Katarakt - Swiss Medical Forum

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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
Was gibt es Neues?
Katarakt
Dr. med. Kate Hashemi, Dr. med. Muriel Catanese, Dr. med. R. Gutierrez-Bonet, Dr. med. Lazaros Konstantinidis
v ie we
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Hôpital ophtalmique Jules-Gonin, service d’ophtalmologie de l’Université de Lausanne
Die Katarakt ist weltweit die Hauptursache für Blindheit. Die zunehmende Trübung der natürlichen Augenlinse führt zu einer Sehbeeinträchtigung, die sowohl
für den Patienten als auch für das Gesundheitssystem hohe Kosten zur Folge hat.
Wenn nicht chirurgische Massnahmen wie zum Beispiel eine Brille oder Kontaktlinsen nicht mehr ausreichen, ist eine Kataraktoperation erforderlich.
Einleitung
Laut Oxford Dictionary leitet sich das Wort «Katarakt»
eine altersbedingte Makuladegeneration, gefolgt von
Glaukomen [2].
vom lateinischen Wort «cataracta», welches «Wasserfall» bedeutet, und dem griechischen Wort «kataraktes», welches «herabstürzend» bedeutet, ab. Die Kata-
Kataraktformen
rakt ist eine Erkrankung, bei der eine fortschreitende
Es können verschiedene Kataraktformen auftreten
Trübung der natürlichen Augenlinse auftritt. Letztere
(Abb. 1). Bei der Cataracta nuclearis ist der zentrale Lin-
funktioniert in etwa wie die Linse eines Fotoapparats,
senbereich betroffen. Diese Form ist meist altersbe-
indem sie das Licht bündelt, auf die Netzhaut wirft und
dingt. Bei fortschreitender Erkrankung kommt es zu-
so eine klare Sicht ermöglicht. Überdies kann sie ihre
nächst zu einer gelblichen und schliesslich zu einer
Wölbung und Brechkraft verändern, um auf jede Ent-
bräunlichen Linsentrübung, wodurch die Farbwahr-
fernung scharf sehen zu können. Die Augenlinse be-
nehmung beeinträchtigt wird. Die Cataracta corticalis
steht hauptsächlich aus Wasser und Kristallinprotei-
zeichnet sich hingegen durch Trübungen in der Lin-
nen, welche in einem genauen Muster angeordnet sind,
senrinde um den Linsenkern in Form von sogenann-
das ihre Transparenz bewirkt. Verklumpen die Kristal-
ten Wasserspalten aus. Diese Kataraktform kann zu
linproteine, verändern sie ihre geometrische Anord-
Blendungsempfindlichkeit führen. Die Cataracta sub-
nung und bilden unlösliche Amyloide, wodurch die
capsularis posterior entsteht an der Linsenhinterseite
­Augenlinse trüb wird [1].
und ist häufig mit schlechter Nahsicht beim Lesen,
Die Katarakt ist die Hauptursache für Blindheit welt-
Blendungen und dem Sehen von Lichthöfen um Licht-
weit und die häufigste Ursache für Sehbeeinträchti-
quellen in der Nacht assoziiert. Die juvenile und konge-
gungen bei Über-40-Jährigen. Laut dem «National Eye
nitale Katarakt treten häufig im Zusammenhang mit
Institute» in den USA litten im Jahr 2010 5% der Patien-
genetischen Erkrankungen, einer intrauterinen Infek-
ten von 50–54 Jahren und 68% der über 80-jährigen Pa-
tion der Mutter beziehungsweise bestimmten Erkran-
tienten an Katarakt. Laut Schätzungen des Vereins
kungen wie myotoner Dystrophie, Galaktosämie, dem
«Prevent Blindness America» in den USA werden bis
Lowe-Syndrom oder Röteln auf. Wird durch die Kata-
zum Jahr 2020 30 Millionen Amerikaner an Katarakt
rakt das Sehvermögen beeinträchtigt, erfolgt kurz
erkrankt sein. Die Sehbeeinträchtigung hat sowohl für
nach der Diagnosestellung eine Kataraktoperation, um
den Patienten als auch für das Gesundheitssystem
eine Amblyopie zu verhindern [3, 4].
hohe Kosten zur Folge.
Die Wirksamkeit der Kataraktextraktion wurde in einer
prospektiven, longitudinalen, populationsbasierten
Kohortenstudie an 190 Patienten in Schweden mit
Kate Hashemi
Klinische Anzeichen und Symptome
der Katarakt
15-jährigem Follow-up bestätigt [2]. Fünfzehn Jahre
Die klinischen Anzeichen und Symptome der Katarakt
nach dem Eingriff hatte sich die korrigierte Fernsicht
sind eine gelbliche oder bräunliche Linsentrübung,
im Durchschnitt von 20/20 auf 20/25 verschlechtert.
Lichtempfindlichkeit bei natürlichem Licht, das Sehen
Bei älteren Patienten war die Abnahme des subjektiven
von Lichthöfen um Lichtquellen, Schwierigkeiten bei
Sehvermögens höher. Der häufigste Grund dafür war
Nachtfahrten, Doppelbilder beim Schliessen eines Au-
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Übersichtsartikel AIM
Abbildung 1: A) Cataracta corticalis. B) Kongenitale Katarakt (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. med. F. Munier,
Hôpital ophtalmique Jules-Gonin), C) Cataracta nuclearis. D) Cataracta subcapsularis posterior.
ges, fortschreitende Kurzsichtigkeit (Index-Myopisie-
Korrelation zwischen dem Kataraktrisiko und der Er-
rung), Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von
nährung. Am höchsten war das Risiko bei Personen,
Farben wie Schwarz, Dunkelblau und Violett und
die über 3,5 Ounces [100 g] Fleisch pro Tag verzehrten,
schliesslich verschwommenes Sehen wie durch trübes
gefolgt von Personen mit moderatem und geringem
Glas oder ähnlich den Darstellungen auf impressionis-
Fleischkonsum, Personen, die Fisch verzehrten, Vege-
tischen Bildern [5].
tariern und Veganern. Das Risiko von Veganern war gegenüber dem von Personen mit hohem Fleischverzehr
Ernährung und Katarakt
um etwa 40% geringer [8].
In einer schwedischen Studie mit über 30 000 Frauen
In den letzten Jahren gab es Diskussionen darüber, ob
ab 49 Jahren wurde über einen Zeitraum von 7,7 Jahren
die Katarakt durch Nahrungsergänzungsmittel oder
der Zusammenhang zwischen dem Gesamtanteil an
gesunde Ernährung verhindert werden kann. Nichts-
Antioxidanzien in der Ernährung und altersbedingter
destotrotz weisen mehrere Studien darauf hin, dass
Katarakt untersucht. Die Autoren zeigten auf, dass
grünes Blattgemüse, Obst, antioxidanzienreiche Le-
Frauen, deren Ernährung die höchste totale antioxida-
bensmittel oder Multivitamin- respektive Mineralien-
tive Kapazität (TAC) aufwies, im Vergleich zu denen, de-
supplemente das Risiko, an Katarakt zu erkranken, ver-
ren Ernährung kaum Antioxidanzien enthielt, ein signi-
ringern können [6].
fikant geringeres Kataraktrisiko hatten. Die wichtigsten
Eine über zehn Jahre an der «Harvard Medical School»
Lebensmittel, welche die TAC in der Studienpopulation
durchgeführte prospektive Beobachtungsstudie mit
erhöhten, waren Obst und Gemüse (44,3%), Vollkorn-
über 35 000 Gesundheitsfachleuten kam zu dem
produkte (17,0%) und Kaffee (15,1%). Die Autoren kamen
Schluss, dass eine erhöhte Vitamin E-, Lutein- und Zea-
zu dem Schluss, dass die TAC der Ernährung umge-
xanthinzufuhr durch Lebens- und Nahrungsergän-
kehrt proportional mit dem altersbedingten Katarakt-
zungsmittel mit einem signifikant geringeren Kata-
risiko assoziiert war [9].
raktrisiko assoziiert war [7].
Die Auswertung der Ernährungsgewohnheiten von
Laut einer im Jahr 2011 im American Journal of Clinical
über 1600 Erwachsenen in Australien hat ergeben, dass
Nutrition veröffentlichten Studie mit über 27 000 nicht
eine kohlenhydratreiche Ernährung das Katarakt­
diabetischen Personen ab 40 Jahren besteht eine starke
risiko erhöhen könnte. Die zu den 25% mit dem höchs-
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Übersichtsartikel AIM
ten Gesamtkohlenhydratverzehr gehörenden hatten
Ein möglicher Ansatzpunkt zur Verhinderung oder
ein um das Dreifache höheres Kataraktrisiko als die zu
Umkehrung der Kataraktentwicklung ist die Plasma-
den 25% mit dem geringsten Kohlenhydratverzehr ge-
membran der Faserzellen, da die Doppellipidschicht
hörenden Personen [10].
der Linsenmembran eine Barriere bildet, die den Sau-
Und schlussendlich hat eine randomisierte doppelblinde
erstofftransport ins Linseninnere verhindert [15]. Für
und plazebokontrollierte Studie mit amerikanischen
die Homöostase der Augenlinse muss in ihrem Inne-
Ärzten von 40–84 Jahren (n = 22 071), die 12 Jahre lang
ren ein geringer Sauerstoffpartialdruck aufrechterhal-
entweder Beta-Carotin (50 mg alle zwei Tage) oder ein
ten werden. Im Alter verändert sich die Doppellipid-
Plazebo erhielten, weder einen allgemeinen Vor- noch
schicht der Plasmamembran stark. Dies spielt für die
Nachteil bezüglich der Entstehung von Katarakt bezie-
Homöostase der Augenlinse eine entscheidende Rolle.
hungsweise der Häufigkeit von Katarakt­extraktionen
So nimmt beispielsweise der Sphingolipidgehalt zu und
gezeigt. Bei Personen, die zu Studienbeginn Raucher wa-
der Phosphatidylcholingehalt ab [15–17].
ren, schien Beta-Carotin das erhöhte Kataraktrisiko hin-
Noch wichtiger ist die mit steigendem Alter zu beob-
gegen um ca. 25% gesenkt zu haben [11].
achtende Zunahme des Cholesteringehalts. Die Vor-
Andere Studien wiederum konnten keinen Zusam-
teile eines hohen Cholesteringehalts der Augenlinse
menhang zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und
sind aus Beobachtungen abzuleiten, laut denen bei
geringerem Kataraktrisiko feststellen. So konnte in
­einer hereditären Cholesterinstoffwechselstörung und
zwei vom «National Eye Institute» finanzierten Lang-
dem Einsatz von Medikamenten, welche die Choleste-
zeitstudien zu altersbedingten Augenerkrankungen
rinbiosynthese hemmen, die Kataraktentstehung bei
(AREDS und AREDS2) nicht nachgewiesen werden, dass
Tieren und Menschen begünstigt wird [15, 18, 19].
die Kataraktprogression durch die tägliche Einnahme
Klinische Studien haben diesbezüglich gemischte Re-
von Multivitaminsupplementen mit Vitamin C, E und
sultate gezeigt. In retrospektiven Kohortenstudien
Zink (mit oder ohne Beta-Carotin, Lutein und Zeaxan-
wurde nachgewiesen, dass das Kataraktrisiko bei Per-
thin sowie Omega-3-Fettsäuren) signifikant verhindert
sonen, die Statine einnahmen, gegenüber solchen, die
oder verlangsamt worden wäre [12, 13].
dies nicht taten, erhöht war [20–22]. Bei einer Studie
Alles in allem sind diese Studien mit Vorsicht zu genies­
über Aortenstenosen mit 1873 Patienten, die randomi-
sen. Eine epidemiologische Nachbeobachtung über
siert wurden und während eines durchschnittlichen
mehrere Jahre ist schwer umzusetzen. Zudem können
Follow-up von vier Jahren entweder Simvastatin plus
weitere genetische oder expositionelle Faktoren vorlie-
Ezetimib oder Plazebo erhielten, war die Kombina­tions­
gen. Folglich gibt es derzeit keine eindeutige Indikation
behandlung hingegen mit einer 44%igen Verringerung
für den Einsatz von Multivitaminsupplementen zur
des Kataraktrisikos assoziiert [23].
Prävention oder Verlangsamung der Kataraktentwick-
In einigen weiteren Studien wurde ebenfalls über ein
lung.
verringertes Kataraktrisiko im Zusammenhang mit der
Einnahme LDL-Cholesterin-senkender Medikamente
Katarakt und Fortschritte in
der Pharmakotherapie
berichtet [24, 25]. Möglicherweise ist die Schutzwirkung
von Statinen auf ihre entzündungshemmende und antioxidative Wirkung zurückzuführen.
Über die Möglichkeit, die Kataraktentwicklung medi-
Die entscheidende Rolle von Cholesterin in der Ho-
kamentös zu verhindern oder umzukehren, wurde
möostase der Augenlinse ist eindeutig, das Verhältnis
viele Jahre lang leidenschaftlich diskutiert, obgleich es
zwischen seiner schädlichen und schützenden Wir-
keinen schlüssigen Beweis dafür gibt, dass die Katarakt
kung jedoch bis dato ungeklärt. Das empfindliche
durch den Einsatz eines Medikaments behandelt oder
Gleichgewicht zwischen Phospholipid- und Choleste-
verhindert werden könnte. Nichtsdestotrotz weisen ak-
ringehalt bildet die Grundlage der aktuellen Forschun-
tuelle experimentelle Daten auf eine vielverspre-
gen und kann sich als wichtiger Ansatzpunkt für die
chende Zukunft der medikamentösen Kataraktthera-
Kataraktbehandlung und -prävention erweisen [15].
pie und -prävention hin. Bekanntermassen führen
Eine weitere Möglichkeit zur Aufhaltung oder Umkeh-
Mutationen in den Kristallinproteinen dazu, dass diese
rung der Kataraktentwicklung besteht darin, die Prote-
verklumpen, und sind somit die Ursache für die konge-
inverklumpung zu verhindern [14]. Die genauen Mecha-
nitale Katarakt, während oxidativer Stress mit oder
nismen der Proteinaggregation und Kataraktentstehung
ohne genetische Faktoren zu altersbedingter Katarakt
sind noch nicht erforscht. Mit der Alterung der Augen-
beiträgt [14].
linse endet die Synthese und Neubildung der intrazel­
Die Augenlinse von Säugetieren besteht aus Epithelzel-
lulären Proteine, damit diese das gesamte Leben lang
len, die sich zu langgestreckten Faserzellen umformen.
löslich und transparent bleiben. Durch ihre zuneh-
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Übersichtsartikel AIM
mende Zerstörung aufgrund verschiedener Faktoren
von mindestens 98% durchgeführt. Die Katarakt kann
wie oxidativem Stress werden die Kristallinproteine je-
manuell (extrakapsuläre Kataraktextraktion) oder mit-
doch unlöslich, wodurch die altersbedingte Katarakt
tels Phakoemulsifikation unter Anwendung von Hoch-
entsteht. Folglich bestünde eine Möglichkeit zur Kata-
frequenzultraschall mit oder ohne Femtolaser(FL)-as-
raktbehandlung darin, Wirkstoffe zu entwickeln, wel-
sistierte Operation entfernt werden. Meist wird dabei
che die Kristallinproteine stabilisieren.
eine Intraokularlinse (IOL) in den Kapselsack einge-
Mithilfe eines Tests zur Bestimmung der thermischen
setzt. Häufig erfolgt der Eingriff ambulant.
Stabilität ist es Makley et al. gelungen, eine Molekül-
Die heutigen Kataraktoperationen sind sicher und ef-
klasse zu identifizieren, welche die Alpha-Kristalline
fektiv. Nichtsdestotrotz streben Ophthalmologen und
bindet und ihre Aggregation in vitro umkehrt, die
Industrie beständig danach, die Resultate zu optimie-
Transparenz der Augenlinse bei Mäusen mit hereditä-
ren, indem sie das Material der IOL, die Diagnostik­
rer Katarakt verbessert, die Löslichkeit der Proteine
instrumente, die Laser- und Phakoemulsifikationstech-
älterer Mäuse in vivo und menschlicher Kristalline ex
nologie oder die Eigenschaften der IOL verbessern.
vivo zum Teil wiederherstellt [1].
Kürzlich wurden von der «U.S. Food and Drug Admi-
Überdies wurde in einer vor Kurzem im Jahr 2015 in
nistration» (FDA) einige FL zur Unterstützung der Chir-
Nature veröffentlichten In-vitro-Transfektionsstudie
urgen bei Kataraktoperationen zugelassen. Mit ihrer
Lanosterol durch die Hemmung der Proteinaggrega-
ultraschnellen Frequenz von 10–15 Sekunden und ih-
tion bei Hunden und Kaninchen als Hauptmolekül zur
rem geringen Energieverbrauch verursachen sie mög-
Kataraktprävention identifiziert. Die Autoren hatten
licherweise geringere Schäden am umliegenden Ge-
ebenfalls gezeigt, dass eine Behandlung mit Lanosterol
webe [27–30].
bei Kaninchen in vitro die Kataraktintensität der ent-
Die Laser können eingesetzt werden, um die erste Inzi-
fernten Augenlinsen verringern und die Transparenz
sion am Auge durchzuführen, die Vorderkapsel zu öff-
der Kristalline verbessern sowie die Katarakt­intensität
nen, den Linsenkern zu fragmentieren und bei Patien-
bei Hunden in vivo verbessern könnte. Daraus schluss-
ten mit Hornhautverkrümmung präzise Inzisionen an
folgerten sie, dass Lanosterol ein Hauptmolekül zur
der Hornhaut vorzunehmen [31, 32]. Sie ermöglichen
Verhinderung der Proteinaggregation ist und eine neue
präzisere Inzisionen als bei der manuellen Technik so-
Strategie zur Kataraktprävention und -behandlung dar-
wie eine genau abgestimmte und gleichmässige zen­
stellt [26].
trale Kapsulotomie mit geringerer Verschiebung und
Obgleich es zu früh ist, um seine Relevanz für die
Verkippung der IOL sowie einer besseren Zentrierung,
menschliche Augenlinse zu beurteilen, handelt es sich
wodurch eine präzisere postoperative Refraktion er-
dabei um eine äusserst spannende Entdeckung. Wenn
zielt wird. Überdies verbessert die in einigen FL inte­
sich der oben genannte Ansatz bezüglich der Präven-
grierte optische Kohärenztomographie (OCT) in
tion oder Umkehrung der Kataraktentwicklung bei
schwierigen Fällen mit schlechten Sichtbedingungen
Menschen als ebenso wirksam erweist, ist er als bahn-
die Operationssicherheit. Die Anwendung von FL kann
brechende und revolutionäre Entdeckung zu betrach-
insbesondere bei Patienten mit endothelialer Horn-
ten, welche die Notwendigkeit einer Kataraktoperation
hautdystrophie sinnvoll sein, bei denen eine möglichst
verringern kann. Solange keine wirksame medika-
geringe oder keine Ultraschallenergie eingesetzt wer-
mentöse Behandlung vorhanden ist, bleibt die chirur-
den sollte [33]. Zukünftig werden die FL wahrscheinlich
gische Ablation der Augenlinse jedoch die einzige der-
noch kleiner sein und mit dem Operationsmikroskop
zeit effektive Katarakttherapie.
verbunden werden können, wodurch eine Kombination von Kataraktoperationen mit Eingriffen an Horn-
Fortschritte in der Kataraktchirurgie
haut und Glaskörper möglich wird. Nichtsdestotrotz
können FL nicht alle Operationsetappen ersetzen. Die
In den ersten Stadien der Erkrankung kann die Seh-
Entfernung des Linsenkerns, die Spülung der Rinde
schärfe durch eine Brille, Kontaktlinsen, eine Vergrös­
und Kapsel sowie der Einsatz der IOL müssen auch wei-
serung mittels bifokaler Brille oder eine Anpassung der
terhin durch einen Chirurgen erfolgen.
Lichtstärke verbessert werden. Reichen diese nicht chi-
Derzeit handelt es sich um eine Operationstechnik mit
rurgischen Massnahmen nicht mehr aus, ist eine Kata-
den üblichen Risiken. Zudem ist der FL-Einsatz kosten-
raktoperation erforderlich.
intensiver und wird in der Schweiz nicht von den Kran-
Kataraktoperationen sind der häufigste chirurgische
kenkassen übernommen. Überdies ist der Nutzen für
Eingriff in den USA. Laut der «American Society of Ca-
einen erfahrenen Operateur gering und erfordert im
taract and Refractive Surgery» werden jährlich über
Allgemeinen mehr Operationszeit, wodurch wiede-
3 Millionen chirurgische Eingriffe mit einer Erfolgsrate
rum Probleme aufgrund einer unzureichenden peri-
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Übersichtsartikel AIM
operativen Dilatation auftreten können [34]. Des Wei-
Zu den Kontraindikationen gegen die Verwendung
teren konnte in Studien nicht eindeutig nachgewiesen
multifokaler Implantate zählen eine Makuladegenera-
werden, dass durch den Einsatz von FL in allen Fällen
tion, eine epiretinale Membran, eine Hornhauterkran-
die Sicherheit der Kataraktoperation, die Genesungs-
kung, ein Glaukom oder Strabismus. Denn diese Er-
dauer und die Sehstärke verbessert wurden [35, 36].
krankungen können eine leichte Verschlechterung des
Kontrastsehens, Blendungen, Lichthöfe um Lichtquel-
Fortschritte in den Bereichen Intra­
okularlinsen und Biometrie
len und Schwierigkeiten beim Nachtsehen verstärken,
die im Zusammenhang mit multifokalen Implantaten
auftreten. Überdies sind multifokale Linsen bei Patienten mit Uveitis kontraindiziert, da durch die Entzün-
Seit Einführung der ersten IOL im Jahr 1949 [37] wur-
dung das Risiko für eine Dezentrierung der IOL und so-
den in der IOL-Technologie grosse Fortschritte erzielt,
mit für eine sekundäre Diplopie erhöht ist.
um ihre Biokompatibilität und Stabilität zu verbessern
Der Nachteil monfokaler IOL besteht darin, dass für
[38, 39]. Die Wahl der IOL hängt von den Bedürfnissen
das Sehen im Mittel- und Nahbereich eine Brille getra-
und Vorlieben des Patienten ab. Derzeit stehen IOL zur
gen werden muss.
Auswahl, die nicht nur eine postoperative Aphakie kor-
Die aktuellen Fortschritte der IOL-Technologie beste-
rigieren, sondern auch die sphärische und chromati-
hen in einer Kompensation der chromatischen Aberra-
sche Aberration verringern sowie die Makula vor UV-
tion des durchschnittlichen Auges von 2D im Wellen-
Strahlung und dem schädlichen Einfluss blauen Lichts
bereich von 400–700 nm [41]. Eine aktuell in sieben
schützen können. Eine weitere Variante sind korrigie-
europäischen Ländern mit 290 Patienten durchge-
rende mono- oder multifokale respektive torische IOL
führte internationale prospektive Multizenterstudie,
zur Korrektur einer Hornhautverkrümmung. So kann
die CONCERTO-Studie, hat gezeigt, dass dank der IOL
der Chirurg beispielsweise beidseitig monofokale IOL
Tecnis Symfony® (Abbott Medical Optics [AMO]) mit
einsetzen, um eine hervorragende Fernsicht ohne Kor-
exklusiver achromatischer diffraktiver Technologie
rektur zu erzielen, oder multifokale IOL, um die Sicht
4–8 Wochen nach der Kataraktoperation eine hervorra-
im Fern-, Mittel- und Nahbereich zu korrigieren (Abb. 2).
gende Sicht auf alle Entfernungen mit geringen Blen-
Bei einer Hornhautverkrümmung kann in allen Fällen
dungen und Lichthöfen um Lichtquellen, eine hohe Pa-
eine torische IOL verwendet werden [32, 40]. Derzeit
tientenzufriedenheit und Brillenunabhängigkeit erzielt
werden die Kosten für torische oder multifokale Lin-
werden konnten [32, 42].
sen in der Schweiz nicht von der Krankenkasse über-
Die ideale IOL könnte nicht nur die Transparenz der
nommen. Die perioperative Aberrometrie ist eine wei-
natürlichen menschlichen Augenlinse, sondern auch
tere Technologie mit grossem Potenzial, insbesondere
ihre Fähigkeit nachahmen, die Form und Brechkraft
für torische IOL. Sie liefert Echtzeitinformationen über
durch Kontraktionen des Ziliarmuskels ohne Kontrast-
den Grad der Hornhautverkrümmung und die genaue
verlust oder Blendungen zu verändern.
Achse, wodurch die IOL während des Eingriffs ange-
Derzeit befinden sich mehrere akkomodierende IOL in
passt werden kann.
Entwicklung. So kann beispielsweise die IOL FluidVi-
Abbildung 2: A) Multifokale Intraokularlinse (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Domedics AG).
B) Multifokale Intra­okularlinse.
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Übersichtsartikel AIM
sion® (PowerVision, Belmont, CA) durch Kontraktio-
mit einer Wellenlänge von 1060 nm, welche die Kata-
Dr. med. Lazaros
nen des Ziliarmuskels und damit Bewegungen des Sili-
rakt stärker durchdringt und somit bei der Messung
Konstantinidis
konöls im Inneren der Linse ihre Form und Brechkraft
der Achsenlänge eine Erfolgsrate von 96% erzielt [48].
verändern [43]. Auch die Implantate DynaCurve (Nu-
Mit steigender Nachfrage nach multifokalen IOL müs-
Lens, Israel) und Lumina (Akkolens, Niederlande) gehö-
sen Kataraktchirurgen bei der Makulauntersuchung
ren zu den in der Entwicklung befindlichen IOL [32, 43–
vor der Operation mit zunehmend höherer Sorgfalt
46].
vorgehen. Das Vorliegen einer Augenerkrankung stellt
Die heutigen Kataraktoperationen erfordern eine prä-
eine Kontraindikation gegen den Einsatz einer multi-
zise Messung der Augenstrukturen (Biometrie), insbe-
fokalen IOL dar, da diese das Kontrastsehen ver-
sondere bei Patienten, die multifokale IOL benötigen
schlechtern kann. Bei einer gewöhnlichen Augenhin-
und keine Brille tragen möchten. Um die Stärke der IOL
tergrunduntersuchung mittels Spaltlampe wird eine
zu berechnen, müssen vor dem Eingriff die biometri-
leichte Makulaerkrankung häufig übersehen. Die opti-
schen Variablen wie die Achsenlänge des Auges und
sche Kohärenztomographie bietet eine axiale Auflö-
die Hornhautwölbung bestimmt werden. Bei Patienten
sung bis 10 µm, erfordert jedoch mehr Zeit und eine
nach einer Sehschärfenkorrektur mittels Laser, durch
zusätzliche Untersuchung. Ein neues optisches Biome-
welche die Hornhautwölbung verändert wurde, ist eine
triegerät (IOLMaster 700 von der Carl Zeiss Meditec AG)
Anpassung der Formeln zum Beispiel des StoP IOL-
verwendet eine Swept-Source OCT-Technologie, mit-
Rechners erforderlich um die Refraktionsergebnisse
hilfe derer nicht nur die biometrischen Daten erfasst,
besser vorhersagen zu können. [47] Bei Patienten mit
sondern auch Makulaerkrankungen aufgespürt werden
dichten Katarakten können die Messwerte der Achsen-
können. Dabei handelt es sich um das erste bekannte
länge ungenau sein. Argos, ein neues OCT-Biometer
Biometriegerät mit integrierter Swept-Technologie zum
(Movu, Inc.), verwendet eine Swept-Source-Technologie
Scan der zentralen Makula, wodurch es eine hohe Sensi-
Korrespondenz:
Hôpital ophtalmique
Jules-Gonin
Avenue de France 15
CH-1003 Lausanne
lazaros.konstantinidis[at]
fa2.ch
tivität beim Screening auf Makulerkrankungen wie dem
Makulaödem (Flüssigkeitsansammlung in der Mitte
Das Wichtigste für die Praxis
• Die Katarakt ist die Hauptursache für Blindheit weltweit, obgleich die
heutigen Kataraktoperationen sicher und effektiv sind.
• Durch den zunehmenden Fortschritt der Kataraktchirurgie, die verbesserte Technologie der Intraokularlinsen (IOL), die präzisere biometrische
Beurteilung und Feststellung von Komorbiditäten der Augen verfügen
die Kataraktchirurgen über zahlreiche Instrumente, um das beste Resultat für ihre Patienten zu erzielen.
• Überdies wecken aktuelle experimentelle Fortschritte die Hoffnung auf
eine möglicherweise vielversprechende Zukunft der medikamentösen
Katarakttherapie.
der Netzhaut) aufweist.
Achtung, bei einem Makulaödem ist vor einer Katarakt­
operation eine entzündliche Augenerkrankung (Uveitis) auszuschliessen. Eine Kataraktoperation bei einer
Uveitis erfordert besondere Vorsichtsmassnahmen mit
einer Entzündungskontrolle sechs Monate vor dem chirurgischen Eingriff.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
Die vollständige Literaturliste finden Sie als Anhang des Online-Artikels
unter www.medicalforum.ch.
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