Identifizierung und Anwendung mathematischer Methoden für spezielle Fragestellungen in der Physik -Ein kooperatives Projekt zwischen Physik und Mathematik- Interdisziplinär Institut für Physik Institut für Mathematik Prof. Dr. Victor Enolskii (Gastprofessor) Prof. Dr. Jutta Kunz Prof. Dr. Claus Lämmerzahl Prof. Dr. Daniel Grieser Prof. Dr. Florian Hess M.Sc. Keno Eilers Die Verbindung zweier Fächer Die Naturphilosophie ist in dem großen Buch zu finden, das jederzeit offen vor unseren ” Augen liegt: Ich habe das Weltall im Sinn. Wir werden es aber nicht lesen können, bevor wir die Sprache nicht gelernt und uns mit den Zeichen vertraut gemacht haben, in denen es geschrieben ist. Es ist dies die Sprache der Mathematik.“ Galileo Galilei 1 Spätestens seit Galilei wird die physikalische Erkenntnis in der Sprache der Mathematik codiert und kommuniziert. Oft genug geschah die Forschung in beiden Fächern in Per- sonalunion: Was mathematische Forschung, was physikalische Forschung ist, war schwer zu unterscheiden. In jüngerer Zeit ist diese Trennlinie klarer geworden und beide Fächer gewannen an Eigenständigkeit -zu Lasten der einstigen fruchtbaren Wechselwirkung. Wir wollen die ursprüngliche Symbiose wiederherstellen: Die Untersuchung der physikalischen Anwendbarkeit neuerer mathematischen Resultate ist eines unserer Forschungsziele, die resultierende intensivierte Kooperation zweier Institute der Universität ein weiteres Ziel. Forschungsorientierte Lehre Physik ist viel zu schwer für Physiker. Dieser Meinung soll der große Mathematiker David Hilbert gewesen sein. Obwohl er in vielem Recht hatte, wollen wir erreichen, dass er in diesem Punkt irrte. Zwar ist die Physikausbildung zu einem großen Teil auch mathematische Ausbildung, aber der Vollständigkeit sind natürliche Grenzen gesetzt. Forschungsfeldabhängig müssen dann in der Master- oder Promotionsphase speziellere Mathematikmethoden selbstständig erarbeitet werden. An diesem Punkt setzen unsere Lehrziele ein. In einem für Mathematik- und Physikstudenten zugänglichen Rahmen sollen Inhalte gelehrt werden, die nicht zur kanonischen Ausbildung gehören, dennoch aber große Forschungsrelevanz haben. Das angestrebte hohe Niveau und die Interdisziplinarität werden insbesondere daran deutlich, dass Studenten beider Institute teilnehmen und miteinander und voneinander lernen sollen. Der physikalische Startpunkt Der mathematische Weg Zurzeit liegt das Forschungsinteresse der Arbeitsgruppe Relativistische Feldtheorie auf der Bestimmung der Bewegungsbahnen um verschiedene astrophysikalische Objekte (siehe unten links), da einerseits diese Bahnen die astronomisch zugänglichen Daten sind, andererseits aber -auf Satellit/Erde-Systeme angewendet- für die Raumfahrt wichtige Ergebnisse darstellen. Die sich aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie ergebenden Gleichungen sind allerdings gekoppelte nichtlineare Differentialgleichungen. Ihre exakten Lösungen sind mit elementarer Mathematik nicht zu erhalten. Das gleiche Schema ist auf viele weitere Situationen anwendbar und nicht beschränkt auf Astrophysik. Nichtlineares Verhalten taucht ebenso in der Festkörperphysik wie in der Hochenergiephysik oder Hydrodynamik auf: Plasmaanregungen in Fusionsreaktoren, Verhalten von magnetischen Monopolen, Bewegung von Tsunamis, vermutlich sogar Nervenprozesse der Neurobiologie sind auf einer neuen Ebene beschreibbar, wenn die dahinter stehenden nichtlinearen Differentialgleichungen gelöst werden. Neben der erwähnten Riemann’schen Geometrie ist überraschenderweise die Theorie der algebraischen Kurven eine Hauptzutat der Lösung des physikalischen Problems. In diesen Kontext gerückt, können die Differentialgleichungen mittels Kurven ausgedrückt und ihre komplizierte Struktur als Riemann’sche Fläche visualisiert werden. Nach diesem Modellierungsschritt verbleibt eine rein mathematische Aufgabe zu lösen. Die Hauptarbeit ist hierbei, auf dieser Fläche eine geeignete Homologiebasis zu definieren (siehe unten rechts) und die Periodenmatrizen zu kalkulieren. Diese Matrizen sind nötig, um die Lösungsfunktionen zu bestimmen. Große Mathematiker wie Abel, Jacobi und Riemann haben diesen Weg vorbereitet, auf dem wir nun exakte Lösungen erarbeiten können. Die Verknüpfung der Details zu diesem Zweck ist aber immer noch Neuland, so dass auch die mathematische Forschung profitiert. Der effiziente Computereinsatz Geladenes Teilchen um geladenes schwarzes Loch Zwar ist der vorgesehene Weg mathematisch gangbar, aber nicht ohne effizienten Computereinsatz zu bewerkstelligen. Da alle Schritte analytisch und exakt sein sollen, ist die Verwendung von Computer-Algebra-Systemen (CAS) im Gegensatz zu rein numerisch arbeitender Software geplant. Neben OpenSource-Produkten bietet die Universität Oldenburg Zugang zu zwei verschiedenen Systemen: Maple und Magma. Das in der physikalischen Forschung recht etablierte Maple bietet viele komplett implementierte Algorithmen aus allen Bereichen der Mathematik und ist für viele Studenten die erste Wahl zur Überprüfung eigener Resultate. Dagegen ist das vollständig auf Algebra basierende Magma mathematisch forschungsnäher und übertrifft Maple bei Weitem in punkto Schnelligkeit. Welches dieser beiden Programme im Endeffekt nützlicher für unsere Zwecke ist, soll unter anderem eruiert werden, ist aber sicherlich von der momentanen Schwerpunktsetzung abhängig. Da die Forschung in beiderlei Instituten ohne CAS kaum denkbar ist, bieten sich Lehreinheiten bereits auf Bachelor-Niveau zu beiden Programmen an. 1 Aus: Il Saggiatore, 1623; nach Simonyi,K.; Kulturgeschichte der Physik, Frankfurt 2001 b1 b2 a1 a2 a3 a4 b3 b4 e2g+2 e1 e2 e3 e4 e5 e6 e7 e8 · · ·e2g+1 Homologiebasis einer hyperelliptischen Kurve