Ich, frisch geboren

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Ich, frisch geboren
Informationsblatt zu β-Streptokokken
Was ist das?
β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe B sind Bakterien, die bei etwa 10-30%
der Frauen im Bereich der Scheide und des Anus nachweisbar sind. Die meisten
Betroffenen zeigen jedoch keine Symptome und das Vorkommen der Streptokokken
an und für sich stellt kein gesundheitliches Problem dar. Das Vorkommen der
Streptokokken kann chronisch oder intermittierend sein, das heißt die Streptokokken
können “kommen und gehen” ohne dass frau es bemerkt (Deutsche Gesellschaft für
Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), 2008, S. 2).
Wieso muss ich das überhaupt wissen?
Streptokokken der Gruppe B können zu einer Infektion des Neugeborenen (NG)
führen wenn die Streptokokken auf das Kind übertragen werden. Dabei gibt es zwei
Formen: die Früh-Form (“early onset”), die meistens innerhalb der ersten 24-48h
nach der Geburt auftritt (Centers for Disease Control and Prevention (CDC), 2010, S.
4; DGGG, 2008, S.7; Ohlsson & Shah, 2014, S. 3) und die Spät-Form (“late onset”),
die nach der 1. und bis zur 6. Lebenswoche auftreten kann (Schneider, Husslein,
Schneider, 2011, S. 421). Die Früh-Form kann einen dramatischen Verlauf mit einer
Pneumonie (Lungenentzündung) oder Sepsis des NG aufweisen und im schlimmsten
Fall tödlich sein (DGGG, 2008, S. 1). Die Spät-Form hat weniger eindeutige
klinische Zeichen und führt meist ebenso zu einer Lungenentzündung beim Kind
(Schneider et al., 2011, S. 421-423; CDC, 2010, S. 4). Ein Kind, das nach der Geburt
Zeichen einer Infektion aufweist, muss so rasch wie möglich auf einer
neonatologischen Station mit Antibiotika mehrere Tage intensiv behandelt werden
(DGGG, 2008, S.7).
Liegt bei der Frau zum Zeitpunkt der Geburt eine Besiedelung mit βhämolysierenden Streptokokken vor, so werden diese mit 50%iger
Wahrscheinlichkeit auf das Kind übertragen (Universitätsklinikum Wien (AKH),
2012, S. 2). Wichtig ist, zu wissen, dass es nur in 0,5-1% der Fälle (von diesen 50%)
zu einer Infektion beim NG kommt (AKH, 2012, S.2; DGGG, 2008, S. 1).
Risikofaktoren, die eine Infektion des NG wahrscheinlicher machen, sind eine
Frühgeburt (vor 37+0), Fieber der Gebärenden über 38°C, ein vorzeitiger
Blasensprung (Blasensprung ohne Wehen) über eine Dauer von mindestens 18
Stunden, eine akute Blasenentzündung durch Streptokokken, oder wenn die Frau
bereits ein Kind hat, das durch Streptokokken eine Infektion hatte (AKH, 2012, S.3;
CDC, 2010, S.5; DGGG, 2008, S.2; Schneider et al., 2011, S. 422).
10–30%
Strep.pos
50%
50%igeÜbertragung
0,5–1%Infektion
(=max.1auf100)
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Ok, und was bedeutet das jetzt?
Während der Schwangerschaft nimmt die/der GynäkologIn einen Abstrich aus der
Scheide, vom Damm und Anus ab, um festzustellen, ob eine Besiedelung vorliegt
(manche ÄrztInnen überweisen hierfür auch in ein Labor). Diese Untersuchung ist
nicht verpflichtend und nicht Teil der Routineuntersuchungen im Mutter-Kind-Pass.
Für den Zeitpunkt der Abnahme gibt es sehr unterschiedliche Empfehlungen
zwischen der 32.-37. Schwangerschaftswoche (AKH, 2012, S. 2; NICE, 2012, S.
380; Schneider et al., 2011, S.204). Dazu gibt es weiter unten eine
Hebammenempfehlung…
Ist dieser Abstrich positiv (kann also ein Wachstum der Bakterien nachgwiesen
werden), so wird von den meisten GynäkologInnen eine so genannte AntibiotikaProphylaxe über die Vene (Infusion) während der Geburt (also ab dem Eintritt ins
Krankenhaus und/oder ab Blasensprung) empfohlen, da in Studien nachgewiesen
wurde, dass diese das Risiko einer Infektion beim NG senkt (AKH, 2012, S. 1;
CDC, 2010, S.2 u. 5; NIH, 2012, S.6; Schneider et al., 2011, S. 2017;).
Liegt kein Befund vor, so wird die Antibiotika-Prphylaxe nur bei zusätzlichen
Risiken (siehe oben) empfohlen (DGGG, 2008, S. 6).
Für eine ausreichende Wirkung muss das Antibiotikum mindestens 4h vor der
Geburt und möglichst 2x im Abstand von 4-8h (je nach Antibiotikum) venös
verabreicht werden (AKH, 2012, S.3; DGGG, 2008, S.3; NICE, 2012, S. 800;
Schneider et al., 2011, S. 424).
Bei einer Hausgeburt kann ein Antibiotikum venös nur von einer/m Ärztin/Arzt
verabreicht werden, die Hebamme ist dazu nicht befugt. Es gibt Frauen, die sich bei
einer Hausgeburt für eine orale Antibiotika-Prophylaxe entscheiden (Tabletten
schlucken), dazu gibt es keine ausreichende Datenlage.
Was ist noch zu bedenken?
Das National Institute of Health (NIH) konnte 2011 zeigen, dass über 11% der
vorerst negativ getesteten Frauen bei der Geburt einen positiven Befund aufweisen
und dass umgekehrt über 54% der vorerst positiv getesteten Frauen bei der Geburt
gar keine Streptokokken der Gruppe B mehr haben (negativ sind). So kommt es
auch, dass bis zu 82% der Neugeborenen mit einer Streptokokken Infektion von
negativ getesteten Frauen geboren werden (NIH, 2011, S.2).
Je näher an der Geburt der Befund erhoben wird, desto wahrscheinlicher ist auch
seine Richtigkeit (wie gesagt, Streptokokken “kommen und gehen”). Zu beachten ist,
dass zwischen dem Abstrich und einem Ergebnis zwischen 4-7 Tage vergehen
können (im Labor muss eine Kultur angelegt werden), Schnelltests sind hingegen
sehr unzuverlässig (DGGG, 2008, S.4-5).
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Wie auch sonst, birgt eine Antibiotikagabe das Risiko einer Pilzinfektion nach der
Geburt (bei Mutter und Kind) sowie ein Ansteigen der Resistenz bestimmter
Bakterien gegen antibiotische Therapien. Eine systemische Überblicksarbeit
(Systematic Review) des Cochrane Institute aus 2014 äußert zudem Zweifel an der
Aussagekraft der Datenlage auf der die meisten Leitlinien basieren (Ohlsson et al.,
2014, S. 4 u. 14-15).
Und jetzt?
Die Entscheidung, wie ihr mit dem Wissen über Streptokokken der Gruppe B
umgehen möchtet, kann euch niemand abnehmen. Es gilt für euch als werdende
Eltern genau abzuwägen, welches Prozedere (Abstrich ja oder nein, wann den
Abstrich machen, Antibiotika ja oder nein) das beste für euch und euer Kind ist.
Was wir euch als Hebammen jedoch anbieten können, sind empierische Erfahrungen,
die wir in den letzten Jahren gesammelt haben:
Empierisch erprobte Empfehlungen deiner Hebammen
Wir empfehlen einen Streptokokken Abstrich bereits um die 34. SSW. Ist dieser
positiv so kann frau versuchen, die Streptokokken alternativ zu behandeln. Es folgt
ein Kontrollabstrich um die 36.-38. SSW. Auch bei einem negativen Befund in der
34. SSW kann ein späterer Kontrollabstrich sinnvoll sein (1x negativ heißt nicht
immer negativ). (Der Abstrich vor der 37. SSW gibt der Frau die Möglichkeit
alternativ zu behandeln. Er ist jedoch medizinisch weniger relevant, da bei einer
Frühgeburt das NG ohnehin in einem dafür geeigneten Spital mit bestmöglicher
Betreuung zur Welt kommt und meist prophylaktisch ein Antibiotikum nahe gelegt
wird, siehe auch Risikofaktoren.)
Alternative Behandlungsmöglichkeiten:
7-10 Tage abwechselnd Teebaumöl- und Belladonnazäpfchen (Weleda oder WALA)
abends vaginal anwenden, anschließend mit Döderlein Kapseln (1x alle 2 Tage)
fortfahren. Zusätzlich Omni Biotik “Flora+” 2x täglich über mind. 7 Tage trinken.
Diesen Vorgang eventuell wiederholen.
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit durch ein spezielles Labor ein individuelles
Aromatogramm herstellen zu lassen. Dabei wird mittels Abstrich eine Kultur
angelegt und getestet, auf welche Aromaöle die Streptokokken der Kultur
empfindlich reagieren. Anschließend werden aus den effektiven Ölen Zäpfchen für
genau diese Frau hergestellt. Bei Interesse www.dorfinger.at.
Weiters gibt es die Empfehlung das NG möglichst bald nach der Geburt anzulegen
(stillen), da dadurch bestimmte Bakterien der Mutter (E. coli) die Besiedelung des
“nativen Darms” des NG weiter vermeiden können. Dieses Vorgehen ist für uns als
Hebammen ohnehin (auch aus anderen Gründen) selbstverständlich J.
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Grundsätzlich ist die Scheidenflora während der gesamten Schwangerschaft von
großer Wichtigkeit für die Gesundheit von Mutter und Kind und verdient es, gepflegt
zu werden! Die natürlich in der Scheide vorkommenden “gesunden Bakterien”
(Lactobazillen) können wie folgt unetrstützt werden:
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die Vulva täglich kalt abspülen, das fördert die Durchblutung (niemals hinein
spülen oder mit Seife waschen!)
für regelmäßge Luftzufuhr sorgen (nicht zu enges Gewand)
Unterwäsche aus nicht-synthetischen Materialien tragen
die Scheidenflora mit Produkten wie MuliGyn Gel “ActiGel”,
Döderleinbakterien oder oben genannten Omni Biotik Bakterien
“verwöhnen”
besonders vor und nach dem Schwimmen in Chlorwasser die Scheidenflora
gut aufbauen
auf reichlichen Zuckerkonsum verzichten
Stress vermeiden
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•
Hinweis:
Alle Angaben ohne Gewähr auf Gültigkeit und Aktualität. Die Aufklärung zu Erkrankungen
und/oder Risiken während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett obliegt der/dem
betreuenden GynäkologIn, dieses Schreiben ist als reine Informationssammlung gedacht und
kann auch als Grundlage dienen um genaueres mit der/dem FachärztIn zu besprechen.
Literaturnachweis:
Ohlsson, A. & Shah, V. S. (2012). Intrapartum antibiotics for known maternal Group B
streptococcal colonization (Review). Cochrane Database of Systematic Reviews (6).
doi: 10.1002/14651858.CD007467.pub4.
Schneider, H., Husslein, P. & Schneider, K. T. M. (Hrsg.). (2011). Die Geburtshilfe (4. Aufl.).
Berlin/Heidelberg: Springer.
Zitierte Leitlinien:
Center of Disease Control and Prevention (CDC). Abgerufen am 19.03.2017 von
https://www.cdc.gov/mmwr/preview/mmwrhtml/rr5910a1.htm
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Abgerufen am 19.03.2017
von http://www.dggg.de/leitlinien-stellungnahmen/leitlinien/leitlinie/prophylaxe-derneugeborenensepsis-fruehe-form-durch-streptokokken-der-gruppe-b-244/
* Leitlinie 2013 abgelaufen, bisher noch keine aktuellere Form zur Verfügung
National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Abgerufen am 19.03.2017 von
https://www.nice.org.uk/guidance/cg149
Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abteilung für Geburtshilfe unf feto-maternale Medizin
(AKH). Abgerufen am 19.3.2017 von
http://www.meduniwien.ac.at/frauenheilkunde/SOP/GH/Streptokokken_in_der_Sch
wangerschaft_2.pdf
www.ichfrischgeboren.at
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