Physik I für Materialwissenschaftler

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Skript zur Vorlesung
Physik I für Materialwissenschaftler
10. Februar 2017
1 Einleitung
Wechselwirkungen
Die Einteilung der Physik und angrenzender Wissenschaften erfolgte früher de facto nach den
menschlichen Sinneswahrnehmungen:
Optik kommt von sehen.
Akustik kommt von hören.
Thermodynamik kann man mit Temperaturempfinden in Verbindung bringen.
Chemie kann man insbesondere riechen und auch schmecken.
Mechanik kann man in gewisser Weise fühlen.
Andere Diszplinen können nicht direkt unseren Sinnen zugeordnet werden wie z.B. der
Elektromagnetismus. Er ist daher ein jüngeres Teilgebiet der Physik als die eben aufgeführten.
Mit der Zeit stellte sich heraus, dass die Einteilung der Wissenschafen nach unseren Sinnen
ebenso wenig sinnvoll ist wie die strikte Trennung verschiedener Disziplinen. So kann die Optik
mit Hilfe des Elektromagnetismus erklärt werden und die Thermodynamik als der makroskopische Grenzfall einer statistischen Theorie über die Mechanik kleiner Teilchen. Die Chemie
ergibt sich wiederum aus der Quantenmechanik, die wir bewusst nicht erfahren können, u.s.w.
Ein weiterer Grund, warum eine Einteilung der physikalischen Wissenschaften nach Sinnen
uns nicht viel weiter hilft, ist, dass Sinne uns täuschen können. 20◦ C warmes Aluminium fühlt
sich kälter an als 15◦ C warmes Plastik. Ein Thermometer läßt sich diesbezüglich nicht so leicht
ins Bockshorn jagen. Es ermöglicht uns eine objektive Messung, die darauf beruht, dass die
im Thermometer befindlichen Atome mit denen eines anderen Objektes in Berührung kommen
und mit ihnen als auch untereinander wechselwirken. Letztendlich ist so das Ganze nicht nur
die Summe seiner Teile sondern auch dessen, wie die einzelnen Teile miteinander wechselwirken.
Deshalb spielen Wechselwirkungen (WW) in der Physik eine ganz zentrale Rolle.
Heute werden Wechselwirkungen nach vier fundamentalen Wechselwirkungen unterschieden.
Diese sind:
Gravitation Sie ist die schwächste aller Wechselwirkungen aber dafür sehr langreichweitig und
prinzipiell attraktiv. Daher ist sie wichtig für große Objekte wie Sterne und Planeten,
womit die Gravitation zentral für die Astronomie ist.
Theoretische Modelle zur Quantentheorie der Gravitation sind Gegenstand aktueller Forschung in der Schleifenquantengravitation und der Stringtheorie und periphär auch in der
amerikanischen Sitcom The Big Bang Theory.
Elektromagnetische Wechselwirkung Sie ist stark und langreichweitig und kann sowohl attraktiv als auch repulsiv sein. Sprich, gleiche Ladungen stoßen sich ab und Ladungen mit
verschiedenem Vorzeichen ziehen sich an. Weil sich Materie prinzipiell versucht so anzuordnen, dass sie elektrisch neutral ist, ist die elektrische WW bei der Planetenbewegung
eher irrelevant, obgleich sie viele, viele Größenordnungen stärker ist als die Gravitation.
Früher wurden Elektrizität und Magnetismus als getrennte Phänomene gesehen. Die Rela-
1
tivitätstheorie zeigt aber, dass magnetische und elektrische Kräfte untrennbar miteinander
zusammen hängen. So bewirkt die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit elektrischer Felder magnetische Felder und umgekehrt. Die elektromagnetische WW ist die grundlegende
WW zwischen den Atomen (plus eine Prise Quantenmechanik) und somit prinzipiell zentral für die Atomphysik, Chemie, Festkörperphysik, inklusive der Elektronik und somit
auch für unsere hoch geschätzte Materialwissenschaft.
Welche fünf fundamentalen Zutaten benötigen wir also um zu verstehen, dass Kupfer
duktil, Quartzglas aber spröde ist? (1) Die Ordnungszahlen von Cu, Si und O, (2) das
Coulombgesetz für Protonen und Elektronen, (3) die Schrödingergleichung, (4) das PauliPrinzip und (5) ein klein wenig Mathematik. Sonst nichts. Absolut gar nichts! Im Vergleich
zu den vielen Zutaten, die wir für eine Spaghetti Bolognese brauchen, ist das also ganz
schön wenig. Spaghetti, Öl, Hackfleisch, Tomaten, Salz, Pfeffer, Zwiebeln, Knoblauch,
diverse Kräuter, etc. Wenn man nun bedenkt, dass die Spaghetti aus Mehl und Wasser
bestehen, das Mehl wiederum aus komplexen Stärken und diese wiederum ... Und die
anderen Zutaten bis auf das Kochsalz haben auch wieder eine recht komplizierte Struktur.
Dann ist das mit den fünf Zutaten für das duktiles Kupfer und unser sprödes Quartzglas
doch eher zu händeln, auch wenn die meisten “normalen” Menschen das vielleicht anders
sehen.
Starke und schwache Wechselwirkung: Beide sind stark aber so kurzreichweitig, dass sie
nicht einmal über den Tellerrand eines Atomkernes hinaus sehen können. Und der ist
nur der Bruchteil eines Atoms groß. Die schwache WW ist unter anderem für den Zerfall
radioaktiver Elemente verantwortlich und damit mittelbar für Radioaktivität. Die starke WW hilft uns zwar die Atomkerne zusammenzuhalten, nimmt aber darüber hinaus
wie die schwache WW keinen Einfluss auf die chemische Bindung oder die physikalische
WW zwischen Atomen. Von daher beschäftigt man sich mit diesen beiden fundamentalen Kräften lediglich in der Kernphysik und der Elementarteilchenphysik. Vor zwanzig
Jahren mussten zwar auch Materialwissenschaftler lernen, wie in etwa Gluonen (nicht zu
verwechseln mit Gluten!) die starke WW vermitteln und dass ein Higgs-Boson nichts mit
Schluckauf oder übermäßigen Alkolholkonsum zu tun hat, sondern die schwache Wechselwirkung mit dem Elektromagnetismus verknüpft, aber dank politischer Bolognese bleiben
Sie heute von solch wissenschaftlicher Allgemeinbildung verschont. Also viel Spaß beim
Zugversuch!
Einheiten
Das Messen einer physikalischen Größe ist der Schlüssel zur experimentellen Erforschung der Natur. Bei vielen Messgrößen, z.B. Länge, Energie und Temperatur, muss eine Einheit angegeben
werden. Daraus folgt unmittelbar, dass Normen beziehungsweise Definitionen für Maßeinheiten
benötigt werden. Das wichtigste Einheitensystem ist das S.I. (système international des unités).
Es besteht aus 7 Basiseinheiten, von denen 4 für den Elektromagnetismus von Bedeutung sind.
Dazu ein paar Stichworte:
Länge: Meter; [l] = m
Historische Definition: Urmeter aus Platin in Paris ≈ 10−7 -ter Teil der Distanz vom Äquator zum Pol. Problem: Das Urmeter sublimiert (“verdampft” direkt vom festen in den
gasförmigen Zustand) langsam vor sich hin, schrumpft durch ständiges geputzt werden,
schwankt mit der Temperatur sowie dem Umgebungsdruck und selbst die Äquatorlänge
2
unterliegt Fluktuationen.
Später ersetzt durch eine Legierung aus 90% Platin und 10% Iridium mit einer relativen
Genauigkeit von 10−7 – zumindest für ein paar Jahre bis das Urmeter wieder vor sich hin
verschwindet.
1960 erneut ersetzt: Definition des Meters als das 1.650.763, 73-fache der Wellenlänge des
Lichts, das beim Übergang eines Elektrons von 5d5 → 2p10 in 86 Kr emittiert wird (rel.
Genauigkeit 10−8 ). Vorteil dieser Definition: Man muss nicht mehr nach Paris fahren, um
an einen Vergleichsmeter zu kommen, und es gibt keinerlei Schwankungen oder Ungenauigkeiten! Jeder, der 86 Kr besitzt und über die nötige Geräte verfügt, kann das Meter
prinzipiell exakt reproduzieren. Nachteil dieser Dedinition: Man hat einen Grund weniger
nach Paris zu fahren. Zudem ist nicht so einfach 1.650.763, 73 Wellenlängen zu zählen.
Heute wird das Meter indirekt dadurch festgelegt, dass man die Lichtgeschwindigkeit
als c0 = 299.792.458 m/s definiert. 1 m ist somit die Strecke, die das Licht in dem
299.792.458’ten Bruchteil einer Sekunde zurücklegt.
Zeit: Sekunde; [t] = s
Definiert durch ein Vielfaches der Periodendauer der Strahlung, die bei einem Hyperfeinstrukturübergang in einem Cäsium Nuklid emittiert wird. Keine andere gängige Zeiteinheit, wie Minute, Stunde oder Tag, ist eine S.I.-Einheit!
Gewicht: Kilogramm; [m] = kg
Definiert über das Urkilogramm in Paris. Das Kilogramm ist die einzige Einheit, die noch
über ein Vergleichsobjekt definiert ist. Das Problem: Von 1950-1990 hat das Urkilogramm
50 µg an Masse verloren. Daher wird eine Neudefinition mit Hilfe der Avogadro-Konstante
NA (Anzahl der Atome in einem “Mol”) angestrebt. So könnte NA als 6, 022140858 · 1023
Atome definiert werden und dann 0.012 kg als das Gewicht von 1 Mol 12 C Atome. Aus
messtechnischen Gründen gibt es allerdings heißere Kandidaten als Kohlenstoff. Alternativ und wahrscheinlicher: Definition der S.I. Einheiten ausschließlich über Naturkonstanten.
Stromstärke: Ampère; [I] = A
Definition über die Anziehungskraft pro Längeneinheit zweier unendlich langer Drähte,
die sich im Vakuum in einem Meter Abstand befinden.
Temperatur, Stoffmenge, Lichtstärke [T ] = K, [n] = mol, [IV ] = cd
Kommen in diesem Kurs, der sich auf Elektromagnetismus konzentriert, nicht vor und
sollen deshalb im Interesse einer möglichst industrienahen Ausbildung unter dem Schleier
des Schweigens verschwinden. Vielleicht begnegen Sie der ein oder anderen Größe aber
dennoch im Verlauf Ihres Studiums.
Andere S.I. Einheiten können aus den Basiseinheiten zusammengesetzt werden, beispielsweise
Frequenz: Hertz; [ν] = Hz = 1/s
Kraft: Newton; [F ] = N = kg·m/s2
Energie: Joule; [E] = J = kg·m2 /s2
Ladung: Coulomb; [Q] = C = A·s
Elektrische Spannung: Volt; [U ] = V = J/C = kg·m2 /A·s3 .
Das S.I. System ist ein metrisches System. Das heißt alle verwendeten Einheiten setzten
sich aus den Grundeinheiten - oder einem dezimalen Vielfachen davon - zusammen. Wichtige
3
Kurzformen für dezimale Vielfache:
103 = k, kilo;
106 = M , Mega; 109 = G, Giga; 1012 = T , Tera; 1015 = P , Peta
10−3 = m, milli; 10−6 = µ, mikro; 10−9 = n, nano; 10−12 = p, piko; 10−15 = f , femto
Auch üblich: d für dezi (10−1 ) und c für centi (10−2 ).
Prinzipiell könnte man Einheiten auch über sogenannte Naturkonstanten definieren. Dies
würde dann das System der Planck-Einheiten bilden. In diesem System sind z.B. die Lichtgeschwindigkeit c0 , das Planck’sche Wirkungsquantum ~, die Gravitationskonstante G und auch
die elektrische Permittivität des Vakuums ǫ0 per Definition gleich eins. Dazu aber später mehr,
insbesondere in Übungen und Klausuren. Hier sei nur gesagt, dass das System der PlanckEinheiten in der Regel nicht von praktischem Interesse ist, außer Sie beschäftigen sich intensiv
mit dem Urknall.
Das Umrechnen von Einheiten ist im Übringen nur begrenzt eine Schikane von Seiten der
Professorenschaft. Beim Anflug des Mars Climate Orbiter zur Erkundung des Planeten Mars
nahm die NASA an, der Hersteller Lockheed Martin hätte S.I. Einheiten verwendet. Hatte er
aber nicht sondern das komplett absurde, angloamerikanische Maßsystem. Dadurch ging die
Sonde verloren, was einen wirtschaftlichen Verlust von 125 Millionen US Dollar zur folge hatte.
Sie können also durch das Üben von Einheitenwechsel viel Geld sparen!
Dimensionsanalyse
Die Dimensions- oder auch Einheitenanalyse ist eine in Vergessenheit geratene Kunst, mit Hilfe
derer man allein durch Betrachten der physikalischen Einheiten auf physikalische Gesetzmäßigkeiten schließen kann. Sie soll kurz an einem Beispiel demonstriert werden.
Ein Mechaniker gibt Ihnen eine Feder und sagt, die Feder habe eine Steifigkeit von k =
42 N/m. Er hängt eine Masse m an die Feder und lenkt sie eine Distanz A aus dem Gleichgewicht. Nun will er wissen, wie die Schwingungszeit T von k, m und A abhängt. Leider haben Sie
noch keine Mechanik gehört, können auch noch keine Bewegungsgleichung lösen und müssen
sich deshalb nun anderweitig behelfen.
Sie wissen, dass die gewünschte Antwort die Einheit der Zeit haben muss. Also müssen
Sie die vorgegebenen Variablen so kombinieren, dass sie im Produkt ebenfalls eine Größe der
Einheit Zeit ergeben. Dies geht nur durch Multiplikation der vorgegebenen Variablen, oder
deren Potenzen, also
[T ] = [k]α [m]β [A]γ bzw.
α
s = kg/s2 kgβ mγ
= kgα+β s−2α mγ .
(1.1)
(1.2)
(1.3)
Durch Vergleich der einzelnen Faktoren sehen wir, dass α = −β, α = −1/2 und γ = 0. Setzen
wir dieses Ergebnis in Gleichung (1.1) ein, finden wir
p
T ∝ m/k,
(1.4)
womit die Schwingungsdauer unabhängig von der Auslenkung ist. Nur den Vorfaktor können
wir so nicht bestimmen. Der ist bei Problemstellungen dieser Art aber meistens eins oder 2π
oder eine Zahl dazwischen.
4
Die Dimensionsanalyse ist auch oft hilfreich, um beim Lösen von Übungen (Studenten) oder
in der Forschung (Professoren) mathematische Zwischenschritte kontinuierlich auf potenzielle
Fehler zu überprüfen. Steht auf der linken Seite einer Gleichung eine Größe der Einheit X,
so müssen alle Summanden auf der anderen Seite der Gleichung genau diese Einheit haben,
oder Sie haben etwas falsch gemacht. Durch stete Übung läuft ein solcher Test irgendwann im
Rückenmark ab, sodass Ihr Gehirn sich auf die wichtigen Dinge des Lebens konzentrieren kann.
Naturgesetze
Wenn man ein Material leicht streckt oder komprimiert, wächst die Rückstellkraft des Körpers
fast immer linear mit der Verformung an, was auch als hookesches Gesetz bekannt ist. Dies ist
eine empirische Beobachtung, zu der es aber Ausnahmen gibt. Bei Naturgesetzen gibt es keine
Ausnahme. Das erste erkannte Naturgesetz ist das newtonsche Gravitationsgesetz. Es besagt,
dass zwei Massepunkte sich mit einer Gravitationskraft anziehen, deren Stärke proportional
zum Produkt ihrer Massen ist, invers proportional zum Quadrat ihres Abstandes und entlang
der Verbindungslinie beider Massepunkte gerichtet ist. Mathematisch läßt sich die Gravitationskraft, die Massepunkt 2 auf Massepunkt 1 ausübt, ausdrücken als
m 1 · m 2 r2 − r1
F2→1 = G ·
.
·
2
r12
r12
{z
} | {z }
|
Betrag
(1.5)
Richtung
Hierbei ist mn die Masse des Massepunktes n, rn seine Position im Raum, r12 der Betrag des
Abstandes zwischen den beiden Massepunkten und
G = 6, 674 · 10−11 N (m/kg)2
(1.6)
die Gravitationskonstante, die angeblich überall in unserem Kosmos denselben Wert hat.
Bemerkung: Ein Vektor (r1 , r2 , r3 ) kann auf verschiedene Arten dargestellt werden. Im Manuskript benutzen wir Fettschrifft r, in Abbildungen oft den Vektorpfeil ~r und handschriftlich
bevorzugt einen Unterstrich r. Die Komponenten eines Vektors werden mit tiefgestellten Indizes angegeben, also rα . Der Betrag eines Vektors wiederum wird wie eine gewöhnliche Variable
kursiv dargestellt:
r = |r|
v
u 3
uX
= t
r2 .
α
(1.7)
(1.8)
α=1
Zudem werden Teilchen, Ladungen, Atome, etc. mit lateinischen Indizes beschrieben, vor allem
m und n, wohingegen griechische Buchstaben die kartesische Koordinaten indizieren. rmα für
m = 5 und α = 2 wäre also die y-Komponente des Teilchens, das auf den Namen Fünf hört.
Das ist vielleicht jetzt etwas verwirrend, aber mit etwas Übung...
Zurück zur Gravitation. Ist der Massepunkt 1 der Gravitation vieler anderer Körper ausgesetzt, addieren sich deren Kräfte linear (Superpositionsprinzip)
F1 = G · m1 ·
X m n rn − r1
·
.
2
r1n
r1n
n
5
(1.9)
Dass die Kräfte zwischen zwei Objekten sich linear addieren ist im Übrigen alles andere als
selbstverständlich und gilt rigoros sogar nur für die fundamentalen Wechselwirkungen. Bei
Atomen ist da die Sachlage schon ganz anders: Wie ein Sauerstoffatom mit einem anderen
wechselwirkt hängt sehr stark davon ab, was an den Atomen sonst noch so alles dran hängt.
Sind beide Sauerstoffatome alleine, wollen sie sich unbedingt zu einem Molekül ehelichen als
gäbe es nichts Schöneres auf der Welt. Haben beide aber jeweils zwei Wasserstoffe an sich
gebunden, laden sie sich negativ auf, können sich deshalb nicht mehr gut leiden und meiden
daher ihre direkte Nähe. In diesem Sinne ist ein Sauerstoff auch nur ein Mensch aber sicherlich
kein Planet. Oder wie das Skript oben sagt: Das Ganze ist nicht nur die Summe seiner Teile
sondern auch dessen, wie die einzelnen Teile miteinander wechselwirken.
Das Schöne an den Naturgesetzen ist, dass sie uns erlauben, Rückschlüsse auf neue Situationen zu ziehen. Prinzipiell können wir dank der Gleichung (1.9) berechnen, wie groß die Anziehung zwischen uns und der Erde ist. Dazu müssten wir (bitte nur im Gedankenexperiment!)
unseren gebeutelten Heimatplaneten in kleine Volumenelemente zerlegen, die Gravitationskraft
der einzelnen Volumenelemente berechnen und dann zu einer Gesamtkraft aufaddieren. Wenn
wir die Erde als kugelsymmetrisch nähern würden, erhielten wir folgendes Ergebnis: Die Gravitationskraft eines ausgedehnten kugelsymmetrischen Körpers wirkt auf uns so als sei seine
Gesamtmasse in seinem Schwerpunkt vereint. Für elektrische Wechselwirkungen gilt ähnliches,
was wir später in diesem Kurs noch im Detail nachvollziehen werden.
Mit unserem neu gewonnen Wissen über kugelsymmetrisch genäherte Planeten können wir
nun berechnen, welche Kraft pro Masseneinheit – also Beschleunigung – Körper auf der Erdoberfläche erfahren:
F1
a =
m1
ME
= −G · 2 · n1E .
(1.10)
RE
Der Index E steht hier für die Erde, RE für den Erdradius und n1E ≡ (r1 − rE )/r1E ist der
normierte Richtungsvektor, der vom Erdmittelpunkt in unseren Hörsaal zeigt. Das Spannende
an Gleichung (1.10) ist, dass der Betrag von a nicht von m1 abhängt. Somit ist der Betrag der
Erdbeschleunigung aE unabhängig von unserer Voluminösität:
ME
aE = G · 2
(1.11)
RE
N · m2 5, 972 · 1024 kg
·
= 6, 674 · 10−11
(6, 371 · 106 m)2
kg2
≈ 9, 82 m/s2 .
Vor der Erdbeschleunigung sind wir also in der Tat und verifizierbar (!) alle gleich. Ob Feder
oder Hammer. Nur ins Vakuum – oder alternativ auf den Mond – müssten Sie sich zwecks einer
sauberen Versuchsdurchführung begeben, damit keine Luftreibung vorliegt.
Als Finale der Exkursion in die Naturgesetze sei ein weiterer Unterschied zwischen Naturgesetzen und reiner Emperie erwähnt. Naturgesetze gelten unabhängig vom Material. Sind die
Massen zweier Planeten bestimmt, steht ihre Anziehungskraft als Funktion des Abstandes fest
und zwar ganz egal, ob sie primär aus Wasserstoff oder Staub bestehen. Beim hookeschen Gesetz
hängt die Steifigkeit vom Material und anderen Parametern wie Temperatur und Herstellungsverfahren ab. Dass die Kräfte zwischen Sauerstoffatomen auch durch kein universell gültiges
Naturgesetz beschrieben werden können, haben wir ebenfalls bereits gelernt, und das obwohl,
frei nach Gertrude Stein, ein Sauerstoff ist ein Sauerstoff ist ein Sauerstoff...
6
2 Elektrostatik
2.1 Elektrische Ladung
Die Elektrostatik behandelt die Eigenschaften ruhender Ladungen. Sie beschränkt sich damit
auf stationäre Systeme. Was bei der Gravitation die Masse ist, ist bei der Elektrostatik –
sowie allgemein im Elektromagnetismus – die Ladung. Kräfte zwischen Ladungen sind allerdings nicht immer attraktiv sondern können auch repulsiv sein. Man unterscheidet zwei Typen
von Ladungen, die per Konvention als ”positiv” bzw. ”negativ” bezeichnet werden. Gleiche
Ladungen stoßen sich ab, ungleiche Ladungen ziehen sich an.
Wie so manch andere Größe auch ist die Ladung quantisiert. Das bedeutet, dass Ladung nur
in ganzzahligen Vielfachen einer kleinstmöglichen Einheit, der Elementarladung, vorkommt.
Diese Elementarladung wird in der Physik mit e abgekürzt:
e = 1,602 · 10−19 C
Für die Chemie, Physik und Materialwissenschaft relevant sind insbesondere die Ladungen für
das Proton und Elektron:
QProton = +e
QElektron = −e.
Das Proton wird oft als p oder p+ gekennzeichnet, das Elektron mit e− . Die Ladung eines
Atomkerns wird durch seine Kernladungszahl Z bestimmt, die angibt wieviele Protonen im
Kern vorhanden sind.
QAtomkern = Ze.
Diese Gleichung ist strikt gültig. Und damit muss ich gestehen, dass das bei Massen – entgegen der Behauptungen in der Einleitung – dann doch nicht so ganz, ganz genau gilt. Dank
Einstein addieren sich die Massen der Protonen und Neutronen in einem Kern nämlich (unter
Abstrahlung von Licht, siehe auch Atombombe) zu einem Bruchteil weniger als die Summe
seiner Teile. Ein ganz klein wenig Masse geht Atomen sogar durch chemische oder physikalische
Bindungen verloren. Die Effekte sind allerdings so klein, dass sie für die Praxis nicht hinreichend wichtig sind, als dass man Studenten der Ingenieurwissenschaften mit diesem Wissen
belästigen sollte.
Die Ladung ist also eine strikte Erhaltungsgröße. Selbst auf kurzen Zeitskalen kommt es
nicht zu Schwankungen, wie z.B. bei der Energie, die in Folge der Unschärferelation, auch in einem abgeschlossenen System kurzzeitig schwanken darf. So kann bei einer Vakuum-Fluktuation
zwar sowohl Energie als auch ein e− erzeugt werden, allerdings wird mit dem e− auch immer
gleichzeitig sein Antiteilchen erzeugt. Letzteres heißt Positron oder e+ .
Auch wenn das Positron in diesem Kurs keine große Rolle spielen wird, soll dennoch kurz
etwas zu seiner Historie und seiner Verwendung gesagt werden. Achtung naturwissenschaftliche
Allgemeinbildung! Das Teilchen wurde von dem britischen Physiker Paul Dirac 1928 aus rein
theoretischen Betrachtungen vorhergesagt. In seiner Gleichung konnten Lösungen mit negativer
7
Energie nicht wegdiskutiert werden und diese Lösungen verhielten sich genau wie Elektronen,
allerdings mit entgegengesetzter Ladung. Vier Jahre später gelang der experimentelle Nachweis
der e+ in der kosmischen Strahlung. Antimaterie, insbesondere das e+ , ist also keine Science
Fiction sondern gibt es wirklich. Positronen entstehen in einer Reihe von Prozessen, so zum Beispiel beim Zerfall von Atomkernen. Solange sie auf kein e− treffen sind sie stabil und zerfallen
oder zerstrahlen nicht. Dadurch finden sie bei bildgebenden Verfahren in der Medizintechnik
(Positron-Emissions-Topographie bzw. PET Scan) sinnvolle Anwendung als auch in der Materialwissenschaft (Positron-Annihilation-Spektroskopie zur zerstörungsfreien Untersuchung von
Materialdefekten).
2.2 Wechselwirkungen zwischen Ladungen
Das coulombsche Gesetz beschreibt die Kraft zwischen zwei Punktladungen oder, etwas allgemeiner, zwischen zwei kugelsymmetrischen Ladungsverteilungen. Wie auch im newtonschen
Gesetz ist die Kraft F2→1 , die eine Ladung Q1 durch eine andere Ladung Q2 erfährt, invers
proportional zu dem Quadrat des Abstand r12 der Ladungen, sodass
F2→1 =
1 Q1 · Q2 r12
·
2
4π ε0 r12
r12
(2.1)
mit
C2
ε0 = 8,854 · 10
N · m2
und r12 = r1 − r2 . Beachten Sie bitte bei Gleichung (2.1) insbesondere, dass es ein anderes
Vorzeichen hat als das newtonsche Gravitationsgesetz.
Elektrische Kräfte sind sehr viel stärker als die Gravitation. Als einfachen Vergleich kann
man das Verhältnis der Stärke der anziehenden Gravitationskraft FG zwischen zwei Protonen
und der abstoßenden elektrischen Coulombwechselwirkung FC bilden:
−12
m2p
2
r21
1 e2
|FC | =
2
4πε0 r12
|FG | = G
→
2
r21
1 e2
|FC |
·
= 1,24 · 1036 .
=
2
|FG |
4πε0 r12
Gm2p
Die Coulombkraft zwischen zwei Protonen der Ladung +e ist somit um einen Faktor 1036 stärker
(man sagt auch 36 Größenordnungen stärker) als die Gravitationen zwischen ihnen. Für zwei
Elektronen wäre das Verhältnis sogar noch drei Millionen mal krasser. Warum unsere Welt nach
dem Föhnen im Winter, wenn unsere Haare elektrisiert in die Höhe stehen (also nicht bei mir,
aber bei Ihnen!), nicht völlig aus den Fugen gerät, ist also gar nicht so leicht zu verstehen.
Für die Kraft, die mehrere Punktladungen oder gar ganze Ladungsverteilungen auf eine Probeladung ausüben, gilt das Superpositionsprinzip (2.2). Gegeben sei eine Ansammlung von n
Punktladungen Qi am Ort ri , wobei i = 1, 2, ..., n ist. Man betrachtet nun eine dieser n Ladungen mit Index j. Die Kraft, welche diese Ladung Qj aufgrund der restlichen n − 1 Ladungen
erfährt, beträgt dann:
X
X 1 Qi · Qj rji
Fj =
Fi→j =
· .
(2.2)
2
4πε0
rji
rji
i6=j
i6=j
8
P
Das Zeichen
i6=j bedeutet hier, dass über alle Ladungen i = 1, ..., n summiert wird, mit
Ausnahme von j, weil eine Ladung sich selbst schließlich nicht anziehen kann. Fi→j ist die
Kraft, welche die i’te Ladung auf die j’te Ladung ausübt.
Dank des Superpositionsprinzips kann man ausrechnen, wie groß die Kraft einer gegebenen
Ladungsverteilung auf eine Probeladung ist. Dazu diskutieren wir jetzt zwei Beispiele.
Beispiel 1: Berechnung der Gleichgewichtslage von Ladungen
Gegeben seien zwei Ladungen:
Q1 = −5 · e
Q2 = −3 · e
r1 = (0, 0, 0)
r2 = (10, 0, 0) nm.
Gibt es eine Stelle r3 = (x3 , y3 , z3 ), an der die Kraft auf eine dritte Ladung Q3 verschwindet?
Gesucht ist also eine Position des Kräftegleichgewichts. Zum Auffinden der Lösung suchen
wir zunächst einmal nach Symmetrien in der Problemstellung. Das Abklopfen nach Symmetrien
fällt anfänglich schwer, genauso wie Einheiten oder Aufräumen, kann aber später unser Leben
ungemein erleichtern.
Da beide Primärladungen positiv sind und auf der x-Achse liegen, würde ein von null verschiedener Wert der y oder z Komponente unserer Probeladung1 sofort zu einer Anziehung hin
bzw. Abstoßung weg von der x-Achse führen, je nachdem ob Q3 positiv oder negativ ist. Damit
kann die Gleichgewichtsposition nur auf der x-Achse selbst liegen und das Gleichgewicht lediglich metastabil sein. Ist x3 > 10 nm kann die Summe der Kräfte nur nach “rechts” wirken und
für x3 < 0 nur nach “links” wenn Q3 negativ ist und jeweils in die andere Richtung für Q3 > 0.
Deshalb können etwaige Gleichgewichtspositionen nur im Bereich 0 < x3 < 10 nm liegen.
Um unser Leben zu vereinfachen, wählen wir uns ein neues Einheitensystem, in dem die
Elementarladung auf eins gesetzt wird (macht ja auch Sinn!), nm die Einheit der Länge ist
(warum nicht?) und e2 /4πǫ0 nm2 die Einheit der Kraft. In unserem neuen Einheitensystem
wenden wir nun das Superpositionsprinzip an, wobei ein Strich an den Variablen klarstellen
soll, dass wir in dem neuen Einheitensystem arbeiten:
F′3 = F′1→3 + F′2→3
5 · (r3 − r1 ) 3 · (r3 − r2 )
′
+
= −Q3
|r′3 − r′1 |3
|r′3 − r′2 |3
′
5x3
3(x′3 − 10)
!
′
= −Q3
ex = 0.
+ ′
|x′3 |3
|x3 − 10|3
Falls Sie Schwierigkeiten haben, die kompakte Schreibweise nachzuvollziehen, schreiben Sie alle
Vektoren im Detail aus und überzeugen sich von der Richtigkeit der Umformungen. Exerzieren Sie dann solange die kompakte Schreibweise durch, bis Sie eingesehen haben, dass dies
tatsächlich die Rechnung erleichtert.
Damit die Kraft verschwindet, muss der Ausdruck in der geschweiften Klammer gleich null
sein. Durch die Betragsstriche ist das Kürzen der Brüche allerdings nur erlaubt, wenn wir
uns über die Vorzeichen der Summanden im Klaren sind. Oben haben wir festgestellt, dass
1
Der Begriff der Probeladung oder auch Testladung soll suggerieren, dass die (in einem Experiment) platzierte Ladung so klein ist, dass sie nicht zu einer wesentlichen Änderung der vorgegebenen Ladungen oder
Ladungsverteilung führt.
9
0 < x′3 < 10, womit der zweite Summand in der geschweiften Klammer kleiner null wäre. Somit
können wir die Gleichgewichtsbedingung umformen zu
5 !
3
=
.
′2
x3
(10 − x′3 )2
Dies wiederum läßt sich als quadratische Gleichung
′
x′2
3 − 50x3 + 250 = 0
ausdrücken, deren Lösungen x′3 ≈ 5,635 bzw. x′3 ≈ 44,365 sind. Da unser Lösungsweg aber
vorausgesetzt hat, dass 0 < x′3 < 10 und wir Lösungen außerhalb dieses Wertebereichs mit
Symmetriegründen verworfen haben, gilt nur die erste der beiden Lösung.
Es sei angemerkt, dass sich die Gleichgewichtsposition einer Ladung im Feld mehrerer anderer Ladungen in der Regel nicht analytisch berechnen lässt. Dies liegt daran, dass man die
Gleichungen für die Gleichgewichtskoordinaten nur selten auf eine quadratische Form reduzieren kann. Andernfalls muss das Problem numerisch gelöst werden. In Hausaufgaben oder
Klausuren beschränken wir uns aber in aller Regel auf Probleme, die sich durch Ausnutzen der
Symmetrie sowie der Anwendung des coulombschen Gesetzes und Vektoraddition lösen lassen.
Beispiel 2: Kraft eines homogen geladenen Drahtes auf eine Punktladung
Bisher wurden nur diskrete Ladungen untersucht. Das Superpositionsprinzip gilt aber auch
bei kontinuierlichen Ladungsverteilungen. Im folgenden Beispiel soll daher die Kraft berechnet werden, die ein auf der z-Achse liegender, unendlich langer Draht mit homogener LinienLadungsdichte λ auf eine Testladung q ausübt. Dazu aber zunächst zu dem Begriff Ladungsdichte.
Abbildung soll nachgereicht werden. Ansonsten siehe Vorlesung!
Wie bei Massen auch, kann man eine räumliche (elektrische) Ladungsdichte oder Raumladungsdichte ρ(r) definieren, die besagt, wieviel Ladung ∆Q (statt Masse) in einem Volumenelement ∆V , das am Ort r zentriert sei, vorhanden ist. Also
ρ(r) ≡
∆Q
ausgewertet am Ort r.
∆V
(2.3)
So ist bei konstanter Ladungsdichte ρ0 die Ladung einer Kugel mit Radius R durch die Gleichung Q = 4πR3 ρ0 /3 bestimmt. Analog kann man eine Oberflächenladungsdichte σ(r) einführen,
wenn die Ladung sich, wie z.B. bei Metallen der Fall, primär auf der Oberfläche tummelt:
σ(r) ≡
∆Q
ausgewertet am Ort r,
∆A
(2.4)
wobei ∆A ein Oberflächenelement ist. Bei einer Metallkugel wäre somit die Gesamtladung
Q = 4πσR2 homogen über die Oberfläche verteilt. Ganz analog dazu, das haben Sie sich
vielleicht schon gedacht, gibt es auch die Linien-Ladungsdichte
λ(r) ≡
∆Q
ausgewertet am Ort r,
∆l
(2.5)
die besagt, wieviel Ladung ∆Q auf einem Draht-Segment der Länge ∆l residiert, wobei der
Draht als infinitesimal dünn genähert ist. Die Einheiten der entsprechenden Ladungsdichten
ergeben sich zwanglos aus ihren Definitionen, so z.B. [λ] = C/m.
10
Abb. 2.1: Darstellung eines Drahtes, der in kleine Elemente
zerlegt ist und auf der z-Achse liegt, sowie einer
Punktladung im Abstand r.
Zurück zu unserem homogen geladenen Draht, für den die Ladungsdichte auf der z-Achse
konstant sei, sodass λ(z) = λ0 . Da der Draht als unendlich lang genähert ist, wählen wir
für unsere Rechnung ein Koordinatensystem, in dem unsere Testladung in die xy-Ebene liegt,
sodass r = (x, y, 0) ist. Wenn wir den Draht nun in kleine Segmente der Länge ∆z zerlegen,
sodass z(n) = n∆z und die Ladung eines Segmentes λ∆z, wirkt jedes Drahtelement mit der
Kraft
qλ∆z r − z(n)e3
∆Fn→q =
(2.6)
4πǫ0 |r − z(n)e3 |3
auf die Probeladung q.
Bevor wir die einzelnen Beiträge zur Gesamtkraft aufaddieren, stellen wir fest, dass die resultierende Gesamtkraft keine Komponente in z Richtung haben kann, da sich die entsprechenden
Beiträge der Segmente +n und −n gegenseitig auslöschen. Die verbleibende Komponente der
Gesamtkraft zeigt also parallel zu r. Somit ergibt sich die Gesamtkraft F auf q zu
∞
X
qλr
1
Fq =
lim
∆z p
3.
4πǫ0 ∆z→0 n=−∞
r2 + z(n)2
(2.7)
In der Mathematik haben wir (hoffentlich) gelernt, dass man Summen wie in Gleichung (2.7)
als Integral2
Z
qλr ∞
1
(2.8)
Fq =
dz √
3
4πǫ0 −∞
r2 + z 2
ausdrücken kann.
Selbst wenn wir das Integral nicht lösen könnten, würden wir dennoch einiges lernen, indem wir das Integral entdimensionalisieren. Dazu drücken wir z in Einheiten von r aus, da
r schließlich die einzige charakteristische Größe der Einheit Länge im gegebenen Problem ist.
Jede andere Wahl ist sozusagen völlig unmotiviert. Also substituieren wir
z ′ = z/r, dz = r · dz ′ ,
sodass
qλ
r
Fq =
· 2
4πǫ0 r
Z
∞
1
dz ′ √
3 .
−∞
1 + z ′2
{z
}
|
(2.9)
Integral I ist einheitenlos!
Wir kennen somit zwar noch keinen Vorfaktor, dafür aber die Gesetzmäßigkeit für die Kraft
zwischen einer Punktladung und einem unendlich langen Draht mit homogener Ladungsdichte:
2
Wir schreiben das Differenzial, also dz, direkt hinter dem Integralsymbol. Diese Schreibweise birgt Vorteile
bei mehrdimensionalen Integralen.
11
Der Betrag der Kraft fällt invers proportional zum Abstand ab – und nicht wie bei Punktladungen mit seinem Quadrat. Aber Hand aufs Herz: Das war Ihnen aufgrund einer heimlich
durchgeführten Einheitenanalyse bereits von Anfang an bewusst. Oder?
Bleibt noch das Integral I zu lösen. Entweder sind wir richtig gut in Mathe und sehen, dass
die Substitution z ′ = sinh(y) uns √
weiterhilft, oder wir haben ein sagenhaft gutes Gedächtnis
′
und erinnern uns daran, dass z / 1 + z ′2 die Stammfunktion des Integranden ist, oder wir
kramen – ganz altmodisch – irgendwelche geerbten bzw. auf Flohmärkten käuflich erworbenen
Integraltabllen hervor oder wir befragen das Internet z.B. unter www.integralrechner.de oder
www.wolframalpha.com. Das Ergebnis ist wie in der Einleitung versprochen eine Zahl zwischen
eins und 2π. Um genau zu sein I = 2. Damit haben wir als schön kompaktes Endergebnis
Fq =
qλ
r
· 2.
2πǫ0 r
(2.10)
Nachbetrachtungen zu Beispiel 2
Implizit haben wir zwei wichtige Näherungen vorgenommen: RDraht ≪ r ≪ LDraht . Idealisierungen dieser Art sind wichtig, da man sonst quasi nichts analytisch ausrechnen könnte.
Zudem ist die Rechnung nur gültig, wenn der kürzeste Abstand zu dem Draht r sehr viel
größer als der Abstand rq−end zwischen q und dem näheren Drahtende gelten kann.
Führende Korrekturen zu der eben durchgeführten Rechnung hätten im schlimmsten Fall
die Ordnung ǫ1 = RDraht /r bzw. ǫ2 = rq−end /LDraht . Unsere Idealisierung bewirkt also einen
kontrollierbaren Fehler. Sprich, wir sollten in einem geeignet durchgeführten Experiment – sei
es im miefigen Labor oder etwas eleganter in-silico, also numerisch mit Hilfe einer Computersimulation – je näher an unsere analytische Lösung kommen desto kleiner ǫ1 und ǫ2 sind.
Auch wichtig: Man sollte sicherstellen, dass die Summe bzw. das Integral definiert ist. Hätten
wir eine Funktion integriert, die für große z mit lediglich mit 1/z (wie die potenzielle Energie)
– oder langsamer verschwindet – wäre das Integral divergiert. Das muss zwar nicht weiter
schlimm sein, wenn man wie manch Physiker kein Problem damit hat, Differenzen zwischen zwei
verschiedenen Unendlichs zu bilden. Als mathematischer Purist kommen Sie jedoch zunächst
ganz schön in die Bredouille.
Schlussendlich: Wie macht man das mit der Symmetrie systematisch? Wir wenden eine Symmetrieoperation an – in diesem Fall eine Spiegelung des Drahts an der xy Ebene, die die Ladungsverteilung auf sich selbst abbildet. Damit muss auch der Kraftvektor auf die Probeladung
nach der Spiegelung wieder derselbe sein wie vor der Spiegelung. Spiegelung des Kraftvektors
an der xy-Ebene: (Fx , Fy , Fz ) → (Fx , Fy , −Fz ). Weil beide Vektoren aber identisch sein müssen
!
folgt Fz = −Fz bzw. Fz = 0. Somit können wir uns bei der Berechnung der Kraft auf die
Vektorkomponenten senkrecht zur z-Achse konzentrieren.
12
2.3 Elektrisches Feld
2.3.1 Elektrisches Feld allgemeiner Ladungsverteilungen
Im letzten Abschnitt wurde das Coulomb-Gesetz eingeführt, mit dem sich die elektrostatischen
Kräfte zwischen Ladungen berechnen lassen. Mit Hilfe des Superpositionsprinzip können auch
kompliziertere Anordnungen systematisch untersucht werden.
Eine vorhandene Ladungsverteilung bewirkt eine Kraft auf eine zusätzliche Probeladung,
welche proportional zur Probeladung ist. Um die Wirkung einer Ladungsverteilung unabhängig
von der Probeladung beschreiben zu können, führt man das elektrische Feld ein. Es ist definiert
als Coulomb-Kraft F pro Ladung q:
E :=
F
⇔F=E·q
q
(2.11)
Die Kraft, die eine eine Ladung in einem elektrischen Feld erfährt, ist also gegeben durch die
Ladung q multipliziert mit dem vorhandenen elektrischen Feld. Setzt man die Formel für die
Coulomb-Kraft (2.2) ein, so ergibt sich:
1X 1
Qi · q
r − ri
·
2
q i 4πε0 |r − ri | |r − ri |
X 1
Qi
r − ri
·
=
2
4πε0 |r − ri | |r − ri |
i
E(r) =
(2.12)
Das elektrische Feld E(r) definiert also die Coulomb-Kraft, welche eine Einheitsladung (nicht
zu verwechseln mit Elementarladung!) erfahren würde, wenn sie sich im Punkt r befände. Da
das elektrische Feld (2.12) mathematisch äquivalent zur Coulomb-Kraft ist, gilt auch hier das
Superpositionsprinzip. Das elektrische Feld hat die Einheit Volt pro Meter, [E] = V/m.
Man kann (Sie können!) zeigen, dass die Komponenten des elektrischen Feldes kontinuierliche
Funktion der Ortskoordinaten sind und auch überall differenzierbar, außer an den Stellen, an
denen Punktladungen sitzten - dort divergiert das elektrische Feld. Positive (negative) Ladungen
sind Quellen (Senken) des elektrischen Feldes, wie in Abbildung 2.2 dargestellt.
Abb. 2.2: Positive Ladungen sind Quellen, negative Ladungen Senken des elektrischen Felds.
Wie sich aus Gleichung (2.12) ablesen lässt, ist die Richtung des elektrischen Feldes so definiert, dass es in Richtung der Kraft zeigt, die auf eine positive Probeladung ausgeübt würde.
Man sagt auch, dass das elektrische Feld die Richtung angibt, in welche sich eine positive
Probeladung aufgrund der resultierenden Kräfte bewegen würde.
13
Zur Visualisierung des elektrischen Feldes, welches jedem Punkt r einen Vektor zuordnet,
werden oft Feldlinien verwendet. Es handelt sich hierbei um gedachte Linien, welche die auf
eine Probeladung wirkende Kraft visualisieren. Die Tangente an jedem Punkt gibt die Richtung
der Kraftwirkung an, die Dichte der Feldlinien die betragsmäßige Stärke. Feldlinien beginnen
in positiven Ladungen und enden in negativen Ladungen. Zusammengefasst ergeben sich die
folgenden, allgemeinen Eigenschaften von Feldlinien:
– Feldlinien beginnen immer in positiven Ladungen (Quellen) und enden immer in negativen
Ladungen (Senken).
– Die Tangente an einem beliebigen Punkt einer Feldlinie gibt die Richtung der Kraftwirkung an, die Dichte der Feldlinien die Stärke des Feldes.
– Feldlinien kreuzen sich nicht, da das elektrische Feld an jedem Punkt im Raum (in dem
keine Punktladung sitzt) einen eindeutigen Wert hat und differenzierbar ist.
Beispiel 1: Elektrisches Feld zweier gegensätzlicher Punktladungen
Abbildung 2.3 zeigt das elektrische Feld zweier gegensätzlicher Punktladungen.
Abb. 2.3: Graphische Darstellung des Vektorfelds zweier Punktladungen mit q1 = −q2 . Die
dargestellten Vektoren repräsentieren beispielhaft die Richtung des Feldes an verschiedenen Stellen im Raum.
An dieser Stelle muss man sich klar machen, dass das elektrische Feld ein Vektorfeld ist
und somit jedem Punkt im dreidimensionalen Raum einen vektoriellen Wert zuordnet, welcher
Stärke und Richtung des Feldes in diesem Punkt angibt. Im Falle von Abbildung 2.3 sind die
Vektoren normiert und geben keine Auskunft über die Stärke des Felds. Eine graphische Darstellung wie in Abbildung 2.3 kann natürlich nur einen endlichen Teil dieser Vektoren darstellen.
Trotzdem gibt dieser Teil bereits eine Intuition für den Verlauf der Feldlinien, welche dadurch
bestimmt werden, dass die Tangente an jedem Punkt der Feldlinie durch das elektrische Feld
gegeben ist. Vereinfacht gesagt folgen Feldlinien den Vektorpfeilen des elektrischen Feldes.
14
Beispiel 2: Elektrisches Feld einer homogen geladenen Platte
Als weiterführendes Beispiel soll nun das elektrische Feld einer unendlich großen, gleichmäßig
geladenen Platte bestimmt werden. Die Platte soll in der y-z-Ebene unendlich ausgedehnt
und bei x = 0 positioniert sein. Gleichzeitig soll sie gleichmäßig geladen sein. Eine unendlich
große Platte kann wiederum als eine Ansammlung unendlich vieler geladener Ringe interpretiert
werden - ähnlich wie ein Blatt Papier mit einer (endlichen) Anzahl dicht beieinander liegenden
Zirkel-Kreise vollständig ausgefüllt werden kann.
Abb. 2.4: (a): Geometrische Anordnung des Problems eines geladenen Rings, dessen Symmetrieachse die x-Achse ist. (b): Die geladene Platte kann als Ansammlung von Ringen
betrachtet werden.
Doch wieso Ringe?
Eine unendlich große, rechteckige Platte ist genau so unendlich weit ausgedehnt wie eine unendlich große Zylinderscheibe, die exakte Form hat bei unendlicher Ausdehnung keinen Einfluss
auf das Ergebnis. Das Problem hat jedoch eine Zylindersymmetrie - sprich die Anordnung ist
invariant unter Drehung um die Symmetrieachse, welche hier passenderweise durch die x-Achse
gegeben ist. Damit vereinfacht sich die Behandlung des Problems enorm. Im Allgemeinen ist
es in der Physik immer vorteilhaft, ein Problem unter Ausnutzung aller möglichen Symmetrien
zu beschreiben.
Das Feld eines geladenen, unendlich dünnen Rings mit Ladung Q und Radius R auf seiner
Symmetrieachse ergibt sich zu (siehe Übung):
E(x0 ) = Ex (x0 ) · ex
Ex (x0 ) =
1
Q · x0
·
4πε0 (R2 + x20 )3/2
Wir betrachten nun einen Ring endlicher Breite ∆R als Teil einer Ebene, wie in Abbildung 2.4
(b) dargestellt. Diese Ebene habe eine konstante (Flächen-)Ladungsdichte.
σ=
∆Q
= const.
∆A
15
Die Ladung auf dem Ring ergibt sich damit zu:
2
2
∆Q = σ πRaußen
− πRinnen
= σπ (R + ∆R)2 − R2
= σπ R2 + 2R · ∆R + ∆R2 − R2
= σπ 2R · ∆R + ∆R2
→ 2πR · ∆R · σ für ∆R → 0
Mit ∆Q = ∆A · σ identifiziert man die Fläche des Rings in Näherung als Umfang des inneren
Rings U = 2πR mal seiner Breite ∆R. Damit trägt der Ring mit seinem Radius R und seiner
Breite ∆R wie folgt zum elektrischen Feld bei:
∆E =
1
2πR · ∆R · σ · x0
· p
3
4πε0
R2 + x20
(2.13)
Eine unendlich ausgedehnte, geladene Platte kann nun wie beschrieben als eine Ansammlung
unendlich vieler solcher Ringe interpretiert werden. Zur Bestimmung des elektrischen Feldes
einer solchen Platte muss daher das elektrische Feld dieser unendlich vielen Ringe aufsummiert
werden (Superpositionsprinzip). Man führt wie bereits beim geladenen Draht den Übergang
von einer Summe zu einem Integral via
Z ∞
X
∆R ...... →
dR .........
0
Ringe
durch. Man findet:
σ
Ex =
2ε0
Z
∞
dR
0
x0 · R
+ x20 )3/2
(R2
Die Substitution r = R/x0 mit dr = dR/x0 macht das Integral einheitenlos.
Z
x·R
σ · sgn(x0 ) ∞
dR 2
⇒ Ex =
2ε0
(R + x2 )3/2
0
Z ∞
σ · sgn(x0 )
r
σ
=
dr
·
· sgn(x0 )
=
2
3/2
2ε0
(1 + r )
2ε0
0
{z
}
|
= 1 (dimensionslos)
(2.14)
Der Betrag des elektrischen Feldes hängt also nur von der Oberflächendichte ab, was man auch
anhand einer Einheitenanalyse herausbekommen hätte können. Den Vorfaktor von 1/2 ergibt
sich aber nur durch rechnen.
Auch hier sei angemerkt, dass die Annahme einer unendlich ausgedehnten Platte dann gerechtfertigt ist, wenn der Betrag von x0 klein ist gegenüber dem Radius der Platte als auch
verglichen mit dem kürzesten Abstand zum Plattenrand.
Fügt man zwei gegensätzlich geladene Platten zusammen, so ergibt sich die in Abbildung 2.6
dargestellten Feldlinien. Außerhalb des Kondensators löschen sich die Feldlinien der Platten
aus.
Im Allgemeinen sind die Platten wie bereits beschrieben endlich, sodass die Homogenität
des Feldes nur zwischen den Platten gegeben ist, an den Rändern der Platten kommt es zur
Ausbildung signifikanter Störfelder, welche in der praktischen Anwendung jedoch vernachlässigt
16
Abb. 2.5: Feldlinienverlauf einer positiv (links) beziehungsweise negativ (rechts) geladenen Platte. Randeffekte sind dabei vernachlässigt.
Abb. 2.6: Feldlinienverlauf zweier parallel zueinander im Abstand d aufgestellter, gegensätzlich
geladener Metallplatten der Breite L. Vernachlässigt man Randeffekte und die Felder
außerhalb der Platten, so ergibt sich der rechts dargestellte ideale Plattenkondensator.
werden. Es ergibt sich der ideale Plattenkondensator, bei welchem das gesamte Feld als zwischen den Platten lokalisiert angenommen wird. Es ist dabei homogen, sprich überall im Raum
zwischen den Platten herrscht die gleiche Feldstärke, welche nur von der Ladung auf den Platten
abhängig ist. Diese Näherung ist vor allem für L >> d sehr gut erfüllt. Ist d >> L, so können
die Störfelder nicht mehr vernachlässigt werden und es ergibt sich ein elektrischer Dipol.
In Abbildung 2.7 ist das exakt berechnete Feld zweier parallel gegenüber liegender, gegensätzlich
geladener Platten skizziert.
2.3.2 Felder an Metalloberflächen
Metalle zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine hohe Leitfähigkeit besitzen. Diese Leitfähigkeit
rührt von freien Ladungsträgern, welche durch ein elektrisches Feld (Spannung) in Bewegung
(Strom) gesetzt werden können, her. Dieser Zusammenhang wird später noch im ohmschen
Gesetz quantifiziert.
Die freien Ladungsträger in einem Leiter versuchen sich in einem externen elektrischen Feld
durch ihre Bewegung so anzuordnen, dass die sie bewegende Coulomb-Kraft verschwindet. Sie
bauen ein eigenes elektrisches Feld auf, welches dem äußeren Feld entgegen gerichtet ist. Daraus
ergeben sich einige Konsequenzen, welche sich zwanglos aus den Maxwell-Gleichungen ergeben.
Auf die Herleitung soll hier verzichtet werden. Wichtig ist es an dieser Stelle, die resultierenden
Effekte zu kennen.
Influenz: Eine ortsfeste Ladungsverteilung in der Nähe eines Leiters bewirkt eine Kraft auf die
im Leiter enthaltenen freien Ladungsträger, welche sich in einen Anteil parallel und senkrecht zur Metalloberfläche zerlegen lässt. Der senkrechte Anteil zieht die Ladungsträger
an den Rand des Metalls. Dort angekommen kann dieser Anteil die Ladungsträger nicht
17
Abb. 2.7: Berechnetes Feld (nur Richtungen!) eines Plattenkondensators. Zwischen den Platten
ist das Feld größtenteils homogen. Zum Rand hin erkennt man die beim idealen
Kondensator vernachlässigten Inhomogenitäten.
weiter bewegen. Der parallele Anteil hingegen verschiebt sie so lange gegen die Metalloberfläche, bis die wirkende Kraft verschwindet. Die so erhaltene räumliche Verschiebung
der Ladung wird Influenz genannt – oder manchmal auch elektrostatische Induktion. Bei
einem Leiter im elektrischen Feld sammeln sich die freien Ladungsträger also immer an
der Oberfläche des Leiters.
Das elektrische Feld steht senkrecht auf der Metalloberfläche: Als direkte Konsequenz aus
der Influenz steht das elektrische Feld immer senkrecht auf der Metalloberfläche. Da die
zur Oberfläche parallele Komponente der Kraft verschwindet, wirkt nur noch eine Kraft
senkrecht zur Metalloberfläche auf die Ladungsträger. Da das elektrische Feld in Richtung der wirkenden Kraft zeigt (siehe (2.11)), ist dessen Richtung auf der Metalloberfläche
ebenfalls senkrecht zu dieser.
Das Innere eines Leiters ist feldfrei: Bei der Ausrichtung der Ladungsträger im Leiter (Influenz) erzeugen diese ein elektrisches Feld im Metall, welches das von der äußeren Ladungsverteilung erzeugte elektrische Feld vollständig kompensiert. Daher ist das Innere
eines Leiters (egal ob hohl oder massiv) immer feldfrei. Eine solche Anordnung wird auch
Faraday-Käfig genannt.
18
2.3.3 Gaußsches Gesetz
In dieser Vorlesung haben wir die elektrischen Felder von Drähten und Platten ausgerechnet,
indem wir ein Ladung-tragendes Objekt in kleine Elemente zerlegt haben und das von jedem
Element am Punkt R erzeugte Feld aufaddiert bzw. integriert haben. Wir haben diese Vorgehensweise gewählt, weil es sich direkt für numerische Berechnungen oder Computersimulationen
eignet. Letztere sind immer dann der einzige Weg zum Erfolg, wenn das gegebene Problem keine hinreichend hohe Symmetrie hat, um das Problem analytisch zu lösen. Also eigentlich alle
Probleme von praktischem Interesse.
Traditionell berechnet man die elektrischen Felder unendlich langer Drähte oder unendlich
ausgedehnter Platten jedoch mit dem gaußschen Gesetz, das mathematisch quasi dieselbe Information beinhaltet wie das coulombsche Gesetz. Um von Kollegen, die noch älter sind als ich,
nicht beschimpft zu werden, soll er hier kurz angerissen werden.
Das Feld einer Punktladung genügt der Gleichung:
|E| =
1 Q
4 π ε0 r 2
Desweiteren berechnet sich die Oberfläche einer Kugel, deren Punkte vom Mittelpunkt den
Abstand r haben zu: A = 4 π r2 . Deshalb ist das Produkt aus E = |E| (auf der Kugeloberfläche,
also bei konstantem r) und A:
1 Q
· 4 π r2
E·A = =
2
4 π ε0 r
Q
(2.15)
=
ε0
eine Konstante.
Nun ist E ein Vektor. Ebenso kann man einen Flächenvektor A definieren, der senkrecht auf
einer Oberfläche eines Objektes (Volumens) steht und von innen nach außen zeigt, z.B. würde
man die Oberfläche eines “Deckel” eines Kubus mit Kantenlänge a, der entlang der kartesischen
Koordinaten ausgerichtet ist, mit ADeckel = a2 ez bezeichnen. Die Oberfläche des “Bodens” wäre
dann ABoden = −a2 ez .
Gekrümmte Oberflächen, wie die einer Kugel, können in kleine Teile zerlegt werden, die dann
als lokal eben genähert werden dürfen. Bei einer Kugel wäre solche Oberflächensegmente parallel
zu r, wenn der Schwerpunkt der Kugel im Koordinatenzentrum liegt. Also ist dA parallel zu r.
Wir können Gleichung (2.15) sinnvoller schreiben, indem wir kleine Oberflächensegmente
betrachten und dann jeweils deren Beiträge dA·E über die gesamte Kugeloberfläche summieren.
Das resultierende Integral schreibt man formal wiefolgt:
I
1
E dA = Qeingeschlossen .
(2.16)
ε0
Diese
Gleichung bezeichnet man auch als das gaußsche Gesetz. Dabei bedeutet das Symbol
H
dA... eine Summation bzw. Integration über eine geschlossene Oberfläche, also über die Hülle
eines Volumens.
⇒ ∆A · E = ∆A · E · cos α,
wobei α der Winkel zwischen ∆A und E ist.
R
Man bezeichnet das Integral A dA · E über eine offene Fläche A auch als den elektrischen
Fluss durch die gegebene Oberfläche. Betrachten wir als Beispiel wieder einen Kubus und ein
19
konstantes E-Feld parallel zur z-Achse, E = E0 · ez . Der elektrische Fluss durch den Boden ist
dann −AE0 , weil die Oberflächennormale und E antiparallel sind. Durch die Seiten des Kubus
geht kein Fluss, da die Oberflächennormalen der vier Seiten senkrecht
H zu E stehen. Der Fluss
durch den Deckel ist schließlich +AE0 , sodass sich der Gesamtfluss dA · E durch alle sechs
Oberflächen zu null addiert. Der Begriff “Fluss” stammt im Übrigen aus der Strömungslehre,
wo man den Begriff dann durchaus wörtlich nehmen darf.
Das Feld einer unendlichen Platte reloaded
Als eins von quasi drei einfachen Anwendungen des gaußschen Gesetzes berechnen wir (zum
zweiten Mal in diesem Kapitel) das elektrische Feld einer unendlich ausgedehnten Platte. Homogen geladene Kugeln oder Drähte eignen sich dann für Aufgaben an anderweitiger Stelle.
Betrachten wir Abb. 2.8. Die z-Achse liege parallel zur Oberflächennormalen. Aus Symmetriegründen zeigt dann das E-FeldR auch in z-Richtung. Somit tritt kein Fluss durch die Seitenwände
der “Pillendose” aus, sodass Seitenwände dA · E = 0. In Deckel und Boden steht E parallel zu
den jeweiligen Oberflächennormalen.
Abb. 2.8: Pillendosen-Integration des elektrischen Feldes einer ausgedehnter Platte mit positiver, homogener
Ladungsdichte σ.
Unter diesen Betrachtungen wird
Z
Z
dA · E =
Boden
Deckel
dA · E = A|Ez |,
wobei A die Grundfläche der Pillendose sei und damit
I
dA · E = 2A|Ez |
(2.17)
(2.18)
Gleichzeitig ist die eingeschlossene Ladung
Qeingeschlossen = Aσ.
(2.19)
Setzen wir die beiden letzten Gleichungen in das gaußsche Gesetz ein, kürzt sich die Fläche A
raus, sodass unter Berücksichtigung der Richtung des E Feldes
E = sgn(z)
σ
e3 .
2ǫ0
(2.20)
Dies ist im Wesentlichen das gleiche Ergebnis wie in Gleichung (2.14), nur dass wir diesmal die
Symmetrieachse nicht parallel zur x−Achse sondern zur z-Achse gelegt haben.
Prinzipiell ist die auf dem gaußschen Gesetz basierende Rechnung für die unendliche Platte
einfacher als das explizite Integrieren über die Ladungsverteilung. Letztere Methode ließe sich
– im Gegensatz zum gaußschen Gesetz – aber auch dann zwanglos anwenden, wenn man das
Feld auf der Symmetrieachse eines endlichen Kreises berechnen wollte.
20
2.3.4 Bewegung einer Punktladung in einem elektrischen Feld
Eine Anordnung aus zwei planparallelen Platten ist wie bereits beschrieben als Kondensator
bekannt. Die sehr gute Homogenität des elektrischen Feldes zwischen den Platten kann genutzt
werden, um freie elektrische Ladungen (beispielsweise Elektronenstrahlen) gezielt abzulenken.
Jeder Röhrenbildschirm basiert auf diesem Prinzip. Die Grundzüge dieser Dynamik sollen hier
kurz angerissen werden. Dabei wird nur der Einfluss des Kondensatorfelds auf die freie Ladung
untersucht, der umgekehrte Einfluss wird vernachlässigt.
Abb. 2.9: Ein geladenes Teilchen wird in einem Kondensator abgelenkt. Eine typische Fragestellung beinhaltet die Frage, an welcher Position (Höhe h) eines Schirms hinter dem
Kondensator das Teilchen auftrifft.
Die Überlegungen sind analog zum freien Fall oder zum schiefen Wurf in der Mechanik,
die Situationen ist in Abbildung 2.9 dargestellt. Die typische Fragestellung lautet: Wie hängt
die Position h, an der die Ladung auf den Schirm, trifft von L1 , L2 und der Feldstärke im
Kondensator ab?
Als Ladung wird ein Elektron angenommen mit m = me und q = −e. Die obere Platte des
Kondensators sei positiv, die untere negativ geladen. Damit ergibt sich die in Abbildung 2.9
dargestellte Richtung des elektrischen Feldes im Kondensator. Das Elektron trete im Ursprung
in den Kondensator ein und habe eine Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung, es gilt also:
 
 
v0
0



v(t = 0) = 0 
s(t = 0) = 0
0
0
Der Kondensator erzeugt ein elektrisches Feld E = −E · ey , welches über den gesamten Kondensator und damit über die gesamte Strecke L1 gleich ist.
Gemäß Gleichung (2.11) bewirkt das elektrische Feld des Kondensator eine Kraft auf das
Elektron:
F
q
⇒F=E·q
= −E · (−e) · ey
= e · E · ey
E=
21
Gemäß Newton gilt:
m e · a = F = e · E · ey
Damit findet man, dass das Elektron eine Beschleunigung in y-Richtung erfährt, wie in Abbildung 2.9 eingezeichnet. Integriert man die Beschleunigung zwei mal nach der Zeit unter
Verwendung der oben gegebenen Anfangsbedingungen, so erhält man:






v0
v0 · t
0
R
R
dt
dt
eE
eE
· t ⇒ s(t) =  2m
· t2 
a(t) =  mee · E  ⇒ v(t) =  m
e
e
0
0
0
Sobald das Elektron den Kondensator verlässt, verschwindet das elektrische Feld und damit
die wirkende Beschleunigung. Das Elektron bewegt sich dann in einer gleichförmig-geradlinigen
Bewegung mit der Geschwindigkeit, welches es beim Verlassen des Kondensators inne hat. Die
x-Komponente dieser Geschwindigkeit ist mit v0 bekannt. Die y-Komponente zum Zeitpunkt
des Austritts aus dem Kondensator muss jedoch explizit berechnet werden. Dazu löst man
zunächst die x-Komponente von s(t) nach t auf und setzt dieses t dann in die y-Komponente
ein:
2
eE sx
sx
⇒
sy =
sx = v0 · t ⇒ t =
v0
2me v0
Beim Verlassen des Kondensators ist sx = L1 . Damit ergibt sich für y0 = sy (sx = L1 )
2
eE L1
y0 =
2me v0
und für die y-Komponente der Geschwindigkeit beim Austreten aus dem Kondensator
vy (t = L1 /v0 ) =
e · E · L1
m e · v0
Ab dem Punkt (L1 , y0 , 0) besitzt das Elektron also die konstante Geschwindigkeit


v0
1
v =  eEL
,
m e v0
0
womit sich für s(t) die bereits beschriebene geradlinig-gleichförmige Bewegung ergibt:


v 0 · t + L1
1
· t + y0 
s(t) =  eEL
m e v0
0
Man beachte, dass das Koordinatensystem immer noch das selbe ist wie zuvor, daher muss
die Position beim Verlassen des Kondensators hinzu addiert werden. Der Abstand zwischen
Ausgang Kondensator und Bildschirm ist L2 . Wieder berechnet man die Flugzeit aus der xKomponente
L2
t=
v0
und setzt diese in die y-Komponente ein. Damit ergibt sich:
h = sy (t = L2 /v0 ) = y0 +
eEL1
eEL1 L2
=
· (L1 + 2L2 )
2
m e v0
2me v02
22
2.3.5 Hintergrund Physik: Massepunkt im konservativen Kraftfeld
Der Vollständigkeit halber soll hier ein kurzer Exkurs in die newtonsche Mechanik gemacht und
– falls noch nicht bekannt – das Konzept der potenziellen Energie und der kinetischen Energie
eingeführt werden. Ebenso werden wir lernen, was der Begriff Erhaltungsgröße bedeutet. Wir
beschränken uns zunächst auf die Bewegung eines Punktteilchens in einer Dimension, für die
die newtonsche Gleichung gilt
mẍ = F.
(2.21)
Sprich, Kraft (F ) gleich Masse (m) mal Beschleunigung (ẍ). Zwei Punkte auf dem x bedeuten
hier die zweifache Ableitung nach der Zeit. Wenn F lediglich eine Funktion von x ist, dann
können wir auch schreiben
mẍ − F (x) = 0.
(2.22)
Nun führen wir eine Funktion Vpot (x) ein, die die negative Stammfunktion von F (x) sein soll,
sodass
d
(2.23)
F (x) = − Vpot (x).
dx
Diese Funktion nennen wir potenzielle Energie. Dann multiplizieren Gleichung (2.22) mit der
Geschwindigkeit ẋ und erhalten
′
mẍẋ + Vpot
(x)ẋ = 0,
(2.24)
wobei der Strich an Vpot bedeutet: Ableitung nach x. Ein scharfes Auge erkennt sofort, dass
beide Summanden auf der linken Seite als Ableitung eines Terms nach der Zeit dargestellt
werden können:
d m 2
ẋ = mẍẋ
dt 2
d
dx
d
Vpot =
Vpot (x)
dt
dx
dt
(2.25)
(2.26)
Wenn wir den Ausdruck Tkin = mẋ2 /2 kinetische Energie nennen, finden wir also
d
(Tkin + Vpot ) = 0.
dt
(2.27)
Dies wiederum bedeutet, dass die Summe aus kinetischer und potenzieller Energie sich nicht mit
der Zeit ändert. Sie ist damit eine Erhaltungsgröße – oder hochgestochen, formal ausgedrückt
– eine Invariante der Zeit.
Für höhere Dimensionen gilt eine ähnliche Herleitung. Nun sind Orte und Kräfte Vektoren
und keine Skalare also Zahlen (mal Einheit). Zudem reicht es jetzt nicht mehr aus, dass F
eine Funktion von r ist, sondern die Kraft muss ein Gradient einer skalaren Funktion sein,
also Fx = −∂Vpot (r)/∂x, Fy = −∂Vpot (r)/∂y und Fz = −∂Vpot (r)/∂z. Eine solche Kraft wird
konservativ genannt.
Wir können für konservative Kräfte in Dimensionen grß̈er als eins die Herleitung der Energieerhaltung von oben wiederholen, nur dass wir jetzt in den Gleichungen (2.25) und ((2.26) neben
der x-Komponente auch die y- oder die z-Komponente berücksichtigen müssen. So würde z.B.
aus ẍẋ das Skalarprodukt r̈ · ṙ oder aus ẋ · dV (x)/dx würde dann in Worten ausgesprochen:
(Vektor der) Geschwindigkeit mal Gradient der potenziellen Energie.
23
2.4 Elektrisches Potenzial und potenzielle Energie
Im letzten Kapitel haben wir die potenzielle Energie eines Massepunktes eingeführt. Sie ist sozusagen die Stammfunktion zu einer konservativen Kraft. Da sich die elektrostatische Kraft auf
eine Punktladung ebenfalls als Ableitung bzw. als Gradient einer skalaren Funktion ergibt (siehe mathematisches Begleitskript) können wir nun auch die elektrische potenzielle Energie
einführen. Sie beträgt
1 Qi Qj
(2.28)
Vij =
4πǫ0 Rij
für die Punktladung i im Feld der Punktladung j bzw. umgekehrt. Für ein System aus vielen
Ladungen müssen wir über alle Paare i, j addieren, um die gesamte elektrische potenzielle
Energie zu erhalten, also
X
Vtot =
Vij .
(2.29)
i,j>i
Die Summe wird auf j > i beschränkt, damit wir keine Paare doppelt zählen und keine Selbstwechselwirkung einführen. Gleichung (2.29) gilt im Übrigen für alle Paar-Wechselwirkungen.
Wir können nun die Frage beantworten, wieviel potenzielle Energie man gewinnt oder verliert,
wenn eine (Test-) Ladung Q von unendlich an den Ort R gebracht wird, in dessen Nähe sich
eine Ladungsverteilung (Q1 , . . . , Qn ) befindet:
V =Q
X 1
Qi
4πǫ0 |R − Ri |
i
(2.30)
Die potenzielle Energie ist offensichtlich proportional zu Q. Die Summe in Gleichung (2.30)hängt
aber nicht von der Größe der (Test-) Ladung Q ab. Die Summe
Φ(R) =
X 1
Qi
.
4πǫ0 |R − Ri |
i
(2.31)
bekommt deshalb den eigenen Namen elektrisches Potenzial. Es ist lediglich eine (skalare)
Funktion des Ortes und der ursprünglichen Ladungsanordnung, aber es ist unabhängig von Q.
Wir bemerken natürlich sofort, dass wir der Berechnung elektrischer Felder in Zukunft weniger Arbeit machen müssen. Bisher haben wir prinzipiell drei Integrale lösen müssen, auch
wenn der Dozent meist die Freudlichkeit besaß, nur solche Aufgaben zu stellen, in denen aus
Symmetriegründen zwei Komponenten verschwanden. Das wirkliche Leben ist meist nicht so
nett, sodass man drei Integrale lösen muss, oder aber eben alternativ ein Integral für Φ(R) und
einen Gradient, denn
E(R) = −∇Φ(R),
(2.32)
wie man selbst nachrechnen kann – siehe auch das Mathe-Begleitskript.
Da Ableiten in aller Regel sehr viel leichter ist als Integrieren ist es oft zeitsparend zunächst
das Potenzial zu berechnen und dann dessen (negativen) Gradienten zu bilden. Es ist eine
hervorragende Übung dieses im Fall eines homogenen geladenen Drahtes durchzuexerzieren.
Die elektrische Potenzialdifferenz zwischen zwei Punkten heißt auch elektrische Spannung.
Die elektrische Spannung zwischen zwei Punkten a und b ist somit
Uab = Φ(Rb ) − Φ(Ra ).
24
(2.33)
Die elektrische Spannung hat im Gegensatz zur Spannung, mit der Sie dieses Skript lesen, eine
S.I. Einheit. Sie heißt Volt:
[U ] = V = J/C.
Die Spannung Uab ist die Arbeit je Einheitsladung, die man an einer Testladung
verrichten muss, um sie quasistatisch3 von a nach b zu bewegen.
Im letzten Satz haben wir den aus der Mechanik vertrauten Begriff der Arbeit verwendet.
Dazu ein paar Bemerkungen. In der Mechanik heißt es, dass die Arbeit, die wir leisten, wenn
wir einen Massepunkt um einen Vektor dr verschieben, durch
dW = Fwir · dr
gegeben ist, wobei Fwir die Kraft ist, die wir auf den Massepunkt ausüben. Wenn wir uns
also parallel zur Erdoberfläche bewegen, oder Ladungen senkrecht zu den E-Feld Linien, dann
verrichten wir keine Arbeit gegen das Gravitations- bzw. das elektrische Feld. Es zählt also
immer die Komponenten parallel zur Erdbeschleunigung oder parallel zum elektrischen Feld.
Da im quasistatischen Fall die Kraft, die das konservative Potenzial auf den Massenpunkt
ausübt, unserer Kraft genau entgegenwirkt gilt
FPotenzial + Fwir = 0,
sodass
dW = −FPotenzial · dr.
Die Vorzeichenwahl der Gleichung dW = ±F · dr ist also gerne etwas verwirrend.
Beispiel: Punktmasse im Schwerefeld
Ein klassisches Beispiel zur Bestimmung der potenzielle Energie ist ein Massepunkt der Masse
m im Schwerefeld der Erde, welches man in der Nähe der Erdoberfläche als konstant annehmen
kann. Das Schwerefeld bewirkt (wie aus der Einleitung bekannt) eine Kraft auf den Massepunkt:
F = −m · g · ez
Hierbei ist g = 9,82 ms−2 die Erdbeschleunigung.
Abb. 2.10: Wirkende Kraft auf eine Punktmasse im Abstand z über dem Erdboden.
Die potenzielle Energie, welche diese Kraft bewirkt, ist gegeben durch:
V (x, y, z) = m · g · z + V0
3
Der Begriff “quasistatisch” soll implizieren, dass keine Reibungsverluste auftreten und die kinetische Energie
der Testladung sich nicht ändert.
25
Die Koordinate z ist wie aus Abbildung 2.10 ersichtlich die Höhe des Massepunkts über dem
Erdboden, welcher auf z = 0 festgelegt ist. Als “Beweis” dieser Formel für die potenziellen
Energie dieses Beispiels bildet man die partielle Ableitung in alle drei Raumrichtungen:
∆V ∂V
=0
Fx = − lim
=
∆z→0 ∆z ∂x
x,y=const
∂V
Fy =
=0
∂y
∂V
Fz =
= −m · g
∂z
Insgesamt gilt also wie erwartet F = −m · g · ez . Die Konstante V0 muss willkürlich bestimmt
werden, z.B. je nach Wahl des Koordinatensysteme. Ihr Wert hat aber keinerlei Relevanz für
die Kräfte.
Allgemein bezeichnet man alle Punkte gleicher potenzieller Energie als Äquipotenzialflächen.
In unserem Beispiel wäre das eine unendliche große Anzahl von ebenen Flächen, eine Fläche
für jedes z > 0. Tatsächlich jedoch sorgen lokale Schwankungen im Wert von g für geringfügig
ausgebeulte Äquipotenzialflächen. Analoge Betrachtungen gelten beispielsweise für ein Teilchen
vor einer homogen geladenen Platte (Kondensator).
26
2.5 Kondensatoren und Feldenergie
Aus den Rechnungen für eine unendlich ausgedehnte Platte mit homogener Ladungsdichte, die
wir im Abschnitt 2.3.3 vorgenommen haben, können wir für das elektrische Feld zwischen zwei
plan-parallelen Platten zwanglos folgern, dass:
1 1 Qlinks Qrechts
E=
−
·
ε0 A
2
2
Mit der Vorgabe, dass Qlinks = −Qrechts = Q folgt für E:
E=
1 Q
·
ε0 A
Die Energie, die benötigt wird, um eine Probeladung q ≪ Q von links nach rechts zu verschieben, beträgt somit:
W = q · E · |{z}
d =q·U
|{z}
Kraft
Weg
Dabei ist U = E · d die Potenzialdifferenz (Spannung) zwischen den beiden Platten. Es gilt also:
(q) ·
1 d
· · Q = (q) · U
ε0 A
ε0 A
·U
oder Q =
d
Daraus folgt, dass Ladung und Potenzialdifferenz proportional zueinander sind. Der Proportionalitätsfaktor ist eine Eigenschaft des Objekts und wird Kapazität genannt. Je höher die
Kapazität ist, desto mehr Ladung wird bei gegebener Spannung auf die Platten geladen.
C = ε0 ·
A
d
Kapazität eines Plattenkondensators
(2.34)
Kapazitäten (von Kondensatoren) spielen in Schaltkreisen aber auch bei der Energiespeicherung
eine wichtige Rolle, insbesondere dann, wenn (kurzfristig) hohe Leistungen gewünscht sind.
1C
[Q]
=
= 1F
Farad
[U ]
1V
A
= [ε0 ]
= [ε0 ] · m
d
[C] =
Die Kapazität kann nicht nur für zwei parallele Platten definiert werden, sondern für allgemeine
Paare von metallischen Objekten. Es ist sogar eine Verallgemeinerung auf beliebig viele metallische Objekte möglich. In diesem Fall hat man eine Kapzitätsmatrix, die einem Spannungsvektor
eine Ladung gemäß
Qi = Cij Uj
zurorndet. Das mechanische Äquivalent ist ein System aus Massepunkten, die über Federn
gekoppelt sind. Wenn nun auf den Massepunkt i eine Kraft angelegt, so bewirkt dies nicht nur
eine Auslenkung von i sondern von jedem Massepunkt j, der direkt oder indirekt an j gekoppelt
ist.
27
Beispiel: Kapazität eines Koaxialkabel
Ein Koaxialkabel besteht im wesentlichen aus zwei voneinander isolierten Metalldrähten, siehe
Abbildung.
Ra
Ri
Im letzten Kapitel:
E=
λ
1
·
2 π ε0 R
für Ri < R < Ra
λ=
Q
∆Q
≈
∆l
l
Gesamtladung
Gesamtlänge
∆l ist ein Längensegment
Abb. 2.11: Koaxialkabel
Die Energie, die benötigt wird, um eine kleine Testladung von R = Ri nach R = Ra zu
verschieben, ist:
Z Ra
Z Ra
λ
1
(2.35)
E(R) dR = q ·
W = q
dR
·
2 π ε0
Ri
Ri R
| {z }
a
ln R|R
R =ln Ra −ln Ri =ln
i
⇒W = q·
λ
Ra
· ln
2 π ε0
Ri
|
{z
}
mit
λ=
Q
l
Ra
Ri
⇒ Q = 2 π ε0 ·
Potenzialunterschied V
|
l
ln Ra
{z Ri}
·U
(2.36)
C (Koaxialkabel)
⇒ Ein 100 m langes Kabel mit Ra = 2 m und Ri = 1 m hat dieselbe Kapazität wie ein gleich
langes Kabel mit Ra = 20 nm und Ri = 10 nm, nämlich C/ǫ0 = 200π
m.
ln 2
2.5.1 Parallelschaltung von Kondensatoren
In elektrischen Schaltungen werden Kondensatoren oft seriell oder parallel zu Widerständen,
Spulen aber auch zu anderen Kondensatoren geschaltet. Man kann dann jeweils parallel oder
seriell geschaltete Kondensatoren vereinfacht mit der Angabe einer effektiven Kapazität beschreiben.
Die Gleichstromquelle (U ) gibt die Spannung vor. An jeder Kapazität liegt dieselbe Spannung
an.
⇒ Q1 = C 1 · U
Q2 = C 2 · U
Qgesamt = Q1 + Q2 = (C1 + C2 ) · U
Parallelgeschaltete Kapazitäten addieren sich!
ε0
· (A1 + A2 )
Siehe auch:
Cgesamt =
d
Die Flächen einer in zwei Teile geschnittenen Kapazität addieren sich.
28
C 1 , Q1
C, Q
Ersatzschaltbild
C 2 , Q2
→
U
U
Abb. 2.12: Parallelschaltung von Kapazitäten
2.5.2 Serienschaltung von Kondensatoren
Wir betrachten die Situation, welche im folgenden Schaltbild dargestellt ist. Die Summe der
Spannungen muss den externen Spannung entsprechen!
⇒ U1 =
1
·Q
C1
U2 =
1
·Q
C2
Insgesamt gilt also:
C 1 , Q1
C 2 , Q2
C, Q
Ersatzschaltbild
→
U
U
Abb. 2.13: Serienschaltung von Kapazutäten
U=
Q=
1
1
+
C1 C2
1
1
+
C1 C2
·Q
−1
·U
Damit findet man folgenden Zusammenhang:
In Serienschaltung addieren sich die inversen Kapazitäten zur inversen
Gesamtkapazität.
29
Siehe dazu auch:
1
1
1
1
=
· (d1 + d2 ) =
+
C
ε0 A | {z } C1 C2
=d
Auch komplizierte Serien- und Parallelschaltungen von Kondensatoren lassen sich als effektive
d1
d2
Abb. 2.14:
Kapazität darstellen. Bei ganz genauer Betrachtung muss man allerdings die Kapazität als eine
Matrix ansehen. Dies zu vertiefen sprengt aber den Rahmen der Vorlesung.
2.5.3 Energie in einem Kondensator
Qlinks
Qrechts
Abb. 2.15:
Jede Partialladung in der linken Platte ”fühlt” das Potenzial der Ladungen auf der rechten
Platte. Die Gesamtenergie, die in der Wechselwirkung zwischen den Ladungen steckt, kann
prinzipiell über Summation bzw. Integration berechnet werden.
Alternativ:
Rechte Platte erzeugt ein E-Feld:
1 Qrechts
·
2 ε0
A
F = Qlinks · E
E=−
Nun verschiebe man die linke Platte nach rechts bis sich die beiden Platten berühren.
Z d
(−1) Qrechts
·
dr
⇒W =
Qlinks ·
2 ε0
A
0
1 Qrechts · Qlinks
Q2 d
= −
·d =
·
·
2 ε0
A
2 ε0 A
30
(2.37)
(2.38)
Damit ist die Energie:
W =
oder wenn wir Q = C · V setzen:
Q2
2C
(2.39)
1
C · U 2.
(2.40)
2
Das ist die Energie, die wir benötigen, um eine Kapazität zu laden. Diese Formel gilt auch für
allgemeine Kondensatoren. Interessanter Weise gibt es offensichtlich keine “Selbstenergie” einer
Platte in dieser Rechnung.
W =
Alternative Sichtweise
Energie steckt im Feld der wechselwirkenden Ladungen. Ladungen selbst wechselwirken nicht,
sondern sie erzeugen ein Feld, das Energie hat.
Im Plattenkondensator:
⇒W =
E=
Q
ε0 A
in (2.38) eingesetzt:
Q = ε0 · A · E
1
(ε0 · A · E)2 d
= ε0 E 2 · (A · d)
·
2 ε0
A
2
Energie
W
1
= Energiedichte =
= ε0 E 2
Volumen
A·d
2
Diese Formel gilt allgemein - also auch außerhalb eines Plattenkondensator.
(2.41)
Hintergrundwissen: Feldenergie eines Protons
Ein Proton ist prinzipiell ein Punktteilchen. Bei genauer Betrachtung stellt sich jedoch heraus,
dass es einen zwar sehr kleinen, aber dennoch endlichen Radius, R = 0.877 fm hat. Man kann
nun annehmen, dass die Ladungsdichte ρ innerhalb dieses Radius konstant ist und außerhalb
gleich null und die Feldenergie berechnen.
(
0 r>R
ρ=
ρ0 r ≤ R
Betrachte nur Feldenergie außerhalb des Protons, wo der Betrag des elektrischen Feldes gegeben
E
Q
4 π ε0 · R 2
R
Abb. 2.16: Feld einer homogen geladenen Kugel, hier eines Protons; siehe auch Abschnitt 2.3.3
31
ist durch:
|E| =
Q
1
· 2
4 π ε0 r
Volumen einer Kugelschale der Dicke ∆R:
∆V =
2
|4 π
{zr}
Oberfl. Kugel
·∆r
Z ∞
1
ε0
e2
ε0 E 2
dr 4 π r2 · ·
→
⇒W =
∆V ·
2 · 4
2
2 (4 π ε0 ) r
R
r>R
Z ∞
e2
1
1
dr
=
=
8 π ε0 R r 2
8 π ε0 · R
| {z }
∞
1
− 1r | = R
R
X
(2.42)
Setzen wir Zahlenwerte ein, erhalten wir W = 0.82 MeV. Mit Hilfe der Formel E = m · c2
(hier steht E für Energie), kann man der Energie eine Masse zuordnen. Das Ergebnis ist m =
1, 46 · 10−30 kg. Dies ist nicht die Masse eines Protons sondern ungefähr die eines Elektrons
(me = 0, 91 · 10−30 kg.) bzw. die seines Antiteilchen.
32
3 Materie und elektrische Felder
In Abschnitt 2.3.4 haben wir bereits untersucht, wie ein vorgegebenes elektrisches Feld Elektronen in einer Braun’schen Röhre ablenkt. Elektrische Felder beeinflussen aber nicht nur das Verhalten freier Ladungen sondern auch das gebundener Ladungen. So basiert das Funktionsprinzip
von Lautsprechern – oder ganz allgemein das von Aktoren – darauf, dass eine Spannungsänderung die Formänderung eines (piezoelektrischen) Materials bewirkt. Umgekehrt induziert die
Formänderung desselben Materials – und damit die Verschiebung von Laddungen – eine Spannung, was z.B. in Sensoren genutzt wird. In diesem Kapitel wollen wir diese Aspekte etwas
vertiefen und beschäftigen uns mit elektrischen Wechselwirkungen in der Materie aber auch
mit der Wechselwirkung zwischen elektrischen Feldern und Materie.
3.1 Ionenkristalle
Der Zusammenhang ionischer Kristalle1 , wie z.B. Kochsalz bzw. NaCl, erfolgt durch die elektrostatische Wechselwirkung. Natrium ist in dem Salz einfach positiv geladen und Chlor einfach
negativ. Die Ionen versuchen sich nun so anzuordnen, dass sich die Na+ Kationen (positive
geladene Ionen heißen Kationen) so gut es geht meiden und statt dessen die negativ geladenen
Cl− Anionen als Nachbarn in einem Gitter haben. Der Einfachheit halber beschränken wir uns
im Folgenden zunächst auf eindimensionale Kristalle. Die in 1D durchgeführten Rechnungen
ändern sich in höheren Dimensionen in vielerlei Hinsicht kaum, obgleich die Buchhaltung in
D > 1 kompliziert wird. Die energetisch günstigste Struktur in einer Dimension besteht aus
sich abwechselnden Natrium und Chlorid Ionen, wie in Abbildung 3.1 gezeigt.
Abb. 3.1: Schematische Darstellung eines ionischen Kristalls in einer Dimension. Ladungen
alternieren, weil sich damit die potenzielle Energie minieren lässt.
Wenn Atome sich sehr nahe kommen, stoßen sie sich ab und zwar so, dass die Abstoßung
schneller anwächst als die (attraktive) elektrische Wechselwirkung. Der Einfachheit halber nehmen wir nach Mie ebenfalls ein Potenzgesetz in Form einer einfachen Paarwechselwirkung an.
Somit erhalten wir die gesamte potenzielle Energie des Kristalls zu
X 1 Qi Qj Wij
Vpot =
(3.1)
+ n
4πǫ
r
r
0
ij
ij
i,j>i
mit Wij > 0 und n > 1 damit die Abstoßung bei kurzen Abständen auf jeden Fall dominiert.
1
Kristalle sind Festkörper mit streng periodisch fortgesetzter Struktur.
33
Bevor wir weitermachen, ein Zitat von dem großartigen amerikanischen Trommler, Lebemann, Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman. If, in some cataclysm, all of scientific
knowledge were to be destroyed, and only one sentence passed on to the next generation of creatures, what statement would contain the most information in the fewest words? I believe it is the
atomic hypothesis that all things are made of atoms - little particles that move around in perpetual motion, attracting each other when they are a little distance apart, but repelling upon being
squeezed into one another. In that one sentence, you will see, there is an enormous amount of
information about the world, if just a little imagination and thinking are applied. Genau dieser
Philosophie folgt unsere Rechnung. Bei großen Abständen dominiert das zu a → ∞ langsam
abfallende 1/a und bei kleinen Abständen dominiert das für a → 0 schnell wachsende 1/an mit
n > 1.
Gleichung (3.1) lässt sich in einer Dimension ohne viel Aufwand auswerten, insbesondere weil
sich die Atome in einer Dimension leicht durchnummerieren lassen, sodass sich ihre Positionen
zu rj = j · aNaCl ergeben. Zunächst aber eine Vereinfachung: Wir wissen, dass die Abstoßung
kurzreichweitig ist. Deshalb berücksichtigen wir (zunächst) nur die Wechselwirkung mit dem
nächsten Nachbarn. Der einzige Koeffizient, Wij , der uns somit interessiert ist WNaCl . Damit
erhalten wir als Energie je Atom – egal ob auf Chlor oder Natrium normiert – im Kristall zu
vpot
∞
WNaCl
Q2 1 X (−1)j+1
≈ n
,
−
aNaCl
4πǫ0 aNaCl j=1
j
{z
}
|
(3.2)
=ln 2
wobei wir uns zur Auswertung der Summe natürlich alle sofort an die Reihenentwicklung des Logarithmus im Mathe-Begleitskript erinnert haben. Bevor wir weiter fortfahren sei angemerkt,
dass die einzige Änderung zu höheren Dimensionen darin besteht, dass sich die Vorfaktoren
der einzelnen Summanden in der Gleichung (3.2) ändern. Der repulsive Anteil muss mit Z/2
multipliziert werden, wobei Z die Koordinationszahl bzw. Anzahl der nächsten Nachbarn ist.
Kompliziert ist aber die Auswertung der Coulomb-Wechselwirkung, unter anderem weil die
Summe in höheren Dimensionen nur bedingt konvergiert. Allerdings hängt die eigentliche Summe nur von dem Gittertyp ab und ist somit eine Konstante der Kristallsymmetrie. Das doppelte
der Summe heißt auch Madelung Konstante, die das Symbol αM erhält. Sprich der allgemeine
Ausdruck der potenziellen Energie pro Atom in NaCl für eine beliebige Kristallstruktur ist
vpot ≈
Z WNaCl αM Q2 1
−
·
2 anNaCl
2 4πǫ0 aNaCl
(3.3)
In einer Dimension ist Z = 2 und αM = 2 ln 2. In der echten drei-dimensionalen Struktur ist
Z = 6 und αM ≈ 1,75. Das resultierende Potenzial ist in Abbildung 3.2 für n = 8 dargestellt.
Um die folgenden Rechnungen zu vereinfachen, definieren wir
W̃ = nZWNaCl /2
α̃M = αM · Q2 /8πǫ0 .
(3.4)
Mit diesen Variablen können wir den Gleichgewichtsabstand aeq
NaCl bestimmen, also den Wert
von aNaCl , für den die potenzielle Energie minimal ist:
W̃NaCl
α̃M
dvpot
= − n+1 + 2
daNaCl
aNaCl
aNaCl
!
= 0 für aNaCl = aeq
NaCl .
34
(3.5)
0.4
12-6 potential
8-1 potential
0.2
0
E(a)/E(aeq)
-0.2
-0.4
-0.6
-0.8
-1
0.8
1
1.2
1.4
a/aeq
1.6
1.8
2
Abb. 3.2: Energie E0 (a) pro Atom als Funktion der Bindungslänge a für zwei verschiedene Mie
Potenziale V (a) = c1 /am − c2 /an . Sowohl E0 als auch a sind auf die Werte normiert,
die sie am mechanischen Gleichgewicht annehmen. Die Kombination (m ≈ 8, n =
1) ist repräsentativ für ionische Kristalle und (m = 12, n = 6) für Kristalle aus
Edelgasatomen.
Nach aeq
NaCl aufgelöst gibt dies
aeq
NaCl
=
W̃NaCl
α̃M
!1/(n−1)
.
(3.6)
Diesen Wert für die Na-Cl Bindungslänge können wir nun in das repulsive Potenzial einsetzen
und erhalten
1
α̃M
eq
vpot =
−1
.
(3.7)
n
aeq
NaCl
Gleichungen (3.6) und (3.7) stellen unsere beiden Modellparameter (n und W̃ und somit WNaCl )
in Verbindung mit zwei experimentell messbaren Größen. Durch Vergleich mit dem Experiment
können wir somit die beiden Modellparameter eichen, was wir im Folgenden tun werden.
Die Bindungsenergie von NaCl (E0 = −veq ) in Relation zu neutralen Atomen ist experimentell als E0 ≈ 3,2 eV gemessen worden und die Bindungslänge als aeq
NaCl ≈ 2,8 Å (hier führen
wir das Angstrom ein: 1 Å=0.1 nm). Unsere Rechnung bezieht sich aber auf freie Ionen. Um ein
Natrium einfach zu ionisieren bedarf es einer Ionisierungsenergie von 5,1 eV. Dahingegen hat
das Chlor-Atom eine Elektronenaffinität von 3,6 eV, was die Energie ist, die ein Atom gewinnt,
wenn man es einfach negativ lädt.2 Die Energie, die man für den Elektronentransfer pro Atom
aufbringen muss beträgt also ∆Et ≈ 0,75 eV. Somit ist die Bindungsenergie des NaCl Kristalls
relativ zu den Ionen 4,35 eV. Wir können nun Gleichung (3.7) nach n auflösen und die soeben
genannten Zahlenwerte einsetzen, sodass
n =
1+
≈ 8.
1
eq eq
vpot
aNaCl /α̃M
(3.8)
Jetzt sehen wir auch, dass die Vernachlässigung der Repulsion mit übernächsten Nachbarn keinen großen Rechenfehler bewirkt. In einer Dimension wäre der Beitrag übernächster Nachbarn
2
In der Zwischenzeit denken Sie über folgende Frage nach: Wenn es Energie bedarf, um ein Elektron vom Na
zum Cl zu bewegen, warum ionisieren die Atome in Wasser dann freiwillig?
35
nur das 1/28 -fache – also in etwa 1% – der Repulsion mit nächsten Nachbarn. Selbst in drei
Dimensionen wäre die Korrektur kaum größer als 10%. Da unser Potenzial sowieso nicht den
Anspruch hat, bis auf 10% genau zu sein, vernachlässigen wir diese Korrekturen.
Das Spannende an unseren Rechnungen ist, dass wir nun Eigenschaften von NaCl – im
Rahmen der Genauigkeit unseres Modells – vorhersagen können. Sprich, wir können grob die
Trends abschätzen, wie sich das Material verhält. So könnten wir die Gitterenergie berechnen,
die vorläge, wenn NaCl nicht in der Kochsalz-Struktur sondern in einer anderen Kristallsymmetrie annehmen sollte. Zudem könnten wir prinzipiell berechnen, wie die Energie eines NaCl
Kristalls von seinem Volumen abhängt. Daraus wiederum ließe sich der Kompressionsmodul B
ableiten, der angibt, wie sich die Energie (genauer gesagt die Gibbs Energie)
2
V0
∆V
E(∆V ) ≈ E(V0 ) + p∆V + B
2
V0
unter einer Volumenänderung ∆V = V − V0 ändert. Hierbei ist p der hydrostatisch anliegende
äußere Druck. Von der Abbildung 3.2 sehen wir bereits, dass die Krümmung des Potenzials
für NaCl im Vergleich zu dem 12-6 Potenzial3 relativ gering ist. Wir dürfen daraus durchaus
schlussfolgern, dass Salze gemessen an ihrer hohen Bindungsenergie relativ weich sind. Dies
wollen wir hier aber nicht weiter vertiefen und verweisen auf die theoretische Materialphysik,
die sich u.a. damit beschäftigt, aus den Wechselwirkung zwischen Atomen auf makroskopische
Materialeigenschaften zu schließen.
3.2 Der elektrische Dipol
Atome und Elektronen lagern sich unter normalen Bedingungen – was auch immer das im
Detail sein mag – meist so an, dass lokal Ladungsneutralität besteht. Das vielleicht bekannteste
Beispiel ist das Wassermolekül. Selbst in Wasserdampf schweben quasi keine freien OH− und
H+ Ionen herum sondern nur chemisch gebundenes H2 O. Dennoch erzeugen auch neutrale
Ladungsanordnungen ein elektrisches Feld. Wird die Anordung der Ladungen durch ein von
außen angebrachtes elektrisches Feld verändert, verteilen sich die Ladungsen im Raum unter
Umständen um. Sprich durch ein von externen Ladungen erzeugtes elektrisches Feld werden
unsere Wassermoleküle neu orientiert, was wiederum auch das elektrische Feld in der Nähe der
Moleküle verändert. Zunächst beschäftigen wir uns aber mit isolierten Ladungsverteilungen
und der Frage, welche Felder sie erzeugen und wie sie auf von externen Ladungen vorgegebene
Felder reagieren.
3.2.1 Elektrisches Potenzial und Feld eines statischen Dipols
Wir betrachten eine Ladungsverteilung wie in Abb. 3.3 gezeigt. Können wir etwas über das
elektrische Feld sagen, das die Ladungen qi am Orte ri an einer weit entfernten Stelle erzeu3
Der attraktive Teil des 12-6 Potenzials, also die Anziehung mit 1/r6 ist in gewisser Weise auch durch Elektrostatik bedingt. Es ergibt sich dadurch, dass in einem Atom oder Molekül mit abgeschlossener Elektronenschale sich spontan durch quantenmechanische Fluktuationen ein Dipol bildet. Dieser induziert in einem
benachbarten Partikel einen Dipol, dessen Stärke proportional zu 1/r3 ist. Die resultierende Dipol-Dipol
Wechselwirkung fällt auch wie 1/r3 , sodass das Produkt der beiden Ausdrücke 1/r6 ergibt. Die Annahme
eines abstoßenden Potenzials mit 1/r12 wurde aus reiner Faulheit gewählt – man muss die sechste Potenz
lediglich quadrieren. Es stellte sich aber bald heraus, dass sich diese Wahl für die Praxis hervorragend eignet.
Bessere Potenziale – auch die für ionische Kristalle – basieren auf exponenzieller Abstoßung, was man mit
etwas Quantenchemie recht gut motivieren kann.
36
gen? Um diese Frage zu beantworten, wenden wir zwei Konzepte an, die wir bisher gelernt
haben: Zunächst summieren wir die Wirkungen – in diesem Fall Potenziale – der individuellen
Ladungen auf und dann entwickeln wir nach kleinen Parametern.
Abb. 3.3:
Schematische Darstellung einer
neutralen Ladungsverteilung. Eine
Testladung befinde sich am Ort R
in großer Entfernung von der eigentlichen Ladungsverteilung.
Im Detail: Das elektrische Potenzial an einem beliebigen Punkt R im Raum ist
Φ(R) =
1 X
qi
.
4πǫ0 i |R − ri |
(3.9)
Wenn wir die Ladungsverteilung in die Nähe des Ursprungs legen4 können wir ri als kleinen
Parameter betrachten. Wie im Mathe-Begleitskript beschrieben, können wir nun den Ausdruck
1/|R − ri | in eine Potenzreiche erster Ordnung nach dem kleinen Parameter ri entwickeln.
Abbruch nach der ersten Potenz ergibt
1
∂ 1
1
· (−ri )
≈
+
|R − ri |
|R|
∂R |R|
R
1
+ 3 · ri
(3.10)
=
|R| R
Diesen Ausdruck setzen wir in Gleichung (3.9) ein und ziehen alle Ausdrücke, die nicht vom
Index i abhängen, aus der jeweiligen Summe heraus:
4πǫ0 Φ(R) =
1 X
R X
q i ri .
qi + 3 ·
R i
R
i
| {z }
| {z }
=Qges →0
(3.11)
=p
Bei einer neutralen Ladungsverteilung verschwindet der erste Summand, der zweite in aller
Regel aber nicht. Der zweite Summand erhält nun den Namen Dipol
X
p≡
q i ri .
(3.12)
i
Er hängt nur von der Ladungsverteilung ab und bleibt bei Ladungsneutralität konstant, wenn
wir das Koordinatensystem – ohne es zu rotieren – verschieben. Da der Dipol ein Vektor ist,
besitzt er einen Betrag und eine Richtung. Die S.I. Einheit des Dipols ist [p] = C · m bzw. in
Grundeinheiten A · m · s. Aus historischen Gründen wird der Dipol aber auch heute (leider noch
fast immer) in Debye angegeben.
[p] = 1 D = 3,33564 · 10−30 C · m = 0,2082 e · Å.
4
Die Wahl des am besten geeigneten Koordinatenursprungs ist nicht ganz trivial, da er von Multipolen höherer
Ordnung bestimmt wird. Als nullte Näherung eignet sich aber oft der Massenschwerpunkt der Verteilung.
37
Das Dipolmoment eines isolierten H2 O Moleküls ist p ≈ 1,8 D und das eines NaCl Moleküls
ist pNaCl = 8,5 D. Moleküle mit Inversionssymmetrie, wie z.B. CO2 mit seinem Bindungswinkel
von 180◦ , haben kein endliches Dipolmoment.
In führender Ordnung, also der eines Dipols, können wir – dank des bisher oben Gerechneten
– das elektrische Potenzial der Ladungsverteilung wiefolgt nähern
1 R·p
4πǫ0 R3
1 d · cos α
=
,
4πǫ0 R2
Φd (R) =
(3.13)
(3.14)
solange das Koordinatensystem in oder in der Nähe des Schwerpunktes der Ladungsverteilung
liegt. Hierbei ist α der Winkel zwischen p und R.
Wie bekommen wir nun das elektrische Feld des Dipols? Ex ist die negative Ableitung von
Φ(R) nach der x-Komponente von R = (X, Y, Z). Dazu betrachten wir
∂ R·p
∂X R3
=
Kettenregel
∂ 1
dx
+R·p
3
3
R
|∂X{zR }
−
3 ∂R
·
R4 ∂X
Diesen Ausdruck verwenden wir – zusammen mit ∂R/∂X = X/R (siehe Übungen und Begleitskript) – zur Darstellung der x-Komponente des elektrischen Feldes
1
3(R · p)X
dx
Ex =
− 3 .
4πǫ0
R5
R
Für Ey und Ez gelten natürlich Ausdrücke, in denen alle x Indizes jeweils durch y bzw. z
ersetzen werden. Somit gilt für die Vektoren
E=
1 3(R · p)R − R2 · p
4πǫ0
R5
(3.15)
Das Feld eines Dipols spielt in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle: So sind die Eigenschaften
von polaren Medien – wie Wasser – maßgeblich von den molekularen Dipolen bestimmt. Zudem
basiert ein Großteil unserer Telekommunikation auf elektromagnetischen Wellen, die ein zeitabhängiger Dipol – bzw. eine Sendeatenne – abstrahlt. Zeitabhängige Dipolfelder haben – zum
Glück – eine andere R-Abhängigkeit als statische Dipole aber eine ähnliche Winkelabhängigkeit.
Kurz vor Abschluss dieses Kapitels sei daran erinnert, dass wir zur Berechnung von Dipolen kontinuierlicher Ladungsverteilungen, wieder die Summe über diskrete Ladugungen durch
Integrale ersetzen müssen:
Z
X
X
q i ri →
∆Vi ρ(ri ) ri → dV ρ(r)r.
| {z }
i
i
qi
Dazu aber mehr in den Übungen.
Wenn auch der Dipol einer Ladungsverteilung verschwindet – wie in unserem CO2 Molekül,
aber auch in N2 oder O2 – dann wäre der erste (potenziell) nicht verschwindene Teil einer
Potenzial-Entwicklung der Quadrupol, den wir aber in dieser Vorlesung nicht weiter vertiefen
wollen. Potenzial und Feld eines Quadrupols fallen im Vergleich zum Dipol wiederum mit einer
Potenz schneller mit dem wachsenden Abstand R ab.
38
3.2.2 Statischer Dipol im elektrischen Feld
Wir betrachten wieder eine neutrale Ladungsverteilung wie in Abbildung 3.3 dargestellt. Diesmal interessieren wir uns aber für die Frage, wie groß ihre potenzielle Energie in einem von
externen Ladungen erzeugten Potenzial Φ(r) ist. Die Summe aller Einzelbeiträge ergibt
X
W =
qi Φ(ri ).
(3.16)
i
Wenn sich Φ(r) nur schwach über den Bereich der Ladungsverteilung ändert, können wir das
externe Potenzial durch eine Potenzreihe
Φ(r) ≈ Φ(r0 ) + ∇Φ(r)|r0 · (r − r0 )
= Φ(r0 ) − E(r0 ) · (r − r0 )
(3.17)
am Ort r0 der Ladungsverteilung annähern. In Gleichung (3.16) einsetzen führt zu
X
X
qi (ri − r0 )
W ≈ Φ(r0 )
qi − E(r0 ) ·
| i{z }
=0
= −E(r0 ) · p
= −E(r0 ) · p · cos ϑ.
|i
{z
=p
}
(3.18)
(3.19)
Gleichung (3.19) besagt dass – in der gegebenen Näherung eines konstanten elektrischen Feldes
– die potenzielle Energie des Dipols nur vom Betrag und seiner relativen Orientierung zum
E-Feld abhängt – aber nicht von r0 . Das wiederum bedeutet für starre Dipole wie ein H2 O
Molekül: Ein konstantes E-Feld übt keine Kraft auf den Masseschwerpunkt eines
Dipols aus sondern nur ein Drehmoment Mϑ = −∂W/∂ϑ. Sprich, der Dipol ändert seine
Energie unter einer Rotation aber nicht unter einer Translation.
Hätten wir die Entwicklung des Potenzials eine Ordnung weiter geführt, hätten wir gesehen,
dass der Dipol eine Beschleunigung proportional zum Gradienten des elektrischen Feldes (nicht
mehr ein Vektor sondern ein Tensor 2. Stufe) erfährt.
Anmerkung nicht nur für Interessierte
Dipole sind in der Regel nicht nur einem externen Feld ausgesetzt sondern auch stochastischen
oder thermischen Stößen. Diese wirken der systematischen Orientierung der (permanenten) Dipole parallel zum E Feld entgegen. Wie wahrscheinlich ist nun eine Orientierung ϑ relativ zu
E im thermischen Gleichgewicht und wie groß ist die zu E parallele Komponente des Dipols
im Mittel? Zur Beantwortung dieser Frage verwenden wir die barometrische Höhenformel. Sie
besagt, dass ein Zustand mit einer Wahrscheinlichkeit bzw. Wahrscheinlichkeitsdichte proportional zu
Pr(W ) ∝ exp(−W/kB T )
auftritt, wobei W die (potenzielle) Energie des Zustands ist, kB die Boltzmann Konstante und
T die Temperatur.
Im nun Folgenden wählen wir das Koordinatensystem so, dass E parallel zur z-Achse liegt.
Der Erwartungswert des Dipols ergibt sich nun dadurch, dass wir jede Orientierung mit seiner
39
Wahrscheinlichkeit gewichten, also
P
p · cos ϑ · Pr[W (ϑ)]
alle Orientierungen Pr[W (ϑ)]
R 2π
R +1
dϕ p · cos ϑ · eE·p·cos ϑ/kB T
d
cos
ϑ
0
.
= −1 R +1
R 2π
E·p·cos ϑ/kB T
dϕ
e
d
cos
ϑ
0
−1
alle Orientierungen
hpz i =
P
(3.20)
Die Berechnung der Integrale ist etwas weniger wild as es zunächst den Anschein hat. Das
Ergebnis lautet
1
kB T
hpz i/p =
−
.
(3.21)
tanh(p · E/kB T ) p · E
Für kleine Temperaturen bzw. sehr große E-Felder geht der hyperbolische Tangenz gegen eins
und somit hpz i → p. Sprich, bei kleinen Temperaturen oder großen E-Feldern richten sich die
Dipole komplett aus. Bei großen Temperaturen oder kleinen E-Feldern geht der hyperbolische
Tangenz gegen p · E/kB T , sodass hpz i → 0 oder genauer hpz i ∝ E/kB T .
Was ist nun für ein isoliertes Wassermolekül ein charakteristisches E-Feld Ec , das weder groß
noch klein ist? Dies ist natürlich ein E-Feld, für das der hyperbolische Tangenz weder in dem
einen noch in dem anderen Limes asymptotisch genähert werden kann, also bei p · Ec /kB T ≈ 1
bzw. bei
kB T
.
Ec =
p
Für isolierte oder auch sehr verdünnt vorliegende Wassermoleküle erhält man als Zahlenwert
in etwa Ec = 0.7 GV/m.
1
<pz>/p
0.8
0.6
0.4
0.2
0
0
2
4
6
8
10
E/Ec
Abb. 3.4: Mittlere z-Komponente eines Dipols hpz i in Einheiten des Gesamtdipols als Funktion des elektrischen Feldes E, welches in Einheiten des charakteristischen Feldes Ec
ausgedrückt ist.
Wenn wir die Grenze zwischen ausgerichteten und nicht-ausgerichteten Dipolen bei hpz i = p/2
ziehen, so können wir der Abbildung 3.4 entnehmen, dass sie bei Feldern E ≈ 1,8Ec liegt. Eine
simple Einheitenanalyse hat also mal wieder bis auf einen Faktor der Ordnung eins die richtige
Antwort gegeben!
Abbildung 3.4 können wir auch entnehmen, dass “kleine” elektrische Felder in Wasserdampf
(so man 108 V/m als klein bezeichnen möchte) einen mittleren Dipol induzieren, der proportional zum angelegten elektrischen Feld ist. Den Proportionalitätsfaktor erhält man durch die
Entwicklung von Gleichung (3.21) nach kleinen Werten von p · E/kB T .
40
3.2.3 Induzierte Dipole
Alle Atome und viele Moleküle haben keinen permanenten Dipol. Allerdings verschieben sich
ihre Elektronenschalen im elektrischen Feld gegen die Kerne so, dass ein Dipol entsteht. Die
entsprechende Polarisierung ist in Abbildung 3.5 dargestellt.
Abb. 3.5: Schematische Darstellung der Ladungsverschiebung eines induzierten Dipols sowie
der induzierten elektrischen Felder. In der linken Abbildung sitzt der positiv geladene
Kern im Schwerpunkt der Elektronenschale. In einem externen elektrischen Feld wird
innerhalb des Atoms die Elektronenhülle gegen den Kern verschoben. Dies führt zu
einem induzierten Feld, das dem externen Feld im Atom entgegenwirkt aber außerhalb
im Mittel das externe Feld verstärkt.
Nehmen wir an, dass die Verschiebung der Elektronenschale um ∆z eine Energie quadratisch
in der Auslenkung bewirkt.5 Damit lautet die potenzielle Energie
k
W (∆z, Ez ) = W0 + ∆z 2 − q · ∆z · Ez .
2
(3.22)
Die Auslenkung der Elektronenschale minimiert die Energie, sodass ∂W (∆z, Ez )/∂∆z = 0 und
damit
pz ≡ q∆z
q2
Ez .
=
k
(3.23)
Da diese Rechnung für beliebig orientierte elektrische Felder gilt, kann die letzte Gleichung (für
ein Atom in isotroper Umgebung) auch als Vektorgleichung geschrieben werden
p = αE,
(3.24)
α = q 2 /k
(3.25)
wobei die Polarisierbarkeit
eingeführt und als Skalar angenommen wird.6
Wir sehen, dass die Polarisierbarkeit quadratisch in der Ladung q ist. Also lässt sich einer
Messung der Polarisierung nicht entnehmen, ob es sich um Materie oder Antimaterie handelt!
5
Für freie Atome kann die Energie nur eine gerade Funktion in ∆z sein, da sie spiegelsymmetrisch sind. Nun
entwickeln wir die Energie in eine Potenzreihe und bis zum ersten nicht-konstanten Term.
6
Hätten wir Polarisierbarkeit von Atomen in einem Molekül oder Kristall “niederer Symmetrie” betrachtet,
so hätten wir α als Matrix, oder genauer gesagt, als einen Tensor 2. Stufe einführen müssen, weil die Polarisierbarkeit richtungsabhängig wäre. Für Tensoren zweiter Stufe sind sowohl kubische als auch tetragonale
Symmetrien aber de-facto isotrop.
41
Zudem können wir feststellen, dass der Energiegewinn eines (linear) induzierbaren Dipols nur
halb so groß ist, wie die eines statischen Dipols, also
k 2
∆z − q · ∆z · Ez
2
= −q · ∆z · Ez /2.
∆W =
(3.26)
Richtig interessant ist aber die folgende Beobachtung, die wir in Abbildung 3.5 machen
können. Die Verschiebung der Elektronen gegen die Kerne ist dergestalt, dass im Inneren des
Atoms – was auch immer das Innere eines Atoms sein mag – die induzierten elektrischen
Felder dem externen elektrischen Feld entgegenwirken. Da das Feld einer Punktladung keine
Vorzugsrichtung hat und somit sein verursachtes elektrische Feld (als Vektor gemittelt) über
den gesamten Raum gemittelt gleich null sein muss, bedeutet dies im Umkehrschluss: Die
induzierte Polarisierung eines Atoms bewirkt im Mittel eine Verstärkung des durch
externe Ladungen bedingte elektrische Feld außerhalb des Atoms. Gleichzeitig aber
sinkt das mittlere über die gesamte Umgebung des polarisierten Atoms gemittelte
Feld. Ähnliche Bemerkungen gelten für die Ausrichtung von Molekülen mit permanentem
Dipol gegen das thermische Rauschen.
Wenn nun aber die Polarisierung eines Atoms – oder die mittlere Ausrichtung permanenter
Dipole – das elektrische Feld verstärkt, nimmt die Polarisierung der Materie weiter zu, was wiederum das elektrische Feld verstärkt, was wiederum die Polarisierung verstärkt, was wiederum
das elektrische Feld verstärkt, was wiederum und so weiter und so fort. Sie fragen sich nun
bestimmt: Wo soll das Ganze hinführen? Kommt es nicht zur Katastrophe? Dieser Frage gehen
wir nun nach.
3.3 Dielektrika
Ein Dielektrikum (Plural: Dielektrika) ist eine Substanz ohne (eine signifikante Anzahl) freier
Ladungsträger. Es kann ein Gas, eine Flüssigkeit oder auch ein Festkörper sein. Als Beispiele
seien Luft, Wasser und NaCl sowie SiO2 genannt. Obwohl in den beiden letzten Beispielen
Ionen vorkommen, sind diese nicht frei beweglich sondern durch starke Wechselwirkungen zum
Verbleib in der Nähe ihrer Gitterplätze gezwungen; zumindest solange extern angelegten elektrischen Felder nicht extrem groß sind. Ein kleines elektrisches Feld bewirkt somit lediglich
die Verschiebung des Untergitters der Kationen (z.B. Na+ ) gegen das der Anionen (Cl− ). In
einfachen Gasen bewirkt das elektrische Feld hingegen, wie in Kapitel 3.2.3 diskutiert, die
Verschiebung der Elektronenhülle gegen die Kerne.
Wie im letzten Absatz des Kapitel 3.2.3 beschrieben, bewirkt die Polarisierung eines Moleküls, dass das von anderen Molekülen wahrgenommene Feld wächst und es somit zu einer
Rückkopplung zum ursprünglichen Molekül kommt. Diesen Sachverhalt beschreiben wir nun
qualitativ. Für die lokale Polarisierung nehmen wir zunächst einen linearen Zusammenhang an,
also
pind = α · Eloc ,
(3.27)
wobei das lokale Feld am Ort eines induzierbaren Dipols durch die Überlagerung des ursprünglichen externen und des induzierten Feld
Eloc = Eext + Eind .
42
(3.28)
gegeben ist. Nun wissen wir, dass das induzierte Feld Eind linear mit dem Dipol anwächst.
Diesem Sachverhalt tragen wir mit der Gleichung
Eind = κ · pind
(3.29)
Rechnung, wobei κ ausdrückt, wie stark im Mittel ein Dipol an das elektrische Feld koppelt. Der
Proportionalitätsfaktor κ hängt von der Dichte des Gases oder der Struktur eines Festkörpers
ab. Seine Berechnung ist nicht ganz einfach aber nicht unmöglich. Nun können wir aus Gleichung (3.28) das lokale Feld eliminieren und erhalten
1
pind = Eext + κ · pind .
α
(3.30)
Letzte Gleichung können wir wiederum nach pind auflösen und erhalten folgenden Zusammenhang zwischen induziertem Dipol und dem durch externe Ladungen erzeugtes Feld
−1
1
pind =
−κ
· Eext .
(3.31)
α
Sprich, das induzierte Dipolmoment in unserem Gas wächst bei endlicher Rückkopplung κ
schneller an als bei isolierten Gasmolekülen. Ist κ sogar größer als 1/α, kommt es zur Polarisationskatastrophe. In anderen Worten, eine kleine Fluktuation eines Dipols wächst dann so
stark an, dass sich spontan ein makroskopischer Dipol bildet.
Den eben beschriebenen Rückkopplungsmechanismus kann man in etwa mit der akustischen
Rückkopplung vergleichen, die langhaarige (60er–80er Jahre) oder knallhart tätowierte (90er–
10er Jahre) Gittaristen mit großer Freude ihrem begeisterungsfähigen Publikum vorführen. Im
übertragenen Sinne erhöhen die Gittaristen den Wert von κ über den von 1/α, wenn sie ihre
Gitarre unterhalb eines kritischen Abstandes zum Verstärker bringen.
Unsere kleine Theorie gilt offensichtlich nur für κ < 1/α, denn ein Dipol mit einer dem lokalen E-Feld entgegengerichteter Orientierung ist sinnlos wie ein Leben ohne Mops. Um den
Fall κ > 1/α zu beschreiben, müssten wir die Gleichung (3.30) um nicht-lineare Terme erweitern, siehe auch Abbildung 3.4 bzw. Gleichung (3.21). Die entsprechende Rechnung hier
durchzuführen sprengt zwar nicht den intellektuellen aber leider den zeitlichen Rahmen der
Vorlesung. Deshalb wird es dazu eine Übungsaufgabe geben. Das Ergebnis wäre jedoch, dass
es stabile Zustände mit endlichem Dipol gibt. Die Richtung des Dipols kann dabei genauso gut
in positive wie in negative x-Richtung zeigen. Man spricht dann von einem spontanem Symmetriebruch. Materialien, die einen elektrischen Dipol in eine scheinbar zufällige Raumrichtung
aufweisen, heißen Ferroelektrika. Sie sind quasi das elektrische Analogon zu den sehr viel
bekannteren Ferromagneten. Ferroelektrika können – wie gewöhnliche Magneten auch – durch
hinreichend große Felder umpolarisiert werden.
Ferroelektrika werden in freier Wildbahn im Gegensatz zu Ferromagneten nicht direkt beobachtet. Das liegt daran, dass freie Ionen in Luft vorliegen, die sich auf der Oberfläche dann so
anlagern, dass sie dem elektrischen Feld außerhalb des Ferroelektrikums entgegenwirken. Um
den Ferroelektrikum damit sozusagen eine Tarnkappe zu verpassen, genügen bereits relativ wenige freie Ladungen. Eine entsprechende Entmagnetisierung von Magneten findet nicht statt,
weil es keine magnetische Monopole und noch viel weniger freie magnetischen Monopole gibt.
Weil freie Ladungen, die Felder von Ferroelektrika verstecken, finden sie vorwiegend in integrierten Schaltungen technische Anwendung bzw. in anderen Bauelementen, in denen sie vor
freien Ionen hermitisch abgeschirmt sind. Trotz ihres Namens enthalten Ferroelektrika kein
Eisen. Der Name Ferro motiviert sich aus der formalen Analogie zu Ferromagneten.
43
3.4 Polarisation und dielektrische Permittivität
In Kapitel 3.3 haben wir gelernt, dass ein externes elektrisches Feld Dipole in einem Dielektrikum induziert. Aus makroskopischer Sicht ist es dabei nicht von Interesse, wie groß die Dipole
einzelner Moleküle sind, sondern wie groß der gesamte Dipol je Volumenelement ist. Die entsprechende Größe heißt Polarisation und kann als Dipoldichte gemäss
P(r) ≡
1 X
pi .
V i∈V
(3.32)
definiert werden. Gleichzeitig definieren wir uns das elektrische Feld um als ein um die Umgebung von r über ein endliches Volumen V gemittelte mikroskopische Feld
Z
1
E(r) =
dV ′ Emikro (r′ ).
(3.33)
V V
Dieses Feld ist kleiner als das Feld, welches man ohne dielektrisches Medium hätte. Da die Theorie zum Elektromagnetismus zu Zeiten entwickelt wurde, als es weder mikroskopische Theorien
noch eine hochauflösende Messtechnik gab, versteht man im Elektromagnetismus (fast) immer
das gemittelte und nicht das mikroskopische Feld.
Bei “gewöhnlichen” Dielektrika – also solchen, die z.B. weder ferro- noch piezoelektrisch
sind – gibt es bei kleinen Feldern einen linearen Zusammenhang zwischen E und P, den man
meist wiefolgt ausdrückt:
(3.34)
P = (ǫr − 1) · ǫ0 · E.
Dabei heißt die stoffabhängige Größe ǫr relative Permittivität oder auch Permittivitätszahl. Das
Produkt ǫr · ǫ0 heißt Permittivität.
Je größer ǫr , desto größer ist die induzierte Dipoldichte bei gegebenem anliegenden Feld.
Eine hohe Dichte an leicht zu orientierenden, permanenten Dipolen (Wasser) sowie an schwach
gebundenen Ladungsträgern – seien es Elektronen oder Ionen – führen also zu einer hohen
Polarisierbarkeit bzw. zu einr großen relativen Permittivität. Die Permittivitätszahlen einiger
Materialien sind in Tabelle 3.1 zusammengefasst.
Vakuum
trockene Luft
Teflon
Polyethylen
Diamant
Germanium
Wasser
SrTiO3
Metalle
1
1,00054
2,1
2,5
8
16
80
330
∞
nichts polarisierbares vorhanden
geringe Dichte an schwer induzierbaren Dipolen
sehr steife Bindungen der Fl−
kleine Partialladungen, aber Polarisierbarkeit größer als in Teflon
relativ dicht, keine große Bandlücke
kleinere Bandlücke als Diamant
leicht polarisierbare, permanente Dipole
Quantenfluktuationen unterdrücken ferroelektrische Phase
Tabelle 3.1: Relative Permittivitäten ausgewählter Materialien. Die Zahlenwerte sind insbesondere bei großen Werten von ǫr meist stark von der Temperatur und auch dem
Druck abhängig.
Die Berechnung von ǫr aus mikroskopischen Prinzipien ist etwas komplizierter als unser Vorgehen im Kapitel 3.3, auch wenn dies schon wesentliche Züge einer vollständigen Rechnung
44
aufweist. Das Ergebnis einer genaueren Herleitung ist als Clausius-Mossotti-Gleichung bekannt:
ǫ r − 1 X ρi α i
=
,
(3.35)
ǫr + 1
3ǫ
0
i
wobei ρi und αi (Zahlen-) Dichten und Polarisierbarkeiten der verschiedenen Dipolsorten sind
– also z.B. in Luft die relativen Dichten von Stickstoff, Sauerstoff, und Wassermolekülen. Auch
in dieser Gleichung kommt es – wie in unserer simplen Betrachtung – zu einem ins unendlich
wachsenden ǫr , wenn das Produkt aus Dichten und Polarisierbarkeiten auf der rechten Seite der
Gleichung (3.35) hinreichend groß wird.
Wir haben im Kapitel 3.3 auch gelernt, dass die in der Nähe eines induzierten Dipols gemittelten elektrischen Felder kleiner sind als die durch die (externen) Ladungen erzeugten. Das
bedeutet, dass die elektrische Feldenergie bei gegebenem externen elektrischen Feld in einem dielektrischen Medium kleiner ist als im Vakuum. Wir werden im Folgenden – wie bereits bei der
Clausius-Mossotti-Gleichung – auf eine Herleitung verzichten und statt dessen nur das Ergebnis
berichten.
In einem dielektrischen Medium ist die Dichte der Feldenergie durch
1
w = D·E
2
(3.36)
gegeben, wobei die neu eingeführte Größe D durch
D = E + ǫ0 P
(3.37)
definiert ist und elektrische Flussdichte oder auch dielektrische Verschiebung bzw. Verschiebungsdichte genannt wird. Sie entspricht dem elektrischen Feld, das ohne die Polarisierung des
Dielektrikums vorliegen würde.
Für Medien, in denen Gleichung (3.34) eine gute Näherung darstellt, gilt somit
ǫr 2
E
2
1
=
D2
2ǫr
w =
(3.38)
(3.39)
Diese Gleichung hat wiederum für Kondensatoren äußerst wichtige Konsequenzen.
Betrachten wir einen Kondensator auf dessen Platten die Ladung ±Q aufgebracht ist. Schieben wir nun in diesen Kondensator ein Dielektrikum, erniedrigt sich die Feldenergie um den
Faktor ǫr . Wenn wir nun die Gleichung W = Q2 /2C zur Definition der Kapazität heranziehen,
ergibt sich die Kapazität des Kondensators zu
A
C = ǫr ǫ0 .
d
(3.40)
Ein Dielektrikum erhöht sozusagen den Quotienten A/d in einem Plattenkondensator um den
Faktor ǫr . Bei gegebener Spannung kann somit mehr Feldenergie in einem Kondensator dank
eines Dielektrikums mit großem ǫr gespeichert werden als ohne.
Der Effekt dielektrischer Medien auf die Kapazität wurde experimentell von Faraday erforscht. Er bemerkte, dass bei geladenen Platten (Q = const, U = frei) die Spannung sank,
wenn ein Dielektrikum zwischen die Platten eingeführt wurde. Umgekehrt beobachtete Faraday
den Anstieg von Ladung, wenn das Dielektrikum bei anliegender Spannung (U = const, Q =
frei) zwischen die Platten geschoben wurde.
45
3.5 Leiter und Widerstände
Sind in einem Material freie Ladungen vorhanden, werden diese von externen elektrischen Feldern beschleunigt, sodass elektrischer Strom fließt. Elektronen sind die freien Ladungsträge in
Metallen, Elektronen oder Elektronenlöcher in Halbleitern – zum Verständnis braucht man das
Bändermodell der Festkörperphysik. Ionen leiten den Strom in Elektrolyten. Zu dieser Klassifizierung mehr im nächsten Kapitel. Der Einfachheit halber beschränken wir uns im folgenden
auf Elektronen und behandeln diese so, als könne man sie mit der klassischen Mechanik beschreiben.
3.5.1 Elektrischer Strom in Metallen und das ohmsche Gesetz
In diesem Kapitel erarbeiten wir uns ein Modell für die Bewegung von freien Ladungen bzw.
Elektronen in einem externen elektrischen Feld und motivieren damit das bekannte ohmsche
Gesetz. Wie fast alle anderen Freiheitsgrade auch, sind Elektronen stochastischen Stößen ausgesetzt, die im Mittel zu einer Art Stokes’schen Reibung führt.7 Damit ergibt sich folgende
Bewegungsgleichung:
m · a + γ · v = q · E,
(3.41)
wobei γ ein Dämpfungskoeffizient ist. Im statischen Grenzfall gilt a = 0 und E = const, sodass
sich folgende Driftgeschwindigkeit einstellt:
v=
q
E.
γ
(3.42)
Hier sei noch einmal daran erinnert, dass sich schon Ionen extrem schnell aufgrund externer
Spannungen bewegen. Elektronen sind nun viele Größenordnungen leichter als Ionen und reagieren daher noch schneller auf externe Felder als Ionen. Deshalb kann Ihr Smartphone auch
mit einer so viel größeren Frequenz operieren als unsere Gehirne.
Im Folgenden wollen wir nun berechnen, zu welchem Strom die eben berechnete Driftgeschwindigkeit führt, wenn der Leiter den Querschnitt A hat und die Ladungsträger mit einer
(Zahlen-) Dichte ρ im Leiter vorliegen, siehe dazu auch Abbildung 3.6.
E
−A · ex
A · ex
l
Abb. 3.6: Segment eines Leiters der Länge l und mit Querschnitt A. Das elektrische Feld E
bewirkt eine Spannung U = E · l zwischen den beiden Endoberflächen.
7
Die stochastischen Stöße erfolgen insbesondere mit den Gitterschwingungen und weniger mit anderen Elektronen. Somit ist die Reibung relativ zum Inertialsystems des Materials und nicht – wie beim Fließen von Wasser
– relativ zu anderen sich bewegenden Freiheitsgraden. Im letzteren Fall wäre die Reibung proportional zur
Krümmung des Geschwindigkeitsprofil und nicht relativ zu einem Laborsystem.
46
In unserem Beispiel sind alle Vektoren parallel zur x-Achse, sodass wir Vektoren durch Skalare
bzw. durch die Beträge der Vektoren ersetzen können. Eine Ladung benötigt somit die Zeit
∆t = l/v, um von der linken zur rechten Oberfläche zu gelangen. Die Anzahl der Ladungen,
die durch die rechte Fläche in dieser Zeit austreten, ist dann
N = ρ · (A · l).
Somit ist q · N die gesamte Ladung, die in der Zeit ∆t austritt. Der Strom ist definiert als
Ladung durch eine Oberfläche je Zeiteinheit:
∆Q
q·N
q·N
=
=
·v
∆t
l/v
l
|{z}
Strom: I
2 A
q
·
·ρ
·
l·E
=
|{z}
γ
l
|{z}
| {z }
Spannung: U
Leitfähigkeit: σ geom. Eigensch.
{z
}
|
inverser Widerstand: 1/R
Wir können also die Ausdrücke in unserer Stromgleichung so umgruppieren, dass wir das
Ohm’sche Gesetz erhalten
U = R · I.
(3.43)
Dabei ergibt sich der Widerstand R aus dem Produkt einer Materialeigenschaft, nämlich der
Leitfähigkeit σ und einer geometrischen Eigenschaft, dem Quotienten A/l
R=σ·
l
.
A
(3.44)
Die Leitfähigkeit ist eine Materialeigenschaft mit einer eigenen Einheit
[σ] = S = V/A.
Die inverse Leitfähigkeit heißt spezifischer Widerstand. Sie hat das Symbol ρ aber keine
eigene S.I. Einheit. Die Werte für die Leitfähigkeit variieren über viele Größenordnungen, wie
Tabelle 3.2 zeigt.
Die Leitfähigkeit insbesondere von Nichtleitern ist stark von der Temperatur T abhängig.
Weil die Anzahl der freien Ladungsträger bei ihnen mit T sehr schnell zunimmt, wächst auch
ihre Leitfähigkeit schnell an. Bei Metallen hingegen sinkt die Leitfähigkeit mit wachsender
Temperatur, weil Gitterschwingungen mit der Amplitude zunehmen, sodass die Elektronen
stärker an ihnen streuen.
Wärmeentwicklung im Leiter
Fließt durch einen Leiter mit endlichem elektrischen Widerstand Ladung hindurch, entsteht
dabei die sogenannte joulsche Wärme. Diese berechnet sich wie folgt:
∆W = U · ∆Q
( mit ∆Q = I · ∆t) → = U · I∆t
Verlorene Energie pro Zeiteinheit (Leistung):
∆W
U2
= U · I = R · I2 =
.
∆t
R
47
Material
Kohlenwasserstoffe
Diamant
undotiertes Si
dotiertes Si
Tellur
Leitungswasser
Meerwasser
Aluminium, Kupfer, Gold
YBa2 Cu3 O7−x
Leitfähigkeit [S]
10−14
10−4
2, 5 · 10−4
−4
≈ 10 ≤ σ ≤≈ 104
5 · 10−3
0, 05
≈5
≈ 3, 5 · 107
≈ 1 bei T = 300 K
→ ∞ bei T = 30 K
Klasse
Nichtleiter/Isolator
Nichtleiter
Nichtleiter
Halbleiter
Elektrolyt
Metalle
(schlechter Leiter)
Supraleiter (keinen elektr. Widerstand)
Tabelle 3.2: Werte für die Leitfähigkeit einiger Materialien – vorwiegend bei Raumtemperatur.
3.5.2 Serien- und Parallelschaltung von Widerständen
Wie Kondensatoren können auch Widerstände miteinander verschaltet werden. Sind zwei Widerstände in Serie geschaltet, fließt durch beide derselbe Strom I. Somit gilt:
I
I
R1
=
b
R2
R1 + R2
U = U1 + U2
⇒
U = (R1 + R2 ) · I
In Serie geschaltete Widerstände addieren sich.
RSerie = R1 + R2 .
(3.45)
Diese Einsicht hätten wir an und für sich bereits Gleichung (3.44) entnehmen können, weil
das parallele Schalten zweier identischer Widerstände im Wesentlichen einer Verdoppelung der
Länge l entspricht.
Sind zwei Widerstände hingegen parallel geschaltet, so liegt an beiden dieselbe Spannung U
an.
I1
I1 + I2
I2
V
48
U
R
1
1
1
I1 + I2 =
·U
+
R1 R2
1
Iges. =
·U
Rges.
I1 =
Man findet also:
Rparallel =
1
1
+
R1 R2
−1
Die Kehrwerte parallel geschalteter Widerstände addieren sich zum Kehrwert des
Gesamtwiderstandes:
−1
Rparallel
= R1−1 + R2−1 .
(3.46)
Wie bei der Serienschaltung hätten wir die Regel für die Parallelschaltung von Widerständen
prinzipiell Gleichung (3.44) entnehmen können: Die Parallelschaltung zweier identischer Widerstände entspricht der Verdoppelung des Querschnitts A eines einzelnen Widerstandes.
Widerstände von Rotationskörpern
Obgleich Widerstände als elektrisches Element fast immer zylindrisch geformt sind, haben viele Bauteile, die z.B. Wärme8 statt elektrischen Strom leiten, keine zylindrische sondern eine
allgemeinere Form. Die erste Verallgemeinerung bzgl. eines zylindrischen Widerstandes ist ein
Rotationskörper, mit einem Radius von z abhängigen Radius r(z). Einen solchen Körper kann
man in kleine Segmente mit Widerstand
∆Rn =
1
∆zn
· 2
.
σ πr (zn )
zerlegen. Der Gesamtwiderstand ergibt sich aus der Summe über Einzelwiderstände. Beim Übergang einer diskreten zur kontinuierlichen Beschreibung wird aus der Summe ein Integral, sodass
Z zmax
1
1
dz 2 .
R= ·
σ zmin
πr (z)
3.6 Klassifizierung der Materie nach elektrischen
Eigenschaften
Die Art und Weise, wie Materie auf elektrische Felder reagiert, ist sehr facettenreich und die
Einteilung basierend auf den elektrischen Eigenschaften in gewissem Maße etwas willkürlich.
Dies ist insbesondere deshalb so, weil es keine scharfen Grenzen zwischen Leiter, Halbleiter
und Nichtleiter gibt. Das wiederum liegt u.a. daran, dass Elektronen nicht in ihrem (quantenmechanischen) Grundzustand vorliegen sondern mit einer endlichen Wahrscheinlichkeit in
das Leitungsband springen. Bei einer Bandlücke von ∆E = 5,4 eV (Diamant) oder 0,67 eV
(Germanium) wäre die relative Wahrscheinlichkeit dafür in etwa exp(−∆E/kB T ), was somit
für Diamant (1,5 · 10−91 ) zwar extrem klein ist, aber eben nicht mathematisch identisch null.
Auch bei Germanium ist die Wahrscheinlichkeit mit 5,4 · 19−12 sehr klein, aber bei einem Mol
8
Die mathematische Beschreibung der Wärmeleitung ist der elektrischen Leitung ähnlich.
49
Leitungsträger kommt dann doch die nicht ganz zu vernachlässigende Anzahl von 3 · 1012 freien
Ladungsträgern zusammen. Die hier eingefügte Grafik gibt einen kleinen Überblick über die
Klassifizierung von Materialien nach ihren elektrischen Eigenschaften.
Abb. 3.7: Übersicht über die Klassifizierung der Materie nach elektrischen Eigenschaften.
Zu jeder in Abbildung 3.7 gibt es viel Interessantes zu berichten, insbesonders wenn es darum geht, die atomaren und elektronischen Wechselwirkungen sowie Symmetrien auf der atomaren Skala mit den makroskopischen Eigenschaften in Verbindung zu bringen. Für jede hier
aufgeführte Materialklasse kann man problemlos ein ganzes Semester füllen – im Falle der
Supraleiter sogar etliche Jahre – deshalb hier nur ein paar wenige elementare Kommentare.
Ferroelektrika besitzen einen endlichen Dipol, weil sich ein Ionen-Untergitter gegen ein anders
geladenes Untergitter verschiebt. Es gibt aber auch Ferroelektrika, in denen der Symmetriebruch durch die Verschiebung von Elektronen getrieben wird. Wenn sich nur ein Untergitter
verschiebt sondern zwei und zwar dergestalt, dass sich die durch die Verschiebung bedingten
Dipolmomente genau auslöschen, spricht man von Antiferroelektrika. Und nun haben wir die zugegebener Maßen etwas exotischen (anti-) ferrielektrischen Materialien noch gar nicht erwähnt.
Etwas absurd erscheint vielleicht, dass Ferroelektrika zwar piezoelektrisch sind, aber dennoch
nicht als Piezoelektrika bezeichnet werden. Ferroelektrika können nämlich im Gegensatz zu
Piezoelektrika durch ein externes elektrisches Feld umpolarisiert werden.
Gegenstand aktueller Forschung sind Graphen – einzelne Schichten aus Graphit – sowie
topologische Isolatoren. Wenn Sie mit wenig Aufwand und wenig Inhalt eine Publikation in
einem führenden wissenschaftlichen Magazin erhalten wollen, fangen Sie am besten sofort an,
sich für diese Materialien zu interessieren.
50
4 Elektrische Schaltungen
Einzelne Bauelemente wie Batterien, Widerstände, Kondensatoren und Spulen aber auch komplexere Bauelemente wie Transistoren, Operationsverstärker oder sogar Monitore werden zu
einer Anordnung in einer elektrischen Schaltung zusammengeschlossen. Elektrische Schaltungen können aus einem oder mehreren Schaltkreisen bestehen. Ihre schematische Darstellung
erfolgt über Schaltpläne, in denen die einzelnen Bauelemente in der Regel idealisiert dargestellt
werden. So würde einem Kondensator nur eine Kapazität aber kein Widerstand zugeordnet,
obgleich natürlich kaum ein Kondensator aus Supraleitern besteht und somit ohmsche Verluste
bei seinem Laden oder Entladen unvermeidbar sind. In der Regel ist dieser Widerstand aber gegenüber den explizit verwendeten Widerständen zu vernachlässigen, oder aber man beschreibt
den realen Kondensator als Serienschaltung eines idealen Kondensators mit einem idealen Widerstand.
Das eben beschriebene Vorgehen erlaubt es uns, einfache Schaltungen quantitativ zu beschreiben. Sobald die Schaltungen eine gewisse Komplexität erreichen, z.B. wenn in einer Schaltung
mehrere elektrische Energiequellen vorhanden sind, bedarf es formaler Regeln, mit Hilfe derer
wir die zu lösenden Gleichungen aufzustellen. Womit wir gleich beim Thema wären.
4.1 Kirchhoffsche Regeln
4.1.1 Knotenregel
Die 1. kirchhoffsche Regel ist die Knotenregel: ,,In jeden Knoten (Verzweigungspunkt) fließt
immer so viel Ladung hinein wie heraus.”:
X
X
In =
In
(4.1)
n∈raus
n∈rein
bzw. wenn wir ein und ausfließenden Ladungen bzw. Strömen unterschiedliche Vorzeichen σn
zuordnen
X
σn In = 0.
(4.2)
n
Bei der Anwendung der Knotenregel muss man also darauf achten, welche Richtung dem Strom
in welchem Stromzweig formal zugewiesen wird. Der tatsächliche Stromfluss im Stromzweig n
ist dabei der zugewiesenen Richtung entgegengesetzt falls In < 0. In Abb. 4.1 fließen (formal)
I1,2 in den Knoten hinein und I3,4 heraus. Damit gilt gemäß der Knotenregel
I1 + I2 − I3 − I4 = 0.
(4.3)
Die kirchhoffsche Knotenregel haben wir bereits implizit bei der Herleitung des Gesamtwiderstandes zweier parallel geschalteter Widerstände im Abschnitt ?? verwendet. Diese Herleitung
lässt sich zwanglos auf beliebig viele Widerstände verallgemeinern
51
R1
R2
I0
I0 = I1 + I2 + .... + In
1
1
1
=
·U
+
+ .... +
R1 R2
Rn
{z
}
|
RN
1/Reff
Für parallel geschaltete Widerstände gilt somit:
N
X 1
1
=
Reff
Rn
n=1
(4.4)
4.1.2 Maschenregel
Die 2. kirchhoffsche Regel ist die Maschenregel: ,,Die Summe über alle Spannungen in einem
geschlossenen Kreis ist gleich null.”:
X
Un = 0.
(4.5)
n∈Masche
H
Diese Gleichung ist nichts anderes als die diskretisierte Version der Gleichung ds · E = 0.
Auch die Spannung Un eines jeden Stromzweigs hat wie der Strom eine Richtung. Sind die beiden Richtungen identisch gewählt (sogenanntes Verbraucherzählpfeilsystem), wird das übliche
ohmsche Gesetz verwendet. Ansonsten (also im Erzeugerzählpfeilsystem) wird dem ohmschen
Gesetz ein Vorzeichen spendiert, sodass Un = −R · In .
+
−
Abb. 4.1: Darstellung des elektrischen Stroms durch einen Knotenpunkt
52
Eine scheinbare Besonderheit haben Spannungsquellen zu bieten. Ihrer Spannung wird sowohl
im Inneren als auch im Äußeren eine Richtung zugeordnet und zwar vom positiven zum negativen Pol, da dies der Richtung der elektrischen Feldlinien entspricht. Somit kann man die
Maschenregel auch wiefolgt schreiben:
⇒
X
Un +
n∈passiv
X
X
Un = 0
(4.6a)
Unintern = 0
(4.6b)
n
n∈aktiv
⇒
X
n∈passiv
X
Un = −
Un =
n∈passiv
X
Unintern
(4.6c)
n∈aktiv
X
Unextern
(4.6d)
n∈aktiv
Bei den bisher geshenen, einfachen Schaltungen mit nur einer Masche verwendet man implizit
die Maschenregel aus Gleichung (4.6d) bei komplizierteren Schaltungen jedoch Gleichung (4.6a)
bzw. (4.6b), sodass man keine Zeit damit vergeuden muss, sich über Vorzeichen Gedanken zu
machen.
4.1.3 Gleichstromschaltungen
Die konsequente Anwendung der kirchhoffschen Regeln – zusammem mit dem ohmschen Gesetz – erlaubt es uns, genauso viele (linear unabhängige) Gleichungen aufzustellen, wie wir
Unbekannte haben. Die Vorgehensweise soll nun an zwei Gleichstromschaltungen erläutert werden. Die einzelnen Schritte sind: Jede Masche erhält einen Maschenumlaufsinn, der meist im
Uhrzeigersinn gewählt wird. Dann werden den einzelnen Bauelementen ihre Spannungsabfälle
zugeordnet. Schließlich werden die beiden kirchhoffschen Regeln ausgewertet.
Schaltung mit zwei Spannungsquellen
Wir betrachten folgende Schaltung, die jeweils mehr als eine Masche, einen Knotenpunkt und eine Spannungsquelle aufweist. Sie kann als eine (Anti-) Parallelschaltung zweier realer Batterien
(U1 mit Innenwiderstand R1 und U2 mit Innenwiderstand R3 ) an einem externen Verbraucher
(R2 ) interpretiert werden. Das Ziel sei die Stromstärke I2 als Funktion der Spannungen U1 und
U2 am Verbraucher R2 zu bestimmen.
53
U1
+
U2
−
a
+
−
I2
R1
R2
α
R3
β
I1
I3
b
Falls Sie nichts wichtigeres zu tun hatten, konnten Sie bei der Erstellung der obigen Abbildung
in der Vorlesung folgenden Handlungsablauf live miterleben: Zunächst wurde den beiden inneren
Maschen, α und β, eine Umlaufrichtung zugeordnet. Als nächstes wurden die Stromzählpfeile
eingezeichnet. Erst danach werten wir die kirchhoffschen Regeln aus.
Die Knoten a und b enthalten dieselbe Information, deshalb betrachten wir hier nur a:
− I1 − I2 + I3 = 0.
(4.7)
Als nächstes geht es den Maschen an den Kragen:
U1 + R2 · I2 − R1 · I1 = 0
U2 − R3 · I3 − R2 · I2 = 0.
(4.8)
(4.9)
Wir haben nun drei (linear unabhängige) Gleichungen und drei Unbekannte (I1 , I2 , I3 ) also
Friede, Freude, Eierkuchen. Vorausgesetzt wir können Gleichungssysteme lösen. Im gegebenen
Fall ist dies in der Tat kein Hexenwerk, da wir sukzessive I3 und I1 eliminieren können, um
nach dem gesuchten I2 aufzulösen. Im späteren Leben macht es aber durchaus Sinn, ein Gleichungssystem aufzustellen, zumal man dieses dann an einen Computer verfüttern kann, der es
etwa 109 mal schneller lösen kann als wir und dabei auch noch zuverlässig ist.
Im Allgemeinen wird ein Gleichungssystem am besten so aufgestellt, dass alle Unbekannten
jeweils in einer Spalte untereinander stehen. Hier also:
−1 · I1 − 1 · I2 + 1 · I3 =
0
−R1 · I1 + R2 · I2
= −U1
R2 · I 2 + R3 · I 3 =
U2
oder aber in Matrizenschreibweise

 
 

0
I1
−1 −1 +1
 −R1 R2
0  ·  I2  =  −U1  .
U2
I3
0
R2 R3
54
(4.10)
(4.11)
Spätestens jetzt sollten Sie einsehen, dass lineare Algebra in MINT Fächern durchaus ihre
Daseinsberechtigung hat.
Um nun nach I2 aufzulösen, können Sie, wie bereits erwähnt, entweder in dem Gleichungssystemen I1 und I3 eliminieren. Oder aber Sie verwenden die Tricks aus der linearen Algebra
zur Invertierung einer Matrixgleichung. Sie sollten beide Vorgehensweisen selbstständig üben.
Dann haben Sie u.U. auch mal wieder ein kleines Erfolgserlebnis. Das Ergebnis sollte dann
R2 · R3
R3
R2 + R3 +
I2 = U2 −
U1
(4.12)
R1
R1
sein.
Auch im Bereich der Elektronik können und sollten wir unser Ergebnis sowohl auf Einheiten
als auch auf Grenzfälle hin überprüfen, um mögliche Fehler zu entdecken. Sprich, sowohl auf
der linken als auch auf der rechten Seite der Gleichung müssen alle Ausdrücke die Einheit
Volt haben. Zudem könnten wir z.B. den Grenzfall R3 → ∞ betrachten. Die Masche β fällt
dann aus der Rechnung heraus, sodass man I2 = −U1 /(R1 + R2 ) direkt dem Schaltungsbild
entnehmen kann. Dies können wir auch aus der Gleichung (4.12) ableiten, indem wir sie mit
dem Quotienten R1 /R3 multiplizieren und dann alle Terme, die gegen null gehen, wegstreichen.
Ganz analog hätten wir auch R1 → ∞ aber eben so gut ohne allzu viel Aufwand R2 → ∞
analysieren können. Ist auch nur ein einziger Test negativ, haben wir irgendwo einen Fehler
gemacht, der manchmal natürlich auch im Test liegt. Grenzfalltests dieser Art kann man übrigens in jedem Schritt einer Rechnung machen, was dabei helfen kann, Rechenfehler dingfest zu
machen. Es spricht gegen Ihre Intelligenz und/oder innere Einstellung zum Studium, sollten Sie
dies erst in Klausuren üben. Da Sie heute schon ungefähr 83 mal What’s App, E-Mail, Twitter
oder Spiegel Online gecheckt haben, können Sie Zeitmangel nicht als Ausrede heranziehen.
Als kleines Zahlenbeispiel für die Schaltung nehmen wir mit U1 = 12 V und R1 = 2 Ω typische
Zahlenwerte für Spannung und Innenwiderstand einer Autobatterie und mit U2 = 1,5 V und
R3 = 0,03 Ω solche für eine niedliche Mignonzelle, die auch unter dem unästhetischen Namen
AA Batterie bekannt ist. Als “externen Verbraucher” wählen wir R2 = 1 kΩ, der somit sehr
viel größer ist als die Innenwiderstände.
Wir sehen, dass Gleichung (4.12) auch als R2eff I2 = U2eff geschrieben werden kann. Die effektive
Spannung U2eff ergibt sich zu dem Wert {1,5-(0,03/2) 12}V = 1,32V, der noch relativ nahe an
der Spannung der AA Batterie liegt. Bei Parallelschaltungen von Batterien dominieren damit
sozusagen diejenigen mit dem kleineren inneren Widerstand. Außerdem liegt im gegebenen
Beispiel der effektive Lastwiderstand R2eff = (1,000 + 0,03 + 1,000 · 0,03/2) Ω ≈ 1,015 Ω noch
recht nahe bei dem ursprünglichen Lastwiderstand.
Als krönender Abschluss dieses Beispiels sei erwähnt, dass wir so manche Schaltung natürlich
auch auf Symmetrien hin abklopfen können. Schließlich wollen wir die heilige Dreifaltigkeit aus
Einheit, asymptotischem Grenzfall und Symmetrie nicht unvollständig lassen. Im gegebenen
Fall wäre dies eine “echte Parallelschaltung” zweier identischer, realer Batterien am Lastwiderstand R2 , die wir durch die Wahl U1 = −U2 und R1 = R3 realisieren. Damit reduziert
sich Gleichung (4.12) zu (2R2 + R1 )I2 = 2U2 . In anderen Worten, durch Parallelschaltung
identischer Batterien verringern sich ihr Gesamtverlus, weil die inneren Widerstände parallel
geschaltet sind.
55
Wheatstonesche Brücke
Die Wheatstonsche Brücke ist eine Messanordnung zur Bestimmung ohmscher Widerstände. Sie
wurde nach dem britischen Physiker Charles Wheatstone benannt, der die Messanordnung zwar
nicht erfand aber verbreitete. In der gezeigten Abbildung ist der Widerstand Rx unbekannt,
wohingegen sich das Verhältnis der Widerstände R1 zu R2 bei gegebenem Gesamtwiderstand
von R1 + R2 in einem Schiebewiderstand kontinuierlich verändern lässt.
I5
R5
Rx
R2
β
I2
+
c
R4
Ix
I4
b
−
d
α
γ
R3
R1
I1
I3
I5
a
Zur mathematischen Untersuchung der Brücke könnten wir ein Gleichungssystem für die
sechs unbekannten Stromstärken In mit n = 1, · · · , 6 aufstellen. Dazu müssten wir die drei
inneren und somit unabhängigen Maschen α, β und γ auswerten sowie drei linear unabhängige
Knoten also z.B. b, c und d. Das machen wir aber als Übungsaufgabe.
Stattdessen fokussieren wir uns auf die Frage, wie wir den Schiebewiderstand einstellen
müssen, damit kein Strom über die Brücke – also den Widerstand R4 – fließt. Man sagt, die
Brücke ist abgeglichen. Ersetzen wir R4 durch ein Strommessgerät, auch Amperemeter genannt,
zeigt dieses also bei abgeglichener Brücke keinen Strom an.
I1
I3
R2 , l 2
Rx
R2 =
1 l2
·
σ A
R3
R1 =
1 l1
·
σ A
A
R1 , l 1
Zur mathematischen Behandlung beziehen wir uns auf die erste Abbildung. Wenn I4 verschwindet, sind die Knoten b und c schnell ausgewertet: I1 = I2 und Ix = I3 . Die Auswertung
56
der Maschen β und γ liefern
Rx · I 3 − R2 · I 1 = 0
R3 · I3 − R1 · I1 = 0.
(4.13a)
(4.13b)
Beide Gleichungen können nach I3 aufgelöst werden, womit wir die Bedingung für eine abgeglichene Brücke erhalten
R2
· R3 .
(4.14)
Rx =
R1
Um eine möglichst gute Auflösung des zu messenden Widerstandes Rx zu erhalten, sollte der
Widerstand R3 in etwa der Größenordnung von Rx entsprechen.
57
4.2 RC-Kreise
Unsere Schaltungen bestanden bisher lediglich aus Spannungsquellen und passiven Bauelementen einer Art, also nur Widerständen oder nur Kondensatoren, an die jeweils Spannungsquellen
angeschlossen sind. Die meisten Schaltungen enthalten natürlich verschiedene Bauelemente. Im
einfachsten Fall, an dem man bereits eine Menge über komplexere Schaltungen lernen kann,
besteht der Stromkreis aus einer Masche mit einer Batterie, einem Widerstand und einem
Kondensator. Dieser Stromkreis wird auch als RL-Kreis bezeichnet.
Die Maschenregel für einen solchen Stromkreis lautet
R · Q̇ +
1
· Q = U (t).
C
(4.15)
Somit hätten wir (abgesehen von unserem Elektron im Kondensator) das erste Beispiel einer Differentialgleichung (DGL), also einer Gleichung, in der nicht nur die gesuchte Funktion
vorkommt, in diesm Fall Q(t), sondern auch ihre Ableitungen. Viele, wenn nicht die meisten
Beschreibungen in den Natur- und Ingenieurswissenschaften basieren auf DGLs, die somit ein
wichtiges Feld der angewandten Mathematik darstellen.
Wie man eine DGL löst, hängt von ihrer Art ab. Zum Glück haben wir es in dieser Vorlesung
ausschließlich mit linearen DGLs zu tun, in denen die gesuchte Funktion nur linear vorkommt,
also nicht in Form ihres Quadrats oder ihre Wurzel. Zudem sind die Vorfaktoren vor Q, Q̇ und
später Q̈ Konstanten und keine Funktionen der Zeit. Lineare DGLs mit konstanten Koeffizienten
können dank relativ einfacher “Kochrezepte” gelöst werden. Diese Rezepte müssen allerdings
– ähnlich wie das Eierkochen – geübt werden. Unser Elektron im Kondensator ist im übrigen
ein Spezialfall einer DGL zweiter Ordnung, aber dazu mehr im Mathe-Begleitskript. Für alle,
die noch keine Bekannschaft mit linearen DGLs gemacht haben, könnte sich an dieser Stelle
ein Ausflug in das Mathe-Begleitskript lohnen.
Entladen eines Kondensators im RC-Kreis
Zunächst betrachten wir die homogene DGL, sodass U (t) = 0. Wir haben also einen geschlossenen Schalter und keine Batterie bzw. eine Batterie mit Spannung null. Zur Lösung der DGL
gehen wir wie im Mathe-Begleitskript vor. Dazu machen wir den Ansatz
Q(t) = Q0 exp(−λt),
der zur Gleichung
führt, sodass λ = 1/RC bzw.
1
−λR +
C
exp(−λ · t) = 0
Q(t) = Q0 exp(−t/RC).
(4.16)
(4.17)
(4.18)
Man kann die Lösung auch als
Q(t) = Q0 exp(−t/τ )
schreiben, wobei τ die Rolle einer Relaxationszeit
τ = R · C.
einnimmt. Sie ist die Zeit, die der Kondensator im RC-Kreis benötigt, um seine Ladung auf
das 1/e-fache des momentanen Wertes zu reduzieren.
58
Wird die Anfangsbedingung zu einer beliebigen Zeit t0 angegeben, können wir die freie Variable Q0 gemäß
Q0 = Q(t0 ) · exp(t0 /RC)
(4.19)
festlegen.
Laden eines Kondensators im RC Kreis
Der einfachste Fall einer inhomogenen DGL liegt vor, wenn die rechte Seite der DGL eine
Konstante der Zeit ist, also U (t) = U0 . Speziell betrachten wir eine Situation, in der der
Kondensator zur Zeit t < 0 nicht geladen war und die Spannung zur Zeit t = 0 angelegt wird.
Die Lösung der heterogenen DGL kann nach Schema F gehen – oder aber wir erkennen intuitiv,
dass
Qp (t) = C · U0
(4.20)
eine partikuläre Lösung darstellt. Die allgemeine, vollständige Lösung lautet somit
Q(t) = Q0 e−t/τ + C · U0 .
Mit der Anfangsbedingung Q(t = 0) = 0 erhalten wir Q0 = −C · U0 , sodass
Q(t) = C · U0 1 − e−t/τ .
(4.21)
(4.22)
Periodisch getriebener RC Kreis
Wir betrachten nun eine externe Spannung, die zeitlich periodisch oszilliert, also z.B.
U (t) = Uω cos(ωt)
= ℜ Uω eiωt .
(4.23a)
(4.23b)
Q(t) = Qω eiωt
(4.24)
Wir lösen zunächst das komplexe Problem. Dazu machen wir den Ansatz
und erhalten nach Einsetzen in die Gleichung (4.15)
1
iωR +
Qω eiωt = Uω eiωt ,
C
sodass
Qω =
Uω
.
iωR + 1/C
(4.25)
(4.26)
Somit ist die komplexe Lösung
Uω
eiωt ,
iωR + 1/C
von der wir aber nur den Realteil benötigen:
1/C − iωR
ℜ{Q(t)} = Uω · ℜ
· (cos ωt + i sin ωt)
1/C 2 + ω 2 R2
Q(t) =
(4.27)
(4.28)
Den Ausdruck auf der rechten Seite der Gleichung erweitern wir mit C 2 , ersetzen dann jedes
Produkt C · R mit τ und behalten nur die reellen Terme. Damit ist die gesuchte relle Lösung
cos ωt
ωτ sin ωt
ℜ{Q(t)} = C · Uω ·
.
(4.29)
+
1 + ω2τ 2 1 + ω2τ 2
59
Frequenzabhängige Kapazität und Impedanz
Für kleine Anregungsfrequenzen ωτ ≪ 1 dominiert der erste Term, sodass die Lösung der DGL
die Gleichung Q(t) ≈ C · U (t) erfüllt. Der RC-Kreis verhält sich somit für ωτ ≪ 1 ganz ähnlich
wie ein reiner Kondensator. Für kleine Frequenzen dominiert jedoch der zweite Summand auf
der rechten Seite der Gleichung (4.29). Man kann dann – siehe Hausaufgaben – in ein, zwei
Schritten zeigen, dass das ohmsche Gesetz näherungsweise gilt, also Q̇(t) ≈ U (t)/R.
Um diesen Punkt zu vertiefen, betrachten wir noch einmal Gleichung (4.26), schreiben diese
aber wiefolgt um:
1
iωτ
Qω = C ·
Uω
(4.30)
−
1 + ω2τ 2 1 + ω2τ 2
und führen die frequenzabhängige Kapazität ein
1
iωτ
Cω = C ·
.
(4.31)
−
1 + ω2τ 2 1 + ω2τ 2
Letztere Größe erfüllt die Gleichung
Qω = Cω Uω ,
(4.32)
die somit die Gleichung Q = C · U vom statischen Grenzfall auf endliche Frequenzen verallgemeinert.
Cω kann in seinen Realteil Cω′ und seinen Imaginärteil Cω′′ aufgeteilt werden. Dabei spiegelt
der Imaginärteil die ohmschen Verluste wider, wohingegen der Realteil angibt, wieviel Energie
im Kondensator gespeichert wird. In der Mechanik viskoelastischer Medien wäre der komplexe
Schubmodul G(ω) eine verwandte Größe, die in einen Speichermodul G′ (ω) – den Realteil von
G(ω) – und einen Verlustmodul G′′ (ω) – den Imaginärteil – zerlegt werden kann.
In der Elektrotechnik rechnet man im Allgemeinen nicht mit frequenzabhängigen Kapazitäten
sondern eher mit frequenzabhängigen Widerständen bzw. Impedanzen. Da der Strom die
Ableitung der Zeit ist, gilt
I(t) = iωQω eiωt .
(4.33)
| {z }
≡Iω
Wir erweitern nun die linke Seite in Gleichung (4.25) mit iω und kürzen die Phasenfaktoren
exp(iωt) heraus, sodass wir die Verallgemeinerung des ohmschen Gesetzes für endliche Frequenzen erhalten, nämlich
iωR + 1/C
(4.34)
iωQω = Uω .
iω
{z
} | {z }
|
Iω
Rω
Den frequenzabhängigen Widerstand, den wir aber nicht mehr als Rω sondern als Impedanz
Z(ω) schreiben, ist somit
1
Z(ω) = R +
(4.35)
iωC
i
(4.36)
= R· 1−
ωτ
Das Bemerkenswerte an Gleichung (4.35) ist, dass sie der Regel für die Serienschaltung von
Widerständen genügt, wenn wir der Kapazität formal einen Widerstand – oder genauer gesagt eine Impedanz – von ZC (ω) = 1/iωC zuordnen. Da auch bei Parallelschaltungen von
Impedanzen die Regel für die Parallelschaltung von Widerständen übernommen werden kann,
sind wir bereits jetzt prinzipiell in der Lage, eine komplexe Schaltung aus Widerständen und
Kondensatoren zu beschreiben, wenn sie mit einer periodischen Spannung getrieben wird.
60
4.3 Induktivität und RL-Kreise
In diesem Abschnitt führen wir die Spule als weiteres Bauelement ein. Die für Schaltungen
relevante Eigenschaft einer Spule ist ihre (Selbst-) Induktivität L. Sie genügt dem Gesetz
˙
U = L · I,
(4.37)
Die Einheit der Induktivität ist [L] =H (Henry). H = kg · m2 /s2 · A2 . Das Symbol L ist dem
deutschen Physiker Lenz und die Einheit dem amerikanischen Physiker Henry geschuldet, die
maßgeblich zu unserem heutige Verständnis vom Magnetismus beigetragen haben.
Eine Spule bzw. Induktivität widersetzt sich gemäß Gleichung (4.37) einer Stromänderung
und kann daher in Analogie zu einer Trägheit bzw. Masse gesehen werden, die ihrer Geschwindigkeitsänderung entgegenwirkt. Die Arbeit, die durch Verschiebung einer Ladung dQ an der
Ladung verrichtet wird ist demzufolge
dW = U dQ.
(4.38)
Bei konstanter Spannung erhalten wir die Leistung P = Ẇ
dQ
dt
˙
= L · I · I.
Ẇ = U ·
Somit ist die in einer Spule enthaltenen Energie
Z t
W = L
dt · I˙ · I
(4.39)
(4.40)
(4.41)
0
=
L 2
·I ,
2
(4.42)
für die Anfangsbedingung I(t = 0) = 0. In der oben angesprochenen Analogie entspräche
dies der kinetischen Energie eines Massepunkt. Der mikroskopische Ursprung der Energie ist
allerdings die magnetische Feldenergie, ähnlich wie die elektrostatische Feldenergie eines Kondensators den Ausdruck W = C · Q2 /2 bedingt.
Die Beschreibung eines RL-Serienkreises,
L · I˙ + R · I = U (t).
(4.43)
ist mathematisch isomorph zu dem eines RC-Serienkreises, weil beide eine DGL erster Ordnung
mit konstanten Koeffizienten darstellen.1 Alle Lösungen für den RC-Kreis können somit nach
Umbenennung der Variablen auf den RL-Kreis übertragen werden. Insbesondere finden wir bei
einer periodischen Anregung mit U (t) = U0 exp(iωt) die Impedanz einer Spule
ZL = iωL,
(4.44)
die mit der Frequenz anwachst und nicht wie beim Kondensator mit ihr abfällt. Als Relaxationszeit eines RL-Kreises findet man
L
τ= .
(4.45)
R
1
Wir hätten die DGL auch als DGL 2. Ordnung darstellen können: LQ̈ + RQ̇ = U (t). Der Ansatz Q(t) ∝
Q0 exp(λ · t) führt zu zwei Lösungen mit λ = −R/L und λ = 0. Letztere, die zu Q(t) = const führt, ist in
einem reinen RL Kreis ohne Bedeutung.
61
4.4 RLC-Kreise
Die drei Einzelelemente R, L und C können auf verschiedene Arten verschaltet werden, sodass
der resultierende Schaltkreis eine Funktion erfüllt, z.B. einen Frequenzfilter. Zur mathematischen Beschreibung eines solchen Kreises gehen wir wie in den vorherigen Kapiteln vor. Dies
soll im Folgenden an einigen Beispielen illustriert werden.
4.4.1 RLC-Serienkreis
Zunächst betrachten wir einen RLC-Serienkreis:
L · Q̈ + R · Q̇ +
1
· Q = U (t).
C
(4.46)
Die homogene DGL kann wieder durch den Ansatz
Q(t) = Qω · eiωt
(4.47)
gelöst werden, wobei wir im Vergleich zu unseren vorherigen Ansätzen den Eigenwert λ durch
iω ersetzt haben, weil DGLs zweiter Ordnung oft Schwingungen als Lösung haben. Der Ansatz
führt zu der Eigenwertgleichung
1
2
· Qω = 0,
(4.48)
−ω · L + i · ω · R +
C
deren Lösungen
ω=
sind, wobei
i R
· ±Ω
2 L
(4.49)
r
1
R2
− 2.
(4.50)
L · C 4L
Um die folgende Diskussion zu vereinfachen, verwenden wir die Ausdrücke τ = R/L – wie in
Gleichung (4.45) eingeführt – sowie
1
ω02 =
,
(4.51)
LC
das die Eigenfrequenz eines nicht-dissipativen LC Kreises beschreibt und somit einen ungedämpften Oszillator darstellt. Mit den neuen Variablen sind die (komplexen) Eigenfrequenzen
Ω=
i
± Ω,
2·τ
ω± =
wobei
r
(4.52)
1
.
(4.53)
4 · τ2
Die Natur der Lösungen hängt nun davon ab, ob Ω eine reelle Zahl ist (gedämpfte Schwingung),
Ω = 0 (aperiodischer Grenzfall) oder aber Ω eine rein imaginäre Zahl ist (Kriechfall). Diese
Fälle sollen separat angesprochen werden.
Ω=
ω02 −
62
Kriechfall
Wir betrachten zunächt den Kriechfall (Ω ist rein imaginär), weil wir dann mit rein reellen
Funktionen rechnen können. So lernen Sie, wie man ein Anfangswertproblem (AWP) löst, ohne
gleichzeitig mit den vielleicht noch ungewohnten komplexen Zahlen hantieren zu müssen. Im
Kriechfall sind unsere beiden “Frequenzen” rein imaginär, sie entsprechen also zwei exponentiellen Funktionen.
Q1,2 (t) ∝ exp (−ν1,2 · t)
(4.54)
mit den (Relaxations-) Raten
1
± |Ω|.
(4.55)
2τ
Da |Ω| < 1/2τ , sind ν1,2 beide positiv und damit die Lösungen mit der Zeit abklingend.
Wir wollen nun das AWP Q(t = 0) = Q0 und Q̇(t = 0) = 0 lösen. Die allgemeine Lösung
lautet
Q(t) = A · exp(−ν1 t) + B · exp(−ν2 t),
(4.56)
ν1,2 =
weshalb
Q̇(t) = −ν1 · A · exp(−ν1 t) − ν2 · B · exp(−ν2 t).
(4.57)
Somit ist die Anfangsbedingung
A + B = Q0
ν1 · A + ν2 · B = 0.
(4.58)
(4.59)
Nach A und B aufgelöst:
ν2
Q0
ν2 − ν1
ν1
B=
Q0 .
ν1 − ν2
A=
(4.60)
(4.61)
Eingesetzt in Gleichung (4.56):
ν2
ν1
Q(t)
=
exp(−ν1 t) −
exp(−ν2 t).
Q0
ν2 − ν1
ν2 − ν1
(4.62)
An dieser Stelle ist es eine hervorragende Idee, den Grenzfall t → 0 zu betrachten und zwar
im Sinne einer Reihenentwicklung der Lösung nach t. Das Ergebnis lautet Q(t → 0)/Q0 =
1 + 0 · t + O(t2 ), was unserer gewünschten Anfangsbedingung genau genügt.
Für die gegebene Anfangsbedingung kann Gleichung (4.62) man relativ leicht ansehen, dass
Q̇(t) zu keiner Zeit positiv ist, weil sowohl der zur ν1 zeit-abhängige Faktor als auch der dazugehörige Vorfaktor kleiner ist als die entsprechenden zu ν2 gehörenden Terme. Es gibt demzufolge keinen Überschwinger in Q(t), weshalb man den Zeitverlauf der Variablen Q(t) auch als
überdämpfte Schwingung bezeichnet.
Gedämpfte Schwingung
Ist Ω reell, wird die homogene Lösung der DGL durch die beiden Funktionen
Q± (t) ∝ e−t/2τ +±iΩt
63
(4.63)
aufgespannt, die jeweils das Produkt aus einer exponenziell abklingenden und einer schwingenden Funktion sind. Die Sachlage ist somit ähnlich wie im Kriechfall, allerdings mit dem feinen
Unterschied, dass die Frequenzen jetzt komplex und nicht rein imaginär sind.
Wir könnten die Lösung im Falle gedämpfter Schwingungen auch mit Hilfe zweier rein reeller
Funktionen aufspannen, indem wir die Basisfunktionen exp(±iΩt) durch die Funktionen cos ωt,
sin ωt ersetzen. Die allgemeine Lösung der homogenen DGL ist dann
Q(t) = A · e−t/2τ · cos Ωt + B · e−t/2τ · sin Ωt.
(4.64)
Die Konstanten A und B werden durch die Anfangsbedingung festgelegt. Dabei bedingt die
Vorgabe von Q(t0 ) = Q0 sowie Q̇(t0 ) = I0 die Festlegung zweier Koeffizienten in der Lösung,
also A und B, wenn wir die reelle Basis zur Rechnung verwenden.
Als Beispiel betrachten wir wieder Q(t = 0) = Q0 und Q̇(t = 0) = 0. Wir wählen jedoch
nicht die reelle sondern die komplexe Basis und schreiben die allgemeine Lösung gemäß
Q(t) = a · eiω+ t + a∗ · eiω− t ,
(4.65)
Q̇(t) = iω+ · a · eiω+ t + iω− · a∗ · eiω− t .
(4.66a)
Q 0 = a + a∗
= 2 · a′ ,
(4.67)
(4.68)
sodass
Hierbei haben wir ausgenutzt, dass Q(t) eine reelle Zahl ist und dass exp(iω− t) komplex konjugiert zu exp(iω+ t) ist. Die Vorgabe einer Anfangsbedingung mit zwei Werten bedingt auch
hier – ganz analog zur Vorgehensweise im Kriechfall – die Festlegung zweier Zahlen, nämlich
des Real- und des Imaginärteils von a. Um Q(t = 0) = Q0 zu erfüllen, muss
wobei a′ der Realteil von a darstellt und a′′ den Imaginärteil. Für a′ gilt demzufolge
a′ = Q0 /2.
Die zweite Bedingung lautet Q̇(t = 0) = 0 bzw.
0 = iω+ a + iω− a∗
(4.69a)
−1
−1
(definitiv üben! →) =
+ iΩ · (a′ + ia′′ ) +
− iΩ · (a′ − ia′′ ) (4.69b)
2·τ
2·τ
′
a
(definitiv üben! →) =
(4.69c)
− 2 · Ω · a′′ · i,
τ
sodass
a′′ = a′ /(2 · Ω · τ ).
Die Lösung zu unserem AWP ergibt somit
1
Q(t) = Q0 ·
+ iΩ · τ · eiω+ t + c.c.
2
sin Ωt
−t/2τ
cos Ωt +
= Q0 · e
,
2Ωτ
(4.70a)
(4.70b)
wobei c.c. für complex conjugate bzw. sein lateinisches Pendant steht, das man im deutschen
komplex konjugiert nennen darf. An dieser Stelle ist es wieder eine hervorragende Übung, den
64
Grenzfall t → 0 mit Hilfe einer Reihenentwicklung zu betrachten, um sicherzustellen, dass die
Anfangsbedingung in der Tat korrekt widergegeben wird.
Wenn Sie mich jetzt fragen würden, warum wir nicht die Lösung (4.62) mit komplexen Raten
ν1,2 recycelt haben, wäre meine ehrliche Antwort: Ich wollte Sie ein klein wenig mit komplexen
Zahlen ärgern.
Der aperiodische Grenzfall
Im aperiodischen Grenzfall (Ω = 0) liegt in der DGL eine doppelte Nullstelle vor. Somit haben
wir die beiden Lösungsfunktionen
Q1 (t) ∝ exp(−ν · t)
Q2 (t) ∝ t · exp(−ν · t),
(4.71)
(4.72)
mit ν = 1/2τ . Dadurch kann im aperiodischen Grenzfall die allgemeine Lösung der DGL wiefolgt geschrieben werden:
Q(t) = A · exp(−ν · t) + B · t · exp(−ν · t)
Q̇(t) = (−A · ν − B · t · ν + B) · exp(−ν · t).
(4.73)
(4.74)
Somit ergibt sich für die Anfangsbedingung Q(0) = Q0 , Q̇(0) = 0 das Gleichungssystem
Q0 = A
0 = −Aν + B,
(4.75)
(4.76)
Q(t)
= (1 + ν · t) · exp(−ν · t)
Q0
(4.77)
sodass die Lösung
ist.
Der Q-Faktor
Um die Lösungen eines linearen RLC Kreises oder allgemein eines Oszillators zu charakterisieren, führt man den sogenannten Q-Faktor ein. Er setzt die Eigenfrequenz des ungedämpften
Schwingers, siehe z.B. ω0 in Gleichung (4.51), in Relation zur Dämpfung bzw. zur “Relaxationszeit” τ , siehe Gleichung (4.45):
Q = τ · ω0 .
(4.78)
Q ist eine einheitenlose Zahl. Im Falle unseres RLC-Serienkreises ist sie
r
1
L
Q= ·
.
R
C
(4.79)
Wenn der Q-Faktor groß ist, schwingt ein unterdämpfter Oszillator oder Schwingkreis viele
Male hin und her, bevor die Schwingung abebbt. Für kleine Q-Faktoren gilt das Gegenteil. Der
aperiodische Grenzfall ist Qa = 1/2. Für Q ≤ Qa schwingt der gute Schwingkreis gar nicht
mehr.
Der Q-Faktor ist auch als Gütefaktor, Kreisgüte oder Resonanzschärfe bekannt. Der Name
leitet sich aus dem Englischen Wort quality factor ab. Der Q-Faktor kann auf verschiedene Arten
definiert werden, was hier aber nicht viel zur Sache tut. Wir verwenden einfach Gleichung (4.78).
65
Die Bedeutung des Q-Faktors im Sinne der Resonanzschärfe wird erst im Fall periodisch getriebener Schwingkreise richtig klar. Hier verwenden wir den Q-Faktor zunächst, um die in diesem Kapitel erzielten Lösungen des gegebenen AWPs in Abbildung 4.2 graphisch darzustellen.
Wir erkennen, dass die Periode – also die Abstände zweier Maxima – der leicht unterdämpften
Schwingung τ ω0 = 4 bereits recht nahe bei 2π liegt. Im aperiodischen Grenzfall relaxiert die
Ladung recht schnell gegen null. Im leicht überdämpften Fall, τ ω0 = 4 ist die Relaxation bereits
sehr langsam. Aber auch ein unterdämpften Fall, τ ω0 = 1/8 relaxiert der Schwingkreis nicht
schnell sondern oszilliert um die Gleichgewichtslage.
1.0
0.8
0.6
τω0 = 1/8
Q(t) / Q0
0.4
0.2
0.0
τω0 = 1/2
-0.2
-0.4
τω0 = 4
-0.6
0
π
2π
tω0
3π
4π
Abb. 4.2: Darstellung der Lösung des AWP Q(0) = Q0 , I(0) = 0 für einen RLC-Serienkreis mit
verschiedene Q-faktoren, definiert als τ ω0 . Eine große Dämpfungszeit τ – verglichen
mit 1/ω0 – bedeutet eine kleine Dämpfung und umgekehrt.
Der periodisch getriebene RLC-Serienkreis
Als nächstes untersuchen wir den RLC-Serienkreis unter einer periodischen Spannung U (t) =
Uω cos ωt = R{Uω exp(iωt)}. Dabei setzen wir als Lösung wieder Q(t) = Qω exp(iωt) an und
erhalten ganz zwanglos
1
2
−ω · L + i · ω · R +
· Qω = Uω .
(4.80)
C
Somit erhalten wir für die (reelle) Ladung
Uω exp(iωt)
.
Q(t) = R
1/C − ω 2 · L + i · ω · R
(4.81)
Falls Ihnen hier einige Zwischenschritte fehlen, würde ich Sie gerne in den Kapitel 4.2 zurück
schicken. Dort stehen sie alle drin, nur eben ohne die Impedanz der Spule.
Gleichung (4.85) teilen wir im Nenner und Zähler durch L, ersetzen dann den Ausdruck 1/LC
mit ω02 und den Ausdruck R/L mit der Rate ν, die die Dämpfung in Einheiten einer Frequenz
angibt – und somit das Inverse der Relaxationszeit τ ist. Für einen rellen Vorfaktor Uω ergibt
sich somit
Uω
exp(iωt)
Q(t) =
(4.82)
·R
L
ω02 − ω 2 + iων
66
Die Lösung sieht relativ einfach aus, sie hat es aber in sich. Wir könnten den Ausdruck in der
geschweiften Klammer wiefolgt umformen
ω02
exp(iωt)
exp{i(ωt + ϕ)}
→ 2
2
|ω0 − ω 2 + iων|
− ω + iων
mit
tan ϕ =
ω02
ων
,
− ω2
(4.83)
(4.84)
oder aber sofort den Realteil auf der rechten Seite der Gleichung (4.82) zu
2
(ω0 − ω 2 ) · cos ωt
ων · sin ωt
Uω
·
+
Q(t) =
2
2
L
(ω02 − ω 2 ) + ω 2 ν 2 (ω02 − ω 2 ) + ω 2 ν 2
(4.85)
bestimmen. Im letzten Schritt haben wir angenommen, dass wir Uω eiωt mit Uω cos ωt ersetzt
haben, sodass wir uns in der Lösung für Q(t) auf den Realteil beschränken durften.
Die Ausdrücke sehen zum Teil recht kompliziert ist. Dennoch tauchen sie immer wieder in
dieser oder ähnlicher Form auf und zwar nicht nur bei RLC Kreisen und harmonischen Oszialltoren sondern auch bei der mechanischen Anregung elastischer und viskoelastischer Medien.
Deshalb lohnt es sich, die Bedeutung der Gleichungen etwas genauer zu studieren, was wir im
Folgenden auch tun werden. Zunächst schauen wir uns drei verschiedene Grenzfälle an.
Der quasistatische Grenzfall: ω → 0. Für unendlich kleine Frequenzen wird die Impedanz des
Kondensators unendlich. Demzufolge fällt die gesamte Spannung am Kondensator ab, sodass
Q(t) = C · Uω cos ωt. Dies kann man gut aus der ω → 0-Analyse der Gleichungen erkennen,
insbesondere unter Verwendung der Gleichung ω02 = 1/L · C. Oder eben bereits aus Gleichung (4.80), der man ansehen kann, dass die inversen frequenzabhängigen Kapazitäten eines
Widerstandes und einer Spule bei ω → 0 verschwinden.
Anregung mit der Eigenfrequenz: ω = ω0 . Bei dieser Frequenz heben sich die Impedanzen bzw.
die frequenzabhängigen Kapazitäten der Spule und des Kondensators genau auf. Die Spannung
liegt somit komplett am Widerstand an. Wir erhalten damit das Ohmsche Gesetz, was man
ebenfalls der Ableitung von Q(t) bezüglich der Zeit bei entsprechender Substitution von ν
erkennen kann.
Der hochfrequente Grenzfall: ω → ∞. Nun divergiert die Impedanz der Spule, sodass sämtliche Spannung an ihr abfällt. Wieder kann man sich durch Grenzwertbetrachtung der eben
hergeleiteten Gleichung – oder durch Inspektion der Gleichung (4.80) – davon überzeugen, dass
die Spannung bei hohen Frequenzen in der Tat an der Spule abfällt.
Um auch die Frequenzen zwischen den diskutierten Fällen zu visualisieren, stellen wir die
Funktionen
A(ω) =
Ac (ω) =
As (ω) =
|ω02
1
− ω 2 + iων|
(ω02 − ω 2 )
(4.86)
(4.87)
2
(ω02 − ω 2 ) + ω 2 ν 2
ων
2
(ω02 − ω 2 ) + ω 2 ν 2
,
(4.88)
also bis auf den Vorfaktor Uω /L die “Antwort” des Schwingers auf die Anregung, in Abbildung 4.3 dar. Man erkennt, dass die Amplitude der Schwingung in der Tat für die Frequenz am
größten ist, bei der sich die Impedanz der Spule und des Kondensators gegenseitig aufheben.
67
Q=8
8
A(ω)
6
4
A(ω)
2
0
As(ω)
-2
-4
0
Ac(ω)
0.5
1
ω/ω0
1.5
2
Abb. 4.3: Antwortfunktion eines Schwingkreise mit einem Q-Faktor Q = 8. Betrag, A(ω),
Realteil Ac (ω) und Imaginärteil As (ω) sind separat dargestellt.
Wird ein RLC-Serienkreis mit einer zeitabhängigen Spannung betrieben, die sich als Überlagerung verschiedener Frequenzen darstellen lässt, so erzeugen bei hohem Q-Faktor nur die
Beiträge einen nicht zu vernachlässigende Antwort, deren Frequenzen innerhalb des Peaks von
As liegen. Man spricht auch von Resonanz, wenn ein System bei einer einer Anregungsfrequenz
– sehr stark mitschwingt. Der Peak selbst hat eine relative Breite von ∆ω ≈ ω0 /Q. Frequenzen
innerhalb des Bereichs ω0 · (1 ± 1/Q) führen somit zu starken Schwingungen. Aus diesem Grund
wird der Q-Faktor auch Resonanzschärfe genannt.
Während |A(ω)| proportional zum Betrag der Schwingung ist, gibt ϕ in Gleichung (4.84) die
Phasenverschiebung an. Bei sehr niederfrequenten Schwingung folgt die Ladung der Spannung
quasi ohne Verzögerung. Die relative Phase zwischen Spannung und Ladung ist dann sehr klein.
Mit zunehmender Frequenz eilt die Kurve für Q(t) der von U (t) um eine Phasenverschiebung
ϕ vor. Bei der Resonanzfrequenz ω0 ist die Phasenverschiebung gleich π/2. Schließlich sind bei
sehr großen ω Spannung und Ladung gegenläufig.
In der Elektrotechnik interessiert man sich öfter für die Phasenverschiebung zwischen Spannung und Strom statt für die zwischen Spannung und Ladung. Von unseren Ergebnissen müssten wir dann jeweils die Phasenverschiebung von π/2 abziehen. Sprich, an einer rein ohmschen
Impedanz gibt es keine Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung. An einem Kondensator eilt der Strom der Spannung um π/2 voraus, an einer Spule ist er um die Phase π/2
verzögert.
Was aber ist die genaue Bedeutung des Realteils der Antwort, also Ac und die des (negativen)
Imaginärteils As ?
Ohmsche Verluste in RLC-Schwingkreisen
Die instantane Leistung, also die Energie pro Zeiteinheit, die in einen Schaltkreis fließt, ist wie
in Abschnitt 4.3 hergeleitet, P (t) = U (t) · I(t). Im Mittel ergibt sich also eine Verlustleistung
von
Z
1 T
P̄ =
dt · U (t) · I(t),
(4.89)
T 0
68
π
Q=8
ϕ
3π/4
π/2
π/4
0
0
0.5
1
ω/ω0
1.5
2
Abb. 4.4: Phasenverschiebung zwischen Ladung und Spannung im RLC Serienkreis mit dem
Q-Faktor Q = 8.
wobei T die Zeit ist, über die wir die Leistung mitteln. Wir können T jetzt entweder sehr
groß werden lassen, oder aber einfach mit der Zeitdauer einer Periode T = 2π/|ω| gleichsetzen.
In einem periodisch oszillierenden Schwingkreis ist zu Beginn der Periode ebenso viel Energie in Kondensator und Spule wie an deren Ende. Alle (netto) hereingesteckte Energie muss
demzufolge im Widerstand in Wärme umgewandelt sein.
Den Strom erhalten wir durch Ableiten von Q(t) nach der Zeit, sodass I(t) ∝ sin ωt. Weil
das Integral über das Produkt cos ωt · sin ωt verschwindet, wenn der Integrationsbereich ein
ganzzahlig vielfaches der halben Periode ist liefert der in I(t) zu cos ωt proportionale Term,
bzw. der in Q(t) zu sin ωt proportional Term keinen Beitrag. Im Gegenzug kann man einen
Integranden sin2 ωt bei der Integration über ein ganzzahlig vielfaches der halben Periode mit
1/2 ersetzen. Damit wird die über eine Periode integrierte Leistung U (t) · I(t) zu
Z
2π 2π/|ω| ωUω2
P =
dt
· As (ω) · sin2 (ωt)
|ω| 0
L
πUω2
=
· ω · As (ω)
L
(4.90a)
(4.90b)
Dieser Ausdruck ist nie negativ, weil die assymmetrische Funktion A(ω) für positive Werte
immer positiv ist.
Die Funktion As (ω) ist also proportional zu den ohmschen Verlusten, die ein Schwingkreis im
Mittel über eine oder viele Perioden erleidet. Die in der Mechanik analoge Größe hieße daher
auch Verlustmodul. Im Gegensatz dazu beschreibt der Ausdruck Ac (ω) wie stark die potenzielle Energie im Mittel während einer oder vieler Perioden schwankt. Ein positives Vorzeichen
bedeutet, dass die Energie vorwiegend im Kondensator gespeichert ist, bei einem negativen
Vorzeichen von Ac ist im Mittel die in der Spule gespeicherte potenzielle Energie größer. Die in
der Mechanik zu Ac analoge Größe heißt demzufolge Speichermodul.
69
4.4.2 Weitere RLC Schaltkreise: Passive Frequenzfilter
Es bestehen viele weitere Möglichkeiten neben dem RLC-Serienkreis, die elektrischen Bauelemente R, L und C miteinander zu verschalten. Zum Glück muss man nicht jedes Mal die
zugrunde liegende DGL aufstellen oder lösen, um das Verhalten des Schaltkreises zu charakterisieren. Es genügt, die jeweiligen Impedanzen der Bauteile gemäß der diversen Regeln – im
allgemeinsten Fall die von Kirchhoff – zu verwenden. Dabei muss man sich beim Rechnen mit
Impedanzen darüber im Klaren sein, dass der implizit verwendete Ansatz
Z(ω) · Iω eiωt = Uω eiωt
(4.91)
ist, wohingegen unsere Beschreibung des RLC-Serienkreises eher auf frequenzabhängigen Kapazitäten aufgebaut war.
Parallele RLC-Kreis
Im parallelen RLC Kreis sind, wie sein Name es vermuten lässt, Widerstand, Spule und Kondensator parallel geschaltet. Somit ergibt sich die Impedanz zu
1
1
+ iωC +
R
iωL
iωL − ω 2 LCR + R
=
.
iωLR
Z −1 (ω) =
(4.92)
(4.93)
Wenn wir wie zuvor ω0 = 1/LC und τ = L/R definieren, ergibt sich die Impedanz zu
iωL
iωL + R · (1 − ω 2 /ω02 )
ωτ
= R·
ωτ − i · (1 − ω 2 /ω02 )
Z(ω) = R ·
(4.94)
(4.95)
Die Impedanz ist vom Betrag her also kleiner gleich R. Dieses Mal ist somit die Impedanz
für ω = ω0 am größten, die Amplitude der Schwingung, also der Gesamtstrom, an der Resonanzfrequenz aber am kleinsten. Ein zwischen der Spannungsquelle und dem RLC Parallelkreis
angeschlossene Ampéremeter würde bei der Resonanzfrequenz einen Ausschlag nach unten anzeigen. Die entsprechende Frequenz ist blockiert.
Passive Frequenzfilter
Die Funktion eines Frequenzfilters ist es, bevorzugte Frequenzen aus einem eingehenden Signal
heraus zu filten. Wenn wir in den bisher in diesem Kapitel untersuchten Schaltungen den
Widerstand als Verbraucher interpretieren, würde der RLC-Serienkreis
einen Bandpassfilter
√
darstellen, der bevorzugt Frequenzen in der Nähe von ω0 = 1/ LC durchlässt. Dahingegen
blendet der RLC-Parallelkreis diese Frequenzen aus, weshalb er als Bandstoppfilter wirkt.
Weitere Filter sind Tiefpass- und Hochpassfilter, die Signale bis zu einer gewissen Frequenz
nahezu verlusfrei durchlassen, die unerwünschten Frequenzen hingegen stark abschwächen. Das
einfachste, allgemeine Prinzip eines Frequenzfilters ist in Abbildung 4.5 dargestellt. Es beinhaltet die bisher betrachteten Fälle, z.B. wenn die im RLC-Serienkreis am Widerstand R abfallende
Spannung mit Vaus gleichgesetzt wird.
70
Z1
Iaus → 0
Vein (t)
Z2
Vaus (t)
Erde
Abb. 4.5: Grundprinzip eines einfachen Frequenzfilters.
Betrachten wir eine rein oszillatorische Eingangsspannung: Vein ∝ exp(i ω t). Nun gehen wir
davon aus, dass Vaus “stromfrei” gemessen und dann weiter verstärkt wird. Welche Spannung
Vaus liegt am Ausgang an?
Vein (t) = (Z1 + Z2 ) · I
Vaus (t) = Z2 · I
Z2
Vaus (t)
=
.
⇒
Vein (t)
Z1 + Z2
(4.96)
(4.97)
(4.98)
Um einen Tiefpass zu realisieren, muss |Z2 | bei tiefen Frequenzen groß sein verglichen mit
|Z1 |. Bei hohen Frequenzen sollte |Z2 | aber klein sein. Dies wird erreicht, indem Z2 als Kondensator und Z1 als gewöhnlicher Widerstand gewählt wird. Dann ergibt sich das Verhältnis von
Eingangs- zu Ausgangspannung nämlich wiefolgt:
Vaus (t)
1/iωC
=
Vein (t)
R + 1/iωC
1
=
1 + iω · τ
1
= √
· eiϕ
2
2
1+ω ·τ
(4.99)
(4.100)
(4.101)
mit τ = C · R und tan ϕ = −ω · τ .
Um einen einfachen Hochpass zu realisieren, kann man entweder den Kondensator im Tiefpass
durch eine Spule ersetzen oder die Elemente Z1 und Z2 werden bzgl. ihrer Anordnung im
Tiefpass miteinander vertauscht.
71
5 Magnetostatik
5.1 Das magnetische Feld
Ladungen erzeugen nicht nur elektrische sondern auch magnetische Felder, vorausgesetzt die
Ladungen bewegen sich. Die Berechnung magnetischer Felder ist etwas komplizierter als die von
elektrischen Feldern. So braucht man für das magnetische Pendant des Coulmb’schen Gesetz,
also das biot-savartsche Gesetz, das vektorielle Kreuzprodukt und zudem Stromdichten.
Solcherlei Komplikationen ersparen wir uns aus Zeitgründen und erwähnen stattdessen nur
das ampèrsche Gesetz. Es setzt, wie das gaußsche Gesetz der Elektrostatik, eine Verbindung
zwischen (bewegten) Ladungen und Feld. Das ampèrsche Gesetz besagt, dass das Linienintegral
des magnetischen Feldes B entlang einer geschlossenen Kurve proportional zum Strom I durch
die eingeschlossene Fläche ist:
I
ds · B = µ0 I
(5.1)
Hierbei ist µ0 die magnetische Permeabilität. Ihr Wert beträgt µ0 ≈ 1,2566·10−7 N/A2 . Die Einheit des magnetischen Feldes ist das Tesla, benannt nach dem schillernden serbisch-kroatischen
Physiker bzw. Ingenieur Nikola Tesla. Das Tesla ist keine S.I. Grundeinheit: [B] =T= 1 Vs/m2
= kg/As2 .
Bzgl. des ampèrschen Gesetzes sei angemerkt, dass es keine Rolle spielt, ob sich die Ladungen
in einem Draht relativ zu uns bewegen, oder aber ein Draht mit konstanter Ladungsdichte
fest im Labor steht, und wir uns mit einem Messgerät bewaffnet relativ zum Draht bewegen.
Diese Beobachtung bedeutet, dass es bei der Berechnung von Kräften – wie bei jedem anderen
Grundgesetz der Physik auch – nur auf die Relativbewegung ankommt. Zudem sei angemerkt,
dass die Lichtgeschwindigkeit der Relation c2 = 1/ǫ0 µ0 genügt und dass c eine ganz zentrale
Rolle in der Relativitätstheorie spielt.
Gleichung (5.1) lässt noch ein klein wenig Interpretationsspielraum: Der Strom I hat eine
Richtung und diese entscheidet somit über die Richtung des Magnetfeldes. Diese wird in einem
rechtshändigen Koordinatensystem festgelegt, auch wenn das jetzt eine kaum hinzunehmende
Diskriminierung von Linkshändern darstellt. Was ist zu tun?
Betrachten wir den einfachsten aber auch wichtigsten Fall, nämlich den eines geraden, unendlichen langen, stromdurchflossenen Drahtes. Dieser Draht liege auf der z-Achse und unser
Integrationsweg in der xy-Ebene auf einem Kreis. Als Integrationsweg wählen wir den Weg auf
einem Kreis im mathematisch positiven Sinne, also im Uhrzeigersinn. Wenn der Strom parallel
zur z-Achse fliesst, so ist das Magnetfeld an jeder Stelle parallel zu unserem Integrationsweg.
Ist er antiparallel, so ist das Magnetfeld dem Integrationsweg entgegen gerichtet. Um die Richtung des von einem Stromfluss erzeugten Magnetfeldes festzulegen, kann man den Daumen der
rechten Hand parallel zum Strom halten und die verbliebenen hoffentlich vier Finger (meinem
Vater fehlte einer) der rechten Hand etwas biegen. Diese zeigen dann parallel zum Magnetfeld.
Dem ampèrschen Gesetz kann man entnehmen, dass das magnetische Feld eines geraden,
undendlichen langen Leiters eine azimuthale Komponente hat. Sie ist nicht parallel zu er =
72
Abb. 5.1: Fließt der Strom parallel zur z-Achse entsteht ein Magnetfeld in der eingezeichneten
Richtung. Dieses ist rechtsdrehend, wenn wir
die Richtung des Magnetfeldes von unten
betrachten.
I
rechts
(cos ϕ, sin ϕ, 0) oder ez sondern senkrecht zu diesen beiden Vektoren. Es hat aber, dass sei hier
der Vollständigkeit halber erwähnt, keine radiale Komponente. Im Allgemeinen gilt
I
dA · B = 0.
(5.2)
Damit kann das Magnetfeld eines Drahtes berechnet werden. Wenn B jeweils parallel zu ds ist,
können wir B · ds durch B(r) · r · dϕ ersetzen und erhalten für den Betrag des von dem Draht
erzeugten Magnetfeldes
B(r) =
µ0 I
2πr
(5.3)
Das Magnetfeld eines Drahtes fällt somit wie auch das elektrische Feld eines homogen geladenen
Drahtes mit 1/r ab. Vektoriell gilt: B(r) = B(r) · (− sin ϕ, cos ϕ, 0).
Das Feld einer Spule
Eine Spule besteht aus einem aufgewickelten Draht, der nach außen isoliert ist. Wenn der
Draht N Windungen pro Länge l hat und der Integrationsweg zunächst in der Spule parallel zur
Achse verläuft, dann senkrecht zur Achse die Spule verläßt, draußen parallel zurück läuft und
sich dann auf kürzestem Weg zur Achse hin wieder schließt, so ergibt sich aus dem ampèreschen
Gesetz, dass
B · l = µ0 · N · I.
In der Vorlesung wird Ihnen dann erklärt, warum das B-Feld nur in der Spule sein kann, warum
es dort nicht vom Achsenabstand abhängt und es außerhalb der Spule verschwindet. Wenn das
Innere des Magneten nun noch mit einem paramagnetischem Material1 gefüllt ist, welches
das B-zusätzlich verstärkt, findet man
B = µ0 µr
N
I.
l
(5.4)
Das Feld ist also proportional zum Strom und zur Wicklungsdichte, N/l, der Spule.
1
Der Paramagnetismus basiert darauf, dass sich in manchen Materialien die magnetischen Dipole der Elektronen benachbarter Atome parallel zueinander aber auch parallel zum anliegenden magnetischen Feld ausrichten möchten. Der Ursprung dieses Bestrebens ist allerdings quantenchemischer Natur und keine direkte
Kopplung zwischen magnetischen Dipolen. Dennoch kann man paramagnetische Materialien als magnetisches Pendant von Dielektrika betrachten, in denen sich Dipole auch bevorzugt parallel ausrichten, ohne
dabei wirklich eine spontane, permanente Polarisierung auszubilden.
73
5.2 Magnetische Feldenergie und Induktivität
Wie das elektrische Feld hat auch das magnetische Feld eine Energiedichte. Im Vakuum ist sie
gegeben durch die Gleichung
B2
wB =
(5.5)
2µ0 µr
Die Energie einer Spule mit Radius R (⇒ Querschnitt A = πR2 ), Länge l und N Windungen
hat demzufolge eine Energie
1
· B 2 · A · l,
(5.6)
W =
2µ0 µr
wobei B durch Gleichung (5.4) gegeben ist, sodass
W =
1 µ0 µr N 2 A 2
·I .
·
2 | {z
l }
(5.7)
=L
L ist dabei die Induktivität, die wir im vorigen Kapitel bereits in den Schaltkreisen kennen
gelernt haben.
5.3 Kraft des Magnetfelds auf bewegte Ladungen
Bewegte Ladungen erzeugen Magnetfelder, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Magnetfelder
Kräfte auf bewegte Ladungen erzeugen. Diese heißt auch Lorentzkraft. Sie liegt der Definition
des Ampère zugrunde, das ja über die Kraftwirkung zweier stromführender Drähte definiert ist.
Die Sachlage ist wieder etwas komplizierter als bei den elektrischen Wechselwirkungen. Das
Kraftgesetz der Elektrostatik lautet nämlich
FB = q · v × B,
(5.8)
wobei × das Kreuzprodukt darstellt. Zur Bestimmung der Richtung der Lorentzkraft verwenden
wir die Rechte-Hand-Regel bzw. die Drei-Finger-Regel, die natürlich für allgemeine Kreuzprodukte gilt: Der Daumen der rechten Hand zeigt in Richtung von v, der Zeigefinger in Richtung
von B und nun strecken wir den Mittelfinger soweit aus, dass er senkrecht zu der von Daumen und Zeigefinger aufgespannten Ebene zeigt. Der Mittelfinger gibt nun die Richtung der
Lorentzkraft an.
5.3.1 Der Hall Effekt
Liegt in einem Halbleiter ein externes elektrisches und dazu senkrecht ein magnetisches Feld
an, erfahren die beweglichen Ladungen eine Beschleunigung durch beide Felder. Wir betrachten
zunächst nur den Effekt des durch externe Ladungen erzeugten elektrischen Feldes, das parallel
zu ex sei. Eine einzelne Ladung genügt dann im Fließgleichgewicht der Gleichung, siehe Gleichung (3.42), vx = q · Ex /γ. Eine sich mit dieser Geschwindigkeit bewegende Ladung erfährt
eine Lorentzkraft durch ein Magnetfeld B = B0 ey gemäß
q 2 · B0
ex × ey
γ
q 2 · B0
ez .
=
γ
FB =
74
(5.9)
In der vorgegebenen Anordnung werden also sowohl positive als auch negative Ladungen vom
magnetischen Feld in die positive z-Richtung beschleunigt. Durch das Anlagern von Ladung am
oberen Rand des Halbleiters entsteht ein elektrisches Feld, das der Lorentzkraft entgegenwirkt.
Im Fließgleichgewicht hebt sich die Kraftwirkung des so induzierten elektrischen Feldes und die
des magnetischen Feldes genau auf.
Da der Halbleiter nun eine geladene Oberfläche hat, liegt eine elektrische Spannung zwischen
der geladenen Oberfläche und der gegenüberliegenden Oberfläche an. Diese heißt Hallspannung
UH , benannt nach Edwin Hall, der den Effekt in seiner Promotion nachwies. Ohne weitere
Herleitung sei gesagt, dass die Hall Spannung gegeben ist durch die Gleichung
UH =
A
· B0 · I,
d
(5.10)
wobei d die Dicke des Materials ist in der Richtung parallel zum magnetischen Feld und A die
dazu orthogonal Oberfläche. Die Faktoren vor dem I auf der rechten Seite der Gleichung (5.10)
werden auch als Hall-Widerstand bezeichnet.
Der Hall Effekt ist insbesondere aus zweierlei Gründen wichtig: Aus naturwissenschaftlicher
Sicht hat er gezeigt, dass es in Halbleitern sowohl positive als auch negative Ladungsträger
gibt, die als freie Ladungen für den Strom verantwortlich sind. Die positiven Ladungsträger
sind dabei die fehlenden Elektronen in einem nicht voll besetzten Valenzband eines Halbleiters.
Der Hall Effekt hat somit zur Verifizierung des Bändermodells in Festkörpern beigetragen.
Aus technischer Sicht kann der Hall Effekt benutzt werden, um die Stärke von Magnetfeldern
elektrisch zu messen. Auch Ströme können dank des Hall Effekts kontaktfrei gemessen werden.
Schließlich kann man oxidierte Bereiche in magnetisiertem Stahl mittels einer Hall Sonde grob
lokalisieren. Die oxidierten Bereiche zeigen sich quasi durch fehlendes Magnetfeld. Auch hier
operiert die Hall Sonde nicht invasiv, weshalb sie in der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung eine
gewisse Rolle spielt.
5.3.2 Bewegung von Ladungen im Magnetfeld
Hat eine Ladung die (Anfangs-) Geschwindigkeit v0 (in der xy-Ebene) und befindet sich in einem
(konstanten) Magnetfeld senkrecht zur xy-Ebene, also in B = B0 · ez , so wirkt die Lorentzkraft
senkrecht zur Bewegung. Schließlich ist das Kreuzprodukt senktrecht zu den beiden Vektoren,
aus denen es gebildet wird. Wenn Kraft und Geschwindigkeit aber zueinander senkrecht stehen,
hat dies zur Folge, dass an der Ladung keine Arbeit verrichtet wird, denn die Arbeit entspricht:
dW = F · ds = F · v · dt. Obwohl die Lorentzkraft keine konservative Kraft ist – weder das
Magnetfeld noch die Lorentzkraft lassen sich als Gradient einer skalaren Potentialfunktion
darstellen – führt die Lorentzkraft nicht zum Energieverlust bzw. zur Energiedissipation.
Steht eine (betrags- und richtungsmäßig konstante) Kraft immerzu senkrecht zur Geschwindigkeit, entsteht eine Kreisbewegung – ähnlich der von Satelliten. Bei einer Kreisbewegung
halten sich Zentripetal und die sogenannte Zentrifugalkraft, FZ = mv 2 /r genau die Waage
(betrachte nur die Beträge):
v2
m·
= q · v · B.
(5.11)
r
Die Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn genügt der Gleichung v = ω · r, wobei ω die sogenannte Kreisfrequenz ist. Wird v in Gleichung 5.11 entsprechend substituiert ergibt sich für die
Kreisfrequenz
q
· B.
(5.12)
ω=
m
75
Das ist jetzt vielleicht noch kein spannendes Ergebnis. Es ist aber ein wichtiger Schritt zum
Verständnis wichtiger Effekte in der Atom- und Molekülphysik, die nicht nur zentral für das
Verständnis der Materie ist sondern auch von sehr großem technischen Interesse.
5.4 Der magnetische Dipol
Im Gegensatz zu elektrischen Feldlinien haben magnetische Feldlinien weder einen Anfang
(Quelle) noch ein Ende (Senke). Das liegt daran, dass es kein magnetisches Pendant zu einer
elektrischen Elementarladung gibt. Der magnetische Dipol ist der Pol mit der kleinst möglichen
Ordnung. Jedes magnetische Feld lässt sich daher als Überlagerung von Feldern magnetischer
Dipole darstellen.
Aus dem ampèreschen Gesetz lässt sich nur mit sehr viel Mathematik das Feld einer Leiterschleife ableiten. Dies geht sehr viel direkter aus dem biot-savartschen Gesetz. Wir sparen uns
hier die Herleitung und schreiben nur die Formeln zur Berechnung des magnetischen Dipolmoments einer ebenen Leiterschleife m und des Dipolfelds auf:
m = I · A · eA ,
(5.13)
wobei I der Strom der Leiterschleife ist, A die eingeschlossene Fläche und eA der zur Leiterschleife senkrecht stehende Einheitsvektor.
Mit ein klein wenig Mathematik lässt sich nun zeigen, dass das magnetische Moment, das
sich aus der Bahnbewegung identischer Teilchen (z.B. Elektronen) ergibt, zu ihrem Drehimpuls
L = mvr proportional ist
|m| = IA =
q
q
q
v × πr2 =
× mvr =
L,
2πr
2m
2m
|{z}
(5.14)
λ
wobei λ die Linienladungsdichte auf der Leiterschleife ist.
Elementarteilchen können neben ihrem Bahndrehimpuls auch einen Eigendrehimpuls LE haben, der allerdings rein gar nichts mit einer Drehbewegung der Teilchen um ihre eigene Achse zu
tun hat. Zwischen dem Eigendrehimpuls und dem magnetischen Moment besteht die Beziehung
µ=
gq
LE ,
2m
(5.15)
wobei der g-Faktor jeweils vom Teilchen abhängt. Bei Elektronen und anderen Elementarteilchen ist er ungefähr zwei, bei Protonen und Neutronen, die jeweils aus Quarks aufgebaut sind,
liegt er jedoch bei gp ≈ 5,5857 bzw. bei gn ≈ −3.8260. Die theoretische Berechnung davon,
wie weit der g-Faktor eines Elektrons von zwei abweicht, ist einer der wichtigsten Erfolge der
theoretischen Physik.
Zum Glück gibt es neben allen Unterschieden auch viele Ähnlichkeiten zwischen magnetischen
und elektrischen Dipolen. So hat das Dipolfeld eines magnetischen Dipols dieselbe räumliche
Abhängigkeit wie ein elektrisches Dipolfeld
B(r) =
µ0 3r(m · r) − mr2
·
.
4π
r5
(5.16)
Auch die potenzielle Energie kann in Analogie zu elektrischen Dipolen als
W = −m · B
76
(5.17)
Skalarprodukt zwischen Dipol und Feld ausgedrückt werden.
Somit gelten für die Ausrichtung magnetischer Dipole in magnetischen Feldern dieselben
Regeln wie für elektrische Dipole, wie z.B., keine Beschleuningung in einem konstanten Feld
sondern nur durch Gradienten sowie ein Drehmoment von
M = m × B.
(5.18)
Weil der Drehimpuls und damit auch der Eigendrehimpuls quantisiert ist, führt die Präsenz
von magnetischen Feldern zu einer Aufsplittung von Spektrallinien. Diese Aufsplittung liegt
magnetischen Resonanzspektroskopien (z.B. Elektronenspin- und Kernspinresonanz) zu Grunde
und spielt somit in Naturwissenschaften, in der Technik aber auch in der Medizin eine wichtige
Rolle. Bildgebende Verfahren weicher Materie (Gewebe), Bestimmung chemischer Bindungen,
Charakterisierung von Relaxationsprozessen sind einige Anwendungen.
5.5 Magnetismus und Materie
In der Wechselwirkung Materie und Feld kann Materie nach ähnlichen Kriterien eingeteilt
werden wie nach dielektrischen Eigenschaften. Allerdings ist der Magnetismus um eine Facette
reicher! Dazu aber später.
Paramagneten steigern das äußere Feld. Die magnetische Permeabilität µr ist größer eins.
→ Analogie zu Dielektrika.
Ferromagneten haben ein permanentes und makroskopisches magnetische Moment, das sich
umpolarisieren lässt. Im Gegensatz zu Ferroelektrika, in denen die direkte elektrische Wechselwirkung in der Regel die treibende Kraft ist, die bewirkt, dass sich ein permanenter Dipol
ausbildet, spielt die direkte magnetische Wechselwirkung bei Ferromagneten keine Rolle. Es
sind quantenchemische Effekte (i.d.R. die aus dem Pauli Prinzip resultierende Austauschwechselwirkung von d-Elektronen), die bewirkt, dass die d-Elektronen im Leitungsband sich parallel
orientieren. In einfachen Modellen schreibt man dann die potenzielle Energie als Funktion der
Spinvariablen als
X
X
JX
H=−
Si Sj − h
Si ,
(5.19)
2 i
i
j∈Nachbar
wobei J > 0 eine Kopplungskonstante ist, h proportional zum anliegenden magnetischen Feld
und Si = ±1 der (doppelte) Spin des Elektrons auf Gitterplatz i ist. (Spin up → Si = 1,
spin down → Si = −1.) Fällt die Temperatur unterhalb einen kritischen Wert, bildet sich ein
Ferromagnet aus, oberhalb ist das System paramagnetisch. Um ehrlich zu sein: Das Modell
(auch als Ising Modell) beschreibt gewöhnliche Magneten nicht besonders gut. Aber es ist ein
extrem lehrreiches Modell, mit dem man viel über Phasenübergänge lernen kann und zwar
insbesondere den zwischen Flüssigkeit und Gas.
Ferrimagneten haben zwei gegenseitig polarisierte Untergitter, die sich in der Summe aber
nicht genau wegheben. Eine wichtige Unterklasse bilden die Ferrite, die keramische Oxide mit
einem hohen Widerstand sind. Sie finden oft Einsatz als Kernwerkstoff im Hochfrequenzbereich.
Heben sich die magnetischen Momente zweier oder mehrerer Untergitter genau auf, spricht
man von einem Antiferromagneten. Wenn Sie sich ein einfach kubisches Gitter vorstellen,
im Ising-Modell die Kopplungskonstante negativ wählen, erhalten Sie bei tiefen Temperaturen
einen Antiferromagneten, weil die Spins ihre Energie minimieren können, wenn sie abwechselnd
nach oben oder nach unten zeigen. Eine technische Nutzung der Antiferromagneten ist mir
nicht bekannt. Vielleicht haben Sie eines Tages eine zündende Idee?
77
Und nun kommen wir zu der lang angekündigten neuen Facette, die kein Analog im Bereich
der dielektrischen Materialien besitzt: Der Diamagnetismus. Diamagneten entwickeln ein
dem externen Magnetfeld entgegengesetztes Magnetfeld, sodass µr < 1. Das zugrunde liegende
Prinzip liegt in der lenzschen Regel (siehe Ausblick). Diesen Effekt macht man sich bei der
magnetischen Levitation zunutze und verwendet ihn, um Graphit oder tote Frösche schweben
zu lassen. Supraleiter sind ideale Diamagneten. Sie erzeugen Ströme, die so gross sind, dass die
Magnetfelder im inneren genau kompensiert werden (µr = 0).
5.6 Ausblick
In der Beschreibung von LC Kreisen haben wir oft die Analogie zu mechanischen Schwingkreisen verwendet. Die Spule speichert magnetische Feldenergie (in Analogie zur kinetischen
Energie), wohingegen der Kondensator elektrische Feldenergie speichert (in Analogie zur potenziellen Energie). So kommt es zu einer andauernden Oszillation in einem LC Kreis. Ähnlich
läuft es auch bei einer elektromagnetischen Welle. Die magnetische Feldenergie wandelt sich in
elektrische um und umgekehrt. Die Gleichungen, die dieses Wechselspiel beschreiben, heissen
Maxwell Gleichungen. Sie sind allerdings etwas komplizierter zu handhaben als die Gleichungen, mit denen wir bisher gearbeitet haben. Unsere bisherigen Gleichungen (die wir jetzt in
differenzieller Form schreiben und für Sie daher vielleicht unerkenntlich sind) werden dabei um
zwei in blau markierte Terme erweitert
ρ
ǫ
∇·B = 0
∇·E =
∇×E = −
(5.20)
(5.21)
∂B
∂t
∇ × B = µ0 j+µ0 ǫ0
(5.22)
∂E
∂t
(5.23)
Der Struktur dieser Gleichungen kann man entnehmen, dass ein sich zeitlich veränderndes Magnetfeld ein elektrisches Feld induziert und umgekehrt. Dies passiert immer nach der
lenzschen Regel: Die Richtung eines von einer Magnetfeldänderung (genauer magnetischer
Flussänderung) induzierten Stroms hat die Richtung, die der Änderung des magnetischen Flusses entgegen wirkt. Dieses Prinzip liegt dem Diamagnetismus zu grunde.
Eine Auswertung der Maxwell Gleichung erlaubt es uns, zahlreiche wichtige Phänomene
zu verstehen, ohne die die moderne Welt nicht möglich wäre. Jegliche Telekommunikation,
Spannungstransformation, Elektromotoren und vieles vieles mehr.
Zum Abschluss ein Zitat von Werner Siemens, dem wohl größten deutschen Erfinder: Es
wurde mir klar, dass technischer Fortschritt nur durch die Verbreitung naturwissenschaftlicher
Kenntnisse unter den Technikern erzielt werden könnte.
78
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1
2 Elektrostatik
2.1 Elektrische Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Wechselwirkungen zwischen Ladungen . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Elektrisches Feld allgemeiner Ladungsverteilungen . . . . . .
2.3.2 Felder an Metalloberflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.3 Gaußsches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.4 Bewegung einer Punktladung in einem elektrischen Feld . . .
2.3.5 Hintergrund Physik: Massepunkt im konservativen Kraftfeld
2.4 Elektrisches Potenzial und potenzielle Energie . . . . . . . . . . . .
2.5 Kondensatoren und Feldenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5.1 Parallelschaltung von Kondensatoren . . . . . . . . . . . . .
2.5.2 Serienschaltung von Kondensatoren . . . . . . . . . . . . . .
2.5.3 Energie in einem Kondensator . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7
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13
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24
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28
29
30
3 Materie und elektrische Felder
3.1 Ionenkristalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Der elektrische Dipol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1 Elektrisches Potenzial und Feld eines statischen Dipols .
3.2.2 Statischer Dipol im elektrischen Feld . . . . . . . . . . .
3.2.3 Induzierte Dipole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Dielektrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4 Polarisation und dielektrische Permittivität . . . . . . . . . . . .
3.5 Leiter und Widerstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5.1 Elektrischer Strom in Metallen und das ohmsche Gesetz
3.5.2 Serien- und Parallelschaltung von Widerständen . . . . .
3.6 Klassifizierung der Materie nach elektrischen Eigenschaften . . .
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46
46
48
49
4 Elektrische Schaltungen
4.1 Kirchhoffsche Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.1 Knotenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.2 Maschenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.3 Gleichstromschaltungen . . . . . . . . . . . . . .
4.2 RC-Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Induktivität und RL-Kreise . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4 RLC-Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4.1 RLC-Serienkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.4.2 Weitere RLC Schaltkreise: Passive Frequenzfilter .
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5 Magnetostatik
5.1 Das magnetische Feld . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Magnetische Feldenergie und Induktivität . . . .
5.3 Kraft des Magnetfelds auf bewegte Ladungen .
5.3.1 Der Hall Effekt . . . . . . . . . . . . . .
5.3.2 Bewegung von Ladungen im Magnetfeld
5.4 Der magnetische Dipol . . . . . . . . . . . . . .
5.5 Magnetismus und Materie . . . . . . . . . . . .
5.6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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