Trends und Herausforderungen in der Raumentwicklung

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Bern, 20. Dezember 2012
Trends und Herausforderungen in der
Raumentwicklung
Zahlen und Hintergründe zum Raumkonzept Schweiz
1
Vorwort
Bei der folgenden Darstellung räumlicher Entwicklungen handelt es sich um ein Hintergrunddokument
zum Raumkonzept Schweiz. Es umreisst vergangene sowie künftig erwartete Entwicklungen und dient
primär zur Information. Das Dokument erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern behandelt
vor allem Aspekte, die den Raum massgeblich beeinflussen. Es ist nicht als endgültig zu betrachten,
sondern soll aufgrund neuerer Fakten regelmässig ergänzt und angepasst werden.
Herausgeber
Informationsstelle Raumkonzept Schweiz, Bundesamt für Raumentwicklung (ARE).
Autoren
Annemarie Straumann, Stefan Lüthi, Marco Kellenberger, Reto Camenzind.
2
Inhaltsverzeichnis
1
Globale Trends
4
2
Trends und Herausforderungen für die Schweiz
5
2.1
Demographischer Wandel ...................................................................................... 5
2.2
Hohes Siedlungsflächenwachstum und steigende Ansprüche an den Raum .... 6
2.3
Verkehrssysteme stossen an ihre Grenzen .......................................................... 8
2.4
Agrarlandverlust im Mittelland, Waldzuwachs im Berggebiet ........................... 10
2.5
Natur und Landschaft verlieren an Qualität ........................................................ 11
2.6
Energieverbrauch und Interessenkonflikte nehmen zu ..................................... 12
2.7
Klima wandelt sich, Extremereignisse häufen sich............................................ 14
2.8
Wirtschaftliche Entwicklung konzentriert sich in Metropolitanregionen .......... 16
2.9
Ansprüche an die Raumentwicklung und an die Institutionen steigen ............ 18
3
1 Globale Trends
Die Schweiz ist Teil Europas und der Weltwirtschaft. Sie kann sich der global wirkenden Entwicklung
hin zur Informations- und Kommunikationsgesellschaft, den weltwirtschaftlichen Verflechtungen,
Migrationsbewegungen (vor allem innerhalb Europas) und dem Klimawandel nicht entziehen. Wichtige
1
globale Trends, die räumliche Auswirkungen für die Schweiz beinhalten, sind folgende:
Äusserer Rahmen
Die Schwellenländer werden ihren Anteil am Weltmarkt voraussichtlich weiter erhöhen. Daraus ergibt
sich eine Verschiebung der globalen Macht- und Kräfteverhältnisse. Ressourcenfragen (Energie, Ernährung) können Spannungen schaffen. Knappheitserscheinungen und Verteuerungen werden angesichts des weltweiten Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums zunehmen. In Europa geht die europäische Integration weiter. Diese „Europäisierung“ zeigt sich auch im Infrastrukturbereich: Die Verkehrs-, Energie- und Kommunikationsnetze wachsen grenzüberschreitend zusammen.
Vernetzte Gesellschaft
Die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wächst weiter: Verkehrsund Energienetze sind zunehmend von „intelligenten“ IKT geprägt, was sie effizienter macht, aber
auch das Risiko für Störungen mit grossräumigen Auswirkungen erhöht. Zudem werden die Infrastrukturen – u.a. aufgrund steigender Bevölkerungszahlen – stark beansprucht, so dass sich Engpässe
abzeichnen. Die IKT führen im Übrigen zu neuen Konsum- und Einkaufsgewohnheiten und zu einer
vermehrt „virtualisierten“ Arbeitswelt.
Gesellschaftlicher Wandel
Die Bevölkerung wächst weiter. Die Weltbevölkerung dürfte bis 2025 von heute sieben auf acht Milliarden Menschen ansteigen. Die Schweizer Bevölkerung dürfte bis dahin auf 8,6 Millionen zunehmen.
Mehr Menschen und die erhöhte Kaloriennachfrage pro Kopf stehen abnehmenden landwirtschaftlichen Nutzflächen gegenüber, ausgelöst u.a. durch den Siedlungsdruck. Verschiedene wirtschaftliche
und gesellschaftliche Entwicklungen – eine ungleiche Einkommensverteilung, die Migration, das
Wachstum der Metropolitanräume im Vergleich zu peripheren Gebieten usw. – fördern die Pluralisierung der Lebensformen, aber auch die Fragmentierung der Gesellschaft.
Wirtschaftlicher Wandel
Die Globalisierung hält an. Internationale Wirtschaftstrends, etwa im Finanzbereich, wirken sich auf
die Schweiz aus. Die Ressource Wissen gewinnt weiter an Bedeutung; die Beschäftigung wird sich
zusehends in wissens- und wissenschaftsgestützte Branchen verschieben. Der Standortwettbewerb
findet nicht mehr nur zwischen Staaten, sondern zwischen Metropolen statt. In der Schweiz geht die
Innovationskraft massgeblich von den grossstädtisch geprägten Räumen aus. Die flächendeckende
Verkehrserschliessung stärkt und erweitert diese wirtschaftlichen Schlüsselräume. Sie führt jedoch bei
einer weiterhin unkoordinierten Siedlungsentwicklung zu problematischen Landschaftsveränderungen
und hohen Pro-Kopf-Infrastrukturkosten.
Klimawandel
Der Klimawandel verändert die Lebensbedingungen. In verwundbaren Weltregionen dürften als Folge
von Nahrungs- und Wasserknappheit, Flutkatastrophen und Dürren neue Konfliktkonstellationen entstehen und die krisenbedingte Migration zunehmen. In der Schweiz ist mit höheren Temperaturen,
Hochwassern und instabilen Hängen zu rechnen. Für die Gefahrenprävention und die Hilfe nach Extremereignissen werden erhöhte Finanzausgaben nötig.
Ressourcen
Weltweit werden Rohstoffe und natürliche Ressourcen (Boden, Agrargüter, Biodiversität, Energieroh1
Schweizerische Bundeskanzlei: Perspektiven 2025 – Lage- und Umfeldanalyse sowie Herausforderungen für die Bundespolitik, Bern 2011, S.17-21.
4
stoffe, Edelmetalle) knapper. Da die Schweiz viele Baustoffe, rund 40 Prozent der Nahrungsmittel, und
80 Prozent der Primärenergie importiert, ist ihre Versorgungssicherheit stark von globalen Entwicklungen abhängig. Fortschritte in der Biotechnologie und Medizinaltechnik erhöhen die durchschnittliche
Lebenserwartung der Menschen. Dies verschärft die Problematik der Überbevölkerung und der Energieknappheit.
2 Trends und Herausforderungen für die Schweiz
Im Folgenden werden die Entwicklungen und raumplanerischen Herausforderungen etwas detaillierter
für die Schweiz dargestellt. Wo möglich, werden Hinweise zu Prognosen gegeben.
2.1 Demographischer Wandel
Die Bevölkerung der Schweiz wächst
Die Bevölkerung der Schweiz ist von 4,7 Millionen Einwohnern im Jahr 1950 auf 8 Millionen im Jahr
2012 gewachsen. Ab 2000 lag die durchschnittliche Zunahme pro Jahr bei 0,9 Prozent, seit 2007 be2
trägt sie 1 Prozent oder mehr. Im europäischen Vergleich weist die Schweiz damit ein überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum auf. Laut dem mittleren Szenario des Bundesamts für Statistik
(BFS), in dem die Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahre in die Zukunft fortgeschrieben wird,
kommt das Bevölkerungswachstum ab dem Jahr 2055 allmählich zum Stillstand. Danach soll sich die
Bevölkerungszahl bei knapp neun Millionen Einwohnern stabilisieren (+14 % zwischen 2010 und
3
2055). Die Bevölkerungszunahme ist hauptsächlich der Migration zuzuschreiben (+1,8 Millionen Immigranten und Immigrantinnen). Diese wird in erster Linie durch die wirtschaftliche Situation der
Schweiz, ihre Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität, und das damit verbundene Bedürfnis der
4
Schweizer Wirtschaft nach Arbeitskräften beeinflusst.
Grösstes Bevölkerungswachstum in den Agglomerationen
Die Bevölkerung der Schweiz wächst vor allem in den Städten und den Agglomerationen. Im Jahr
2010 wohnten im urbanen Raum rund 1‘054‘000 Menschen mehr als auf der gleichen Fläche im Jahr
1980 (+22 Prozent). Das grösste Bevölkerungswachstum fand in den Agglomerationsgemeinden rund
um die Zentrumsstädte („Kernstädte“) statt. Damit ist gerade in denjenigen Gebieten die Nachfrage
nach Wohnraum hoch, in denen Bauland knapp ist. Diese Entwicklung wird sich auch in Zukunft fortsetzen. Gemäss Schätzungen werden zwischen 2005 und 2030 die Kernstädte eine Bevölkerungszunahme von rund 117‘000 aufweisen (+6 Prozent). Mit gut 875‘000 Menschen wird das grösste Wachstum in den übrigen Agglomerationsgemeinden erwartet (+25 Prozent). Im ländlichen Raum wird die
5
Bevölkerung voraussichtlich nur noch um etwa 288‘000 Personen wachsen (+14 Prozent).
Alternde Gesellschaft
Die Bevölkerung in der Schweiz wird älter. Der Anteil der jungen Menschen (unter 20 Jahren) ist von
40,7 Prozent im Jahr 1900 auf 20,9 Prozent im Jahr 2010 gesunken, während derjenige der älteren
Menschen (über 64 Jahre) von 5,8 Prozent auf 16,9 Prozent gestiegen ist. Während sich die Geburtenrate bei rund 1,5 Kindern pro Frau stabilisiert, nimmt die Lebenserwartung der Menschen stetig zu.
Zwischen 1970 und 2010 ist der Altersquotient – d.h. das Verhältnis zwischen den über 64-Jährigen
und den 20- bis 64-Jährigen – von 20 auf 27 Prozent gestiegen. Es gibt jedoch beachtliche regionale
Unterschiede. In der Region Nyon, dem Zürcher Unterland und dem Gros-de-Vaud beträgt der Alters2
BFS (2012): Schätzungen zur Bevölkerung der Schweiz 2012. 8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner in der Schweiz,
Medienmitteilung vom 2. August 2012, Neuenburg. Internet:
http://www.news.admin.ch/dokumentation/00002/00015/?lang=de&msg-id=45493 (Zugriff: 05.12.2012).
3
BFS (2010): Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz 2010-2060, Neuenburg, S.21.
4
Bundesrat (2012): Bericht des Bundesrates über die Freizügigkeit und die Zuwanderung in die Schweiz, Bern, S.12.
5
Ecoplan (2012): Urbane Herausforderungen aus Bundessicht, Bern: ARE, SECO (Hrsg.), S.16.
5
quotient weniger als 21 Prozent, d.h. der Anteil junger Menschen ist hier relativ hoch; in den JuraRegionen Val-de-Travers und La Vallée sowie in Pays d’Enhaut und Locarno beträgt er mehr als 36
6
Prozent, d.h. der Anteil junger Menschen ist relativ tief. In Zukunft sinkt gemäss dem mittleren Bevölkerungsszenario des BFS der Anteil der Kinder und Jugendlichen (0-19 Jahre) an der Gesamtbevölkerung von 21 Prozent im Jahr 2010 auf 18 Prozent im Jahr 2060. Der Anteil der Personen im Pensi7
onsalter (65-Jährige und Ältere) steigt im gleichen Zeitraum von knapp 17 Prozent auf 28 Prozent.
Dieser tiefgreifende demographische Wandel wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus: auf das Bildungs- und Gesundheitswesen, den Arbeitsmarkt, die soziale Sicherheit, das Wohnen und die Mobilität.
Herausforderungen
Das Bevölkerungswachstum stellt die Gesellschaft, die Politik und die öffentliche Hand vor verschiedene Herausforderungen. Einerseits muss sie den Bodenverbrauch – insbesondere den Verlust von
Kulturland und die Versiegelung des Bodens – verringern. Andererseits hat sie die Aufgabe, die räumlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit der steigende Bedarf für Wohn-, Infrastruktur- und Gewerbebauten befriedigt werden kann. Das starke Bevölkerungswachstum im urbanen Raum führt zu
wachsenden Herausforderungen im Agglomerationsverkehr. Insbesondere im suburbanen und periurbanen Raum besteht die Herausforderung darin, die Siedlungsentwicklung und den Verkehr so zu
koordinieren, dass eine weitere Zersiedlung vermieden wird. Die zunehmende Alterung der Gesellschaft schliesslich erfordert eine Anpassung und Weiterentwicklung der Wohn- und Siedlungsformen,
aber auch der Verkehrssysteme, an die Bedürfnisse der älteren Generation.
2.2 Hohes Siedlungsflächenwachstum und steigende Ansprüche
an den Raum
Überproportionales Wachstum der Siedlungsflächen – Druck auf Ackerland
Die Siedlungsflächen, worunter man Gebäude inklusive deren Umschwung, aber auch Strassen und
Schienen, weitere Infrastrukturen, Sportanlagen etc. versteht, dehnen sich seit Jahrzehnten sehr
8
rasch aus. Obwohl die neuesten Zahlen der Arealstatistik erst für Teile der Schweiz vorliegen, zeichnet sich ab, dass die Siedlungsflächen seit den 1980er Jahren innerhalb von 24 Jahren um fast 24
9
Prozent gewachsen sind. Absolut betrachtet sind dies rund 600 Quadratkilometer neue Siedlungsflä10
chen, was der Fläche des Genfersees entspricht. Knapp ein Drittel der Siedlungsflächen sind Verkehrsflächen, vor allem Strassenareale. Da der Wald in der Schweiz geschützt ist, erfolgt die Ausdehnung der Siedlungen vor allem auf Kosten des Kulturlandes. Mehr als 94 Prozent der neu gebauten
Siedlungsflächen stehen auf ehemaligen Landwirtschaftsflächen, 41 Prozent auf Ackerland. Als ei11
gentliche Ackerlandverbrauchen entpuppen sich die Industrie- und Gewerbeareale.
Zunehmende Zersiedelung bei knappem Bodenangebot
Gemäss einer 2008 publizierten Nationalfonds-Studie hat sich die Zersiedelung der Landschaft zwi12
schen 1935 und 2002 mehr als verdoppelt. Die immer grösseren Distanzen zwischen Arbeit, Wohnen und Freizeit sind ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung. Dabei ist zu bedenken, dass in der
Schweiz weniger als die Hälfte der Landesfläche überhaupt besiedelbar ist. Den Rest nehmen Wälder
13
und unproduktive Flächen (Seen, Fels, Gletscher etc.) ein.
6
BFS (2012): Regionale Disparitäten in der Schweiz, Neuenburg, S.21.
BFS (2010): Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz 2010-2060, Neuenburg, S.27.
BFS (2012): Arealstatistik der Schweiz, Neuenburg. Internet:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/infothek/erhebungen__quellen/blank/blank/arealstatistik/01.html (Zugriff: 7.12.2012).
9
BFS (2012): Online-Indikatoren zur Ergänzung des BIP, Bereich Umwelt – Siedlungsfläche, Neuenburg. Internet:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/00/09/blank/ind42.indicator.420024.420007.html (Zugriff: 7.12.2012).
10
ARE (2012): Zahlen und Fakten zur Raumentwicklung. Online-Faktenblatt Siedlungsflächen, Bern. Internet:
http://www.are.admin.ch/dokumentation/01378/04302/index.html?lang=de (Zugriff am 7.12.2012).
11
BFS (2010): Landschaft Schweiz im Wandel. Siedlungswachstum in der Schweiz, Neuenburg, S.2.
12
Jäger, J., Schwick, C., Kienast, F., Bertiller, R. (2008): Landschaftszersiedelung Schweiz – Quantitative Analyse 1935 bis
2002 und Folgerungen für die Raumplanung, Bern: NFP 54 (Hrsg.), S.41.
13
ARE (2012): Zahlen und Fakten zur Raumentwicklung. Online-Faktenblatt Flächennutzung, Bern. Internet:
7
8
6
Zu grosse Bauzonen und Nutzungsreserven
14
Die Bauzonenstatistik Schweiz zeigt, dass fast ein Fünftel der Bauzonen nicht überbaut sind. Diese
unüberbauten Flächen bieten Platz für weitere rund 1,4 Millionen Personen und damit für mehr Personen, als für die Schweiz in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten sind. Die Grösse der (noch)
nicht überbauten Bauzonen fällt regional unterschiedlich aus: Je städtischer eine Gemeinde ist, desto
kleiner ist in der Regel die unüberbaute Fläche. Die grössten unüberbauten Bauzonen liegen in den
Gürteln der Grosszentren, den Gürteln der Mittelzentren und in den periurbanen ländlichen Gemeinden. Beträchtliche Reserven befinden sich zudem innerhalb der bereits weitgehend überbauten Bauzonen. Dabei handelt es sich zum Beispiel um ehemalige Industrieareale, wenig genutzte Wohngebiete, ehemalige Infrastrukturanlagen und andere bebaute, aber nicht mehr (oder nur teilweise) genutzte
Areale.
Höhere Flächeninanspruchnahme pro Person
Beanspruchte in den frühen 1980er Jahren eine Person im Schnitt 382 Quadratmeter Siedlungsfläche,
15
sind es inzwischen wahrscheinlich mehr als 400 Quadratmeter. Damit wäre der Wert überschritten,
den der Bundesrat in seiner „Strategie Nachhaltige Entwicklung 2012 - 2015“ als Obergrenze festgelegt hat. Die Siedlungsfläche wächst nach wie vor schneller als die Bevölkerung, was nicht nachhaltig
ist. In städtischen Räumen, wo verdichtet wird, liegt das Siedlungsflächenwachstum hingegen deutlich
16
unter der Bevölkerungszunahme.
Steigender Bedarf nach mehr Wohnfläche
Neben dem starken Bevölkerungswachstum in den letzten Jahren wirken sich auch veränderte Wohnpräferenzen auf die räumliche Entwicklung der Schweiz aus. Die Zahl der Wohnungen wächst schneller als die der Bevölkerung. Zwischen 1990 und 2000 betrug die Zunahme der Wohnungen 8 Prozent,
diejenige der Bevölkerung 6 Prozent. Die durchschnittliche Personenzahl pro bewohnte Wohnung
sank damit von 2,4 auf 2,3. Gleichzeitig stieg die durchschnittliche Wohnfläche pro Person von 39 auf
17
44 Quadratmeter. Heute dürfte sie bei 48 bis 50 Quadratmetern liegen. Schätzungen gehen davon
aus, dass die durchschnittliche Wohnfläche pro Person im Jahr 2030 rund 55 Quadratmeter betragen
18
wird. Der Trend zu grösseren Wohnungen ist auf der Nachfrageseite vor allem auf das hohe
Wohlstandsniveau und die Abnahme der Haushaltgrössen zurückzuführen: Die Zahl der Einperso19
nenhaushalte hat sich zwischen 1980 und 2010 fast verdoppelt. Auf der Angebotsseite sind steigende Wohnflächen pro Wohnung zu beobachten. Während eine durchschnittliche Vierzimmerwohnung
aus der Bauperiode 1971-1980 eine Wohnfläche von 100 Quadratmetern aufwies, liegt diese bei den
20
nach 2006 erstellten Vierzimmerwohnungen bei rund 122 Quadratmetern.
Steigende Wohnungspreise
Das hohe Bevölkerungs- und Wohnflächenwachstum hat insbesondere in den wirtschaftlich prosperierenden Regionen den Wettbewerb um attraktive Wohnungen verstärkt und einen starken Preisschub
erzeugt. Namentlich am Genfersee und in der Region Zürich hat die hohe Nachfrage zu erheblichen
21
Preissteigerungen beigetragen. In Genf beispielsweise zahlte man im Jahr 2011 für eine durchschnittliche Vierzimmer-Mietwohnung 2‘550 Franken (Medianobjekt), in La Chaux-de-Fonds lediglich
22
1‘010 Franken.
http://www.are.admin.ch/dokumentation/01378/04308/index.html?lang=de (Zugriff: 7.12..2012).
14
ARE (2008): Bauzonenstatistik Schweiz 2007, Bern, S.14.
15
BFS (2012): Online-Indikatoren zur Bodennutzung und Bodenbedeckung. Siedlungsfläche pro Einwohner, Neuenburg. Internet: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/02/03/blank/key/siedlungsflaeche_pro_einwohner.html (Zugriff:
7.12.2012).
16
ARE (2012): Analyse der Trends der Siedlungsflächenentwicklung im Mittelland, im Jura und in Teilen der Alpen, Bern. S.18f.
17
BFS (2012): Taschenstatistik der Schweiz 2012, Neuenburg, S.22.
18
ARE (2012): Zahlen und Fakten zur Raumentwicklung. Online-Faktenblatt Wohnflächenbedarf, Bern. Vgl. auch: BWO (2012):
Wohnforschung 2012 – 2015. Forschungsprogramm des Bundesamtes für Wohnungswesen, Grenchen, S.13,14.
19
BFS (2012): Familien, Haushalte – Daten Indikatoren. Internet:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/04/blank/key/haushaltstypen.html (Zugriff: 20.07.2012).
20
Bundesrat (2012): Bericht des Bundesrates über die Personenfreizügigkeit und die Zuwanderung in die Schweiz, Bern, S.47.
21
ZHAW (2012): Personenfreizügigkeit und Wohnungsmarkt. Schweiz – Entwicklung 2011, Grenchen: BWO (Hrsg.); S.2,3.
22
Wüest und Partner (2011): Immo-Monitoring 2012/1, Herbstausgabe, Zürich, S.170.
7
Trend zu mehr Einfamilienhäusern
Der Anteil der Einfamilienhäuser am gesamten Gebäudebestand nahm zwischen 1970 und 2010 von
40 auf 58 Prozent zu. Von den jährlich neu erstellten Gebäuden mit Wohnungen sind mehr als 60
Prozent Einfamilienhäuser. Dies trotz entgegengesetzter Bemühungen in der Raumplanungspolitik
23
und trotz Verknappung des Baugrunds.
Herausforderungen
Durch eine weiterhin übermässig starke Ausdehnung der Siedlungsflächen treten vermehrt Umweltund Nutzungskonflikte auf. Zudem geht die Lebensqualität für Menschen, Tiere und Pflanzen zunehmend verloren. Mehr Menschen brauchen mehr Platz, aber die Siedlungsflächen (inklusive der Verkehrs- und Arbeitsflächen) sollten künftig zumindest nicht mehr stärker wachsen als die Bevölkerungszahl. Drei Herausforderungen stehen im Zentrum: Erstens, die Siedlungsentwicklung nach innen
zu lenken, das heisst, sie auf das bereits heute mehrheitlich überbaute Gebiet zu konzentrieren. Zweitens, für ein breites Angebot von Wohn-, Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten in verdichteten Siedlungen
zu sorgen, um so kurze Wege (und weniger Verkehrsflächen) zu fördern, und funktional durchmischte,
lebendige und abwechslungsreiche Siedlungen zu schaffen. Drittens gilt es, mit angemessenen wohnungspolitischen Massnahmen sicherzustellen, dass auch für die wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsgruppen und für Haushalte mit spezifischen Bedürfnissen (ältere Menschen, Menschen mit Behinderung) geeignete und bezahlbare Angebote zur Verfügung stehen.
2.3 Verkehrssysteme stossen an ihre Grenzen
Steigende Kosten
Die Erreichbarkeit ist ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz. Entsprechend viel wurde in den letzten Jahrzehnten in die Mobilität investiert. Die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten für den Verkehr beliefen sich 2005 auf rund 82 Milliarden Franken, wobei der Strassenverkehr rund sechsmal so viel dazu beitrug wie der Schienenverkehr. Im Strassenverkehr waren die
Gesamtkosten zwischen 2003 und 2005 von 65,1 auf 70,5 Milliarden Franken pro Jahr gestiegen; im
Schienenverkehr von 10,3 auf 11,4 Milliarden Franken. Die Gesamtkosten umfassen die Kosten für
die Verkehrsmittel (Anschaffung und Betrieb der Fahrzeuge bzw. Rollmaterial), für die Infrastruktur
(National-, Kantons- und Gemeindestrassen, Schienen) und die externen Kosten (für Sicherheit und
Umwelt). Der Löwenanteil der Kosten entfällt auf die Verkehrsmittel: 67 Prozent im Falle der Strasse,
welche im motorisierten Individualverkehr von den Fahrzeughaltern selber bezahlt werden, und 55
Prozent bei der Schiene. Die Kosten für die Infrastruktur sind im Schienenverkehr mit 40 Prozent be24
deutend, beim Strassenverkehr liegen sie bei 10 Prozent der Gesamtkosten. Auch die externen Kosten des Verkehrs sind beträchtlich, d.h. diejenigen Kosten, die durch die Mobilitätsteilnehmenden verursacht, jedoch nicht von ihnen selber getragen werden (z.B. Unfallkosten, Gesundheitskosten wegen
Luftbelastung, Lärmkosten, u.a.). Im Jahr 2009 verursachte der Verkehr externe Kosten von 9 Milliarden Franken, rund 94 Prozent davon wurden durch den Strassenverkehr verursacht, 6 Prozent durch
25
den Schienenverkehr.
Steigende Nachfrage nach Mobilität
Das hochwertige Angebot an Verkehrsinfrastrukturen in der Schweiz zieht eine grosse Nachfrage
nach sich. Im Durchschnitt legt jede in der Schweiz wohnhafte Person pro Jahr 20‘500 Kilometer mit
irgendeinem Verkehrsmittel oder zu Fuss zurück, zwei Drittel davon im Inland. Pro Tag legt jede in der
Schweiz wohnhafte Person durchschnittlich 37 Kilometer im Inland zurück („Tagesdistanz“). Sie ist
dabei 92 Minuten unterwegs (mit Warte- und Umsteigezeiten). Die Tagesdistanz pro Person hat seit
23
BFS (2012): Taschenstatistik der Schweiz 2012, Neuenburg, S.22. Vgl. auch: BFS (2012): Bau- und Wohnungswesen. Die
wichtigsten Zahlen 2011, Neuenburg. Internet: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/09/01/key.html (Zugriff:
12.12.2012).
24
BFS (2009): Transportrechnung Jahr 2005, Neuenburg, S.5,12.
25
ARE (2012): Externe Kosten 2005-2009. Berechnung der externen Kosten des Strassen- und Schienenverkehrs in der
Schweiz, Bern, S.17.
8
2005 um 4,1 Prozent zugenommen. Diese Zunahme ist auf den öffentlichen Verkehr zurückzuführen:
26
Es wurde vor allem mehr Bahn gefahren. Die neusten Zahlen prognostizieren ein erhebliches
Wachstum des Personenverkehrs auf Schiene und Strasse in der Schweiz: Dieser wird bis 2030 um
einen Viertel wachsen. Die Bahn soll gegenüber dem motorisierten Individualverkehr zwar Anteile
27
gewinnen, das Auto bleibt aber das bevorzugte Transportmittel. 2011 gab es in der Schweiz 4,2
28
Millionen Autos, d.h. mehr als halb so viele Autos wie Einwohner und Einwohnerinnen.
Motorisierter Individualverkehr als Spitzenreiter
Zwei Drittel der durchschnittlichen Tagesdistanz im Inland (24.7 Kilometer) wird mit dem motorisierten
Individualverkehr zurückgelegt, also mit dem Auto oder mit dem Motorrad. Ein Viertel (9.3 Kilometer)
wird mit dem öffentlichen Verkehr (Bahn, Postauto, Bus, Tram) zurückgelegt. Etwas weniger als ein
Zehntel der Tagesdistanz (3.7 Kilometer) wird zu Fuss und mit dem Velo bewältigt („Langsamverkehr“). Der Anteil von Fuss- und Veloverkehr ist allerdings grösser, wenn man statt Distanzen die Unterwegszeit betrachtet. In diesem Fall beträgt er 42 Prozent. Wer in einem Stadtzentrum wohnt, legt im
29
Durchschnitt die kürzesten Tagesdistanzen zurück.
Freizeitreisen als Hauptzweck des Schweizer Verkehrs
Der wichtigste „Verkehrszweck“ ist heute die Freizeit. Rund 40 Prozent der Tagesdistanz (14.8 Kilometer) werden im Zusammenhang mit Freizeitaktivitäten zurückgelegt. Zweitwichtigster Verkehrszweck ist mit rund 24 Prozent die Arbeit. Es folgt mit 13 Prozent der Einkaufsverkehr. Entsprechend ist
auch der Zeitaufwand für die Freizeitwege am grössten: Mit rund 43 Minuten entfallen nicht weniger
als 47 Prozent der täglichen Wegzeit auf diesen Verkehrszweck, gefolgt von Arbeit mit 17 Minuten und
30
Einkauf mit 13 Minuten pro Person und Tag.
Mehr Güterverkehr
Neben dem Personenverkehr spielt auch der Güterverkehr eine wichtige Rolle. Der Güterverkehr auf
Schiene und Strasse in der Schweiz hat zwischen 1980 und 2010 um 85 Prozent zugenommen, was
insbesondere auf die Entwicklung des Strassenverkehrs zurückzuführen ist. Der Güterverkehr auf der
Strasse vermochte seit 1980 viel stärker zuzulegen (+149 Prozent) als jener auf der Schiene (+27
Prozent). 2010 wurden gemäss dem Bundesamt für Statistik insgesamt 27 Milliarden Tonnenkilometer
31
Güter transportiert, als Folge der Finanzkrise weniger als im Rekordjahr 2008. .Die Einheit Tonnenkilometer multipliziert die transportierten Lasten in Tonnen mit den zurückgelegten Distanzen in Kilometer. In den 1970er-Jahren lag die Verkehrsleistung des Schienen-Güterverkehrs noch über derjenigen
32
des Strassenverkehrs; seit den 1980er-Jahren ist die Situation umgekehrt. Der sogenannte Modalsplit hat sich seither zu Gunsten der Strasse entwickelt: Der Anteil der Schiene im Güterverkehr
sank von knapp 53 Prozent im Jahr 1980 auf 36 Prozent im Jahr 2010. In Zukunft dürfte der Güterverkehr weiter wachsen. Die Prognosen des Bundes gehen davon aus, dass die Bahn ihren Marktanteil
33
gegenüber der Strasse (wieder) deutlich steigern kann. Beim alpenquerenden Güterverkehr in der
Schweiz ist nach wie vor die Schiene das wichtigste Transportmittel: 2011 wurden 64 Prozent der
34
Nettotonnen per Bahn durch die Alpen transportiert.
Mehr Flugverkehr
Die Zivilluftfahrt ist eine wichtige Stütze für die Schweizer Wirtschaft. Sie erhöht die Erreichbarkeit und
die Standortgunst. Neben den drei Landesflughäfen und den zehn Regionalflugplätzen gibt es in der
Schweiz 47 Flug- und Segelflugfelder sowie 24 Helikopterlandeplätze (Heliports). Über diese Verkehrsinfrastruktur sind 2009 1.47 Millionen Flugbewegungen (Starts und Landungen) mit über 37.8
Millionen Passagieren abgewickelt worden. Zusätzlich befördern die verschiedenen Luftverkehrsan26
BFS, ARE (2012): Mobilität in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus Mobilität und Verkehr 2010, Neuenburg, S.7-11.
ARE (2012): Ergänzungen zu den schweizerischen Verkehrsperspektiven bis 2030, Bern, S. V,VI.
BFS (2012): Mobilität und Verkehr. Taschenstatistik 2012, Neuenburg, S.13.
29
BFS, ARE (2012): Mobilität in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus Mobilität und Verkehr 2010, Neuenburg, S.8,9.
30
BFS, ARE (2012): Mobilität in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus Mobilität und Verkehr 2010, Neuenburg, S.8.
31
BFS (2012): Mobilität und Verkehr. Taschenstatistik 2012, Neuenburg, S.6,20.
32
UVEK (2011): Faktenblätter 2011 Verkehrspolitik des Bundes, Bern, S. 21.
33
ARE (2012): Ergänzungen zu den schweizerischen Verkehrsperspektiven, Bern, S.VII.
34
BFS (2012): Mobilität und Verkehr. Taschenstatistik 2012, Neuenburg, S.23.
27
28
9
35
bieter fast 320‘000 Tonnen Fracht. Laut Prognosen wird sich das Passagieraufkommen auf den
36
Schweizer Flughäfen bis ins Jahr 2020 auf 52.7 Millionen erhöhen. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der zivilen Luftfahrt summiert sich auf 9.7 Milliarden Franken mit total 52‘400 Vollzeitstellen
(Wertschöpfung und Beschäftigung von Flughafenunternehmen und Zulieferern). Im Vergleich zum
37
Jahr 2004 sind dies rund 10‘000 Vollzeitstellen mehr. Im Bereich der Infrastruktur stösst die Schwei38
zer Luftfahrt, vor allem auf den Flughäfen Zürich und Genf, aber zunehmend an Kapazitätsgrenzen.
Folgen für die Umwelt
Die zunehmende Mobilität der Menschen hat starke Auswirkungen auf die Umwelt. Die Verkehrsanlagen beanspruchen rund einen Drittel der Siedlungsfläche. Fast 90 Prozent aller Grenzwertüberschreitungen des Lärms gehen auf das Konto der Strasse. Der Verkehr ist für rund einen Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Ein Drittel aller in der Schweiz konsumierten Energie wird von
39
Verkehrsmitteln verbraucht.
Herausforderungen
Das polyzentrische Städtesystem der Schweiz ist einerseits auf effiziente Verkehrsverbindungen angewiesen. Andererseits ist die kleinräumige und disperse Siedlungsstruktur der Schweiz eine grosse
verkehrspolitische Herausforderung, denn verstreut gebaute Siedlungen mit wenig Einwohnern führen
zu hohen Erschliessungskosten. Die Frage stellt sich, welche Gebiete künftig in welcher Qualität erschlossen sein sollen. Finanzielle und ökologische Grenzen engen den Handlungsspielraum ein, so
dass offen ist, ob der bestehende Standard der Verkehrserschliessung erhalten oder sogar noch verbessert werden kann. Flächenverbrauch und Kosten lassen sich eindämmen, wenn beim Ausbau und
der Sanierung von Verkehrsträgern eine kompakte, funktional durchmischte Siedlungsentwicklung und
umweltfreundliche Formen der Mobilität unterstützt werden, beispielsweise durch kurze Wege zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit oder durch die Förderung des Langsamverkehrs. Zudem gilt es,
die Schweiz opti maler ans internationale Verkehrsnetz anzuschliessen. Neben schon beschlossenen
Ausbauten sind weitere technisch und finanziell anspruchsvolle Anschlüsse in Planung, beispielsweise die Weiterführung der NEAT nach Italien. In der Luftfahrt besteht das Ziel darin, die Schweiz optimal an die europäischen und globalen Zentren anzubinden.
2.4 Agrarlandverlust im Mittelland, Waldzuwachs im Berggebiet
37 Prozent der Landesfläche ist Landwirtschaftsland - Tendenz sinkend
1995 wurden in der Schweiz 15 250 km² Landwirtschaftsland gezählt. Das entsprach rund 37 Prozent
der Landesfläche. Gegenüber 1983 waren 482 km² verschwunden - eine Abnahme von 3.1 Prozent in
40
zwölf Jahren. Rund ein Drittel dieses Landwirtschaftslandes sind Ackerböden. Zahlen für 2007 liegen noch nicht schweizweit vor, aber aufgrund der Teilresultate zeichnet sich ein weiterer Rückgang
ab. Die Landwirtschaftsfläche dürfte heute bei unter 15 000 km² liegen.
Jede Sekunde geht ein Quadratmeter Landwirtschaftsfläche verloren
Seit Jahrzehnten geht in der Schweiz laufend Kulturland verloren. Jede Sekunde verschwindet rund
ein Quadratmeter Landwirtschaftsfläche. Im Mittelland ist die Hauptursache dafür das massive Siedlungswachstum. Über 90 Prozent aller neuen Siedlungsflächen entstehen auf ehemaligem Landwirtschaftsland (vgl. Kapitel 2.2). In den Bergregionen hingegen ist ein anderer Prozess im Gange: Aufgrund der nachlassenden Bewirtschaftung breitet sich immer mehr Busch- und Waldland auf den
35
INFRAS (2011): Volkswirtschaftliche Bedeutung der Zivilluftfahrt in der Schweiz, Bern: BAZL, Aerosuisse (Hrsg.): S.5.
Intraplan (2005): Entwicklung des Luftverkehrs in der Schweiz bis 2030 – Nachfrageprognose, Bern: BAZL (Hrsg.): S.6.
INFRAS (2011): Volkswirtschaftliche Bedeutung der Zivilluftfahrt in der Schweiz, Bern: BAZL, Aerosuisse (Hrsg.): S.9.
38
Infraplan (2012): Monitoring der Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Luftverkehrs (Management Summary), Bern: BAZL
(Hrsg.), S.1,2.
39
UVEK (2011): Faktenblätter 2011 Verkehrspolitik des Bundes, Bern, S. 80ff.
40
BFS (2012): Arealstatistik Schweiz, Neuenburg. Internet:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/02/03/blank/key/01/zustand_und_entwicklung__tabelle.html (Zugriff:
7.12.2012).
36
37
10
ehemaligen Berglandwirtschaftsflächen aus.
41
Strukturwandel in der Landwirtschaft
Mit dem Rückgang der Landwirtschaftsfläche geht ein Strukturwandel in der Landwirtschaft einher. Die
Zahl der Betriebe sinkt seit Jahrzehnten, allein zwischen 2000 und 2011 ist sie von 70‘000 auf 57‘600
gesunken. Die durchschnittliche Nutzfläche pro Betrieb ist derweil von 15 auf rund 18 Hektaren ge42
stiegen. Der Anteil der hauptberuflich geführten Betriebe liegt bei rund 70 Prozent. Die Frage, wie
mit leer stehenden ehemaligen Landwirtschaftsbauten umzugehen ist, aber auch neue Bedürfnisse in
der Landwirtschaftszone – wie der Bedarf nach neuen oder angepassten landwirtschaftlichen Gebäuden – erschweren die raumplanerisch erwünschte Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet.
Herausforderungen
Vor allem beim Schutz von landwirtschaftlichen Kulturflächen im Mittelland und den Tälern fällt der
Raumplanung eine entscheidende Rolle zu: Sie kann Kulturland erhalten, indem sie die Siedlungen
begrenzt. Eine weitere Zersiedelung der Landschaft durch hohen Flächenkonsum bei geringer Ausnützung muss vermeiden werden. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft ist nicht nur eine Herausforderung für die Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet, sondern auch für die wirtschaftliche und
soziale Entwicklung von peripheren ländlichen Regionen. In den alpinen Regionen und im Jura kann
der Fokus auf die Pflege der touristisch attraktiven, traditionellen Landschaften der Berglandwirtschaft
gerichtet werden. Wichtig ist auch, Instrumente zu schaffen, um eine unerwünschten Verbuschung
und Verwaldung zu vermeiden. Die Raumplanung kann die verschiedenen Interessen koordinieren.
2.5 Natur und Landschaft verlieren an Qualität
Lebensräume unter Druck
Die Schweiz ist reich an Kultur- und Naturlandschaften. Die Landschaftstypologie von ARE, BAFU und
43
BFS zeigt die Vielfalt der Landschaftsräume. Sie beschreibt 38 zum Teil sehr unterschiedliche Landschaftstypen, von der Tal- und Beckenlandschaft des Faltenjuras bis zur Felssteppenlandschaft. Obwohl harmonische Landschaftsbilder die Wahrnehmung im In- und Ausland dominieren, trügt der
Schein oft: die Qualität der Landschaften hat in den vergangenen Jahrzehnten wegen der Ausbreitung
von Siedlungen, Strassen und weiteren Infrastrukturen abgenommen. Laufend verschwinden Lebensräume für Tiere und Pflanzen, und die Grösse der zusammenhängenden, offenen und unüberbauten
Flächen nimmt ab. Erste positive Ergebnisse der Bemühungen für eine Revitalisierung der Landschaft
(z.B. bei den Fliessgewässern) sind zwar sichtbar. Doch insgesamt steht die Landschaft aufgrund der
44
hohen – und wachsenden – Nutzungsansprüche unter Druck.
Artenvielfalt gefährdet
Die landschaftlichen Entwicklungen beeinflussen auch die Artenvielfalt. Das Biodiversitätsmonitoring
45
Schweiz hält fest, dass die Biodiversität massgeblich durch den Landschaftswandel, das Siedlungswachstum, die sich ändernde Landwirtschaft (Aufgabe von Flächen in den Alpen, intensivere Bodenbewirtschaftung im Mittelland) und den Klimawandel beeinflusst wird. Die Biodiversität ist im Mittelland
und in den grossen Alpentälern stark beeinträchtigt, speziell in den offenen Landschaften (aufgrund
von Flächenverlusten, Zerschneidung, Qualitätseinbussen) sowie in und entlang der Gewässer (zu
wenig Raum, künstliche Barrieren, fehlende Vernetzung). Im Gebirge befinden sich die letzten gros41
ARE (2012): Faktenblatt „Kulturlandverlust“, Bern. Internet:
http://www.are.admin.ch/dokumentation/01378/04320/index.html?lang=de (Zugriff: 7.12.2012).
42
BFS (2012): Landwirtschaftliche Betriebsstrukturerhebung 2011, Neuenburg, Internet:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/07/01/new.html (Zugriff: 7.12.2012).
43
ARE/BAFU/BFS (2012): Landschaftstypologie Schweiz. Teil 1, Ziele, Methoden und Anwendung, Bern. Internet:
http://www.are.admin.ch/themen/raumplanung/00244/04456/index.html?lang=de (Zugriff: 7.12.2012).
44
ARE (2012): Faktenblatt „Landschaftsveränderungen“, Bern. Internet:
http://www.are.admin.ch/dokumentation/01378/04468/index.html?lang=de (Zugriff: 7.12.2012).
45
BAFU (2012): Biodiversitätsmonitoring Schweiz, Bern. Internet: http://www.biodiversitymonitoring.ch/de/home.html (Zugriff:
7.12.2012).
11
sen Räume mit weitgehend intakter Biodiversität. Die Vielfalt ist im Siedlungsraum überraschend
46
gross – meist besteht sie jedoch aus wenig anspruchsvollen Arten.
Landschaftszerschneidung im Mittelland
Im so genannten periurbanen Raum, im Einzugsbereich der grossen Agglomerationen, waren in den
47
letzten Jahrzehnten hohe Bevölkerungszuwächse verzeichnen. Die hier typischen, eng verzahnten
Siedlungs- und Kulturlandschaften (mit Siedlungen, Wald und Landwirtschaft) werden immer stärker
zerschnitten, d.h. durch Autobahnen, Verbindungsstrassen, Eisenbahnen und neue Siedlungen in
kleinere, getrennte Flächen unterteilt. Die die Landschaftszerschneidung hat sich im Mittelland in den
letzten 30 Jahren verdoppelt. Es gibt hier – im Gegensatz zu vielen alpinen Regionen – kaum noch
48
grössere unzerschnittene Flächen. Für die Tiere bedeutet die zunehmende Zerschneidung der
Landschaft, dass sie sich nicht frei bewegen können. Dies ist jedoch eine wichtige Bedingung für die
Fortpflanzung und damit das Überleben der Arten.
Entwicklung von Landschaften wird wichtiger
Der Schutz von Landschaften ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Kantonen und Gemeinden.
Dazu gibt es Schutzinstrumente, vermehrt aber auch aktive Entwicklungsstrategien. Auf Bundesebene
bildet das Landschaftskonzept Schweiz (1997) die Richtschnur für den Natur- und Landschaftsschutz bei
Bundesaufgaben. Heute sind 19 Prozent der Landesfläche der Schweiz im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) aufgeführt. Für die nachhaltige Entwicklung von weiträumigeren Landschaften wurde zudem 2007 ein Förderinstrument für regionale
Naturpärke, Nationalpärke und Naturerlebnispärke geschaffen. Zurzeit existieren neben dem Nationalpark bereits zehn regionale Naturpärke, und eine Vielzahl von Kandidaten bewirbt sich um das
49
Park-Label.
Herausforderungen
Das Siedlungswachstum, unsere Mobilität, der Strukturwandel der Landwirtschaft und die Freizeitgesellschaft haben unsere Landschaften und die Biodiversität verändert. Im Mittelland, teils auch im
Berggebiet hat die Vielfalt der Landschaften, der Lebensräume sowie der Fauna und Flora abgenommen. Auch eher naturnahe Gebiete in den Alpen oder im Jura haben an Qualität eingebüsst. Der langfristige Erhalt, aber auch die Weiterentwicklung der Vielfalt von Landschaften und Lebensräumen ist
eine Herausforderung. Die Raumentwicklung steht vor der Aufgabe, die Antworten auf den Klimawandel, auf Änderungen in der Land- und Waldwirtschaft sowie neue Formen des Tourismus und der
Freizeitgestaltung so aufeinander abzustimmen, dass die natürlichen Ressourcen gesichert und Natur
und Landschaft erhalten und aufgewertet werden. Die Landschaftszerschneidung sollte verringert
werden. Vor allem im periurbanen Raum stellt der Nutzungsdruck hohe Anforderungen an die Raumplanung: Sie hat für eine geordnete Siedlungsentwicklung zu sorgen, aber auch für Freiräume in den
Siedlungen und den Erhalt von weitgehend unüberbauten Landschaften. Nicht zuletzt sind auch in
urbanen Gebieten attraktive Erholungsgebiete zu gestalten und die Biodiversität zu fördern.
2.6 Energieverbrauch und Interessenkonflikte nehmen zu
Starke Zunahme des Energieverbrauchs, insbesondere im Verkehr
Der Energieverbrauch hat sich aufgrund des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums sowie neuen
50
Nutzungen seit 1950 mehr als verfünffacht. Insbesondere der Verbrauch von Brenn- und Treibstof46
BAFU (2012): Zustandsbericht Biodiversität, Bern. Internet:
http://www.bafu.admin.ch/umwelt/status/03968/index.html?lang=de (Zugriff: 7.12.2012).
47
ARE (2012): Faktenblatt „Räumliche Bevölkerungsverteilung“, Bern. Internet:
http://www.are.admin.ch/dokumentation/01378/04466/index.html?lang=de (Zugriff: 7.12.2012).
48
BAFU (2012): Indikator Landschaftszerschneidung, Bern. Internet:
http://www.bafu.admin.ch/umwelt/indikatoren/08611/08668/index.html?lang=de (Zugriff: 7.12.2012).
49
BAFU: Verzeichnis der Schweizer Pärke, Bern. Internet: http://www.bafu.admin.ch/paerke/06579/index.html?lang=de (Zugriff:
7.12.2012).
50
BFS (Februar 2012): Panorama, Neuenburg, S.2. Internet: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/08/01/pan.html
12
fen (Erdölprodukte), Elektrizität und Erdgas hat seit 1950 stark zugenommen. Im Jahr 2011 betrug der
Anteil der fossilen Energieträger (Brenn- und Treibstoffe, Gas, Kohle) am Endenergieverbrauch
51
(Energie, welche die Konsumenten beziehen und verbrauchen) in der Schweiz 66,6 Prozent. Der
Anteil der erneuerbaren Energien am Energieendverbrauch nahm zwischen 1990 und 2011 von 16
52
auf 19 Prozent zu, ist aber im Vergleich zu den fossilen Energieträgern noch eher tief. Die grösste
Verbrauchergruppe bildet der Verkehr, der für mehr als einen Drittel des Energieverbrauchs verantwortlich ist (Jahr 2011: 36%), gefolgt von den Haushalten (27%), der Industrie (19%) und den Dienstleistungen (16%). Seit 1990 ist der Energieverbrauch des Verkehrs auch absolut am stärksten gestie53
gen.
Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und dem Ausland
Die Schweiz verfügt mit Ausnahme von Wasserkraft und Brennholz über geringe Energievorkommen
und ist damit in hohem Mass auf Importe angewiesen. Importiert werden Erdöl (Rohöl, Brenn- und
Treibstoffe), Erdgas, Kohle und Kohleprodukte, nukleare Brennelemente und in den Wintermonaten
Elektrizität. Aktuell bezieht die Schweiz rund 80 Prozent ihrer Energie aus dem Ausland. Den Höhepunkt der Erdölabhängigkeit vom Ausland erreichte die Schweiz zu Beginn der 1970er Jahre; seither
ist der Erdölanteil rückläufig, aber immer noch hoch. Seit den 1970er Jahren hat aber Erdgas an Be54
deutung gewonnen.
Neue Energiestrategie: weg von der Kernkraft bei der Stromproduktion
Strom wird in der Schweiz vor allem durch Wasser und Atomenergie erzeugt. 2011 übernahmen die
Schweizerischen Wasserkraftwerke 53,7 Prozent der inländischen Stromversorgung, die fünf einheimischen Kernkraftwerke 40,7 Prozent. Die anderen Stromerzeugungsarten (fossil-thermische Kraftwerke, Kehrrichtverbrennung, Holz, Wind, Photovoltaik und Biogas) machen nur wenige Prozente
aus.55 Die Stromproduktion aus Wasserkraft, Sonne, Wind, Biomasse und erneuerbaren Abfällen hat
56
aber seit 1990 kontinuierlich zugenommen. Am 25. Mai 2011 beschloss der Bundesrat, aus der
Atomenergie auszusteigen. Die fünf Kernkraftwerke sollen am Ende ihrer Betriebsdauer stillgelegt und
keine neuen gebaut werden. Im Jahr 2034 dürfte damit das letzte Schweizer Kernkraftwerk vom Netz
gehen.57 Um den Verzicht auf Kernkraftwerke zu kompensieren, setzt sich der Bundesrat für eine neue
Energiestrategie ein. Diese will den Stromverbrauch stabilisieren und die schrittweise wegfallende
Produktion der Kernkraftwerke durch Wasserkraft, weitere neue erneuerbare Energien, und solange
nötig, durch fossile Wärmekraftkoppelungsanlagen sowie Gaskombikraftwerke und Stromimporte ersetzen. Zudem müssen die Stromnetze rasch modernisiert und ausgebaut werden. Ein Grossteil unseres Stromnetzes ist über 40 Jahre alt und erneuerungsbedürftig.58 Als neue Technik bieten sich „intelligente“ Stromnetze (Smart Grids) an. Diese integrieren sämtliche Akteure – auch dezentrale kleine
Energielieferanten und die Verbraucher – in ein Gesamtsystem und sorgen dafür, dass stets nur so
viel Energie produziert wird wie benötigt.
Potenziale der erneuerbaren Ressourcen
Die erneuerbaren Energien haben Ausbaupotenzial im Strom- und Wärmebereich, jedoch sind technische Hürden oder Ressourcenkonflikte zu überwinden. In allen Regionen der Schweiz kann die eine
oder andere Ressourcennutzung Bedeutung haben. Die Wasserkraft kann durch Verbesserungen an
59
bisherigen Anlagen und allenfalls neue Anlagen noch etwas ausgebaut werden. Die Photovoltaik
(Solarenergie), die erst einen kleinen Anteil an der Stromgewinnung hat, kann noch deutlich ausge(Zugriff: 12.12.2012).
51
BFE (2012): Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2011, Bern, S.3, Tabelle 1 (Erdölbrennstoffe, Treibstoffe, Gas, Kohle)
52
BFE (2012): Schweizerische Statistik der erneuerbaren Energien. Ausgabe 2011 (Vorabzug), Bern, S.5, Tabelle 2.
53
BFE (2012): Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2011, Bern, S.3 (Tabelle 2), S. 26, 27.
54
BFS (Februar 2012): Panorama, Neuenburg, S.1,2.
55
BFE (2012): Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2011, Bern, S.37.
56
BFE (2012): Bundesrat sieht grosses Potenzial für die erneuerbare Stromproduktion. Medienmitteilung vom 14. 09. 2012,
Bern. Internet: http://www.bfe.admin.ch/energie/00588/00589/00644/index.html?lang=de&msg-id=45945 (Zugriff: 12.12.2012).
57
Der Schweizerische Bundesrat (2012): Bundesrat beschliesst im Rahmen der neuen Energiestrategie schrittweisen Ausstieg
aus der Kernenergie. Medienmitteilung vom 25. Mai 2011, Bern. Internet:
http://www.bfe.admin.ch/energie/00588/00589/00644/index.html?lang=de&msg-id=39337 (Zugriff: 12.12.2012).
58
BFE (2012): Energiestrategie 2050. Bericht des Teilprojekts Energienetze und Ausbaukosten, Bern, S.3
59
BFE (2011): Faktenblatt zu Ausbaupotenzial Wasserkraftnutzung, Bern. Internet:
http://www.bfe.admin.ch/themen/00526/00527/index.html?lang=de&dossier_id=05024 (Zugriff: 26.7.2012).
13
60
baut werden. Ihre Stärke liegt in der Dezentralität, hingegen ist die schwankende zeitliche Produkti61
on eine Herausforderung. Auch die Windenergie hat Ausbaupotenzial. Ihre Vorteile (z.B. wenig Bodenverbrauch) müssen stets gegen Interessen des Landschaftsschutzes abgewogen werden. Bei der
Geothermie ist das Potenzial hoch, vor allem für die Produktion von Strom ist die praktische Umsetzung aber noch in Abklärung. Bei der Nutzung von Erdwärme steht die Schweiz aber bereits weltweit
62
an der Spitze. Bei Holz und Biomasse ist ein Ausbau möglich, er steht aber in Konkurrenz zu andern
63
Ansprüchen (Nahrung, Futternutzung) und ist daher Limiten unterworfen.
Siedlungen mit hohem Energieverbrauch
Über 40 Prozent des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen in der Schweiz fallen im Gebäudebereich an. Der überwiegende Teil aller Wohnungen wird mit fossilen Brennstoffen beheizt: Heizöl ist
64
noch immer der mit Abstand wichtigste Energieträger für die Heizung. Bund und Kantone setzen
deshalb seit 2010 mit einem „Gebäudeprogramm“ Anreize, um den fossilen Energieverbrauch von
Gebäuden zu senken und Sanierungen anzustossen. Grundlage für das „Gebäudeprogramm“ bildet
65
das CO2-Gesetz; darin verankert ist die CO2-Abgabe auf Brennstoffe. In Siedlungen entstehen ausserdem Energieverluste durch schlechte Isolierungen, aber auch durch eine wenig kompakte Anordnung von Gebäuden und entsprechend lange Verkehrswege dazwischen. Mehrere hundert Städte und
Gemeinden haben jedoch in den letzten Jahren ihre Energiebilanz verbessert und das Label „Energiestadt“ des gleichnamigen Trägervereins erworben.
Herausforderungen
Mit der neuen Energiepolitik ist die Gesellschaft mehr denn je gefordert, massgeblich zu einer Senkung des Ressourcenverbrauchs beizutragen und den Ausbau erneuerbarer Energien inklusive der
Wasserkraft zu fördern. Die zunehmende Nutzung von dezentralen erneuerbaren Energieträgern wie
Wind und Wasser, aber auch die nötigen Pumpspeicherkraftwerke zur Speicherung der Energie dürften dabei vermehrt zu Konflikten mit dem Natur- und Landschaftsschutz führen. Eine vorausschauende Planung und die Zusammenarbeit aller drei Staatsebenen helfen, räumliche Konflikte zu minimieren. Kompakte Raumstrukturen zu schaffen bleibt ebenfalls eine zentrale Herausforderung, denn diese können zu einer energiesparenderen und -effizienteren Abwicklung des Verkehrs beitragen, indem
sie kürzere Wege ermöglichen und das rentable Betreiben öffentlicher Verkehrsnetze erlauben. Weitere Herausforderungen stellen die energieeffiziente (Um-)Gestaltung der Gebäude und Siedlungen, die
Erneuerung der Strom-Verteilnetze sowie die Einbindung in das europäische Stromnetz dar.
2.7 Klima wandelt sich, Extremereignisse häufen sich
Globale Erwärmung
Die durchschnittliche Lufttemperatur an der Land- und Wasseroberfläche hat sich global zwischen
66
1906 und 2005 um 0,74 Grad Celsius (°C) erhöht. Die über den gleichen Zeitraum in der Schweiz
gemessene Erwärmung liegt sogar über dem globalen Mittel. Sie beträgt in der Westschweiz 1,6 °C,
in der Deutschschweiz 1,3 °C und auf der Alpensüdseite 1,0 °C. Laut dem vierten Zustandsbericht des
Weltklimarats (IPCC) ist klar, dass menschliche Aktivitäten an der globalen Temperaturerhöhung seit
1750 beteiligt sind. Der grösste Teil des Anstiegs der mittleren globalen Temperatur seit Mitte des 20.
60
BFE (2012): Solarenergie, Bern. Internet: http://www.bfe.admin.ch/themen/00490/00497/index.html?lang=de (Zugriff:
12.12.2012).
61
BFE (2012): Windenergie, Bern. Internet: http://www.bfe.admin.ch/themen/00490/00500/index.html?lang=de (Zugriff:
12.12.2012). Vgl. auch: ARE/BAFU/BFE (2004): Konzept Windenergie Schweiz, Bern.
62
BFE (2012): Geothermie, Bern. Internet: http://www.bfe.admin.ch/themen/00490/00501/index.html?lang=de (Zugriff:
12.12.2012).
63
BFE (2012): Biomasse, Bern. Internet: http://www.bfe.admin.ch/themen/00490/00496/index.html?lang=de (Zugriff:
12.12.2012).
64
BFS (2011): Bau- und Wohnungswesen 2010, Neuenburg, S.19. BWO (2012): Wohnen und Energie. Internet:
http://www.bwo.admin.ch/themen/00235/00239/index.html?lang=de (Zugriff: 12.12.2012).
65
BAFU (2012): Das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen, Bern. Internet:
http://www.bafu.admin.ch/klima/00493/09555/index.html?lang=de (Zugriff: 12.12.2012).
66
Intergovernmental Panel on Climate Change IPPC (2007): Climate Change 2007: The Physical Science Basis, Contribution of
Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Cambridge, S.237.
14
Jahrhunderts könne sehr wahrscheinlich auf den Anstieg der vom Menschen verursachten Treibhausgaskonzentration zurückgeführt werden.67 Insbesondere das Verbrennen fossiler Energieträger und
der damit verbundene Ausstoss des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) verstärkt den „Treibhauseffekt“. Bis zum Jahr 2050 erwartet der Weltklimarat einen Anstieg der globalen Jahresmitteltemperatur
zwischen 0,8 und 2,4°C und bis Ende des Jahrhunderts um 1,4 bis 5,8°C (verglichen mit 1990).68 Der
Klimabericht der Weltbank warnt davor, dass es auf der Erde bis Ende dieses Jahrhunderts vier Grad wärmer
69
werden könnte.
Jahreszeiten verändern sich
Der Klimawandel verändert den Charakter der Schweizer Jahreszeiten. In den vergangenen 50 Jah70
ren ist der Sommer hierzulande rund 2,5°C, der Winter rund 1,5°C wärmer geworden. Modellrechnungen zufolge wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Bis 2060 wird im Sommer ein zusätzlicher
Temperaturanstieg um 1,7 bis 3,7 °C und im Winter um 1,3 bis 3,3 °C gegenüber der Referenzperiode
71
1980-2009 erwartet, falls keine Interventionsmassnahmen umgesetzt werden. Im Sommer sind Hitzewellen und Trockenperioden wahrscheinlicher. Extreme Sommer wie 2003 könnten bis Ende des
Jahrhunderts zur Norm werden. Im Sommer dürfte es deutlich weniger regnen. Im Winter dürfte die
Zahl der kalten Wintertage und -nächte abnehmen. Weil die Schneefallgrenze ansteigt, wird mit einer
Verschiebung von festem Niederschlag (Schnee) hin zu flüssigem Niederschlag (Regen) gerechnet.
72
Grosse Schneemengen fallen häufig nur noch in höheren Lagen. Die Schneeschmelze setzt früher
ein, so dass die Flüsse im Winter und Frühling eher mehr, im Sommer und Herbst hingegen weniger
Wasser führen.
Extremereignisse wie Hochwasser nehmen zu
Allgemein begünstigt die Erwärmung Extremereignisse wie Hitzewellen, Stürme, Starkregen und
Überschwemmungen. Extreme Niederschläge, Hochwasser und Murgänge dürften im Winter zunehmen, könnten aber - trotz geringeren Gesamtniederschlagsmengen - auch im Frühling und Sommer
73
häufiger auftreten. Vor allem im Mittelland, im Wallis und Tessin werden Hochwasser und besonders
74
Niedrigwasserereignisse wahrscheinlich vermehrt auftreten.
Landschaften verändern sich
Die in der Schweiz augenfälligste Veränderung ist der Rückgang der Gletscher. Seit dem Ende der
kleinen Eiszeit (um 1850) hat das Volumen der Schweizer Gletscher um gut die Hälfte abgenommen.
Bei einer mittleren Erwärmung wird die Fläche der Alpengletscher bis 2050 voraussichtlich um drei
Viertel abnehmen. Kleine Gletscher verschwinden. Zudem taut der Permafrost nach und nach auf.
Schrumpfende Gletscher und tauender Permafrost setzen Schutt und lockeres Gesteinsmaterial frei,
was vermehrt zu Steinschlag, Stein- und Gerölllawinen sowie Murgängen führt. Auch die Flora und
75
Fauna verändert sich und dürfte sich jener in tiefer und südlicher gelegenen Regionen annähern.
67
Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC 2007: Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger. In: Klimaänderung 2007: Auswirkungen, Anpassung, Verwundbarkeiten. Beiträge der Arbeitsgruppen I, II und III zum Vierten
Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderung (IPCC), Cambridge, UK. Deutsche Übersetzung
durch ProClim, österreichisches Umweltbundesamt, deutsche IPCC Koordinationsstelle, Bern/Wien/Berlin, 2007, S.10.
68
OcCC, ProClim (2007): Klimaänderung und die Schweiz 2050. Erwartete Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft, Bern, S.12.
69
The World Bank (November 2012): Turn Down the Heat: Why a 4°C Warmer World Must be Avoided, Washington DC. Internet: http://climatechange.worldbank.org/content/climate-change-report-warns-dramatically-warmer-world-century (Zugriff:
12.12.2012).
70
MeteoSchweiz (2012), Zürich. Die Temperaturzunahme ist in folgender Grafik im Internet ersichtlich:
http://www.meteoswiss.admin.ch/web/en/climate/climate_today/trends_in_switzerland.html . (Zugriff: 12.12.2012)
71
CH2011 (2011): Swiss Climate Change Szenarios CH2011, published by C2SM, MeteoSwiss, ETH, NCCR Climate, and
OcCC, Zürich, Anhang S. 79, Tabelle A3, Szenario A1B und A2.
72
CH2011 (2011): Swiss Climate Change Szenarios CH2011, published by C2SM, MeteoSwiss, ETH, NCCR Climate, and
OcCC, Zürich, S.7,8.
73
OcCC, ProClim (2007): Klimaänderung und die Schweiz 2050. Erwartete Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Bern. S.17,18. Vgl. auch BAFU (2012): Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz – Ziele, Herausforderungen und
Handlungsfelder. Erster Teil der Strategie des Bundesrates vom 2. März 2012, Bern, S.10-13.
74
BAFU (2012): Auswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Gewässer. Synthesebericht zum Projekt «Klimaänderung und Hydrologie in der Schweiz» (CCHydro), Bern, S. 8,9,64.
75
OcCC, ProClim (2007): Klimaänderung und die Schweiz 2050. Erwartete Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Bern. S.19,20, 31. Vgl. auch BAFU (2012): Auswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Gewässer.
Synthesebericht zum Projekt «Klimaänderung und Hydrologie in der Schweiz» (CCHydro), Bern, S. 32-35.
15
Wärmeinsel-Effekt in den Städten und Agglomerationen
Das Leben in Städten und Agglomerationen wird voraussichtlich von stärkeren Hitzewellen geprägt
sein. In Städten kann die Wirkung hoher Temperaturen durch lokale Effekte verstärkt werden: Die
eingeschränkte Windzirkulation, der Mangel an Beschattung und Grünflächen, die Abwärme von Gebäuden, Industrie und Verkehr sowie versiegelte Böden, welche die Hitze absorbieren, tragen zum so
genannten „Wärmeinsel-Effekt“ bei. Dieser bedeutet eine Aufheizung tagsüber und weniger Abkühlung nachts. Bereits heute werden maximale Temperaturunterschiede zwischen Zentrumstädten von
76
Agglomerationen und dem umliegenden ländlichen Raum von bis zu 10 Grad Celsius festgestellt.
Folgen für die Volkswirtschaft
Die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels sind schwer abschätzbar. Eine Studie von 2007 geht
jedoch davon aus, dass die Schweiz im Falle einer globalen Erwärmung von 3 Grad bis ins Jahr 2100
mit Wohlfahrtsverlusten rechnen muss. Sie werden für das Jahr 2050 auf eine Milliarde Franken geschätzt, steigen danach aber kräftig an. Die grössten klimabedingten Schäden sind im Energiebereich
(v.a. Verluste bei Stromproduktion in Wasserkraftwerken, steigende Kosten für Klimaanlagen) und im
77
Wintertourismus zu erwarten. Eine zweite Studie kommt zum Schluss, dass die internationalen Einflüsse insgesamt bedeutender ausfallen dürften als die direkten Auswirkungen der Klimaänderung in
der Schweiz: Klimaänderungen in anderen Weltregionen haben gewichtige Folgen für die Schweizer
Waren- und Dienstleistungsexporte, den internationalen Kapitalverkehr, die Migration sowie Ressour78
cenströme.
Herausforderungen
Die Schweiz hat sich mit dem CO2-Gesetz verpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 20
Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Sie will so dazu beitragen, den globalen
Temperaturanstieg auf weniger als 2 Grad Celsius zu beschränken. Der Bundesrat will die Folgen des
79
Klimawandels bis 2050 zudem mit einer Anpassungsstrategie und entsprechenden Massnahmen
bewältigen. Absehbar ist beispielsweise, dass die Tourismusbranche vor einschneidenden Veränderungen steht, vor allem wegen der geringeren Schneesicherheit im Winter. Auch die Wasser- und
Energiewirtschaft, der Siedlungs- und der Infrastrukturbereich sowie die Landwirtschaft müssen sich
auf andere Bedingungen einstellen. Die Raumplanung ist gefordert, möglichst widerstandsfähige,
robuste Raumstrukturen zu entwickeln. Dazu gehören u.a. Freiräume in urbanen Räumen, energetisch optimierte Gebäude, eine landschaftsverträgliche Anpassung der Tourismusinfrastrukturen im
Alpenraum, das Abwägen von Nutzung und Landschaftsschutz beim Aufbau neuer Anlagen zur Energiegewinnung, die Naturgefahrenprävention und das Vermeiden von Bauten in Gefahrenzonen.
2.8 Wirtschaftliche Entwicklung konzentriert sich in Metropolitanregionen
Beschäftigung konzentriert sich im urbanen Raum
Arbeitsplätze in der Schweiz konzentrieren sich zunehmend im urbanen Raum. Zwischen 1995 und
2008 nahm die Beschäftigung im Industrie- und Dienstleistungssektor gesamtschweizerisch um 10,2
Prozent zu. Besonders hohe Zuwachsraten waren in den Metropolitanräumen Genf-Lausanne (+18,2
76
BAFU (2012): Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz – Ziele, Herausforderungen und Handlungsfelder. Erster Teil
der Strategie des Bundesrates vom 2. März 2012, Bern, S. 9.
77
Nicht berücksichtigt sind katastrophale, aber unsichere Ereignisse, ein verändertes Landschaftsbild sowie Auswirkungen auf
Ökosysteme (z.B. Artenverlust). Ecoplan/Sigmaplan (2007): Auswirkungen der Klimaänderung auf die Schweizer Volkswirtschaft (nationale Einflüsse), im Auftrag des BAFU/BFE, Bern. Vgl. auch: BAFU (2007): Kosten der Klimaänderung für die
Schweiz (Faktenblatt 1), Bern. (Zusammenfassung).
78
INFRAS/ Ecologic/ Rütter + Partner (2007): Auswirkungen der Klimaänderung auf die Schweizer Volkswirtschaft (internationale Einflüsse), im Auftrag des BAFU, Bern.
79
Der Schweizerische Bundesrat (2. März 2012): Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz – Ziele, Herausforderungen
und Handlungsfelder. Erster Teil der Strategie des Bundesrates, Bern.
16
80
Prozent) und Zürich (+13,8 Prozent) zu verzeichnen. Zwischen 2001 und 2008 nahm die Zahl der
Beschäftigten im urbanen Raum um gut 8 Prozent (auf rund 3 Millionen), im ländlichen Raum nur um
knapp 5 Prozent (auf gut 800‘000) zu. Heute beherbergen die Schweizer Agglomerationen auf einem
Viertel der Landesfläche drei Viertel der Bevölkerung und 82 Prozent der Arbeitsplätze.
Bedeutung der Wissensökonomie wächst
Im urbanen Raum gewinnt die Wissensökonomie an Bedeutung. Zur Wissensökonomie gehören Aktivitäten, die in besonderem Mass von Wissen abhängig sind. Neben wissensintensiven Dienstleistungsunternehmen und High-Tech-Firmen gehören auch Forschungseinrichtungen sowie Teile des
tertiären Hochschulwesens zur Wissensökonomie. Aktuelle Zahlen des Bundesamtes für Statistik
zeigen, dass wissensintensive Dienstleistungen vorwiegend in grossen Zentren lokalisiert sind, insbesondere in Zürich, Bern, Basel, Lausanne und Genf. High-Tech-Beschäftigte arbeiten auch abseits der
grossen Zentren, zum Beispiel im Jurabogen (Uhrenindustrie), in Baden (Energie und Präzisionsme81
chanik) oder im Rheintal (u.a. Maschinenbau).
KMU als Stütze für die Entwicklung des ländlichen Raums
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind mit einem Anteil von 99,6 Prozent an allen privatwirtschaftlichen Betrieben die bedeutendsten Arbeitgeber der Schweiz. Mit rund 2,1 Millionen Vollzeitstellen stellen sie fast zwei Drittel aller inländischen Arbeitsplätze. 56 Prozent der KMU sind Dienstleis82
tungsunternehmen, 23 Prozent sind in der Industrie und die übrigen 21 Prozent im Handel tätig. Da
83
der Anteil der in KMU beschäftigten Personen im ländlichen Raum besonders gross ist, übernehmen
kleine und mittlere Unternehmen eine wichtige Funktion als Stütze der wirtschaftlichen Entwicklung in
ländlich geprägten Gebieten. Aber auch im urbanen Raum spielen sie eine wichtige Rolle, unter anderem für die Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur und die Vielfalt in den Quartieren.
Qualifikationsniveau in den Zentren steigt
In Bezug auf das Qualifikationsniveau der Bevölkerung wurde im Jahr 2010 in den Zentrumsstädten
der Agglomerationen („Kernstädte“) der höchste Anteil an Erwerbspersonen mit Diplom auf Tertiärstufe (universitäre Hochschulen, Fachhochschulen, pädagogische Hochschulen) verzeichnet, wobei zwischen 1995 und 2010 eine Zunahme von 13,5 Prozent zu beobachten war. Der Kanton Genf wies für
84
das Jahr 2010 mit knapp 20 Prozent die höchste Abschlussquote an universitären Hochschulen
85
auf.
Internationale Verflechtung nimmt zu
Die Schweizer Wirtschaft ist international stark verflochten. Dies zeigt sich etwa im Bereich Forschung
und Entwicklung (F+E). Im Jahr 2008 wendeten die Schweizer Unternehmen im internationalen Vergleich hohe Beträge für Forschung und Entwicklung (F+E) auf: Dies nicht nur in der Schweiz, sondern
auch in den Zweigunternehmen im Ausland. Mit 15,8 Milliarden Franken gaben die Schweizer Zweigunternehmen im Jahr 2008 im Ausland sogar deutlich mehr für F+E aus als alle in der Schweiz nie86
dergelassenen Unternehmen zusammen (12,0 Milliarden Franken).
Herausforderungen
Der internationale Standortwettbewerb um mobile Produktionsfaktoren nimmt zu. Erfolgreich sind jene
Regionen, die sich im globalen Netz der Wissensökonomie positionieren können. Die Herausforderung besteht darin, die Position der Schweizer Wirtschaftssektoren mit internationaler Ausstrahlung zu
stärken und zugleich die Dynamik und die Vielfalt der Binnenwirtschaft – die von kleinen und mittleren
Unternehmen geprägt ist – zu fördern. Die räumliche Entwicklung der Schweiz bewegt sich in einem
80
BFS (2012): Regionale Disparitäten in der Schweiz, Neuenburg, S. 7.
BFS (2012): Regionale Disparitäten in der Schweiz, Neuenburg, S.7.
Credit Suisse (2011): Megatrends – Chancen und Risiken für KMU. Zürich: Credit Suisse Economic Research (Hrsg.): S. 5.
83
BFS (2012): Regionale Disparitäten in der Schweiz, Neuenburg, S.9.
84
Abschlussquote = Anteil der Absolventen der Schweizer universitären Hochschulen an der gleichaltrigen ständigen Wohnbevölkerung.
85
BFS (2012): Regionale Disparitäten in der Schweiz, Neuenburg, S.15.
86
BFS (2011): Schweizer F+E verstärkt ausländische Zusammenarbeit. Medienmitteilung vom 17.05.2011, Neuenburg. Internet:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/15/22/press.html?pressID=7239 (Zugriff: 12.12.2012).
81
82
17
Spannungsfeld zwischen den grossstädtisch geprägten Räumen, die sich als Knoten der globalen
Wirtschaft etablieren, und den peripheren Regionen, die nicht im gleichen Masse von den internationalen Wirtschaftsverflechtungen profitieren. Ein zu grosses Gefälle zwischen einzelnen Regionen
würde das Prinzip einer solidarischen Schweiz herausfordern. Raumplanerisch ist es eine Herausforderung, innerhalb der wirtschaftlich dynamischen Metropolitanräume den zunehmenden Flächenverbrauch zu reduzieren und die immer weiträumigere Pendlermobilität einzudämmen.
2.9 Ansprüche an die Raumentwicklung und an die Institutionen
steigen
Zunahme der realen Verflechtungen…
Das Leben in der Schweiz spielt sich zunehmend in Räumen mit intensiven sozialen, wirtschaftlichen,
kulturellen und ökologischen Verflechtungen ab. Solche Verflechtungen äussern sich zum Beispiel
durch Verkehrsströme (z.B. Pendlerströme, Freizeitverkehr), Marktverflechtungen (z.B. Beziehungen
zwischen Unternehmen), regionale Wertschöpfungsketten (z.B. im Tourismus) oder überregionale
Nutzungen von natürlichen Ressourcen (z.B. Energieplanung oder Parkprojekte). Funktionale Verflechtungen richten sich nicht nach den bestehenden, institutionellen Grenzen, sondern wirken gleichzeitig auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen in so genannten funktionalen Räumen. Auf globaler
Ebene beobachten wir zunehmende Handels-, Güter- und Personenströme. Schätzungen gehen da87
von aus, dass die Passagiermobilität in den OECD Ländern – gemessen in Personenkilometer – im
Jahr 2050 zwischen 10 und 50 Prozent höher sein wird als im Jahr 2010. Der Gütertransport – ge88
89
messen in Tonnenkilometer – wird um 50 bis 130 Prozent wachsen. Auf regionaler Ebene zeigt
90
sich eine wachsende Pendler- und Freizeitmobilität, d.h. wir bewegen uns täglich in grösseren Räumen und überschreiten dabei Gemeinde-, Kantons- oder sogar Landesgrenzen.
…und der virtuellen Netzwerke
Neue Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie bieten die Möglichkeit, unabhängig von Raum und Zeit Informationen rund um den Globus auszutauschen. Die neusten Zahlen
über die Internetnutzung in der Schweiz bestätigen den anhaltenden Trend in Richtung digitaler
Kommunikation: Seit 2004 ist die Zahl der Internetnutzerinnen und -nutzer von 3 Millionen Personen
auf rund 5.1 Millionen im Jahr 2010 gestiegen. Dies entspricht einem durchschnittlichen Anstieg von 9
91
Prozent pro Jahr. Eine aktuelle Untersuchung zur Vernetzung von Schweizer Städten über firmeninterne Netzwerke wissensintensiver Dienstleistungsunternehmen zeigt eine starke internationale Verflechtung von Zürich, unter anderem auch mit Städten wie New York, London, Peking, Hong Kong
92
oder Shanghai. Bern und Basel zeigen eine ausgeprägte Vernetzung auf nationaler Ebene. Virtuelle
Netzwerke wirken sich auch auf die realen Verflechtungen aus. In Unternehmen beispielsweise steigert die zunehmende digitale Kommunikation auch das Bedürfnis nach direkten face-to-face Kontak93
ten, was die reale Mobilität zusätzlich befördert. Zudem erfordern virtuelle Netzwerke auch physische Infrastrukturen wie Glasfasernetze, Telefonleitungen oder Elektrizitätsnetzwerke.
Institutionelle Strukturen verändern sich langsam
Im Gegensatz zu den funktionalen Verflechtungen verändert sich die institutionelle Gliederung der
Schweiz – d.h. die Kantone, die Bezirke und die Gemeinden – nur langsam. Die 26 Kantone (davon 6
87
Die Masseinheit Personenkilometer multipliziert die Anzahl transportierter Personen mit den zurückgelegten Distanzen in
Kilometer.
88
Die Masseinheit Tonnenkilometer multipliziert die transportierten Lasten in Tonnen mit den zurückgelegten Distanzen in
Kilometer.
89
OECD, ITF (2012): Transport Outlook 2012. Seamless Transport for Greener Growth, Paris: OECD, International Transport
Forum (Hrsg.), S.6f.
90
BFS, ARE (2012): Mobilität in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus Mobilität und Verkehr 2010, Neuenburg, S.7f.
91
BFS (2012): Internet in den Schweizer Haushalten. Ergebnisse der Erhebung Omnibus IKT 2010, Neuenburg, S.17.
92
Thierstein, Alain; Lüthi, Stefan (2011): Swiss Cities. In: Taylor, Peter J.; Ni, Pengfei; Derudder, Ben; Hoyler, Michael; Huang,
Jin; Witlox, Frank (Hrsg.): Global Urban Analysis. A Survey of Cities in Globalization, London, Washington DC, S.236-240.
93
Hall, Peter (2004): World cities, mega-cities and global mega-city-regions. In: GaWC Annual Lecture 2004, Internet:
http://www.lboro.ac.uk/gawc/rb/al6.html (Zugriff: 13.12.2012).
18
Halbkantone) sind souverän; sie üben alle Rechte aus, die nicht an den Bund übertragen sind. Territoriale Verschiebungen gab es bisher nur selten, beispielsweise die Teilung Basels im Jahr 1833, die
Gründung des Kantons Jura im Jahr 1979, der Kantonsübertritt des Laufentals vom Kanton Bern zum
Kanton Basel-Landschaft im Jahr 1994, sowie der Kantonswechsel der Gemeinde Vellerat vom Kan94
ton Bern zum Kanton Jura im Jahr 1996. Die nächsttiefere administrative Einheit nach dem Kanton
ist der Bezirk. Die Bezirke sind reine Verwaltungseinheiten. Sie nehmen dezentrale Verwaltungsaufgaben der Kantone wahr, vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Justiz. Ab 2000 haben
mehrere Kantone – insbesondere Bern, Graubünden, Waadt und St. Gallen – ihre Bezirksstruktur
revidiert oder sogar abgeschafft. Aktuell umfasst die Schweiz 166 Bezirke. Im Jahr 2000 waren es
95
noch 184. Die kleinste Verwaltungseinheit ist die Gemeinde. Sie ist mit zahlreichen politischen Kompetenzen ausgestattet. Seit 1990 haben Gemeindefusionen immer mehr an Bedeutung gewonnen.
Diese Tendenz hat sich im letzten Jahrzehnt verstärkt. Zwischen den Volkszählungen von 2000 und
2010 ist die Zahl der Gemeinden in der Schweiz um 312 zurückgegangen (-11 Prozent). Dies ent96
spricht einer Abnahme von durchschnittlich 30 Gemeinden pro Jahr.
Steigender Bedarf an vertikaler Zusammenarbeit
Die stark verflochtenen Kompetenzen im Mehr-Ebenen-System des Schweizer Föderalismus erfordern eine gute vertikale Zusammenarbeit zwischen den drei Staatsebenen. Viele räumliche Herausforderungen können nur noch tripartit bewältigt werden. So wurde beispielsweise im Jahr 2001 die
Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK) gegründet, eine politische Plattform von Bund, Kantonen,
Städten und Gemeinden mit dem Ziel, die vertikale Zusammenarbeit zu fördern und eine gemeinsame
Agglomerationspolitik zu entwickeln. Auch das Raumkonzept Schweiz wurde in Zusammenarbeit mit
Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden erarbeitet.
Steigender Bedarf an horizontaler Zusammenarbeit
Die zunehmende Bedeutung von funktionalen Räumen erhöht auch den Bedarf an horizontaler Zusammenarbeit, d.h. zwischen benachbarten Gebietskörperschaften. Der Bund hat verschiedene Instrumente und Anreizmechanismen entwickelt, um die horizontale Zusammenarbeit zu fördern. Mit
Modellvorhaben unterstützt er innovative Kooperationsprojekte in Agglomerationen und im ländlichen
Raum. Mit den so genannten Agglomerationsprogrammen fördert er die Erarbeitung einer langfristig
ausgerichteten Verkehrs- und Siedlungsentwicklung in den Agglomerationen, insbesondere durch
eine koordinierte und gezielte Prioritätensetzung. Aber auch die Kantone und die Regionen selber
entwickelten eigene Organisationsstrukturen, um die horizontale und die vertikale Zusammenarbeit zu
verbessern. Der Kanton Bern beispielsweise hat in enger Abstimmung mit den Regionen die erforderlichen Rechtsgrundlagen für die interkommunale Zusammenarbeit in sechs Regionalkonferenzen geschaffen und gewisse Kompetenzen an diese delegiert. Ein zweites Beispiel ist der Verein „Metropolitanraum Zürich“, der im Jahr 2009 gegründet wurde, unter anderem mit dem Ziel, konkrete Zusam97
menarbeitsprojekte zu lancieren und umzusetzen. Ähnliche Ziele verfolgen die Hauptstadtregion
Schweiz, die Metropolitankonferenz Basel, die Métropole Lémanique, der Aareland-Rat oder die Plattform arcjurassien.ch.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird wichtiger
Die Entwicklung räumlicher Strategien über die Landesgrenzen hinweg und die Integration der
Schweiz in die europäische Raumentwicklung wird immer wichtiger. Es gibt zahlreiche raumrelevante
Herausforderungen, die nur grenzüberschreitend zu lösen sind (z.B. Flugverkehr). Aufgrund der intensiven räumlichen Verflechtungen auf europäischer und globaler Ebene ist die Schweiz an mehreren,
grenzüberschreitenden Projekten und Organisationen beteiligt: Die Schweiz ist in die Alpenkonvention
eingebunden, dem weltweit ersten völkerrechtlich verbindlichen Übereinkommen zum Schutz einer
94
BFS (2011): Institutionelle Gliederung der Schweiz. Einführung, Neuenburg. Internet:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/regionen/11/geo/institutionelle_gliederungen/00.html (Zugriff: 13.12.2012).
95
BFS (2010): Institutionelle Gliederung der Schweiz. Die Bezirke, Neuenburg. Internet:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/regionen/11/geo/institutionelle_gliederungen/01a.html (Zugriff: 13.12.2012).
96
BFS (2010): BFS Aktuell: Räumliche Struktur – Deutliche Abnahme der Anzahl Gemeinden zwischen 2000 und 2010, Neuenburg.
97
Metropolitanraum Zürich (2009): Statuten des Vereins Metropolitanraum Zürich, Zürich.
19
Bergregion; der Bund und die Kantone beteiligen sich an verschiedenen INTERREG-Programmen der
EU mit dem Ziel, die Integration im europäischen Raum und eine ausgewogene Entwicklung über die
Landesgrenzen hinweg zu fördern; die Schweiz ist bei ESPON dabei, einem europäischen Raumbeobachtungsnetzwerk mit dem Ziel, die räumliche Entwicklung auf europäischer Ebene zu dokumentieren und zu analysieren; sie beteiligt sich am URBACT-Programm der EU, welches den Erfahrungsaustausch zwischen europäischen Städten fördert; seit 1973 ist sie auch in der europäischen Ministerkonferenz für Raumplanung (CEMAT) aktiv, um den Informationsaustausch in der Raumplanung auf
europäischer Ebene zu vertiefen und zu fördern; und schliesslich beteiligt sie sich auch an der Diskussion über das europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK) und die „Territoriale Agenda“ der
Europäischen Union. Neben diesen umfassenden Programmen gibt es zahlreiche regionale, grenzüberschreitende Initiativen, sowohl im urbanen als auch im ländlich und alpin geprägten Grenzgebiet
der Schweiz.
Herausforderungen
Das föderalistische Mehrebenensystem und die stark verflochtenen Kompetenzen in Politik und Planung stellen die Raumentwicklung in der Schweiz vor grosse Herausforderungen, insbesondere in den
Bereichen Verkehr, Siedlungsentwicklung, Energie und Raumplanung. Das traditionelle räumliche
Muster von Stadt und Land existiert nicht mehr. Unterschiedliche Prioritäten, Rechtsnormen und Kompetenzordnungen können die horizontale und vertikale Zusammenarbeit wesentlich erschweren. In
grenznahen Räumen kommen Herausforderungen hinzu, die sich aus unterschiedlichen nationalen
Gesetzgebungen und kulturellen Unterschieden ergeben. Mit zunehmender Raumbeanspruchung wird
es schwieriger, Infrastrukturen von übergeordnetem Interesse – beispielsweise für den Verkehr oder
die Energie – zu realisieren. Deshalb wird es immer wichtiger, in funktionalen Räumen (auch über
nationale Grenzen hinaus) zusammenzuarbeiten, die institutionellen Strukturen weiterzuentwickeln
und die raumrelevanten Sektoralpolitiken des Bundes aufeinander abzustimmen.
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