition der Osmanen, Reformen
von oben und autoritär durchzusetzen“34 durchgeführte politische Programme für die hier zur Debatte
stehenden Fragen von grundlegender Bedeutung: Zunächst das Konzept einer türkischen Nation als
einigendes Prinzip, das die außenpolitische Legitimation und Achtung des Staates sicherte.35 Freilich
waren auch die Gebiete, die seit dem Vertrag von Lausanne (1923) den Kernbestand der neuen Türkei
bildeten, ethnisch und sprachlich alles andere als homogen,36 so dass die neue nationale Identität dem
Staatsvolk erst einmal beigebracht werden musste. Dabei spielte die zweite und ebenso entscheidende
Reform eine Schlüsselrolle, und zwar die konsequente Einführung des Laizismus, der die dynastisch-
32
Vgl. für die folgende Argumentation die knappe und äußerst treffende Skizze von Schiffauer 2000: 41-47,
sowie Haustein et al. 2006, Hütteroth und Höhfeld 2002, Seufert 1997, Seufert und Kubaseck 2006, Steinbach
2003, Zentrum für Türkeistudien 1998.
33
Vgl. Seufert und Kubaseck 2006: 68-81.
34
A.a.O.: 81.
35
A.a.O.: 83f.
36
Vgl. Zentrum für Türkeistudien 1998.
Seite 14 von 76
religiöse Legitimation des Staates durch eine rein innerweltliche Grundlegung ersetzte.37 Eine Reihe
von tiefgehenden kulturellen Neuerungen wie Einführung der lateinischen Schrift,38 des europäischen
Kalenders39, des Schweizer Zivilrechts mit der Einehe40 und einer Fülle anderer politischer
Innovationen sollte eine neue, sich an europäischen Strukturen orientierende Gesellschaft befördern.41
Der türkische Islam wurde durch diese Reformen zwar nicht aufgelöst, aber in mehrfacher Weise
grundlegend verändert: Er wurde politisch privatisiert, rechtlich unter die weitgehende Kontrolle des
laisierten Staates gestellt42 und erhielt ideenpolitisch den Nimbus einer Gegenkraft zur Modernisierung
der türkischen Gesellschaft, eine Rolle, die er für viele Akteure in Zustimmung wie Distanzierung
heute noch spielt. In Reaktion auf diese Reformen formierten sich fast sofort eine Reihe islamischer
Gegenbewegungen, z.B. die von Süleyman Hilmi Tunahan gegründete private Korankursbewegung,
die als „Süleymancı-Bewegung“ bekannt ist.43
Einer der Faktoren, die den Islam wieder zurück auf die Bühnen der türkischen Innenpolitik und der
türkischen Gesellschaft führen sollte, war die allmähliche, vom Staat nicht nur geduldete, sondern mit
der Zeit aktiv geförderte Etablierung des Bildes eines „türkischsprachigen, sunnitisch-hanefitischen“44
türkischen ‚Normalbürgers’45, der in erster Linie als staatlich-kulturelles Einheitsideal ethnischen,
sprachlichen und/oder religiösen Minderheitsidentitäten wie der alevitischen und der kurdischen46
gegenübergestellt wurde. Ideologisch überhöht wurde dieses Bild in der „Türkisch-islamischen
Synthese“.47 Die hinter diesem Begriff stehende Ideologie besagt, dass Muslim sein und Türke sein
gleichsam zwei Seiten einer Münze seien, es gebe nicht das eine ohne das andere. Hier wird also ein
religiöses Identitätskonzept mit einem nationalistischen verschmolzen (vgl. zu dazu Abschnitt 2.2.3.3).
Wie stark die Vorstellung, Muslim zu sein heiße automatisch auch Türke zu sein auch bei den
türkischstämmigen Migranten ungebrochen vorherrscht, zeigt sich an zahllosen Stellen muslimischen
Alltagslebens in Deutschland. Hier sei nur eine illustrierende Episode wiedergegeben. Beispiele der
37
Schiffauer 2000: 43f.
A.a.O.: 45f.
39
Steinbach 2003: 31ff.
40
Seufert und Kubaseck 2006: 89.
41
Zafer Şenocak kommentiert diesen Vorgang treffend:
38
„In der Türkei haben wir uns nach wie vor mit den Folgen einer Kulturrevolution auseinanderzusetzen,
die wie jede Kulturrevolution den Anspruch hatte, einen neuen Menschen zu schaffen. Und wie jede
Kulturrevolution musst auch diese scheitern. Was nicht bedeutet, dass dieser Versuch, einen neuen
Menschen zu schaffen, nicht enorm viel in der Gesellschaft und in den Köpfen der Menschen bewegt
hat“ (Seufert und Şenocak 2006: 32).
42
„Die Prediger wurden dem neu geschaffenen >Präsidium für religiöse Angelegenheiten< (Diyanet Işleri
Reisliği) unterstellt, >der Islam wurde damit zu einem Ressort des Staates; und die Geistlichen (ulema) zu
niederen Beamten“ (Schiffauer 2000: 44 in Zitation von Berhard Lewis 1986).
43
Zentrum für Türkeistudien 1997: 134f.
44
Hütteroth und Höhfeld 2002: 182.
45
Die verwickelte politische Geschichte dieses Konzepts im Detail zu schildern, würde den Rahmen dieses
Textes sprengen. Siehe dazu unter den zuletzt genannten Quellen v.a. Seufert 1997.
46
Vgl. zum politischen Schicksal dieser Gruppen in der Türkei z.B. Seufert und Kubaseck 2003: 141-165
47
Seufert 1997: 83ff.
Seite 15 von 76
reflexartigen Gleichsetzung der Nationalität mit den Grenzen der Religion sind an vielen Stellen zu
finden.48
„Ein Bekannter durfte einen Aushilfsjob bei einem türkischen Metzger machen, (...) die haben nur
hallal Fleisch verkauft, also korrekt geschächtetes Fleisch (...) er ist Marokkaner muss man dazu sagen
(...) und dann sind türkische Kunden gekommen und haben ihn auf türkisch angesprochen und er sagte,
er kann kein türkisch. >Wie, sind Sie kein Türke?<, meinte er: >Nein, aber der Besitzer ist ein Türke
und das ist alles hallal Fleisch und ich bin Araber<. Und dann hieß es, >Ja, nee dann kaufen wir nicht<.
und dann sind sie raus gegangen und das ist nicht nur einmal passiert sondern er hat gemeint, es ist
wirklich jeden Tag mindestens ein bis zweimal passiert“.49
Einen weiteren Faktor für das Wiedererstarken des Islam als politisch relevanter Kraft in der Türkei
bildete ohne Zweifel die iranische Revolution, die weltweit das Thema des Islam als einer politischen
Größe wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat. Sie verlieh auch der Diskussion über den Islam in der
Türkei in Ablehnung wie Zustimmung neue Schärfe.50 Auf welchem Weg die Türkei aktuell ist, ist –
speziell in Hinsicht auf den Islam – eine unter den Kommentatoren umstrittene Frage.51
2.2.2
Die türkischstämmigen Muslime in Deutschland
2.2.2.1
Überblick über Geschichte und Struktur
Als Beginn der Geschichte des Islam in Deutschland verweisen zwar nicht wenige Autoren gerne auf
die türkischen Gardesoldaten Wilhelms des Ersten von Preußen52, am Anfang des Islam als einer
‚Großreligion’ in Deutschland steht jedoch eine Arbeitsmigration:
„Die meisten der türkischen Arbeitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland stammten ursprünglich
aus dem Süden und Osten der Türkei. Diese Region gilt heute wie damals als extrem unterentwickelt.
... Darüber hinaus beherrschten Großgrundbesitzer weite Teile des Südostens der Türkei. Deren Macht
erstreckte sich bei weitem nicht auf rein wirtschaftliche Angelegenheiten, sondern ähnelte in
elementaren Strukturen dem mittelalterlichen Feudalsystem in Europa“53.
Diese Lebensumstände lösten zunächst eine Binnenwanderung innerhalb der Türkei von Ost nach
West aus, die sich dann, meist über die großen Städte des türkischen Westens als Zwischenstation
48
So beschreibt z.B. Heidemarie Ballasch einen wichtigen Effekt des Schulversuchs „Islamischer
Religionsunterricht“ in Niedersachsen: „Eine Schulleiterin berichtet, dass die türkischen Schüler durch den
Religionsunterricht zum ersten Mal wahrgenommen hätten, dass es auch andere muslimische Nationalitäten
gäbe“ (Ballasch 2006: 39).
49
Interview mit einem Studierenden der islamischen Religionspädagogik, Abs. 281-287. Zur Zitierweise der
Interviews: Die Entfernung von Zwischenbemerkungen des Interviewers, sowie unter den Datenschutz fallende
Namens- und Ortsangaben werden durch (...) markiert. Drei Punkte ohne Klammern markieren Sprechpausen.
Zur besseren Lesbarkeit wurden die Gesprächsbeiträge sprachlich geglättet.
50
Vgl. Dink 2006: 23f.
51
Vgl. z.B. die Diskussionen in Haustein et al. (Hg.) 2006.
52
Vgl. z.B. Dietrich 2006 oder Abdullah 1981.
53
Goldberg, Halm und Şen 2004:7.
Seite 16 von 76
nach Deutschland fortsetzte54. Die mit dem Anwerbeabkommen von 196155 nach Deutschland
kommenden Migranten wurden von der deutschen Öffentlichkeit über Jahrzehnte überhaupt nicht als
eine ‚religiöse’ Integrationsfrage, sondern primär als ‚Gastarbeiterproblem’ verhandelt, ein Begriff,
der die bis in jüngste Zeit aufrechterhaltene politische Idee der deutschen Zuwanderungsgesellschaft
reflektiert, der Aufenthalt der Muslime sei nur vorübergehender Natur – eine Vorstellung, die von den
Migranten freilich vielfach geteilt wurde:
„Die türkischen Arbeitsmigranten sahen im allgemeinen ihren Aufenthalt – ebenso wie die deutsche
Bevölkerung – als vorübergehend an. Diese Einstellung hatte zur Folge, dass sich >Gäste< und
>Gastgeber< im allgemeinen nicht sehr umeinander bemühten, sondern eher in der eigenen
Gemeinschaft verblieben, so daß eine Annäherung beider Seiten kaum stattfand. Erst durch die
zunehmende Verweildauer vieler Türken in Deutschland traten Probleme, z.B. im Schul- und
Ausbildungsbereich auf, die deutlich machten, daß man diesbezüglich unvorbereitet war und daß
Strukturen geschaffen werden mussten, die der Dauerpräsenz von Ausländern in Deutschland
Rechnung trugen“.56
Die sich bereits mit den angesprochenen Problemen „im Schul- und Ausbildungsbereich“
abzeichnenden Veränderungen ergaben sich zwangsläufig, als die zweite Generation der ‚Gastarbeiter’
heranwuchs, die Generation, die die Hauptlast des Übergangs zwischen Herkunftsland und
Zuwanderungsland zu tragen hatte und hat:
„Zum Großteil hier geboren, überwiegend in traditionellen türkischen Familienzusammenhängen
großgeworden, besuchen sie deutsche Bildungseinrichtungen, leben mit und in der modernen
Jugendkultur, bestimmt von Medien- und Konsumorientierung. Die türkische Heimat der Eltern ist für
sie praktisch meist nur Urlaubsland, während andererseits die türkischen Traditionen und Werte,
zumindest in der Familie, offenbar auch als internalisierte Werte und/oder identitätssichernde
Orientierungen lebendig zu sein scheinen ... . Einer kleineren Schicht von Migrationsgewinnern steht
eine größere Schicht von sozial benachteiligten Einwanderern gegenüber, die von einer strukturellen
Integration noch weit entfernt sind ...“.57
Wie sich an den aktuellen Zahlen der Bundesregierung ablesen lässt, liegen die türkischstämmigen
Migranten bezüglich der Bildungs-58, der beruflichen59 und der Wohnsituation60 in der Tat nach wie
vor im allgemeinen Trend aller Zuwanderer in Deutschland. Angesichts der Herkunft der großen
Mehrzahl der türkischstämmigen Migranten aus bäuerlich-traditionellen Milieus mit sehr niedrigen
Bildungsstandards ist die eben zitierte Bewertung, einer kleinen Gruppe von „Migrationsgewinnern“
stehe eine größere Gruppe von „sozial benachteiligten Einwanderern“ gegenüber, zumindest zu
54
A.a.O.: 10.
A.a.O.: 4.
56
Zentrum für Türkeistudien, 1997: 63.
57
Kelek 2002: 19.
58
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hg.) 2005b:37-72.
59
A.a.O.: 73-112.
60
A.a.O.: 113-173.
55
Seite 17 von 76
differenzieren. Die derzeit in einer zunehmenden öffentlichen Präsenz türkischstämmiger
Intellektueller in vielen wissenschaftlichen, politischen und kulturellen Bereichen Ausdruck findende
Etablierung
einer
‚türkischstämmigen
Mittelschicht’
darf
nicht
ausschließlich
als
Indiz
integrationspolitischer Defizite gewertet werden, sondern mindestens ebenso als Zeichen einer
offenbar auch möglichen vertikalen sozialen Mobilität einer sich primär aus bildungsfernen Schichten
rekrutierenden Migrantengruppe. Und in der Tat verweisen neuere Veröffentlichungen auf eine
beruflich-ökonomische Pluralisierung der Zuwanderer, die nicht zuletzt auch wirtschaftliche Impulse
in der deutschen Gesellschaft setzen.61 Dennoch bleibt als Befund, dass 33 Prozent der
türkischstämmigen Jugendlichen zwischen 18 und 30 Jahren keine berufliche Ausbildung besitzen62:
„Eine plausible Erklärung für die recht gleichförmige Wahl von wenig weiter qualifizierenden
Ausbildungsplätzen bzw. den vollständigen Verzicht auf Ausbildung der Mehrheit der gering
qualifizierten
jungen
Türken
liegt
in
der
Bedeutung
ethnischer
Communities:
Sozialisationsbedingungen in segregierten Stadtteilen niedriger Wohnqualität sind mit spezifischen,
zumeist geringen Bildungschancen verbunden“.63
Zwar ist Duran Akbulut und anderen Autoren zuzustimmen, wenn sie auf die schwierigen
Startbedingungen hinweisen, denen Migrantenfamilien gegenüberstehen, wenn sie ihren Kindern den
notwendigen Zugang zu den Sprach- und Bildungskompetenzen ermöglichen wollen, der die
Vorbedingung für einen beruflichen Aufstieg in der Zuwanderungsgesellschaft darstellt.64 Allerdings
kommt zu diesen objektiven Faktoren ein subjektiver Faktor, der offensichtlich innerhalb der
türkischen Migrantencommunity von den Eltern sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Denn den
Kindern den notwendigen Zugang zu den Bildungsinstitutionen nachhaltig zu ermöglichen, bedeutet
auch – und zwar umso mehr, je geringer die eigenen sprachlichen und sonstigen Bildungskompetenzen
sind – die Kinder aus der eigenen Reichweite in die der Zuwanderungsgesellschaft zu übergeben:
„In modernen Gesellschaften wird ein großer Teil der erzieherischen Beeinflussung der Kinder von
den Bildungsinstitutionen übernommen, die sozialintegrativ wirken und neben kulturtechnischen
Kenntnissen und Wissen auch die herrschenden gesellschaftlichen Normen und Werte vermitteln. Ein
Teil des erzieherischen Einflusses geht in der Wahrnehmung der türkischen Familien verlustig, was zu
Widerständen führen kann. Eltern können vor diesem Hintergrund ein ambivalentes Verhältnis zum
deutschen Bildungssystem und zur Höherqualifizierung ihrer Kinder entwickeln“.65
Auf der Basis von Diagnosen wie dieser kann gesagt werden, dass sich die schon von ihrer
Herkunftssituation her hochgradig heterogenen türkischstämmigen Migranten sowohl von ihrer
beruflichen, wie auch von ihrer kulturell-gesellschaftlichen Integration her gesehen noch weiter
pluralisiert haben, so dass ihre ohnehin schon inadäquate öffentliche Wahrnehmung als einheitliche
61
Goldberg, Halm und Şen: 2004: 33-41.
A.a.O.: 31f.
63
A.a.O.: 32.
64
Vgl. Akbulut 2003.
65
A.a.O.: 31.
62
Seite 18 von 76
Gruppe noch unangemessener wurde. Vereinfacht formuliert existiert ein breites Spektrum von
Lebenskonzepten und Alltagspraktiken zwischen den Polen eines aktiv gestaltenden Engagements
inmitten der deutschen Gesellschaft und dem Weg in die Sackgasse einer Parallelgesellschaft.
Nun hat sich das Bild der Migranten in der deutschen Öffentlichkeit zwar gewandelt, aber weniger in
Richtung einer Differenzierung als vielmehr in Richtung der Problemdefinition:
„Während die Gruppe der Gastarbeiter in den 60er Jahren des 20. Jh.s noch weitgehend unter dem
ethnischen Aspekt in der Bundesrepublik wahrgenommen wurde, überwiegt heute die Subsumierung
unter die religiöse Kategorie der >Muslime< – egal ... ob es sich (um) bekennende oder gläubige
Muslime handelt oder um Menschen aus muslimisch geprägten Staaten, die anderen Religionen
anhängen oder säkular orientiert sind und eventuell gerade wegen ihrer atheistischen Einstellung ihr
Heimatland verlassen mussten“.66
2.2.2.2
Das Meinungsspektrum zu Fragen der Religion und der Nationalität
Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, wie das Wertespektrum der türkischstämmigen
Migranten in Deutschland aktuell aussieht.67 Zur Beantwortung sollen aktuelle Umfragen des
Zentrums für Türkeistudien herangezogen werden. Die erste dieser Umfragen aus dem Jahr 2005 greift
auf im Jahr 2000 erhobene Vergleichsdaten zurück, und kann so auch Hinweise auf Veränderungen in
Folge des 11. September 2001 geben.68
Als erstes relevantes Ergebnis der Studie kann gelten, dass die ausgewählten Gesprächspartner sich in
86 % der Fälle für die türkische Sprache als Interviewsprache entschieden. Dass sich in komplexeren
Kommunikationszusammenhängen ein so hoher Prozentsatz der Zuwanderer nach wie vor in der
türkischen Sprache wohler fühlt, kann als eindeutiger Hinweis dafür gewertet werden, dass es zur
sprachlichen Integration noch ein weiter Weg ist.
Auf die allgemeine Frage nach der subjektiven Selbsteinschätzung bezüglich der Stärke der eigenen
Religiosität ergab sich 2000 und 2005 folgendes Meinungsspektrum:
Tabelle 1: Selbsteinschätzung der individuellen Religiosität: 69
Jahr
Sehr religiös
Eher religiös
Eher nicht rel.
2000
7,6
64,6
24,5
2005
28,1
55,2
11
Gar nicht rel.
3,3
5,8
Die Stärke der subjektiv empfundenen eigenen Religiosität ist demzufolge seit 2000 gestiegen und hat
sich tendenziell polarisiert. Sie differenziert sich nach Geschlecht und Alter: Frauen verstehen sich
66
Schneider 2005: 67.
Dieser Frage haben sich eine ganze Reihe von Untersuchungen zugewandt, vgl. den Überblick bei Worbs und
Heckmann 2006.
68
Zentrum für Türkeistudien 2005.
69
A.a.O.:20
67
Seite 19 von 76
häufiger, die jüngeren Befragten seltener als religiös.70 Der angegebene Grad der religiösen
Orthopraxie steigt mit der subjektiv eingeschätzten Frömmigkeit71 und hat auch zwischen 2000 und
2005 in allen Sparten zugenommen, wobei in beiden Befragungen weit mehr Interviewte angaben,
Geld zu spenden72 und am Fasten teilzunehmen73, als beispielsweise die täglichen Gebete zu
verrichten.74 Auch die Häufigkeit des Moscheebesuchs hat zugenommen, wobei hier nach wie vor die
Mehrheit der Befragten angibt, nicht häufiger als „mehrmals im Jahr“75 zu gehen. Die Moscheen
werden in erster Linie für unterschiedliche religiöse Zwecke aufgesucht76, das am stärksten genannte
nichtreligiöse Motiv ist „Freizeitgestaltung/Sport“.77 (Zur Haltung der Befragten zu den islamischen
Verbänden vgl. 2.2.4). Zur Erhebung des Meinungsspektrums wurden eine Reihe von „kontroversen
religiösen Themen“ abgefragt:
Tabelle 2: Einstellung zu kontroversen religiösen Themen 2005 (Prozentwerte) 78
Muslimische Frauen sollten in der
Öffentlichkeit generell ein Kopftuch tragen
Es würde mir keine Probleme bereiten,
wenn mein Sohn eine Nichtmuslimin
heiraten würde
Es würde mir keine Probleme bereiten,
wenn meine Tochter einen Nichtmuslimen
heiraten würde
Ich finde, am Sportunterricht oder an
Klassenfahrten sollten Mädchen und
Jungen nicht gemeinsam teilnehmen
Ich finde es wichtig, dass Religion und
Staat getrennt sind
Stimme voll zu
Stimme eher zu
Stimme eher
nicht zu
Stimme gar nicht Keine Angabe
zu
33,8
12,8
13,6
29,7
10,1
28,7
10,1
8,7
48,3
4,2
26,3
8,1
8
53,3
4,2
21,3
8,7
3,6
65,1
1,3
62,9
8,2
3,6
18,2
7,1
Bereits an dieser Stelle illustrieren die Zustimmungs- bzw. Ablehnungsraten, dass die sich als mehr
oder weniger stark religiös verstehenden Muslime ein breites Meinungsspektrum vertreten, das
„jedoch im Vergleich zum Jahr 2000 stärker in konservative Richtung“79 tendiert. Die Haltung zu
diesen Problemen wurde sowohl mit der persönlichen Einschätzung der eigenen Religiosität korreliert
als auch mit der Zugehörigkeit zu den Moscheeverbänden. Die Autoren summieren:
„Nicht überraschend ist, dass religiöse Muslime insgesamt eine deutlich konservativere Haltung
aufweisen als nicht Religiöse. Besonders stark sind die Differenzen bei den nichtmuslimischen
Schwiegerkindern, weniger deutlich unterscheiden sich religiöse und nicht religiöse Muslime in der
Frage des gemeinsamen Sportunterrichts. Die Mitglieder von Moscheevereinen sind erwartungsgemäß
konservativer als Nichtmitglieder. Doch erweisen sich VIKZ-Mitglieder am konservativsten, gefolgt
70
A.a.O.
A.a.O.: 24.
72
2000 59,3%, 2005 77,4% (a.a.O.).
73
2000 62,2%, 2005 74,3% (a.a.O.).
74
2000 23,5%, 2005 34,9% (a.a.O.).
75
2000 68,4%, 2005 58,4% (a.a.O.: 28).
76
In erster Linie Korankurse und „Religiöse Betreuung“: 2000 70,9%, 2005 62,9% (Mehrfachnennung möglich,
a.a.O. 31).
77
2000 18,3%, 2005 26,2% (Mehrfachnennung möglich, a.a.O.).
78
A.a.O.: 62, bzw. für die letzte Frage 59. Die Fragen wurden in einem Block gestellt (vgl. A.a.O.: 88).
79
A.a.O.: 62.
71
Seite 20 von 76
von IGMG-Mitgliedern. Beide Gruppen befürworten alle das Kopftuchtragen und lehnen den
gemeinsamen Sportunterricht überdurchschnittlich häufig ab. Mit Abstand folgen Mitglieder von
DITIB“.80
Parallel dazu kommt eine weitere Umfrage des Zentrums für Türkeistudien, die bezüglich des
Verhältnisses
zwischen
Migranten
und
Zuwanderungsgesellschaft
zusätzliche
81
Selbsteinschätzung unter dem leitenden Begriffspaar ‚türkisch-deutsch’ gestellt hat,
Fragen
zur
zu folgenden
Ergebnissen bezüglich des Verhältnisses zu Deutschland, bzw. zur Selbsteinschätzung bezüglich der
eigenen Identität ‚als Türke’:
Tabelle 4: Zustimmung bzw. Ablehnung zu Items mit der Beschreibung kultureller Zugehörigkeit und
Marginalisierung (Zeilenprozent)82
Ich fühle mich in Deutschland zuhause
Ich fühle mich manchmal hin- und hergerissen zwischen der Türkei und Deutschland
Manchmal fühle ich mich heimatlos und weiß nicht, wohin ich gehöre
Eigentlich fühle ich mich weder in Deutschland noch in der Türkei richtig zu Hause
Ich finde es eigentlich einfach, die deutsche und die türkische Lebensweise zusammenzubringen
Ich fühle mich den Deutschen ziemlich nahe
Wir Türken müssen aufpassen, dass wir nicht allmählich zu Deutschen werden
Wir Türken müssen unter uns bleiben, um unsere türkische Lebensart nicht zu verlieren
Wir Türken sollen möglichst nur unter uns heiraten
Stimme zu
Teils/teils
Stimme
nicht zu
56,9
46,7
41,1
30,0
27,3
12,2
47,3
15,4
17,4
21,2
19,1
13,6
17,8
19,5
17,2
15,3
8,9
10,1
21,9
34,1
45,3
52,3
53,2
70,6
37,4
75,5
72,5
Das Resümee der Studie bezüglich der Daten ist eindeutig:
„Somit fühlen sich die meisten türkischstämmigen Migranten zwar in Deutschland zuhause, aber den
Deutschen nicht nahe und somit – so ist zu vermuten – bezieht sich das Heimatgefühl auf die türkische
Community und auf das engere (türkische?) Umfeld“.83
Und bezüglich des Zusammenhangs zwischen Religion und Marginalisierung fügen die Autoren
hinzu:
„Der Grad der Religiosität wirkt sich ganz eindeutig auf das Zugehörigkeitsgefühl aus: Je
(muslimisch-)religiöser die Befragten sind, desto weniger fühlen sie sich der christlich geprägten,
bundesdeutschen Gesellschaft zugehörig“.84
Erkennbar ist ein großer Teil der Muslime ihrer Religion verbunden. Gleichzeitig existiert ein breites
Meinungsspektrum dazu, wie diese Religiosität konkret in der deutschen Gesellschaft zu leben ist, das
vor allen von der Frage geprägt zu sein scheint, inwieweit das jeweils ‚Eigene’ – das nach wie vor aus
einer Gemengelage aus ‚türkisch sein’ und ‚muslimisch sein’ besteht – durch das sich Einlassen auf
die Zuwanderungsgesellschaft gefährdet ist. So bestätigt sich das im vorigen Abschnitt skizzierte
breite Spektrum zwischen einem Pol von Menschen, die aktive Gestalter der deutschen Gesellschaft
80
A.a.O.: 64.
Zentrum für Türkeistudien 2004, die Daten dieser Umfrage stammen aus dem Jahr 2001.
82
A.a.O.: 37, bzw. 39.
83
A.a.O.
84
A.a.O.
81
Seite 21 von 76
geworden sind, dem Gegenpol von Menschen, die in eine Parallelgesellschaft zurückgewichen sind
und – so ist hinzuzufügen – einer Gruppe dazwischen, die zwischen beiden Polen navigiert, ohne ein
recht klares Ziel zu haben, wohin es gehen soll. Gleichzeitig scheinen die Daten auch der einfachen
Formel recht zu geben, eine niedrige Religiosität sei eine Voraussetzung für gelingende Integration.
2.2.3
Dimensionen der muslimischen Pluralisierung
Es ist aus einer ganzen Reihe von Gründen davon auszugehen, dass diese eindimensionale Sicht
inadäquat ist, und der entscheidende ist der bereits mehrfach angesprochene, dass ‚der Islam’ für die
türkischstämmigen Migranten ja nur ein Element eines pluralen Komplexes aus traditionellen,
nationalen, regional-familiären und religiösen Wertebeständen darstellt. Doch selbst wenn die Formel
zutrifft, hat sie als zentraler Beleg für die Notwendigkeit eines islamischen Religionsunterrichts zu
gelten, denn die zwangsläufig anschließende Frage ist, wohin sich die muslimischen Diskurse
entwickeln, und was die deutsche Gesellschaft und ihre Institutionen dazu tun können, bzw. müssen,
damit das nach wie vor fragile Verhältnis zwischen ihnen und den Zuwanderern sich festigt.
Die Frage nach dem Weg, den die muslimischen Diskurse in Zukunft nehmen, ist ohne Zweifel der
umstrittenste und meistdiskutierte Themenkomplex im hier zu analysierenden Feld. Die Fülle der
Literatur und der Positionen in diesem Bereich auch nur ansatzweise zu diskutieren, würde den
vorliegenden Rahmen sprengen.85 Deswegen sollen im folgenden nur eine Reihe von Schlaglichtern
bezüglich des deutschen Diskursfeldes skizziert werden.
Dem Unternehmen, Strukturen innerhalb eines Pluralisierungsvorgangs zu identifizieren, haftet stets
etwas paradoxes an. Bedeutet doch Pluralisierung, dass Menschen sich von vorgegebenen Mustern
lösen, um neuen, individuell zusammengestellten Verbindungen von Mustern zu folgen – eine
adäquate Beschreibung des Vorgangs, der derzeit unter den muslimischen Migranten in Deutschland
abläuft. Am ehesten kann man diesem Paradox entkommen, indem man versucht, Bezugspunkte zu
beschreiben, auf die sich die je individuellen Konstruktionen bevorzugt stützen. Fünf solcher
Bezugspunkte lassen sich in diesem Feld identifizieren86: Die Herkunftsnationalität, die
Herkunftstradition, der Islam aufgefasst als transnationale, universelle Heilsreligion, eine aus
unterschiedlichen Quellen schöpfende individualisierte islamische Religiosität und zuletzt die von den
sich als religiös verstehenden Muslimen mehrheitlich nicht als Bestandteil ihrer Diskurse akzeptierte
muslimische Islamkritik. Zwischen diesen Feldern gibt es eine überraschende Fülle von
Kombinationsmöglichkeiten, wobei freilich nicht alle Bezugspunkte in gleichem Maße kompatibel
85
Der Themenkomplex wird zum einen unter der Leitidee der Auseinandersetzung mit der Moderne diskutiert,
vgl. aus der unübersehbaren Fülle der Literatur z.B. Abou El Fadl 2003, Al-Azm 1993, Göle und Ammann (Hg.)
2004, Heller und Mosbahi (Hg.) 1998, Mernissi 1996, Stauth (Hg.) 1998, Tibi 1991, Trautner 1999 u.v.a.; zum
anderen unter dem Leitbegriff des ‚Fundamentalismus, vgl. für dieses ebenfalls enorm breite Feld an
Veröffentlichungen den paradigmatischen Band von Meyer 1991, sowie u.a. Armstrong 2004, Riesebrodt 2000,
Schieder 2001.
86
Die hier entwickelten Kategorien bauen auf einem Schema von Bernhard Giesen (1999) auf, erweitern und
modifizieren es jedoch.
Seite 22 von 76
sind. Im folgenden sollen die Bezugspunkte in ihren wichtigsten Bedeutungsdimensionen beschrieben
werden, sowie typische vorfindbare Verbindungen. An den Anfang müssen allerdings noch einige
Vorbemerkungen gestellt werden.
Die Frage, wer sich aus welchen Gründen für welche Form von Religiosität entscheidet, kann allein
aus dem, was auf den folgenden Seiten beschrieben wird, nicht erklärt werden. Zu viele andere
Faktoren aus der Lebenswelt der Migranten spielen dabei eine Rolle: Wie stark ist die Einstellung der
Eltern ausgeprägt? Wie ist das Lebensumfeld der Eltern, leben sie nur unter Migranten, haben sie
Kontakte zu Deutschen und welche Qualität besitzen die Kontakte? Wie sieht das soziale Netzwerk
der Person selbst aus? Woher stammt der Ehepartner und welche Position nimmt er ein? Und natürlich
als entscheidender Faktor: Wie gebildet ist der oder die Betreffende – speziell in sprachlicher
Hinsicht? Mit anderen Worten: Das gesamte soziale Umfeld und die Biographie des einzelnen
Menschen gehört ebenfalls zu den Faktoren, aus denen heraus er seine religiöse Position konstruiert.
Diese Seite kann im folgenden nicht analysiert werden. Es wäre aber genauso verfehlt, das soziale und
kulturelle Umfeld als den allein bestimmenden Faktor für die religiöse Überzeugung der Migranten zu
betrachten. Religiöse Entscheidungen werden auch in entscheidendem Maße nach inhaltlichen
Kriterien getroffen und es ist diese Ebene, die im folgenden skizziert werden soll.
Je wichtiger dabei für einen Menschen die Rolle der eigenen Religiosität im Leben ist, desto stärker
sieht er sich in die Diskussionen der Inhalte involviert. Dabei finden sich unter den Migranten –
genauso wie unter den Kirchenmitgliedern in Deutschland – sowohl eine Menge von Menschen, für
die die eigene Religiosität der Lebensmittelpunkt oder zumindest ein entscheidender Lebensfaktor ist
(mit Max Weber sollen diese Personen im folgenden als religiöse „Virtuosen“ angesprochen
werden87), als auch eine Fülle von Menschen, vermutlich auch unter den Migranten die Mehrheit, die
zwar der Religion positiv gegenüberstehen und die in ihrem Leben religiöse Elemente aufweisen, für
die aber die Religion letztlich keinen zentralen Lebensfaktor darstellt (im folgenden als
‚Nichtvirtuosen’ angesprochen).88
In der Außenperspektive erwecken Muslime oft den Eindruck, durchwegs religiöse Virtuosen zu sein,
ein Eindruck, den religiös virtuose Muslime nicht selten voll Enthusiasmus bestätigen und verstärken.
Er entsteht teilweise durch die spezielle Struktur von Begegnungssituationen, wie z.B. Besuchen in
Moscheen, in denen sich bevorzugt religiöse Virtuosen aufhalten, während man über die nichtvirtuose
Religiosität in der Fläche kaum Bilder hat. Weitreichender noch als solche Eindrücke jedoch wirken
87
Weber 1980: 327f. Während Weber jedoch die Virtuosen durchwegs einem gesonderten religiösen Stand
zuordnet, wird sein Konzept hier weiter gefasst und davon ausgegangen, dass es auch unter nicht theologisch
gebildeten Laien solche religiöse Virtuosen gibt.
88
Die in Tabelle 1 im vorigen Abschnitt wiedergegebenen Umfrageergebnisse lassen sich auch in dieser
Richtung interpretieren. Fasst man die beiden Mittelkategorien „Eher religiös“ und „Eher nicht religiös“
zusammen, dann könnte man 66,2% der Migranten als religiöse Nichtvirtuosen verstehen, neben 28,1%
religiösen Virtuosen und 5,8% Areligiösen. Das ist ein Profil, das vom Spektrum christlicher Religiosität in den
Großkirchen gar nicht so weit entfernt ist (vgl. z.B. Kirchenamt der EKD 2003).
Seite 23 von 76
bestimmte, auch durch die Massenmedien verstärkte Bilder der Orthopraxie, sprich einer Reihe von
rituellen Vollzügen, wie dem Gebet, dem Fasten, aber auch dem Tragen des Kopftuchs bei den
Frauen. Diese Vollzüge – die wie die im vorigen Abschnitt wiedergegebenen Zahlen belegen, selbst
nur von einem Teil der Muslime regelmäßig ausgeführt werden – werden jedoch aus völlig
unterschiedlichen Gründen praktiziert, so dass man auch mit voller Berechtigung von einer
Pluralisierung hinter der Orthopraxie sprechen kann.89
Ein weiterer Grund für die Verstärkung der ‚Einheitsvermutung’ liegt darin, dass sie für viele Muslime
selbst ein zentrales Ideal darstellt, und daher von ihnen aktiv gefördert wird. Das Leitbild des Islam als
einer einfachen, einheitlichen Religion der Solidarität besitzt einen emotional hoch aufgeladenen
symbolischen Wert, den es mit einigen anderen Symbolen teilt, so z.B. dem Koran und dem Propheten
Mohammed. Der hohe Wert, den diese Größen darstellen, äußert sich darin, dass kritische
Diskussionen, die es ja innerhalb des muslimischen Diskursfelds in Fülle gibt, sozusagen stets
‚unterhalb’ dieser gemeinsamen Symbole der Einigkeit bleiben. Die verbindenden Symbole bleiben
als Grundwerte unberührt, wer sie direkt und/oder gar öffentlich kritisch diskutiert, riskiert mit
allerhöchster Wahrscheinlichkeit, sich damit auf eine hochprekäre Außenseiterposition zu stellen.
Im folgenden werden nun die oben angesprochenen fünf Bezugspunkte der Identitätsstiftung vertieft
erläutert. Schon aus Platzgründen können dabei jeweils nur schlaglichtartig einige wichtige Aspekte
dargestellt werden.
2.2.3.1
Der traditionalistische Bezugspunkt der Identitätskonstruktion
Als die türkischstämmigen Migranten nach Deutschland kamen, hatten sie die kulturellen, religiösen
und sozialen Selbstverständlichkeiten und unhinterfragbaren Denk- und Handlungsmuster ihrer
Herkunftskultur gleichsam ‚im Gepäck’. Diese Selbstverständlichkeiten erweisen sich als ein Gemisch
aus Familientraditionen, lokalen Bräuchen, regionalen islamischen Traditionen, einem mehr oder
weniger kompetenten Grundwissen über den Islam und noch einer Reihe weiterer Elemente. Zwar
waren sich die meisten Migranten diffus der Tatsache bewusst, in Deutschland auf eine völlig andere
Kultur zu treffen, aber welchen Mustern der neuen Lebenswelt man sich anpassen musste und welche
eigenen Muster man beibehalten sollte, konnte oder wollte, wurde zu einer der schwierigsten Fragen
ihrer neuen Existenz. Im Zuge dieser Auseinandersetzung kann der Bezug zur eigenen mitgebrachten
Tradition in eine ‚traditionalistische’ Identitätskonstruktion umgeformt werden. Im Kontext einer
Lebenssituation von Migranten ist damit eine Haltung gemeint, die die jeweils historisch gewachsenen
Selbstverständlichkeiten des Herkunftslandes als unveränderliche und auch unter sich wandelnden
äußeren und inneren Bedingungen statisch einzuhaltende Idealformen des Denkens und Handelns
überhöht. Es muss hier betont werden, dass nicht der Traditionsbezug als solcher das Kennzeichen
89
So schreibt Yasemin Karakaşoğlu-Aydın treffend, dass „eine Kategorisierung der Religiosität entsprechend
der nach außen sichtbaren religiösen Orientierung ebenso wenig über die tatsächliche religiöse Orientierung
aussagt, wie die Zuordnung aufgrund der ansozialisierten Religion“ (Karakaşoğlu-Aydın 2000: 413).
Seite 24 von 76
traditionalistischer Identitätskonstruktionen ist – auch alle anderen Positionen stützen sich intensiv auf
die Tradition und schöpfen aus ihr – sondern die Behauptung, die eigene Praxis der Ausübung von
Traditionen und Bräuchen bilde auch für die eigenen Nachkommen ungeachtet ihrer völlig anderen
Lebenssituation die einzig wählbare verbindliche Wahrheit. Die Haltung kann sogar noch deutlich
weiter gehen, und die je eigenen Überzeugungen und/oder Idealvorstellungen generell als
überzeitliche und überkontextuelle Wahrheiten verfechten. Traditionalistische Argumentationen
bezüglich des Islam beharren auf dem von ihnen gewählten historischen Bezugspunkt als dem Punkt
idealer, ‚wahrer’ Religion und lehnen Neuinterpretationen der eigenen Glaubensgrundlagen über
diesen Stand hinaus als zwangsläufige Verfälschungen ab:
„Der islamische Glaube braucht keine Reformen, Veränderungen und Erneuerungen. ... Die Thesen
einiger Radikaler, Konvertiten und Reformer sind komplett falsch. Im Islam gibt es keine Reformen. ...
Reformen und Veränderungen können nur in verdorbenen Religionen, in menschlichen Ideologien und
Lehren durchgeführt werden“.90
Der historische ‚Nullpunkt’, also anders gesagt, der Ort in der Geschichte, an der nach der eigenen
Überzeugung der ‚wahre’ Islam optimal verwirklicht wurde, kann dabei recht unterschiedlich gewählt
werden. Nicht selten bildet das osmanische Reich diesen idealen Bezugspunkt, weil sich hier für
türkischstämmige Migranten traditionalistische und nationalistische Identitätskonstruktionen optimal
verschmelzen lassen. Dementsprechend finden sich bezüglich der Frage der Kontrolle individueller
Religiosität und ethischer Alltagspraxis bei Traditionalisten starke Sympathien für politische Ideen,
die staatliche Legitimation und Politik von einem diffus an ein türkisch-kulturelles Element
gebundenen Islam herleiten. Auf der Ebene der Kontrolle der individuellen religiösen und ethischmoralischen Alltagspraxis, die in den Herkunftsregionen traditionell in den Händen der Familien und
der lokalen Community lag,91 wird die Kontrolle diesen Instanzen gegen die sich wandelnden Wertund Sozialbezüge weiterhin zugeschrieben und es wird als überlebensnotwendig für Religion und
Gemeinschaft postuliert, dass das Gefüge der traditionellen sozialen Regelungen auch in der neuen
Lebenswelt unverändert aufrechterhalten wird.
Traditionalistische
Identitätskonstruktionen
finden
sich
natürlich
nicht
selten
als
Verteidigungsstrategie zwischen den Generationen in einer Migrationssituation. Je stärker sie in der
zweiten Generation als verbindlicher Maßstab erhalten bleiben, desto mehr steigt zwangsläufig die
Wahrscheinlichkeit der Bildung einer Parallelgesellschaft, da Bräuche und Denkweisen der
Herkunftsgesellschaft nur in einem von der Zuwanderungsgesellschaft sozial abgeschirmten
Schutzraum gleichsam ‚museal’ aufrechterhalten werden können.92
90
Aus der der IGMG nahestehenden Zeitung „Milli Gazete“ vom 9. September 2005, S.4, zitiert nach
Bundesministerium des Innern 2006a: 218.
91
Vgl. z.B. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin (Hg.) 1997.
92
Sauer und Şen beschreiben diesen Vorgang als „Segregation“ (vgl. dies. 2006). Die Meinungen gehen in der
Forschung und in der öffentlichen Diskussion auseinander, wie stark der Einfluss solcher Räume tatsächlich ist.
Seite 25 von 76
Doch zuviel hat sich in der Lebenssituation der jüngeren Generationen verändert, als dass die
Lebensmodelle der Älteren mehrheitlich ungebrochen übernommen werden könnten.93 Damit wird
eine Fülle von Überzeugungen und Lebensgewohnheiten, die in der Generation der Migranten noch
den Status unhinterfragter und unhinterfragbarer Selbstverständlichkeiten besaßen, nun zum
Diskussionsgegenstand unter den Jüngeren.94 Eine Reihe von Untersuchungen belegen in detaillierten
Schilderungen eindrucksvoll die pluralen Glaubenskonstruktionen junger Muslimas und Muslime und
die hochindividualisierten Positionsbestimmungen zwischen den Eltern, der Migrantencommunity
(deren Erwartungen sich ebenfalls nach Generationen differenziert), sowie den Anforderungsfeldern
der Zuwanderungsgesellschaft.95 Ein entscheidende, aber von der Forschung noch völlig asymmetrisch
angegangene Frage ist dabei die Genderproblematik: Während die Dynamik zwischen dem ‚neuen
Islam der Frauen’ und traditionalistischen Vorstellungen breit dokumentiert ist,96 gibt es so gut wie
keine entsprechenden Untersuchungen für die muslimischen Männer.97
2.2.3.2
Der universalistisch verstandene Islam als Bezugspunkt der Identitätskonstruktion
Für eine große Zahl religiös virtuoser junger Muslimas und Muslime in Deutschland ist der von ihnen
bevorzugte alternative Bezugspunkt zum traditionellen und/oder traditionalistischen Islam der
Generation ihrer Eltern ein Konzept des Islam als universalistischer Religion: Wie das Christentum
auch besitzt der Islam die Idee, jenseits kultureller und nationaler Traditionen eine Religion für alle
Menschen zu sein. Es ist die Vorstellung einer universellen Heilsreligion, die diese Gruppe inspiriert,
Gerade wissenschaftliche oder journalistische Arbeiten die aus diesen Räumen berichten, tragen viel zur
Polarisierung der Debatten über die Integrationsfähigkeit türkischstämmiger Migranten oder ‚des Islam’
überhaupt bei. Auf Seiten der deutschen Öffentlichkeit werden entsprechende Berichte nicht selten zum ‚wahren
Gesicht’ der Migranten oder ‚des Islam’ hochstilisiert. Gleichzeitig werden sie – von allem wenn sie von
‚Kulturmuslimen’ kommen – von nicht wenigen muslimischen Vertretern als ‚Nestbeschmutzung’ abgewehrt.
Dennoch sind Arbeiten wie z.B. Gür 1993 oder Kelek 2006 als kritische Beschreibungen bestimmter Migranten‚Milieus’ ernst zu nehmen und müssen in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden.
93
Vgl. u.a. Şen 1996.
94
Hier muss eine Ungleichzeitigkeit konstatiert werden. Vor allem durch den Nachzug von Familienmitgliedern
und (künftigen) Ehepartnern (vgl. Beauftragte der Bundesregierung 2005: 358-378, Goldberg, Halm und Şen
2004: 15-18, Sauer und Şen 2006) treten immer wieder neue Protagonisten aus den Herkunftsländern mit ihren
mitgebrachten Selbstverständlichkeiten in die Diskurse ein, freilich schon aus zeitgeschichtlichen Gründen nicht
mehr dieselben Selbstverständlichkeiten wie die der Migranten älterer Jahrgänge.
95
Vgl. u.a. Klinkhammer 2000, Karakaşoğlu-Aydın 2000, Kelek 2002, Tietze 2001.
96
Eine Fülle von Veröffentlichungen dokumentiert die grundlegende Dynamik der weiblichen Diskurse für die
Weiterentwicklung der islamischen Diskurse insgesamt (vgl. dazu u.a. die Überblicksbände von Klein-Hessling
et al. (Hg.) 1999 und Saliba et al. (Hg.) 2002). Diese Entwicklung findet auch in der Gründung eigener
Netzwerke ihren Ausdruck, wie Gritt Klinkhammer skizziert:
„Die zunehmende Differenzierung in der zweiten Generation bezieht sich auch auf die
Fraueninitiativen. ... Ihr stärkstes Interesse gilt dabei der Erziehungs- und Bildungsarbeit ... . Mit der
Fokussierung auf den Bereich Bildung und Erziehung treiben derzeit besonders die muslimischen
Frauen eine Intellektualisierung des Islam voran, die damit das Ziel der Institutionalisierung eines
eigenständigen Islam in Deutschland anzustreben scheinen...“ Klinkhammer 2000: 103. Bereits 1996
erschien z.B. ein erster von Muslimas erstellter „Muslimischer Frauen-Almanach“ (vgl. Huda –
Netzwerk für muslimische Frauen e.V. 1996).
97
Freilich gibt es zahlreiche Hinweise auf massive Probleme männlicher Muslime bezüglich der von
unterschiedlichen Seiten an sie herangetragenen Erwartungen der „gender performance“ (Buchbinder 1994) in
der deutschen Lebenswelt (vgl. z.B. Tietze 2001 und Kelek 2002). Als ein erster programmatischer Text in diese
Richtung kann Kelek 2006 gelten.
Seite 26 von 76
an den Traditionen vorbei ‚ad fontes’ zu gehen und so von den Gründungsdokumenten her den
‚wahren’ Islam zu finden, bzw. wiederherzustellen.98 Die Gegensatzbildung zwischen einem „wahren“
und einem „traditionellen“ Islam99 wird bevorzugt von der jüngeren Generation formuliert:
„Ich könnte dir jetzt kein konkretes Beispiel nennen, das ist eine hauchfeine Linie zwischen Tradition
und Islam. Alles das, was nicht Koran ist, das ist halt Tradition. Viele Traditionen können natürlich gut
sein. Nicht alle Traditionen werden vom Islam abgelehnt. Aber es ist so, wenn etwas wirklich ganz
eindeutig gegen des Islam steht, dann hat man das zu vermeiden, für sich selber schon“.100
Mit der Benutzung des Begriffs „wahr“ für die je eigene Überzeugung wird dreierlei ausgedrückt:
Zum einen wird eine Distanz zu Termini wie ‚modern’ oder ‚aufgeklärt’ genommen, was einerseits
den Vorteil hat, dass man in Diskussionen selbst nicht in den Sog dieser ‚westlichen’ Begriffe kommt,
was andererseits aber auch die eigene kritische Distanz zu einer als säkularisiert aufgefassten
Zuwanderungsgesellschaft zum Ausdruck bringt. Gleichzeitig erlaubt der Begriff ‚wahr’ eine Kritik an
überkommenen Praktiken der Familie und der Community im Namen des Islam als gemeinsamer
idealer Wertegrundlage. So formulierte der Gründer und Mentor eines unabhängigen Vereins von
Muslimen aus der jüngeren Generation den Gegensatz zwischen der mitgebrachten ‚Kultur’ und der
mitgebrachten ‚Religion’ programmatisch:
„Heute ist unsere Arbeit (...) diese Kultur von diesem Islam zu trennen.“101
Zum dritten ermöglicht die Vorstellung eines ‚wahren Islam’ einen eigenständigen Zugang zur
Zuwanderergesellschaft auf der Basis eines von ihr zunächst einmal unabhängigen Wertesystems. Dies
ist nicht nur als eine individuelle Alltagsstrategie zu verstehen, sondern auch als eine kollektive
diskursive Position, die zunehmend häufiger in der Gründung eigener Netzwerke organisatorische
Gestalt annimmt.102 Dies steht auch damit in Zusammenhang,
„...dass sich junge Muslime enttäuscht von den herkömmlichen Verbänden abwenden, weil sie von
ihnen keine ausreichenden Lösungen ihrer Fragen und Probleme erwarten können. Daher zeichnet sich
eine – von den Verbänden misstrauisch beobachtete – Herausbildung neuer Strukturen muslimischen
Vereinslebens ab. Die neu gegründeten Vereine sind häufig lokal begrenzt, verfolgen sehr konkrete
Absichten ihrer Mitglieder und betonen ihre Unabhängigkeit von den großen Verbänden“.103
Die individuelle Suche nach islamischen Quellen, die es den Muslimen erlauben, eigenständige
Interpretationen des Islam zu formulieren, ist dabei freilich in entscheidender Weise von der je
persönlichen Sprachkompetenz und Bildung abhängig. Die Zahl der islamischen Verlage und die
98
Es ist kein Zufall, dass diese Form der Identitätskonstruktion sich am stärksten dem Anliegen widmet,
außerhalb der Migrantencommunity ‚Da’wa’ zu betreiben, sprich Menschen aktiv und werbend für den Islam zu
gewinnen (vgl. z.B. Haus des Islam 1983 oder die Autobiographie von Kandemir, die sich als islamische
‚Erweckungsbiographie’ lesen lässt (Kandemir 2005).
99
Vgl. auch beispielsweise Tietze 2001: 130.
100
Interviewzitat aus: Klinkhammer 2000: 170.
101
Engelbrecht 2006a: 256.
102
A.a.O. Vgl. auch Klinkhammer 2000: 103.
103
Lemmen 2005: 185. Zu einer Skizze eines solchen Vereins im Großraum Nürnberg vgl. Engelbrecht 2006a.
Seite 27 von 76
Menge von islamischer theologischer Literatur in deutscher Sprache nimmt zwar zu104 ihre Nutzung
hängt aber in entscheidender Weise davon ab, dass die Muslime in der Lage sind, die Barriere zu
durchbrechen, die eine lediglich ‚alltagstaugliche’ Sprachkompetenz für eine intensive Nutzung dieser
wachsenden Infrastruktur bedeutet. Mit anderen Worten: All diejenigen Migranten, deren deutsche
Sprachkenntnisse unter diesem Level liegen, bleiben schon aus Sprachgründen auf die türkischislamischen Vereine und ihre Theologie angewiesen. Damit steigt auch zwangsläufig die
Wahrscheinlichkeit, dass sie sich den dort primär vertretenen traditionalistischen und nationalistischen
Identitätskonstruktionen anschließen.
Gerade was den Durchbruch der Muslime in Deutschland durch die ‚Sprachmauer’ betrifft, ist die
wichtige Rolle zu konstatieren, die in diesem Zusammenhang den deutschen Konvertiten zum Islam
und einer beträchtlichen Anzahl höher qualifizierter Zuwanderer aus anderen islamischen Ländern
zukommt. Sie haben über die Jahre eine Fülle von Organisationen gegründet, theologische Arbeit in
deutscher Sprache geleistet und eine weit über ihre Anzahl hinaus bedeutende Funktion als Vermittler
und Übersetzer ausgeübt.105 Der Löwenanteil der Etablierung eines islamischen Diskurses in deutscher
Sprache wurde von dieser Gruppe geleistet. Allerdings scheitert auch sie nicht selten an der
Sprachbarriere, diesmal in die umgekehrte Richtung. Allein schon die Tatsache, dass in praktisch allen
von türkisch-islamischen Verbänden geleiteten Moscheen die Umgangssprache weiterhin ungebrochen
Türkisch ist, setzt der Reichweite der deutschsprachigen Netzwerke enge Grenzen.
Was die Frage der Kontrolle individuellen Handelns auf religiöser wie auf alltagspraktischer und
politischer Ebene betrifft, gibt es in den universalistischen Diskursen zwei Schwerpunkte. Die
entscheidende Trennungslinie zwischen beiden betrifft das Staats- und Politikverständnis und verläuft
zwischen zwei Positionen, die ganz gewiss nicht zufällig grundsätzliche Parallelen zu der
Unterscheidung Max Webers zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik aufweisen.106 Vertreter
der ersten, im Weberschen Sinne verantwortungsethischen Position fordern angesichts der Tatsache,
dass die je eigene Religion – selbst in einer Mehrheitssituation – Gesellschaft stets nur im Prozess der
beständigen demokratischen Aushandlung von Kompromissen gestalten kann, dass sich auch Muslime
auf Dauer als partikulare Kraft in einem demokratischen, nicht von den Werten einer einzelnen
Religion dominierten Gefüge verstehen müssen.107 Die andere Position ist die gesinnungsethische
Überzeugung, eine schnelle oder auch allmähliche Auflösung des pluralen demokratischen Prozesses
hin auf eine wie auch immer geartete in der je eigenen religiösen Überzeugung gegründete
Gesellschaftsform würde eine bessere Gesellschaft schaffen, als die, die Demokratien hervorzubringen
in der Lage sind.108 Die Vorstellung einer friedlichen, ja u.U. sogar einer ‚demokratischen’
104
Klinkhammer 2000: 103.
Vgl. als einige Beispiele aus einer ganzen Fülle Hofmann 1995 oder Aries 1992, 1995.
106
Vgl. Weber 1997: 328.
107
Vgl. dazu z.B. Abou el Fadl 2001, Heller und Mosbahi 1998 u.a.
108
Vgl. dazu Graulich 2005: 87 Abschnitt 3.3.
105
Seite 28 von 76
Herbeiführung einer ‚Theokratie’ ist eine unter Vertretern dieser Position weit verbreitete Vision, doch
gerade an dieser Stelle beginnt auch die Diskussion um die Frage der Erlaubtheit oder gar Gebotenheit
von Gewaltanwendung.109 Im übrigen ist theokratischen Vorstellungen aus soziologischer Sicht die
treffende Bemerkung des muslimischen Exegeten Nasr Hamid Abu Zaid entgegenzuhalten, dass stets
„die Herrschaft Gottes nur bedeutet, daß diejenigen herrschen, die in seinem Namen sprechen“.110
In ähnlicher Weise verläuft auch die Diskussion für die Frage der Verantwortung und der Kontrolle
der individuellen religiösen Praxis und des ethischen Verhaltens im Alltag zwischen Verfechtern einer
sozialen Kontrolle, diesmal aber nicht von Familie und sozialem Umfeld, sondern von der in direkter
Absetzung zu traditionalistischen Vorstellungen formulierten religiösen Gemeinschaft der Gläubigen
einerseits und den Verfechtern einer individuellen Verantwortlichkeit vor Gott andererseits.111 Die
letzte Position sei anhand einer programmatischen Äußerung aus einer aktuellen religiösen
Autobiographie illustriert. Die Autorin plädiert für die regelmäßige Ausübung des Gebets und trägt
selbst ein Kopftuch112:
„Ich versuchte während des Betens, nicht an tausend andere Dinge zu denken und war in diesen
Minuten wirklich weg. Diese Erfahrung der Hingabe und der Versenkung färbte auch auf andere
Lebensbereiche ab. So versuche ich seit dieser Zeit alles, was ich tue, mit vollem Bewusstsein zu
verrichten, nicht nur das Gebet. Nur so entwickelt das Handeln seine volle Wirkung. Das ist auch der
Grund dafür, warum im Glauben nichts gewaltsam oder durch bloße Vorschriften erzwungen werden
kann, wie das auch im Koran steht. >Kein Zwang im Glauben!<, heißt es in Sure 2:256. Wenn
Menschen gezwungen werden, zu beten, einen Glauben zu praktizieren oder ein Kopftuch zu tragen,
dann bringt das nichts. Dann passiert das nicht durch eigenen Willen und daher auch ohne
Bewusstsein. In diesem Zusammenhang muss die islamische Welt noch sehr viel lernen, den in vielen
so genannte islamischen Regimes denken die Herrschenden offensichtlich, durch Zwangsmaßnahmen
den wahren Islam verbreiten zu können – welch tragischer Irrtum!“113
Äußerungen wie die genannte können als paradigmatisch für die Position einer zahlenmäßig nicht
kleinen Gruppe junger, religiös virtuoser Muslime betrachtet werden, die einen hohen Wert auf die
Orthopraxie legen, sie jedoch in einen völlig neuen Kontext stellen. Statt sie als religiösen Standard zu
etablieren, deuten sie sie als eine individuell verantwortete, aber nichtsdestotrotz auch sozial
ausstrahlende spirituelle Praxis.114 Die zunehmende Attraktivität universalistischer Positionen unter
109
Vgl. dazu z.B. für die Diskussion im ägyptischen Raum Humeid 2005.
Abu Zaid 2001: 44.
111
Vgl. dazu u.a. Gerlach 2006.
112
Die Debatte um ‚das Kopftuch’ auch nur in Ansätzen zu führen, würde den Rahmen dieser Darstellung
sprengen. Sie kann deshalb hier nur allgemein im Rahmen der Frage der Orthopraxie und ihrer theologischen
Verankerung aufgegriffen werden. Vgl. zur ‚Kopftuchfrage’ aus der Fülle der Veröffentlichungen vertieft u.a.
Akkent und Franger 1987, Besier und Seiwert 2004, Frauen in der Einen Welt (Hg.) 1999, Karakaşoğlu-Aydın
2002, Mernissi 1992 , von Braun und Mathes 2007.
113
Kandemir 2005: 176.
114
Zwar finden sich vergleichbare Deutungen der religiösen Praxis in den islamischen Traditionen schon seit
langem, vor allem in der islamischen Mystik (vgl. dazu z.B. Schimmel 1990), allerdings darf Sufismus
angesichts der enormen Breite dieser Bewegungen nicht vorschnell als ‚modernekompatible’ Richtung etikettiert
110
Seite 29 von 76
religiös virtuosen jungen Muslimen und Muslimas liegt daran, dass es vor allem diese Art der
Identitätskonstruktion ist, die diesen Menschen die Option einer „doppelten Distanzierung“ 115 von den
Eltern und von der Zuwanderungsgesellschaft erlaubt, die aber auch gleichzeitig die Option einer
doppelten Zuwendung aus einer eigenständigen Position heraus sein kann.
2.2.3.3
Der nationalistische Bezugspunkt der Identitätskonstruktion
Gleichsam quer zu der beschriebenen Auseinandersetzung liegt der nächste Bezugspunkt der
Identitätskonstruktion, der nationalistische. Diese Form der Identitätskonstruktion ist – teils als
überzeugt laizistische, teils in Verschmelzung mit einer traditionell religiösen Einstellung (ideologisch
überhöht in der ‚Türkisch-islamische Synthese’ vgl. Abschnitt 2.2.1) – mit der wichtigste Bezugspunkt
der Identitätskonstruktion in der ersten und der zweiten Generation der türkischstämmigen
Zuwanderer, ein Bezugspunkt, der in seiner hochprekären Problematik in der öffentlichen
Wahrnehmung jedoch fast völlig hinter der ‚Islamismusdebatte’ verschwindet.
Auch hier muss einer Reihe von weitverbreiteten Fehldeutungen vorgebeugt werden. Es ist nicht
nationalistisch im hier gemeinten Sinne, eine lebenslange intensive Beziehung zum Herkunftsland zu
haben und es ist ebenfalls nicht nationalistisch, sich selbst sowohl als Teil der Herkunftskultur als auch
der Zuwanderungskultur zu fühlen.116 Eine nationalistische Identitätskonstruktion liegt dann vor, wenn
eine konstruktive Zuwendung zur Zuwanderungsgesellschaft als Verrat an einer schicksalhaften
Bestimmung zur Herkunftskultur gesehen wird, oder wenn mit anderen Worten die Integration in
Deutschland
als
Schwächung
einer
statisch
konzipierten
nationalistisch
überhöhten
Identitätskonstruktion verstanden und Herkunftskultur und Zuwanderungskultur so gegeneinander
ausgespielt werden.
In diesem Zusammenhang darf allerdings der Faktor der besonderen sozialen Lage der Migranten als
nach wie vor von der Zuwanderungsgesellschaft nicht voll akzeptierter Gruppe nicht ignoriert werden.
‚Türkentum’ und ‚Türke Sein’ als ideologische Überhöhungen sind, so ist sich die wissenschaftliche
Literatur in großer Mehrheit einig, in starkem Maße auch Gegenbegriffe zur Abgrenzung gegen eine
deutsche Zuwanderungsgesellschaft, die es nicht verstanden hat, die türkischstämmigen Migranten
aktiv einzubeziehen. Das führte nicht selten dazu, dass die aus der Herkunftsgesellschaft
mitgebrachten nationalen Deutungsmuster in einen rückwärts gewandten Nationalismus umgeformt
wurden. ‚Türke sein’, egal ob in einer religiösen oder einer areligiösen Variante, wurde so zu einer
stützenden Gegenidentität, die nicht zuletzt auch dazu beiträgt, Diskriminierungserfahrungen zu
werden (vgl. z.B. Frembgen 1993). Von Sufi-Orden inspirierte Bewegungen unter den türkisch-islamischen
Verbänden sind z.B. VIKZ und die Nurculuk Bewegung (vgl. Schiffauer 1997: 190-220), es existiert aber auch
eine große Zahl von kleineren Vereinen großer religiöser und politischer Bandbreite (vgl. z.B. Engelbrecht 1998:
45, 59, 68 und 114ff).
115
Klinkhammer 2000: 247 in Zitation von Werner Schiffauer.
116
Diese Haltung wird von Sauer und Şen als „Mehrfachintegration“ bezeichnet (vgl. dies. 2006).
Seite 30 von 76
kompensieren.117 Wie tiefgehend diese Identitätskonstruktion prägen und wie sie sich emotional gegen
das Zuwanderungsland richten kann, fasst der Vorsitzende der ‚Islamischen Religionsgemeinschaft
Erlangen’ an einem Beispiel zusammen, das sowohl die Zerrissenheit vieler Migranten beispielhaft
illustriert, als auch zeigt, dass dieses Problem auch innerhalb der Migrantencommunity durchaus als
Problem wahrgenommen und diskutiert wird:
„Wenn die Türkei gegen Deutschland Fußball spielt und die Türken unterstützen die Türkei hab ich
dafür vollkommen Verständnis. Egal ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht. Aber wenn Peru
gegen Deutschland Fußball spielt und die Türken unterstützen Peru, das kann ich nicht verstehen. Da
ist ein gewisser Hass, sie wollen, dass Deutschland nicht gewinnt. Und darum sage ich den Politikern,
sie sollen sie umarmen und sagen: Mensch, ihr seid unsere Bürger.“118
Freilich pluralisiert sich auch der nationalistische Bezugspunkt in der zweiten Generation. So
beschreiben diverse Untersuchungen Identitätskonstruktionen, in denen nationalistische Attitüden
auch bei Muslimen zu finden sind, die versuchen, sich beruflich und sozial in der
Zuwanderungsgesellschaft zu verankern.119 Dennoch spricht Nicola Tietze zu Recht von der
„Ambivalenz“120 solcher Konstruktionen. Sie können nur bestehen, wenn vermittelnde Größen
zwischen
der
nationalistischen
Überhöhung
des
Herkunfts-
und
der
Abwertung
des
Zuwanderungslandes zwischengeschaltet werden – nicht selten sind dies islamische Überzeugungen
der einen oder anderen Form.
Was die Frage des Staatskonzepts und der sozialen Kontrolle religiösen und ethischen Alltagshandelns
betrifft, so gibt es dazu auch innerhalb der nationalistischen Diskurse unterschiedliche Positionen. Ein
Schwerpunkt wird von einer Kombination von Nationalismus, Laizismus und einer Tendenz zur
Zurückweisung der sozialen Kontrolle der eigenen Religiosität gebildet. Es sind vor allem Verfechter
dieser weit verbreiteten Einstellung, die den Verband DITIB als Repräsentanten der eigenen Position
verstehen, weil der Verband in der Überzeugung dieser Gruppe für den Erfolg des „Modells Türkei“
steht, das allein einen Islam ohne theokratische ‚hidden agenda’ sicherstellen kann (vgl. Abschnitt
2.2.4). In Fragen des Staatsverständnisses – insbesondere in seinem Verhältnis zur Religion existiert
unter den Nationalisten ein breites Spektrum an Mischformen, dessen einer politischer Pol von der
eben skizzierten Haltung gebildet wird. Am anderen Ende stehen die Verfechter der „Türkisch-
117
Nach Sauer und Şen kann die
„... Ethnisierung durch die Aufnahmegesellschaft in eine Selbst- oder Re-Ethnisierung der Migranten
umgedeutet werden ... Re-Ethnisierung oder Segmentation als betonte Identifikation mit dem
Minoritätenstatus zur selbstgewählten Abgrenzung gegenüber einer Gesellschaft, die die Minorität als
Andere bezeichnet und sie deshalb ausschließt, zielt darauf ab, den scheinbaren Makel und die
zugeschriebene diskriminierende Identität in eine positive Identifikationsbasis umzumünzen und so
Selbstbewusstsein und Selbstbestimmtheit und letztendlich Anerkennung in der Aufnahmegesellschaft
zu erreichen.“ (dies. 2006).
Vgl. dazu auch z.B. Goldberg, Halm und Şen 2004: 4-6, Kelek 2002: 146-154, und Tietze 2001: 42 als Beispiel
der Konstruktion einer solchen Gegenidentität.
118
Interview mit dem Vorsitzenden der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen, Abs. 91.
119
Vgl. die Positionen der Gesprächspartner zum Thema Nationalität bei Tietze 2001 und Klinkhammer 2000.
120
Tietze 2001.
Seite 31 von 76
islamischen Synthese“121, die – wenn die nationalistische Seite dominiert z.T. bei DITIB, z.T. aber
auch bei ADÜTDF122 und verwandten Organisationen ihren Platz suchen. Positionen, bei denen der
traditionalistisch-religiöse Identitätsanteil den nationalistischen überwiegt, finden sich hingegen in fast
allen türkisch-islamischen Verbänden. Politisch wählen sie in Diskussionen statt der Republik Türkei
gerne das osmanische Reich als idealen Bezugspunkt (vgl. Abschnitt 2.2.3.1). Was die sozial-religiöse
Kontrolle des Alltagslebens angeht, beginnt das Spektrum auf der religiös-nationalistischen Seite mit
den in Abschnitt 2.2.3.1 skizzierten traditionalistischen Haltungen, die bei anderen Laizisten
pragmatischeren und offeneren Haltungen weicht, die in Einzelfällen bis hin zu den in Abschnitt
2.2.3.4 skizzierten religiösen Identitätskonstruktionen reichen kann.
2.2.3.4
Individualisierte islamische Identitätskonstruktionen
Unter den universalistischen und laizistisch-nationalistischen Identitätskonstruktionen gibt es eine
Variante, die als eigener Schwerpunkt zu werten ist. Die Betreffenden unterscheiden sich inhaltlich
von den skizzierten Grundhaltungen häufig nur in Nuancen, die entscheidende Differenz liegt in der
Verhältnisbestimmung zwischen dem Individuum und der religiösen Gemeinschaft. Mit großer
Eindeutigkeit vertreten diese Menschen die Überzeugung, dass die Einschätzung der Frömmigkeit des
Individuums ungeachtet der religiöse Praxis nur in der Beziehung zwischen dem Individuum und Gott
selbst geklärt werden kann, und dass ethisch-moralische Entscheidungen vor Gott und nicht vor einer
– egal ob traditionalistisch oder universalistisch verstandenen – religiösen Gemeinschaft zu
verantworten sind.
Gritt Klinkhammer beschreibt beispielsweise eine junge Muslima, die sich als „Osmanin“123 versteht,
dies aber nicht als politische Option, sondern als Aufforderung zur „Umsetzung von >Nächstenliebe<“
deutet.124 Wie gar nicht so selten unter Muslimen sieht sie den Islam mehr als eine Aufhebung der
Gegensätze zwischen den monotheistischen Traditionen und als deren Versöhnung, denn als eine
Gegenkraft zu Christentum und Judentum:
„Man sollte versuchen, nicht zu sagen, das ist ihr Christentum und das ist der Islam. Es geht um einen
Gott und um einen Glauben ..., daß es keine Unterschiede gibt, daß man versuchen sollte,
Gemeinsamkeiten zu finden in den Religionen. Ich glaube daran, daß der Islam so eine Vollendung
ist.“125
Ihre Überzeugung, dass ihre religiöse Verantwortung allein in ihrer Gottesbeziehung ruht und nicht in
einem Anspruch der Gemeinschaft an sie, liegt freilich nicht daran, dass sie den Bezug und die
Eingebundenheit in eine Community (die gar nicht religiös sein muss) nicht zu schätzen weiß. Sie
entwirft ihre persönliche Utopie der Verbindung zwischen ‚türkischer’ Solidarität und ‚deutschem’
121
Vgl. Seufert 1997: 83ff.
Vgl. Zentrum für Türkeistudien 1997: 150-154.
123
Klinkhammer 2000: 190.
124
A.a.O.: 187.
125
A.a.O.: 188.
122
Seite 32 von 76
Respekt vor dem Individuum:
„...was ich einfach negativ finde an der türkische Gesellschaft, auf jeden Fall negativ finde, daß wenig
Respekt vor der persönlichen Freiheit des einzelnen in der ersten Gesellschaft [erste Generation der
türkischen Migranten] da ist. Ja? Also daß man nicht sagt >OK, das ist dein Leben, du hast zu
entscheiden<, ich denk’ so die Mitte zwischen der deutschen und der türkischen Gesellschaft in dem
Punkt, wenn man die finden könnte, das wäre ideal“.126
In dem Feld dieser Identitätskonstruktion (sozusagen ein Pluralismus innerhalb des Pluralismus) stößt
man auch auf Muslime, die bezüglich der Quellen, die sie im Raum ihrer individuellen Beziehung zu
Gott für sich nutzen, auch über die Grenzen islamischer Traditionen hinausgehen, ohne deshalb ihr
Selbstverständnis als Muslime aufzugeben. Hilal Sezgin zeichnet in ihrem journalistischen Streifzug
durch die Lebenswelt von türkischstämmigen Zuwanderinnen eine Reihe von solchen Frauen, die sich
als Muslime verstehen, ihre Frömmigkeit aber in einer hochindividuellen, eigenständigen Weise
praktizieren und entwickeln.127 Sie zitiert eine ihrer Gesprächspartnerinnen bezüglich ihrer spirituellen
Quellen:
„Ich sag immer: Sandmännchen, Pippi Langstrumpf, Herrmann Hesse, Annemarie Schimmel, Mevlana
und Kafka“.128
Mehr als auf jede andere Form der Identitätskonstruktion trifft auf diese die Bezeichnung ‚unsichtbare
Muslime’ zu, denn Migranten mit solchen Spiritualitätsvorstellungen sind nicht nur kaum erforscht,
sie stehen auch praktisch nicht in Verbindung zu religiösen Vereinen. Die zahlenmäßige Stärke von
Menschen mit vergleichbaren Haltungen und Überzeugungen ist noch schwerer einzuschätzen als die
der
anderen
skizzierten
Identitätskonstruktionen.
Doch
religiöse
Glaubensgemeinschaft verweigern, über ihre Frömmigkeit mitzubestimmen
Menschen,
129
die
130
und ‚Bastler’
es
der
die sich
ihre Religiosität aus den unterschiedlichsten Quellen zusammenstellen, gibt es natürlich auch in großer
Zahl unter den Muslimen, auch wenn sie sich nicht gerne ihrer eigenen Community offenbaren.
2.2.3.5
Muslime ‚jenseits’ des Islam und die Frage eines offenen Diskurses
Noch weit problematischer als für dieses Profil ist die Beziehung zwischen Muslimen, die eine andere
Religion wählen oder solchen, die sich generell von der Religion abwenden, und den muslimischen
Diskursfeldern. Die Spannungen zwischen beiden Haltungen entzündeten sich u.a. auch an der
Besetzung der jüngst vom Bundesinnenministerium einberufenen Islamkonferenz am 27. September
2006 in Berlin. Irmgard Pinn monierte beispielsweise, die Veranstalter hätten eine Reihe von Personen
eingeladen, die „nur noch nominell Muslime sind und entsprechend wenig Interesse an religiösen
Belangen haben (bzw. im Gegenteil das Interesse, die Position religiöser Muslime und ihrer
126
A.a.O.: 191.
Vgl. Sezgin 2006.
128
A.a.O.: 118.
129
Vgl. Engelbrecht 2006a und b.
130
Vgl. zum Begriff Hitzler 1999b.
127
Seite 33 von 76
Vertretungen zu schwächen).“131 Nun ist zu konstatieren, dass auch eine christliche Kirche es ohne
Zweifel kaum akzeptieren würde, wenn ein Mensch, der die Zugehörigkeit zu ihr aufgekündigt hat,
beansprucht, in ihrem Namen zu sprechen. Macht es also vor diesem Hintergrund überhaupt Sinn, die
„Kultur-Muslime“132, wie diese weite und in sich selbst überaus plurale Gruppe zunehmend etikettiert
wird, als eine Form muslimischer Identitätskonstruktion zu betrachten?
Betrachtet man die Muslime in Deutschland als eine ‚Religionsgemeinschaft’ im Sinne des der
Rechtsprechung zugrundeliegenden Begriffs, dann ist es ohne Zweifel nicht sinnvoll, diese Gruppe
noch als Teil des muslimischen Diskursfelds anzusprechen. Dass diese Sichtweise jedoch nicht die
ganze Komplexität der Wirklichkeit erfasst, beschreibt Yasemin Karakaşoğlu-Aydın am Beispiel von
ihr befragter Studentinnen, die der islamischen Religion innerlich den Rücken zugewendet haben:
„Der Bezug zum Islam wird zumindest nominell zur Fortführung eines Kontakts zur Familie
beibehalten, auch wenn die eigene innere Einstellung sich atheistischen Vorstellungen angenähert hat.
Eine offene Ablehnung des Bekenntnisses zum Islam wird ... aus Furcht vor Entsolidarisierung in
Familie und ethnischer Community nicht riskiert. Dabei wird auf den Grundsatz des ‚religiösen
Bekenntnisses als Privatsache’ rekurriert, was dann ebenfalls für das ‚nicht-Bekenntnis’ zu gelten
habe. Dies verweist auf die Dominanz des Islam als gemeinschaftsstärkende, aber auch auf die
Gemeinschaft verpflichtende Kraft für Migranten und Migrantinnen aus traditionellen Familien“.133
Jenseits der in den grundgesetzlichen Regelungen wurzelnden Vorstellung einer individuellen
Religionszugehörigkeit, die mit einem Akt des Austritts endet (und auf die Muslime interessanter
Weise implizit Bezug nehmen, wenn sie kritisieren, dass solche Personen von Seiten der deutschen
Behörden als ‚muslimische Ansprechpartner’ apostrophiert werden), ist ein sich nicht mehr als gläubig
verstehender Muslim weiterhin einem religiös-sozialen Kraftfeld ausgesetzt, dem er sich nur durch
einen Rückzug von der Migrantencommunity – und damit u.U. von seiner eigenen Familie – entziehen
kann. Die beträchtliche persönliche und biographische Problematik der Personen, die von ihrem
muslimischen Umfeld in irgendeiner Weise als ‚Apostaten’ gedeutet werden, belegt auch ein
Abschnitt der islamischen Charta des Zentralrats der Muslime in Deutschland, ein Dokument, das in
gleicher Weise als Signal an die deutsche Öffentlichkeit wie an die Muslime in Deutschland gelesen
werden muss. In Abschnitt 11. wird über die Pflichten von Muslimen im Geltungsbereich des
Grundgesetzes explizit formuliert:
„Daher akzeptieren sie auch das Recht, die Religion zu wechseln, eine andere oder gar keine Religion
zu haben“.134
Mit den nicht mehr gläubigen Muslimen und darüber hinaus auch mit dem Islamkritikern mit
muslimischem Hintergrund in einen offenen und konstruktiven Dialog zu treten, stellt in mehrfacher
131
Pinn 2006: 6.
A.a.O.
133
Karakaşoğlu-Aydın 2000: 415.
134
Zentralrat der Muslime in Deutschland 2006: 3
132
Seite 34 von 76
Hinsicht eine Nagelprobe für die muslimischen Diskurse dahingehend dar, ob sie bereit sind, sich
wirklich als konstruktiver Teil einer auf Dauer nichtmuslimischen, pluralistischen Demokratie zu
verstehen. Dahinter steht allerdings auch, was der deutsche Muslim Wolf Aries weitsichtig als die
eigentliche Herausforderung für die muslimischen Diskurse formuliert hat:
„Als erstes muß sich die >umma< der Tatsache stellen, dass sie ihren Widerspruch, die >moslemischen
Atheisten< selbst produziert.“135
Vor diesem Hintergrund machen auch die Einladungen des Bundesinnenministeriums Sinn: Sie sind
nicht zu verstehen als der Versuch, den muslimischen Diskursen eine bestimmte Religionsdefinition
aufzunötigen, sondern sie geben dem Anliegen Ausdruck, innerhalb der muslimischen Diskursfelder
auch den von diesen Feldern ‚Betroffenen’, die sich selbst nicht (mehr) unbedingt als Gläubige
verstehen, Stimme zu verleihen.
2.2.4
Die muslimischen Verbände
Im folgenden wird nun versucht, für die Frage der potentiellen Repräsentanz der muslimischen
Verbände für die Vielfalt der muslimischen Diskurse in Deutschland empirische Befunde anzuführen,
die eine Klärung erlauben. Am Anfang stehen ein Überblick und aktuelle Mitgliedschaftszahlen, sowie
Zahlen zu der Frage, wie viele Muslime sich selbst durch die Verbände repräsentiert sehen.
Anschließend werden eine Reihe von Verbänden in Kurzportraits mit ihrem jeweiligen diskursiven
Spektrum vorgestellt. Angesichts der mittlerweile fast unübersehbaren Vielfalt islamischer
Organisationen beschränkt sich die Darstellung dabei auf vier relevante Beispielfälle (2.2.4.1-2.2.4.4).
Als die muslimischen Zuwanderer nach Deutschland einreisten, betraten sie – anders als
beispielsweise katholische Arbeitsmigranten – bezüglich ihrer Religion einen Leerraum. Ein schmaler,
bildungsferner Ausschnitt aus dem gesamttürkischen religiösen Diskurs war plötzlich zum Aufbau
einer eigenen Infrastruktur genötigt. Relativ schnell entstanden die ersten Gebetsräume und
Moscheevereine durch Eigeninitiative religiöser Migranten, die die Vorbeter aus ihren eigenen Reihen
rekrutierten.136 Bereits wenige Jahre später begann ein komplexer und längst nicht immer
konfliktfreier
Prozess
137
Moscheeverbände,
des
Anschlusses
dieser
lokalen
Einrichtungen
an
entstehende
die jeweils ihren Ausgangspunkt in der Türkei haben und bis heute in enger
Verbindung zur Türkei stehen und von dort theologische und politische Impulse empfangen.138 Diese
Verbände stellen für die Migranten eine Reihe von wichtigen religiösen und sozialen Dienstleistungen
bereit, unter anderem bringen sie Geistliche aus der Türkei nach Deutschland. Allerdings kann nicht
davon gesprochen werden, dass mit der Etablierung der Verbände ein eigenständiger islamischer
Einwandererdiskurs ‚vervollständigt’ wurde. Vielmehr gilt, was ein Funktionär eines Vereins aus dem
135
Aries 1992: 224.
Goldberg, Halm und Sen 2004: 103.
137
Vgl. beispielsweise für die Geschichte der Etablierung der Verbände in Augsburg Schiffauer 1997: 190-211.
138
Vgl. z.B. Dietrich 2006, Gür 1993, Heitmeyer et al. (Hg.) 1996, Heitmeyer et al. 1997, Lemmen 2005,
Schiffauer 1997 und 2000, Zentrum für Türkeistudien 1997.
136
Seite 35 von 76
Nürnberger Raum unverblümt formulierte: „Der Verband ist unsere Brücke zur Türkei“.139 Die
Diskurse der Migranten wurden über die türkisch-islamischen Verbände für mehrere Dekaden intensiv
an die innertürkischen Diskurse rückgebunden. Mittlerweile weisen eine ganze Reihe von Autoren
darauf hin, dass die Verbände im Laufe der Zeit doch zu einer zunehmend stärkeren Hinwendung zur
deutschen Gesellschaft gefunden haben,140 wobei sich die Frage stellt, ob sie damit nicht einfach den
Bedürfnissen ihrer Mitglieder nachgeben. Denn mit der Zeit kamen natürlich auch die Funktionäre der
Verbände nicht darum herum zu erkennen, dass die Probleme und Herausforderungen der Migranten
zunehmend von denen der Muslime im Herkunftsland abweichen. Die starken Bindungen an das
Herkunftsland, die anfangs die Basis der Dienstleistungen und der Attraktivität der Verbände
ausmachten, erweisen sich nun als zunehmend ambivalent. Das Zentrum für Türkeistudien resümiert:
„Tatsache ist, daß die türkisch-islamischen Organisationen durch den Aufbau und stetigen Ausbau
einer religiös-sozialen Infrastruktur einem von Seiten der Mehrheitsgesellschaft nicht beachteten
Bedürfnis eines wachsenden Teils der muslimischen Minderheit, ihre Religion zu praktizieren,
nachkommen. Sie haben sich als Anbieter sozialer und religiöser Infrastruktur etabliert. Freilich
unterhalten sie nach wie vor mehrheitlich Verbindungen zu konservativen bzw. nationalistischen bis
islamistischen Parteien in der Türkei. Dies erweist sich als dem von ihnen angestrebten Imagewandel
von einer extremistischen Exil-/Außenstelle einer türkischen Partei oder Bewegung zu einer
Migranten-Selbstorganisation nach wie vor als abträglich“.141
Neben den großen türkisch-islamischen Verbänden etablierten sich zahlreiche kleine Vereine, die von
deutschen Muslimen oder Migranten aus anderen Ländern gegründet wurden. Mit dem „Zentralrat der
Muslime“ und dem „Islamrat“ wurden zwei Versuche unternommen, für die Vielzahl der
Organisationen ein gemeinsames Dach zu bilden. In neuerer Zeit entstand, angestoßen von der
Herausforderung des islamischen Religionsunterrichts, eine neue Form von Dachverbänden auf
Länderebene.
Nach der bereits in Abschnitt 2.2.2.2 ausführlich zitierten Umfrage des Zentrums für Türkeistudien
gaben im Jahr 2005 23,3% der Befragten an, selbst einem der Verbände anzugehören, weitere 21,5%
gaben an, ein Familienmitglied gehöre einem Verband an.142 Von diesen beiden Gruppen sind
ihrerseits 76,8 % bei DITIB organisiert, 7% bei IGMG und 4,2 % bei VIKZ.143 Kein anderer Verband
zählt ansonsten mehr als 2% der organisierten Muslime zu seinen Mitgliedern. Auf die absoluten
Zahlen der türkischen Migranten umgerechnet sind damit 34% der Muslime selbst oder über ein
Familienmitglied bei DITIB organisiert, 3% bei IGMG und 2% bei VIKZ. Beschränkt man sich auf
die tatsächlich eingetragenen Mitglieder, dann sinken die Zahlen weiter: 17% der Muslime sind bei
DITIB, 2% bei IGMG und 1% bei VIKZ organisiert. Alle andere Vereine liegen zahlenmäßig
139
Engelbrecht 1998: 92.
Vgl. z.B. Dietrich 2006: 163 für DITIB.
141
Zentrum für Türkeistudien 1997: 114f.
142
Zentrum für Türkeistudien 2005: 35.
143
A.a.O.: 36.
140
Seite 36 von 76
darunter.
Regelmäßig wird von Verbandsseite das Argument vorgebracht, dass „eine formale Mitgliedschaft
nicht der islamischen Tradition entspricht“,144 deshalb sei im folgenden auch kurz wiedergegeben, in
welchem Ausmaß sich die Befragten von den Dachverbänden repräsentiert fühlen, unabhängig davon,
ob sie selbst Mitglieder sind oder nicht. Hier zeigt sich ein noch deutlicheres Profil: 51,5% fühlen sich
von DITIB repräsentiert (2000 = 57,9%), gefolgt von einer Gruppe von 24,3% die sich mit keinem der
Verbände identifizieren (2000 = 16,6%). 3 % nannten IGMG (2000 = 6%) als den Verband, der am
ehesten für ihre Einstellung steht.145 Betrachtet man ausschließlich die nicht Organisierten, dann wird
der Gegensatz noch schärfer: 46,1% fühlen sich von DITIB vertreten, 29,8% von gar keinem Verband.
Kein weiterer muslimischer Verband kommt auf mehr als 2% Zustimmung.146 ZMD, Islamrat oder
einer der jüngeren länderbezogenen Vereinigungen tauchen in den Tabellen gar nicht auf, spielen also
für die türkischstämmigen Muslime offenbar keine Rolle, weder als Mitgliedsorganisation (als die sie
sich ja selbst fast ausnahmslos nicht verstehen) noch als Repräsentant der Einstellung. Das Zentrum
für Türkeistudien billigt DITIB eine ganz eindeutig dominierende Position zu, summiert aber lapidar:
„Somit kann kein Verband für sich in Anspruch nehmen, die Muslime in Deutschland zu vertreten“.147
Angesichts der Vielzahl der Vereine und Verbände sollen im folgenden nur vier exemplarisch näher
behandelt werden und zwar DITIB, IGMG, ZMD und Schura Niedersachsen, da sie für relevante
Typen islamischer Organisationen in Deutschland stehen.148
2.2.4.1
DITIB (Diyanet Đşleri Türk Islam Birliği)
Mit der Gründung von DITIB „reagierte der türkische Staat auf die Situation, dass sich in der
Bundesrepublik zahlreiche religiöse Vereine, z.T. mit Unterstützung radikaler Gruppen aus der Türkei,
um die religiösen Belange der Türken kümmerten und dabei auch antilaizistische und
antikemalistische Haltungen vertraten. Dem sollte ein Riegel vorgeschoben werden“.149 DITIB ist,
darin sind sich die wissenschaftlichen Beobachter ungeachtet der von Seiten des Verbandes
vorgebrachten Relativierungen150 einig, eine nach wie vor vom türkischen Staat in Gestalt seines
Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten151 geleitete und geprägte Organisation.152 DITIB
144
A.a.O.: 39.
A.a.O.: 39f.
146
A.a.O. 40f.
147
A.a.O.: 41.
148
Vgl. zu rechtlichen und Satzungsfragen bezüglich dieser Verbände Dietrich 2006.
149
Goldberg, Halm und Şen 2004: 103.
150
Vgl. z.B. Alboğa 2005.
151
Zur Funktion und gesetzlichen Fundierung dieser Einrichtung schreibt Gür: „Das Ministerium für Religiöse
Angelegenheiten wurde am 3. März 1924 in Ankara aufgrund des Gesetzes Nr. 429 als dem Ministerpräsidenten
unterstellte Institution geschaffen, >die über die Lehre der islamischen Religion und ihren Kultus entscheiden,
die diesbezüglichen Amtsgeschäfte versehen und religiöse Einrichtungen führen< sollte. In Artikel 136 der
neuen, 1982 verabschiedeten Verfassung heißt es ergänzend zu den Zielen der Institution: >Das Ministerium für
Religiöse Angelegenheiten versieht seine Aufgaben jenseits irgendeines politischen Denkens auf Grundlage des
laizistischen Prinzips im Dienste des Zusammenhalts und der Einheit der Nation<“. Gür 1993: 18.
145
Seite 37 von 76
etablierte sich erst Anfang der 80er Jahre – also vergleichsweise spät – in Deutschland, erreichte aber
schnell seine starke Stellung unter den islamischen Verbänden und hält sie bis heute. Das erzeugt eine
in mehrfacher Hinsicht paradoxe Situation.
Schon aus den oben genannten Zahlen wird deutlich, dass von allen islamischen Verbänden in
Deutschland allein DITIB beanspruchen kann, mehr als nur einen kleinen Bruchteil der deutschen
Muslime organisiert zu haben. Es gibt allerdings eine Reihe von Gründen, die dafür sprechen, dass der
Erfolg von DITIB sich genau der Verbindung verdankt, die der Verband in der deutschen
Öffentlichkeit gerne herunterspielt, nämlich seiner Verankerung im Ministerium für Religiöse
Angelegenheiten der Türkei (DIYANET). Zu Recht erwähnt das Zentrum für Türkeistudien „das hohe
Vertrauen, das das >türkische Modell< mit der staatlichen Verwaltung der religiösen
Infrastruktur“153 unter den türkischstämmigen Migranten genießt. Mit anderen Worten, eine
vergleichsweise große Zahl der türkischstämmigen Muslime favorisiert DITIB, weil er für die Form
eines staatlich kontrollierten Islam steht, die sie kennen und der sie vertrauen. In dieselbe Richtung
weist ein weiteres Resultat der bereits mehrfach zitierten Umfrage: In Antwort auf die Frage „Wer
sollte für den Inhalt des Islamunterrichts verantwortlich sein?“154 befürworteten 50,5% der Befragten
„die Einsetzung einer Kommission aus Vertretern der deutschen Schulbehörden, islamischer
Organisationen und des türkischen Staates, auch wenn ein solches Modell realistisch nicht eingesetzt
werden kann“.155 Dazu meint das Zentrum für Türkeistudien:
„Offensichtlich glaubt man durch diese Dreier-Kommission am ehesten den wahren Islam, der aber
zugleich frei von fundamentalistischen Strömungen ist, zu garantieren“.156
Doch die Stärke von DITIB – seine Verbindung zum laizistischen türkischen Staat – ist auch seine
Schwäche. Die Abhängigkeit von den aus der Türkei entsandten Imamen im türkischen Staatsdienst157
festigt auf Dauer die Bindung an die andere Säule des staatlich-türkischen Selbstverständnisses,
nämlich den Nationalismus, der auch in den z.B. in Bayern verwendeten Lehrplänen des
„Ministeriums für religiöse Angelegenheiten“ deutlichen Ausdruck findet.158 Damit verbunden ist ein
Alleinvertretungsanspruch, der in vielerlei Form zum Ausdruck kommt.159 Es ist schon deshalb als
152
Vgl. weiterhin z.B. Dietrich 2006: 154f, Engelbrecht 1998: 103ff, Lemmen 2005: 186 oder Beobachtungen,
wie beispielsweise, dass DITIB beim runden Tisch der Niedersächsischen Landesregierung zum Thema
„islamischer Religionsunterricht“ von Beamten des türkischen Konsulats vertreten wurde (Kiefer und Reichmuth
2006: Endnote 8).
153
Zentrum für Türkeistudien 2005: 59.
154
A.a.O.: 87.
155
A.a.O.: 54.
156
A.a.O.
157
Goldberg, Halm und Şen 2004: 104.
158
Vgl. Kiefer 2006: 16. „In den einschlägigen Richtlinien findet sich für die Jahrgangsstufen 1 bis 3 die
Aussage, wonach die Religion die Forderung >Wir lieben unser Vaterland< an einen Muslim stelle. Für die
Jahrgangsstufen 4 und 5 ist als Unterrichtseinheit IV >Liebe zum Vaterland< vorgesehen. Um welches Vaterland
es sich handelt, zeigt die Ausführung: >Auch im Ausland denken wir an unsere Heimat<“ (Rohe 2001: 156, in
Zitation des Amtsblattes des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus).
159
Vgl. Dahling-Sander 2005
Seite 38 von 76
überaus unwahrscheinlich einzuschätzen, dass DITIB tatsächlich bereit ist, mit anderen Verbänden
eine Verbindung einzugehen, die mehr als strategischer Natur ist und die tatsächlich die
grundgesetzliche Verpflichtung einer „Gewähr der Dauer“ erfüllt.
Was das oben skizzierte Spektrum an muslimischen Identitätskonstruktionen betrifft, so finden sich
bei DITIB zunächst einmal die überzeugten Laizisten unter den türkischstämmigen Muslimen. Neben
ihnen ist aber auch ein guter Teil von Anhängern einer laizistisch gewendeten „türkisch-islamischen
Synthese dort vertreten. Hier schlägt sich die eben skizzierte Verklammerung des türkischen
Laizismus mit dem türkischen Nationalismus nieder. Aufgrund der de facto Abhängigkeit des
Verbands vom türkischen Staat sind freilich die nationalistischen Wertbestände so tief in die Struktur
von DITIB eingewoben, dass der integrative Wert, den die laizistische Position aus der Perspektive der
Zuwanderungsgesellschaft ohne Zweifel besitzt, dadurch praktisch aufgewogen wird. Dies ist ein
zentrales Problem im Kontext der muslimischen Diskurse in Deutschland, das durch die öffentliche
Fokussierung auf die ‚Islamismusdebatte’ aus dem Blick zu geraten droht. Ein aus Sicht der
Zuwanderungsgesellschaft noch so wünschenswerter Laizismus kann wenig zur Integration beitragen,
wenn er um den Preis einer nachhaltigen und im Fall von DITIB strukturell praktisch unauflöslich
verankerten türkisch-nationalistischen Identitätskonstruktion in dem in Abschnitt 2.2.3.3 definierten
Sinne erkauft wird.
2.2.4.2
IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüş)
Neben DITIB als quasi ‚halbstaatlichem’ Verband existiert in Deutschland eine ganze Reihe von
privater Seite initiierten und geführten türkisch-islamischen Verbänden. Angesichts der Tatsache, dass
diese Verbände in der Literatur über die letzten Dekaden breit und ausführlich dokumentiert
wurden,160 soll hier exemplarisch nur die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüş“ portraitiert werden,
da sie der größte von ihnen ist.
In mehrfacher Hinsicht ist die IGMG, bekannter als „Milli Görüş“ (nationale Sicht) die schillerndste
Organisation der hier zu skizzierenden. 1976 gegründet161 steht sie nach übereinstimmender Aussage
der beobachtenden Wissenschaftler in einer engen Verbindung zu Necmettin Erbakan und den von
ihm gegründeten und geleiteten Parteien.162 Es wurde die „Sympathie seitens des Verbandes nie
bestritten, wohl aber eine organisatorische Verflechtung. Zur jetzigen türkischen Regierungspartei hat
Milli Görüş ebenfalls enge Verbindungen“.163 Die IGMG ist die einzige größere türkisch-islamische
Organisation, die unter kontinuierlicher Beobachtung des Verfassungsschutzes steht.164 Bezüglich des
160
Vgl. z.B. Binswanger und Sipahioğlu 1988, Dietrich 2006, Goldberg, Halm und Şen 2004, Gür 1993,
Heitmeyer et al. (Hg.) 1996, Heitmeyer et al. 1997, Lemmen 2000 und 2005, Schiffauer 1997 und 2000,
Zentrum für Türkeistudien 1997 u.a.
161
Goldberg, Halm und Şen 2004: 105.
162
Vgl. z.B. Heitmeyer et al. 1997.
163
Goldberg, Halm und Şen 2004: 105.
164
Vgl. Bundesministerium des Innern (Hg.) 2006a: 215-222.
Seite 39 von 76
Themas ‚islamischer Religionsunterricht’ kam die IGMG in die Schlagzeilen, denn die „Islamische
Föderation“, die seit 2001 für die Erteilung des islamischen Religionsunterrichts im Bundesland Berlin
zuständig ist, „gilt als verknüpft mit Milli Görüş und wird als fundamentalistisch eingestuft und vom
Verfassungsschutz beobachtet“.165 Die IGMG ist Mitglied des „Islamrates für die Bundesrepublik
Deutschland“, des zweiten Dachverbands neben dem ZMD, den sie nicht nur „vor der
Bedeutungslosigkeit“ 166 bewahrt hat, sondern den sie auch als dessen mit Abstand größter Verband
nachhaltig prägt.167 Weiterhin ist die IGMG eng mit der Zeitung „Milli Gazete“ verbunden.168
Inhaltlich kommt der Verfassungsschutzbericht zu dem Schluss, dass die von Milli Görüş vertretenden
Überzeugungen „die islamische Zivilisation in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu den westlichen
Gesellschaftssystemen sieht“.169 Gleichwohl bescheinigen eine Reihe von Autoren, dass innerhalb der
Vereine der IGMG eine größere Bandbreite an Meinungen und Positionen existiert und auch eine –
zumindest gewisse – Distanz zu den Überzeugungen des Verbandes durchaus möglich ist.170 Bezogen
auf die oben skizzierten Identitätskonstruktionen lässt sich dieser Befund in gewisser Weise
bestätigen. Es finden sich hier sowohl traditionalistisch-nationalistische als auch universalistische
Positionen in großer Breite. Was sie verbindet, ist jedoch eine eindeutige Sympathie für eine
Auflösung der Trennung zwischen Religion und Politik, sowohl in der Türkei als auch in Deutschland.
Dies summiert ein junger Muslim pointiert so:
„Also die Diyanet-Moschee ist gut für die Alten, die wegen Atatürk nicht mehr gläubig waren. Sie
gehen dorthin. Das ist gut für sie. Aber das ist zu weich, ein zu softer Islam. Bei Milli Görüş ist es
besser. Die sagen ehrlich, was sie denken. Sie wissen auch, daß man Politik und Religion nicht trennen
kann“.171
Schon aus historischen Gründen (vgl. Abschnitt 2.2.1) ist die Wiederverbindung von Politik und
Religion ein entscheidender Faktor im Selbstverständnis der meisten großen ‚privaten’ türkischislamischen Verbände. Wie sie vollzogen werden soll und welche institutionelle Gestalt sie annehmen
soll, ist dabei der entscheidende Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen, die von einer Reihe
von Autoren zumindest als offen eingestuft werden.172 Freilich haben sich die meisten der Verbände –
z.T. vielfach – zur Einhaltung der deutschen Gesetze bekannt und ihre Bereitschaft zum Dialog und
165
Zft Aktuell 107/2005: 10f. Vergleiche dazu auch Dantschke 2006, sowie Busch (Hg.) 2000.
Dietrich 2006: 171.
167
A.a.O.
168
Vgl. Bundesministerium des Innern (Hg.) 2006a: A.a.O.
169
A.a.O.: 221. Auch das Zentrum für Türkeistudien kommt zu dem Fazit dass das in den Publikationen der
IGMG vermittelte Weltbild „stark dichotomisch geprägt ist. Auf der einen Seite steht der Westen bzw. Europa,
auf der anderen Seite stehen die Muslime“ (Zentrum für Türkeistudien 1997: 129). Selbst jüngste
Veröffentlichungen stellen fest, dass die Ziele des Verbandes „eher ein Nebeneinander als eine Verschmelzung
der Kulturen“ repräsentieren (Goldberg, Halm und Şen 2004: 106).
170
Vgl. z.B. die Portraits zweier junger Männer, die Mitglieder eines Jugendclubs von IGMG sind, bei Tietze
2001: 56-63. Ähnlich auch Dietrich 2006: 156.
171
Interview mit einem jungen türkischstämmigen Muslim, vgl. Tietze 2001: 166.
172
Vgl. u.a. Vgl. z.B. Binswanger und Sipahioğlu 1988, Heitmeyer et al. (Hg.) 1996, Heitmeyer et al. 1997,
Schiffauer 1997 und 2000.
166
Seite 40 von 76
zur Zuwendung zur deutschen Gesellschaft auch z.T. in langjähriger, zumindest lokaler Kooperation
unter Beweis gestellt. So ist Mathias Rohe Recht zu geben, der konstatiert, eine Zusammenarbeit im
Rahmen
des
korporatistischen
Modells
sei
in
jedem
Fall
abzulehnen,
„wenn
die
Religionsgemeinschaft auf die Verwirklichung einer theokratischen Herrschaft hinwirkt“,173 dann aber
ergänzt: „Maßstab ist bei all diesen Voraussetzungen nicht der Glauben, sondern das Verhalten der
Religionsgemeinschaft“.174
2.2.4.3
ZMD (Zentralrat der Muslime in Deutschland)
Anders als die türkisch-islamischen Verbände versteht sich der ZMD als ein Dachverband, der von
den Herkunftsländern seiner Mitglieder unabhängig die Aktivitäten der Muslime in Deutschland
bündeln will. Hervorgegangen ist er aus dem 1986 gegründeten Islamischen Arbeitskreis,175 in dem
tatsächlich einige Jahre die größten Verbände vereinigt waren. Freilich wurde die Reichweite des
Dachverbandes durch die Austritte von IGMG (1993), DITIB (1994) und VIKZ (2000) stark
geschwächt, so dass der Verband nun nur noch für eine minimale Zahl tatsächlicher Mitglieder
sprechen kann. Der ZMD kann als typisch für Versuche gelten, in Deutschland über die Grenzen
zwischen den türkisch-islamischen Verbänden hinweg eine gemeinsame Interessenvertretung zu
begründen und gleichzeitig die Bedenken der Zuwanderergesellschaft gegen die Demokratiefähigkeit
der Muslime auszuräumen, so z.B. durch die von ihm verabschiedete „Islamische Charta“.176 Dabei
wirkt es nur auf den ersten Blick paradox, dass sowohl der frühere als auch der jetzige Vorsitzende die
Chancen der Formung eines einheitlichen islamischen Verbandes in Deutschland überaus skeptisch
beurteilen. So meint Nadeem Elyas, ehemaliger Vorsitzender zu den Chancen, DITIB und IGMG
zurück in den ZMD zu bringen:
„Das Wiedergewinnen der beiden Organisationen für den ZMD ist genauso unrealistisch wie das
Einbringen aller islamischen Organisationen unter das Dach irgendeiner sonstigen vorhandenen
Struktur“.177
Personell rekrutieren sich die Funktionäre der Dachverbände aus der relativ kleinen Gruppe von
deutschen, nichttürkischen und – zumindest in jüngerer Zeit – auch zunehmend türkischstämmigen
Muslimen, die einen deutschsprachigen islamischen Diskurs befürworten und durch z.T. langjährige
Arbeit mit hohem persönlichen Einsatz fördern. Schon der Kontext legt nahe, dass türkisch173
Rohe 2001: 203.
A.a.O.
175
Elias 2005: 14.
176
http://www.zentralrat.de/3035.php
177
Elyas 2005: 14. An dieser Stelle schildert Elyas auch neuere Bemühungen des ZMD um eine Organisation
der deutschen Muslime. Der jetzige ZMD Vorstand Axel Ayyub Köhler wird in seiner Kritik der türkischislamischen Verbände noch deutlicher: „Selbst konstruktive Kritik an den Maßnahmen, den Finanzen und den
Umgangsformen der Funktionäre gilt als Verrat am Islam – so predigen es die Funktionäre schon seit
Generationen und haben sich damit unangreifbar gemacht ... In den meisten Gruppierungen ist die Kontrolle
durch die Gemeinschaft von den Funktionären tabuisiert“. (Köhler 1997, zitiert nach Dantschke 2006: 119).
Freilich finden sich „undurchsichtige Strukturen“ (Dietrich 2006: 150) zumindest in organisatorischer Hinsicht
auch bei den Mitgliedseinrichtungen des ZMD und des Islamrats (a.a.O.: 150ff).
174
Seite 41 von 76
nationalistische Identitätskonstruktionen hier kaum zu finden sind, allerdings ist nicht ausgeschlossen,
dass solche Überzeugungen – insofern sie in zahlenmäßig großen Mitgliederorganisationen vertreten
werden – auch auf die Diskussionen im Dachverband durchschlagen. Ansonsten dominieren hier die
skizzierten universalistischen Identitätskonstruktionen in der ganzen Bandbreite dieses Spektrums.
Verglichen mit den türkisch-islamischen Verbänden liegen die Stärken des ZMD, des Islamrats und
des ganzen Spektrums der von deutschen und nichttürkischen Muslimen betriebenen Einrichtungen in
ihrer relativen Unabhängigkeit178 und in ihrer vergleichsweise hohen Kompetenz im Umgang mit der
deutschen Öffentlichkeit. Ungeachtet dessen weisen sie die Schwäche aller von den türkischislamischen Verbänden losgelösten Organisationen und Initiativen auf: Sie genießen zwar durch ihre
Übersetzer- und Vermittlerrolle eine vergleichsweise starke öffentliche Präsenz,179 können aber reale
Politik nicht an den türkisch-islamischen Verbänden vorbei betreiben, deren Positionen damit die
gesamte Landschaft nach wie vor entscheidend prägen.
2.2.4.4
Schura Niedersachsen
Die Schura Niedersachsen steht exemplarisch für eine neue Generation von muslimischen
Organisationen in Deutschland, die versuchen, den Strukturwandel (mit)zugestalten, der mit der
flächendeckenden Einführung eines islamischen Religionsunterrichts auf die muslimischen
Diskursfelder in Deutschland zukommen wird.180 Anders als bei den vorher skizzierten Organisationen
gibt es zu dieser neuen Gruppe von Verbänden noch vergleichsweise wenige analytische
Darstellungen.181 Bis auf die „Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V.“, die als einzige
ausschließlich natürliche Personen (also keine Verbände oder Vereine) als Mitglieder zulässt, folgen
jedoch auch diese Verbände dem üblichen Muster, sich als Dachorganisationen zu organisieren, nun
jedoch erkennbar mit dem zentralen Ziel, für die Kultusbehörden der Bundesländer den religiösen
Ansprechpartner für den islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache zu bilden. Schura
Niedersachen e.V.182 wurde 2002 „als Landesverband der Muslime in Niedersachsen gegründet“183
und beanspruchte nach der Gründung „ca. 90 Prozent der Muslime in unserem Bundesland über ihre
178
Allerdings weist z.B. Dietrich darauf hin, dass auch eine ganze Reihe nicht türkisch-islamischer
Organisationen Verbindungen „zu ausländischen Staaten und Organisationen“ aufweisen (Dietrich 2006: 154.).
179
Vgl. dazu vertieft Engelbrecht 2006a.
180
„Die bedeutendsten Zusammenschlüsse sind: Islamische Religionsgemeinschaft Schleswig-Holstein (2000
gegründet; 13 Mitglieder); SCHURA – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. (1999 gegründet;
37 Mitglieder); SCHURA Niedersachsen – Landesverband der Muslime in Niedersachsen e.V. (2002
gegründet); Islamische Religionsgemeinschaft Hessen e.V. [IRH] (1997 gegründet 11 000 natürliche Personen);
Zentralrat der Muslime in Baden-Württemberg e.V. (1994 gegründet; 60 Mitglieder); Islamische
Religionsgemeinschaft in Bayern e.V.) (2001 gegründet; 19 Mitglieder). In der Islamischen
Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg e.V. (IGBW) haben sich neuerdings die drei Antragsteller für die
Einführung islamischen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg (Institut für Islamische Erziehung e.V.;
Islamische Gemeinde in Baden-Württemberg e.V.; Zentralrat der Muslime in Baden-Württemberg e.V.)
zusammengeschlossen. (Lemmen 2005: 185).
181
Eine eingehendere Darstellung einer Reihe dieser Verbände liefert z.B. Dietrich 2006.
182
„Schura, ein arabisches Wort aus dem Quran, heißt soviel wie Beratung oder Ratsversammlung“ (Dogramaci
2003: 19).
183
A.a.O.
Seite 42 von 76
mitwirkenden Moscheegemeinden erfasst“184 zu haben. Wird DITIB 2003 noch als „assoziiert“
geführt185 so wird aus neueren Äußerungen deutlich, dass die Verbindung mittlerweile nicht mehr
existiert.186
Die Spektrum der inhaltlichen Diskurse innerhalb dieser Verbände ist derzeit noch schwer
auszumachen. Die Tatsache allerdings, dass sie selbst wiederum Dachverbandscharakter aufweisen,
legt die Vermutung nahe, dass die jeweils in den zahlenmäßig stärksten Mitgliederverbänden
vertretenen Positionen auch die Position des Dachverbandes prägen. Insofern lässt sich davon
ausgehen, dass – wenn deutsch und nichttürkisch geführte Einrichtungen überwiegen –
universalistische Positionen und eher traditionalistische Positionen aus den anderen muslimischen
Herkunftsländern vorherrschen. Sobald türkisch-islamische Vereine hinzukommen, treten türkischtraditionalistische und nationalistische Konstruktionen zumindest neben sie. Dass die Fragen des
Politikverständnisses und der sozialen Kontrolle individueller Frömmigkeit auch in diesen Verbänden
heftig diskutiert werden, wird an vielen Stellen deutlich. So schloss ein Funktionär der Schura
Niedersachsen einen Beitrag zum Modellversuch für islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen
mit einem Aufruf ab, der die Vielschichtigkeit des Problems dokumentiert:
„Wir wollen dann gern in den Predigten zum Freitagsgebet in den Moscheen den Gläubigen sagen
können: bitte schickt die Kinder in diesen Unterricht. Es ist ursprünglicher Islam, kein verschnittener
Euro-Islam, ihr könnt euch auf die Lehrer und Lehrerinnen als Vorbilder im Glauben verlassen.“187
In der Tat ist die Frage des Vertrauens der Eltern in die Lehrer des islamischen Religionsunterrichts
eine der wichtigsten und zumindest in der Einrichtungsphase auch umstrittensten Fragen des
Problems. Die polemische Gegensatzbildung zwischen einem „ursprünglichen“ und einem
„verschnittenen Euro-Islam“ zeigt aber auch die ungebrochene Schärfe der Diskussion um die Fragen
des Politikverständnisses und der Frage der sozialen Kontrolle der individuellen Frömmigkeit.
Doch auch die neue Generation der auf die Bundesländer bezogenen Dachverbände hat das
Grundproblem nicht zu lösen vermocht, dass sie zwar für die Anbieterseite der muslimischen
Infrastruktur in Gestalt von Moscheen und Sondervereinigungen sprechen können, dass sich daraus
jedoch keineswegs zwangsläufig ableiten lässt, sie könnten damit auch für die muslimischen Nutzer
dieser Einrichtungen sprechen, von den Nichtnutzern ganz zu schweigen. Noch immer stehen die
Verbände – speziell dann, wenn DITIB wie meist einen eigenen Weg geht – nur für einen sich im
einstelligen Prozentbereich bewegenden Bruchteil der Muslime in Deutschland. Die jüngsten
Anstrengungen, eine einheitliche Struktur zu schaffen, haben – diesmal unter zumindest vorläufiger
Einbeziehung von DITIB – zur Gründung einer Koordinierungsstelle geführt.188 Der Dialogbeauftragte
184
A.a.O.
Dogramaci 2003: 20.
186
Altiner 2005: 43.
187
Dogramaci 2003: 26.
188
„Für einen richtigen Dachverband hat es am Ende allerdings nicht gereicht, nur für einen losen
185
Seite 43 von 76
von DITIB wird mit den Worten zitiert: „Wir sind stolz darauf, eine pluralistische Theologie zu
vertreten ... Nach islamischer Auffassung existieren mehrere Wahrheiten nebeneinander.“189 Der
derzeitige Vorsitzende des ZMD, Axel Ayyub Köhler, kommentiert: „Es hat sich gezeigt, dass ein
Alleinvertretungsanspruch nicht möglich ist“.190 Ein von der sich abzeichnenden flächendeckenden
Einführung des islamischen Religionsunterrichts forcierter Zusammenschluss der Verbände scheint
also kurz- und mindestens mittelfristig nicht möglich zu sein, oder dürfte – falls er wider Erwarten
doch gelingt – in erster Linie als politisches Zweckbündnis zu bewerten sein und kaum „die Gewähr
der Dauer“191 bieten, die die grundgesetzlichen Bestimmungen verlangen.
Freilich scheint ein forcierter Zusammenschluss der Verbände weder ratsam noch notwendig. Geht
man von dem in Abschnitt 2.2 skizzierten Pluralismus auf der Ebene der einzelnen Gläubigen und von
dem von den Vertretern selbst dokumentierten religiösen Pluralismus auf Verbandsebene aus, dann
weisen die muslimischen Diskurse auf der Ebene der Einrichtungen und religiösen Angebote eine
deutliche Marktstruktur auf. Der sich daraus fast zwangsläufig ableitenden Strategie, auf diesem Markt
um feste Verbandsmitglieder zu konkurrieren, entziehen sich die Verbände mit der durchgängigen
Argumentation, eine feste Mitgliedschaft entspräche nicht dem ‚Wesen’ des Islam. So meint
beispielsweise ein Vertreter der Schura Niedersachsen in paradigmatischer Weise:
„Jedoch hat sich der Islam von Anfang an, weltweit und so auch in Deutschland ohne kirchenartige
Strukturen und mithin ohne Mitgliedschaft, etwa durch Taufe, entwickelt. Dies ist für ihn
wesenstypisch. Eine Verkirchlichung aus Verwaltungszwängen wird es keinesfalls geben; ihre
Herbeiführung als Voraussetzung für den IRU wäre wohl kaum von der Religionsfreiheit nach Art. 4
GG gedeckt“.192
Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht zu hinterfragen. Zunächst ist sie als ein typisches
Beispiel für die von Hans Kippenberg beklagte „Verdinglichung“193 des Identitätsbegriffs zu sehen,
eine Verdinglichung sozial im Kern fließender Formen, die nicht selten von wissenschaftlicher Seite
übernommen wird. Dem hält Irene Schneider entgegen:
„Eine einzig gültige, essentialistisch zeitlich und regional unveränderliche Form des Islam gibt es
nicht“.194
Zwar ist dem Zentrum für Türkeistudien Recht zu geben, wenn es darauf hinweist, dass die
Moscheevereine „sich eher in der Tradition der islamischen Stiftungen“195 sehen; eine organisatorische
Anpassung an andere Umstände jedoch aus einem statischen ‚Wesensbegriff’ abzulehnen, muss als
Kooperationsverbund von vier großen Organisationen“ (Driessen 2007, gemeint sind: DITIB, ZMD, Islamrat
und VIKZ, A.a.O.).
189
A.a.O.
190
A.a.O.
191
3. Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 WRV zitiert nach Zinser 2002: 71f.
192
Vladi 2003: 71. Vgl. auch Altiner 2005: 45.
193
Kippenberg 2002: 23.
194
Schneider 2005: 61.
195
Zentrum für Türkeistudien 1997: 107.
Seite 44 von 76
Argument von deutscher Seite nicht akzeptiert werden. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass hinter
der stereotypen Argumentation mehrere ganz konkrete Schwierigkeiten stecken. Zunächst würde der
Versuch vor allem kleinerer Verbände oder gar einzelner Moschevereine, flächige Mitgliederwerbung
und –betreuung zu betreiben, um damit die behauptete Stärke zahlenmäßig zu erhärten, eine völlige
logistische, finanzielle und personelle Überforderung darstellen. Zum zweiten ist aber auch damit zu
rechnen, dass solche Initiativen selbst bei intensivem Aufwand nur spärliche Früchte tragen. Dies liegt
daran, dass viele Muslime die Einrichtungen islamischer Verbände zwar nutzen und speziell die von
ihnen persönlich besuchten Einrichtungen auch z.T. mit nicht unbeträchtlichen Spenden zu
unterstützen bereit sind, aber mit der Verbandspolitik und/oder Theologie keineswegs so stark
übereinstimmen, dass sie zu einem für sie selbst verbindlichen Beitritt bereit wären. Um die am
Anfang des Abschnitts wiedergegebenen Zahlen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: Bei der 2005
vom Zentrum für Türkeistudien gestellten Frage nach der Zustimmung zu den von den Verbänden
vertretenen Positionen kam – selbst unter Einbeziehung der bereits verbandlich organisierten Muslime
– nur DITIB mit 51,5% auf eine bedeutende Zustimmungsrate.196 24,3% der Muslime fühlten sich
inhaltlich von gar keinem Verband repräsentiert und keiner der kleineren Verbände kam auf eine
Zustimmung von über 3%. Die Zurückhaltung gegenüber der Anforderung von deutscher Seite, die
Verbände sollten sich schon wenigstens aus Gründen der Planungssicherheit197 um feste,
flächendeckende Mitgliedschaften bemühen, wird vor dem Hintergrund dieser Sachverhalte besser
verständlich.
2.3
Zwischenfazit
Der Überblick über die historischen Hintergründe, die Strukturen und das Meinungs- und
Glaubensspektrum der Muslime in Deutschland macht trotz seiner Kürze und Skizzenhaftigkeit eines
deutlich: Die muslimischen Diskurse und die muslimische Verbandslandschaft in Deutschland sind in
unablässiger, sich weit mehr pluralisierender als vereinheitlichender Bewegung. Gleichzeitig wurde
auch die Bedeutung der islamischen Verbände in diesem Kontext beschrieben: In ihrer Funktion als
Anbieter religiöse Infrastruktur haben sie einen festen und dauerhaften Platz in der Landschaft der
deutschen Muslime. Freilich sind die Mehrzahl von ihnen nach wie vor weit eher religiös-kulturellnational ausgerichtete landsmannschaftliche Organisationen, was schon darin seinen Ausdruck findet,
dass die Sprache des Herkunftslandes – also in den meisten Fällen türkisch – nach wie vor die
Verkehrssprache in den Moscheen ist. Thomas Lemmen fasst diese entscheidenden, aber in der
öffentlichen ‚Islamismusdebatte’ meist untergehenden Aspekte zusammen:
„In türkische Moscheen gehen zumeist nur türkische Muslime; Vertreter anderer Nationalitäten sind
selten dort anzutreffen. Die Gründe sind zum einen darin zu sehen, dass die Moscheen nach wie vor
196
Zentrum für Türkeistudien 2005: 39f.
„Ferner haben die Muslime einen formalen Bekenntnisnachweis zu entwickeln, der das Land in die Lage
versetzt, Planungssicherheiten in Bezug auf die personellen Ressourcen sowie inhaltlichen Vorgaben für einen
solchen Unterricht zu schaffen und für die Schulen herzustellen.“ (Erpenbeck und Windolph 2005: 52).
197
Seite 45 von 76
die Funktion von Heimat- oder Kulturvereinen erfüllen ... Die verschiedenen Verbände sind als
Ableger entsprechender Mutterorganisationen in den Heimatländern der ursprünglich zugewanderten
Muslime zu betrachten. Dies gilt sowohl für die großen türkischen als auch für die Verbände anderer
Nationalitäten“.198
DITIB, der einzige Verband, der tatsächlich beanspruchen kann, einen relevanten Teil der Muslime in
Deutschland zu repräsentieren, ist de facto vom türkischen Religionsministerium gelenkt. Er verdankt
die flächige Zustimmung, die ihm zuteil wird, in erster Linie dieser Verbindung und dem Vertrauen,
das die Mehrzahl der türkischstämmigen Muslime in Deutschland dem türkischen Modell „mit der
staatlichen Verwaltung der religiösen Infrastruktur“199 entgegen bringt. Gerade diese Verflechtung mit
dem türkischen Staat lässt ihn aber als Kandidat für die Trägerschaft eines grundgesetzgemäßen
islamischen Religionsunterrichts ausscheiden. Rolf Bade stellt völlig zu Recht fest, dass es nicht mit
dem Grundgesetz vereinbar ist, „wenn ausländische staatliche Stellen den konfessionellen
Religionsunterricht durch mit ihnen organisatorisch verbundene Vereinigungen in Deutschland
inhaltlich mitgestalten wollen“.200
Die älteren und neueren Dachverbände auf Bundes- und Landesebene versuchen – in der Regel
geleitet und theologisch inspiriert von deutschen Konvertiten oder religiös virtuosen Migranten aus
anderen Herkunftsländern – verbandliche Infrastrukturen aufzubauen, die die Anforderungen des
„korporatistischen Angebots“201 besser erfüllen als die viel größeren und in der muslimischen
Community einflussreicheren türkisch-islamischen Verbände. Die Rolle von Verbänden wie dem
ZMD als Ansprechpartner, Übersetzer und Vermittler gibt ihnen zwar einen deutlich über ihre Größe
hinausgehende öffentliche Bedeutung, sie stehen selbst aber nur für einen winzigen Teil des
muslimischen Diskursfeldes.
Jenseits der Organisationen breitet sich dieses Feld muslimischer Überzeugungen unterschiedlichster
Art aus, in dem jedoch die Probleme der türkisch-islamischen Migrantencommunity mit den religiösen
Fragen ein eng verfilztes und in ständiger Bewegung befindliches Problemgemenge ergeben. Vor
allem die Frage der türkisch-nationalistischen Identitätskonstruktionen unter den Migranten wird dabei
in ihrer Bedeutung häufig unterschätzt. Aber auch auf der ‚rein’ religiösen Ebene ist viel in
Bewegung, vor allem unter der zweiten Generation der muslimischen Zuwanderer. Der Islam als
grundlegende religiöse Lebensorientierung bildet dabei für viele einen zentralen Bezugspunkt, um
zwischen den Anforderungen der Zuwanderungsgesellschaft, der eigenen Familie und der
Migrantencommunity einen eigenständigen Weg zu finden. Welchen Weg sich die Muslime der
jüngeren Generationen dabei suchen, hängt jedoch auch in entscheidender Weise von der
Sprachkompetenz und der Bildung ab.
198
Lemmen: 2005: 184.
Vgl. Zentrum für Türkeistudien 2005: 59.
200
Bade 2006: 30.
201
König 2005.
199
Seite 46 von 76
3
Das ‚Erlanger Modell’ als Beispiel einer erfolgreichen Co-Konstruktion von
Muslimen, akademischem und behördlichen Diskurs
In dieser Situation kommt der Größe ‚islamischer Religionsunterricht’ in Zukunft in vielfacher
Hinsicht eine richtungsweisende Funktion zu. Neben dem Raum der Familie und der
Migrantencommunity und neben dem Raum der Moschee eröffnet sich mit dem Religionsunterricht
nicht einfach nur eine weitere Säule islamischer Diskurse, sondern zum ersten Mal ein völlig neuer
Raum islamischen Denkens und Lernens für die jüngeren Generationen. Nicht wenige von den
Kindern machen in diesem Raum zum ersten Mal die Erfahrung, dass es möglich ist, ‚Islam’ in
deutscher Sprache zu denken und deutsch über Islam zu reden. Sie finden mit dem Religionslehrer
oder der Religionslehrerin einen neuen Ansprechpartner, der ihnen eine zusätzliche Perspektive auf
das eigene Lebensumfeld ermöglicht und dies auf der Basis eines mit den Eltern geteilten
Wertesystems. Diese Linie setzt sich mit dem Studium islamischer Religionslehre fort. In konstantem
Dialog mit anderen Fächern – z.B. den Islamwissenschaften, der christlichen Religionspädagogik etc.
– bietet sich den Studierenden hier ein Diskursraum, der zum ersten mal losgelöst ist von den
Diskursräumen der Migrantencommunity, in dem aber auch die Möglichkeit besteht, die eigene
religiöse Tradition professionell und theologisch kompetent zu erschließen.
3.1
Überblick über die aktuellen Anstrengungen bezüglich islamischen Religionsunterrichts in den
einzelnen Bundesländern
Um das Erlanger Modell und die allgemeinen Problematiken, die sich im Rahmen der Einrichtung
dieses Faches ergeben, besser in die aktuellen Bemühungen um einen ‚konfessionellen’ islamischen
Religionsunterricht in den verschiedenen Bundesländern einordnen zu können, soll zunächst ein
Überblick über die Modelle in den verschiedenen Bundesländern gegeben werden. Dabei folgt die
Darstellung im wesentlichen einer Zusammenfassung von Michael Kiefer202, die punktuell ergänzt
wird.
Die erste große Gruppe der Unterrichtsformen wird von den muttersprachlichen Angeboten gebildet.
Die älteste Form ist der „Konsularunterricht“203, der in der Verantwortung der diplomatischen und
konsularischen Vertretungen der Herkunftsländer steht und an nichtöffentlichen Schulen in der
Herkunftssprache erteilt wird.204 Anders als dieser Unterricht, auf den die jeweiligen Bundesländer
keinerlei Einfluss haben, wird die „Religiöse Unterweisung für muslimische Schülerinnen und Schüler
im Rahmen des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts“ in der Verantwortung der Bundesländer
durchgeführt.205 Beide gelten nach Kiefer als überholt, da sie zum einen in der Sprache der
202
Kiefer 2006.
A.a.O.: 15.
204
A.a.O.: 16. Unterrichtsformen dieser Art werden z.B. in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Berlin und
im Saarland erteilt (a.a.O.: 15).
205
Sie wird derzeit in Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erteilt (a.a.O.).
203
Seite 47 von 76
Herkunftsländer und zum anderen unter der inhaltlichen Prämisse der „Rückkehrorientierung“
durchgeführt werden.206 In Bayern existiert ein ähnliches Modell, die „Religiöse Unterweisung
türkischer Schüler islamischen Glaubens“, das ebenfalls in türkischer Sprache angeboten wird und
dessen Lehrpläne und Schulbücher sich an Vorgaben des Ministeriums für nationale Erziehung der
Türkei orientieren.207 Auch dieser Schulversuch gilt, so Kiefer, aus „integrationspolitischer Sicht als
problematisch“.208
In Bayern gibt es noch ein parallel angelegtes Angebot in deutscher Sprache, das als Modellprojekt an
14 Schulen durchgeführt wird.209 Dieses ist bereits zum zweiten Typ zu rechnen, den islamkundlichen
Unterrichtsformen in Deutsch. Neben einem kleineren Schulversuch in Bremen210 ist hier vor allem
die „Islamkunde in deutscher Sprache“ des Landes Nordrhein-Westfalen zu nennen.211 Sie ist der
bislang größte Versuch eines deutschsprachigen Angebots für Muslime in Deutschland und wurde von
Michael Kiefer in einer Studie ausgiebig evaluiert212 – speziell auch unter dem Gesichtspunkt der
Haltungen der Eltern zum Unterricht, weswegen die wichtigsten Ergebnisse hier kurz wiedergegeben
werden.
Die „Islamkunde in deutscher Sprache“ in Nordrhein-Westfalen ist „religionskundlich konzipiert, also
kein >ordentlicher Religionsunterricht< gemäß Artikel 7,3 des Grundgesetzes“.213 Sie wurde im Jahr
2005 an ca. 110 Schulen erteilt und erreichte 9000 Schülerinnen und Schüler von ca. 100 000
möglichen Schülern in Nordrhein-Westfalen. Die Anmeldungsquote lag im Schuljahr 1999/2000 unter
den türkischstämmigen Muslimen bei 84 %, bezogen auf sämtliche Muslime bei 73,2%.214
Anders als in anderen Bundesländern haben in Nordrhein-Westfalen die Kultusbehörden bei der
Lehrplanentwicklung aufgrund der gesetzlichen Regelungen eine sehr starke Stellung: Sie entwickeln
den Lehrplan selbst – ggf. bezogen auf eine Vorlage der Religionsgemeinschaft. Der Lehrplan wird
dann zwar der Religionsgemeinschaft zur Genehmigung vorgelegt, diese bezieht sich aber nur auf die
„Aussagen zur Glaubens- und Sittenlehre der Religionsgemeinschaft, nicht jedoch auf Inhalte, die der
staatliche Religionsunterricht aus staatlicher Sicht darüber hinaus für notwendig hält.“215
Die Ergebnisse der von Michael Kiefer durchgeführten Befragung von 153 muslimischen Eltern,216
deren Kinder an der Islamkunde in Nordrhein-Westfalen teilnehmen stimmen weitgehend mit in den
Abschnitten 2.2.2.2 und 2.2.4 skizzierten Ergebnissen überein, vertiefen sie aber noch in wichtigen
206
A.a.O.
A.a.O., vgl. auch Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung 2000: 34.
208
Kiefer 2006: 16.
209
A.a.O.: 17, auch Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung 2000: 34f.
210
Kiefer 2006: 17.
211
A.a.O.
212
Kiefer 2005.
213
Gebauer 2006: 25. Vgl. zum Unterschied zwischen beiden Unterrichtsformen Abschnitt 3.2.2.2.
214
Kiefer 2005: 176.
215
Gebauer 2006: 33. Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Islamkunde in NRW auch Schiffauer 1997: 50-70.
216
A.a.O.: 196.
207
Seite 48 von 76
Aspekten. Wie zu erwarten bildeten mit 87,6% türkischstämmige Migranten die große Mehrzahl der
Befragten, von denen wiederum 82,3% bereits länger als 10 Jahre in Deutschland leben.217 Lediglich
17,3% von ihnen besitzen jedoch einen deutschen Pass.218 Gefragt nach der Häufigkeit des
Moscheebesuchs als Index für die persönliche religiöse Haltung gaben 65 % an, Moscheen
„gelegentlich“ oder seltener aufzusuchen.219 Von den Kindern, die den Unterricht besuchen, nehmen
58,2 % gleichzeitig am Koranunterricht in einer Moschee teil.220
Die Frage, ob sie mit der Durchführung der „Islamischen Unterweisung“221 in deutscher Sprache
einverstanden seien, beantworteten 61,4 % der Eltern mit ‚Ja’. Von denen, die die deutsche Sprache
ablehnten, votierten 95% für türkisch als Unterrichtssprache.222 Interessanter Weise gaben 51% der
Eltern an, den Unterschied zwischen „Islamischer Unterweisung“ und islamischem Religionsunterricht
nicht zu kennen.223 Kiefer führt dies auf mangelnde Information von Seiten der Lehrerschaft zurück,224
es stellt sich aber auch die Frage, ob dieser Unterschied den Eltern nicht u.U. weniger bedeutsam
erscheint als den Fachleuten und den Verbandsfunktionären. Grundsätzlich wünschte sich die Hälfte
der Befragten in Zukunft eine Beteiligung der Islamischen Verbände225 und favorisierte dabei
wiederum DITIB (42,7% der Befragten, die eine Beteiligung wünschten).226
Die Befunde belegen zunächst die große Akzeptanz der Islamkunde unter den Muslimen, wobei auch
deutlich wird, dass die Feinheiten der Unterscheidung zwischen dieser Form und einem ‚richtigen’
Religionsunterricht an der Mehrzahl der Eltern vorbeigegangen sind. Allerdings identifiziert sich nur
die Hälfte der Eltern mit der deutschen Unterrichtssprache. Dies führt Kiefer vermutlich zu Recht auch
auf den Einfluss des Verbandes DITIB zurück, der bis zur Ministervereinbarung vom 11. Februar
2002227 die Überzeugung propagierte „der türkische Islam sei nur in türkischer Sprache zu
vermitteln“.228 Auch hier stößt man also wieder auf die enge Verschränkung von nationalistischen und
religiösen Argumentationen und Positionen, aber auch auf die Angst der ersten Generation, die zweite
Generation könne jenseits der ‚Sprachmauer’ unkontrollierbaren Einflüssen ausgesetzt sein.229
Die dritte Variante von Unterrichtsangeboten neben islamkundlichem Unterricht in der
Herkunftssprache oder in Deutsch wird von den Modellversuchen zu einem grundgesetzgemäßen
217
A.a.O.: 197.
A.a.O.
219
A.a.O.: 199.
220
A.a.O.: 201.
221
Die Umbenennung in „Islamkunde“ erfolgte erst 2005 (Gebauer 2006: 27).
222
Kiefer 2005: 201.
223
A.a.O.
224
A.a.O.
225
A.a.O.
226
A.a.O.: 202.
227
A.a.O.: 211.
228
A.a.O.
229
Vgl. a.a.O.
218
Seite 49 von 76
islamischen Religionsunterricht gebildet. Da ist zunächst der umstrittene „Sonderfall Berlin“230
Aufgrund der sogenannten „Bremer Klausel“ gilt in Berlin der Artikel 7 Abs. 3 nicht:
„Sofern an Berliner Schulen Religionsunterricht angeboten wird, liegt dieser in der alleinigen
Verantwortung der Religionsgemeinschaften. Es handelt sich faktisch um einen freiwilligen
Privatunterricht an öffentlichen Schulen ... In einem jahrelangen Rechtstreit gelang es der Islamischen
Föderation in Berlin e.V. (IFB), die wegen ihrer Nähe zur islamistisch orientierten Milli Görüş sehr
umstritten ist, im Jahr 1998 ihren Anspruch auf Erteilung von Religionsunterricht durchzusetzen.“231
Eine soziologische und/oder pädagogische empirische Evaluation des Berliner Unterrichts lag zum
Zeitpunkt der Abfassung des vorliegenden Textes noch nicht vor, weshalb dieser an sich für die
vorliegende Fragestellung hochinteressante Fall nicht weiter vertieft wird.232 Ansonsten gibt es
insgesamt vier Modellversuche für islamischen Religionsunterricht. In Rheinland-Pfalz wird seit dem
Schuljahr 2004/5 ein lokaler Schulversuch an der Grundschule Ludwigshafen-Pfingstheide
durchgeführt.233 Der Lehrplan wurde ohne Beteiligung einer islamischen Organisation erarbeitet234,
der Schulversuch wird vom Christlich-Islamischen Gesprächskreis Ludwigshafen und der türkischen
Frauenbildungsstätte IGRA unterstützt.235 In Baden-Württemberg gibt es seit dem Schuljahr 2005/6
einen Schulversuch für sunnitischen islamischen Religionsunterricht an zehn Grundschulen.236 Der
Schulversuch in Niedersachsen wird seit dem Schuljahr 2003/4 an acht Grundschulen durchgeführt.237
Zu diesem Schulversuch gibt es bereits einige erste Erfahrungsberichte und eine Fülle von
Stellungnahmen auf die weiter oben bereits mehrfach Bezug genommen wurde.238
Parallel zu den Schulversuchen gibt es mittlerweile an vier Stellen Bemühungen zur Etablierung
akademischer Studiengänge im Bereich islamischer Theologie und Religionspädagogik.239 Neben dem
IZIR Erlangen, das im folgenden skizziert wird, existiert in Frankfurt/Main seit 2003 eine „vom
türkischen Präsidium für Religionsangelegenheiten gestiftete Professur für >Islamische Religion<, die
der Evangelisch-Theologischen Fakultät zugeordnet ist. Sie ist derzeit mit dem türkischen
Religionssoziologen Mehmet Emin Köktasch besetzt“.240 Diese Professur signalisiert die sich in
jüngerer Zeit entwickelnde Bereitschaft der türkischen Regierungseinrichtungen, die sich
verändernden Rahmenbedingungen anzuerkennen. Sie ist aber auch als Zeichen dafür zu werten, dass
230
Kiefer 2006: 18.
A.a.O.
232
Zu den Hintergründen und zu einer vertieften Diskussion siehe Busch (Hg.) 2000 und Dantschke 2006.
233
Kiefer 2006: 19. Vgl. auch Größchen et al. 2004.
234
„Die Gespräche der rheinland-pfälzischen Landesverbände wurden nach vielversprechenden Anfängen von
den Verbänden selbst abgebrochen. Deshalb entschied sich die Landesregierung mit einer Erprobung an einem
geeigneten Standort für einen pragmatischen Weg“ (a.a.O.: 2).
235
A.a.O.
236
Vgl. Kultusministerium von Baden-Württemberg 2006.
237
Kiefer 2006: 20.
238
Vgl. z.B. Anhelm und Dressler (Hg.) 2003, Altiner 2005, Ballasch 2005 und 2006, Erpenbeck 2005,
Mohagheghi und Vladi 2006, Väth 2006.
239
Vgl. zu diesem Bereich auch Bodenstein 2006 und Kaddor 2006.
240
Schmid 2005: 242.
231
Seite 50 von 76
die türkischen Behörden ein ungebrochenes Interesse daran haben, auf die islamischen Diskurse in
Deutschland prägenden Einfluss zu nehmen. In Münster existiert seit 2002 das interdisziplinäre
„Centrum für Religiöse Studien“ (CSR), „an dem Theologen, Judaisten, Religions- und
Islamwissenschaftler beteiligt sind.241 Seit Juli 2004 bekleidet dort Muhammad Kalisch die erste
ordentliche Professur für islamische Theologie in Deutschland.“242 In Osnabrück existiert schließlich
seit 2004 ein „Weiterbildungsstudiengang für >Islamische Religion in deutscher Sprache<.243
Abgesehen vom Berliner Modell, das erst noch evaluiert werden muss, kann konstatiert werden, dass
alle genannten Bemühungen auf schulischer, schulamtlicher, kultusministerialer und akademischer
Ebene als wichtige Schritte auf dem Weg zur Etablierung eines Fachs zu gelten haben, dessen
Potential für die Integration der muslimischen Migranten in Deutschland gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden kann. Insofern ist die folgende vertiefte Diskussion des „Erlanger Modells“ in
keiner Weise als ‚Ranking’ all dieser Unternehmungen konzipiert und könnte das auch gar nicht
leisten. Johannes Lähnemann weist völlig zu Recht darauf hin, dass die Anstrengungen in den
einzelnen Bundesländern „letztlich nur kooperativ weiter“ führen.244 Dass bezüglich der Einführung
eines grundgesetzgemäßen islamischen Religionsunterrichts ein breiter Basiskonsens auf Seiten der
behördlichen und akademischen Träger besteht, und dass hier Austausch- und Vernetzungsvorgänge in
vollem Gange sind, bestätigte sich auch auf der dazu veranstalteten Fachtagung, die im März 2007 in
Stuttgart-Hohenheim stattfand.245
Ziel der folgenden Erörterung ist es in erster Linie, einige Grundprobleme aufzuzeigen, die die nähere
Zukunft aller Modelle bestimmen, und auf Lösungsansätze hinzuweisen. Es sei noch einmal daran
erinnert, dass die vorliegende Analyse eine soziologische ist und sich auf die Ebene der CoKonstruktion dieses Modells durch die muslimischen und nichtmuslimische Akteure und des dadurch
erreichten Integrationspotentials konzentriert. Die meisten inhaltlichen Argumentationen werden
Religionspädagogen und –didaktikern kaum neues sagen. Sie sind auch nicht als der zwangsläufig
laienhafte
Versuch
gedacht,
religionspädagogisch246
zu
argumentieren,
sondern
sind
als
wissenssoziologische Formulierungen zu den Potentialen der Diskursöffnung zu verstehen, die sich
am „Erlanger Modell“ zeigen lassen und im wesentlichen so auch in den oben skizzierten anderen
Modellen angelegt sind.
241
Vgl. auch Bauer 2006.
A.a.O.
243
A.a.O. Vgl. auch Graf 2005.
244
Interview mit Prof. Dr. Johannes Lähnemann: Abs. 138.
245
Die Tagung „Auf dem Weg zum Islamischen Religionsunterricht in Deutschland II. Zum fachlichen Profil
muslimischer Religionslehrerinnen und –lehrer“ fand von 19.-21. März 2007 in den Räumen der Akademie der
Erzdiözese Rottenburg-Stuttgart statt. Sie wurde gefördert von der Robert Bosch Stiftung. Veranstalter waren die
Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg (vertreten durch Prof. Mathias Rohe und Prof. Harry Harun
Behr) und die Akademie der Erzdiözese Rottenburg-Stuttgart (vertreten durch Dr. Hansjörg Schmid).
246
Bezüglich der religionspädagogischen ‚Seite’ dieser Argumentation sei auf die im Literaturverzeichnis
genannten entsprechenden Veröffentlichungen verwiesen.
242
Seite 51 von 76
3.2
Probleme und Potentiale des islamischen Religionsunterrichts am Beispiel des Erlanger Modells
3.2.1
Überblick über Entwicklung und Struktur
Angestoßen von den Erfahrungen einer in Erlangen durchgeführten Podiumsdiskussion am 26. März
1996 zum Thema „Islam und Christentum“247 wurde im gleichen Jahr am selben Ort eine mit
Vertretern der Universität, der Kommune, der Kirchen und der Erlanger Muslime besetzte „ChristlichIslamische Arbeitsgemeinschaft“ gegründet, mit dem Ziel „ein Forum einzurichten, auf dem Probleme
der islamischen Bürger Erlangens diskutiert und gelöst werden können.“248 Als deutlich wurde, dass
ein
zentrales
Anliegen
der
muslimischen
Vertreter
die
Einrichtung
eines
islamischen
Religionsunterrichts an den örtlichen Schulen war, gingen von diesem Arbeitkreis aus Impulse in
unterschiedliche Richtungen.
Auf der akademischen Ebene wurde von dem Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin249, dem
Religionspädagogen Johannes Lähnemann250 und dem Juristen und Islamfachmann Mathias Rohe251
das „Interdisziplinäre Zentrum für Islamische Religionslehre“ (IZIR)252 gegründet, das als
institutionelle Basis für einen Studiengang „Islamische Religionslehre“ dienen sollte.
Mehr oder weniger gleichzeitig wurde vom bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus
in Kooperation mit dem Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung253 eine Kommission
zur Lehrplanentwicklung einberufen, an der die muslimische Seite von Anfang an prägend beteiligt
war:
„Auch diese Lehrplankommission war plural zusammengesetzt von Vertretern der Schulverwaltung
(...) hier aus Nürnberg, von Vertretern des Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung.
Die Richtlinienarbeit leitete Wolfgang Ambros als der dort für den Bereich Realschulen zuständige
Referent. Die muslimische Seite war im ersten Durchgang beratend dabei. im zweiten Durchgang sind
sie dann ordnungsgemäße Mitglieder gewesen.“254
Im Zuge dieser Entwicklung wurde in Erlangen die „Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen“
(IRE) gegründet und stellte den „Antrag auf Einrichtung eines Schulversuchs zum islamischen
Religionsunterricht an Erlanger Schulen mit hohem muslimischen Schüleranteil“.255 Der Verein, der
nur natürliche Personen muslimischer Religion als Mitglieder zulässt,256 ist satzungsgemäß
ausschließlich auf den Raum Erlangen bezogen.
247
Protokoll M. Engelbrecht aus dem Projekt „Fremdsicht und Eigensicht im interreligiösen Alltag“.
Protokoll A. Sontheimer aus dem Projekt „Fremdsicht und Eigensicht im interreligiösen Alltag“.
249
Vgl. u.a. Bobzin 2000 und 2001.
250
Vgl. u.a. Lähnemann 1977, 1997 und 2005.
251
Vgl. u.a. Rohe 2001 und 2006.
252
Interview mit Prof. Dr. Johannes Lähnemann: Abs. 9. Vgl. u.a. Interdisziplinäres Zentrum für Islamische
Religionslehre (Hg.) 2006.
253
Vgl. Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung 2000.
254
Interview mit Prof. Dr. Johannes Lähnemann: Abs. 4.
255
Güneysu 2005: 62.
256
Vgl. die Mustersatzung in: Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. (Hg.) 2007.
248
Seite 52 von 76
Auf Seiten der Muslime wurde im Laufe dieser Entwicklung versucht, im Kontext eines vom
bayerischen Kultusministerium initiierten ‚runden Tisches’ einen muslimischen Ansprechpartner auf
Landesebene ins Leben zu rufen. Zwar wurde die „Islamische Religionsgemeinschaft Bayern“
gegründet, vom Kultusministerium jedoch nicht als Gesprächspartner anerkannt.257
„Deshalb wurde der Weg beschritten, zunächst in lokalen Modellen bei günstigen Voraussetzungen
auszuloten, inwieweit ein islamischer bekenntnisorientierter Religionsunterricht begonnen und
weiterentwickelt werden kann.“258
Der Unterricht wurde als Modellversuch ab dem Schuljahr 2003/4 an der Erlanger Grundschule
„Brucker Lache“ in allen vier Jahrgangsstufen eingerichtet259:
„Er ist zunächst lokal begrenzt, kann aber vom Konzept her auf andere Standorte ausgedehnt werden,
falls dort vergleichbare Bedingungen vorliegen“.260
Als erster ‚Synergieeffekt’ der engen Kooperationsstrukturen zwischen Behörden, IZIR und IRE ergab
sich, dass Schulversuch und Religionslehrerausbildung verzahnt werden konnten, indem die Schule an
der der Modellversuch stattfindet gleichzeitig zur Praktikumsschule für die Studierenden der
islamischen Religionslehre wurde:
„Die religionspädagogische Qualifizierung und Profilierung wurde dann dadurch erhöht, dass seit dem
Wintersemester 2003/2004 regelmäßig semesterbegleitende Praktika in der Grundschule >Brucker
Lache< in Erlangen stattgefunden haben. Wo (...) wir eben Praktikum und Begleitseminar in großer
Intensität durchgeführt haben und im Grunde in dem Bereich überall die ersten Schritte einer
didaktischen Entwicklung und auch die praktischen Möglichkeiten erprobt haben.261
Die islamische Religionspädagogik wurde zunächst im Rahmen einer Gastprofessur vertreten, ein
Zustand, der sowohl von Seiten des IZIR als auch von Seiten der Studierenden als unbefriedigend
empfunden wurde.262 Seit 2006 hat Harry Harun Behr263 eine Professur für „Islamische
Religionslehre“ an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen Nürnberg inne.
Mit dem IZIR als akademischem Träger der Religionslehrerausbildung, der IRE als verantwortlichem
örtlichem muslimischen Ansprechpartner und der Grundschule „Brucker Lache“, die die doppelte
Funktion von Modellschule und Praktikumsschule erfüllt, ist ein Kristallisationskern entstanden, der –
und das ist Konzept – in doppelter Weise als Ausgangspunkt einer ‚bottom-up’ Entwicklung dienen
kann. Zum einen ist, wie in dem obigen Zitat von Ulrich Seiser angedeutet, der Schulversuch auf
andere Schulen übertragbar. Dasselbe gilt aber auch für die Struktur der „Islamischen
257
Güneysu 2005: 63.
A.a.O., vgl. auch Seiser 2005: 58.
259
Seiser 2005: 58. Vgl. auch den entsprechenden Lehrplan: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und
Kultus 2004.
260
Seiser 2005: 58.
261
Interview mit Prof. Dr. Johannes Lähnemann: Abs. 8.
262
Vgl. Schepelern Johansen 2006: 37.
263
Vgl. Behr 1998, 2005.
258
Seite 53 von 76
Religionsgemeinschaft“, so dass in anderen Städten neue lokale muslimische Religionsgemeinschaften
gegründet werden können, die ihrerseits weitere Anträge auf islamischen Religionsunterricht in der
Form des „Erlanger Modells“ stellen können. Dieser Prozess ist bereits am Anlaufen und ein
entsprechender Verein in Gründung, der zunächst für eine bestimmte Nürnberger Schule den
Unterricht beantragen wird.
3.2.2
Diskursfelder, Potentiale und Probleme
„Es muss sich zeigen, ob Erlangen und Ludwigshafen nur lokale Glücksfälle darstellen oder ob eine
überregionale Ausweitung gelingt. Der breiter angelegte Schulversuch in Niedersachsen steht und fällt
bisher mit der starken staatlichen Rolle.“264
Der endgültige Beweis, dass das Erlanger Modell ein flächiger Erfolg wird, steht freilich noch aus.
Dass es mehr als einen „Glücksfall“ darstellt, liegt – neben der Qualifikation der schulischen,
schulamtlichen und akademischen Akteure – vor allem in dem Prozess der Kommunikation zwischen
sämtlichen Beteiligten. Freilich ist dem obigen Zitat von Hansjörg Schmid in einer Hinsicht recht zu
geben: Damit ein flächiger Erfolg möglich ist, erfordern die Rahmenbedingungen zumindest für eine
Übergangsphase, dass die staatlichen Stellen die inhaltliche Eigenständigkeit der entstehenden
Strukturen so lange gewährleisten, bis der neue ‚Diskursschwerpunkt’ islamischer Religionsunterricht
als starker und souveräner Partner neben die bisherigen Säulen Familie, Community, Moschee und
Moscheeverband treten kann.
3.2.2.1
Die islamische Religionslehrerausbildung als Diskursraum
In den für die vorliegende Untersuchung mit Studierenden und Dozenten im Studiengang der
islamischen Religionslehre geführten Interviews wird schnell deutlich, dass das erste Interesse der
Studierenden des Faches eindeutig der Klärung und Weiterentwicklung der persönlichen Religiosität
und Lebenspraxis gilt:
Die überwiegende Mehrzahl der Studierenden, die hier sind – ich rede jetzt erst mal von den Muslimen
– hat ein prioritäres Interesse an persönlicher Orientierung. Also in den Seminaren sind acht von zehn
Fragen, die gestellt werden, nicht bezogen auf die Didaktik des Unterrichts oder auf Grundsatzfragen
der Theologie oder der islamischen Geschichte, sondern: >Herr Behr, wie ist das eigentlich jetzt? Herr
Behr, wie mache ich das? Ich hab da zu Hause Goldschmuck von meiner Mutter geerbt. Muss ich da
jetzt Zakat drauf zahlen? Herr Behr, ist das Hühnchen aus dem Supermarkt jetzt Hallal oder nicht, wir
wollen endlich mal eine Antwort.< Das sind die Dinge, die wie so eine Flutwelle explodieren in dem
Seminar.265
Die Studierenden sind mehrheitlich genau das, was sich Eltern und Verbände wünschen: Gläubige
Muslime. Sie bringen ein breites Spektrum an Identitätskonstruktionen und Überzeugungen mit,
264
Schmid 2005: 241. Mit Ludwigshafen ist der Schulversuch in Ludwigshafen-Pfingstheide gemeint (vgl.
Abschnitt 3.1).
265
Interview mit Harry Harun Behr, Abs. 2.
Seite 54 von 76
thematisieren sie aber offenbar bevorzugt in den islamisch-theologischen Veranstaltungen ihres
Studiengangs:
„Ich hab also mit einem Spektrum an Leuten zu tun, das nicht selbstverständlicher Weise in die
Moschee gehen würde, um einen Imam zu fragen. Also für diese Leute fehlt eine Anlaufstelle, die im
Grunde genommen schon vorweg erahnen, wie ein Imam antworten würde. Da diese Leute auch
bekennendermaßen nicht in die Moschee gehen – ich sage nicht, dass das eine realistische
Einschätzung ist, ich glaube die unterschätzen den einen oder anderen Imam – aber sie gehen einfach
nicht hin. Und das Internet, das man ja auch konsultieren könnte, es gibt ja bestimmte Plattformen im
Internet – ist zu anonym. Also das ist wieder von dem Kontext zu weit weg, in dem die Leute
drinstecken“.266
Das Studium der islamischen Religionslehre ist also deutlich mehr als nur ein Fachstudium: Es ist ein
neuer muslimischer Diskursraum. Im wissenschaftlichen Kontext der fachdidaktischen Ausbildung
wird über substanzielle Lebens- und Glaubensfragen diskutiert, und zwar in einer Weise, die
zumindest
den
Studierenden
offenbar
andernorts
nicht
möglich
zu
sein
scheint.
Die
Religionslehrerausbildung ist ganz eindeutig ein Raum des existenziell betroffenen Sprechens über
Religion und damit ein Ort islamischer Theologie:
„Was hier passiert, ist, dass aus einem Praxisdruck heraus, aber auch aus einem gewissen
Leidensdruck heraus und aus einer gewissen Hilflosigkeit Theologie betrieben wird. Einmal in ihrer
praxeologischen Dimension - wie mache ich was wann - zum anderen aber auch in ihrer
grundsätzlichen kosmologischen Dimension: Was macht den Menschen zum Menschen, ich hab das
nicht kapiert. Und deswegen glaube ich dass die Legitimierung unserer Theologie, wie wir hier sie
vertreten, durch den Kontext entsteht in dem die Menschen sich befinden, die diese Theologie
brauchen. Denn sie entsteht aus diesem Kontext und wirkt in diesen Kontext hinein. Ich würde mich
niemals hinstellen und sagen, ich vertrete hier sozusagen eine islamische Theologie, die Maßgabe ist
für eine Wendezeit in der muslimischen Welt. Aber ich stell mich hin und sage: Liebe Leute, ich bin
Lehrer und Religionspädagoge, bin aber in acht von zehn Fällen gefragt als Theologe. Und kann hier
nicht einfach sagen, es geht mich nichts an. Sondern ich muss darauf antworten.“267
Es ist davon auszugehen, dass dieser Vorgang nicht spezifisch ist für die Erlanger
Ausbildungssituation. Die Befunde der Forschungsliteratur, die in Abschnitt 2.2.3.2 skizziert wurden,
finden hier eine genaue Bestätigung: Die junge Generation der Muslime in Deutschland – speziell die
mit Weber gesprochen „religiös virtuosen“ unter ihnen – sucht sich neue diskursive Räume für ihre
religiösen und sonstigen Lebensfragen und ‚schafft’ sich im Erlanger Studiengang einen solchen
Rahmen gleichsam selbst, einfach durch anhaltende existenzielle Befragung ihrer islamischen Lehrer.
Doch im Kontext eines Studiums bleibt es nicht bei dieser Diskussion der Binnensicht – die
wissenschaftliche Außenperspektive gehört konstitutiv dazu, was für die Studierenden eine neue und
266
267
A.a.O. Abs. 4.
A.a.O. Abs. 3-4.
Seite 55 von 76
augenscheinlich nicht immer einfache Begegnung ist. Ein Studierender berichtet, wie er zum ersten
Mal mit einer historisch-kritischen Perspektive auf Mohammed konfrontiert wurde:
„Damals war’s für mich ziemlich hart, ich bin praktizierender Moslem bis heute noch und ähm, für
mich war des schon ein bisschen so ne Umstellung dass dann plötzlich Kritik kam also gleich in der
ersten Vorlesung, also Pflichtvorlesung, kam halt gut Kritik am Propheten (...) Ich bin einer der, wenn
der Professor vorne vom Prophet Mohammed spricht (...) gleich sozusagen die Friedensbotschaft und
äh die Lobpreisung für mich selbst gesagt hat...“268
Die Herausforderung der Verschränkung religiöser mit wissenschaftlichen Sichten – Innen und
Außenperspektiven – gehört in allen vier derzeit existierenden Studienangeboten zur Grundstruktur
des Studiums. Damit existieren hier nicht nur neue Diskursräume, diese Räume bringen gleichzeitig
eine neue Art von Kompetenz hervor, die bislang in Deutschland in dieser Form noch nicht existierte:
In Deutschland aufgewachsene Muslime durchlaufen in Deutschland eine islamische Ausbildung, die
selbst in wissenschaftliche Zusammenhänge eingebunden ist. Damit wächst eine für die adäquate und
langfristig konstruktive Übernahme des korporatistischen Angebots des Staates notwendige Gruppe
von Akteuren heran.
Es ist allerdings zu konstatieren, dass ein rein ‚fachwissenschaftliches’ Studium, also ein Studium,
dass sich auf die verschiedenen Ebenen der ‚Außenperspektive’ beschränkt und die Entwicklung der
eigenen Innenperspektive den Studierenden überlässt, in diesem Zusammenhang mit allerhöchster
Wahrscheinlichkeit nicht zu wünschenswerten Ergebnissen führt. Dazu muss Theologie betrieben
werden, allerdings eine Theologie, die sich nicht scheut, sich in solche diskursiven Zusammenhänge
einbinden zu lassen, von ihnen Impulse zu empfangen und ihnen Impulse zu geben. Denn diese
Theologie steht ihrerseits erkennbar unter der Anforderung, bei den Studenten die Schlüsselkompetenz
zu entwickeln, unterschiedliche religiöse, wissenschaftliche und sonstige Perspektiven nicht nur
‚auszuhalten’, sondern sie als Bereicherung und Vertiefung der eigenen Position konstruktiv zu
nutzen. Dazu, so lässt sich aus den Äußerungen der Dozenten herauslesen, ist ein Dreischritt
notwendig, der die Grundlage der Vermittlung der Theologie selbst, der Religionslehrerausbildung
und im weiteren auch des Religionsunterrichts bildet:
•
Information über das ganze Spektrum möglicher Meinungen und Positionen zu bieten.
•
Die inhaltliche und methodische Kompetenz zu vermitteln, diese Informationen eigenständig
zu überprüfen und weiter zu vertiefen.
•
Auf Fragen nach der eigenen Position Stellung zu beziehen, ohne die Anforderungen der
beiden ersten Punkte dadurch zu schmälern.269
Dabei spielt die Sprache wiederum eine Schlüsselrolle. Die Herausforderung besteht in der
268
269
Interview mit einem Studierenden der islamischen Religionslehre, Abs. 23-27.
Vgl. z.B. Behr 2005.
Seite 56 von 76
Entwicklung eines deutschen theologischen Begriffinventars für die Begriffe der muslimischen
Quellen:
„Wenn es dann wirklich um Themen geht, bei denen die begriffliche Differenzierung schwieriger ist
im Deutschen. Also Themen theologisch-anthropologischer Natur zum Beispiel. Themen, bei denen es
um die Beziehung zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern geht. Was ist der Unterschied
zwischen Gehorsam und Folgsamkeit. Da liest man immer nur von Gehorsam, die Kinder sind Eltern
gehorsam. Das steht nicht da, Gehorsam taucht nicht auf, da steht Folgsamkeit. Das ist was anderes als
Gehorsam. Vor allen Dingen im Kontext der deutschen Geschichte haben wir es mit bestimmten
Problembegriffen auch zu tun, die wir sehr sorgfältig betrachten müssen (...) da fehlt so was wie eine
Gruppe von wirklich kompetenten Deutschdidaktikern, Religionspädagogen und auch theologisch
versierten Leuten.“270
Auch dies kann als eindeutiger Beleg dafür gelten, dass die Muslime in Deutschland erst dabei sind,
ihr Diskursfeld als eigenständige Größe zu etablieren, eine Arbeit, die ebenfalls in entscheidender
Weise als eine theologische Aufgabe zu begreifen ist. Sie ist aber auch ein Beleg dafür – worauf Behr
hinweist – wie die Etablierung eines deutschen muslimischen Diskurses nur in permanenter
interaktiver Co-Konstruktion mit anderen Diskursen der Zuwanderergesellschaft erfolgen kann.
3.2.2.2
Der islamische Religionsunterricht als Diskursraum
Die skizzierte Linie der Befunde setzt sich lückenlos in den Diskursraum des Schulunterrichts hinein
fort, denn auch der islamische Religionsunterricht ist eindeutig ein Raum der existenziellen
Orientierung.271 Dabei verlängern sich aber auch die in Abschnitt 2.2.3 diskutierten Spannungslinien
zwischen den unterschiedlichen Identitätskonstruktionen in den Raum des Unterrichts hinein und
werden von den Kindern an die Lehrer herangetragen. Harry Harun Behr skizziert aus seinen
Erfahrungen als deutscher Muslim und Lehrer eine Szene, die die Existenzialität dieser Fragen
deutlich macht, und mit der Frage einer Schülerin beginnt, ob er nun Deutscher oder Muslim sei:
„Sie hat gesehen, dass ich – so wie sie – beim islamischen Bittgebet meine Hände hebe und die
Handflächen nach oben drehe; sie hat gehört, dass ich dabei auswendig aus dem arabischen Koran
rezitiere. Das ist ihr als Bestandteil ihrer häuslichen Lebenswelt vertraut, nicht aber als Bestandteil der
schulischen. Erstere ist für sie türkisch, letztere deutsch. Es verwirrt sie, dass ihr Lehrer, der Deutsche,
sich auf einmal wie ein Türke verhält. Muslimsein heißt für sie Türke sein.“272
Es wird aus der weiteren Erzählung deutlich, wie die involvierten Kinder in der Diskussion ihre
mitgebrachten Deutungsmuster an dieser Stelle erweitern, oder anders gesagt, wie sie ihre Kompetenz
vergrößern, mit der Vielschichtigkeit der Wirklichkeit fertig zu werden. Schon in Abschnitt 2.2.3
wurde ausführlich diskutiert, wie die unterschiedlichen Angebote und Anforderungen sowohl der
270
Interview mit Harry Harun Behr, Abs. 111-113.
Vgl. dazu z.B. Behr 2005, Kaddor 2005 u.a.
272
Behr 2006: 3.
271
Seite 57 von 76
heterogenen Zuwanderungsgesellschaft als auch der heterogenen Migrantencommunity bei jungen
Muslimen erzeugen, was Peter Berger den „Zwang zur Häresie“273 nennt. Sie stehen vor der Aufgabe,
ständig zwischen vielfältigen konkurrierenden und widersprüchlichen Deutungsangeboten und
sozialen Anforderungen Entscheidungen zu treffen. Alle Formen islamischen schulischen Unterrichts
sind angesichts dieser Herausforderung in gleicher Weise mit der Aufgabe konfrontiert, die
existenzielle Identitätsentwicklung der Kinder zu unterstützen, sprich, ihnen zu helfen, sich in der
Vielfalt der Angebote und Anforderungen der unterschiedlichen Welten, mit denen sie konfrontiert
sind, zu orientieren und ihnen kompetent gegenüber zu treten.
Daraus ergibt sich jedoch zwangsläufig, dass es von allen pädagogischen Grundwerten einmal völlig
abgesehen schon aus diesen rein praktischen Gründen ein Ding der Unmöglichkeit ist, in irgendeiner
Weise vorab eine bestimmte ‚Identität’ zu definieren, die am Ende dieses Prozesses bei den Kindern
gleichsam ‚herauskommen’ soll – eine solche verfestigte Identitätskonstruktion könnte nur im Kontext
einer Indoktrination erzeugt werden.
Der beschriebene Sachverhalt erweist ein weiteres Mal in aller wünschenswerten Deutlichkeit die
Unangebrachtheit statischer Identitätskonzepte, wie sie nicht selten gerade an dieser Stelle – durchaus
nicht nur von islamischer Seite – in Stellung gebracht werden. Muss man die Kinder nicht vor der
Vielfalt abschirmen? Müssen sie nicht zunächst eine Kultur ‚erlernen’, bevor man andere auf sie
‚loslassen’ kann? Diesem Denken liegt im Kern ein – noch einmal mit Kippenberg gesprochen –
„verdinglichter“ Identitätsbegriff zu Grunde, der Identität als einen Bestand auffasst, der durch die
Konfrontation mit abweichenden Identitätsangeboten erodiert wird, und nur durch deren
Zurückweisung erhalten werden kann. Diese Denkweise ignoriert jedoch den grundlegenden
Prozesscharakter von Identität, der auf der individuell-biographischen Ebene dem historischen
Charakter von Diskursen entspricht.274
In Parallelität zur Ausbildung der Lehrer selbst ergibt sich aber auch aus dem gesagten, dass der
Unterricht, wenn er den Kindern Orientierung und Kompetenz vermitteln will, nicht nur auf einer
‚rein’ informativen Ebene verbleiben kann, schon aus dem einfachen Grund, dass auch in diesem
Kontext persönliche Stellungnahmen von Seiten der Schüler permanent abgefragt werden. Noch
einmal Harry Harun Behr:
„Du beginnst um acht Uhr mit Religionskunde und hörst um viertel vor neun mit Religionsunterricht,
der erlebnisorientiert ist, auf. Du hast den Sprung über die Theologieorientierung hin zur
Erlebnisorientierung gemacht und dann stehen die Schülerinnen und Schüler da und wollen fragen, wie
ist das im Islam und >Wie sehen Sie das, Herr oder Frau Soundso und was bedeutet das für mich?<
Und auf dieser Mikroebene: Klassenzimmer, Unterrichtsdiskurs finden solche Prozesse auch statt. Wo
eine Lehrerin oder eine Lehrkraft sozusagen gefordert ist, in ihrer Rolle als Mensch und ihrer Rolle als
273
274
Berger 1992.
Vgl. dazu auch Engelbrecht 2007 (in Veröffentlichung).
Seite 58 von 76
Modell Rede und Antwort zu stehen.“275
Die an dieser Stelle anschließende Fragestellung „Religionskunde, Bekenntnisunterricht oder was
sonst?“276, erweist sich jedoch vor allem im Licht der jüngeren Diskussionen offenbar als weit weniger
umstritten
als
angenommen.277
Der
Unterschied
zwischen
der
Islamkunde
und
einem
Religionsunterricht gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes wird von Klaus Gebauer in einer
Weise beschrieben, die der eben wiedergegebenen praktischen Erfahrung Recht gibt: Das Ziel des
Religionsunterrichts besteht in „Information über die eigene Religion, explizit Bestätigung der eigenen
Religion durch Vertiefung des Wissens über diese“.278 Die Islamkunde weist genau dasselbe Ziel auf,
mit dem einzigen Unterschied, dass die „Bestätigung der eigenen Religion“ in diesem Fall „implizit“
verläuft,279 womit die Nähe der beiden Unterrichtsformen deutlich wird. Offenbar bestimmt sich nicht
an einem festen Unterrichtsmodell, ob Information, Orientierungshilfe oder Position anzubieten ist,
sondern an der konkreten Unterrichtssituation. Und so stellt Klaus Gebauer fest, dass „die Islamkunde
in NRW als Wegbereiterin und pädagogisches Fundament eines regulären islamischen
Religionsunterrichts
projektiert
ist“.280
Die
Entwicklung
läuft
also
eindeutig
auf
einen
„Religionsunterricht in der öffentlichen Schule gemäß Artikel 7,3 des Grundgesetzes“281 hinaus.
Auch auf der Unterrichtsebene spielt dabei die Sprache, und nun auch die Sprachkompetenz eine
entscheidende Rolle. Harry Harun Behr berichtet von einer Unterrichtssituation, in der sich gleichsam
am nichtmuttersprachlichen Lehrer vorbei für die Gebetswaschung unter den Kindern das Wort
„Vorwäsche“ eingebürgert hatte.282 An solchen Stellen wird erkennbar, dass nur Lehrerinnen und
Lehrer, die muttersprachliche oder diesen im wesentlichen gleichkommende Sprachkenntnisse
besitzen, in der Lage sind, die selbst fehlerhaften und unvollständigen Sprachwelten der derzeit so gut
wie immer zweitsprachlichen Schülerinnen und Schüler adäquat zu erweitern. Die Fähigkeit der
Kinder, ihre Fragen, ihr Wissen und ihre Überzeugungen bezüglich ihrer Religion in Deutsch zu
artikulieren, muss als entscheidender Integrationsfaktor gesehen werden.283 Sie allein ermöglicht den
Durchbruch durch die ‚Sprachmauer’ auch in religiöser Hinsicht.
3.2.2.3
Die Diskursräume der muslimischen Eltern
Die Befunde aus den zwei bisher geschilderten Diskursräumen sind nicht als spezifisch für das
„Erlanger Modell“ zu werten, sondern dürften mit Abwandlungen im wesentlichen überall anzutreffen
275
Interview mit Harry Harun Behr, Abs. 30-31.
Stock 2003.
277
Dies wurde auch auf der Tagung „Auf dem Weg zum Islamischen Religionsunterricht in Deutschland II. Zum
fachlichen Profil muslimischer Religionslehrerinnen und –lehrer“, 19.-21. März 2007 in den Gesprächsbeiträgen
der Teilnehmer deutlich.
278
Gebauer 2006: 35.
279
A.a.O.
280
A.a.O.: 49.
281
A.a.O.: 35.
282
Interview mit Harun Behr, Abs. 111.
283
Vgl. dazu auch z.B. Mutlu 2006 u.a.
276
Seite 59 von 76
sein, wo islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache, bzw. seine Vorformen erteilt werden.
Das spezifische des „Erlanger Modells“ liegt in der konstitutiven (Selbst-)einbeziehung der Eltern.
Vor allem zwei Fragestellungen bestimmen die Beziehung zwischen den Diskursräumen der
Religionslehrerausbildung und des Unterrichts und den Diskursräumen der Muslime, die Frage nach
den Lehrplänen und der religiösen Qualifikation des Lehrpersonals. In beiden Fällen geht es um die
Frage der Mitbestimmungsrechte der Muslime:
„Auf muslimischer Seite werden hierbei zwei Kernanliegen erkennbar: Zum einen muss die
Befürchtung ausgeschlossen werden können, dass Nichtmuslime durch die Bestimmung von
Lehrplaninhalten Einfluss auf die islamische Glaubenslehre nehmen können. Vielmehr ist
sicherzustellen, dass die inhaltliche Letztverantwortung immer bei den Muslimen verbleibt.
Vergleichbares gilt für die Bestellung von Lehrkräften, die ja einen bekenntnisorientierten Unterricht
erteilen sollen. Eine enge Kooperation zwischen der staatlichen Verwaltung und den betroffenen
Muslimen ist deshalb unerlässlich und wohl auch der Garant für den Erfolg eines solchen Modells.“284
Die konstruktive Bearbeitung beider Fragenbereiche im „Erlanger Modell“ verdankt sich nicht zuletzt
der Tatsache, dass die muslimischen Gesprächspartner identisch mit den Betroffenen waren: Die
„Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen“ konstituiert sich im wesentlichen aus dem Kreis der
Eltern der Kinder, die am Schulversuch teilnehmen, oder das beabsichtigen. Die Grundlage der
Lehrpläne konnte so in der oben erwähnten Kommission schrittweise gemeinsam von den Vertretern
der Universität, des Kultusministeriums, des Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung,
der Schulbehörden und der Muslime konsensuell erarbeitet werden. Johannes Lähnemann summiert:
„Wichtig war natürlich dabei – und das ist in der Überschneidung zwischen der Arbeit für die Schule
und der Arbeit an der Universität wesentlich, welche Leitthematiken und welche pädagogischen
Grundprinzipien für die Lehrplanarbeit leitend waren (...) wir haben festgestellt, es gibt bestimmte
Grundthemen, die für das islamische Selbstverständnis von besonderer Relevanz sind und die in
gewisser Weise als Leitthemen den Unterricht hindurch verfolgt werden sollten. Einmal natürlich das
Leben der Kinder in dieser Umgebung, dieser Schule, dieser pluralen Umwelt in der sie sind. Aber
natürlich auf der anderen Seite die Fundamentalia islamischer Tradition zu denen Koran, Hadith,
Prophetengeschichte und natürlich Ethik dazugehört und dann ist die Frage der Ethik des
Zusammenlebens, der Bereich der religiösen Bräuche sehr wichtig.“285
Ähnlich konnte so die Frage der Lehrer und die Frage der Besetzung der Professur im
Kommunikationsprozess geklärt werden. Wirft man allerdings einen genaueren Blick auf die
Geschichte und Struktur der langfristigen Kommunikationsvorgänge, die sich hinter dieser allzu
glatten Beschreibung verbergen, dann wird deutlich, dass sich der Erfolg der Erlanger
Zusammenarbeit nicht auf die einfache Formel ‚fragt statt den Verbänden die Eltern’ reduzieren lässt.
284
Güneysu 2005: 63.
Interview mit Johannes Lähnemann, Abs. 4. Die Frage der Lehrpläne und ihrer Inhalte hier auch nur in
Ansätzen zu diskutieren, würde den Rahmen der vorliegenden Erörterung sprengen. Vgl. zu aktuellen
Diskussion u.a. Behr 2005 und Kaddor 2006.
285
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Denn es zeigt sich innerhalb der Elternschaft eine wichtige Differenzierung. Während eine kleine
Gruppe von Muslimen sich aktiv und mit hohem Engagement von den Anfängen des ChristlichIslamischen Arbeitskreises in Erlangen bis heute für die Etablierung des Unterrichts einsetzte, verblieb
der Großteil der Elternschaft in einer zwar bereitwilligen, aber letztlich doch passiven Rolle.
Zwei Faktoren kommen zusammen, die als Erklärung für diesen Unterschied herangezogen werden
können. Zum einen handelt es sich bei den aktiven muslimischen Eltern um Mitglieder der kleinen,
aber wachsenden und tendenziell bildungsfreundlichen türkischstämmigen Mittelschicht (vgl.
Abschnitt 2.2.2.1). Dieser Personenkreis weist erfolgreiche Integrationsbiographien auf und ist sich
der Bedingungen bewusst, die gegeben sein müssen, damit ein solcher Erfolg auch den Kindern
möglich ist. Gleichzeitig können die aktiven Muslime im Weberschen Sinne eindeutig als „religiöse
Virtuosen“286 angesprochen werden. Anders als viele türkischstämmige Muslime der älteren
Generationen haben sie ihre Religion dabei zu einem Schlüsselfaktor der eigenen Integration gewendet
und sind von der Überzeugung getragen, dass die religiöse Erziehung für die Kinder auch zu deren
Integration von substanzieller Bedeutung ist. Die Entscheidung dafür, dass dieser Unterricht in der
Schule stattfinden muss, ist dabei eine rein pragmatische, die aus der auch von Äußerungen von
Studierenden gestützten Erfahrung resultiert, dass die Moscheen die Erwartungen dieser Muslime
bezüglich einer integrationsorientierten religiösen Erziehung offenbar nicht erfüllen. So meint der
Vorsitzende der IRE:
„In allen islamischen Vereinen beobachte ich, dass die Vorbeter, die die Kinder in Religion
unterrichten, keine genügende Qualifikation haben. Sie können die Probleme der Kinder nicht angehen
und sie können die Kinder nicht in diese Gesellschaft integrieren, weil sie selber hierher gekommen
sind, manche sogar nach vier, fünf Jahren wieder zurückkehren (...) Daher kam vielen der Gedanke,
Religionsunterricht soll in der Schule erteilt werden, genauso wie ihn die Eltern normalerweise von
den Moscheen bekommen haben. Die Kinder haben ja schon Religionsunterricht bekommen, daran ist
es nicht gescheitert, aber in manchen Bereichen haben sie auch falsche Religion bekommen in
Richtung Fanatismus und von Integration haben sie überhaupt nichts mitbekommen. (...) Wenn jetzt
ein Theologe sehr gut Deutsch spricht, die Probleme von Deutschland und von den Migranten kennt
und zu einer Brücke zwischen Muslimen und Christen in der Schule wird, werden manche Probleme
schon im Vorfeld, also im Kindesalter gelöst und so werden die Kinder erwachsen und akzeptieren
sich gegenseitig. (...) Und daher ist der Unterricht in der Schule sehr wichtig. Natürlich soll die
Lehrkraft auch ein Theologe sein, der nach der Religion lebt, sonst gibt es kein Vertrauen zwischen
Lehrer, Kindern und Familie“287
So zeigt sich, dass das Erlanger Modell, so wie Harry Harun Behr es für die theologische Arbeit
formulierte, auch auf der Ebene der Muslime „aus einem gewissen Leidensdruck“ 288 entstand. Selbst
die Gründung der IRE erfolgte nicht aus einer programmatischen Perspektive heraus, sondern als
286
Weber 1980: 327f. Vgl. Abschnitt 2.2.3.
Interview mit dem Vorsitzenden der IRE, Abs. 14-22.
288
Interview mit Harry Harun Behr, Abs. 2.
287
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pragmatische Zwischenlösung (vgl. Abschnitt 3.2.1). Es ist nun in erster Linie diese kleine Gruppe
hochaktiver muslimischer Eltern, die das Erlanger Modell aktiv mit gestaltet. Dabei verläuft der
Prozess der Aktivierung der hauptsächlich türkischstämmigen Eltern in erster Linie über persönliche
Vertrauensbildung zu dieser aktiven Gruppe. Denn die Mehrheit der Eltern begrüßt zwar erkennbar die
Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts, ist aber nur schwer dazu zu anzuregen, selbst in
den Gestaltungsprozess einzusteigen, was den aktiven muslimischen Eltern wohl bewusst ist:
„Wir haben in Erlangen, ich weiß nicht genau, dreitausend Türken und darunter sind vielleicht zwanzig
Leute, die einen Verein führen können, nicht mehr. Und in der Schule, also das sind normale Familien,
keine Leute, die so was gemacht haben und verstehen“.289
Auch hier spielt die Sprache wieder eine Schlüsselrolle: Ein Großteil der muslimischen Eltern ist rein
sprachlich nicht in der Lage, die komplexeren Zusammenhänge in deutscher Sprache – ob gesprochen
oder geschrieben – auch nur ansatzweise nachzuvollziehen. Dies resultierte unter anderem in der nur
auf den ersten Blick paradox anmutenden Situation, dass sowohl die Vorbereitungs- als auch die
Gründungssitzung der derzeit in Gründung befindlichen „Islamischen Religionsgemeinschaft
Nürnberg“ zur Einrichtung eines „islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache“ von den
Beiträgen der anwesenden deutschen Beteiligten abgesehen praktisch vollständig in türkisch
durchgeführt wurden.
In diesem Zusammenhang erfüllen die aktiven muslimischen Eltern eine dreifache Aufgabe: Zum
einen vermitteln sie die Inhalte, Anliegen und Notwendigkeiten der deutschen Gesprächspartner über
die ‚Sprachmauer’ hinweg an die Eltern. Zum zweiten erarbeiten sie die persönliche
Vertrauensgrundlage, die die Eltern bewegt, ihre Kinder an dieser Stelle durch die ‚Sprachmauer’
hindurch den Lehrkräften anzuvertrauen. Und zum dritten bilden sie selbst einen Anreiz für eine
kleine Zahl weiterer Muslime, eine aktive(re) Rolle in dem Prozess zu übernehmen. Dabei kennt die
Gruppe der Aktiven die Grenzen ihrer eigenen Kompetenz und Reichweite und sucht konsequent die
Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Instanzen der deutschen Seite:
„Andererseits ist staatliche Unterstützung über die ohnehin bestehenden organisatorischen Aufgaben
hinaus zumindest für absehbare Zeit unerlässlich. (...) Deshalb hat die IRE von vornherein um
entsprechende Unterstützung seitens des Schulministeriums gebeten. Im Ministerium wird auch
geprüft, ob rechtliche Bedenken gegen Teile des vorgeschlagenen Curriculums bestehen. Auch dies ist
ein Anliegen, das durchaus von Muslimen selbst vorgetragen wird. Auf diese Weise lässt sich in enger
Kooperation ein Modell entwickeln, das sowohl den Muslimen die Definitionshoheit über ihre
Glaubenssätze belässt, als auch die Sicherheitsbedürfnisse des Staates realisiert. Dasselbe gilt auch für
den Modus zur Bestellung von Lehrkräften.“290
Die Anliegen der Muslime wurden nicht nur von der kultusministerialen Seite aufgenommen, sondern
289
290
Interview mit dem Vorsitzenden der IRE, Abs. 147.
Güneysu 2005: 63f.
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auch von den lokalen Schulbehörden und Schulleitungen. So kamen Anstöße zur Etablierung des
„Erlanger Modells“ in Nürnberg von Seiten der Schulen selbst.291 Neuerdings unterstützt der
Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) die Ausweitung des „Erlanger Modells“ mit
einer Handreichung.292
Handelt es sich nun um den von Hansjörg Schmid vermuteten „Glücksfall“ 293, oder steckt hinter dem
„Erlanger Modell“ eine reproduzierbare Struktur? Die Frage ist auf zwei Ebenen zu beantworten. Zum
einen ist eine flächige Ausbreitung des Modells durch die Gründung weiterer lokaler „Islamischer
Religionsgemeinschaften“ und weitere Schulversuche möglich, wenn es allen Beteiligten gelingt, nicht
nur die dafür notwendigen formalen und rechtlichen Informationen weiterzugeben, sondern wenn auch
der informelle Vertrauensbildungsprozess abgelöst von den ursprünglichen Akteuren weitergeht. Das
ist zum nicht geringen Teil eine Frage der Organisation und Kommunikation. So könnte es sich
langfristig als sinnvoll erweisen, über die Handreichung des BLLV hinaus von geeigneter Stelle
Ansprechpartner bereitzustellen, die Anfragen bezüglich des Modells aufnehmen und moderieren
können, solange, bis sich das jeweilige konkrete Projekt selbst zu tragen in der Lage ist. Diese
Ansprechpartner müssten mit den interessierten Schulen kommunizieren, aber vor allem fähig sein,
Anliegen, Bedenken und Fragen der muslimischen Eltern kompetent aufzunehmen und so die
notwendige, aber von deutscher Seite nicht selten in ihrer Bedeutung unterschätzte informelle
Vertrauensbasis herzustellen. Die ehrenamtlichen Vertreter der IRE werden diese Arbeit sicher nicht
auf Dauer leisten können.
Formal betrachtet und von der konkreten Situation abgelöst, ist das Erlanger Modell ein geradezu
paradigmatischer Beleg für die in 2.1 vertretene These, dass eine adäquate und langfristig konstruktive
Aufnahme des korporatistischen Angebots des Staates einen Prozess der Co-Konstruktion von
gemeinsamen Strukturen und eine feste diskursive Einbindung der Religion auf unterschiedlichen
Ebenen voraussetzt. Vor dem Hintergrund der hier gesammelten Befunde lässt sich eindeutig sagen,
dass die Frage des Religionsunterrichts – und das gilt für alle in Abschnitt 3.1 angesprochenen
Modelle in gleichem Maße – nicht dadurch gelöst werden kann, dass sich ein politisch-strategisches
Bündnis muslimischer Verbände auf juristischem oder politischen Wege den Vertretungsanspruch für
das muslimische Diskursfeld sichert. Erfolg verspricht langfristig nur der Aufbau von eng verzahnten
Strukturen zwischen der Seite der Zuwanderungsgesellschaft und dem muslimischen Diskursfeld – für
die das „Erlanger Modell“ sicherlich als ein Beispiel gelten kann. Auf diese Weise kann das
korporatistische Angebot des Staates gleichsam ‚von unten Stück für Stück’ aufgefüllt werden.
3.2.2.4
Die Moscheen und Verbände als Diskursraum
Dabei geht es – das ist an dieser Stelle zu betonen – in keiner Weise um die Marginalisierung der
291
Interview mit dem Schulleiter einer dieser Schulen.
Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband 2007.
293
Schmid 2005: 241.
292
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Moscheen oder der Verbände. Im Gegenteil wird auch aus den Äußerungen aller Beteiligten des
„Erlanger Modells“ deutlich, dass die Kooperation mit den Moscheen und Verbänden immer wieder
gesucht wurde, aber augenscheinlich auf kein konstruktives Echo gestoßen ist. Entsprechend schreibt
z.B. Remzi Güneysu bezüglich DITIB:
„Trotz intensiver Bemühungen ist es bislang bedauerlicherweise nicht gelungen, die regionale
Repräsentanz der Türkischen Republik von der Notwendigkeit und Zukunftsträchtigkeit unseres
Modells zu überzeugen. Im Gegenteil sperrt sich das Konsulat gegen die deutsche Unterrichtssprache
und die damit verbundene Integrationsidee. Andererseits wäre es aus unserer Sicht nach wie vor höchst
wünschenswert, die Meinungen und Interessen der Muslime unter Einbindung der D.I.T.I.B.
(Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) zu bündeln.“294
Ähnliche Erfahrungen berichtet ein Schulleiter, der für seine Schule an einer Erweiterung des
„Erlanger Modells“ interessiert war und Überlegungen anstellte, wie es umzusetzen sein könnte:
„Anfang des Schuljahres haben wir gesagt, gut dann sollen doch die Nürnberger Moscheen so einen
Verein gründen und da haben wir natürlich die Situation (...) völlig verkannt. Die sind sich ja
überhaupt nicht grün, das heißt, es war umfangreich zum Scheitern verurteilt. (...) und auch die
Einbeziehung des türkischen Konsulats hier, das war ein totaler Rohrkrepierer, weil die natürlich den
Unterricht in türkischer Sprache von türkischen Lehrern machen wollen und (...) das ist nicht unser
Ansatz.“295
Dabei sind sich die unterschiedlichen Repräsentanten des Erlanger Modells sehr bewusst, dass der
langfristige Erfolg des islamischen Religionsunterrichts eine Zusammenarbeit mit den Moscheen
braucht und fordert. Ein Studierender formuliert das so:
„Deshalb denke ich auch, dass es sehr sehr wichtig ist, und das machen wir eigentlich auch hier, dass
wir viel mit der Moschee zusammenarbeiten, dass da Vertrauen entsteht. Also ich möchte (...) kein
Gegenpol zur Moschee sein. Also ich wäre der Letzte der sagt, wir sind die Konkurrenten der Imame,
das möchte ich überhaupt nicht. Ich sehe uns mehr sozusagen, zum Teil als Bindeglied und als
Sprachrohr (...) und ich denke, dass wir da sehr viel Vertrauen gewinnen müssen.“296
Vor allem zwei Faktoren sprechen dafür, dass es den muslimischen Akteuren des „Erlanger Modells“,
egal, ob Repräsentanten der Eltern, ob Lehrer oder ob Universitätsdozenten, mittel- und langfristig
gelingen kann, eine stabile Zusammenarbeit mit den Moscheen vor Ort aufzubauen. Der eine Faktor
liegt in seiner Struktur. Das Modell ist in Kooperation mit muslimischen Vertretern entstanden und
kann auf diesen Hergang verweisen. Damit ist es kein ‚obrigkeitlich verordnetes’, sondern tatsächlich
eine Co-Konstruktion von Muslimen und deutscher Seite. Der zweite Faktor liegt in dem
„Leidensdruck“297 des Umbruchs von einer vom Herkunftsland her bestimmten ‚Gastarbeiterreligion’
294
Güneysu 2005: 64.
Interview mit dem Schulleiter einer dieser Schulen, Abs. 36-38.
296
Interview mit einem Studierenden der islamischen Religionslehre, Abs. 234-237.
297
Interview mit Harun Behr, Abs. 2.
295
Seite 64 von 76
zu einem ‚deutschen Islam’.
3.3
Fazit:
Die
Notwendigkeit
einer
staatlichen
aktiven
Moderation
des
islamischen
Religionsunterrichts für einen Übergangszeitraum
Dieser Umbruch ist – auch wenn einige der vorhergehenden Abschnitte diesen Eindruck erweckt
haben könnten – nicht in erster Linie ein theologischer Umbruch. Die in Abschnitt 2.2.3 skizzierten
Bezugspunkte der individuellen und kollektiven Identitätskonstruktion sind vorher Gegenstand
muslimischer Diskussionen gewesen und werden es erkennbar bleiben, zwischen ihnen werden noch
ziemlich lange Zeit die Spannungslinien verlaufen. Was sich erkennbar zu ändern beginnt, ist die Art
und Weise, wie die Muslime in Deutschland sich auf der diskursiven und der sozialen Ebene
organisieren.
Diese Umstrukturierung ist noch weit davon entfernt, ‚in der Fläche’ wirksam zu werden. Die große
Menge vor allem der türkischstämmigen Muslime wird ebenfalls noch eine ganze Weile auf die
türkisch-islamischen Verbände bezogen bleiben – ein Befund, der unter Integrationsgesichtspunkten
einer eigenen weitergehenden Auseinandersetzung bedarf. Gleichzeitig werden auch die Bemühungen
des bereits existierenden deutschsprachigen muslimischen Diskursfelds weitergehen. Daneben beginnt
jedoch mit den Pilotprojekten zum ‚islamischen Religionsunterricht’ eine Phase der theologischen
Professionalisierung des deutschen Islam, eine Entwicklung die von den anderen eben genannten in
einer gewissen Unabhängigkeit verläuft, einer Unabhängigkeit die nicht zuletzt auch materieller Natur
ist. Die zukünftigen angestellten muslimischen Religionslehrer und Theologen werden als
eigenständige Gruppe von Akteuren eine neue Dynamik in die muslimischen Diskurse und ihre
Verhältnisbestimmung zur deutschen Gesellschaft bringen, wobei diese Dynamik weit mehr in der
Methode als in den Inhalten liegt. Harry Harun Behr formuliert das von der Perspektive der
akademischen Ausbildung her:
„Diese Rückbindung an die Moschee und an die islamischen Glaubensgemeinschaften bleibt immer
irgendwie brenzlig, vor allem weil man sich auch in bestimmten Positionen in eine andere Richtung
bewegt, als der mitgebrachten Tradition vieler Muslimas und Muslimen entspricht, das ist absolut
zwangsläufig so. Nicht weil man das will, sondern das ergibt sich schlichtweg aus der Beschäftigung
mit der Materie, sozusagen das Reformpotenzial, das in einer (...) Rückannäherung an die
Schriftgrundlagen drinsteckt.“298
Ein Studierender weist daraufhin, dass dieser Wandel aber schon weit unterhalb des akademischen
Niveaus beginnt und zwar keineswegs als aufklärerisches Projekt, sondern auch aus dem Leidensdruck
heraus, den eigenen Weg in der Situation des permanenten ‚wählen Müssens’ zu finden. Die
Jugendlichen,
„wollen den richtigen Weg für sich finden und das geht nur über die Frage, was erlaubt und was nicht
298
Interview mit Harry Harun Behr, Abs. 17.
Seite 65 von 76
erlaubt ist. Und ich denke, dass können oft die Eltern nicht mehr bewerkstelligen, dass sie eben den
Kindern sagen, was erlaubt und was nicht und wenn, dann machen sie es meistens falsch. Denn nach
dem was ist erlaubt und was ist nicht erlaubt kommt normalerweise die nächste Frage, warum ist es
erlaubt und nicht erlaubt (...) und bei dieser Frage spätestens hört es bei den meisten auf, weil sie keine
Ahnung haben, sie sagen einfach, >das haben wir von Oma gehört< oder sie sagen >keine Ahnung (...)
ist halt einfach mal so, ich weiß auch nicht woher ich es habe<. Und dieses Warum bringt, glaube ich,
viele Jugendliche wieder zurück in die Moschee, dass sie sagen na, ja, woher soll ich es denn erfahren,
wenn nicht in der Moschee.“299
Es wurde jedoch bereits gezeigt, wie viele junge Muslime – und zwar gerade religiös virtuose mit sehr
guten Deutschkenntnissen – bei den Moscheen nicht stehen bleiben. Aus ihnen rekrutieren sich die
Studierenden der islamischen Religionslehre.
Was für viele der jungen Muslime als ein hochattraktiver und biographisch bedeutsamer Diskursraum
jenseits der ‚Sprachmauer’ gelten kann, ist für die älteren Generationen freilich von hoher
Ambivalenz. Zwar ist der islamische Religionsunterricht für die meisten muslimischen Eltern ein
extrem positiv bewertetes
Symbol
und ein lang erwartetes
Signal und Angebot
der
Zuwanderungsgesellschaft. Dennoch bestehen auch viele Bedenken und massive Ängste bei Eltern
und Verbänden, dass der hier gelehrte Islam nicht den eigenen, häufig traditionalistischen und/oder
nationalistischen Vorstellungen entspricht.
Gerade das Beispiel des „Erlanger Modells“ ist jedoch als Beleg dafür aufzufassen, dass die Interessen
der Eltern und der Verbände – hier in erster Linie der türkisch-islamischen Verbände – nicht
zusammenfallen. Das Interesse einer zunehmenden Zahl von Eltern besteht darin, die eigenen Kinder
für das Leben jenseits der ‚Sprachmauer’ fit zu machen, auch wenn sie selbst es aus unterschiedlichen
Gründen nicht durch diese Mauer geschafft haben. Der islamische Religionsunterricht hat dabei für sie
die Funktion, die Kinder mit einem wichtigen, zum Teil sogar mit einem zentralen Element der
eigenen Lebens- und Wertegrundlagen bekannt zu machen. Einfach aus diesem Grund ist es für sie
entscheidend, Lehrer zu finden denen sie vertrauen. Auch viele einzelne Funktionäre aus den
Moscheen und von den Verbänden sind sich wohl bewusst wie dringend dieses Anliegen ist. Die
Verbände selbst aber sind durch ihre „Transstaatlichkeit“300 gehandikapt. Sie werden sich auf Dauer
entscheiden müssen, ob sie weiter „Außenstelle einer türkischen Partei oder Bewegung“ oder
„Migranten-Selbstorganisation“301 sein wollen. Speziell bei DITIB reicht diese Frage bis an die
Wurzeln der Struktur und Legitimation des Verbandes.
Letztlich erklären sich von hier aus auch zu einem guten Teil die aktuellen intensiven Bemühungen
der Verbände, als anerkannte islamische Religionsgemeinschaften ein prägendes Mitspracherecht in
entscheidenden Aspekten des Unterrichts zu bekommen. Genau diese Anstrengungen sind angesichts
299
Interview mit einem Studierenden der islamischen Religionslehre, Abs. 136-140
Vgl. Trautner 2000.
301
Zentrum für Türkeistudien 1997: 114f.
300
Seite 66 von 76
der in den Abschnitten 2.2 und 2.3 skizzierten Sachverhalte jedoch als außerordentlich problematisch
einzuschätzen. Die Verbände stehen – mit Ausnahme von DITIB, der aus den in Abschnitt 2.2.4.1
genannten Gründen ausfällt – weder zahlenmäßig noch von den von ihnen vertretenen Positionen für
eine Mehrheit der Muslime in Deutschland. Erst eine Einbeziehung des skizzierten Feldes
muslimischer
Pluralität
–
zu
der
die
flächendeckende
Etablierung
eines
islamischen
Religionsunterrichts und die Professionalisierung der islamischen Theologie an den Universitäten
entscheidendes beitragen kann – schafft eine Grundlage für einen islamischen institutionellen
Ansprechpartner, der mittel- und langfristig in der Lage ist, das korporatistische Angebot des Staates
konstruktiv zu füllen. Dieser Sachverhalt berechtigt zu der paradoxen Formulierung, dass der
islamische Religionsunterricht eine Einrichtung ist, die sich die soziale Basis für die eigene Existenz
erst selbst schaffen muss. Mathias Rohe formuliert die Konsequenzen so:
„Meines Erachtens ergibt sich aus der Religionsfreiheit eine Kooperationspflicht des Staates bei der
Offenlegung der konkreten Voraussetzungen für den IRU und bei der Einrichtung einer vermutlich
längerfristigen >Probephase<. Muslime werden sich nur stufenweise und von unten (lokale Ebene)
nach oben (Landes- oder Bundesebene) nur sukzessive konstituieren können“.302
Anders formuliert, die staatlichen Stellen sollten für eine Übergangsphase den Charakter der
Modellversuche als staatlich moderierte ‚Vorformen’ aufrechterhalten und so sicherstellen, dass sich
die entstehenden Diskursräume ohne die Gefahr einer inhaltlichen Schließung von irgendeiner Seite
entwickeln und zu eigenständigen Größen innerhalb der gesamtmuslimischen Diskurse werden
können.
Wenn nun z.B. Abdul Hadi Christian Hoffmann darauf insistiert, „die Tatsache, dass sich die
überwiegende Mehrheit der Muslime nicht organisiert“, könne „kein Grund sein, >nicht nach
Möglichkeiten der Kommunikation und Kooperation mit den Organisierten zu suchen<“303 so ist
dieses Anliegen zu bejahen: Die Verbände müssen als ein substanzieller Teil der muslimischen
Diskurse in Deutschland in die Diskussionsprozesse im Rahmen der Einführung des islamischen
Religionsunterrichts dauerhaft mit einbezogen werden. Sie sind Teil der Diskurse. Ein
Alleinvertretungsanspruch kann jedoch keinesfalls daraus abgeleitet werden. Das macht ‚bottom up’
Lösungen entsprechend dem eben zitierten Konzept von Rohe zu einem entscheidenden
Zwischenschritt in Richtung einer langfristig für alle Seiten befriedigenden Lösung. Das „Erlanger
Modell“ ist dabei eine wichtige mögliche Variante neben den anderen Modellprojekten und
Vorformen eines islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache, wie sie in Abschnitt 3.1
skizziert sind.304 Ein wichtiger Impuls, der vom „Erlanger Modell“ ausgehen kann, liegt vor allem in
302
Rohe 2006: 85.
Hoffmann 2005: 12f in Zitation von Lemmen 2005: 184.
304
In vieler Hinsicht realisiert das Berliner Modell die Vorstellungen der Mehrzahl der Verbände, so wie die
unterschiedlichen Formen der islamischen Unterweisung in türkischer Sprache die Vorstellungen erfüllt, die
DITIB nach wie vor mehrheitlich vertritt. Es wäre ein Desiderat für die religionspädagogische und/oder
soziologische Forschung, eine vergleichende Evaluation unter Schülern oder ehemaligen Schülern dieser
303
Seite 67 von 76
der verstärkten und konstitutiven Einbeziehung und Aktivierung der Eltern als tragendes und
formendes Element des Unterrichts und womöglich der Lehrpläne und der Lehrerauswahl, wobei die
Befunde gezeigt haben, dass dies kein einfaches Unterfangen ist. Vielleicht ist ein zumindest
mittelfristig gangbarer Weg für die Schaffung eines institutionellen muslimischen Ansprechpartners
für die Länder zunächst die Organisation in Interessengruppen – Eltern, Lehrer, Dozenten und
Moscheen – erst sie zusammen bilden einen einigermaßen repräsentativen Teil des muslimischen
Diskursfeldes ab.
Modelle durchzuführen unter dem leitenden Gesichtspunkt, welche Selbstdefinitionen und welche
Verhältnisbestimmungen zur deutschen Gesellschaft sie entwickelt haben und welche Wirkungen die
verschiedene Modelle dabei zeigen.
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