486 ÜBERSICHTSARTIKEL AIM Was gibt es Neues? Katarakt Dr. med. Kate Hashemi, Dr. med. Muriel Catanese, Dr. med. R. Gutierrez-Bonet, Dr. med. Lazaros Konstantinidis v ie we d Peer re a r tic le Hôpital ophtalmique Jules-Gonin, service d’ophtalmologie de l’Université de Lausanne Die Katarakt ist weltweit die Hauptursache für Blindheit. Die zunehmende Trübung der natürlichen Augenlinse führt zu einer Sehbeeinträchtigung, die sowohl für den Patienten als auch für das Gesundheitssystem hohe Kosten zur Folge hat. Wenn nicht chirurgische Massnahmen wie zum Beispiel eine Brille oder Kontaktlinsen nicht mehr ausreichen, ist eine Kataraktoperation erforderlich. Einleitung Laut Oxford Dictionary leitet sich das Wort «Katarakt» eine altersbedingte Makuladegeneration, gefolgt von Glaukomen [2]. vom lateinischen Wort «cataracta», welches «Wasserfall» bedeutet, und dem griechischen Wort «kataraktes», welches «herabstürzend» bedeutet, ab. Die Kata- Kataraktformen rakt ist eine Erkrankung, bei der eine fortschreitende Es können verschiedene Kataraktformen auftreten Trübung der natürlichen Augenlinse auftritt. Letztere (Abb. 1). Bei der Cataracta nuclearis ist der zentrale Lin- funktioniert in etwa wie die Linse eines Fotoapparats, senbereich betroffen. Diese Form ist meist altersbe- indem sie das Licht bündelt, auf die Netzhaut wirft und dingt. Bei fortschreitender Erkrankung kommt es zu- so eine klare Sicht ermöglicht. Überdies kann sie ihre nächst zu einer gelblichen und schliesslich zu einer Wölbung und Brechkraft verändern, um auf jede Ent- bräunlichen Linsentrübung, wodurch die Farbwahr- fernung scharf sehen zu können. Die Augenlinse be- nehmung beeinträchtigt wird. Die Cataracta corticalis steht hauptsächlich aus Wasser und Kristallinprotei- zeichnet sich hingegen durch Trübungen in der Lin- nen, welche in einem genauen Muster angeordnet sind, senrinde um den Linsenkern in Form von sogenann- das ihre Transparenz bewirkt. Verklumpen die Kristal- ten Wasserspalten aus. Diese Kataraktform kann zu linproteine, verändern sie ihre geometrische Anord- Blendungsempfindlichkeit führen. Die Cataracta sub- nung und bilden unlösliche Amyloide, wodurch die capsularis posterior entsteht an der Linsenhinterseite ­Augenlinse trüb wird [1]. und ist häufig mit schlechter Nahsicht beim Lesen, Die Katarakt ist die Hauptursache für Blindheit welt- Blendungen und dem Sehen von Lichthöfen um Licht- weit und die häufigste Ursache für Sehbeeinträchti- quellen in der Nacht assoziiert. Die juvenile und konge- gungen bei Über-40-Jährigen. Laut dem «National Eye nitale Katarakt treten häufig im Zusammenhang mit Institute» in den USA litten im Jahr 2010 5% der Patien- genetischen Erkrankungen, einer intrauterinen Infek- ten von 50–54 Jahren und 68% der über 80-jährigen Pa- tion der Mutter beziehungsweise bestimmten Erkran- tienten an Katarakt. Laut Schätzungen des Vereins kungen wie myotoner Dystrophie, Galaktosämie, dem «Prevent Blindness America» in den USA werden bis Lowe-Syndrom oder Röteln auf. Wird durch die Kata- zum Jahr 2020 30 Millionen Amerikaner an Katarakt rakt das Sehvermögen beeinträchtigt, erfolgt kurz erkrankt sein. Die Sehbeeinträchtigung hat sowohl für nach der Diagnosestellung eine Kataraktoperation, um den Patienten als auch für das Gesundheitssystem eine Amblyopie zu verhindern [3, 4]. hohe Kosten zur Folge. Die Wirksamkeit der Kataraktextraktion wurde in einer prospektiven, longitudinalen, populationsbasierten Kohortenstudie an 190 Patienten in Schweden mit Kate Hashemi Klinische Anzeichen und Symptome der Katarakt 15-jährigem Follow-up bestätigt [2]. Fünfzehn Jahre Die klinischen Anzeichen und Symptome der Katarakt nach dem Eingriff hatte sich die korrigierte Fernsicht sind eine gelbliche oder bräunliche Linsentrübung, im Durchschnitt von 20/20 auf 20/25 verschlechtert. Lichtempfindlichkeit bei natürlichem Licht, das Sehen Bei älteren Patienten war die Abnahme des subjektiven von Lichthöfen um Lichtquellen, Schwierigkeiten bei Sehvermögens höher. Der häufigste Grund dafür war Nachtfahrten, Doppelbilder beim Schliessen eines Au- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(23):486 – 491 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 487 Übersichtsartikel AIM Abbildung 1: A) Cataracta corticalis. B) Kongenitale Katarakt (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. med. F. Munier, Hôpital ophtalmique Jules-Gonin), C) Cataracta nuclearis. D) Cataracta subcapsularis posterior. ges, fortschreitende Kurzsichtigkeit (Index-Myopisie- Korrelation zwischen dem Kataraktrisiko und der Er- rung), Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von nährung. Am höchsten war das Risiko bei Personen, Farben wie Schwarz, Dunkelblau und Violett und die über 3,5 Ounces [100 g] Fleisch pro Tag verzehrten, schliesslich verschwommenes Sehen wie durch trübes gefolgt von Personen mit moderatem und geringem Glas oder ähnlich den Darstellungen auf impressionis- Fleischkonsum, Personen, die Fisch verzehrten, Vege- tischen Bildern [5]. tariern und Veganern. Das Risiko von Veganern war gegenüber dem von Personen mit hohem Fleischverzehr Ernährung und Katarakt um etwa 40% geringer [8]. In einer schwedischen Studie mit über 30 000 Frauen In den letzten Jahren gab es Diskussionen darüber, ob ab 49 Jahren wurde über einen Zeitraum von 7,7 Jahren die Katarakt durch Nahrungsergänzungsmittel oder der Zusammenhang zwischen dem Gesamtanteil an gesunde Ernährung verhindert werden kann. Nichts- Antioxidanzien in der Ernährung und altersbedingter destotrotz weisen mehrere Studien darauf hin, dass Katarakt untersucht. Die Autoren zeigten auf, dass grünes Blattgemüse, Obst, antioxidanzienreiche Le- Frauen, deren Ernährung die höchste totale antioxida- bensmittel oder Multivitamin- respektive Mineralien- tive Kapazität (TAC) aufwies, im Vergleich zu denen, de- supplemente das Risiko, an Katarakt zu erkranken, ver- ren Ernährung kaum Antioxidanzien enthielt, ein signi- ringern können [6]. fikant geringeres Kataraktrisiko hatten. Die wichtigsten Eine über zehn Jahre an der «Harvard Medical School» Lebensmittel, welche die TAC in der Studienpopulation durchgeführte prospektive Beobachtungsstudie mit erhöhten, waren Obst und Gemüse (44,3%), Vollkorn- über 35 000 Gesundheitsfachleuten kam zu dem produkte (17,0%) und Kaffee (15,1%). Die Autoren kamen Schluss, dass eine erhöhte Vitamin E-, Lutein- und Zea- zu dem Schluss, dass die TAC der Ernährung umge- xanthinzufuhr durch Lebens- und Nahrungsergän- kehrt proportional mit dem altersbedingten Katarakt- zungsmittel mit einem signifikant geringeren Kata- risiko assoziiert war [9]. raktrisiko assoziiert war [7]. Die Auswertung der Ernährungsgewohnheiten von Laut einer im Jahr 2011 im American Journal of Clinical über 1600 Erwachsenen in Australien hat ergeben, dass Nutrition veröffentlichten Studie mit über 27 000 nicht eine kohlenhydratreiche Ernährung das Katarakt­ diabetischen Personen ab 40 Jahren besteht eine starke risiko erhöhen könnte. Die zu den 25% mit dem höchs- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(23):486 – 491 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 488 Übersichtsartikel AIM ten Gesamtkohlenhydratverzehr gehörenden hatten Ein möglicher Ansatzpunkt zur Verhinderung oder ein um das Dreifache höheres Kataraktrisiko als die zu Umkehrung der Kataraktentwicklung ist die Plasma- den 25% mit dem geringsten Kohlenhydratverzehr ge- membran der Faserzellen, da die Doppellipidschicht hörenden Personen [10]. der Linsenmembran eine Barriere bildet, die den Sau- Und schlussendlich hat eine randomisierte doppelblinde erstofftransport ins Linseninnere verhindert [15]. Für und plazebokontrollierte Studie mit amerikanischen die Homöostase der Augenlinse muss in ihrem Inne- Ärzten von 40–84 Jahren (n = 22 071), die 12 Jahre lang ren ein geringer Sauerstoffpartialdruck aufrechterhal- entweder Beta-Carotin (50 mg alle zwei Tage) oder ein ten werden. Im Alter verändert sich die Doppellipid- Plazebo erhielten, weder einen allgemeinen Vor- noch schicht der Plasmamembran stark. Dies spielt für die Nachteil bezüglich der Entstehung von Katarakt bezie- Homöostase der Augenlinse eine entscheidende Rolle. hungsweise der Häufigkeit von Katarakt­extraktionen So nimmt beispielsweise der Sphingolipidgehalt zu und gezeigt. Bei Personen, die zu Studienbeginn Raucher wa- der Phosphatidylcholingehalt ab [15–17]. ren, schien Beta-Carotin das erhöhte Kataraktrisiko hin- Noch wichtiger ist die mit steigendem Alter zu beob- gegen um ca. 25% gesenkt zu haben [11]. achtende Zunahme des Cholesteringehalts. Die Vor- Andere Studien wiederum konnten keinen Zusam- teile eines hohen Cholesteringehalts der Augenlinse menhang zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und sind aus Beobachtungen abzuleiten, laut denen bei geringerem Kataraktrisiko feststellen. So konnte in ­einer hereditären Cholesterinstoffwechselstörung und zwei vom «National Eye Institute» finanzierten Lang- dem Einsatz von Medikamenten, welche die Choleste- zeitstudien zu altersbedingten Augenerkrankungen rinbiosynthese hemmen, die Kataraktentstehung bei (AREDS und AREDS2) nicht nachgewiesen werden, dass Tieren und Menschen begünstigt wird [15, 18, 19]. die Kataraktprogression durch die tägliche Einnahme Klinische Studien haben diesbezüglich gemischte Re- von Multivitaminsupplementen mit Vitamin C, E und sultate gezeigt. In retrospektiven Kohortenstudien Zink (mit oder ohne Beta-Carotin, Lutein und Zeaxan- wurde nachgewiesen, dass das Kataraktrisiko bei Per- thin sowie Omega-3-Fettsäuren) signifikant verhindert sonen, die Statine einnahmen, gegenüber solchen, die oder verlangsamt worden wäre [12, 13]. dies nicht taten, erhöht war [20–22]. Bei einer Studie Alles in allem sind diese Studien mit Vorsicht zu genies­ über Aortenstenosen mit 1873 Patienten, die randomi- sen. Eine epidemiologische Nachbeobachtung über siert wurden und während eines durchschnittlichen mehrere Jahre ist schwer umzusetzen. Zudem können Follow-up von vier Jahren entweder Simvastatin plus weitere genetische oder expositionelle Faktoren vorlie- Ezetimib oder Plazebo erhielten, war die Kombina­tions­ gen. Folglich gibt es derzeit keine eindeutige Indikation behandlung hingegen mit einer 44%igen Verringerung für den Einsatz von Multivitaminsupplementen zur des Kataraktrisikos assoziiert [23]. Prävention oder Verlangsamung der Kataraktentwick- In einigen weiteren Studien wurde ebenfalls über ein lung. verringertes Kataraktrisiko im Zusammenhang mit der Einnahme LDL-Cholesterin-senkender Medikamente Katarakt und Fortschritte in der Pharmakotherapie berichtet [24, 25]. Möglicherweise ist die Schutzwirkung von Statinen auf ihre entzündungshemmende und antioxidative Wirkung zurückzuführen. Über die Möglichkeit, die Kataraktentwicklung medi- Die entscheidende Rolle von Cholesterin in der Ho- kamentös zu verhindern oder umzukehren, wurde möostase der Augenlinse ist eindeutig, das Verhältnis viele Jahre lang leidenschaftlich diskutiert, obgleich es zwischen seiner schädlichen und schützenden Wir- keinen schlüssigen Beweis dafür gibt, dass die Katarakt kung jedoch bis dato ungeklärt. Das empfindliche durch den Einsatz eines Medikaments behandelt oder Gleichgewicht zwischen Phospholipid- und Choleste- verhindert werden könnte. Nichtsdestotrotz weisen ak- ringehalt bildet die Grundlage der aktuellen Forschun- tuelle experimentelle Daten auf eine vielverspre- gen und kann sich als wichtiger Ansatzpunkt für die chende Zukunft der medikamentösen Kataraktthera- Kataraktbehandlung und -prävention erweisen [15]. pie und -prävention hin. Bekanntermassen führen Eine weitere Möglichkeit zur Aufhaltung oder Umkeh- Mutationen in den Kristallinproteinen dazu, dass diese rung der Kataraktentwicklung besteht darin, die Prote- verklumpen, und sind somit die Ursache für die konge- inverklumpung zu verhindern [14]. Die genauen Mecha- nitale Katarakt, während oxidativer Stress mit oder nismen der Proteinaggregation und Kataraktentstehung ohne genetische Faktoren zu altersbedingter Katarakt sind noch nicht erforscht. Mit der Alterung der Augen- beiträgt [14]. linse endet die Synthese und Neubildung der intrazel­ Die Augenlinse von Säugetieren besteht aus Epithelzel- lulären Proteine, damit diese das gesamte Leben lang len, die sich zu langgestreckten Faserzellen umformen. löslich und transparent bleiben. Durch ihre zuneh- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(23):486 – 491 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 489 Übersichtsartikel AIM mende Zerstörung aufgrund verschiedener Faktoren von mindestens 98% durchgeführt. Die Katarakt kann wie oxidativem Stress werden die Kristallinproteine je- manuell (extrakapsuläre Kataraktextraktion) oder mit- doch unlöslich, wodurch die altersbedingte Katarakt tels Phakoemulsifikation unter Anwendung von Hoch- entsteht. Folglich bestünde eine Möglichkeit zur Kata- frequenzultraschall mit oder ohne Femtolaser(FL)-as- raktbehandlung darin, Wirkstoffe zu entwickeln, wel- sistierte Operation entfernt werden. Meist wird dabei che die Kristallinproteine stabilisieren. eine Intraokularlinse (IOL) in den Kapselsack einge- Mithilfe eines Tests zur Bestimmung der thermischen setzt. Häufig erfolgt der Eingriff ambulant. Stabilität ist es Makley et al. gelungen, eine Molekül- Die heutigen Kataraktoperationen sind sicher und ef- klasse zu identifizieren, welche die Alpha-Kristalline fektiv. Nichtsdestotrotz streben Ophthalmologen und bindet und ihre Aggregation in vitro umkehrt, die Industrie beständig danach, die Resultate zu optimie- Transparenz der Augenlinse bei Mäusen mit hereditä- ren, indem sie das Material der IOL, die Diagnostik­ rer Katarakt verbessert, die Löslichkeit der Proteine instrumente, die Laser- und Phakoemulsifikationstech- älterer Mäuse in vivo und menschlicher Kristalline ex nologie oder die Eigenschaften der IOL verbessern. vivo zum Teil wiederherstellt [1]. Kürzlich wurden von der «U.S. Food and Drug Admi- Überdies wurde in einer vor Kurzem im Jahr 2015 in nistration» (FDA) einige FL zur Unterstützung der Chir- Nature veröffentlichten In-vitro-Transfektionsstudie urgen bei Kataraktoperationen zugelassen. Mit ihrer Lanosterol durch die Hemmung der Proteinaggrega- ultraschnellen Frequenz von 10–15 Sekunden und ih- tion bei Hunden und Kaninchen als Hauptmolekül zur rem geringen Energieverbrauch verursachen sie mög- Kataraktprävention identifiziert. Die Autoren hatten licherweise geringere Schäden am umliegenden Ge- ebenfalls gezeigt, dass eine Behandlung mit Lanosterol webe [27–30]. bei Kaninchen in vitro die Kataraktintensität der ent- Die Laser können eingesetzt werden, um die erste Inzi- fernten Augenlinsen verringern und die Transparenz sion am Auge durchzuführen, die Vorderkapsel zu öff- der Kristalline verbessern sowie die Katarakt­intensität nen, den Linsenkern zu fragmentieren und bei Patien- bei Hunden in vivo verbessern könnte. Daraus schluss- ten mit Hornhautverkrümmung präzise Inzisionen an folgerten sie, dass Lanosterol ein Hauptmolekül zur der Hornhaut vorzunehmen [31, 32]. Sie ermöglichen Verhinderung der Proteinaggregation ist und eine neue präzisere Inzisionen als bei der manuellen Technik so- Strategie zur Kataraktprävention und -behandlung dar- wie eine genau abgestimmte und gleichmässige zen­ stellt [26]. trale Kapsulotomie mit geringerer Verschiebung und Obgleich es zu früh ist, um seine Relevanz für die Verkippung der IOL sowie einer besseren Zentrierung, menschliche Augenlinse zu beurteilen, handelt es sich wodurch eine präzisere postoperative Refraktion er- dabei um eine äusserst spannende Entdeckung. Wenn zielt wird. Überdies verbessert die in einigen FL inte­ sich der oben genannte Ansatz bezüglich der Präven- grierte optische Kohärenztomographie (OCT) in tion oder Umkehrung der Kataraktentwicklung bei schwierigen Fällen mit schlechten Sichtbedingungen Menschen als ebenso wirksam erweist, ist er als bahn- die Operationssicherheit. Die Anwendung von FL kann brechende und revolutionäre Entdeckung zu betrach- insbesondere bei Patienten mit endothelialer Horn- ten, welche die Notwendigkeit einer Kataraktoperation hautdystrophie sinnvoll sein, bei denen eine möglichst verringern kann. Solange keine wirksame medika- geringe oder keine Ultraschallenergie eingesetzt wer- mentöse Behandlung vorhanden ist, bleibt die chirur- den sollte [33]. Zukünftig werden die FL wahrscheinlich gische Ablation der Augenlinse jedoch die einzige der- noch kleiner sein und mit dem Operationsmikroskop zeit effektive Katarakttherapie. verbunden werden können, wodurch eine Kombination von Kataraktoperationen mit Eingriffen an Horn- Fortschritte in der Kataraktchirurgie haut und Glaskörper möglich wird. Nichtsdestotrotz können FL nicht alle Operationsetappen ersetzen. Die In den ersten Stadien der Erkrankung kann die Seh- Entfernung des Linsenkerns, die Spülung der Rinde schärfe durch eine Brille, Kontaktlinsen, eine Vergrös­ und Kapsel sowie der Einsatz der IOL müssen auch wei- serung mittels bifokaler Brille oder eine Anpassung der terhin durch einen Chirurgen erfolgen. Lichtstärke verbessert werden. Reichen diese nicht chi- Derzeit handelt es sich um eine Operationstechnik mit rurgischen Massnahmen nicht mehr aus, ist eine Kata- den üblichen Risiken. Zudem ist der FL-Einsatz kosten- raktoperation erforderlich. intensiver und wird in der Schweiz nicht von den Kran- Kataraktoperationen sind der häufigste chirurgische kenkassen übernommen. Überdies ist der Nutzen für Eingriff in den USA. Laut der «American Society of Ca- einen erfahrenen Operateur gering und erfordert im taract and Refractive Surgery» werden jährlich über Allgemeinen mehr Operationszeit, wodurch wiede- 3 Millionen chirurgische Eingriffe mit einer Erfolgsrate rum Probleme aufgrund einer unzureichenden peri- SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(23):486 – 491 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 490 Übersichtsartikel AIM operativen Dilatation auftreten können [34]. Des Wei- Zu den Kontraindikationen gegen die Verwendung teren konnte in Studien nicht eindeutig nachgewiesen multifokaler Implantate zählen eine Makuladegenera- werden, dass durch den Einsatz von FL in allen Fällen tion, eine epiretinale Membran, eine Hornhauterkran- die Sicherheit der Kataraktoperation, die Genesungs- kung, ein Glaukom oder Strabismus. Denn diese Er- dauer und die Sehstärke verbessert wurden [35, 36]. krankungen können eine leichte Verschlechterung des Kontrastsehens, Blendungen, Lichthöfe um Lichtquel- Fortschritte in den Bereichen Intra­ okularlinsen und Biometrie len und Schwierigkeiten beim Nachtsehen verstärken, die im Zusammenhang mit multifokalen Implantaten auftreten. Überdies sind multifokale Linsen bei Patienten mit Uveitis kontraindiziert, da durch die Entzün- Seit Einführung der ersten IOL im Jahr 1949 [37] wur- dung das Risiko für eine Dezentrierung der IOL und so- den in der IOL-Technologie grosse Fortschritte erzielt, mit für eine sekundäre Diplopie erhöht ist. um ihre Biokompatibilität und Stabilität zu verbessern Der Nachteil monfokaler IOL besteht darin, dass für [38, 39]. Die Wahl der IOL hängt von den Bedürfnissen das Sehen im Mittel- und Nahbereich eine Brille getra- und Vorlieben des Patienten ab. Derzeit stehen IOL zur gen werden muss. Auswahl, die nicht nur eine postoperative Aphakie kor- Die aktuellen Fortschritte der IOL-Technologie beste- rigieren, sondern auch die sphärische und chromati- hen in einer Kompensation der chromatischen Aberra- sche Aberration verringern sowie die Makula vor UV- tion des durchschnittlichen Auges von 2D im Wellen- Strahlung und dem schädlichen Einfluss blauen Lichts bereich von 400–700 nm [41]. Eine aktuell in sieben schützen können. Eine weitere Variante sind korrigie- europäischen Ländern mit 290 Patienten durchge- rende mono- oder multifokale respektive torische IOL führte internationale prospektive Multizenterstudie, zur Korrektur einer Hornhautverkrümmung. So kann die CONCERTO-Studie, hat gezeigt, dass dank der IOL der Chirurg beispielsweise beidseitig monofokale IOL Tecnis Symfony® (Abbott Medical Optics [AMO]) mit einsetzen, um eine hervorragende Fernsicht ohne Kor- exklusiver achromatischer diffraktiver Technologie rektur zu erzielen, oder multifokale IOL, um die Sicht 4–8 Wochen nach der Kataraktoperation eine hervorra- im Fern-, Mittel- und Nahbereich zu korrigieren (Abb. 2). gende Sicht auf alle Entfernungen mit geringen Blen- Bei einer Hornhautverkrümmung kann in allen Fällen dungen und Lichthöfen um Lichtquellen, eine hohe Pa- eine torische IOL verwendet werden [32, 40]. Derzeit tientenzufriedenheit und Brillenunabhängigkeit erzielt werden die Kosten für torische oder multifokale Lin- werden konnten [32, 42]. sen in der Schweiz nicht von der Krankenkasse über- Die ideale IOL könnte nicht nur die Transparenz der nommen. Die perioperative Aberrometrie ist eine wei- natürlichen menschlichen Augenlinse, sondern auch tere Technologie mit grossem Potenzial, insbesondere ihre Fähigkeit nachahmen, die Form und Brechkraft für torische IOL. Sie liefert Echtzeitinformationen über durch Kontraktionen des Ziliarmuskels ohne Kontrast- den Grad der Hornhautverkrümmung und die genaue verlust oder Blendungen zu verändern. Achse, wodurch die IOL während des Eingriffs ange- Derzeit befinden sich mehrere akkomodierende IOL in passt werden kann. Entwicklung. So kann beispielsweise die IOL FluidVi- Abbildung 2: A) Multifokale Intraokularlinse (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Domedics AG). B) Multifokale Intra­okularlinse. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(23):486 – 491 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html 491 Übersichtsartikel AIM sion® (PowerVision, Belmont, CA) durch Kontraktio- mit einer Wellenlänge von 1060 nm, welche die Kata- Dr. med. Lazaros nen des Ziliarmuskels und damit Bewegungen des Sili- rakt stärker durchdringt und somit bei der Messung Konstantinidis konöls im Inneren der Linse ihre Form und Brechkraft der Achsenlänge eine Erfolgsrate von 96% erzielt [48]. verändern [43]. Auch die Implantate DynaCurve (Nu- Mit steigender Nachfrage nach multifokalen IOL müs- Lens, Israel) und Lumina (Akkolens, Niederlande) gehö- sen Kataraktchirurgen bei der Makulauntersuchung ren zu den in der Entwicklung befindlichen IOL [32, 43– vor der Operation mit zunehmend höherer Sorgfalt 46]. vorgehen. Das Vorliegen einer Augenerkrankung stellt Die heutigen Kataraktoperationen erfordern eine prä- eine Kontraindikation gegen den Einsatz einer multi- zise Messung der Augenstrukturen (Biometrie), insbe- fokalen IOL dar, da diese das Kontrastsehen ver- sondere bei Patienten, die multifokale IOL benötigen schlechtern kann. Bei einer gewöhnlichen Augenhin- und keine Brille tragen möchten. Um die Stärke der IOL tergrunduntersuchung mittels Spaltlampe wird eine zu berechnen, müssen vor dem Eingriff die biometri- leichte Makulaerkrankung häufig übersehen. Die opti- schen Variablen wie die Achsenlänge des Auges und sche Kohärenztomographie bietet eine axiale Auflö- die Hornhautwölbung bestimmt werden. Bei Patienten sung bis 10 µm, erfordert jedoch mehr Zeit und eine nach einer Sehschärfenkorrektur mittels Laser, durch zusätzliche Untersuchung. Ein neues optisches Biome- welche die Hornhautwölbung verändert wurde, ist eine triegerät (IOLMaster 700 von der Carl Zeiss Meditec AG) Anpassung der Formeln zum Beispiel des StoP IOL- verwendet eine Swept-Source OCT-Technologie, mit- Rechners erforderlich um die Refraktionsergebnisse hilfe derer nicht nur die biometrischen Daten erfasst, besser vorhersagen zu können. [47] Bei Patienten mit sondern auch Makulaerkrankungen aufgespürt werden dichten Katarakten können die Messwerte der Achsen- können. Dabei handelt es sich um das erste bekannte länge ungenau sein. Argos, ein neues OCT-Biometer Biometriegerät mit integrierter Swept-Technologie zum (Movu, Inc.), verwendet eine Swept-Source-Technologie Scan der zentralen Makula, wodurch es eine hohe Sensi- Korrespondenz: Hôpital ophtalmique Jules-Gonin Avenue de France 15 CH-1003 Lausanne lazaros.konstantinidis[at] fa2.ch tivität beim Screening auf Makulerkrankungen wie dem Makulaödem (Flüssigkeitsansammlung in der Mitte Das Wichtigste für die Praxis • Die Katarakt ist die Hauptursache für Blindheit weltweit, obgleich die heutigen Kataraktoperationen sicher und effektiv sind. • Durch den zunehmenden Fortschritt der Kataraktchirurgie, die verbesserte Technologie der Intraokularlinsen (IOL), die präzisere biometrische Beurteilung und Feststellung von Komorbiditäten der Augen verfügen die Kataraktchirurgen über zahlreiche Instrumente, um das beste Resultat für ihre Patienten zu erzielen. • Überdies wecken aktuelle experimentelle Fortschritte die Hoffnung auf eine möglicherweise vielversprechende Zukunft der medikamentösen Katarakttherapie. der Netzhaut) aufweist. Achtung, bei einem Makulaödem ist vor einer Katarakt­ operation eine entzündliche Augenerkrankung (Uveitis) auszuschliessen. Eine Kataraktoperation bei einer Uveitis erfordert besondere Vorsichtsmassnahmen mit einer Entzündungskontrolle sechs Monate vor dem chirurgischen Eingriff. Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur Die vollständige Literaturliste finden Sie als Anhang des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(23):486 – 491 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html