Inspirationen aus der Tränenforschung

Werbung
Inspirationen aus der Tränenforschung
Wie moderne Kontaktlinsen für den digitalen Alltag den Tränenfilm
„imitieren“
Von Bart Johnson, Dr. Brian Pall und Dr. Charles Scales
Unser aktiver Alltag und die intensive Nutzung digitaler Medien verlangen
unseren Augen eine Menge ab. Das gilt ganz besonders für Kontaktlinsenträger.
Neue Kontaktlinsenmaterialien verhelfen ihnen zu einem konstant hohen Sehund Tragekomfort. Das Geheimnis dieser neuen Technologien: Sie „imitieren“
den natürlichen Tränenfilm. Grund genug, diese komplexe Struktur genauer zu
betrachten.
Tränen sind eine ganz besondere Flüssigkeit. Ohne sie könnten wir unsere Umwelt
weder scharf und deutlich sehen noch so reibungslos blinzeln, wie wir es tagtäglich
unwillkürlich einige tausend Mal tun. Der Tränenfilm ist essenziell für unsere Augen und
unser Sehen. Er schützt und versorgt die empfindlichen Epithelzellen von Hornhaut und
Bindehaut. Indem er eine glatte, optisch transparente und lichtbrechende Verbindung
zwischen dem hydrophilen Bereich des Auges und der hydrophoben externen
Umgebung, also der Luft, schafft, sorgt er für eine gesunde Augenoberfläche sowie für
klares, stabiles Sehen über den ganzen Tag hinweg.
Um diese Aufgabe zu erfüllen, ist die Tränenflüssigkeit komplex und reich an wichtigen
Bestandteilen. Im Tränenfilm wirken hydrophile, ampiphile und lipophile Komponenten
zusammen, darunter Muzine, Proteine und Lipide. Ununterbrochen befeuchten sie die
Augenoberfläche, versorgen sie mit Sauerstoff, halten sie glatt und gleitfähig, befreien
sie von Abfallprodukten und schützen sie rund um die Uhr.
Struktur des Tränenfilms
Grundsätzlich besteht der Tränenfilm aus drei Schichten: Muzinschicht, wässriger
Schicht und Lipidschicht. Wie komplex er ist, zeigen neueste Forschungen: Bislang
wurden 18 verschiedene Muzine, 491 Proteine und 153 Lipide identifiziert – und jeder
dieser Bestandteile ist für sich genommen schon multifunktional und komplex im
Aufbau. Alle Bestandteile interagieren miteinander, um dem Tränenfilm strukturelle
Integrität zu geben, während sie gleichzeitig noch ihre jeweiligen individuellen
1
Funktionen ausführen.1-3
Muzinschicht: vielseitige Alleskönner
Die Basisschicht des Tränenfilms bilden Muzine, auch Glykokalyx genannt. Sie
stabilisieren und verankern den Tränenfilm und schützen die Augenoberfläche vor
Abnutzung.
Muzine weisen ein hohes Molekulargewicht auf und erstrecken sich vom Inneren der
Epithelzellen der Hornhaut durch die hydrophobe Zellmembran bis außerhalb der Zelle.
Muzine sind an die Hornhaut gebunden, doch ihre hydrophilen Ausläufer reichen bis in
die wässrige Schicht des Tränenfilms und binden diesen an die Zelloberfläche
(Abbildung 1).1
Zellmembranen sind größtenteils hydrophob. Ohne Muzin-Glykokalyx würden die
Tränen von der Hornhaut abperlen wie Wasser von einer Teflonpfanne. Gleichzeitig
haben die Muzine eine Antihaftwirkung, die verhindert, dass das Hornhautepithel an
der Bindehaut festklebt, die das Innere der Augenlider überzieht (Tunica conjunctiva
palpebrarum). So machen sie die Zelloberfläche gleitfähig und reduzieren die
Reibung während des Lidschlags.
Abbildung 1: Muzine mit hoher Molekülmasse sind an einem Ende an die Hornhaut
gebunden, haben aber hydrophile Fortsätze, die in die wässrige Schicht ragen und diese an
die Zelloberfläche binden. (Abbildung dient nur zu Illustrationszwecken.)
2
Wässrige Schicht: Mehr als nur Wasser
Andere Muzine schwimmen in der wässrigen Komponente des Tränenfilms. Sie
schützen die Hornhaut, halten sie sauber und versorgen sie mit Nährstoffen und
Sauerstoff.4 Die wässrige Schicht ist viel mehr als nur Wasser: Sie enthält große und
kleinere biochemische Bestandteile, beispielsweise Proteine, und hat die Aufgabe,
Fremdkörper aus der Umwelt durch den Tränenkanal zu entsorgen.3
Lipidschicht: Stabilisator des Tränenfilms
Über der wässrigen Schicht befindet sich die Lipidschicht, die eine zweischichtige
Struktur aufweist: Am Übergang zwischen wässriger und Lipidschicht finden sich polare
Lipide (z. B. Phospholipide). Die darüber liegende dickere Schicht mit nicht-polaren
Lipiden (z. B. Wachse, Triglyceride und Cholesterinester) steht in Kontakt mit der
umgebenden Luft.5
Wie die Muzinschicht unterstützt auch die Lipidschicht die Gleitfähigkeit der
Augenoberfläche. Außerdem verhindert sie den Verlust wässriger Anteile und trägt zu
einer glatten optischen Oberfläche bei. Ohne die ampiphile (also zugleich hydrophile
und lipophile) polare Phospholipid-Verbindung würden sich die nicht-polaren Lipide
nur schlecht über der wässrigen Schicht verteilen. Dadurch wäre die Lipidschicht
weniger stabil und der Tränenfilm würde schneller aufreißen.5
3
Auswirkung von Kontaktlinsen und der Nutzung digitaler Geräte
Im gesunden Auge arbeiten die Bestandteile des Tränenfilms harmonisch zusammen.
Allerdings können Erkrankungen, die Einnahme bestimmter Medikamente, aber auch
Herausforderungen unseres Alltags, etwa der Aufenthalt in klimatisierten oder
verrauchten Umgebungen oder langes Arbeiten am Bildschirm, die Struktur des
Tränenfilms beeinträchtigen oder sogar zusammenbrechen lassen. Dann kann es zu
Trockenheit und Unbehagen, Hornhautstippungen, geröteter Bindehaut und
Sehstörungen kommen.
Eine Kontaktlinse bedeutet einen starken Eingriff in den Bereich der Augenoberfläche.
Das Vorhandensein einer Kontaktlinse kann die Muzinproduktion, den Tränenfluss
und die Konzentration bestimmter Tränenproteine verändern. 6 Der Tränenfilm wird
durch die Kontaktlinse geteilt: Die wichtigen Muzine sind dann hinter der Linse
gefangen, während die wässrige Schicht dramatisch reduziert und die Lipidschicht
unterbrochen wird.7 Der dünnere Tränenfilm auf der Kontaktlinse begünstigt die
Verdunstung und verkürzt die Aufreißzeit des Tränenfilms, wodurch die Sehqualität
beeinträchtig werden kann. 8
Beim Kontaktlinsentragen steigt die Reibung zwischen Lid und Augenoberfläche im
Laufe des Tages an, da die Kontaktlinsenoberfläche über den Tag hinweg immer
weniger gleitfähig wird. So führt die tausendfach wiederholte Bewegung des
Augenlids über eine stetig rauer werdende Oberfläche zu einer signifikanten
Mehrarbeit für das Auge. 9 Genau das ist der Grund, weshalb viele
Kontaktlinsenträger bei herausfordernden Aktivitäten, in verschiedenen Umgebungen
oder zu bestimmten Tragezeiten über Trockenheitsgefühle oder Augenerschöpfung
(‚müde Augen‘) klagen.7, 10
Durch die Nutzung digitaler Geräte wie Computer, Tablets oder Smartphones über
mehrere Stunden am Tag werden solche Seh- und Komfortprobleme noch weiter
verstärkt. Wer länger am Bildschirm arbeitet, blinzelt weniger und oftmals nur mit
unvollständigen Lidschlägen. Dies destabilisiert den Tränenfilm noch weiter und
beeinträchtigt den Tragekomfort. Mit weit reichenden Folgen: Trockenheit und
mangelnder Tragekomfort sind die Symptome, die am häufigsten angegeben werden,
wenn Kunden das Linsentragen aufgeben.12
4
Die ideale Kontaktlinse „imitiert“ den Tränenfilm
Angesichts der Häufigkeit solcher „Kontaktlinsenbeschwerden“ ist es umso wichtiger,
dass die Forschung Kontaktlinsen entwickelt, die über den ganzen Tag hinweg bequem
und gleitfähig bleiben. Der moderne Alltag mit der intensiven Nutzung digitaler Geräte
stellt dabei eine besondere Herausforderung dar.
Eine perfekte Kontaktlinse mit konstant hohem Seh- und Tragekomfort müsste auf
der Linsenoberfläche ähnliche Bedingungen aufweisen wie die Oberfläche des
Auges.
Um das zu leisten, benötigt eine weiche Kontaktlinse tränenähnliche Eigenschaften
(siehe Tabelle „Eigenschaften von „tränenfreundlichen“ weichen Kontaktlinsen). Sie
muss mit allen Bestandteilen des Tränenfilms interagieren, einschließlich der Muzine
und Lipide. Soll die Kontaktlinse beispielsweise ähnlich wie die Hornhautoberfläche
funktionieren, muss sie an ihrer Oberfläche effektiv die Muzinschicht nachahmen, um
die Gleitfähigkeit zu erhalten und die Reibung zu reduzieren.
Neben der natürlichen Integrität des Tränenfilms und seiner Komponenten sollte die
ideale Kontaktlinse auch die funktionalen Elemente des Tränenfilms in ihrem
natürlichen Zustand erhalten: Proteine (etwa Lysozym) sind vor Denaturierung zu
schützen, die durch Hitze, Trockenheit, Kontakt mit Luft oder bestimmte Chemikalien
verursacht werden kann; Lipide vor UV-Strahlung, die zu Oxidation und Zerfall führen
5
kann.11 Der Zerfall von natürlichen Proteinen und Lipiden kann entzündungsfördernde
Substanzen freisetzen, die das Auge reizen.
Neue Technologien für perfekten Tragekomfort
Um „tränenfilmfreundliche“ Kontaktlinsen zu entwickeln, ist es unerlässlich, die
Struktur und Funktionsweise des natürlichen Tränenfilms zu verstehen. Erst das
Wissen, wie verschiedene Kontaktlinsenmaterialien mit dem Auge und dem
Tränenfilm interagieren, ermöglicht die Entwicklung neuer Technologien und
Kontaktlinsenmaterialien, die zusätzliche Optionen bieten und die Bedürfnisse von
Kontaktlinsenträgern besser erfüllen. Kontaktlinsenhersteller haben bereits
verschiedene Methoden entwickelt, um einen stabilen Tränenfilm auf der Linse zu
erzeugen, zum Beispiel durch spezielle Beschichtungen oder ionische Oberflächen.
Eine neue Technologie setzt darauf, sich der Komplexität des natürlichen Tränenfilms
anzunähern.
Dieses neue Kontaktlinsenmaterial enthält ein verfeinertes Netzwerk tränenähnlicher
Moleküle sowie hoch atmungsaktives hydriertes Silikon. Dadurch verbindet es sich mit
dem natürlichen Tränenfilm des Kontaktlinsenträgers (Abbildung 2). Das Netzwerk
tränenähnlicher Moleküle verteilt sich einheitlich in der Kontaktlinse und funktioniert
gleichbleibend über den gesamten Tag. Die Kontaktlinsen „arbeiten“ so mit den
zentralen Tränenkomponenten zusammen, dass sie die Linse gleitfähig machen und
benetzen sowie den Tränenfilm über den Tag hinweg unterstützen. Dieses Konzept
wird als Tear-infused Design bezeichnet. Kontaktlinsen mit dieser Technologie sind
unter der Marke ACUVUE OASYS® 1-Day erhältlich.
6
Abbildung 2: Die Darstellung illustriert ein Kontaktlinsenmaterial, das ein feines Netzwerk
tränenähnlicher Moleküle und ein hoch atmungsaktives Silikon enthält und sich dadurch mit
dem Tränenfilm des Kontaktlinsenträgers verbindet.
Über die Autoren
Bart Johnson ist Senior Manager R&D, Dr. Brian Pall ist Senior Principal Research Optometrist
und Dr. Charles Scales ist Principal Scientist bei Johnson & Johnson Vision Care Inc USA.
Dieser Artikel ist die überarbeitete Version eines Artikels in einer Sonderausgabe des Magazins
Optometric Management (Johnson, B. et al.: Inspired by the Science of Tears. Optometric
Management 2015; July: 13-16). Er erschien erstmals in englischer Sprache in der britischen
Fachzeitschrift Optician (Johnson, B. et al.: Inspired by the Science of Tears. Optician 2016,
251; 6551: 32-34). Der Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung von Johnson & Johnson
Vision Care veröffentlicht.
Anmerkungen
1. Mantelli, F./Argüeso, P.: Functions of ocular surface mucins in health and disease.
Curr Opin Allergy Clin Immunol 2008; 8: 5, 477-83.
2. De Souza, G. A./Godoy, L. M./Mann, M.: Identification of 491 proteins in the tear fluid
proteome reveals a large number of proteases and protease inhibitors. Genome
Biology 2006; 7: 8, R72.
3. Rantamäki, A. H./Seppänen-Laakso, T./Oresic, M. et al.: Human tear fluid lipidome:
from composition to function. PLoS One 2011; 6: 5, e19553.
7
4. Abelson, M./Dartt, D./McLaughlin, J.: Mucins: foundation of a good tear film. Review
of Ophthalmology. November 7, 2011.
www.reviewofophthalmology.com/content/d/therapeutic_topics/c/30968.
Abgerufen am 02. Sept. 2015.
5. Green-Church, K. B./Butovich, I./Willcox, M. et al.: The International Workshop on
Meibomian Gland Dysfunction: Report of the Subcommittee on Tear Film Lipids and
Lipid–Protein Interactions in Health and Disease. Invest Ophthalmol Vis Sci 2011;
52: 4, 1979-93.
6. Rohit, A./Willcox, M./Stapleton, F.: Tear lipid layer and contact lens comfort: a review.
Eye Contact Lens 2013; 39: 3, 247-53.
7. Nichols, J. J./Willcox, M. D. P./Bron , A. J. et al.: The TFOS International Workshop
on Contact Lens Discomfort: Executive Summary. Invest Ophthalmol Vis Sci 2013;
54: TFOS7-TFOS13.
8. Nichols, J. J./Sinnott, L. T.: Tear film, contact lens, and patient-related factors
associated with contact lens-related dry eye. Invest Ophthalmol Vis Sci 2006; 47:
1319-28.
9. Tosatti, S./Sterner, O./Aeschlimann, R. et al.: Tribological classification of contact
lenses – from coefficient of friction to sliding work: can contact lens wear help you
burn calories? Paper presentation at Nederlands Contactlens Congres, March 2016.
10. Mathews, K./Daigle, B./Alford, J. et al.: Exploring variability in soft contact lens
performance throughout the day. Optician 2015; 251: 46, 32-34.
11. Buch, J./Canavan, K./Fadli, Z. et al.: The tear film and contact lens wear. Contact
Lens Spectrum 2015; 31: 2, 34-37.
12. Richdale, K./Sinnott, L. T./Skadahl, E. et al.: Frequency of and factors associated
with contact lens dissatisfaction and discontinuation. Cornea 2007; 26: 168-174.
8
Herunterladen