Sei X ein topologischer Raum Definition 12.1. Ein topologischer

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GRUNDLAGEN DER ANALYSIS, TOPOLOGIE UND GEOMETRIE (WWU 2016)
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12. Z USAMMENHANG
Sei X ein topologischer Raum
Definition 12.1. Ein topologischer Raum X heißt zusammenhängend, falls er nicht eine disjunkte Vereinigung zweier nicht-leerer offener Mengen ist. Eine Teilmenge heißt
zusammenhängend, wenn sie es als Teilraum ist.
/ Dann ist V = U c und U = V c . InsbesonSei X = U t V (d.h. X = U ∪ V , U ∩ V = 0).
dere gilt: U,V sind offen ⇔ U,V sind abgeschlossen. Der Raum X ist also genau dann
zusammenhängend, wenn es keine Teilmenge außer 0/ und X gibt, die sowohl offen als
auch abgeschlossen (englisch: clopen) ist.
Beispiel 12.2.
(1) R \ {0} = (−∞, 0) t (0, ∞) ist nicht zusammenhängend.
(2) Jedes Intervall I ⊆ R ist zusammenhängend: Wäre I = U tV mit U,V 6= 0/ offen,
so wäre f : I → R mit f |U ≡ 0 und f |V ≡ 1 stetig; Widerspruch zum Zwischenwertsatz.
Bemerkung 12.3.
(1) Ist f : X → Y stetig, surjektiv und X zusammenhängend, so
ist auch Y zusammenhängend, denn ist U ⊆ Y offen und abgeschlossen, so auch
f −1 (U). Für X = [a, b] ⊆ R und Y ⊆ R erhalten wir den Zwischenwertsatz.
(2) Ein Raum X ist genau dann zusammenhängend, wenn jede Abbildung von X in
einen diskreten Raum konstant ist. Die Richtung “⇒” folgt aus (1), die andere
ähnlich wie in Beispiel 12.2 (2).
Wir betrachten im Folgenden eine stärkere Form von Zusammenhang:
Definition 12.4. Ein Weg in X ist eine stetige Abbildung [0, 1] → X. Ein Raum X heißt
• weg-zusammenhängend, falls für alle x, x0 ∈ X ein Weg w in X mit w(0) = x und
w(1) = x0 existiert;
• lokal weg-zusammenhängend, falls zu jeder offenen Menge U und jedem Punkt
x ∈ U eine weg-zusammenhängende Umgebung V ⊆ U von x existiert.
Lemma 12.5. Jeder weg-zusammenhängende Raum ist auch zusammenhängend.
Beweis. Sei X weg-zusammenhängend und X = U tV , wobei U,V offen und nicht-leer
sind. Wähle x ∈ U, y ∈ V und einen Weg w in X von x nach y. Dann ist [0, 1] = w−1 (U) t
w−1 (V ) eine Zerlegung in offene, nicht-leere Teilmengen. Da [0, 1] zusammenhängend
ist, erhalten wir einen Widerspruch.
Beispiel 12.6. Der Teilraum
A := {(x, sin(π/x)) : 0 < x ≤ 1} ∪ {0} × [−1, 1] ⊆ R2
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ist zusammenhängend, aber nicht wegzusammenhängend. Fügt man das Bild eines geeigneten Weges w von (0, 0) nach (1, 0) hinzu, wird
B := A ∪ w([0, 1]) ⊆ R2
(der polnische Kreis) wegzusammenhängend, aber nicht lokal wegzusammenhängend
(in (0, 0)).
Bemerkung 12.7. Jeder Raum ist die disjunkte Vereinigung maximaler (weg-)zusammenhängender Teilmengen; diese heißen seine (Weg-)Zusammenhangskomponenten (ÜA).
13. D IE F UNDAMENTALGRUPPE EINES R AUMES
Ziel der algebraischen Topologie ist die Klassifikation topologischer Räume mittels zugeordneter Invarianten wie Zahlen (Euler-Charakteristik, Betti-Zahlen, . . . ) oder Gruppen (Homotopiegruppen, (Ko-)Homologiegruppen, . . . ).
Als Beispiel behandeln wir die Fundamentalgruppe eines topologischen Raumes X.
Definition 13.1. Zwei Wege v, w in X heißen
(1) frei homotop, falls es eine stetige Abbildung H : [0, 1]×[0, 1] → X mit H(−, 0) =
v und H(−, 1) = w gibt;
(2) homotop (relativ zu den Endpunkten), falls zusätzlich v(0) = H(0,t) = w(0) und
v(1) = H(1,t) = w(1) für alle t ∈ [0, 1].
Wir nennen dann H eine Homotopie von v nach w und schreiben im Fall (2) v ∼ w oder
v ∼H w.
Eine Homotopie H ist also “interpolierende” Familie von Wegen
Ht := H(−,t) : [0, 1] → X,
(t ∈ [0, 1]).
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Beispiel 13.2.
(1) Ist X ⊆ Rm konvex, so sind je zwei Wege v, w in X frei homotop
via H(s,t) = (1 − t)v(s) + tw(s).
f
(2) Ist f : U −
→ C holomorph und sind v, w : [0, 1] → U homotop, so ist
Z
v
f (z)dz =
Z
w
f (z)dz.
Lemma 13.3. Homotopie ist eine Äquivalenzrelation
Beweis.
• Reflexitivät: klar.
• Symmetrie: v ∼H w ⇒ w ∼H v mit H t := H1−t für alle s,t;(
H2t ,
0 ≤ t ≤ 21 ,
.
• Transitivität: u ∼H v, v ∼K w ⇒ u ∼(H·K) w mit (H ·K)t =
K2t−1 , 12 ≤ t ≤ 1.
Wir bezeichnen mit [w] die Äquivalenzklasse eines Weges w in X und mit
π1 (X) := X/∼
die Menge aller Äquivalenzklassen von Wegen.
Definition 13.4. Die Verknüpfung zweier Wege v, w in X ist der Weg
(
v(2t),
0 ≤ t ≤ 12 ,
v ∗ w : [0, 1] → X, t 7→
w(2t − 1), 12 ≤ t ≤ 1.
Satz 13.5. Für jedes x ∈ X ist
π1 (X; x) := {[w] ∈ π1 (X) : w(0) = x = w(1)}
eine Gruppe bezüglich der Verknüpfung [v] ∗ [w] := [v ∗ w].
Beweis. Wir zeigen eine etwas stärkere Aussage, ohne x ∈ X zu fixieren.
(1) Wohldefiniertheit: Seien v ∼H v0 und w ∼K w0 mit v(1) = v0 (1) = w(0) = w0 (0).
Dann folgt (v ∗ w) ∼H∗K (v0 ∗ w0 ) mit (H ∗ K)t = Ht ∗ Kt , d.h.
(
H(2s,t)
0 ≤ s ≤ 12 ,
(H ∗ K)(s,t) 7→
.
K(2s − 1), 12 ≤ s ≤ 1
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(2) Assoziativität: Seien u, v, w Wege in X. Dann gilt u ∗ (v ∗ w) ∼H (u ∗ v) ∗ w mit
 
0 ≤ s ≤ α(t),
u s ,


 α(t)
s−α(t)
, α(t) ≤ s ≤ β(t),
H(s,t) = v β(t)−α(t)



w s−β(t) ,
β(t) ≤ s ≤ 1
1−β(t)
für geeignete α(t) und β(t), siehe Bild.
(3) Neutrales Element: Sei ιx : [0, 1] → X konstant gleich x ∈ X. Dann gilt für jeden
Weg w: ιw(0) ∗ w ∼ w ∼ w ∗ ιw(1) (ÜA).
(4) Inverses Element: Ist w ein Weg und w(t) = w(1 − t), so gilt ιw(0) ∼ w ∗ w mit
(
w(t2s),
s ≤ 1/2,
H(s,t) =
w(t(2s − 1)), s ≥ 1/2,
und analog w ∗ w ∼ ιw(1) .
Definition 13.6. π1 (X, x) heißt die Fundamentalgruppe von X zum Basispunkt x.
Beispiel 13.7.
(1) Sei S1 = {z ∈ C : |z| = 1} und
wn : [0, 1] → S1 ,
t 7→ e2πint .
Dann ist Z → π1 (S1 , 1), n 7→ [wn ], ein Isomorphismus.
(2) Sind X,Y topologische Räume und x ∈ X, y ∈ Y , so folgt (ÜA)
π1 (X ×Y, (x, y)) ∼
= π1 (X, x) × π1 (Y, y).
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Insbesondere ist π1 (S1 × S1 , (1, 1)) ∼
= Z × Z.
n
(3) Ist X ⊆ R konvex und x ∈ X, so ist π1 (X, x) = {[ιx ]} trivial.
Satz 13.8. Für jedes [w] ∈ π1 (X) ist die Abbildung
c[w] : π1 (X, w(1)) → π1 (X, w(0)),
ein Gruppenisomorphismus.
u 7→ [w] ∗ [u] ∗ [w],
Beweis. Die Abbildung c[w] ist
• verträglich mit der Verknüpfung, denn für alle [u], [v] ∈ π1 (X, x) gilt
c[w] ([u]) ∗ c[w] ([v]) = [w] ∗ [u] ∗ [w] ∗ [w] ∗[v] ∗ [w] = c[u]∗[v] ,
| {z }
=[ιw(1) ]
• bijektiv und das Inverse ist c[w] (ähnliche Rechnung).
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