§ 2. Einige Grundbegriffe § 2.1. Das Schubfachprinzip Das Schubfachprinzip besagt, dass, wenn n Objekte auf n−1 Fächer verteilt werden, so müssen einige dieser Fächer mehr als ein Objekt erhalten. Dies folgt aus folgendem allgemeineren Ergebnis. Satz 2.1. Wenn n Objekte auf k Fächer verteilt werden (n, k ∈ N), so (a) erhält mindestens ein Fach ≥ ⌈ nk ⌉ Objekte, (b) erhält mindestens ein Fach ≤ ⌊ nk ⌋ Objekte. Beweis. (a) Wenn jedes Fach höchstens ≤ ⌈ nk ⌉ − 1 < nk Objekte erhalten würde, so gäbe es insgesamt weniger als k × nk = n Objekte, ein Widerspruch. Der Beweis von (b) ist ähnlich. Die beiden folgenden Ergebnisse sind in gewisser Weise Variationen des oberen. Satz 2.2. Sind A1 , . . . , Ak Mengen, die alle mindestens r Elemente (k, r ∈ N), und enthalten k S ist jedes Element in höchstens r dieser Mengen enthalten, so gilt Ai ≥ k. i=1 S Beweis. Sei ki=1 Ai = E. Die Anzahl der Paare (i, e) mit e ∈ Ai ist mindestens rk und = k. höchstens r|E|, also gilt rk ≤ r|E|, und damit |E| ≥ rk r Satz 2.3. Ist R ⊂ S × T eine binäre Relation, für die ∀ s ∈ S : |{t ∈ T : sR t}| ≤ k und ∀ t ∈ T : |{s ∈ S : sR t}| ≥ ℓ gilt, so gilt |T | ≤ kℓ |S|. Beweis. Zählt man auf zwei verschiedene Weisen die Anzahl m von Paaren (s, t) mit sR t, so sieht man leicht, dass ℓ|T | ≤ m ≤ k|S| gilt. § 2.2. Der Satz von Ramsey Der ursprünglich von F.P. Ramsey (1903–1930) im Jahr 1930 bewiesene Satz beschäftigte sich mit unendlichen Mengen, aber der Name wird mittlerweile auch für analoge Aussagen über endliche Mengen verwendet. 1 Satz 2.4 (Satz von Ramsey: einfachste Version). Für alle k1 , k2 ∈ N existiert eine kleinste natürliche Zahl R(k1 , k2 ), sodass es in jeder Menge von R(k1 , k2 ) Menschen k1 –viele gibt, die sich gegenseitig kennen, oder k2 –viele gibt, die sich nicht gegenseitig kennen. Es gilt außerdem (a) R(k1 , 1) = R(1, k2) = 1, (b) R(k1 , 2) = k1 und R(2, k2 ) = k2 , (c) R(k1 , k2 ) ≤ R(k1 − 1, k2) + R(k1 , k2 − 1), falls k1 , k2 ≥ 2. Bemerkung. Die Aussage des Satzes von Ramsey kann auch folgendermaßen ausgedrückt werden. Betrachten wir die Menge R = {1, 2, . . . , r} (die Zahlen stehen für r verschiedene Menschen) sowie die Menge aller 2–elementigen Teilmengen von R: PR = {{1, 2}, {1, 3}, . . . , {1, r}, {2, 3}, . . . , {2, r}, . . . , {r − 1, r}}. Offensichtlich gilt |PR | = 2r . Zu sagen, dass zwei Menschen“ sich kennen oder nicht kennen, ” bedeutet das Zerlegen der Menge PR in zwei verschiedene Teilmengen A und U (mit PR = A ∪ U und A ∩ U = ∅), wobei wir sagen, dass a und b aus R (mit a < b) sich kennen (bzw. nicht kennen), falls {a, b} ∈ A (bzw. {a, b} ∈ U) gilt. Der Satz besagt dann, dass zu gegebenen k1 , k2 ∈ N, eine Zahl R(k1 , k2) ∈ N so existiert, dass man (mit obigen Notationen) zu jedem r ≥ R(k1 , k2) und jeder Zerlegung PR = A ∪ U eine k1 –elementige Teilmenge S1 von R = {1, 2, . . . , r} finden kann, sodass {a, b} ∈ A für alle 2–elementigen Teilmengen {a, b} von S1 gilt, oder dass man eine k2 –elementige Teilmenge S2 ⊂ R finden kann, sodass {a, b} ∈ U für alle 2–elementigen Teilmengen {a, b} von S2 gilt. Dabei ist zu beachten, dass für alle r ≥ 1, alle 1–elementigen Teilmengen S von R = {1, 2, . . . , r} und jede Zerlegung PR = A ∪ U, jede 2–elementige Teilmenge von S sowohl in A als auch in U liegt, da es keine 2–elementigen Teilmengen einer 1–elementigen Menge gibt, womit nichts zu überprüfen ist. Damit ist gezeigt, dass R(k1 , 1) = R(1, k2 ) = 1 gilt. Beweis. Schreibe X ∈ A (bzw. X ∈ U), falls alle zu X gehörenden Personen sich gegenseitig kennen (bzw. sich nicht gegenseitig kennen). Wir führen den Beweis per Induktion über k1 +k2 . (a) ist der einfachste Fall und gilt, da X ∈ A und X ∈ U, falls |X| = 1 (vgl. vorherige Bemerkung). (b) gilt, da X ∈ A (bzw. X ∈ U), falls |X| = k1 (bzw. = k2 ) und keine 2–elementige Teilmenge von X in U (bzw. in A) liegt. Für den Beweis von (c), dem Induktionsschritt, sei S eine Menge mit |S| ≥ R(k1 − 1, k2) + R(k1 , k2 − 1) und sei x ∈ S. Dann existiert (nach dem Schubfachprinzip) unter den |S| − 1 von x verschiedenen Personen (i) eine Menge A bestehend aus mindestens R(k1 − 1, k2) Personen, die x bekannt sind, oder (ii) eine Menge B bestehend aus mindestens R(k1 , k2 − 1) Personen, die x unbekannt sind. In den beiden Fällen gibt es nach Induktionsvoraussetzung die folgenden zwei weiteren Möglichkeiten. 2 (i) (α) (β) (ii) (α) (β) ∃ C ⊆ A mit |C| = k1 − 1 und C ∈ A. Dann gilt C ∪ {x} ∈ A. Oder ∃ D ⊆ A mit |D| = k2 und D ∈ U; ∃ E ⊆ B mit |E| = k1 und E ∈ A. Oder ∃ F ⊆ B mit |F | = k2 − 1 und F ∈ U. Dann gilt F ∪ {x} ∈ U. In den beiden Fällen (i) und (ii) erhalten wir dann wie gewünscht ∃ X ⊆ S mit |X| = k1 und X ∈ A oder ∃ Y ⊆ S mit |Y | = k2 und Y ∈ U. Korollar 2.5. Falls R(k1 − 1, k2 ) und R(k1 , k2 − 1) beide gerade sind, dann gilt in Satz 2.4 (c) echte Ungleichheit. Beweis. Sei n = R(k1 − 1, k2 ) + R(k1 , k2 − 1) − 1, sei S eine Menge von n Personen, und sei G der Graph ihrer Bekanntschaft (d.h. S ist die Eckenmenge und es existiert genau dann eine Kante zwischen zwei Ecken aus S, wenn die zugehörigen Personen sich gegenseitig kennen). Die obige Erörterung zeigt, dass, falls (i) oder (ii) für ein x ∈ S gelten, so enthält S wie benötigt eine Menge X oder Y . Gibt es also eine Menge S, für die das nicht gilt, dann hat jedes Element x aus S höchstens Grad R(k1 − 1, k2) − 1 im Graph G und höchstens Grad R(k1 , k2 −1)−1 im Graph G. Da die jeweiligen Grade von x in G und G zusammenaddiert n−1 ergeben müssen, und da R(k1 − 1, k2) − 1 und R(k1 , k2 − 1) − 1 ebenfalls zusammenaddiert n − 1 ergeben, so gilt, dass der Grad jedes x ∈ S in G gleich R(k1 − 1, k2 ) − 1 sein muss. Somit ist G regulär vom ungeraden Grad R(k1 − 1, k2) − 1 und besitzt eine ungerade Anzahl Ecken. Dies ist aber unmöglich, da die Gradsumme gerade sein muss (= 2|E(G)|). Also gibt es kein Gegenbeispiel S mit n Personen, und es gilt somit R(k1 , k2 ) ≤ n. Die unten aufgeführten Übungen 2.9–2.12 zeigen R(3, 3) > 5, R(3, 4) > 8, R(3, 5) > 13 und R(4, 4) > 17. Außerdem zeigen Satz 2.4 und Korollar 2.5 R(3, 3) R(3, 4) R(3, 5) R(4, 4) ≤ ≤ ≤ ≤ R(2, 3) + R(3, 2) = 3 + 3 = 6, R(2, 4) + R(3, 3) − 1 = 4 + 6 − 1 = 9, R(2, 5) + R(3, 4) = 5 + 9 = 14, R(3, 4) + R(4, 3) = 9 + 9 = 18, und damit gilt überall sogar Gleichheit. Weiterhin ist bekannt, dass R(3, 6) = 18, R(3, 7) = 23, R(3, 8) = 28, R(3, 9) = 36 und R(4, 5) = 25. Darüberhinaus sind keine genauen Werte bekannt für k1 , k2 ≥ 3 (Stand: April 2015), aber es wird versucht, gute untere und obere Schranken zu finden. Bekannt ist zum Beispiel, dass 40 ≤ R(3, 10) ≤ 42 und 36 ≤ R(4, 6) ≤ 41 gilt. Aber sogar für relativ kleine Werte für k1 und k2 weiß man nicht viel. So ist zum Beispiel 179 ≤ R(6, 10) ≤ 1171 die beste bekannte Abschätzung für R(6, 10). 3 Übungen zu Kapitel 2 Übung 2.1. Sei ℓ ∈ N. Zeigen Sie: Falls es eine Anordnung von 13 Punkten und ℓ Geraden gibt, bei der jeder Punkt auf mindestens vier verschiedenen Geraden liegt und jede Gerade durch höchstens drei Punkte geht, dann gilt ℓ ≥ 18. Übung 2.2. (a) Zeigen Sie, dass jeder (einfache) nicht triviale Graph zwei Ecken mit demselben Grad beinhaltet. (b) Sei n ∈ N. Zeigen Sie, dass man aus n ganzen Zahlen stets welche auswählen kann, deren Summe durch n teilbar ist. Übung 2.3. Seien m, n ∈ N0 . Zeigen Sie, dass es in jeder Folge a1 , a2 , . . . , amn+1 bestehend aus mn + 1 verschiedenen reellen Zahlen entweder m + 1 Zahlen in (nicht notwendigerweise fortlaufender) aufsteigender Ordnung oder n + 1 Zahlen in absteigender Ordung gibt. [Hinweis: Betrachten Sie zu jedem Folgenglied ai das geordnete Paar (xi , yi ), wobei xi (bzw. yi ) die Länge der längsten ansteigenden (bzw. absteigenden) Teilfolge ist, die mit ai endet. Die Aussage gilt, falls es ein i mit xi ≥ m + 1 oder yi ≥ n + 1 gibt. Ist es möglich, dass zwei verschiedene Folgenglieder dasselbe geordneten Paar (xi , yi ) ergeben? Sollten Sie noch mehr Hilfe benötigen, versuchen Sie z.B. die Paare (xi , yi ) für alle Glieder der Folge 2, 4, 1, 3, 5 zu bestimmen.] Übung 2.4. Seien m, n ∈ N0 . Zeigen Sie, dass es unter mn + 1 Kaninchen entweder m + 1 viele gibt, die eine Kette bilden, in der jedes (außer dem letzten) ein Vorfahre des nächsten ist, oder aber n + 1 viele gibt, bei denen keines ein Vorfahre eines der anderen Kaninchen ist. Übung 2.5. Sei n ∈ N. (a) Zeigen Sie: Wählt man n + 1 verschiedene Zahlen aus den Zahlen 1, 2, . . . , 2n aus, dann sind darunter notwendigerweise (i) zwei, die teilerfremd sind, und (ii) zwei, bei denen eine die andere teilt. [Hinweis: Verwenden Sie für beide Aussagen das Schubfachprinzip. Denken Sie für den zweiten Teil an 2er–Potenzen.] (b) Zeigen Sie: Gilt n ≥ 2, so ist die größte Anzahl (verschiedener) Zahlen aus 1, 2, . . . , n, für die gilt, dass keine zwei dieser Zahlen teilerfremd sind, genau ⌊n/2⌋. Übung 2.6. Zeigen Sie, dass die größte Anzahl (verschiedener) Teilmengen einer nichtleeren endlichen Menge, unter denen keine zwei disjunkt sind, genau die Hälfte der Gesamtzahl aller Teilmengen dieser Menge ist. Zeigen Sie außerdem, dass alle maximalen Systeme von Teilmengen mit dieser Eigenschaft diese Anzahl von Teilmengen enthalten. 4 Übung 2.7. Sei λ ∈ N. Zeigen Sie, dass das größte System von (verschiedenen) Teilmengen einer nichtleeren endlichen Menge, bei dem je zwei der Teilmengen höchstens λ viele Elemente gemein haben, aus den Teilmengen besteht, die höchstens λ + 1 viele Elemente enthalten. In den folgenden Übungen verwenden wir sogenannte zirkulante Graphen um (wie zuvor erwähnt) Abschätzungen für einige Werte von R(k1 , k2) zu erhalten. Seien a1 , . . . , ar ∈ {1, . . . , n}. Ein zirkulanter Graph C(n; a1 , a2 , . . . , ar ) ist folgendermaßen definiert: Er besteht aus Ecken v1 , . . . , vn , und vi ist adjazent (d.h. verbunden mit einer Kante) zu vi±a1 , vi±a2 , . . ., vi±ar , wobei die Indizes modulo n zu lesen sind. Also ist C(n; 1) = Cn , der n–te Kreisgraph. Es ist C(n; 1, 2, . . . , p) = Cnp , der Graph, der aus Cn entsteht, wenn man zwei Ecken verbindet, falls sie in Cn Abstand ≤ p haben. • • • • • • • • • • • • • • • • • C(5; 1) = C5 • • C(5; 2) • C(6; 1, 2) = C62 • • • • • C(7; 1, 3) • • • • • • C(8; 1, 4) Der Abstand von vi zu vj in C(n; a1 , a2 , . . . , ar ) ist das kleinste r ≥ 0 mit j ≡ i + r (mod n). (Ist v1 , . . . , vn die Bezeichnung der Ecken im Uhrzeigersinn, so könnte man dies auch den Uhrzeigersinn–Abstand zwischen vi und vj nennen.) Also ist der Abstand von vi zu vj addiert mit dem Abstand von vj zu vi gleich n. Und, falls vi und vj benachbarte Ecken von Cnp sind, so ist der Abstand von vi zu vj entweder ≤ p oder ≥ n − p. Die folgenden Aufgaben drehen sich alle um Abstände. Außer der ersten verlangen sie alle nach einem Beweis. Die Beweise sollten möglichst in sich abgeschlossen sein und nicht anhand eines Bildes erfolgen. (Aber eine bildliche Erklärung ist ein guter Anfang!) Übung 2.8. Was ist die größte Anzahl paarweiser nicht adjazenter Ecken, die (i) in Cn , (ii) in Cnp gefunden werden können? [Anders ausgedrückt: Was ist die größte Anzahl von Ecken in einer Teilmenge X von (i) V (Cn ), (ii) V (Cnp ), sodass keine zwei Ecken in X adjazent sind? Die Antwort kann nicht größer als n sein. Verwenden Sie auf geeignete Weise die Abrundungsfunktion ⌊ ⌋. Bedenken Sie, dass Cn = Cn1 gilt, womit (i) ein Spezialfall von (ii) ist.] Übung 2.9. Sei k ≥ 2, und sei G = Cnp , wobei n = k 2 −k −1 und p = k −2. Zeigen Sie, dass weder G noch sein Komplement G einen zu Kk isomorphen Teilgraphen enthält. Schließen Sie daraus, dass R(k, k) > k 2 − k − 1 gilt. [Hinweis: Die Aussage über G folgt aus Übung 2.8. Nehmen Sie zum Zeigen der ersten Aussage an, dass in G ein zu Kk isomorpher Teilgraph enthalten ist, und betrachten Sie darin die 5 Abstände zwischen den aufeinanderfolgenden Ecken. Jeder dieser Abstände muss ≤ k − 2 oder ≥ n − k + 2 sein. Aber es gilt n > k(k − 2) . . . .] Übung 2.10. Zeigen Sie, dass C(8; 1, 4) ein dreiecksfreier Graph ist, dessen Komplement keinen zu K4 isomorphen Teilgraphen enthält. Schließen Sie daraus, dass R(3, 4) > 8 gilt. Übung 2.11. Zeigen Sie, dass C(13; 1, 5) ein dreiecksfreier Graph ist, dessen Komplement keinen zu K5 isomorphen Teilgraphen enthält. Schließen Sie daraus, dass R(3, 5) > 13 gilt. Übung 2.12. Zeigen Sie, dass der Graph G = C(17; 1, 2, 4, 8) selbstkomplementär ist; d.h. G∼ = G = C(17; 3, 6, 5, 7). Zeigen Sie dann, dass weder G noch G einen zu K4 isomorphen Teilgraphen enthalten. Schließen Sie daraus, dass R(4, 4) > 17 gilt. 6