ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES

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ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
NATUR-,INGENIEUR- UND GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
159. SITZUNG
AM 1. FEBRUAR 1967
IN DüSSELDORF
ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG
DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
NATUR-, INGENIEUR- UND GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
HEFT 173
WILHELM BECKER
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
HANS HAFFNER
Sternhaufen und Sternentwicklung
HERAUSGEGEBEN
IM AUFTRAGE DES MINISTERPRÄSIDENTEN HEINZ KüHN
VON STAATSSEKRETÄR PROFESSOR Dr. h. c. Dr. E. h. LEO BRANDT
WILHELM BECKER
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
HANS HAFFNER
Sternhaufen und Sternentwicklung
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
ISBN 978-3-322-96154-9
ISBN 978-3-322-96292-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-96292-8
© 1967 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprilnglich erschienen bei Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen 1967.
Inhalt
Wilhelm Beeker, Basel
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
7
Hans Haffner, Hamburg
Sternhaufen und Sternentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
31
D isk ussions bei träge
Professor Dr. phil. Friedrieh Beeker; Professor Dr. phil. Wilhelm
Beeker; Professor Dr. phi I. Hans Haffner; Professor Dr. phil. Ernst
F. Pesehl; Professor Dr. med. Walter Kikuth; Professor Dr. phil.
Walter Weizel; Professor Dr. phil., Dr. phil. h. c. Bernhard Renseh;
Professor Dr. rer. nato Günther "\'Vilke; Dr. rer. nat., Dr. rer. pol. Hans
Christoph Jokseh .................................... . . . . ..
43
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
Von Wilhelm Becker, Basel
Wenn wir vom Milchstraßensystem sprechen, dann setzen wir zwei
Himmelsphänomene miteinander in Beziehung: Sternsysteme einerseits und
die Milchstraße andererseits. Wir tun dieses in der Erkenntnis, daß die Milchstraße ein sichtbarer Ausdruck der Tatsache ist, daß sich auch die Sonne und
mit ihr das Planetensystem in einem Sternsystem befinden. Dieses eigene
Sternsystem bietet sich von dem besonderen Standpunkte aus gesehen, den
wir ihm gegenüber einnehmen, nämlich dem im Inneren gelegenen Standpunkt, naturgemäß in anderer Gestalt dar als die anderen Sternsysteme, die
wir nur von außen betrachten können.
Dieser Brückenschlag von Sternsystemen zur Milchstraße kommt uns heute
als etwas Selbstverständliches vor. Er ist es aber nicht immer gewesen. Sogar
in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts, also an der Schwelle der Zeit,
die durch die großen Teleskope ihre Prägung erhielt, konnte in den "Astronomischen Nachrichten" eine ernstzunehmende Arbeit erscheinen, in der
alle vorliegenden Beobachtungsergebnisse diskutiert wurden und in der der
Autor zu dem Schluß kam, daß die Gebilde, die wir heute Sternsysteme nennen, die man damals aber noch mit dem verschwommenen Namen "Nebel"
belegte, zum Milchstraßensystem gehören müßten, dem sie also unterzuordnen seien. Nach dieser Vorstellung sollte es also nur ein einziges Sternsystem im heutigen Sinne geben, nämlich das Milchstraßensystem, und dieses
sollte den ganzen Kosmos erfüllen. Dieses Ergebnis war, wie wir heute rückschauend erkennen können, durch die Ungenauigkeit der Beobachtungen und
durch eine irrtümliche Interpretation von Befunden vorgetäuscht worden,
was aber damals nicht klar erkennbar gewesen ist.
Der Autor fand indessen unter den Astronomen seiner Zeit wenig Zustimmung, ein Zeichen dafür, daß auch eine aus anderen Bereichen gespeiste gefühlsmäßige Haltung in naturwissenschaftlichen Fragen das Richtige treffen
kann.
Noch in den beginnenden zwanziger Jahren waren den Astronomen auf
unserem Forschungsgebiet nicht wesentlich mehr Beobachtungstatsachen bekannt als fast 200 Jahre früher Thomas Wright und Immanuel Kant. Und
diese zogen zu ihrer Zeit bereits die richtigen Schlüsse daraus. Es ist deshalb
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Wilhelm Becker
reizvoll und wissenschaftsgeschichtlich interessant, bei Kant nachzulesen,
wie er argumentierte und wie er die Dinge sah. Es heißt da in der "Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" über die Nebel:
"Weit natürlicher und begreiflicher ist es, daß es nicht einzelne so große Sterne sind, sondern Systemata von vielen Sternen, deren Entfernung sie in einem so engen Raume darstellet, daß das Licht, welches von jedem derselben einzeln unmerklich ist, bei ihrer unermeßlichen Menge in einen einförmigen blassen Schimmer ausschlägt. Die Analogie mit
dem Sternsystem, darin wir uns befinden, ihre Gestalt, welche geradeso ist, als sie es nach
unserem Lehrbegriff sein muß, die Schwäche des Lichtes, die eine vorausgesetzte unendliche Entfernung fordert, alles stimmt vollkommen überein, diese elliptischen Figuren für
ebendergleichen Weltordnungen und sozusagen, Milchstraßen zu halten ... Und wenn Mutmaßungen, in denen Analogie und Beobachtung vollkommen übereinstimmen, einander
unterstützen, ebendieseibe Würdigkeit haben als förmliche Beweise, so wird man die Gewißheit dieser Systeme für ausgemacht halten müssen."
Und über die Beziehung der Milchstraße zu diesen Nebeln heißt es weiter:
,,\'Venn ein System von Fixsternen, welche in ihren Lagen sich auf eine gemeinschaftliche
Fläche beziehen, so wie wir die Milchstraße entworfen haben, so weit von uns entfernt ist,
daß alle Kenntlichkeit der einzelnen Sterne sogar dem Sehrohr nicht mehr empfindlich ist,
so wird dieselbe unter einem kleinen Winkel als ein mit schwachem Lichte erleuchtetes
Räumchen erscheinen."
Und abschließend lesen wir den Satz, in dem Kant die Grenzen seiner intuitiven Schau deutlich macht:
"Es steht hier ein weites Feld zu Entdeckungen offen, wozu die Beobachtung den Schlüssel
geben muß."
In diesen klassischen Worten Kants ist der Tatbestand, wie wir ihn heute
noch sehen, und der Leitgedanke für die Beobachtung bis auf den heutigen
Tag enthalten. Um das mit den Mitteln unserer jetzigen Terminologie deutlich zu machen, wollen wir das Problem folgendermaßen formulieren: Wir
befinden uns mit dem Fixstern Sonne und mit den anderen Sternen der
Sphäre im Inneren eines Sternsystems. Von diesem Standpunkt aus betrachtet erscheint uns dieses System projiziert an unsere Sphäre. Dort ist diese
Projektion sichtbar als schmales, leuchtendes Band, das sich über den ganzen
Himmel erstreckt und das wir Milchstraße nennen. Da dieser Streifen einem
größten Kreise folgt, muß das verursachende Gebilde eine flache Scheibe sein,
in deren Symmetrieebene unter anderem auch die Sonne steht. Es ist die Aufgabe der Forschung, Mittel und Wege zu finden, um das an die Sphäre projiziert erscheinende, zweidimensionale Bild unseres Milchstraßensystems in ein
dreidimensionales, räumliches Gebilde zu verwandeln.
Der Kernpunkt dieser Aufgabe liegt offenbar darin, die Entfernungen der
Sterne zu bestimmen, denn die Richtungen sind ja direkt sichtbar. An die
Genauigkeit der Entfernungsbestimmung sind dabei hohe Anforderungen zu
stellen, wenn sie genau genug sein sollen, um Strukturen in der räumlichen
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
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Verteilung der Sterne kenntlich zu machen. An diesen Anforderungen sind,
wie wir heute wissen, seit den Tagen Kants bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein alle Versuche gescheitert, die die Erforschung des
räumlichen Aufbaus des Milchstraßensystems zum Ziele hatten, und die vor
allem an die Namen von Wilhelm Herschel, John Herschel und Wilhelm
Struve und später an die Namen Hugo von Seeliger und Kar! Schwarzschild
gebunden sind.
Trotz dieses Scheiterns, das ja von den Zeitgenossen als solches nicht
wahrnehmbar war, haben diese Versuche in der Geschichte der Astronomie
ihren festen Platz als Schritte von der Ungewißheit hin zur Wahrheit.
Einen radikalen Wechsel in der Haltung der Astronomen unserem Problem gegenüber bedeuteten in den zwanziger Jahren die halbmathematischen
und halbempirischen Methoden, die der holländische Astronom J. c. Kapteyn einführte. Sie entsprangen der wachsenden Erkenntnis, daß die Verteilung der Sterne im Milchstraßensystem so kompliziert und ungleichmäßig ist,
daß mathematische Formeln sie nicht darzustellen vermögen. Es war aber
diese Erkenntnis zugleich auch der Antrieb dazu, schließlich zu rein empirischen Methoden überzugehen.
Vor Kapteyn waren es etwa 100000 Sterne von den 100 Milliarden, aus
denen das MiIchstraßensystem vermutlich besteht, die, verteilt über den ganzen Himmel, den Diskussionen zugrunde lagen. Nach Kapteyn erhöhte sich
die Anzahl nach und nach etwa um den Faktor 3. Das Forschungsziel, der
räumliche Aufbau des Systems, wurde nicht erreicht. Der verhältnismäßig
geringe Prozentsatz der beobachteten Sterne war dabei nicht so sehr der
Grund für das Scheitern. Man kann ziemlich sicher sein, daß auch eine
weitere Vermehrung der Beobachtungen, die eine Automatisierung der Arbeitsweise nötig machen würde, nicht wesentlich weiterführen würde. Der
Grund lag vielmehr in der Ungenauigkeit der Entfernungen.
So zeichnete sich in den vierziger Jahren abermals die Notwendigkeit
einer Revision in der Haltung dem Problem gegenüber ab. Neue Methoden
der Entfernungsbestimmung waren inzwischen entwickelt worden, die zwar
nicht in so extensiver Weise anwendbar waren wie die älteren Methoden,
dafür aber wesentlich genauer arbeiteten. Und unser Wissen über den Aufbau und die Strukturverhältnisse von Sternsystemen schlechthin war durch
die neuen Riesenteleskope so weit fortgeschritten, daß die schon von Kant angedeutete Methode des Analogieschlusses von fremden Sternsystemen auf
unser eigenes eine wichtige Rolle spielen konnte. So kam es, daß man heute
aus 300 Objekten wesentlich sicherere und allgemeinere Ergebnisse schöpfen
kann als früher aus 300 000. Wir wollen diese letzte Entwicklung und ihre
Ergebnisse des Näheren betrachten.
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Wilhelm Becker
Die Milchstraße als Projektion eines Sternsystems
Die ersten photographischen Aufnahmen fremder Sternsysteme, die wir
den großen Teleskopen verdanken, zeigten immer deutlicher, wie Sternsysteme aufgebaut sein können (Abb. 1). Ihre Analyse, besonders durch Edwin
Hubble und Walter Baade, gab uns eine Vorstellung davon, welche Art
Sterne und anderer kosmischer Gebilde wir in ihnen vorfinden und wie diese
im Raume eines Systems angeordnet sind. Man wußte jetzt, daß es Sternsysteme verschiedener Art gibt und wie die Häufigkeitsverhältnisse sind. Die
häufigen elliptischen Sternsysteme sind charakterisiert durch eine· absolut
regelmäßige Struktur in der räumlichen Verteilung der Sterne im Inneren
eines ellipsoidisch umgrenzten Raumes, mit größter Dichte im Zentrum.
Eine solche Verteilung kann durch eine mathematische Formel beschrieben
werden. Die seltenen unregelmäßigen Sternsysteme stellen den Gegenpol
dar. Sie bestehen aus einzelnen Sternwolken verschiedener Größe und unregelmäßiger Begrenzung, die sich formlos zu einem System zusammenfügen.
Eine Zwischenstellung nehmen die häufigen spiralfärmigen Systeme ein, die
insofern regelmäßige Struktur besitzen, als sich mehr oder weniger deutlich
erkennbare Spiralarme, in einer flachen Scheibe liegend, um einen mehr oder
weniger hervortretenden hellen zentralen Kern winden, wobei aber die
Sternverteilung innerhalb der Spiralarme ziemlich ungleichförmig sein kann,
so daß sie in eine Kette von Sternwolken aufgelöst erscheinen.
Von solcher Art muß wohl auch unser eigenes Sternsystem sein, wenn es
keinen Ausnahmefall darstellt. Die erste Frage, die durch Analogieschlüsse
beantwortet werden kann, ist die nach seinem Grundtypus. Man versetze sich
in die Lage eines Beobachters in einem elliptischen, einem unregelmäßigen
und einem spiralförmigen Sternsystem und überlege sich, wie sich dieses
System in seiner Projektion an die Sphäre dieses Beobachters darstellen
würde.
Da ein von außen gesehen völlig regelmäßig gebautes Sternsystem auch in
seiner Projektion an die Sphäre jedes inneren Beobachters als ein regelmäßig
geformtes Gebilde erscheinen muß, ergibt sich sofort die Folgerung, daß unser
Milchstraßensystem kein elliptisches Sternsystem sein kann. Unsere Milchstraße entbehrt in hohem Maße eines solchen regelmäßigen Aussehens.
Aber es kann auch kein unregelmäßig gebautes System sein, weil dessen
Projektion an die Sphäre eines inneren Beobachters nicht den Eindruck einer
"Straße" entstehen lassen könnte, wie er die Projektion unseres eigenen
Sternsystems so treffend charakterisiert.
So bleibt nur die dritte Möglichkeit, anzunehmen, daß das Milchstraßensystem Spiralform besitze.
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
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In der Tat, wenn wir uns das Aussehen unserer Milchstraße vergegenwärtigen, so kommt man eindeutig zu dem Schluß, daß gerade ein solches Bild
entstehen müßte, wenn ein Beobachter im Inneren der Scheibe eines Spiralsystems die Spiralarme und den zentralen Kern an seine Sphäre projiziert
sehen würde.
Diese Erkenntnis gibt unserer Forschung eine lang entbehrte, feste Richtung. Wir haben es nicht mehr mit der unbestimmten Aufgabe zu tun, die
räumliche Verteilung der Sterne allgemein zu bestimmen, sondern wir stehen
vor dem ganz konkreten Problem, das galaktische Kerngebiet und die Spiralarme ausfindig zu machen und zu lokalisieren. Optische Astronomie und
Radioastronomie vereinigen ihre Mittel, um dieses Problem zu lösen. Was
dabei der optischen Astronomie an raumdurchdringender Kraft fehlte, das
leistete die Radioastronomie. Und was der Radioastronomie an Präzision der
Entfernungsbestimmung mangelte, das steuerte die optische Astronomie bei.
Der direkte Anblick des galaktischen Kerngebietes (Abb. 2) ist uns verwehrt. Vorgelagerte interstellare Staubmassen lassen das Licht der optischen
Wellenlängen nicht hindurch. Aber seine Umgebung deutet durch die große
Helligkeit der Milchstraße an, wo es zu suchen ist, im Sternbild Sagittarius.
Direkt sichtbar geworden ist es erst vor wenigen Jahren im Wellengebiet der
Radiostrahlung, die den interstellaren Staub unbehindert durchqueren kann.
Auch die Infrarot-Fotografie hat Andeutungen davon gegeben. Aber beide
Beobachtungen waren nur eine Bestätigung für ein Wissen, das viel älter und
ganz anderen Ursprungs war. Es geht zurück auf die Entdeckung und die
Theorie von der galaktischen Rotation durch Oort und Lindblad im Jahre 1927.
Danach beschreiben die einzelnen Sterne des Milchstraßensystems Keplersche
Kreisbahnen um den galaktischen Kern als Gravitationszentrum. Eine Eigenart der Keplerbewegung liegt darin, daß, wie im Planetensystem, die Umlaufgeschwindigkeit mit dem Abstand vom Gravitationszentrum abnimmt.
Dieser Umstand bewirkt, daß innerhalb eines Raumausschnitts unter den
darin befindlichen Sternen bestimmte Relativbewegungen auftreten, die man
z. B. in der Sonnenumgebung beobachten kann. Analysiert man diese Relativbewegungen und beobachtet außerdem noch Objekte, die nicht an der Rotation teilnehmen, so erhält man die Bahngeschwindigkeit der Sonne und die
Krümmung dieser Bahn. Da sie als Kreisbahn angenommen wird, bestimmt
die Bahnkrümmung zugleich auch die Richtung zum Bahnzentrum - dem
galaktischen Zentrum - und auch die Länge des Bahnradius, den Abstand
der Sonne vom galaktischen Kerngebiet. Schließlich ergibt sich aus diesen
Daten die Umlaufzeit der Sonne in ihrer Kreisbahn um das Kerngebiet. Die
heute angenommenen Werte für diese Größen sind:
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Wilhclm Becker
Richtung zum Zentrum: Sagittarius, übereinstimmend mit der von der Radioastronomie
gefundenen Richtung.
Entfernung der Sonne vom Zentrum: 10000 pe = 32000 Lichtjahre.
Geschwindigkeit der Sonne: 250 km/sec.
Umlaufzeit der Sonne: 250 Millionen Jahre.
Wir müssen es uns hier leider versagen, auf die Natur des galaktischen
Kerngebietes näher einzugehen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß in
ihm, in dem die Sterne so dicht beisammenstehen mögen wie im Sonnensystem die Planeten, und in dem es vielleicht einen supermassiven Zentralkörper gibt, daß in ihm Kräfte wirksam sind, die für die Entstehung, Formung und Entwicklung des ganzen Systems von ausschlaggebender Bedeutung sind. Hier verlassen wir aber den Boden unseres Forschungsgebietes und
begeben uns auf ein noch dürftig bestelltes Feld der Kosmogonie, auf dem
noch kaum Ernten eingebracht worden sind.
Um das galaktische Kerngebiet winden sich die Spiralarme. Ihnen wenden
wir nun unsere Aufmerksamkeit zu. Wir wollen wissen, wo sie sich im
Raume befinden, welchen Platz relativ zu ihnen die Sonne einnimmt und
woraus sie im wesentlichen bestehen.
Als Ausgangspunkt unserer Bemühungen betrachten wir zunächst im
Detail andere Spiralsysteme und wenden dann wieder die Methode des
Analogieschlusses an (Abb. 3).
In anderen Spiralsystemen beobachten wir zunächst, daß die Spiralarme
sowohl nach Anzahl als auch in ihrem Erscheinungsbild sehr verschieden voneinander sein können. Wir können also nicht erwarten, daß der Analogieschluß unser Problem gleich ganz lösen wird, wie es bei der Entscheidung
über den Grundtypus des Milchstraßensystems der Fall war. Wir kommen
nicht darum herum, wegen der Vielfalt der Möglichkeiten, durch mühsame
Detailarbeit die Spiralarme Stück für Stück und Arm für Arm zusammenzusetzen und zu lokalisieren.
Aber eine entscheidende Hilfe verschafft uns der Analogieschluß doch. Er
macht uns mit der Tatsache bekannt, daß Spiralarme allgemein hauptsächlich
durch solche Objekte repräsentiert werden, denen wir ein geringes Alter zuschreiben, die also erst vor 10 Millionen Jahren etwa entstanden sind. Es sind
das die Wolken ionisierten Wasserstoffgases mit den zugehörigen heißen
Sternen, z. B. der Orionnebel, und die galaktischen Sternhaufen mit absolut sehr hellen Sternen hoher Oberflächentemperatur, wie z. B. die Plejaden.
Wenn wir in unserem Sternsystem die Spiral arme identifizieren und lokalisieren wollen, so halten wir uns zweckmäßigerweise zunächst an diese Objekte und lassen die große Masse der Fixsterne schlechthin beiseite. Gewiß
sind ionisierte Wasserstoffwolken und junge Sternhaufen nur ein Bruchteil
von dem, was sich in Spiralarmen aufhält, aber wir müssen uns vorläufig
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
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an sie halten, weil im wesentlichen nur sie in Spiralarmen anderer Sternsysteme bisher identifiziert werden konnten, sicher deshalb, weil sie am auffallendsten sind.
Die heutigen Methoden der Entfernungsbestimmung
Bei dem Bemühen, die Spiralarme im Raume zu lokalisieren, stoßen wir
wieder auf das alte astronomische Problem der Entfernungsbestimmung, an
dem die Bemühungen bereits einmal scheiterten. Aber zum Unterschied zur
früheren Situation sehen wir uns nicht mehr einem uferlosen Ozean von
Sternen gegenüber, sondern wir haben es mit einer kleinen Zahl von Objekten mit spezifischen Eigenschaften zu tun. Allerdings nützen uns die klassischen, geometrischen Methoden der Astronomie trotzdem wenig. Zwar sind
sie unerläßlich als Basis für die Eichung anderer, nichtgeometrischer Methoden, aber wir müssen 100mal weiter in den Raum vordringen, als sie es uns
ermöglichen, wenn wir Spiralarme lokalisieren wollen.
Die modernen Methoden, die wir brauchen, beruhen auf dem elementaren
Gesetz der Optik, daß die Intensität des Lichtes sich abschwächt umgekehrt
proportional dem Quadrat der zurückgelegten Strecke. Die Astronomie benutzte dieses Gesetz seit langem schon, um aus der gemessenen scheinbaren
Helligkeit eines Sterns und der ebenfalls gemessenen geometrischen Entfernung die absolute Helligkeit, die Leuchtkraft, gesehen aus der Einheitsentfernung, zu berechnen. Die spätere Astrophysik hat nun aber gezeigt, daß man die absolute Helligkeit auch auf andere, indirekte Weise erhalten kann, ohne daß man jedesmal die Entfernung messen muß. Das Spektrum und die Farbe der Sterne sind z. B. solche quantitativen Indikatoren
der absoluten Helligkeit. Der Grund dafür, daß es solche Indikatoren geben
muß, liegt einfach darin, daß Sterne nicht Gebilde sind, in denen die physikalischen Daten, die ihren Zustand beschreiben, in beliebiger Weise miteinander
kombiniert auftreten können. Vielmehr sind nur ganz bestimmte Kombinationen verwirklicht. Und so auch nur eine ganz bestimmte Kombination von
spektralen Eigentümlichkeiten und Farbeigentümlichkeiten einerseits und
der absoluten Helligkeit andererseits. Kennt man diese Kombinationen und man kann sie aus Sternen bekannter geometrischer Entfernung ableiten
oder wie man sagt, man kann sie eichen -, dann kann man den Vorgang umkehren und aus der beobachteten scheinbaren Helligkeit und der aus dem
Indikator gewonnenen absoluten Helligkeit die Entfernung berechnen. Das
ist die sogenannte fotometrische Methode der Entfernungsbestimmung, die
in großen Entfernungen fast allein wirksam ist.
14
Wilhelm Becker
Die fotometrische Methode hat allerdings eine Voraussetzung, die erfüllt
sein muß: der Raum, den das Licht durchmißt, muß leer sein. Das trifft in
der Milchstraße aber im allgemeinen nicht zu, denn sie zeigt fast überall die
Spuren von staubförmiger interstellarer Materie, die uns, wie wir sahen, z. B.
auch den direkten Anblick des galaktischen Kerngebiets verwehrt. Sie
schwächt durch ihre Absorption das Stern licht zusätzlich ab, und man würde
zu große Entfernungen erhalten, wenn man das nicht berücksichtigen würde.
Man kann es berücksichtigen, glücklicherweise sogar ziemlich einfach, weil
die Absorption von einer Verfärbung des Stern lichtes begleitet ist, die man
messen kann.
So ist für die Entfernungsbestimmung die dreifache Aufgabe gestellt: Messung der scheinbaren Helligkeit, Bestimmung und Eichung des direkt beobachtbaren Indikators für die absolute Helligkeit und Messung der Verfärbung durch interstellare Absorption. Die erste Aufgabe ist eine rein instrumentelle Angelegenheit und kein Problem. Die zweite und dritte dagegen
haben eine längere Vorgeschichte, in der die Umstände und die Bedingungen
für ihre Lösbarkeit ermittelt wurden. Dabei zeigte sich, daß die beiden besten
Methoden gerade in den beiden Fällen anwendbar sind, in denen wir sie
brauchen, nämlich bei den ionisierten Wasserstoffwolken und bei den galaktischen Sternhaufen. Dieser glückliche Umstand führte zum Ziele.
Die erste Methode, die zu einem Indikator für die absolute Helligkeit
führt, ist die H-Gamma-Methode (Abb. 4), so genannt nach der dritten Absorptionslinie im Spektrum der Balmerserie des Wasserstoffs. Diese ist in
Stern spektren fotografisch oder fotoelektrisch leicht zu beobachten und in
ihrer Intensität zu messen. Man kann sie auch ohne spektrale Zerlegung des
Lichtes mit Interferenzfiltern messen. Die Intensität dieser Spektrallinie ist
umgekehrt proportional der absoluten Helligkeit des Sterns. Die Eichung ist
mit guter Genauigkeit bekannt. Die interstellare Verfärbung des Sterns muß
dann noch separat durch kolorimetrische Messungen mit Farbfiltern bestimmt
werden. Die H-Gamma-Methode wird hauptsächlich zur Bestimmung der
Entfernungen der Wolken ionisierten Wasserstoffs benutzt. Zwar kann man
nicht unmittelbar deren Entfernung erhalten, denn bei ihnen handelt es sich
ja nicht um Sterne. Aber man wendet sie an auf diejenigen Sterne, die mit
den Wasserstoffwolken räumlich verbunden sind, denen die Wolken die
Strahlungsenergie verdanken, die ihnen das Leuchten ermöglicht. Sie sind
jung, und der Wasserstoff in ihrer Nähe stellt den Rest an interstellarer Materie dar, aus der sie vor einigen 10 Millionen Jahren entstanden sind.
Die zweite Methode, die als Drei/arben-Fotometrie bezeichnet wird, ist
hauptsächlich bei Sternhaufen wirksam. Sie besitzt den großen Vorteil, daß
sie alle drei Daten gleichzeitig liefert, die für die Entfernungsbestimmung
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
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nötig sind: die scheinbare Helligkeit, die absolute Helligkeit und die interstellare Verfärbung (Abb. 5).
Um diese Methode verständlich zu machen, müssen wir von den Sternspektren ausgehen. Es ist nicht nur die Intensität der H-Gamma-Linie eine
Funktion der absoluten Helligkeit, sondern das Aussehen des ganzen Sternspektrums ist eine solche Funktion: das Kontinuum mit den darübergelagerten zahllosen Absorptionslinien der verschiedenen in den Sternatmosphären vorkommenden Elemente. Die Spiel breite der Erscheinungsformen
ist dabei ebenso groß wie der Spielraum der absoluten Helligkeiten. Aber es
würde uns wenig helfen, wenn wir die Stern spektren als Indikatoren für die
absolute Helligkeit benutzen müßten, denn man kann sie von den Sternen
der Sternhaufen nur schwer oder gar nicht bekommen, weil sie entweder
zu dicht beisammen stehen oder weil sie zu lichtschwach sind, als daß man
ihr Licht auf die Länge eines Spektrums verschwenden könnte. Man muß
statt dessen versuchen, ohne spektrale Zerlegung des Lichtes, lediglich durch
fotometrische Messungen mit Farbfiltern die wesentlichen Merkmale der
Sternspektren zu reproduzieren. Die Erfahrung zeigte, daß das geht. Es geht
sogar so gut, daß die kolorimetrische Methode der spektroskopischen überlegen ist, denn sie ist eine Messung und keine Schätzung wie der Spektraltypus. Außerdem liefert sie, wie gesagt, neben der absoluten Helligkeit zugleich auch als fotometrische Messung die scheinbare Helligkeit und als
kolorimetrische Messung die interstellare Verfärbung.
Man kann das Aussehen eines Sternspektrums fotometrisch reproduzieren,
wenn man in drei Farbbereichen fotometriert, etwa im Rot, im Grün und
im Ultraviolett. Daher der Name Dreifarben-Fotometrie. Die Zahlenwerte,
die wir als Indikatoren für die absolute Helligkeit verwenden, sind nichts
anderes als einfach die Helligkeitsdifferenzen zwischen Rot und Grün und
zwischen Grün und Ultraviolett. Aus ihnen kann man das sogenannte Zweifarben-Diagramm (Abb. 6) konstruieren, in dem sich die Sterne der verschiedenen absoluten Helligkeiten entlang einer Sequenz anordnen, die ihrerseits
durch die beiden genannten Farbdifferenzen definiert wird. Diese Sequenz
kann man dann benutzen, um lediglich durch kolorimetrisch-fotometrische
Messungen die absolute Helligkeit von Sternen zu bestimmen und aus ihr
ohne direkte Entfernungsmessungen die Entfernung zu berechnen. Die Methode arbeitet bei Sternhaufen auch deswegen so genau, weil man hier aus
vielen Sternen einen Mittelwert bilden kann. Den Fehler schätzt man auf
< 10 0/0, und das ist in großen Entfernungen eine Genauigkeit, die man sich
vor 15 Jahren noch nicht hätte erträumen können.
16
Wilhelm Becker
Die Spiralstruktur des Milchstraßensystems
Die H-Gamma-Methode und die Dreifarben-Fotometrie machten der
optischen Astronomie den Weg frei für die Erforschung der galaktischen
Spiral struktur. Natürlich kann man nicht erwarten, daß dabei das ganze
Milchstraßensystem erfaßt werden kann. Das verhindert allein schon die
interstellare Absorption. Aber ein Ausschnitt von etwa 20 000 Lichtjahren
im Durchmesser konnte bisher doch durchmustert werden. Und das ist genug,
um große Teile von Spiralarmen zu erreichen, wenn sie überhaupt in unserem
Sternsystem evident genug sind. In Abbildung 7 ist die Verteilung von etwa
100 jungen Sternhaufen und von etwa 80 Wasserstoffwolken in der galaktischen Ebene dargestellt. Man erkennt deutlich Teile von drei Spiralarmen
und den leeren Raum zwischen ihnen. Die Sonne befindet sich an der Innenseite, d. h. an der dem galaktischen Kerngebiet zugewandten Seite eines
solchen Arms. Um das Bild in großen Entfernungen noch etwas zu vervollständigen, haben wir einige Objekte einer besonderen Klasse von Veränderlichen Sternen eingetragen, weil es für sie eine brauchbare Methode der Entfernungsbestimmung gibt, auf die wir hier aber nicht näher eingehen wollen.
Das Gebiet unseres Sternsystems, in dem wir nun die Lage der Spiral arme
kennen, stellt einen beträchtlichen Teil des ganzen Systems dar, dessen Durchmesser wir mit etwa 100000 Lichtjahren angeben. Daher stellt sich die
Frage, ob wir von dem Aussehen in diesem Teilgebiet auf das Aussehen des
Milchstraßensystems im Ganzen schließen können. Wie kann man eine solche
Extrapolation vom Teil auf das Ganze vornehmen, ohne den Boden der gesicherten Tatsachen zu weit zu verlassen? Wir können versuchen, in der Vielzahl von spiralförmigen Sternsystemen ein solches ausfindig zu machen, das
in einem entsprechenden Teilgebiet die gleiche Form und Lage der Spiralarme zeigt wie unser eigenes Sternsystem. Finden wir ein solches, dann ist
die Annahme nicht unvernünftig, daß der übereinstimmung in einem großen
Teilgebiet eine übereinstimmung des Ganzen entspricht. Der Anblick eines
solchen Sternsystems wäre für uns sozusagen ein Blick in einen kosmischen
Spiegel. In der großen Zahl von fotografischen Aufnahmen von Spiralsystemen konnte nur ein einziges gefunden werden, das auf dieser Basis mit dem
Milchstraßensystem vergleichbar ist, nämlich das Sternsystem, das den Katalognamen NGC 1232 trägt. Es hat - vielleicht zufälligerweise - auch den
gleichen Durchmesser wie das Milchstraßensystem (Abb. 8). Das etwa ist der
Stand der Dinge, soweit die optische Astronomie ihn gebracht hat.
Die Radioastronomie hat ihren eigenen Weg eingeschlagen bei der Erforschung der galaktischen Spiralstruktur. Er führte vor 15 Jahren zu dem
ersten großen Erfolg [in der ununterbrochenen Kette weiterer Erfolge der
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
17
Radioastronomie], der alles weit hinter sich ließ, was damals von der optischen Astronomie auf diesem Gebiete präsentiert werden konnte. Dieser Erfolg war ermöglicht worden durch den glücklichen Umstand, daß mit der
neuen technischen Methode zugleich auch ein wichtiger Ansatzpunkt gefunden wurde, an dem sie ihre Leistungsfähigkeit erproben konnte: die
21-cm-Emissionslinie des neutralen Wasserstoffes.
über dieses Gebiet hat an dieser Stelle Herr Kollege Hachenberg vor
einem Jahre ausführlich gesprochen, und ich nehme darauf Bezug.
Daß der Wasserstoff eine wesentliche Komponente der Materie in Spiralarmen sein muß, war an der Existenz der optisch leuchtenden Wolken des
ionisierenden Wasserstoffs ersichtlich, die ihrerseits allerdings nur winzige
Enklaven innerhalb der großen Masse des neutralen Wasserstoffs darstellen,
der seinerseits optisch unsichtbar ist. Jetzt wurde er durch das Radioteleskop
sichtbar gemacht. Und da die Ausbreitung von Radiowellen durch den interstellaren Staub nicht behindert wird, gelangte mit einem Schlage das Milchstraßensystem fast in seiner ganzen Ausdehnung in den Bereich der Beobachtbarkeit. Aber auf der anderen Seite hat die Radioastronomie auch ihre eigenen Schwierigkeiten, die sich bei der quantitativen Darstellung der Beobachtungen zu erkennen geben. Sie hat nämlich, im Gegensatz zur optischen
Astronomie, noch keine eigenen Methoden der Entfernungsbestimmung entwickeln können. So hängt zum Beispiel die Methode der Entfernungsbestimmung der Wolken neutralen Wasserstoffs eng zusammen mit dem galaktischen Rotationsgesetz, das seinerseits mit Methoden der optischen und der
Radioastronomie und unter Zuhilfenahme von Modellvorstellungen abgeleitet werden muß. An seiner Vervollkommnung wird immer noch gearbeitet.
Das müssen wir im Auge behalten, wenn wir die Ergebnisse der Radioastronomie mit denen der optischen Astronomie vergleichen. Wir können
feststellen, daß der neutrale Wasserstoff mit Ausnahme des galaktischen
Kerngebietes im ganzen Bereich des Milchstraßensystems in Form von diskreten Armen verteilt ist. Insofern stehen wir vor einer grandiosen Erweiterung der Vorstellungen, die auf der optischen Astronomie beruhen. Indessen
erscheinen die Arme im gegenwärtigen Bilde eher als kreisförmige Gebilde,
denn als Spiral arme. Und in demjenigen Teilgebiet, in dem beide Methoden
wirksam sind, können wir nicht von einer guten übereinstimmung der
Details sprechen. Aber das soll uns nicht beunruhigen, solange noch bekannte Unzulänglichkeiten im Spiele sind.
Damit haben wir eigentlich unser Thema - die galaktische Spiralstruktur
- erschöpft. Erlauben Sie mir aber bitte, noch etwas hinzuzufügen, was
zwar nicht unmittelbar, aber wahrscheinlich um so mehr mittelbar mit ihr
zusammenhängt.
18
Wilhe1m Becker
Der galaktische Halo
Spiralstruktur und Kerngebiet sind nicht die einzigen Strukturmerkmale
von Spiralsystemen. Es kommt vielmehr noch ein drittes hinzu, von dem man
annimmt, daß es für die Entwicklung und für die Dynamik von Spiralsystemen von großer Bedeutung ist: der Halo.
Der Halo eines Spiralsystems ist ein zum Kerngebiet konzentrischer, aber
im Gegensatz zur flachen Scheibe der Spiralarmregion mehr sphärischer
Raum. Die Spiralarmregion ist in ihn eingebettet und durchdringt ihn.
Im Halo kannte man bis vor kurzem nur die kugelförmigen Sternhaufen
- etwa 150 im galaktischen System - und einige hundert veränderliche
Sterne mit kurzer Periode. Man konnte sie deswegen als Exponenten des
galaktischen Halo identifizieren, weil sie auf direkten fotografischen Himmelsaufnahmen infolge ihres besonderen Aussehens oder ihres fotometrischen Verhaltens unmittelbar kenntlich sind als Objekte, die auch weit außerhalb der Milchstraße vorkommen und sich dadurch als Halo-Objekte verraten. Aber sie machen gewiß nur einen kleinen Prozentsatz der Masse des
Halo aus. Denn auch er wird hauptsächlich aus Sternen bestehen, vom Kerngebiet nach außen in abnehmender Raumdichte. Aber diese Sterne unterscheiden sich auf den direkten Himmelsaufnahmen in nichts von den vielen
anderen Sternen, die nicht zum Halo, sondern zur Scheibe der Spiralarmregion gehören.
Sie zu identifizieren erschien unmöglich, bis die überlegungen zur Kosmogonie von Sternen und von Sternsystemen zu der Erkenntnis führten, daß es
sich bei den Halo-Sternen um die ältesten existierenden Sterne handeln
müsse, die zur ersten Generation von Sternen gehören, die sich aus der ungeformten interstellaren Urmaterie gebildet haben. Wenn diese, wie angenommen wird, aus reinem Wasserstoff bestand, dann muß es sich um Wasserstoffsterne handeln, denen die Metalle und andere schwere Elemente fehlen,
soweit sie sie nicht selber im Laufe der Zeit in beschränktem Umfange gebildet
haben. Mit den Metallen fehlen ihnen naturgemäß auch die zahlreichen Absorptionslinien der Metalle im ultravioletten Bereich des Sternspektrums.
Daher müssen diese alten Sterne im Ultravioletten stärker strahlen als die
jungen Sterne gleichen Typs in der Spiralarmregion. Sie haben, wie man sagt,
einen Ultraviolett-Exzess. Dort lag der Ansatzpunkt für eine Lösung des
Problems (Abb. 9).
Abermals wiederholte sich der glückliche Umstand, daß mit einem Ansatzpunkt zugleich auch die Methode da war, die ihn ausnutzen konnte. In diesem Falle war es die Dreifarben-Fotometrie. Sie war, ohne um diese Möglichkeit zu wissen, geradezu gemacht worden, um Ultraviolett-Effekte zu
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
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messen und zu verwerten. Was vorher mit einer einzigen fotografischen Aufnahme nicht möglich war, wurde möglich durch drei Aufnahmen mit verschiedenen Farbfiltern: im Rot, im Grün und im Ultraviolett. Die HaloSterne konnten an Hand ihres UV-Exzesses erkannt und von den Spiralarmsternen abgesondert werden. Ihre räumliche Verteilung konnte damit studiert werden.
Diese Dinge stehen noch ganz im Anfange. Aber ich möchte Ihnen ein
neues Ergebnis vorweisen, das die sich bietenden Möglichkeiten deutlich
zeigt: die räumliche Dichteverteilung von Halo-Sternen in Richtung zum
Antizentrum des Milchstraßensystems in der Form eines Dichtegradienten.
Allerdings müssen wir dabei etwas außerhalb der Milchstraße bleiben, um
der Behinderung durch die interstellare Absorption in der Milchstraße zu entgehen, sagen wir um ca. 20 Grad. Die Auswertung von Aufnahmen, die mit
dem 48zölligen Schmidtspiegel und mit dem 200zölligen Parabolspiegel des
Mt. Palomar Observatory erhalten worden waren, ergaben den in Abb. 10
gezeigten Dichtegradienten. Er konnte abgeleitet werden bis zu einer Entfernung von fast 120 000 Lichtjahren von der Sonnne bzw. bis zu 150 000 Lichtjahren Abstand vom galaktischen Kerngebiet. In dieser ungewöhnlich großen Entfernung - sie ist größer als der ganze Durchmesser der Spiralarmscheibe - konnten immer noch Sterne gefunden werden, die zum galaktischen Halo gehören. Es ist fast die Distanz bis zu den bei den nächsten Sternsystemen, den Magellanschen Wolken (ca. 170000 Lichtjahre), und es liegt
die Vermutung nahe, daß es vielleicht so etwas wie intergalaktische Sterne
geben mag.
Das Ziel muß es nun sein, auch in anderen Richtungen den galaktischen
Halo in dieser Weise zu durchmessen, um schließlich zu einer Synthese der
Einzeldaten zu kommen, die den Halo als Ganzes um faßt, so wie es im Bereiche der Spiralarme heute schon der Fall zu sein scheint.
Summary
The Milky Way delineates the projection of our own stellar system on the
sphere. A comparison of the appearance of the Milky Way with that of
other, extragalactic systems shows that our stellar system certainly belongs
to the spiral systems. The position of the spiral arms in space can be traced
by means of those objects which are in general typical for spiral arms (galactic star clusters and bright hydrogen clouds) and for which we know a
method to determine their distances (H-Gamma-method and three color
photometry). The position of great sections of three spiral arms have been
located with these methods. Traces of a few more spiral arms have been
found. The method of three color photometry can also be used to investigate
the galactic halo which fiUs a more or less spherical space concentric with the
system of the spiral arms.
Resume
La voie lactee represente la projection de notre systeme stellaire sur la
sphere celeste. Une comparaison de l'apparence de la voie lactee avec des
autres systemes stellaire montre qu'il s'agit dans le cas de notre systeme
d'une systeme en spiral. La position des spirales dans l'espace est determinee
par ceux parmi les objects stellaires qui sont characteristiques pOUf les bras
des spirales (amas ouverts et nuages d'hydrogene) et pour lesquels nous
connaissons des methodes pour la determination des distances (methode HGamma, photometrie en trois couleurs). La position des grandes sections de
trois bras spiral es a ete determinee. Pour plusieurs autres bras on a trouve
des indices. A vec la methode de la photometrie en trois couleurs il est aussi
possible d'etudier le halo galactique qui remplit un espace plus ou mOl11S
spherique et concentrique a vec le systeme des bras spirales.
Das Milchstraßensystem als spiralförmiges Sternsystem
t t
Scutum Sagittarius
21
t
Carina
Abb. 1: Vergleich der drei Typen von Sternsystemen mit der Milchstraße. Links: Spiralsysteme in Aufsicht und von der Schmalseite gesehen. Rechts: Elliptisches
Sternsystem und unregelmäßiges Sternsystem. Unten Milchstraße mit den drei
markanten Gebieten im Sternbild Scutum, Carina und Sagittarius (galaktisches
Kerngebiet).
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