Rhetorik: Ein internationales Jahrbuch – Band 26: Rhetorik und Film Herausgegeben von Hans-Edwin Friedrich Max Niemeyer Verlag Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch Band 26 Rhetorik und Film Rhetorik Ein internationales Jahrbuch Herausgegeben von Manfred Beetz Joachim Dyck Wolfgang Neuber Gert Ueding Band 26 Rhetorik und Film Herausgegeben von Hans-Edwin Friedrich Max Niemeyer Verlag T*bingen 2007 n Herausgeber Bd. 26: Hans-Edwin Friedrich Reihenherausgeber Prof. Dr. Manfred Beetz Germanistisches Institut, Martin-Luther-Universit2t Halle-Wittenberg Herweghstraße 96, D-06099 Halle (Saale) Prof. Dr. Joachim Dyck Elsasser Str. 97a, D-28211 Bremen Prof. Dr. Wolfgang Neuber Institut f*r Deutsche und Niederl2ndische Philologie, Freie Universit2t Berlin Habelschwerdter Allee 45, D-14195 Berlin Prof. Dr. Gert Ueding Seminar f*r Allgemeine Rhetorik, Universit2t T*bingen Wilhelmstraße 50, D-72074 T*bingen Redaktion Olaf Kramer Seminar f*r Allgemeine Rhetorik, Universit2t T*bingen email: [email protected] Manuskripte in deutscher, englischer oder franzçsischer Sprache werden an die Adresse in T*bingen erbeten. Rezensionen Besprechungsexemplare werden an die Adresse in Halle z. H. Herrn Dr. Wilhelm Haefs erbeten. Eine Verpflichtung zur Besprechung eingesandter Schriften, soweit sie nicht angefordert worden sind, besteht nicht. Nach Erscheinen erhalten die Verlage zwei Belege der Rezensionen. Editeur de Prof. Dr. Jean-Paul Sermain compte-rendus U.F.R. de Litterature et Linguistique FranÅaises et Latines, pour la France Centre Censier, 13, rue Santeuil, F-75231 Paris Cedex 05 Verlag Max Niemeyer Verlag, ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Postfach 2140, D-72011 T*bingen. Telefon (07071) 9894-0, Fax (07071) 9894-50 Anzeigen Verantwortlich f*r den Anzeigenteil: Dietlind Makswitat. G*ltig ist Preisliste Nr. 9 vom 1.6.2006. Umschlagbild Sergei Eisenstein, Panzerkreuzer Potemkin, UdSSR 1925. ISSN 0720-5775 ISBN 978-3-484-60489-6 G Max Niemeyer Verlag, T*bingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich gesch*tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzul2ssig und strafbar. Das gilt insbesondere f*r Vervielf2ltigungen, Ibersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf alterungsbest2ndigem Papier. Satz: epline, Kirchheim unter Teck. Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten. Inhalt Hans-Edwin Friedrich Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Anke-Marie Lohmeier Symbol, Allegorie, Vergleich. Zur Konstitution uneigentlicher Bedeutung im Film. 1 Oliver Jahraus Bild-Film-Rhetorik. Medienspezifische Aspekte persuasiver Strukturen und die Eigendynamik einer bildgest*tzten Konzeption von Filmrhetorik. . . . . . . . . . . . . . . . 11 Ulrich Meurer Screen Memories: Simonides in Connecticut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Sebastian Donat Wovon »Dances with Wolves« nichts wissen konnte. Filmische Ibersetzung als Kommunikator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Chris Wahl Von der Bedrohung durch das Sprechen zur Gestaltung durch die Sprachen. Iber die Internationalit2t, Transnationalit2t und Multinationalit2t von Spielfilmen 60 Uli Jung Der ›Affenprozeß‹ in »Heavenly Hillsboro«. Stanley Kramers Gerichtsfilm »Inherit the Wind« (USA 1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Alexandra Hissen »Fahrenheit 9/11«: Der Film zum Wahlkampf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Diskussionsforum Karl-Heinz Anton Illokution2re und perlokution2re Sprechakte. Notizen zu einer Theorierevision bei Habermas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Gregor Kalivoda Rhetorik als Wissenschaft. Epistemische und technologische Aspekte der Redelehre 102 Jahrbuch Rhetorik · Band 26 V Inhalt Bibliographie Jçrg Jungmayr Bibliographie deutschsprachiger Rhetorikforschung 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Doerte Bischoff / Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.), Mitsprache, Rederecht, Stimmgewalt. Genderkritische Strategien und Transformationen der Rhetorik. 2006 (Carola Hilmes) – Wayne C. Booth, The Rhetoric of Rhetoric. The Quest for Effective omminucation. 2004; Walter Jost / Wendy Olmstedt (Eds.), A Companion to Rhetoric and Rhetorical Criticism. 2004 (Dietmar Till) – Marian F*ssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universit2t der Fr*hen Neuzeit. 2006 (Thomas Zinsmaier) – Daniel M. Gross, Ansgar Kemmann (Hg.), Heidegger and Rhetoric. 2005 (Franz-Hubert Robling) – Albrecht Haizmann, Indirekte Homiletik. Kierkegaards Predigtlehre in seinen Reden. 2006 (Tim Hagemann) – Joachim Knape (Hg.): Bildrhetorik. 2007 (Karen Bofinger) – Josef Kopperschmidt (Hg.), Die Neue Rhetorik. Studien zu Chaim Perelman 2006 (Manfred Kienpointner) – Renate Lachmann, Erz2hlte Phantastik. Zu Phantasiegeschichte und Semantik phantastischer Texte. 2002 (Sandra Frçhlich) – Stefanie Wçhrle, Predigtanalyse. Methodische Ans2tze, homiletische Pr2missen, didaktische Konsequenzen. 2006 (Roman B. Kremer) Abbildungsvrezeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Adressenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 VI Jahrbuch Rhetorik · Band 26 Vorwort des Herausgebers Obwohl die Frage nach der Wirkung von Filmen auf die Zuschauer bzw. die Wirkungsabsichten der Filmschaffenden zu den ersten und bis heute zentralen Fragen von Filmkritik und -wissenschaft zu zhlen sind, ist die Hilfe der Rhetorik als der ltesten mit einschlgigen Problemen befaßten Disziplin erst spt gesucht worden. Klaus Kanzog, der die erste Monographie zum Thema vorlegte, hat noch 2001 festgehalten, daß die »interdisziplinre Tauglichkeit der Rhetorik […] von der Filmwissenschaft bisher nur in Anstzen erkannt und f0r die Filmanalyse kaum genutzt« worden sei. Filmrhetorik sei ein »Erkenntnismittel, mit dessen Hilfe filmische Eindr0cke in einen Prozeß der Bedeutungsfindung (und des Verstehens) 0berf0hrt werden kçnnen«.1 Weitere Impulse gehen seit einigen Jahren vom Paradigma der Bildwissenschaft aus, die Bilder als Zeichensysteme innerhalb eines Kommunikationszusammenhangs versteht.2 Filme sind als kçrperunabhngige und fixierte Kommunikationsformen demgegen0ber von hçherstufiger Komplexitt.3 Die Rhetorik bietet den Vorzug einer bewhrten und klar ausgearbeiteten Systematik, die einen Film detailliert auf seine persuasiven Strategien hin zu untersuchen gestattet. Ihre Leitfrage ist nach den Ausf0hrungen von Joachim Knape, wie und warum ein Kommunikator effizient und erfolgreich kommuniziert. Der »Autor« eines Films4 wird aus diesem Blickwinkel nach der Handlungsrolle des Orators konzipiert, der Film wird ihm als Handlungskalk0l zugeordnet.5 Eine solche Auffassung versteht die Rhetorik primr und mit Recht als Analyseinstrumentarium, das immer dann heranzuziehen ist, wenn von der Seite der Produktion das Ziel der persuasio verfolgt wurde. Das Aufgabenfeld einer Filmrhetorik reicht dar0ber allerdings hinaus. Noch kaum in den Blick genommen ist die Frage nach medienspezifischen Besonderheiten, nach genuin filmrhetorischen Strukturen und Mitteln.6 Die Filmgeschichte bietet auch zahlreiche Beispiele daf0r, wie die einzelnen Elemente und Aspekte der Rhetorik in unterschiedlicher Weise als Themen und Probleme filmischer Diegese 1 2 3 4 5 6 Klaus Kanzog, Grundkurs Filmrhetorik, M0nchen 2001, 14; vgl. Anke-Marie Lohmeier, Filmrhetorik, in: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wçrterbuch der Rhetorik. T0bingen 1996, III Sp. 247 – 264. Vgl. Klaus Sachs-Hombach, Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft, Kçln 2003, 20. Vgl. Sachs-Hombach, Bild, 227 ff. Zur grundlegenden Problematik vgl. Jan Distelmeyer, Autor Macht Geschichte. Oliver Stone, seine Filme und die Werkgeschichtsschreibung, M0nchen 2005. Vgl. Joachim Knape, Rhetorik, in: Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildwissenschaft. Diziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt am Main 2005, 134 – 148. Vgl. Joachim Knape, »The Medium is the Massage«? Medientheoretische Anfragen und Antworten der Rhetorik, in: Ders. (Hg.): Medienrhetorik, T0bingen 2005, 17 – 39; hier: 34. Jahrbuch Rhetorik · Band 26 VII Vorwort des Herausgebers erscheinen. Filmrhetorische Fragestellungen gehçrten demnach immer schon zu den Forschungsprogrammen der Film- und Medienwissenschaft. Die Rhetorik ist aus einer konkreten Ursituation heraus entwickelt worden. Die medial differenzierte und wesentliche komplexere Situation eines Films wirft Fragen nach den medienspezifischen Besonderheiten auf, denen Oliver Jahraus nachgeht. Anke-Marie Lohmeier untersucht, wie uneigentliche Rede im Film 0ber Bilder konstituiert wird und wie diese Bilder als Metalogismen fungieren. 1924 hatte Béla Balázs hoffnungsvoll vermutet, »die Filmkunst [scheine] eine Erlçsung von dem babelschen Fluch zu versprechen. Denn auf der Leinwand der Kinos aller Lnder entwickelt sich jetzt die erste internationale Sprache: die der Mimen und Gebrden.«7 Mit der Umstellung zum Tonfilm um 1930 wird folglich die Frage der Adressierung an ein sprachlich diversifiziertes Publikum virulent. Die unterschiedliche Lçsungsversuche f0r dieses Problem rekonstruiert Chris Wahl. Frank Perrys »The Swimmer« reflektiert, wie Ulrich Meurer zeigt, verschiedene Konzeptionen der memoria. Die Gerichtsrede als genuin rhetorische Gattung hat vor allem im amerikanischen Kino ein eigenes Filmgenre ausgebildet. Uli Jungs Fallstudie ist der dramaturgisch-rhetorischen Umsetzung des »monkey trial« in Stanley Kramers Version gewidmet. Sebastian Donat entwickelt ein Modell der Beschreibung und Analyse filmischer Obersetzung und behandelt im besonderen den Fall, da sie intradiegetisch in der Funktion eines Kommunikators erscheint. Michael Moores Filme haben bezogen auf ihren Gattungsstatus als Dokumentarfilme Irritationen hervorgerufen, weil sie auf persuasio zielen. Alexandra Hissen analysiert detailliert die rhetorischen Strategien in »Fahrenheit 9/11«. Es ist zu w0nschen, daß die Beitrge des vorliegenden Jahrbuchs als B0ndelung und Bestandsaufnahme des Feldes der Filmrhetorik zu weiteren Untersuchungen anregen. Kiel, Im Juni 2007 Hans-Edwin Friedrich Herausgeber und Redaktion danken dem Universittsbund T0bingen herzlich f0r die hilfreiche finanzielle Unterst0tzung dieses Bandes. 7 Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (1924), in: Ders., Schriften zum Film, hg. von Helmut H. Diederichs, Wolfgang Gersch, Magda Nagy, Bd. 1: ›Der sichtbare Mensch‹. Kritiken und Aufstze 1923 – 1926. M0nchen / Budapest 1982, 43 – 143; hier: 57. VIII Jahrbuch Rhetorik · Band 26 Anke-Marie Lohmeier Symbol, Allegorie, Vergleich Zur Konstitution uneigentlicher Bedeutung im Film Uneigentliche Rede entsteht, so lehrte schon Quintilian, durch immutatio, durch die Ersetzung eines Wortes durch ein anderes oder einer ganzen Aussage durch eine andere. Im ersten Fall spricht die Rhetorik von Worttropen oder Metasememen, im zweiten von Gedankenfiguren oder Metalogismen.1 Worttropen oder Metasememe sind kalkulierte Verstçße gegen das Lexikon, erzwingen eine Neubestimmung der im Lexikon geregelten Standardbeziehung zwischen Signifikant und Signifikat. Die F0gung »schwarze Milch der Fr0he« aus Paul Celans Todesfuge nçtigt den Hçrer, die Standardbedeutung des Wortes »Milch« nach Maßgabe des »konterdeterminierenden Kontextes« (Weinrich),2 des Adjektivs »schwarz«, zu ver;ndern. Eine Metapher entsteht. Gedankenfiguren oder Metalogismen dagegen stellen das Lexikon, stellen 0berhaupt das Sprachsystem nicht in Frage. Sie verstoßen nicht gegen sprachliche Regeln, sondern gegen Regeln der kommunikativen Praxis: gegen die Erwartung, daß einer, der etwas sagt, auch meint, was er sagt, genauer: daß der Sachverhalt, auf den sein Sprechakt referiert, auch der von ihm gemeinte Sachverhalt ist. Mit der wiederholten Feststellung »Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann« verstçßt Shakespeares Antonius (Julius Caesar) nicht gegen Sprachregeln, denn der Satz ist, anders als die Celansche Metapher, ohne Ver;nderung der Standardbedeutungen der Wçrter verst;ndlich. Er sagt nur nicht das, was er meint, genauer: er bezeichnet nicht das Gemeinte, sondern das, was er gerade in Zweifel ziehen mçchte. Ironie entsteht. Metalogisches Sprechen ver;ndert nicht die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat, sondern zwischen einer =ußerung und dem von ihr gemeinten außersprachlichen Sachverhalt, zwischen Zeichen und Referenten. Metalogische Sprechakte sind eine Form der dissimulatio, aber einer dissimulatio, die durchschaut sein mçchte. Sie sagen nicht die Wahrheit oder nur die halbe, sie verhehlen ihren wahren Referenten, geben aber zugleich Hinweise auf ihn (im Beispielfall durch Ironiesignale). Bilder kçnnen keine den Worttropen oder Metasememen vergleichbare Formen bilden, weil die Beziehung zwischen Signifikanten und Signifikaten hier nicht, wie bei sprachlichen Zeichen, auf Arbitrarit;t, sondern auf =hnlichkeit beruht, folglich auch nicht durch einen »konterdeterminierenden Kontext« gestçrt, ver;ndert werden kann.3 Wohl aber 1 2 3 Die Begriffe Metasemem und Metalogismus wurden von Jacques Dubois et. al. (Allgemeine Rhetorik, M0nchen 1974) eingef0hrt und mit einer strukturalistischen Reformulierung der klassischen rhetorischen Kategorien verbunden. Der dabei erzielte Zugewinn an begifflicher Pr;zision rechtfertigt die Einf0hrung der neuen Begriffe. Vgl. Harald Weinrich, Semantik der Metapher, in: Folia linguistica 1 (1967) 3 – 17. Zur genaueren Begr0ndung dieser These vgl. Anke-Marie Lohmeier, Filmrhetorik, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wçrterbuch der Rhetorik, T0bingen 1996, III Sp. 347 – 364; Dies., Hermeneutische Jahrbuch Rhetorik · Band 26 1 Anke-Marie Lohmeier kçnnen Bilder etwas anderes zeigen als sie meinen, sie kçnnen dissimulieren, also metalogisch verfahren. Da Metalogismen nicht in die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat eingreifen, sondern nur die Beziehung zwischen Gesagtem (Abgebildetem) und Gemeintem betreffen, steht der Sprache der Bilder f0r die Konstitution uneigentlicher Bedeutungen das gesamte Ensemble metalogischer Formen zu Gebote. Im Film begegnen uneigentliche Bildbedeutungen vor allem in drei metalogischen Formen: als Symbole, als Allegorien und als (symbolisch oder allegorisch strukturierte) Vergleiche. 1. Begriffsbestimmungen Gedankenfiguren oder Metalogismen sind Sprechakte mit zwei Bedeutungen, einer eigentlichen (Proprium) und einer uneigentlichen (Improprium). In linguistischer Diktion kann man auch sagen: Metalogismen haben zwei Referenten, einen falschen (Proprium) und einen wahren (Improprium),4 wobei die Pr;dikate falsch und wahr hier keine erkenntnislogischen Kategorien sind, sondern lediglich die Beziehung zu dem vom Sprecher Gemeinten beschreiben: Das Proprium, die eigentliche Bedeutung eines metalogischen Sprechakts, ist falsch insofern, als es nicht oder nur unvollst;ndig das vom Sprecher Gemeinte erfaßt. Deshalb beh;lt die eigentliche Bedeutung metalogischer Sprechakte auch stets ihre Geltung, wird nicht, wie bei Metasememen, durch das Improprium verdr;ngt.5 Die differenten Formen metalogischen Sprechens (Abbildens) lassen sich aus den differenten Beziehungen ableiten, die zwischen falschen und wahren Referenten metalogischer Sprechakte bestehen kçnnen. Beim Film geht es vor allem um die Differenzen zwischen Symbol und Allegorie und damit um ein sehr altes Problem rhetorischer Begriffsbildung. Das kann hier aus Platzgr0nden nicht ausgebreitet, stattdessen nur eine knappe Begriffsbestimmung vorgeschlagen werden.6 Bei symbolischen Sprechakten ist die Beziehung zwischen falschen und wahren Referenten (Rf und Rw) die eines Besonderen zu einem Allgemeinen. Der proprie dargestellte Sachverhalt ist Einzelfall eines allgemeinen Ph;nomens, das es improprie zu verstehen 4 5 6 Theorie des Films, T0bingen 1996, 299 – 363. Wie dort (307 – 309) gezeigt wird, beruht der gern verwendete Ausdruck »Filmmetapher« auf einer Verwechslung des Bildzeichens mit seinem sprachlichen Korrelat und dessen mentaler Begriffsrepr;sentation. Vgl. Dubois et. al., Allgemeine Rhetorik, 57 f. Ein Beispiel: In Andrej Tarkovskijs Film »Nostalghia« (I 1983) bet;tigt der Sonderling Domenico (Erland Josephson) beim Gang durch seine abbruchreife Behausung eine frei im Raum stehende T0r, statt, wie sein Gast Gortchakov (Oleg Jankovsky), sich die M0he des Mffnens und Schließens zu sparen und um sie herum zu gehen. Dieses metalogische Bild ist falsch nur insofern, als es nicht das bezeichnet, was es meint. Gemeint ist ein abstrakter Gedanke, der Protest gegen die (von Gortchakov befolgten) Verhaltensnormen der instrumentellen Vernunft, der hier metalogisch formuliert wird, indem ein funktionsloses Instrument benutzt, wie ein funktionales Instrument behandelt wird. Dem eigentlichen Vorgang selbst aber geht dadurch nichts von seiner Geltungsf;higkeit ab: Domenico hat die sinnlose T0r ja wirklich in seinem Haus stehen und benutzt sie, wie man sieht, auch regelm;ßig, das heißt: Eigentlich – auf eigentlicher Bedeutungsebene, und das heißt in diesem Film ganz buchst;blich: im Horizont pragmatisch-rationalen Weltverstehens – ist Domenico verr0ckt. Beides ausf0hrlicher in Lohmeier, Theorie des Films, 322 – 348. 2 Jahrbuch Rhetorik · Band 26 Symbol, Allegorie, Vergleich gilt. Die logische Struktur dieser Beziehung l;ßt sich mit mengentheoretischen Begriffen pr;ziser fassen: als Elementbeziehung (Rf ˛ Rw). Als Elementbeziehung wird in der Mengentheorie die Relation zwischen den Elementen einer Menge und dieser Menge selbst bezeichnet, der Umstand also, daß ein Objekt x Teil einer Menge M ist (x ˛ M). Diese Bestimmung entgeht den ontologischen Implikationen, die dem rhetorischen Symbolbegriff seit der Goethezeit anhaften.7 Es gen0gt festzustellen, daß die Elementbeziehung zwischen falschen und wahren Referenten bei symbolischen Sprechakten eine in der Regel stark konventionalisierte ist. Aussagen 0ber deren ontologischen Status m0ssen nicht getroffen werden. Der Hinweis auf die Konventionalit;t der Mengen (Klassifikationen), mit denen Symbole operieren, kann erkl;ren, warum sie vom Hçrer leichter erschlossen werden kçnnen als Allegorien: Der Hçrer muß vom dargestellten Besonderen auf ein Allgemeines schließen, das er schon kennt, das Teil seines kulturellen Wissens ist. Ein Beispiel: Hans Castorps Reise ins Hochgebirge am Beginn von Thomas Manns Zauberberg wird beschrieben als Reise ins »Ungewohnte«, in eine Region jenseits der Laubwaldzone, wo »eigent0mlich d0nne und sp;rliche Lebensbedingungen herrschten«.8 Das ist eine symbolische Vorausdeutung auf seine Geschichte, auf die Welt des »Berghof«, die ihn erwartet, und auf den Konflikt von Todesverfallenheit und Lebenswillen, von Selbstverlust und Individuationsprinzip, mit dem er es dort zu tun bekommt. Sie arbeitet mit konventionellen Klassenbildungen: Der Naturraum, in den sich Hans Castorp von der Schmalspurbahn tragen l;ßt, ist als lebensfeindlicher Ort konventionalisiert, kann daher zum symbolischen Repr;sentanten eines allgemeinen Ph;nomens, der Lebensverneinung, werden. Bei allegorischen Sprechakten liegen die Dinge anders. Hier ist die Beziehung zwischen falschen und wahren Referenten nicht die zwischen einem Besonderen und einem Allgemeinen, sondern zwischen zwei Sachverhalten, die aufgrund gemeinsamer Merkmale derselben Klasse (Menge) von Sachverhalten zugeordnet werden kçnnen. Sie verhalten sich mithin, mengentheoretisch gesehen, wie zwei Elemente einer Menge zueinander (M = {Rf , Rw}). Ein kleines Gedicht Gottfried Benns aus der fr0hen Nachkriegszeit, Radar (1949), beschreibt die Orientierungslosigkeit dieser Jahre im Bild eines umherirrenden Segelschiffes, dem die Takelage fehlt:9 7 8 9 Goethes Symbolbegriff, der, zumal in der Literaturwissenschaft, eine wirkm;chtige Begriffstradition stiftete, bestimmte die Beziehung zwischen symbolischem Proprium und Improprium als ›wesenhafte‹, die Erschließung des Symbols entsprechend als einen Akt divinatorischer ›Wesensschau‹ und wertete deshalb die Allegorie (als bloßen »Begriff«, d. h. als Resultat klassifizierender T;tigkeit) gegen0ber dem Symbol stark ab (vgl. J. W. Goethe, Maximen und Reflexionen, in: Werke, Hamburger Ausgabe, hg. von E. Trunz, Hamburg 1953, XII 470 f. (Nr. 749 – 752). – Zum ontologischen Problem des an diese Begriffstradition anschließenden Symbolbegriffs vgl. Lohmeier, Theorie des Films, 322 – 329. Thomas Mann, Der Zauberberg, hg. v. Michael Neumann, Frankfurt a. M. 2002 (Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Bd. V.1), 13. Gottfried Benn, Radar, in: S;mtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe in Verbindung mit Ilse Benn hg. v. Gerhard Schuster, Stuttgart 1986, II, 144. Jahrbuch Rhetorik · Band 26 3 Anke-Marie Lohmeier Ein Nebel wie auf See – und meine Belle-Etage f;hrt ohne Takelage von Quai zu Quai. Sie findet keinen Ort, daran das Tau zu schlingen, denn neue Wellen bringen sie wieder fort. Wie weit sind Sund und Belt. und schwer die Hafenfrage, wenn – ohne Takelage – noch Nebel f;llt! Zwei Sachverhalte (ein mançvrierunf;higes Schiff, ein orientierungsloses Ich) werden in Verbindung gebracht, indem sie aufgrund eines gemeinsamen Merkmals (Umherirren) als Elemente einer gemeinsamen Menge postuliert werden. Dieser Vorgang beruht in der Regel, anders als beim Symbol, auf nicht oder schwach konventionalisierten Mengenbildungen. Allegorische Sprechakte beziehen zwei Sachverhalte aufeinander, die in der pragmatischen Kommunikation, außerhalb ;sthetischer (rhetorischer) Kommunikationsbedingungen, gewçhnlich nicht miteinander in Verbindung gebracht werden. Denn die Allegorie, die tota allegoria zumal,10 hat den Charakter einer Geheimsprache, die auf Kommunikation mit einem esoterischen, in den gemeinten Sachverhalt eingeweihten Publikum zielt, ohne dabei das exoterische Publikum vom Kommunikationsakt auszuschließen (das sich freilich mit dem Proprium zufrieden geben muß). Der Grad ihrer Verst;ndlichkeit (und damit der Ein- oder Ausschluß von Rezipienten) wird 0ber den Konventionalit;tsgrad ihrer Mengenbildung geregelt. Im Beispielfall ist er vergleichsweise hoch, weil hier auf die gel;ufige Bildvorstellung menschlichen Lebens als Seefahrt (vgl. die konventionelle Metapher »Lebensschiff«) angespielt wird, die die Allegorese (trotz der gezielt eingesetzten Irritation durch die Metapher »meine Belle-Etage«) initiiert. Der symbolische Sprechakt kommt an sein Ziel, wenn der Hçrer die Elementbeziehung zwischen Proprium und Improprium erfaßt, das Allgemeine, auf das vom Proprium verwiesen wird, erkannt hat. Der allegorische Sprechakt setzt, je nach Komplexit;tsgrad, eine mehr oder weniger ausgiebige Vergleichst;tigkeit in Gang. In der Allegorese pr0ft der Hçrer, ausgehend von dem initialen tertium comparationis, weitere Merkmale der beiden Comparanda auf ihre Vergleichbarkeit (»Takelage«, »Nebel«, »Quai« etc.), erschließt so, das Bild nach und nach vervollst;ndigend, das semantische Feld der Allegorie. Da Metalogismen, anders als Metasememe, auf der Ebene ihrer eigentlichen Bedeutung einen durchaus koh;renten (wenn auch in der Regel unbefriedigenden) Sinn ergeben, bedarf es metalogischer Signale, um auf die Existenz einer zweiten, uneigentlichen Bedeutung hinzuweisen und den Rezipienten zur Allegorese bzw. zur Erschließung des symbolischen Allgemeinen zu bewegen. Das gebr;uchlichste Mittel ist die Vergabe von 10 Zu diesem auf Quintilian (Institutio oratoria, VIII, 6, 47) zur0ckgehenden Begriff vgl. Gerhard Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, 4. Aufl., Gçttingen 1997, 40 f. 4 Jahrbuch Rhetorik · Band 26 Symbol, Allegorie, Vergleich (scheinbar) redundanten Informationen, die auf der Ebene der eigentlichen Bedeutung zwar einen Sinn, aber einen eher banalen Sinn ergeben. Sie provozieren die Frage, wozu diese Informationen 0berhaupt vergeben werden, und reizen den Rezipienten damit an, nach einer weiteren, weniger banalen Bedeutung zu suchen.11 Die Steuerung dieser Suche erfolgt 0ber semantische Signale, die, h;ufig durch Polysemien, als »Scharniere«12 zwischen eigentlicher und uneigentlicher Bedeutung in Funktion treten kçnnen.13 2. Filmische Symbole Als ein auf die Welt des Sichtbaren angewiesenes Medium ist der Film immer dort auf metalogische Darstellungsverfahren angewiesen, wo es darum geht, nicht Sichtbares, Abstraktes zu kommunizieren, ohne auf sprachliche Informationsvergabe (Dialog, offErz;hler) zur0ckzugreifen. Symbolische Verfahren kommen dem Medium besonders entgegen, denn weil das symbolische Improprium immer schon im Proprium (als dessen Allgemeines) enthalten ist, kann sich die filmische Erz;hlinstanz hier, anders als bei allegorischen Verfahren, ganz auf ihre genuine T;tigkeit, die Abbildung eines sichtbaren Individuellen, konzentrieren. Sie muß den filmischen Erz;hlprozeß nicht beeintr;chtigen, stçren oder gar unterbrechen, sondern lediglich darauf bedacht sein, die f0r die Erschließung des intendierten Allgemeinen relevanten Merkmale so signifikant ins Bild zu setzen, daß der Zuschauer gen0gend Informationen bekommt, um dieses Allgemeine zu erfassen. Wie filmische Symbolik im Zusammenspiel von Inszenierung und Kameraf0hrung zustandekommt, mag ein Beispiel aus Andrej Tarkowskijs Nostalghia (I 1983) zeigen. Gegen Ende des Films, in einer ungewçhnlich langen, fast neun Minuten dauernden Einstellung, sieht man den Helden Gortchakov (Oleg Jankovsky) mit dem Versuch besch;ftigt, eine brennende Kerze von dem einen Beckenrand der geleerten Therme von Bagno Vignoni zum anderen zu tragen. Er lçst damit ein Versprechen ein, das er dem Sonderling Domenico (Erland Josephson) gegeben hatte. Die Kamera verfolgt geduldig den gesamten Vorgang, die zwei ersten, durch das Erlçschen der Flamme fehlschlagenden Versuche, die anschließenden R0ckwege des Helden zum Ausgangspunkt und den dritten, schließlich erfolgreichen Versuch, mit sehr langsamen Begleitfahrten, die jeden Schritt Gortchakovs, jedes Zçgern und jedes raschere Vorw;rtsgehen, minutiçs mitvollziehen. Dabei nimmt sie eine seitliche Perspektive ein und schr;nkt den Bildausschnitt – mit einer Halbtotalen beginnend und mit einer Großaufnahme von Gortchakovs H;nden, die die Kerze auf den endlich erreichten Beckenrand stellen, endend – im Laufe der Einstellung (durch unmerkliche Ranfahrten) sukzessive ein, was zur Folge hat, daß das Ziel erst ganz zuletzt ins Bild kommt. Die ganze lange Einstellung hindurch bleibt ungewiß, wie weit der Held noch von ihm entfernt ist. Die Distanz, die Gortchakov zur0cklegen muß, bevor die Kerze verlçscht, wird so durch Begleitfahrt, Perspektive und Aufnahmedistanzen als Gegenspieler des Helden ins Bild gesetzt: Sie erscheint, weil die Bilder das Ziel des Weges vorent11 12 13 Zu weiteren Formen metalogischer Signale vgl. Lohmeier, Theorie des Films, 317 – 322. Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, 32. Genaueres zu solchen semantischen Signalen bei Lohmeier, Theorie des Films, 341 f. und 347 f. Jahrbuch Rhetorik · Band 26 5 Anke-Marie Lohmeier halten und weil Gortchakov, um die Flamme zu erhalten, sehr langsam gehen muß, Figur und Kamera also kaum vorankommen, schier un0berwindlich, ein Effekt, den die Uberl;nge der (durch die beiden Fehlversuche gezielt ausgedehnten) Einstellung verst;rkt. Das Kameraverhalten gibt dem Vorgang ein Gewicht, das in einem kalkulierten Widerspruch zu seiner offenkundigen Sinnlosigkeit steht. Dieser Widerspruch fungiert hier nicht nur als metalogisches Signal, das den Zuschauer anweist, den eigentlich sinnlosen Vorgang auf einen uneigentlichen Sinn hin zu befragen, sondern verweist auch schon auf diesen Sinn selbst. Denn indem die Kamera den sinnlosen Vorgang ernst nimmt, stellt sie das Vernunfturteil, das ihn als unvern0nftig, als sinnlos qualifiziert, in Frage, bestreitet dessen zweckrationalen Begriff von »Sinn«, solidarisiert sich vielmehr mit dessen Negation, mit der Verneinung der Forderungen der Vernunft, die Gortchakov in dieser Szene vollzieht und die hier schon der Sinn der Bilder selbst, ihr symbolisches Improprium ist: Es geht um die Verabschiedung der (instrumentellen) Vernunft als leitender Norm menschlichen Handelns, um die kulturkritische Konfrontation von Rationalit;t und Spiritualit;t, die das Thema dieses Films (wie der meisten Filme Tarkovskijs) ist.14 Proprium und Improprium sind hier durch die symbolische Elementbeziehung verbunden. Gortchakovs sinnlose Aktion ist Teil und Ausdruck des ihm inh;renten Allgemeinen, der Entthronung der Vernunft. Die Inh;renz von Besonderem und Allgemeinen ermçglicht eine reibungslose Integration symbolischer Bedeutungen in die filmische Narration. 3. Filmische Allegorien Die Integration allegorischer Bedeutungen in den filmischen Erz;hlprozeß geht in der Regel weniger reibungslos vonstatten. Das liegt daran, daß die Allegorie zwei Sachverhalte aufeinander bezieht, die gewçhnlich nicht miteinander in Verbindung gebracht werden. Um diese Verbindung dennoch herzustellen, und das heißt ja beim Bildmedium Film: um das Improprium dennoch implizit ins Bild zu holen, ist in der Regel ein gesteigerter Inszenierungsbedarf auf der Ebene des proprie Dargestellten vonnçten. Besondere (h;ufig ungewçhnliche) r;umliche Situationen oder Aktionen sind zu erfinden, die imstande sind, auf das allegorische Improprium zu verweisen und dennoch das eigentliche Gesch;ft des filmischen Erz;hlers, die Narration, proprie fortzuf0hren. Wohl auch deshalb sind filmische Allegorien weniger h;ufig anzutreffen als Symbole. Ein ungewçhnlich reichhaltiges Spektrum von Verfahren allegorischer Bedeutungskonstitution bietet Rainer Werner Fassbinders Fontane Effi Briest (BRD 1974). Daraus ein Beispiel aus dem ersten Drittel des Films: Mutter und Tochter Briest machen einen Spaziergang und reden dabei 0ber Effis bevorstehende Ehe mit Innstetten. Der Vorgang steht von Anfang an in einem Spannungsverh;ltnis zu seinem Schauplatz, denn die beiden Frauen bewegen sich in einem Gel;nde, in dem Damen von Stand gewçhnlich nicht spazierengehen. Es ist eine d0stere Moorlandschaft ohne Weg und Steg. Der Widerspruch zwischen Schauplatz und Handeln wird vertieft durch die Kleidung der Frauen (lange, das 14 Vgl. auch die in Anm. 6 beschriebene Einstellung aus demselben Film. 6 Jahrbuch Rhetorik · Band 26 Symbol, Allegorie, Vergleich Vorw;rtskommen im hohen Binsengras erschwerende Rçcke), durch den Sonnenschirm, den Frau von Briest dabei unnçtigerweise, denn es herrscht herbstlich-tr0bes Wetter, aufgespannt mit sich f0hrt, durch die Bewegungen der Titelheldin, die im toten, abgestorbenen Gras kindlich umherspringt, als sei es eine Fr0hlingswiese, und schließlich durch das Gespr;ch, das sich um Liebe, Gl0ck, Verlobung und Hochzeit dreht und erst gegen Ende der Szene, wenn Effi der Mutter ihre Angst vor Innstetten eingesteht, Kontakt zur d0steren Umgebung gewinnt. Der Schauplatz, in dem alles Leben erstarrt scheint, evoziert Konnotationen (Einsamkeit, Verlorenheit, Trauer, Tod u. a.), die ihn als allegorisches Panorama der psychischen und gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit der Figuren zu lesen nahelegen. Und das Verhalten der Frauen, das sich in einen so auff;lligen Kontrast zu dem tristen Ort begibt, ist allegorische Inszenierung des Selbstbetrugs, mit dem die Figuren dieser trostlosen Lebenswirklichkeit begegnen. Effis Umherspringen im toten Gras, Frau von Briests Sonnenschirm fungieren als allegorische Anzeiger ihrer Bereitschaft, Realit;t normengerecht zu deuten, die schlechte Empirie in eine gute (das tote Gras in eine gr0ne Wiese, das tr0be Licht in Sonnenlicht) umzudeuten. Die Szene erweist sich so als allegorische Paraphrase der im Untertitel des Films15 im Klartext bezeichneten Bereitschaft der Figuren, »das herrschende System« immer schon »in ihrem Kopf« zu »akzeptieren«, die Deformation ihres Bewußtseins willig hinzunehmen, statt der »Ahnung« zu folgen, die sie »von ihren Mçglichkeiten und ihren Bed0rfnissen« haben. Anders als bei symbolischen Bildern besteht hier zwischen Proprium und Improprium keine Elementbeziehung. Die triste Moorlandschaft hat mit der tristen Lebenswirklichkeit der Frauen nichts zu tun, ist nicht Teil dieser Tristesse, sondern ein »Anderes«, mit dem das alieniloquium,16 die Allegorie, ihren wahren Referenten verhehlt. Dasselbe gilt f0r das Handeln der Figuren: Anders als Gortchakov in »Nostalghia«, der im Vollzug seiner sinnlosen Aktion den symbolice gemeinten Protest gegen Setzungen der instrumentellen Vernunft selbst vollzieht, vollziehen die Frauen Briest mit ihrem Verhalten nicht das allegorice gemeinte Verhaltensmuster selbst, sondern stellen ein allegorisches Bild davon her. Und die Allegorese erschließt dieses Bild nicht durch den induktiven Schluß von einem Besonderen auf sein Allgemeines, sondern durch den Vergleich zweier besonderer, gesonderter, verschiedener Sachverhalte. 4. Filmische Vergleiche Die rhetorische Figur des Vergleichs l;ßt sich als Vorstufe symbolischer oder allegorischer Operationen ansprechen. Was letzteren vorausgeht und im Akt der Rezeption mental nachvollzogen wird, die auf der Grundlage vergleichender Operationen erfolgende Klassifikation (Mengenbildung), wird bei Vergleichen in actu pr;sentiert: Zwei Sachverhalte 15 16 Der vollst;ndige Filmtitel lautet: »Fontane Effi Briest oder Viele, die eine Ahnung haben von ihren Mçglichkeiten und ihren Bed0rfnissen und trotzdem das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus best;tigen.« Vgl. Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, 31. Jahrbuch Rhetorik · Band 26 7 Anke-Marie Lohmeier werden nebeneinander gehalten und behauptet, daß der eine dem anderen gleiche oder aber, umgekehrt, das genaue Gegenteil des anderen sei. Dem bei sprachlichen Vergleichen explizit oder implizit pr;senten »so – wie« entspricht bei filmischen Vergleichen der Einstellungswechsel, der Schnitt (in seltenen F;llen auch ein Kameraschwenk), ein an sich semantisch leeres Zeichen, das erst durch die Bilder, die es verbindet, semantisch gef0llt wird. Filmische Vergleiche kombinieren zwei (oder mehr) Bilder nach dem Prinzip der systematischen Montage, bei der weder (wie bei der narrativen Montage) zeitliche oder handlungslogische noch (wie bei der deskriptiven Montage) r;umliche, sondern klassifikatorische Kriterien die Syntagmatik leiten.17 Die Parallelmontage (die Bilder ;hnlichen Inhalts verbindet) legt die Zuordnung der nacheinander dargestellten Sachverhalte zu einer gemeinsamen Menge nahe, die Kontrastmontage (die Bilder einander widersprechender Inhalte verbindet) verlangt die Zuordnung der nacheinander dargestellten Sachverhalte zu zwei einander ausschließenden, disjunkten Mengen von Sachverhalten. Auf dieser Grundlage kçnnen die Bilder dann als partielle Synonyme oder als Antonyme aufeinander bezogen werden. Da Bilder, anders als Sprache, keine Begriffe bilden kçnnen, obliegt es auch hier dem Zuschauer, den Vergleich zu vollziehen, das Verglichene zu klassifizieren und die zugehçrigen Begriffe zu bilden. Filmische Vergleiche begegnen in zwei Funktionen, die, weil sie engstens mit der logischen Form filmischer Symbole bzw. Allegorien korrespondieren, symbolische bzw. allegorische Vergleiche genannt seien. Im ersten Fall geht es darum, die aus dem Vergleich der Bilder gewonnenen Begriffe zu bilden, sind diese Begriffe also selbst schon das gesuchte Improprium, ein Allgemeines, mit dem die einzelnen Bilder durch die (symbolische) Elementbeziehung verbunden sind. Im zweiten Fall geht es darum, die aus dem Vergleich gewonnenen Begriffe als ein- oder wechselseitige Pr;dikate zu verwenden, indem Merkmale des einen Comparandum als Pr;dikate des anderen (und gfls. auch umgekehrt) in Funktion gesetzt werden. Ein eindrucksvolles Beispiel eines symbolischen Vergleichs zeigt die Schlußsequenz von Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin (UdSSR 1925), die Begegnung des Panzerkreuzers mit dem zaristischen Geschwader auf dem Schwarzen Meer. Eine sehr lange Bilderfolge wird verwendet, um zu zeigen, wie die »Potemkin« mit voller Kraft und gefechtsbereiten Gesch0tzen auf das Geschwader zuf;hrt. S;mtliche Bilder betreffen zwar den erz;hlten Vorgang, sind aber unterschiedlich, n;mlich abwechselnd narrativ und systematisch montiert. In den systematisch montierten Passagen sind die Bilder so aneinandergef0gt, daß deren Inhalt und Abfolge keinen zeitlichen oder r;umlichen Zusammenhang zu stiften vermçgen. Die mit ihnen vergehende Zeit ist zwar die Zeit der erz;hlten Geschichte, d. h. sie unterbrechen den Fluß der erz;hlten Zeit nicht, sind aber selbst nicht zeitlich, sondern systematisch organisiert. Die zeitliche Indifferenz wird dabei nicht nur durch die Montage, sondern auch und vor allem durch die gew;hlten Bildausschnitte erzeugt, denn die Kamera erfaßt hier nicht einmalige Handlungen, sondern iterative, f0r die Zeitdauer des gesamten Vorgangs st;ndig wiederkehrende Vorg;nge, die eben deshalb keine zeitliche Pro17 Zu Begriff und Funktion der systematischen Montage vgl. Lohmeier, Theorie des Films, 179 – 187. 8 Jahrbuch Rhetorik · Band 26 Symbol, Allegorie, Vergleich gression anzeigen kçnnen: die auf Hochtouren arbeitenden Dampfmaschinen des Schiffs in unterschiedlichsten Formen, Bewegungen und Perspektiven, den kr;ftig aus den Schornsteinen hervorquellenden Dampf, die vor0berfliegende Wasserfl;che aus wechselnden, effektvoll kombinierten Blickwinkeln, die heftigen, von der Schiffsbewegung erzeugten Turbulenzen im Wasser. Das Fehlen zeitlicher und r;umlicher Anschl0sse zwischen den Einstellungen nçtigt den Zuschauer, die Bilder, statt in eine zeitliche oder r;umliche, in eine systematische Ordnung zu bringen, sie zu vergleichen. Das tertium comparationis ist hier das in jeder Einstellung neu bezeichnete Prinzip einer entschlossenen, kraftvollen Vorw;rtsbewegung. Aus ihm erschließt sich der improprie formulierte Begriff, um den es hier geht: Kraft, Entschlossenheit und Fortschrittlichkeit der Revolution. Die Beziehung der Bilder symbolischer Vergleiche zu dem aus ihnen zu bildenden Improprium ist also, wie beim Symbol, die Elementbeziehung. Die einzelnen Bildern avancieren durch die vergleichende Montage zu symbolischen Repr;sentanten des ihnen inh;renten Allgemeinen. Ebenfalls bei Eisenstein, in seinem Film Streik (UdSSR 1924), findet sich ein Beispiel eines allegorischen Vergleichs. Es handelt sich um die vielzitierten Bilder am Ende des Films, die die blutige Niederschlagung des Arbeiteraufstandes zeigen, in deren Darstellung Aufnahmen aus einem Schlachthof einmontiert sind. Die vom Zuschauer zu leistende Klassifikation, die beide Bildtypen aufgrund ihres gemeinsamen Merkmals (Tçtung) einer gemeinsamen Menge zuordnet, ist hier nicht, wie bei symbolischen Vergleichen, schon das Ziel, sondern Ausgangspunkt des Verstehens. Die Zuordnung beider Comparanda zu einer gemeinsamen Menge erçffnet jenes Vergleichsfeld, das auch bei der Allegorie entsteht und das es erlaubt, Merkmale des einen Bildes als Pr;dikate des anderen zu verwenden. Auf diese Weise werden die Soldaten als brutale Schl;chter, die Arbeiter als wehrlos niedergemetzeltes Schlachtvieh charakterisiert. Daß dies auch mit nur zwei Bildern funktioniert, beweist Charles Chaplin, wenn er am Beginn von Modern Times (USA 1932/35) das Bild einer zur Arbeit hetzenden Menschenmenge mit dem Bild einer Schafherde konfrontiert, das die Menschen als fremdbestimmte, von fremder Hand getriebene Herde pr;diziert. Die Beziehung der Bilder allegorischer Vergleiche zu dem aus ihnen zu bildenden Improprium ist also, wie bei Allegorien, die Beziehung zweier Elemente einer Menge. Und wie bei der Allegorese pr0ft der Rezipient auch hier, ausgehend von dem initialen tertium comparationis, welche weiteren Merkmale der Comparanda aufeinander beziehbar und f0r die Erschließung der Bedeutung von Belang sind. 5. Res0mee Die Konstitution uneigentlicher Bedeutung im Film beruht demnach auf zwei Grundformen, deren logische Operationen hier mengentheoretisch expliziert wurden, die symbolische als Herstellung einer – auf Konventionen gest0tzten – Elementbeziehung, die allegorische als Herstellung der Beziehung zwischen Elementen einer – nicht oder nur schwach konventionalisierten – Menge. Jahrbuch Rhetorik · Band 26 9 Anke-Marie Lohmeier Die Entscheidung f0r die eine oder andere Form scheint nicht nur mit thematischen Erfordernissen oder pragmatischen Erw;gungen zu tun zu haben, sondern auch mit Grunds;tzlicherem, mit dem Weltverst;ndnis des Werksubjekts, das in dem differenten Verh;ltnis beider Redeformen zu konventionellen Klassifikationen einen Ausdruck findet. Allegorische Rede verl;sst sich nicht auf die konventionelle Ordnung der Dinge, auf die sich symbolische Rede st0tzt. Wer symbolisch redet, scheint davon auszugehen, daß das, was er zu sagen hat, in dieser konventionellen Ordnung der Welt aufbewahrt, immer schon gegenw;rtig ist. Wer allegorisch redet, scheint vom Gegenteil 0berzeugt, davon, daß diese konventionelle Ordnung der Welt den Blick auf das, was er zu sagen hat, eher verstellt, weshalb er sie ver;ndern muß. Symbol und Allegorie sind demnach zwei verschiedenen Konzepten ;sthetischer Weltaneignung verpflichtet, die ihrerseits auf zwei unterschiedlichen erkenntnislogischen Positionen zu beruhen scheinen. Indem symbolische Rede ein Besonderes als legitimen Repr;sentanten eines Allgemeinen einsetzt, setzt sie voraus, daß die Ordnung der Dinge an ihren Erscheinungen zur Anschauung kommt, daß, wer die Erscheinung der Dinge wahrnimmt, damit immer auch schon ihren Sinn zu erschließen auf dem Wege ist. Allegorische Rede bestreitet das, gibt vielmehr kund, daß die Welt der Erscheinungen die wahre Ordnung der Dinge gerade verh0llt, weshalb sie auch nur noch als alieniloquium taugt, als Andersrede, die auf die wahre Ordnung der Dinge nur verweisen, nicht sie selbst zur Anschauung bringen kann. Auch deshalb scheint es ratsam, an der Unterscheidung zwischen Allegorie und Symbol festzuhalten und einer Pr;zisierung ihrer Explikation zuzuarbeiten. 10 Jahrbuch Rhetorik · Band 26 Oliver Jahraus Bild-Film-Rhetorik Medienspezifische Aspekte persuasiver Strukturen und die Eigendynamik einer bildgesttzten Konzeption von Filmrhetorik 1. Vorberlegungen: Medienunabh%ngige und medienspezifische Vorstellungen von Rhetorik Klaus Kanzog hat ein umfassendes Modell der Filmrhetorik vorgelegt und in einem Grundkurs ausgearbeitet,1 das grunds%tzlich davon ausgeht, daß auch der Film eine rhetorisch zu beschreibende Struktur besitzt. Rhetorische Kategorien kçnnen also auf den Film respektive die Filmanalyse bertragen werden und liefern auf diese Weise berhaupt erst die Grundlage, um die Argumentationsstrukturen von Filmen rekonstruieren zu kçnnen. Die folgenden -berlegungen nehmen dieses Unternehmen als Beispiel und Anlaß, um bei der Frage, inwiefern denn rhetorische Kategorien zu Beschreibungsinstrumenten einer im weitesten Sinne Filmanalyse werden kçnnen, innezuhalten, um damit die Bedeutung der Mediendifferenz zwischen erstens der gesprochenen Rede, dem ursprnglichen Ort der Rhetorik,2 der ars bene dicendi, zweitens dem natursprachlich und schriftlich verfassten Text und schließlich dem audiovisuellen Medium des Films fr rhetorische Modellierungen insbesondere im Bereich des Films zu erhellen. Der Tatsache, daß der Textbegriff zwar in seiner landl%ufigen Verwendung Schriftlichkeit und diese Schriftlichkeit wiederum natursprachliche, alphabetische Schriftlichkeit impliziert, muß man den Umstand entgegenhalten, daß avancierte Modelle der Texttheorie3 den Textbegriff von dieser einseitigen medialen Ausrichtung gelçst haben und ihn medienunspezifisch definieren. Daß Filme – im Sinne eines an den Genrebegriff angelehnten Medienangebots – Texte sind, ist unstrittig, weil eine medienunspezifische Definition des Textbegriffs gerade auch die textuellen Strukturen des Films zum Beispiel im Hinblick auf Koh%renz- und Koh%sionsph%nomene,4 im Hinblick auf Thematisierungsstrukturen und Zeichenkomplexe, generell im Hinblick auf die Organisation (der Voraussetzungen) von Bedeutung deutlich werden l%ßt. Doch was im Hinblick auf den Textbegriff unstrittig ist, gewinnt wieder an Brisanz, wenn man diesen Umstand auf die Rhetorik bezieht und gleichzeitig medientheoretisch 1 2 3 4 Klaus Kanzog, Grundkurs Filmrhetorik, Mnchen 2001. Siehe hierzu grundlegend Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, 2. Aufl., 2 Bde., Mnchen 1973 und Gert Ueding / Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode, 3. berarb. u. erw. Aufl., Stuttgart 1994. Vgl. Robert de Beaugrande / Wolfgang U. Dressler, Einfhrung in die Textlinguistik, Tbingen 1981; Elisabeth Glich / Wolfgang Raible, Linguistische Textmodelle. Grundlagen und Mçglichkeiten, Mnchen 1977. Siehe Jçrg P%tzold, Koh%renz, Koh%sion, in: Metzler Lexikon Sprache. Hg. v. Helmut Glck. Stuttgart/ Weimar 2000, 351 f. Jahrbuch Rhetorik · Band 26 11 Oliver Jahraus perspektiviert. Denn nirgendwo sonst ist das System der Beschreibungskategorien so stark auf eine bestimmte mediale Konstellation ausgerichtet wie im Falle der Rhetorik. Die grundlegende, modellbildende, beispielgebende Struktur der Rhetorik ist die gesprochene Rede. Wie schon der Textbegriff eine bestimmte mediale Situation impliziert, so tut dies auch der Begriff der Rede. Und wie schon beim Textbegriff so kann man auch beim Begriff der Rede sich Definitionen denken, die von dieser ursprnglichen Situation abstrahieren und auch die Rede medienunspezifisch definieren. Der erste Schritt bestnde schon allein darin, die schriftliche Form der Rede nicht nur als Repr%sentation, Aufzeichnung oder Ged%chtnissttze zu sehen, sondern auch als genuine Ausdrucksform der Rede. Kanzog selbst bezeichnet auch wissenschaftliche und daher zumeist schriftbasierte Fußerungen ber den Film als »geordnete Rede ber den Gegenstand Film«.5 Die Basis, auf der Kanzog sein Modell einer Filmrhetorik entwirft, ist diese Ausweitung von Konzepten, die in ihrer Kernbedeutung auf andere, in jedem Fall natursprachliche Fußerungen bezogen sind: n%mlich das der Rede, das des Textes, das der Fußerung bzw. des Sprechaktes selbst und schließlich das der Kommunikation: Angesichts der Schwierigkeiten, Begriffe der Rhetorik auf visuelle Ph%nomene zu bertragen, [hat Kanzog vorgeschlagen,] den sich in den Bildern eines Films vollziehenden kommunikativen Akt analog zum verbalen Sprechakt als ›visuellen Sprechakt‹ und das Bild damit als ›Rede‹ zu verstehen […]. Dieses zun%chst intuitive Verfahren, ›Filme wie sprachliche Texte zu behandeln‹, beruht auf den Pr%missen der Strukturalen Texttheorie.6 Kanzog macht selbst darauf aufmerksam, daß Anke-Marie Lohmeier in ihrem Artikel zur Filmrhetorik dort, wo es darum geht, »den Film insgesamt als einen auf rhetorischen Regeln der argumentativen und affektiven persuasio beruhenden Sprachakt, als ›persuasive Rede‹ zu postulieren, die zu wesentlichen Teilen argumentativ strukturiert« sei, die »filmtheoretische Verifizierung« angemahnt habe.7 In ihrem Artikel diskutiert Lohmeier sehr detailliert und umfassend jene Probleme, die sich aus jener »stillschweigenden -bereinkunft [ergeben], derzufolge zwischen filmischen sprachlichen Kommunikaten strukturelle Analogie herrscht, die es legitimiert, Filme wie sprachliche Texte zu behandeln«.8 Das Konzept einer Filmrhetorik steht und f%llt laut Lohmeier mit der Mçglichkeit auf der Mikroebene, die Struktur ikonischer Zeichen so zu modellieren, daß Bilder wie Sprechakte aufzufassen sind, die sich in ihrem filmischen Ablauf zu kinematographischen Sprechakten zusammenfassen lassen. Dennoch bleiben auf der Makroebene des (gesamten) Films als Rede – worauf Lohmeier ausdrcklich aufmerksam macht – »auch narrative Passagen der argumentativen Funktion der Rede unterworfen«, wohingegen »argumentative Strukturen im Film […], – solange sie mit visuellen Mitteln realisiert werden sollen – dem Primat des Narrativen unterliegen«.9 Diese semiotische Perspektive kann noch um eine medientheoretische Perspektive erg%nzt werden, die die Idee der -bertragbarkeit rhetorischer Kategorien und Modelle 5 6 7 8 9 Klaus Kanzog, Einfhrung in die Filmphilologie, 2. akt. u. erw. Aufl., Mnchen 1997, 152 ff. Kanzog, Grundkurs Filmrhetorik, 15. Ebd. Anke-Marie Lohmeier, Filmrhetorik, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wçrterbuch der Rhetorik, Tbingen 1996, III Sp.347 – 364; hier: 348. Ebd., Sp.355. 12 Jahrbuch Rhetorik · Band 26