Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum Universität Basel Mathematik für Ökonomen 1 Dr. Thomas Zehrt Integralrechnung II Literatur: Gauglhofer, M. und Müller, H.: Mathematik für Ökonomen, Band 1, 17. Auflage, Sankt Gallen, Verlag Wilhelm Surbir Seiten 164-173 2 1 Uneigentliche Integrale 1.1 Fragestellung Gegeben sei eine auf dem rechts (bzw. links) offenen Intervall [a, b) (resp. (a, b] ) erklärte und stetige Funktion y = f (x). Wir wollen zunächst den Begriff des bestimmten Integrals erweitern, um eine Möglichkeit zu haben • Funktionen deren Integrand f (x) bei der Annährung x → b (resp. x → a) nicht beschränkt ist, und • Funktionen über unbeschränkte Integrationsintervalle [a, ∞) (resp. (−∞, b]) zu integrieren. Dazu definieren wir zunächst die folgenden vier Ausdrücke, die wir als uneigentliche Integrale bezeichnen: b f (x) für x → b nicht beschränkt: Z b f (x) für x → a nicht beschränkt: Z ∞ unbeschränktes Intervall [a, ∞): Z b unbeschränktes Intervall (−∞, b]: Z f (x) dx = a f (x) dx = a f (x) dx = a f (x) dx −∞ = lim c→b− lim c→a+ lim c→∞ lim c→−∞ Z c f (x) dx a Z b Z c f (x) dx c f (x) dx a Z c b f (x) dx 3 Beispiele: 1. Welchen Wert hat das Integral Z 0 1 1 dx? x 12,5 10,0 y 7,5 5,0 2,5 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 x Zunächst ist nicht klar, wie man diese Frage überhaupt verstehen soll. Geometrisch misst das Integral den Fächeninhalt unter der Kurve der Funktion f (x) = x1 , welche allerdings im Nullpunkt eine Polstelle hat. Intuitiv könnten hier zwei Dinge passieren: entweder der Flächeninhalt ist unendlich gross (da die Funktion uenendlich wächst) oder der Flächeninhalt ist endlich (da das zwar unendliche Wachstum der Funktion durch die schnelle Annährung an die y-Achse kompensiert wird). Z 1 1 dx? 2. Welchen Wert hat das Integral x2 0 12,5 10,0 y 7,5 5,0 2,5 0,0 0,2 0,4 0,6 x 0,8 1,0 4 3. Welchen Wert hat das Integral Z 1 0 1 √ dx? x 12,5 10,0 y 7,5 5,0 2,5 0,0 0,25 0,75 0,5 1,0 x 4. Welchen Wert hat das Integral Z ∞ xe−x dx? 0 0,3 0,2 0,1 0,0 0 2 4 6 8 x Intuitiv könnten auch hier zwei Dinge passieren: entweder der Flächeninhalt ist unendlich gross (da das Intervall uenendlich lang ist) oder der Flächeninhalt ist endlich (da die unendliche Intervalllänge durch die schnelle Annährung an die xAchse kompensiert wird). Ein uneigentliches Integral konvergiert (bzw. divergiert), wenn der zugehörige Grenzwert existiert (bzw. nicht existiert). 5 1.2 Die Vergleichsfunktionen Die Funktionen der Gestalt f (x) = 1 xα für α ∈ R sind in der Theorie der uneigentlichen Integrale von besonderer Bedeutung. Ihr Konvergenzverhalten lässt sich schnell bestimmen und sie werden gerne als Vergleichsfunktionen genutzt. Eine direkte Rechnung führt zu den folgenden Resultaten. 1. α = 1 Z ∞ 1 Z 1 0 1 dx x = lim c→∞ 1 dx = lim c→0+ x Z Z c 1 1 c 1 dx = lim ln(c) = c→∞ x ∞ 1 dx = lim (− ln(c)) = c→0+ x ∞ 2. α < 1 Z ∞ 1 Z 1 0 1 1 dx = lim α c→∞ α − 1 x 1 1 dx = lim α c→0+ α − 1 x 1 1 dx = lim α c→∞ x α−1 1 1 dx = lim α c→0+ x α−1 1− 1 cα−1 1 cα−1 = ∞ = 1 1−α = 1 α−1 = ∞ −1 3. α > 1 Z ∞ 1 Z 1 0 1− 1 cα−1 1 cα−1 −1 6 Beispiele: 1. Z ∞ Z 1 Z ∞ Z ∞ 1 x2 1 2. 1 1 x2 0 3. 1 dx = lim c √ 2 · x = lim (2 · c − 2) = ∞ dx = lim 1 √ 2 · x = lim (2 − 2 · c) = 2. c→∞ c→0+ 2 x e−x dx = 0 4. 1 1 ln(x) dx = x2 1 2 1 c→∞ 1 2 c c→0+ 7 2 Numerische Integration Wie schon im vorhergehenden Kapitel angedeutet wurde, ist es oft sehr schwierig oder sogar unmöglich die Stammfunktion einer (komplizierten) Funktion zu bestimmen. Man ist deshalb oft auf numerische Verfahren zur Berechnung von bestimmten Integralen angewiesen. Problemstellung: Gegeben ist eine komplizierte Funktion f : [a, b] −→ R und wir suchen einen Näherungswert für das bestimmte Integral Z b If = f (x) dx. a Methoden die If numerisch berechen, nennt man Quadraturverfahren. Sie beruhen meist auf dem Prinzip, die komplizierte (d.h. hier schwer zu integrierende) Funktion durch eine einfache (d.h. einfach zu integrierende) Funktion zu ersetzen und diese über das Intervall [a, b] zu integrieren. 2.1 Einfache Quadraturverfahren Die Rechtecksregel Rf Wir ersetzen hier die Funktion f durch eine konstante Funktion auf dem Intervall [a, b]. Die Höhe dieser Funktion soll dabei die selbe sein, die f in der Intervallmitte b+a annimmt: 2 Rf = f b+a 2 (b − a) y f x a a+b ___ 2 b 8 Beispiele: 1 1. f (x) = , x If = Z 4 1 dx. x 2 Rf = −x2 2. g(x) = e , If = Z 1 2 2 1 (4 − 2) = ≈ 0.6667 3 3 2 e−x dx. 0 1 Rg = e− 16 1 ≈ 0.4697 2 9 Die Trapezregel T f Wir ersetzen hier die Funktion f durch eine lineare Funktion, die durch die beiden Punkte (a, f (a)) und (b, f (b)) geht. Tf = f (a) + f (b) (b − a). 2 y f x a+b ___ 2 a b Beispiele: 1 1. f (x) = , x If = Z 4 1 dx. x 2 Tf = −x2 2. g(x) = e , If = Z 1 2 1/4 + 1/2 3 (4 − 2) = = 0.75 2 4 2 e−x dx. 0 Tg = e−1/4 + e0 1 ≈ 0.4447 2 2 10 Die Simpson-Regel Sf Hier wird die Funktion f auf dem Intervall [a, b] durch ein sogenanntes quadratisches Interpolationspolynom p(x) ersetzt. Dieses Polynom ist durch die drei Bedingungen 1. 2. 3. p(a) = f (a) gleiche Funktionswerte am linken Intervallrand = f a+b gleiche Funktionswerte in der Intervallmitte p a+b 2 2 p(b) = f (b) gleiche Funktionswerte am rechten Intervallrand eindeutig festgelegt. Konstruktion von p und Integration 1. Allgemeiner Ansatz: p(x) = c0 + c1 x + c2 x2 2. Die drei obigen Bedingungen übersetzen sich direkt in drei lineare Gleichungen zur Bestimmung der drei Unbekannten c0 , c1 und c2 c0 + c1 a + c2 a2 = f (a) a+b + c2 c0 + c1 2 a+b 2 c0 + c1 b + c2 b2 2 =f a+b 2 = f (b). Aus diesen Gleichungen können die Unbekannten direkt (z.B. durch Elimination) bestimmt werden. Der Einfachheit halber wollen wir hier nur die Lösungen für den Spezialfall a = −1 und b = 1 angeben: a+b c0 = f 2 f (b) − f (a) c1 = 2 f (b) + f (a) a+b c2 = −f 2 2 3. Nun kann das konstruierte Interpolationspolynom p über das Intervall [a, b] bestimmt integriert werden und man erhält: Sf = Z a b p(x) dx = b−a 6 a+b f (a) + 4f + f (b) 2 11 1 Beispiel: Sei f (x) = gegeben. Wir könnten natürlich direkt die obige Formel verwenx den um das bestimmte Integral des quadratischen Interpolationspolynoms zu bestimmen, wollen aber das Vorgehen vollständig am Beispiel durchführen. Wir suchen also zunächst das quadratische Interpolationspolynom auf dem Intervall [2, 4]. Der allgemeine Ansatz ist p(x) = c0 + c1 x + c2 x2 und die drei Interpolationsbedingungen schreiben sich als 1 2 c0 + c1 2 + c2 4 = c0 + c1 3 + c2 9 = 1 3 c0 + c1 4 + c2 16 = 1 4 mit den Lösungen c0 = 13/12, c1 = −3/8 und c2 = 1/24. Das Interpolationspolynom hat also die Gleichung 13 3 1 − x + x2 . 12 8 24 p(x) = 0,5 0,45 0,4 0,35 0,3 0,25 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 x Natürlich kann von diesem Polynom leicht eine Stammfunktion P (x) bestimmt werden P (x) = 13 3 1 x − x2 + x3 12 16 72 und somit folgt Sf = Z 2 4 p(x) dx = P (4) − P (2) = 25 ≈ 0.6944. 36 Das ist das Ergebnis, das uns auch die direkte Anwendung der Formel leifert. 12 3 Stetige Zufallsvariablen 3.1 Definition Eine Zufallsvariable X ist eine Grösse (oder besser eine Funktion), die bei verschiedenen, unter gleichen Bedingungen durchgeführten Versuchen, verschieden Werte x mit x ∈ R annimmt. Beispiel: Ich wähle jeden Tag zufällig eine Person aus, z.B. jeweils die zehnte, die diesen Hörsaal betritt und bestimme die Körpergrösse dieser Person. X wäre hier die Funktion, die der ausgewählten Person ihre Körpergrösse zuordnet und die Werte, die X annehmen kann, sind alle reellen Zahlen grösser als 0. Wir könnten das auch intuitiv schreiben als X ∈ [0, ∞). Typische Fragen sind z.B. • mit welcher Wahrscheinlichkeit ist eine ausgewählte Person grösser als 1.60 m, kurz: P (1.60 < X) = ? • mit welcher Wahrscheinlichkeit ist eine ausgewählte Person grösser oder gleich 1.60 m und kleiner als 1.80 m, kurz: P (1.60 ≤ X < 1.8) = ? Definition 3.1 Eine Zufallsvariable X wird als stetig bezeichnet, falls es eine Funktion f gibt, die folgende Eigenschaften hat 1. f (t) ≥ 0 für alle t ∈ R, 2. f (t) ist stetig bis auf abzählbar viele Punkte, Z ∞ 3. f (t) dt = 1 . −∞ 4. P (a ≤ X ≤ b) = Z b f (t) dt a Die Funktion f heisst auch Wahrscheinlichkeitsdichte oder einfach Dichte. Die Funktion F (x) = Z x f (t) dt. −∞ heisst Verteilungsfunktion der Zufallsvariablen X. Der Erwartungswert E(X) und die Varianz V (X) von X sind dann Z ∞ E(X) = t f (t) dt −∞ Z ∞ V (X) = (t − E(X))2 f (t) dt −∞ 13 Es ist leicht einzusehen, dass die Verteilungsfunktion F eine Stammfunktion der zugehörigen Dichte ist. Wahrscheinlichkeit, dass X einen Wert zwischen a und b annimmt: P (a ≤ X ≤ b) = Ausgedrückt durch die Verteilungsfunktion: Ausgedrückt durch die Dichte: F (b) − F (a) Z = b f (t) dt. a Theoretisch könnten wir hier den Zugang über stetige Zufallsvariablen vorläufig wieder vergessen und uns allgemein mit Funktionen f beschäftigen, die die drei Eigenschaften in der Definition besitzen. 14 Bemerkung 3.1 Die Dichte einer Zufallsvariablen X könnte die folgende Gestalt haben: y f(t) t a b Rb Das bestimmte Integral a f (t)dt kann dann geometrisch als der Flächeninhalt unter der Kurve zwischen den Grenzen a und b interpretiert werden. Dieser Flächeninhalt entspricht der Wahrscheinlichkeit dafür, dass unsere Zufallsvariable X einen Wert zwischen a und b annimmt. y f(t) t E(X) − V(X) E(X) E(X) + V(X) Der Erwartungswert E(X) kann als Schwerpunkt der mit der Dichte belasteten reellen Zahlengerade interpretiert werden, d.h. die belastete Gerade würde im Gleichgewicht bleiben, wenn man ,,den Finger unter E(X) legt”. Die Varianz misst die durschnittliche Abweichung der Werte von X vom Erwartungswert E(X). Da sich die obige Dichte weit auf der Achse ausbreitet, wird V (X) hier relativ gross sein. 15 Aufgabe 3.1 Viele praktisch relevante Zufallsvariablen sind normalverteilt, d.h. die zugehörige Dichtefunktion hat die Gestalt (t−µ)2 1 √ e− 2·σ2 σ 2π f (t) = mit den zwei Parametern µ und σ. Zeigen Sie: 1. f ist symmetrisch bzgl. der Geraden t = µ, 2. f hat ein lokales Maximum bei t = µ, 3. f hat höchstens zwei Wendestellen, 4. falls µ = 0 und σ = 1 ist, gilt 1 √ 2π Z ∞ −∞ t2 t e− 2 dt = 0. 16 Aufgabe 3.2 Sei X eine stetige Zufallsvariable mit der Dichtefunktion f (t) = 1. Zeigen Sie, dass Z 2t − 4 0 für 2 ≤ t ≤ 3 . sonst. ∞ f (t) dt = 1 gilt. −∞ 2. Berechnen Sie den Erwartungswert E(X), die Varianz V (X) und die Standartabweichung. 3. Bestimmen Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Zufallsvariable einen Wert zwischen 1 und 2.5 annimmt. 4. Bestimmen Sie die Verteilungsfunktion der Dichte f .