Stiftungsbrief September 2016 Liebe Leserinnen, liebe Leser, liebe Freunde der Walter Schulz Stiftung! Zahlen machen anschaulich, wie uns das Problem der Krebserkrankung beschäftigen muß und wie zwingend erforderlich die Forschung für Diagnose und Therapie ist. Und wie sehr diese wissenschaftliche Arbeit finanzielle Unterstützung braucht. 480.000 Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr an Krebs. Wegen der demographischen Entwicklung wird diese Zahl in den kommenden 20 Jahren voraussichtlich um 20 Prozent ansteigen. Betroffen sind mehr als 60 Prozent der Männer und 43 Prozent der Frauen. Männer erkranken überwiegend erst ab 60 Jahren, Frauen früher, bereits während der Berufstätigkeit. Bei einem geringen Teil der Erkrankten liegt ein erblich bedingtes Tumorsyndrom vor, das in jeder Generation der Familie auftritt, bereits in jungen Jahren. Erkrankte Eltern geben die Veranlagung für einen erblichen Tumor mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit an die Kinder beiderlei Geschlechts weiter. Ein Gentest ab dem 18. Lebensjahr verschafft im Einzelfall Klarheit. Bei einem negativen Ergebnis liegen die entsprechenden Genveränderungen nicht vor, ein positives bestätigt die Genveränderungen, läßt aber noch keine Aussage darüber zu, ob und wann die Erkrankung ausbricht. Bleiben Sie aufmerksam! Und helfen Sie uns auch weiterhin, zu helfen. Mit herzlichen Grüßen Ihre Monika Thieler 1. Vorsitzende 1 Stiftungsbrief September 2016 Blutkrebs läßt sich gut behandeln Der Weltblutkrebstag gab einen Überblick über Vorkommen, Risikofaktoren, Behandlung und Prognose von Leukämien, Lymphomen und Myelom und stellte zusammenfassend fest, daß Blutkrebserkrankungen eine deutlich bessere Prognose haben als die meisten metastasierten soliden Tumoren. Das gilt besonders für die kindlichen Krebsformen. Insgesamt erkranken in Deutschland im Jahr ca. 38.200 Erwachsene an Blutkrebs: 6.800 Männer und 5.300 Frauen an Leukämien („weißes Blut“), 1.300 Männer und 900 Frauen an Morbus Hodgkin, 9.400 Männer und 7.900 Frauen an Non-Hodgkin-Lymphom und 3.600 Männer und 3.000 Frauen am Multiplen Myelom. Von den jährlich erkrankten 880 Kindern leiden rund 600 an Leukämien und 280 an Lymphomen. Akute Leukämien verlaufen sehr fulminant, unbehandelt zum raschen Tod. Chronische Leukämien nehmen einen lang­ samen Verlauf und müssen auch unbehandelt nicht mit dem Tod enden. Lymphome befallen Lymphknoten an verschiedenen Stellen des Körpers. Das Myelom entsteht im Knochenmark und führt zu einer Vermehrung der Plasmazellen, verbunden mit Knochenbrüchen und Veränderungen der Blutbildung. Das Risiko von Leukämien sind Strahlung, Chemikalien wie Benzol, Zigarettenrauch und Chemotherapien, die zu Mutationen der blutbildenden Zellen im Knochenmark führen. Bei der kindlichen akuten lymphatischen Leukämie kommt es schon vor der Geburt zu derartigen Mutationen, die kurz nach der Geburt die Erkrankung ausbrechen lassen. Bei Lymphomen gibt es Hinweise auf beteiligte Viruserkrankungen, beim Hodgkin-Lymphom einen Zusammenhang mit dem Epstein-Barr-Virus. Die klassische Behandlung von Blutkrebs ist die Chemotherapie, mit der sich ein Großteil der Patienten heilen oder die Erkrankung über lange Zeiträume kontrollieren läßt. Vor zwanzig Jahren wurde für die chronische myeloische Leukämie der Wirkstoff Imantinib entwickelt, der als gut verträgliche Tabletten den Krebs über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte im Zaum hält. Imatinib wirkt auch bei einem Teil der Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie. Als erfolgreiche Therapie gilt auch die Immuntherapie. Besonders bei der kindlichen akuten lymphatischen Leukämie ist es gelungen, mit genetisch veränderten T-Zellen auch noch in beinahe aussichtslosen Fällen Erfolge zu erzielen. Bei soliden Tumoren aktivieren Medikamente eine gegen Tumorzellen gerichtete Immunreaktion des Körpers, besonders erfolgreich beim Melanom und bei Lungentumoren. Speziell bei Blutkrebs eingesetzt wird die Stammzelltransplantation. Bei der autologen entnimmt man dem Knochenmark oder dem Blut Stammzellen, die dem Patienten nach einer hochdosierten Chemotherapie zurückgegeben werden. Diese Erholung der Blutbildung wird besonders bei Myelomen und Lymphomen praktiziert. Bei vielen Blutkrebsarten wird die allogene Blutstammzelltransplantation angewendet, die Übertragung von gespendeten Stammzellen, von Familienmitgliedern oder Spendern aus der Datei. Die Hoffnung geht in Richtung von Medikamentencocktails, die wesentlich besser verträglich wären als die Chemotherapie. Allerdings ist die Therapie mit diesen neu entwickelten Medikamenten außerordentlich teuer, deshalb muß zuvor die Wirkung dieser neuen Substanzen einzeln in klinischen Studien überprüft werden. 2 Stiftungsbrief September 2016 Marker hilft Strahlenschäden zu vermeiden Eine Strahlentherapie nach Krebs kann das Gewebe dauerhaft schädigen, indem das elastische Gewebe durch härteres Bindegewebe ersetzt wird. Diese Fibrose kann das Leben der Patienten schwerwiegend beeinträchtigen. Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrum und am Universitätsklinikum Mannheim haben bei Brustkrebspatientinnen nachgewiesen, daß die Aktivität bestimmter Gene mit dem Risiko für eine spätere Strahlenfibrose zusammenhängt. Wie aktiv diese Gene sind, hängt von epigenetischen Veränderungen im Erbgut der Bindegewebszellen ab. Der neuentdeckte Marker könnte Ärzte bereits bei der Diagnose informieren, welche Patientinnen ein besonders hohes Fibroserisiko haben, so daß die Strahlendosis reduziert oder auf andere Therapien ausgewichen werden könnte. Gezielte Wirkstoffe könnten die Fibrosebildung künftig verhindern. Gefährliches Enzym bei Bauchspeicheldrüsenkrebs Bauchspeicheldrüsenkrebs ist die Tumorerkrankung mit der niedrigsten Überlebensrate, weil er kaum Symptome entwickelt, außerdem früh Metastasen setzt. Daß die Patienten meist nur wenige Monate nach der Diagnose überleben, liegt aber auch an einem Enzym, das die Medikamente abbaut. Ein Forscherteam vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Stammzell-Institut HI-STEM entdeckte, daß besonders resistente Tumorzellen verstärkt das Enzym CYP3A5 produzieren, das normalerweise nur in der Leber aktiv ist. Es hilft den Krebszellen, viele derzeit verwendete Krebsmedikamente abzubauen, bevor sie überhaupt wirken können. In Laborversuchen gelang es den Heidelberger Forschern, CYP3A5 zu blockieren und die Krebszellen dadurch wieder für Medikamente empfindlich zu machen. Nun müssen Substanzen gefunden werden, die für die Behandlung von Patienten geeignet sind. 3 Stiftungsbrief September 2016 Das gefährliche Glioblastom Über die Hälfte aller Tumoren im Gehirn sind keine Hirntumoren im eigentlichen Sinne, sondern Absiedlungen von Krebserkrankungen im Körper. Die „echten“ Hirntumoren sind zur Hälfte gutartige Tumoren der Hirnhäute, die Meningeome, die meist durch eine Operation geheilt werden können. Die andere Hälfte sind die diffus wachsenden Gliome, in der Mehrzahl die besonders aggressiven Glioblastome. Die Glioblastome wachsen mit einem Netzwerk so in das Gehirn ein, daß sie nicht vollständig entfernt oder präzise bestrahlt werden können. Sie infiltrieren das gesamte Zentralnervensystem, sind zudem extrem resistent gegen alle Therapien. Bisher überlebten weniger als zehn Prozent der Patienten die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Doch mit der fortschrittlichen molekularen Tumordiagnostik lassen sich die veränderten Zellstrukturen besser erkennen, Medikamente zielgenau einsetzen. Die Klinische Kooperationseinheit Neuroonkologie des Deutschen Krebsforschungszentrums und die Neuro­logische Universitätsklinik Heidelberg erproben derzeit im Labor eine Kombination der Protonen-Präzisionsstrahlentherapie mit zielgerichteten Medikamenten. Weit fortgeschritten ist der Wirkstoff APG101, der Wachstumssignale an die Glioblastomzellen unterdrückt. In Kombination mit der Strahlentherapie ließ sich das Überleben einer bestimmten Gruppe von Patienten signifikant steigern. Weiter erforscht wird auch die Therapie mit Parvorviren, die sich in ersten klinischen Prüfungen als sicher erwiesen hat. Das Enzym IDH1, das bei wenigen Glioblastomen und einer Mehrzahl der niedriggradigen Gliome tumorspezifisch verändert ist, soll mit einem mutationsspezifischen Impfstoff zu einer Immunreaktion gegen Tumorzellen veranlaßt werden. Klinisch geprüft wird auch ein Wirkstoff, der die tumortypisch veränderte Variante des Proteins IDH1 blockiert. Neue Angriffspunkte bietet das neu entdeckte Netzwerk der Glioblastomzellen. Auch die Immuntherapie gilt als aussichtsreich. Darmkrebs nimmt zu Nach Schätzung des Zentrums für Krebsregisterdaten im RobertKoch-Institut werden in diesem Jahr rund 33.000 Männer und etwa 28.000 Frauen an einem kolorektalen Karzinom erkranken. Damit ist Darmkrebs bei Männern die dritthäufigste und bei Frauen die zweithäufigste Tumorerkrankung, mit höherer Lebenserwartung steigen diese Zahlen an. Deutschland liegt im internationalen Vergleich mit an der Spitze, bedingt durch Ernährungs- und Lebensgewohnheiten. Mit dem Krebs nimmt auch die Zahl der künstlichen Darmausgänge zu und damit die Notwendigkeit intensiver Beratung. Es gibt eigens Unternehmen, die mit den Krankenhäusern und Krankenkassen Verträge für die Nachsorge der Patienten abschließen. 4 Stiftungsbrief September 2016 Frühe Metastasierung bei Bauchspeicheldrüsenkrebs Weniger als sieben von hundert Erkrankten überleben die ersten fünf Jahre nach der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Der Grund ist das Fehlen von Symptomen und die frühe Metastasierung. Die Fähigkeit dazu sei bereits vorhanden, bevor sich eine Zelle überhaupt in eine Krebszelle verwandelt habe, stellten Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums fest. Die Krebszellen bedürfen also nicht erst der Mutationen des wachsenden Tumors, um sich von ihm zu lösen und sich woanders festzusetzen. Bei der Suche nach molekularen Veränderungen in den Tumorzellen stießen die Wissenschaftler auf die microRNAs, die vielfältige Zellfunktionen steuern, unter anderem die Fähigkeit von Krebszellen der Bauchspeicheldrüse unterdrücken, in umgebendes Gewebe einzuwandern und Metastasen zu streuen. Die microRNAs bilden drei verschiedene Gewebetypen, besonders auffällig miR-192, die in der gesunden Drüse reichlich vorkommt, mit sehr hoher Sicherheit zwischen normalem und chronisch entzündetem Pankreas unterscheidet. Patienten mit der Krebsdiagnose überlebten besonders lange, wenn ihre Tumoren relativ viel miR-192 produzierten, ein geringer Spiegel deutet auf eine rasch fortschreitende Erkrankung. Das Ergebnis zeigt, daß bereits im entzündeten Pankreasgewebe epigenetische Veränderungen die Produktion von miR-192 drosseln, die Zellen zu Invasion und Metastasierung befähigt. Die Umwandlung zur Krebszelle wird unabhängig davon durch andere Faktoren verursacht und kann sich später ereignen. Die Heidelberger Forscher wollen nun prüfen, ob sich miR-192 als klinischer Marker für die Prognose von Bauchspeicheldrüsenkrebs eignet und neue therapeutische Ansätze oder Präventionsstategien ermöglicht. 5 Stiftungsbrief September 2016 Neue Erkenntnisse bei Knochekrebs Für den reibungslosen Ablauf der Stoffwechselvorgänge, Signalweiterleitungen, Zellteilungen und anderem stellen unsere Körperzellen enorme Mengen an verschiedenen Eiweißmolekülen her. Manche von ihnen sind fehlerhaft oder werden nicht mehr benötigt; sie werden vom Proteasom als Müllabfuhr der Zelle abgebaut. Dabei können auch Tumorsuppressoren zerstört werden, Proteine, die den Körper vor Krebs schützen. Und so können sich bösartige Tumorzellen ungehemmt vermehren. Damit das Proteasom zwischen notwendigen oder nicht mehr benötigten Eiweißen unterscheiden kann, sind zahlreiche Enzyme erforderlich, um diese für den Abbau zu markieren. Einige dieser Enzyme sind beim Multiplen Myelom in ungewöhnlich großer Zahl vorhanden, während ihre Gegenspieler, die die Abbausignale wieder entfernen, Mangelware sein können. Forscher der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik des Klinikums Rechts der Isar der Technischen Universität München sehen dies als Grund für die Zerstörung der schützenden Tumorsuppressoren. Deshalb soll jetzt die Grundlage für Medikamente geschaffen werden, die diesen Abbau gezielt verhindern, das Proteasom bei seiner sonstigen Arbeit aber nicht beeinträchtigen. Daraus könnte eine wirksame und schonende Therapie des Multiplen Myeloms entstehen. Rauchen beeinflußt auch Erbgut des Kindes Wenn eine Schwangere raucht, könnte sie einen späteren Krebs ihres Kindes verursachen. Eine Forschergruppe vom HelmholtzZentrum für Umweltforschung in Leipzig und vom Deutschen Krebsforschungszentrum stellte bei untersuchten Müttern und ihren Kindern epigenetische Veränderungen fest. Sie beeinflussen die Aktivität der Gene, verteilt über das ganze Erbgut. Besonders betroffen waren die sogenannten Enhancer-Regionen, DNA-Abschnitte, die ein oder gleich mehrere Gene steuern, wie sie bei Lungenerkrankungen, Diabetes und Krebs eine Rolle spielen. Die abweichende epigenetische Programmierung des Erbgutes war auch noch viele Jahre nach der Geburt des Kindes nachweisbar. 6 Stiftungsbrief September 2016 Schilddrüsenkrebs zu oft diagnostiziert Gute Untersuchungsmöglichkeiten führen nicht selten zu Überdiagnosen. Das betrifft beispielsweise die Schilddrüse. Ein Krebs dieser Drüse wird immer häufiger entdeckt, ohne daß er der Behandlung bedürfe: er führe zeitlebens weder zu Beschwerden noch gar dem vorzeitigen Tod. Französische und italienische Krebsexperten kritisieren im „New England Journal of Medicine“ die Entdeckung der Ultraschalluntersuchung, die in 70 bis 90 Prozent der untersuchten Fälle Überdiagnosen produziere. Die meisten Patienten mit diesen entdeckten Tumoren würden operiert, bestrahlt oder mit anderen Behandlungen belastet, ohne daß sie deshalb besser oder länger lebten. In Südkorea habe sich beispielsweise die Diagnose von Schilddrüsenkrebs in den vergangenen 25 Jahren verzehnfacht, die Todesfälle blieben jedoch gleich. Auch in Deutschland, so der Regensburger Gesundheitswissenschaftler David Klemperer, sei eine der größten Bedrohungen für Patienten unangemessene Untersuchungen und Behandlungen. Schlägt die Chemotherapie an? Jeder Tumor reagiert anders auf eine Chemotherapie. Ob und wie sie wirkt, kann erst durch sein Schrumpfen oder Weiterwachsen festgestellt werden, und so kann es geschehen, daß Patienten eine Chemotherapie ohne Nutzen, doch mit belastender Wirkung erhalten. Im Singapore-MIT Alliance for Research and Technology Centre in Sinpagur entwickelte ein Team um Bee Luan Khoo einen Bluttest zur Vorhersage der Therapiewirkung. Für den Test wird Blut entnommen und die roten Blutkörperchen und das Blutplasma entfernt. Die weißen Blutkörperchen und die im Blut zirkulierenden Tumorzellen werden ohne Anreicherung in den winzigen Vertiefungen einer Testplatte kultiviert. Vermehren sich die Tumorzellen und ballen sich zu größeren Clustern zusammen, deutet das auf ein metastasierendes Potential. Nach elf Tagen werden die Tumorzellen verschiedenen Konzentrationen an Zellgiften ausgesetzt. Sterben die Zellen ab und bilden sich keine Cluster mehr, bedeutet das, daß die Therapie greift. Entstehen Cluster, ist die Therapie wirkungslos oder unterdosiert, was mit den verschiedenen Konzentrationen überprüft werden kann. Der Test muß weiter geprüft und mit klinischen Daten verglichen werden. Khoo hofft, daß er bald dazu genutzt werden kann, die Wirkung einer Chemotherapie bereits in den ersten zwei Wochen nach Therapiebeginn zu kontrollieren. 7 Stiftungsbrief September 2016 Wie die Ausbreitung von Melanomen auf andere Organe gebremst wird Alle 52 Minuten stirbt ein Mensch an bösartigen Melanomen. Krebsforscher der Universität Tel Aviv haben nun in Kooperation mit Kollegen vom Deutschen Krebsforschungszentrum aufgedeckt, wie diese aggressivste Form des Hautkrebses andere Organe befällt und wie man diese Krebsausbreitung bremsen könnte. Pigmentzellen, aus denen der bösartige schwarze Hautkrebs entsteht, versenden kleine Bläschen mit dem Farbstoff Melanin, der die Haut vor UVStrahlung schützt. Diese Vesikel bereiten andere Organe auf den Empfang von Metastasen vor, indem winzige RNA-Moleküle die Bindegewebszellen in den unteren Hautschichten umprogrammieren. Ein Melanom dringt von der obersten Hautschicht, der Epidermis, in die darunterliegende Lederhaut, die Dermis, vor. Diese ist von Blutgefäßen durchzogen. Sobald der wachsende Tumor diese erreicht hat, kann er über die Blutbahn Fernmetastasen absiedeln. Ein früh erkannter Hautkrebs kann noch operativ entfernt werden, doch metastasierte Melanome verlaufen meist tödlich. Das deutsch-israelische Forscherteam entdeckte nun an Gewebeproben die umprogrammierten Bindegewebszellen und daß die Pigmentkörperchen aus entarteten Zellen große Mengen an microRNA-211 enthalten. Dieses Molekül startet einen Signalweg, der auf die Krebszellen zurückwirkt und ihre Ausbreitung fördert. Die Wissenschaftler testeten nun einen Wirkstoff, der das Weiterleiten von Pigmentkörperchen unterbindet. In der Kulturschale gelang diese Reduzierung bereits. Ein weiterer Wirkstoff blockierte erfolgreich den krebsfördernden Signalweg in den umprogrammierten Bindegewebszellen. Die beiden Substanzen sind nicht als Medikament zugelassen, diese Versuche stecken also noch in den Anfängen. Jetzt will das Team untersuchen, ob bei anderen Tumorarten ähnliche Mechanismen vorliegen, um die Metastasierung zu unterbinden. Denn Metastasen sind weit häufiger die Ursache für den Krebstod als die Primärtumoren. 8 Stiftungsbrief September 2016 Tumornetzwerk im Gehirn Mit der Mikroskopie entdeckten Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Heidelberger Universitätsklinikums im Gehirn filigrane Röhrchen, sogenannte Mikroröhren, die eine Zelle mit der anderen verbinden können. Es sind extrem dünne, bis zu einem halben Millimeter lange Fortsätze der Zellmembran, die wie Tentakeln ständig ihre Umgebung ab­ tasten. So nehmen Krebszellen Kontakt zu anderen auf und schließen sich über weite Strecken zu einem komplexen Netzwerk zusammen, das wie ein Pilz das gesunde Hirngewebe durchdringt. Die entarteten Zellen schicken Wellen von Calcium-Ionen durch die winzigen Kommunikationskanäle, Signale an die Zellen sich zu teilen oder zu vernetzen. In den Kanälen können auch Mitochondrien reisen, die maßgeblich an der Energiegewinnung einer Zelle beteiligt sind, oder Zellkerne samt der Erbinformation. Diese Aktivität entdeckten die Wissenschaftler, als sie einzelne Hirntumorzellen mit Laserstrahlen schädigten. Das Netzwerk reagierte sofort und schickte Zellkerne, die den Platz der zerstörten Zellen übernahmen. Diese umgehende Reparatur erklärt, warum Glioblastome, die aggressivsten Hirntumore, trotz intensiver Strahlen- und Chemotherapie weiterwachsen. Bei der Vernetzung der Tumorzellen werden molekulare Signalwege reaktiviert, die im Embryo für den Verbund der Nervenzellen sorgen. Maßgeblich beteiligt ist daran das Protein GAP-43, das in übermäßiger Produktion Voraussetzung für die Vernetzung und damit Resistenz gegenüber Strahlen ist. Wird es ausgeschaltet, können sich die Tumoren weniger gut vernetzen und reagieren sehr viel sensibler auf Strahlen. Die Forscher hoffen nun, GAP-43 und andere an den Signalwegen beteiligte Proteine mit geeigneten Wirkstoffen ausschalten zu können und so die entarteten Nervenzellen verletzbar zu machen. Mit der Substanz Pimozide konnten die Forscher das Wachstum von Pankreas-Zellinien verlangsamen und ihre Beweglichkeit wesentlich einschränken. Noch ist nicht erwiesen, daß die DopaminAntagonisten bei Bauchspeicheldrüsenkrebs-Patienten die gleiche Wirkung haben wie bei Tumorzellen in Kultur oder in Mäusen. Interessant sei in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß Schizophrenie-Patienten, die oft langfristig mit Dopamin-Antagonisten behandelt werden, eine niedrigere Rate an soliden Tumoren haben als die Allgemeinbevölkerung. Möglicherweise ist der krebshemmende Effekt also nicht auf die Bauchspeicheldrüse beschränkt. Die Forscher wollen nun prüfen, ob die Medikamente – die ohnedies bereits zugelassen sind – bei Patienten mit Bauchspeichel­ drüsenkrebs den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. 9 Stiftungsbrief September 2016 Die Sequenziertechnik des Genoms Tumoren sind vielfältig und so verschieden wie die Patienten selbst. Doch nicht nur die Zellpopulationen unterscheiden sich, die Aggressivität eines Tumors hängt auch von den Reaktionen des umgebenden Gewebes und der Immunreaktion des Organismus ab. Das alles müsse bei einer paßgenauen Therapie berücksichtigt werden, erklärt Hans Lehrach, ehedem Professor des Max-PlanckInstituts für Molekulare Genetik und heute in seiner Firma „Alacris Theranostics“ tätig. Mit den neuen Verfahren der Gensequenzierung könne die Krebstherapie revolutioniert werden. Nachdem die Entschlüsselung des Genoms fünfzehn Jahre gedauert hatte, können jetzt, wie die FAZ berichtet, mit den schnellen Sequenziermaschinen mehr als zwanzig vollständige Analysen pro Tag ausgeführt werden. Die neuen Techniken liefern genauere Daten und erkennen auch geringste Mengen an verändertem genetischen Material. Nach Lehrach ist aber auch wichtig, die aktivierten Proteine in den Tumorzellen und den gesunden Zellen der Umgebung einschließlich der Körperreaktionen und der Immunantwort zu kennen. Deshalb müssen neben dem Genom der Tumorzelle die kodierte RNA und die epigenetischen Veränderungen, die äußeren Einflußfaktoren auf den Funktionszustand des Genoms, analysiert werden. Erst damit lassen sich aus den molekularen Interaktionen Rückschlüsse auf Aggressivität und Prognose einer Erkrankung ziehen und mit aufwendiger Datenanalyse eine individuelle Therapie erarbeiten, mögliche Angriffspunkte finden. Impressum: Walter Schulz Stiftung Gemeinnützige Stiftung zur Förderung der medizinischen Krebsforschung Jede Spende zählt! Wir freuen uns sehr über Ihre Hilfe und bedanken uns bei all unseren Spendern und Förderern! Verwaltungssitz Fraunhoferstraße 8, 82152 Planegg/Martinsried Tel.: +49 (89) 76 70 35 06 Fax: +49 (89) 76 69 25 E-Mail: [email protected] www.walter-schulz-stiftung.de Vorstand: Monika Thieler (1. Vorsitzende) Prof. Dr. med. Wolfgang Eiermann Otto Schwarz Prof. Dr. med. Heinz Höfler (Vors. Wiss. Beirat) Schirmherrschaft: Dr. Antje-Katrin Kühnemann Verantwortlich für den Inhalt: Walter Schulz Stiftung Pressestelle: WWS!werbe.de, Renate Schnell 60599 Frankfurt/Main, Hainer Weg 180 Tel.: +49 (69) 96 74 15 55, Fax +49 (69) 96 74 15 56 E-Mail: [email protected] 10