Die Essstörungen Schuster Johann • einführende Informationen • Fallbeispiel Lydia • zur Diagnostik • • • • • ICD-10 vs. DSM-IV Epidemiologie (Verteilung) Verlauf & Prognose Komorbidität Diagnostische Verfahren • Diskussion wissenswertes zu Essstörungen • Brainstorming • • • • • Feinschmeckerrestaurants Zeitschriften Æ Diäten Fernseh-Kochstudios Übergewicht (USA Æ Europa) Diäten = Wirtschaftszweig • Essstörung als psychische Störung – erst seit ca. 30 Jahren • Schönheitsideale • • • • 17 Jahrhundert (Rubens) Monroe – 50er-60er-Jahre Playboy (Studien!) Seit den 80ern rückläufig – Forderung an Modebranche Fallbeispiel Lydia • Magersucht: Lydia 24-jährig, Æ psychiatrische Abteilung eines KH. Sie selbst glaubte nicht, dass ihr etwas fehlt. Ihre Eltern & ihr Freund Æ Psychiater Æ freiwillig? ins Krankenhaus. Eckdaten: Lydia – 164 cm – 36 kg … BMI = 13,38 ↓ Blutdruck – ↓ Kalium & Kalzium findet best. Körperpartien viel zu dick (Bauch, Oberschenkel, Po) ständige Angst dick zu werden Phasen in denen sie stark abnimmt: wenig essen & Abführmittel Entwicklung: erstmalig mit 18 Jahren, nach Beziehungsbruch Diagnostik – DSM-IV Begriff: Anorexia Nervosa Appetitverlust emotionaler Natur Irreführend da das Interesse am Essen nicht verloren wird • 4 DSM-Kriterien: – Weigerung Normalgewicht zu halten (85% Soll) Hungern, Erbrechen, Diuretika & übermäßiger Sport – ausgeprägte Angst vor Gewichtszunahme trotz Untergewicht – Störung in der eigenen Körperwahrnehmung [EDI] Selbstachtung & Dünnbleiben – Amenorrhoe (Ausbleiben der Regel) weniger wichtig! da kaum Unterschied ohne diese Kriterium Diagnostik – DSM-IV Begriff: Bulimia Nervosa Teufelskreis: Hungern - Fressen - Entleeren sehr strenge Regeln, werden gebrochen, Selbstachtung leidet • 5 DSM-Kriterien: – wiederholte Fressattacken in 2h unverhältnismäßig viel essen mit dem Gefühl des Kontrollverlustes – + Maßnahmen gegen Gewichtszunahme – Dauer: 3 Monate ≈ 2 mal wöchentlich Fressattacken & Kompensationsverhalten – Figur & Körpergewicht Æ Selbstbewertung – nicht im Verlauf einer Anorexia Nervosa - Episode Diagnostik - Vergleichbar ?! • ICD-10 DSM-IV F50.x – 0 = Anorexia Nervosa • • F50.00 A.N. Restriktiver Typus F50.01 A.N. Binge-Eating / Purging • Fressanfälle mit Reaktion – 1 = atypische A.N. • • – ohne Angst vor Gewicht. – 2 = Bulimia Nervosa – 3 = atypische B.N. • nur einige Kriterien erfüllt – 4 = Essattacken bei and. psych. St. Trauer, Geburt – 5 = Erbrechen bei and. psych. St. Schwangerschaft, Übelkeit – 8 = Sonstige Essstörungen (Pica) – 9 = nicht näher bezeichnete F50.2 Bulimia Nervosa • • • • purging vs. nicht purging F50.1 noch Normalgewicht F50.3 weniger purging F50.8 nur kauen & ausspucken F50.9 Binge-Eating – non purging F50.00 psychopathologisch F50.01 impulsiv, suizidal Persönlichkeitsgestört Substanzmissbrauch Epidemiologie & Verlauf • Anorexia Nervosa Bulimia Nervosa Beginn – frühes bis mittleres Jugendalter – häufig nach einem belastenden Ereignis / Diät – spätes Jugendalter … – leicht übergewichtig / Diät Lebenszeitprävalenz – ≈ 1% – ♀ 10 : 1 ♂ • Gründe … – ≈1-2% – ♀9:1♂ Prognose: – etwa 70% genesen . . . irgendwann (6 - 7 Jahre) + Rückfälle – Lebensbedrohlich! Æ Mortalität jedoch um Faktor 10 erhöht – Exkurs . . . in die Biologie Exkurs ins Gehirn! • Hypothalamus • steuert Hunger und Essverhalten • Tiere verlieren Interesse – AnorektikerInnen nicht • Hormonabweichung • eher Folgen des Hungerns • körpereigene Opioide • zügeln Schmerzen & Appetit • Hungern im euphorischen Zustand ? – möglich ! • BulemikerInnen: ↓ Beta-Endorphin-Werten Æ Heißhunger Fressanfall Æ ↑ endogene Opioide ≈ Verstärker ! • Neurotransmitter - Serotonin • Serotonin fördert die Sättigung – Bulemie als Ser-Mangel • Depression ebenfalls als Serotoninmangel Æ SSRI Komorbidität • Anorexia Nervosa – Depression, Zwangsstörung, Phobie, Panikstörung, Alkoholismus – verschiedene Persönlichkeitsstörungen (Kennedy & Garfinkel, 1992) – sexuelle Störungen (♀ ≈ 24-jährig) • 20% bis dato ohne Sexualkontakt • 50% hatten noch keinen Orgasmus (Raboch & Faltus, 1991) • Bulimia Nervosa Bulimie & Depression Æ genetischer Einfluss hoch (Walters, 1992) – Depression, Angststörung, Verhaltensstörung, – Kleptomanie - Substanzmissbrauch – Promiskuität [Impulsivität] – Persönlichkeitsstörungen: besonders Borderline Zusammenfassung • Anorexia Nervosa: ≈ der Wille – – – – Weigerung, ein normales Körpergewicht zu halten (85%) starke Angst vor Gewichtszunahme gestörte Körperwahrnehmung bei Frauen Amenorrhoe • Bulimia Nervosa: ≈ der Ekel – Wiederkehrende Episoden von Fressanfällen – mit Kompensationsverhalten – Figur & Gewicht bilden das Zentrum der Selbstbewertung • empfinden Ekel nach Fressattacken Diagnostische Verfahren • FEV - Fragebogen zum Essverhalten als deutsche Version des TFEQ (3 factor eating questionnaire) 1. Kognitive Kontrolle des Essverhaltens – gezügelt & bewusst essen 2. Störbarkeit des Essverhaltens – disinhibition of control Essen in Gesellschaft, Geruch, Aussehen … 3. erlebte Hungergefühle (faktoranalytisch unscharf!) Fazit: reliabel, valide, an 80.000 Vpn normiert erfasst 2 bedeutsame Dimensionen des Essverhaltens nur deskriptive Beschreibung anhand von Rohwerten kann auf folgenden Gebieten eingesetzt werden: – Ernährungsberatung – Schwerpunkt des Problems – Therapieverlauf Diagnostische Verfahren • FBeK – Fragebogen zur Beurteilung des eigenen Körpers Körperschema - Wahrnehmung des eigenen Körpers Körperbild - K-bewusstsein / K-begrenzung / K-kathexis / K-erleben ¾ 3 Faktoren in der Version 82 Mittelwerte & SD: – – – – – trennt klinisch vs. nichtklinisch (wenig differenzierend … Ausnahme Sportler) Pat. mit Essstörungen / Adipositas (82% / 88%) Pat. mit gynäkologischen Problemen (Körpererleben & Attraktivität) Pat. mit Hautkrankheiten (Attraktivitätsmaße) Pat. mit Seelisch körperlichen Beeinträchtigung … 4 Faktoren in der Revidierten Version 93 Normwerte (%-Ränge): – studentische Eichstichprobe (aus einer Studie zu sexuellem Missbrauch) • Fazit: für den klinischen Einsatz! reliabel, valide, schlecht genormt erfasst Körperkonzepte versch. klinischen Gruppen Diagnostische Verfahren • EDI-2: Eating Disorder Inventory – erfasst in 91 Items 11 Dimensionen • Schlankheitsstreben / Bulimie / Unzufriedenheit mit der Figur / Minderwertigkeitsgefühle / Perfektionismus / Misstrauen / Unsicherheit in Gefühlswahrnehmung / Angst vor dem Erwachsenwerden + Askese / Impulsregulierung / soziale Unsicherheit • Stichprobe: – 40 ♀Anorexia Nervosa vs. Vergleichsstichprobe 1080 ♀ / 580 ♂ – Alter 10 – 20 Jahre • Fazit: hinreichend reliabel, valide & diskriminierend, häufig eingesetzt keine Verbesserung durch + 3 Skalen (besonders Askese ↓ Gütekriterien) 9 von 11 Skalen unterscheiden signifikant beide Stichproben zeigt, dass Subskalenwerte Gewichts- & Altersabhängig sind Geschlechtsunterschiede - Ja / Kulturunterschiede - Nein Skalen interagieren sehr hoch untereinander Diskussion!?? Diagnostik der BorderlinePersönlichkeitsstörung Natalie Weber Eva Neis Gliederung 1. Begriffsbestimmung und Klassifikation 2. Epidemiologische Daten 3. Verlauf und Prognose 4. Ätiologie und Risikofaktoren 5. Differenzialdiagnostik 6. Komorbidität 7. Diagnostische Verfahren 1. Begriffsbestimmung und Klassifikation 1.1 Konzepte und Kontroversen • • • Begriff stiftet bis heute Verwirrung: starker Bedeutungswandel, keine einheitliche Verwendung, Lange Zeit stellte die Borderline-Persönlichkeitsstörung eine eher undifferenzierte „Restkategorie“ für diagnostisch schwer fassbare und/ oder therapeutisch schwierige Patienten dar Vertreter d. Psychoanalytischen Schule verwendeten ihn ursprünglich, um einen Grenzbereich zwischen neurotischen und psychotischen Erkrankungen zu beschreiben (Stern, 1938) • Vor allem in Amerika neigten die Psychoanalytiker zu der Annahme, dass die Psychosen ihrer BorderlinePatienten denjenigen Schizophrener zuzuordnen seien (Deutsch, 1942; Knight, 1953) • Später entwickelte sich eine Debatte darüber, ob die Borderline- Patienten statt den Schizophrenen vielmehr den affektiven Störungen zuzurechnen seien (pro: z. B. Stone, 1980; contra: z. B. Kroll, 1988) • andere wiederum erklärten, sie gehörten zu dem Umfeld jeder dieser psychotischen Haupttypen (z. B. Frosch, 1964) • Mit der Herausbildung der Ich-Psychologie und der Objektbeziehungstheorie sowie durch Kleinkindbeobachtungen Mahlers ergaben sich neue Konzeptualisierungsmöglichkeiten der Frühgenese • Kernberg (1967) sprach erstmals von einer „Borderline Personality Organisation“ und betonte die Eigenständigkeit dieser psychischen Struktur • Er suchte nicht nach einem neuen symptomorientierten Klassifikationssystem, sondern nach intrapsychischen Faktoren und konnte so die Borderline-Population trotz ihrer extremen Heterogenität um das zentrale Phänomen der Spaltung gruppieren • Seine Konzeption der BorderlinePersönlichkeitsorganisation beeinflusste zusammen mit den von Gunderson & Singer erarbeiteten Kriterien wesentlich das Team der für das DSM-III verantwortlichen Diagnostiker 1.1.2 Einige Termini und Konzepte des Borderline-Konstruktes • Borderland (Hughes, 1884 a) • Unentwickelte Fälle von Dementia praecox (Kraepelin, 1909/15) • Latente Schizophrenie (Bleuler, 1911) • Borderline-Neurosen (Stern, 1938) • Schizophreniforme Psychose (Langfeldt, 1939) • Präschizophrene Persönlichkeitsstruktur (Rapaport et al., 1945/46) • Pseudoneurotische Schizophrenie (Hoch & Polatin, 1949) • Latente Psychose (Bychowski, 1953) • Subklinische Schizophrenie (Peterson, 1954) • Pseudopsychopathische Schizophrenie (Dunaif & Hoch, 1955) • Psychotische Persönlichkeit (Bion, 1957) • Borderline-Schizophrenie (Knight, 1954; Bellak, 1958; Kety et al., 1968) • Grenzpsychose (Benedetti, 1967) • Borderline-Persönlichkeitsorganisation (Kernberg, 1967) • Borderline-Syndrom (Grinker, 1968; Stone, 1980) • Borderline-Charakter (Giocacchini, 1975) • Syndrom der Borderline-Persönlichkeit • Schizotypische Persönlichkeitsstörung (Spitzer et al., 1979) • Borderline-Persönlichkeitsstörung 1.2 Bezeichnung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach ICD-10 und DSM-IV Vorweg: Die allgemeinen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung müssen erfüllt sein! A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das merklich von den Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht. Dieses Muster manifestiert sich in mindestens 2 der folgenden Bereiche: (1) Kognition (also die Art, sich selbst, andere Menschen und Ereignisse wahrzunehmen und zu interpretieren), (2) Affektivität (also die Variationsbreite, die Intensität, die Labilität und Angemessenheit emotionaler Reaktionen), (3) Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen, (4) Impulskontrolle B. Das überdauernde Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher und sozialer Situationen. C. Das überdauernde Muster führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. D. Das Muster ist stabil und langdauernd, und sein Beginn ist zumindest bis in die Adoleszenz oder ins frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen. E. Das überdauernde Muster lässt sich nicht besser als Manifestation oder Folge einer anderen psychischen Störung erklären. F. Das überdauernde Muster geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors 1.2.1 Bezeichnung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach DSM-IV Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Die Störung beginnt im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in verschiedenen Situationen, gekennzeichnet durch mindestens 5 der folgenden Merkmale: 1. verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden (keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen, die in Kriterium 5 enthalten sind) 2. ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist 3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung 4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen, z.B. Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle (keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen, die in Kriterium 5 enthalten sind) 5. wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen, oder Selbstverletzungsverhalten 6. affektive Instabilität infolge einer ausprägten Reaktivität der Stimmung, z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, was gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauert 7. chronische Gefühle von Leere 8. unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren, z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut oder wiederholte körperliche Auseinandersetzungen 9. vorübergehende, durch Belastung ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome 1.2.2 Bezeichnung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach ICD-10 Im ICD-10 zur Emotional Instabilen Persönlichkeitsstörung (F60.3) zugeordnet 1) Impulsiver Typus (F60.30) 2) Borderline Typus (F.60.31) Kriterien: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) Deutliche Neigung, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln Wechselnde, instabile Stimmung Die Fähigkeit, vorauszuplanen, ist gering Ausbrüche intensiven Ärgers können oft zu gewalttätigem und explosiblem Verhalten führen Gewalttätiges und explosibles Verhalten wird leicht ausgelöst, wenn impulsive Handlungen von anderen kritisiert oder behindert werden Störungen und Unsicherheiten über das Selbstbild, Ziele und die „inneren Präferenzen“ (einschließlich der sexuellen) Chronisches Gefühl innerer Leere Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen Krisen führen Übermäßige Anstrengungen, nicht verlassen zu werden Suiziddrohungen oder selbstschädigende Handlungen (diese können auch ohne deutliche Auslöser vorkommen) Die Diagnose des Borderline-Typus wird gestellt, wenn zum einen mindestens 2 der Kriterien 1-5 erfüllt sind und sich zusätzlich mindestens eins der Kriterien 6-10 findet. 1.2.3 Bezeichnung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach ICD-10 und DSM-IV: Unterschiede • Das DSM-IV betont die Instabilität von Stimmung, Identität und Beziehungen • Das DSM-IV nennt Wechsel zwischen Extremen der Idealisierung und Entwertung im Beziehungsverhalten • Im ICD-10 tritt die Impulsivität als Hauptmerkmal hervor • Das ICD-10 nennt keine paranoiden oder dissoziativen Symptome • Im ICD-10 werden sexuelle Präferenzen in Zusammenhang mit Störungen/ Unsicherheiten über das Selbstbild genannt • Zur Diagnose müssen beim ICD-10 ínsgesamt nur 3 von 10 Kriterien erfüllt sein, im DSM-IV sind es 5 von 9 • insgesamt sind die Kriterien des DSM-IV differenzierter und klarer 2. Epidemiologische Daten • Schätzungen der Prävalenz in der Gesamtbevölkerung: 1,3%-2,1% • Weissmann (1991) sowie Widiger & Trull (1992): 8% für ambulante, 15% für stationäre psychiatrische Patienten (USA) • 60%-77% aller Borderline-Patienten sind Frauen • Über 80% der Betroffenen befinden sich in psychiatrischer/psychotherapeutischer Behandlung • Direkte Kosten ca. 3 Mrd.€ jährlich (15% der Kosten für psychische Störungen) • Suizidrisiko: 4-9% • ca. 80% frühe Traumatisierung Fazit: • Die Schwankungsbreite der Prävalenzangaben sind sehr hoch. Dies liegt u. a. an den verschiedenen Studiendesigns, Stichprobenzusammensetzungen, Stichprobengrößen, diagnostischen Vorgehensweisen etc • Die Boderline-Störung ist eine häufig diagnostizierte Persönlichkeitsstörung • Die Häufigkeit der Diagnose nimmt in klinischen Stichproben stark zu 3. Verlauf und Prognose • Studien der letzten beiden Jahre haben gezeigt, dass die Prognose der BPS wahrscheinlich besser ist, als früher angenommen wurde. • Zanarini et al. (2003) konnten zeigen, dass nach 6 Jahren 75% der Patienten, die zu Beginn der Beobachtungszeit hospitalisiert waren, eine Remission erreichten. • Darüber hinaus zeigte sich, dass nur 6% der Patienten, die eine Remission erreichten, später wieder die Diagnosekriterien einer BPS erfüllten. • Auch wenn diese Studie insgesamt einen besseren Verlauf zeigt, darf nicht übersehen werden, dass sich mindestens 25% der Patienten im Langzeitverlauf nicht bessern. Positive prognostische Variablen: (Stone, 1991c; McGlashan, 1988) • Im Falle von Alkoholmissbrauch die Teilnahme an und dauerhafte Einbindung in Gruppen der Anonymen Alkoholiker • Sehr hohe Intelligenz • Künstlerisches Talent • Hohes Maß an Selbstdisziplin • (bei weiblichen Patienten) Attraktivität Negative prognostische Variablen: • Elterliche Grausamkeit oder Brutalität in der Vorgeschichte • Inzest/ Missbrauch • Antisoziale Verhaltensweisen des Patienten • Schizoide Komorbidität • Extreme sexuelle Gehemmtheit • Chronische Feindseligkeit • Armut • Suchtmittelmissbrauch bei Patienten, der nicht motiviert ist, diesen zu kontrollieren Erfahrung einer Borderline-Patientin • Danni: Borderline or not? (www.kuckuck.solution.de/borderline_2.html) „In meiner Welt gibt es nur schwarz und weiß. Ich hasse oder ich liebe jemanden. Ich kann innerhalb von Sekunden zwischen diesen Gefühlen hin- und herspringen. Weil ich das auch jedem anderen unterstelle, kann ich auf wahre Zuneigung nicht vertrauen. Wer mir jetzt sagt „ich liebe dich“ kann das gleich schon wieder anders meinen. Daher lebe ich in ständiger, panikartiger Verlustangst, gerade in Beziehungen zu Männern. Meine gesamte Welt ist schwarz weiß. Ich hungere oder ich fress’ (und kotze). Ich kann entweder gar nix trinken oder mir komplett die Hucke zuhauen. Ich kann total überdreht und glücklich sein oder schwermütig mit Selbstmordgedanken. Um es kurz zu machen: ich kann jegliche Normalität, jegliche Durchschnittlichkeit nicht ertragen. Sie macht mir Angst und ich spüre nichts mehr. Das Quälendste aber ist mein Verhältnis zu mir selbst. Ständig fühle ich mich abgrundtief häßlich ekelig und abstoßend, frage mich warum ich überhaupt draußen frei rumlaufen darf und dann plötzlich (zwar nur ganz selten) habe ich größenwahnsinnige Vorstellungen. Ich bin die Schönste und Tollste und jeder ist verzaubert von mir. Natürlich sieht die Realität anders aus und ich verfalle zurück in meine absolute Häßlichkeit. Jedenfalls ist es Horror. Seit fast 10 Jahren kriege ich professionelle „therapeutische Hilfe“, na und? Es geht mir nach wie vor beschissen, weil ich nie ausgeglichen und zufrieden sein kann. Ein ruhiger Abend mit meinem Freund Zuhause vorm Fernseher löst Panik aus in mir; ich bin ihm gleichgültig. Nur exzessive Situationen machen mich glücklich. Also quäle ich ihn, um im Streit seine – wenn auch Haßgefühle – mir gegenüber zu spüren. Ich habe fünf Jahre tiefenpsychologische Therapie gemacht, zwei monatelang stationäre Kuraufenthalte in psychosomatischen Kliniken hinter mir und mache z.Zt. eine Verhaltenstherapeutische Therapie. Ich glaub nicht mehr so richtig an „Heilung“. Vielleicht wäre der einzige Weg, zu sagen, es ist so. Es ist mein Leben, meinetwegen auch mein Schicksal und meine Welt ist halt schwarz weiß. Wie die der Hunde. Oder habt Ihn noch ne Idee? Vielleicht bleibt mir viel vorenthalten in der facettenreichen farbigen bunten Welt der „Normalen“, vielleicht erlebe ich aber auch Sphären, Gefühlsorgasmen;-), von den andere nur träumen können...???“ 4. Ätiologie und Risikofaktoren 1. Biologische Faktoren • • • Deutlich familiäre Häufung der BorderlinePersönlichkeitsstörung (Togersen et al. 2000) Genetischer Einfluss liegt insbesondere auf zentralen Merkmalen wie emotionale Labilität und geringe Stresstoleranz Primäre affektive Vulnerabilität (Linehan 1993, Silk 2000), die in der Interaktion mit einer traumatischen Beziehungsgeschichte und mangelhaften Lernerfahrungen zur Ausbildung einer BorderlineStörung führt • Neurobiologische Befunde: • Hypersensitivität des limbischen Systems, die dispositionell vorhanden und/oder Folge chronischer Stressbelastung sein kann (Corrigan et al. 2000, Herpertz et al., 2001) Æ Übererregung des Hippocampus, die die Funktionalität von deklarativen Gedächtnisprozessen stört und Amygdala- vermittelte emotionale Erinnerungen dominiert 2. Psychosoziale Faktoren • Die Lebensgeschichte von Borderline-Patienten weisen gravierende psychosoziale Belastungsfaktoren auf: schwerwiegende Vernachlässigung, sexuelle Missbrauchs- und elterliche Gewalterfahrungen in der Kindheit, eine chaotische und feindselige Familienatmosphäre und ein invalider Erziehungsstil Æ die situationsadäquaten Wahrnehmungen und Emotionen des Kindes werden missachtet oder es wird hierauf unberechenbar reagiert 5. Differenzialdiagnostik 5.1 Differenzierung auf Achse I • Differenzialdiagnostische Schwierigkeiten heute am ehesten zur Posttraumatischen Belastungsstörung • Unterscheidende Merkmale hierbei sind: • Zeitlicher Zusammenhang des Auftretens von Symptomen einer PTSD mit einem Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes • Eine allgemeine Hyperreagibilität und selbstschädigende Verhaltensweisen sind keine typischen Symptome einer PTSD • Im Einzelfall schwierig kann die diagnostische Abgrenzung einer Borderline-Störung von einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung sein 5. 2 Differenzierung auf Achse II • Da Komorbiditäten zwischen den Persönlichkeitsstörungen nicht selten sind, ist die klare Abgrenzung der einzelnen Persönlichkeitsstörungen von hoher Bedeutung für eine zuverlässige Diagnose und angemessene Therapieplanung • Auf den ersten Blick gibt es relativ viele Ähnlichkeiten zwischen einer Borderline-Störung und anderen Persönlichkeitsstörungen • Jedoch sind die Ähnlichkeiten auf singuläre Kriterien beschränkt und/oder werden durch eine Differenzierung der zugrunde liegenden Motivationen, Schemata und Handlungsimpulse aufgehoben • Ähnlichkeiten der Borderline-Störung bezüglich wesentlicher Kriterien zu anderen Persönlichkeitsstörungen und ihre Abgrenzung • Beispiele: • Angst vor dem Verlassenwerden bei BorderlinePatienten als auch bei Patienten mit einer Dependenten Persönlichkeitsstörung • Reaktionen auf eine Trennung jedoch unterschiedlich: der dependente Patient wird beschwichtigen und sich nachgiebig zeigen, während der Borderline-Patient vor allem wütend reagiert, dem anderen droht oder ihn bedrängt, bei ihm zu bleiben • Die Gefühle im Hinblick auf ein drohendes Alleinsein sind ebenfalls unterschiedlich: • Borderline-Patienten fallen in einen Zustand der Orientierungslosigkeit, Wert- und Haltlosigkeit; ihre Unsicherheit bezüglich ihrer eigenen Identität kommt hier zum Vorschein • Dependente Patienten berichten hingegen eher von Ängsten, ihr Leben ohne fremde Hilfe nicht meistern zu können, und schildern Sorgen, ihre Alltagspflichten nicht bewältigen zu können • Impulsivität und geringe Frustrationstoleranz bei Borderline-Patienten und Patienten mit einer Antisozialen Persönlichkeitsstörung • Wesentliches Unterscheidungsmerkmal liegt in ihrer emotionalen Reaktion auf ihre Wutausbrüche, gesetzeswidrigen und möglicherweise gewalttätigen Verhaltensweisen: • Typischerweise erleben Borderline-Patienten starke Schuld und Scham nach solchen „Ausbrüchen“, während Antisoziale Patienten hingegen bagatellisieren, rationalisieren oder sich sogar aufgrund ihres Verhaltens rühmen • Paranoide Ideen und Illusionen und soziale Isolation bei Borderline-Störung und Schizotypischer Persönlichkeitsstörung • Jedoch sind psychotische Symptome bei BorderlinePatienten eng verknüpft mit aktueller Belastung; die psychotischen Symptome sind überwiegend dissoziativ; soziale Isolation ist bei Borderline-Patienten eher sekundär durch Konflikte und/oder Wutausbrüche in Beziehungen bedingt, während es bei Patienten mit Schizotypischer Persönlichkeitsstörung einem primären Bedürfnis nach Alleinsein entspringt • Streben nach Aufmerksamkeit, manipulatives Verhalten und plötzliche Stimmungswechsel bei Borderline Persönlichkeitsstörung und Histrionischer Persönlichkeitsstörung • Unterschiede sind jedoch Autodestruktivität, wütende Beziehungsabbrüche, chronisches Gefühl der Leere sowie eine Identitätsstörung, durch diese BorderlinePatienten charakterisiert sind • Fazit: • Bei den Ähnlichkeiten auf Symptomebene sind motivationale Hintergründe, emotionale Ursachen und Reaktionen, sowie Kognitions- und Handlungsschemata sehr unterschiedlich 6. Komorbidität 6.1 Komorbidität zu anderen Achse-IStörungen • Sieben der zehn genannten Störungen (Achse I; DSMIV) weisen zur Borderline-Störung eine Komorbiditätsrate von über 10% auf • Bei den sieben Störungen handelt es sich um die Zwangsstörung, Einfache Phobie, Somatoforme Störung und Anorexie (Häufigkeit: 10-19%) sowie um Major Depression, Alkohol-/Drogenabhängigkeit und Bulimie (Häufigkeit 20-30%) • Fazit: • Depressive Störungen nur bei der Dependenten Persönlichkeitsstörung ebenso häufig wie bei der Borderline-Störung • Bulimie als komorbide Störung bei allen anderen seltener als bei der Borderline-Störung; sie tritt hier häufig als Zweitdiagnose auf • Alkohol- und Drogenabhängigkeit tritt nur bei der Antisozialen Persönlichkeitsstörung häufiger auf als bei der Borderline-Störung • Besonderheit der Borderline-Störung: hoher Zusammenhang zu sehr vielen Achse-I-Störungen 6.2 Komorbidität zu anderen Achse-II-Störungen • In 9,4% der Fälle ist die Borderline-Störung die einzige Diagnose auf der Achse II • Die Komorbidität zur Histrionischen (50,9%), Vermeidend- Selbstunsicheren (45,6%) und zur Dependenten Persönlichkeitsstörung (49,1%) ist am höchsten • Die Häufigkeit der Borderline-Störung als Zweitdiagnose bei Erstdiagnose einer anderen Persönlichkeitsstörung variiert zwischen 25 und 51% 7. Diagnostische Verfahren 7.1 Überblick • Borderline-spezifische Verfahren - Borderline-Persönlichkeits-Inventar (BPI; Leichsenring, 1997) - Borderline-Symptomcheckliste (Bohus et al., 2001) - Borderline-Syndrom-Index (BSI; Conte, Plutchik et al., 1980) - Diagnostic Interview for Borderline Patients (DIB/ DIB-R; Gunderson, Kolb & Austin, 1981) revidierte Fassung: Zanarini, Gunderson et al., 1989a; dt. Version: z. B. Biermann-Ratjen et al., 1997 • Verfahren zur Erfassung einzelner Symptome - Beck-Depressions-Inventar (BDI; Beck, Ward et al., 1961) - Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (FDS; Freyberger et al., 1999) - Fragebogen zu kognitiven Schemata (FKS; Fydrich, Schmitz & Bodem, 1995) - Inventar zur Erfassung interpersonaler Probleme (IIP; Horowitz, Strauß & Kordy, 1988) - Eating-Disorder-Inventory-2 (EDI; Thiel et al., 1997) - State-Trait-Angst-Inventar (STAI; Spielberger et al., 1970) - State-Trait-Ärgerausdrucksinventar (STAXI; Schwenkmezger, Hodapp & Spielberger, 1992) - Fragebogen zu Scham- u. Schuldgefühlen (FSS; Nienhaus, 2001) • Verfahren zur Messung des gesamten Bereichs der Persönlichkeitsstörungen - Strukturiertes Klinisches Interview (SKID-II; Wittchen, Zaudig & Fydrich, 1997) - International Personality Disorder Examination (IPDE; Loranger, 1995) - Shedule for Nonadaptive and Adaptive Personality (SNAP; Clark, 1993) Zusätzlich ... • Projektive Verfahren - Rorschach-Test: untersucht auffällige Denkvorgänge sowie primitive Abwehrmechanismen und Objektbeziehungen Æ kaum Unterschiede zu Schizophrenen - TAT • Sprachstatistische Verfahren 7.2 Borderline-Persönlichkeits-Inventar (BPI; Leichsenring, 1997) • Fragebogenverfahren; 53 Items zur Erfassung der typischen Verhaltens- und Erlebensmerkmale der BLStörung • Beruht auf theoretischem Ansatz von Kernberg (1967, 1988), orientiert sich zudem am deskriptivphänomenologischen Ansatz von Gunderson & Singer (1975) • Auf 4 Skalen werden die zentralen Kriterien der BLStörung erfasst: 1) Identitätsdiffusion 2) Realitätsprüfung 3) Primitive Abwehrmechanismen u. Objektbeziehung 4) Angst vor Nähe • Zusätzlich werden mittels einzelner Items affektive Symptome sowie Aspekte der Impulskontrolle erfasst • Zu jeder Skala wird ein Skalenwert berechnet, der dann anhand einer Normtabelle in T-Werte umgerechnet wird • Durch gezielte Auswahl von 20 Items wird ein Cut-off-Wert errechnet, mit dessen Hilfe 89% der BL-Patienten und 81% der Nicht-BL-Patienten richtig klassifiziert werden • Gütekriterien: – Interne Konsistenz liegt für die Skalen zwischen r= .68.91 Æ für den Gesamtfragebogen r=.91 (ohne Items 52 und 53) – Retest-Reliabilität r=.73 bis r=.88 (bis auf Skala „Realitätsprüfung“ alle >.80) – Konstrukt-Validität gesichert (z. B. Leichsenring, 1991a und b, 1997) – Auch die konvergente Validität ist nachgewiesen (Leichsenring, 1992) • Beispielitems 1) Identitätsdiffusion – „Ich frage mich häufig, wer ich eigentlich bin.“ – „Manchmal kommt in mir eine andere Person zum Vorschein, die gar nicht zu mir gehört.“ – „Manchmal fühle ich mich selbst unwirklich.“ 2) Realitätsprüfung – „Ich habe schon einmal Stimmen gehört, die über mich sprachen, obwohl niemand da war.“ – „Ich habe schon einmal das Gefühl gehabt, dass andere mir ihre Gedanken eingeben“ – „Ich habe schonmal die Anwesenheit einer anderen Person gespürt, obwohl sie nicht wirklich da war.“ • Beispielitems 3) Primitive Abwehrmechanismen u. Objektbeziehung – „Ich fühle mich oft wert- und hoffnungslos.“ – „Die anderen erscheinen mir oft feindselig.“ 4) Angst vor Nähe – „In engen Beziehungen werde ich immer wieder verletzt.“ – „Ich fühle mich eingeengt, wenn andere sich zu viel um mich kümmern.“ – „Wenn eine Beziehung enger wird, fühle ich mich in der Falle.“ 7.3 Borderline-Syndrom-Index (BSI; Conte et al., 1980) • Selbstbeurteilungsverfahren • Ziel: schnell einsetzbares Verfahren zur Erfassung des Vorliegens einer Borderline-Störung bzw. zur Absicherung der Diagnose gegenüber anderweitigen psychischen Störungen • Der BSI beinhaltet 52 Items, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können • Die Items beziehen sich auf die Bereiche, die in der Literatur als typisch für Borderline-Patienten erachtet werden: • Mangelnde Impulskontrolle, das Fehlen einer sicheren Selbst-Identität, Depression, Anhedonie, prekäre zwischenmenschliche Beziehungen, Depersonalisation und eine Reihe neurotischer Symptome • Auswertung: die Anzahl der Ja- bzw. Nein-Antworten wird aufaddiert • 25 und mehr Ja-Antworten Æ Borderline-Störung • 13 und weniger Ja-Antworten Æ andere Diagnose • Durchführungszeit: ca. 20 Minuten • Itembeispiele: 1. Ich habe niemals das Gefühl, als ob ich dazugehörte. 2. Ich habe Angst, verrückt zu werden. 3. Ich möchte mich selbst verletzen. 4. Ich habe Angst, eine enge Beziehung einzugehen. 5. Menschen, die zunächst großartig erscheinen, enttäuschen mich oft später. • Gütekriterien: • Reliabilität =.92 • Validität gering • Mann et al. (1992): BSI konnte lediglich Patienten mit Borderline-Störung von normalen Kontrollpersonen unterscheiden und nicht von Patienten mit affektiven Störungen • Edell (1984): BSI erfasst weniger spezifische Merkmale der Borderline- Pathologie als vielmehr ein Gefühl der Hoffnungs- und Wertlosigkeit • Spezifität = 90% Æ sehr hoch • Sensitivität = 33% Æ sehr niedrig • Fazit: • Für die deutsche Version des BSI von Rohde-Dachser (1983) liegen keine Angaben zu den Gütekriterien vor • Unterscheidung von (stationär behandelten) Borderlineund neurotischen Patienten hat sich nicht bewährt 7.4 Borderline- Symptom- Liste (BSL; Bohus et al., 2001) • Bisher: die meisten Instrumente primär zur klassifikatorischen Diagnostik der Borderline-Störung; keine Erfassung des Schweregrades der Symptomatik und keine Erfassung von zeitlichen Veränderungen der Symptomatik • Ziel dieses Instruments: störungsbezogenes Selbstbeurteilungsverfahren zur quantitativen Erfassung spezifischer Beschwerden bzw. subjektiven Beeinträchtigungen • 95 Items wurden an Anlehnung der von Gunderson & Zanarini beschriebenen Symptom- und Syndromebenen, der DSM-IV-Kriterien der Boderline-Störung sowie durch Experten- und Patientenaussagen generiert • Durch Faktorenanalyse (Varimaxrotation) wurden folgende 7 Faktoren (Subskalen) ermittelt: • Selbstwahrnehmung (Identitätsstörung und dissoziative Symptomatik) mit 19 Items • Affektregulation (Emotionalität) mit 13 Items • Autoaggression mit 12 Items • Dysthymie mit 10 Items • Soziale Isolation mit 12 Items • Intrusionen mit 11 Items • Feindseligkeit mit 6 Items • Die restlichen 12 Items gehen in den Gesamtwert zur Beurteilung des Ausmaßes der Beeinträchtigung mit ein • Bewertung der einzelnen Items erfolgte auf einer 5stufigen Likert-Skala von „überhaupt nicht“ bis „sehr stark“ Æ Schweregradbewertung wurde gewählt • Beurteilungszeitraum für die Symptome: vergangene Woche • Stichprobe: reine Frauenpopulation: 308 stationäre Patientinnen mit der klinisch gesicherten BorderlineDiagnose unterschiedlichen Schweregrades • Item- und Testkennwerte: • Itemtrennschärfe = 0,37–0,81 • Interne Konsistenz: Cronbachs α = 0,80–0,94 • Kritische Betrachtung der Faktor-Item-Konformität: • Items wie „Ich hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren“ laden deutlich stärker auf dem Faktor „Autoaggressivität“ als auf dem Faktor „Feindseligkeit“ Æ Problem der Stichprobe • „Identitätsstörungen“ wurde als eigenständiger Faktor nicht benannt; die meisten diesbezüglichen Items („…hatte ich keine Vorstellung darüber, wie ich wirklich bin“, „…fühlte ich mich abgeschnitten von mir selbst“) laden hoch auf dem Faktor „Selbstwahrnehmung“ (in Anlehnung an das DSM-IV) • • • • • • Fazit: Reine Frauenstichprobe Weitere Gütekriterien stehen noch aus: Konvergente Validität Diskriminante Validität Änderungssensitivität der Skala (zur Evaluation von Therapieeffekten) • Stabilität der Faktorenstruktur Generalisierte Angststörung (GAS) Psychologische Diagnostik und Intervention Dozentin: Dr. P. Hank SS 2006 Referenten: J.Kersken, B.Beilstein Gliederung: z z z z z z Bezeichnung und Definition Epidemiologie Verlauf und Prognose Differenzialdiagnostik Komorbidität Diagnostische Verfahren Allgemeine Beschreibung der GAS z z z z Häufige psychische Störung unkontrollierbare Sorgen stehen im Mittelpunkt (Beziehungen/Arbeit/Finanzielles) Æ begleitet von körperlichen Symptomen (Schlafschwierigkeiten, Ruhelosigkeit, Muskelverspannung, Nervosität, Reizbarkeit) Unterschied zu Phobien: keine Angst vor bestimmtem Objekt/Situation, keine Panikanfälle auffälliges Merkmal fehlt Æ Verlauf oft chronisch Bezeichnung Klassische Angstneurose Panikstörung Generalisierte Angststörung Æ Panikanfälle Æ frei-flottierende Ängste Definfition früher Starker Wandel: • DSM-III Æ GAS als Residual-Kategorie • DSM-III-R (1986) Æ GAS eigenständige Störung, Sorgen als definitorisches Merkmal • DSM-IV (1996) Æ Reliabilität verbessert, pathologische Sorgen im Mittelpunkt Definition DSM-IV und ICD-10 Æ nur leichte Abweichung der diagnostischen Kriterien, aber in der Konsequenz geringe Übereinstimmung (Kappa k=.39) Definition DSM-IV und ICD-10 Unterschiede: • Symptom-Kriterien bei ICD weniger spezifisch als bei DSM Æ erhöhte Vergabe der Diagnose bei ICD • GAS im ICD anderen Störungen untergeordnet (d.h. Diagnose kann nicht vergeben werden wenn phobische Störung, Panikstörung, hypochondrische Störung oder Zwangsstörung vorliegt) Æ GAS im ICD leicht “übersehen” Aber: Studien sprechen für Eigenständigkeit der Diagnose GAS ÆDiagnose nach DSM-IV vorzuziehen! Definition z Fallbeispiel (S.27) Epidemiologie z z z z Lebenszeitprävalenz: 4 - 7% Ein-Jahresprävalenz: 3 - 5% generelle Häufigkeit scheint zuzunehmen Auftrittshäufigkeit Frauen vs. Männer 2:1 (Æ Komorbidität, keine Geschlechtsunterschiede bei reiner GAS) Epidemiologie z Beginn oft zwischen 20 und 30 Jahren, aber zweiter Gipfel im höheren Alter zwischen 55 bis 60 Jahren Æ häufigste Angststörung im höheren Alter z häufigste Angststörung in der Allgemeinarztpraxis, aber in der psychotherapeutischen Versorgung seltener als andere Angststörungen Verlauf und Prognose z z Dauer: 10 Jahre oder länger Æ chronische Störung geringe Rate von Spontanremissionen: - 15% der GAS-Patienten im ersten Jahr - 25% in den ersten zwei Jahren - 38% nach fünf Jahren voll remittiert Æ frühzeitige Behandlung besonders wichtig! Verlauf und Prognose Aber: z nur ca. ein Fünftel der Patienten mit GAS kommen im Jahr des Beginns in Behandlung, durchschnittlich warten sie über 10 Jahre z wenn GAS-Patienten dann Hilfe suchen leiden sie meist schon unter weiteren Störungen Verlauf und Prognose Gründe für die späte psychotherapeutische Hilfe: z z z nicht mangelnde Beeinträchtigung (Studien von Kessler et al.,1999 und Maier et al., 2000) exzessive Sorgen werden nicht als Zeichen einer psychischen Störung wahrgenommen “Sorgen hat jeder” häufig wird zunächst Hausarzt wegen körperl. Symptome aufgesucht Æ erkennt Störung nicht Æ Auswirkungen: GAS-Patienten zeigen oft komplexes Störungs- und Symptombild Differzialdiagnostik a. Art der Sorgen z Definition der Sorgen: Æ Sorgen im Mittelpunkt der Störung: - Zentral für das Verständnis der Störung und deren Diagnose. Æ Pathologische Sorgen: - Kriterium, an dem die GAS diagnostiziert wird und Ansatzpunkt der Therapie. - Gedankenketten, die sich mit mögl., zukünftigen Situationen mit negativem Ausgang beschäftigen. Differzialdiagnostik a. Art der Sorgen z Definition der Sorgen: - Angst als Begleitgefühl └> negativ, belastend und schwer kontrollierbar - Ursprüngliche Funktion der Angst: └> Hilfe um Probleme zu lösen └> Bei GAS – Patienten verloren └> Aversive Situationen werden durchgespielt, bleiben aber ohne Lösung. Æ Gefühl der Hilflosigkeit wird so verstärkt. Differzialdiagnostik a. Art der Sorgen z Typische Inhalte der Sorgen: Æ Nur wenige Unterschiede zu Sorgen Gesunder Menschen (Familie/ Beziehung/ Finanzen). └> Sorgen werden bei GAS gleichermaßen als realistisch eingeschätzt. Æ Unterschiede nur im Bezug auf ``Daily Hassles`` Differzialdiagnostik a. Art der Sorgen z Typische Inhalte der Sorgen: Æ GAS vs. Panik – Patienten: └> GAS: Erwartung „mentale Katastrophen“ (soz. Konflikte, eigene Inkompetenz oder Sorgen um andere, kleinere Dinge) └> Panik: Erwartung körperlicher Katastrophen (eigene Krankheit, Verletzungen, Tod) Differzialdiagnostik a. Art der Sorgen z Typische Inhalte der Sorgen: Æ Insgesamt: Unterschiede eher im Ausmaß der Sorgen, also der Zeit die sie bei GAS – Patienten einnehmen. └> Studien: - GAS :6 – 10 Std. tägl. (60% / Tag) - Gesunde: nur 18% / Tag Æ Die Sorgen bei GAS – Patienten sind exzessiv! Differzialdiagnostik a. Art der Sorgen z Typische Inhalte der Sorgen: - Subj. geringe Kontrollierbarkeit. - höhere emotionale Belastung durch die Sorgen. └> GAS- Patienten versuchen ihre Sorgen aktiv zu kontrollieren, bleiben aber trotz ausgefeilter Strategien langfristig erfolglos. Æ Sorgen über die Sorgen! („Metasorgen“) Æ Führen zu der Angst, dass das exzessive Sorgen schadet, bzw verrückt macht. Differzialdiagnostik a. Art der Sorgen z Typische Inhalte der Sorgen: - Weiteres klinisches Merkmal: „Sorgensprünge“ └> d.h. GAS – Patienten springen von einer Sorge zur nächsten, ohne eine Sorge wirklich zu durchdenken. - Starkes „Katastrophisieren“: └> gehen davon aus, dass sie weniger Ressourcen besitzen , um Probleme zu lösen Æ Gefühl von Kontrollverlust Differzialdiagnostik b. Abgrenzungen Differzialdiagnostik b. Abgrenzungen z GAS vs Sorgen bei Gesunden: Æ Abgrenzung der Sorgen mittels DSM – IV – Kriterien └> Zeitraum └> Kontrollierbarkeit └> Körperliche Symptome Differzialdiagnostik b. Abgrenzungen z GAS vs andere Angststörungen: Æ i.d.Regel kein situativer Auslöser. └> evtl. kein Vermeidungsverhalten. Æ GAS und Panikstörung: ähnlich, da beides Zustandsängste. └> Aber: Bei GAS keine Panikanfälle. └> Kann beides zusammen diagnostiziert werden. Æ Sorgen spielen bei anderen Angststörungen nur eine untergeordnete Rolle (weniger aversiv). Differzialdiagnostik b. Abgrenzungen z GAS vs Zwangsgedanken: Æ zwar ebenfalls nicht bzw. schwer zu kontrollieren und aversiv. └> Aber Unterschiede in Thematik (unrealistisch) und Stereotypen (keine Gedankenketten, sondern immer gleichen Gedanken). └> Werden i.d.R. neutralisiert. Differzialdiagnostik b. Abgrenzungen z GAS vs Depression: Æ Schwer, die Rumination beider voneinander abzugrenzen. └> Grübeln und Sorgen oft gemeinsam Æ Anhaltspunkte: - Eher auf Vergangenes gerichtet - Eher depressiv, niedergeschlagen Æ Diagnose: nur eines von beiden (wenn beides, dann schwere depressive Störung). Differzialdiagnostik b. Abgrenzungen z GAS vs Hypochondrie: Æ Bei GAS auch häufig hypochondrische Befürchtungen └> aber eher auf die Gesundheit und Auswirkungen von Krankheiten an sich gerichtet. (vgl. GAS: allgemeine Sorgen) Differzialdiagnostik b. Abgrenzungen z GAS vs Organische Ursachen: Æ Schilddrüsenüberfunktion oder Medikamente └> evtl. GAS-ähnliche Zustände Æ Auch bei deren Absetzung oder Entzug └> Erst wenn Ängste zu lange, oder zu intesiv könnte eine GAS vorliegen. Komorbidität Æ GAS sehr häufig zusammen mit anderen psychischen Störungen (v.a. in klinischen Stichproben!). └> Analysen: nicht höher als bei anderen Angststörungen. Æ Hohe Komorbidität: wichtiger Anlass für das Hilfesuchverhalten von GAS – Patienten. Komorbidität z Implikationen: Æ GAS – Patienten suchen meist nicht wegen ihrer Sorgen Hilfe auf. └> Oft erst wegen schwerwiegenderer Störungen. (z.B. Depression, Schlafstörungen etc.) └> GAS oft nicht die primäre Störung! └> Lässt sich nicht automatisch mitbehandeln. Die Sorgen bleiben oft bestehen, oder treten wieder auf Æ erhöhtes Rückfallrisiko! Komorbidität z Implikationen: Æ Eine gut Abstimmung der Intervention für ggf. komorbide Störungen ist erforderlich! Æ Ermutigend: Mitbehandelte Angststörungen gehen auch zurück. └> Studie mit Panikpatienten: Die komorbide GAS reduzierte sich von 26% auf 9% durch die Behandlung. Komorbidität Störung Häufigkeit bei GAS-Patienten Major Depression 6 - 46% Dysthymie 6 - 27% soziale Phobie 16 - 59% spezifische Phobie 16 - 56% Komorbidität z Allgemein: Æ 85 – 91% haben min. eine weitere Diagnose. Æ Häufige zweite Diagnosen: - Spezifische Phobie - Sozialphobie └> zeitlich vor der GAS - depressive Störung └> eher als Folge der GAS Komorbidität z Substanzen: Æ Kein deutlicher Zusammenhang zu Substanz Störungen. z Psychosomatik: ÆBisher kaum beachtet: Zusammenhang von GAS und körperlichen Erkrankungen, obwohl in etlichen Studien bereits nachgewiesen. Komorbidität z Fazit: - GAS – Patienten haben oft mehrere Störungen und… - …deren Sorgenproblematik ist sehr komplex. Æ GAS – Behandlung besondere Herausforderung! Diagnostische Verfahren z Allgemeines: - 60er Jahre: neues Konzept „worry“ └> kognitive Komponente von Prüfungsangst - 80er Jahre: „worry“ wird in DSM–III-R als Differenzialkriterium für GAS aufgenommen. └> Hauptmerkmal: unrealistische oder übertriebene Angst und Besorgnis bzgl. zweier oder meherer Lebensumstände. Æ Drei Inventare zur Erfassung von „worry“… Diagnostische Verfahren z PSWQ (Penn State Worry Questionaire) Meyer, Miller, Metzger & Borkovec `90 Æ Stammt aus klinischem Bereich Æ Items: - Anzahl: 16 - Inhalt: von Zeit und Situation unabhängig. - Bezug: Aspekte der Intensität, Exzessivität und Kontrollierbarkeit von Sorgen. - Skala: 5 – stufig („not at all typical of me“[1] - „very typical of me“ [5]) Æ Beispiel-Item: „Viele Situationen machen mir Sorgen“ Diagnostische Verfahren z PSWQ (Penn State Worry Questionaire) Meyer, Miller, Metzger & Borkovec `90 Æ Ergebnisse: - Interne Konsistenz: Cronbach a =.91-.95 (Original) - Trennschärfen: bis auf ein Item alle über .20 - FA: Zwei Faktoren (1. genereller F., 2. meth. F.) Æ Ergebnisse gut! Æ Einziger der „WAKE“ erfasst (klinisch relevant) Diagnostische Verfahren z SWS (Student Worry Scale) Davey et al. `92 Æ Items: 52 Vpn (Studenten) schrieben Sorgen auf └> Inhaltsanalyse (Experten) └> 10 Inhaltsbereiche Æ Items └>Bsp: Finanzielle Angelegenheiten └> Pro Item vier – stufige Skala („almost never“[1] … almost always[4]) Diagnostische Verfahren z SWS (Student Worry Scale) Davey et al. `92 Æ Ergebnisse: - Interne Konsistenz: Cronbach a =.68 (Original) - Trennschärfen: nicht sehr gut (3 von 10 entfernt) - FA: Struktur unklar Æ Ergebnisse enttäuschend. Diagnostische Verfahren z WDQ (Worry Domains Questionaire) Tallis, Eysenck & Mathews `92 ÆItems: gebildet aus einem Pool von ursprünglich 155 konkreten Sorgen. └> Einschätzung der Intensität und Häufigkeit └> Clusteranalyse Æ 6 Cluster identifiziert └> davon 5 übernommen… └>… Inhalt: Relationships, Lack of Confidence, Aimless Future, Work Inkompetence, Financial. Diagnostische Verfahren z WDQ (Worry Domains Questionaire) Tallis, Eysenck & Mathews `92 └> Aus jedem Cluster 5 repräsentativsten Items ausgewählt und Reihenfolge randomisiert. Æ 25 Items (Bsp.: „Ich mache mir Sorgen, … dass mein Geld nicht reicht.“) └> Skala: fünf – stufig („not at all“ [0]...“extremely“[4]) Æ Ergebnisse: - Interne Konsistenz: Cronbach a =.92 (Original) - Trennschärfen: gut, alle Items über .20 - FA: nur vier statt fünf Faktoren repliziert Diagnostische Verfahren z Vergleich: - PSWQ: „unspezifische Sorgen“ - SWS und WDQ: einzelne Probleminhalte └> SWS: Häufigkeit und größere Bereiche └> WDQ: Intensität und Konkrete Inhalte +erst später zusammengefasst - Korrelation: SWS + WDQ = .68 └> höher als ihre jeweilige mit dem PSWQ - Geschlecht und Alter: - keine Geschlechtseffekte - negative Korr. mit Alter Æ je älter, desto weniger Sorgen. Diagnostische Verfahren z Metakognitionsfragebogen (MKF) Hoyer, J., Gräfe, K. `99 - Originalpublikation: Metacognitions Questionnaire (MCQ) Cartwright-Hatton, S., Wells, A. `97 = Selbstbeschreibungsinventar für metakognitive Annahmen & Prozesse / Dimensionen v. Metakog. └> meta-worry = Kennzeichen path. Sorgen └> metakognitives Modell (Wells, 1995/99): sowohl positive (Problemlösestrategie) als auch negative (Kontrollverlust) Annahmen über Sorgen seitens der Patienten Diagnostische Verfahren z Metakognitionsfragebogen (MKF) Hoyer, J., Gräfe, K. `99 - Originalitems aus 2 Quellen: 1. halbstrukturiertes Interview (25 Studenten) 2. Mitschriften von Gesprächen mit Therapiepatienten └> mittels FA wurden längere Versionen revidiert zu einer endgültigen Version mit 65 Items (4-fach abgestuft Æ siehe Exemplar) Diagnostische Verfahren z Metakognitionsfragebogen (MKF) Hoyer, J., Gräfe, K. `99 - Faktorenstruktur: └> Hauptkomponentenanalyse Æ 5-FaktorenLösung (38,7% Varianzaufklärung): Æ Skaleninterkorrelationen sprechen für empirische Unterscheidbarkeit der Faktoren Diagnostische Verfahren z Metakognitionsfragebogen (MKF) Hoyer, J., Gräfe, K. `99 └> Reliabilität: - interne Konsistenz: Cronbach a = .78 -.93 (deutsche Version) - Retestreliabilität: rtt = .94 └> Validität: - moderat positive Korrelationen der Originalversion mit anderen Skalen, wie STAI, AnTI - positive signifikante Korrelationen der Subskalen des MKF mit Angst (BAI) und Depression (BDI) zwischen .43 und .63 Quellen: z z z z Becker, E.S. & Hoyer, J. (2005). Generalisierte Angststörung. Göttingen: Hogrefe Hoyer, J. & Margraf, J. (2003). Angstdiagnostik: Grundlagen und Testverfahren. Berlin: Springer Davison, G.C., Neale, J.M. & Hautzinger, M. (Hrsg.) (2001). Klinische Psychologie Stöber, J. (1995). Besorgnis: Ein vergleich dreier Inventare zur Erfassung allgemeiner Sorgen. Zeitschrift für Differenzielle und Diagnostische Psychologie, 16, 5063. Soziale Phobie Referenten: Moritz Susewind & Jacques Chlopczyk Gliederung • • • • • • Beschreibung des Störungsbildes Epidemiologie Verlauf und Prognose Differentialdiagnose Komorbidität Diagnostische Verfahren Definition des Konzeptes FRÜHER Soziale Ängste Soziales Kompetenzdefizit (Marks, 1987) Sozialphobie (im engeren Sinne) (Marks, 1987) Weiß nicht, wie man ein Gespräch beendet, wie man sich in bestimmten Situationen verhält. Ängste in Bezug auf eine oder mehrere soziale Situationen, trotz normaler sozialer Fertigkeiten Schüchtern, ganz allgemein Probleme im Umgang mit anderen Menschen. Schüchternheit kann vorhanden sein, muss aber nicht Starkes allgemeines Vermeidungsverhalten in Bezug auf soziale Situationen Ausgeprägte physiologische Reaktionen bei Konfrontation mit phobischer Situation HEUTE: DSM IV + ICD 10 Soziale Ängste Vermeidend unsichere Persönlichkeitsstörung Spezifische Soziale Phobie DSM-Kriterien sind in einzelnen sozialen Situationen erfüllt Generalisierte Sozialphobie DSM-Kriterien sind in den meisten sozialen Situationen erfüllt (mindestens 3) DSM IV Kriterien A: Dauerhafte, übertriebene Angst vor einer oder mehreren sozialen Situationen oder Leistungssituationen.Befürchtung, dass Verhalten oder Angstsymptome peinlich/demütigend sind. B: Konfrontation mit gefürchteten Situation ruft fast immer unmittelbare Angst hervor (kann wie Panikanfall aussehen) C: Person sieht ein, dass Angst übertrieben und unvernünftig ist D: Vermeidung der gefürchteten Situation(en) oder intensive Angst wenn nicht vermieden E: Das Vermeidungsverhalten oder die Angst beeinträchtigen deutlich die normale Lebensführung, schulische, beruflich oder soziale Funktionsfähigkeit F: Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie über mindestens 6 Monate an. G/H : Substanzwirkung, organische Erkrankung oder andere psychische Störung können ausgeschlossen werden PROBLEM - Überlappung 70-89% generalisierter Sozialphobiker haben eine Vermeidend-Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung 20-25% spezifischer Sozialphobiker haben eine Vermeidend-Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung Fazit soziale Angst ist ein Kontinuum Jump back Epidemiologie • Prävalenz • Besondere kulturelle, Alters- und Geschlechtsmerkmale • Erstauftrittsalter • Verlauf und Prognose • Risikofaktoren Prävalenz • Lebenszeitprävalenz: 3% - 13% (DSMIV) • Stichprobenzusammensetzung • Diagnostische Schwellen und Kriterien • Auswertungsmethoden ➢ Jahresprävalenzrate: 7,9% (Stangier et al., 2003) ➢ Neben spezifischer und Agora-Phobie die häufigste Angststörung Prävalenz • Subtypen der sozialen Phobie Nicht-generalisierter Subtyp: 60% (davon 36% Redeangst) Generalisierter Subtyp: 40% Im klinischen Kontext ist der generalisierte Subtyp häufiger (Lieb & Müller, 2002) Welweite Verbreitung und kulturelle Merkmale • Prävalenzraten niedriger in asiatischen Ländern • Skandinavien, USA > Deutschland > Italien, Spanien • Interkulturelle Unterschiede beim Störungsbild kulturelle Einflüsse (kollektivistische Kulturen) - Gründe? - Bevölkerungsdichte vielleicht aber auch Unterschiede in den Erfassungsmethoden - Geschlechtsspezifische Merkmale ➢ ➢ Epidemiologische und Bevölkerungsstudien: fast gleiche Prävalenzraten bei Männern und Frauen (in manchen Studien wurden jedoch erhöhte Prävalenzraten bei Frauen festgestellt, Lieb & Müller, 2002) klinische Stichproben: Prävalenz bei den Geschlechtern gleich oder Häufung bei Männern Erstauftrittsalter ➢ ➢ ➢ 75% vor dem 16. Lebensjahr Selten nach dem 25. Lebensjahr Befunde weisen darauf hin, dass der generalisierte Subtyp früher auftritt Verlauf und Prognose ➢ ➢ ➢ Chronischer Verlauf (im Schnitt 20 Jahre) Häufig suchen Betroffene keine Hilfe („die stille Störung“, Stangier et al., 2003) funktionale Beeinträchtigung durch aktuelle Belastungsfaktoren und Anforderungen Verlauf und Prognose ➢ ➢ ➢ Bei Sozialphobikern besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass weitere Störungen auftreten Zunehmende Verschlechterung (insbesondere wenn Komorbiditäten vorliegen) Selten spontane Remissionen Verlauf und Prognose ✔ ✔ ✔ Günstige Faktoren Höheres Bildungsniveau Späterer Beginn (nach dem 11. Lebensjahr) Abwesenheit von komorbiden Störungen Risikofaktoren • Positive Familienanamnese • Temperament (Behavioral Inhibition) • Geringerer sozioökonomischer Status Differentialdiagnostik Tiefgreifende Persönlichkeitsstörung, schizoide Persönlichkeit Panikstörung mit Agoraphobie Nicht auf soziale Situationen beschränkt Beginnt mit plötzlichen Panikattacken Vermeidung sozialer Situationen, weil kein Interesse an anderen Menschen besteht Vermeidend selbstunsichere Persönlichkeitsstörung Ist eine Persönlichkeitsstörung, die oft die Patientengruppe der generalisierten Sozialphobie beschreibt Agoraphobie ohne Panikstörung, generalisierte Angststörung, spezifische Phobie Störung mit Trennungs angst Angst vor der Trennung von einer Person Angst und Vermeidungsverhalten auch in Situationen, die nicht mit sozialer Berwertung zu tun haben Komorbidität • Komorbide Störungen • Zeitliche Komorbiditätsmuster Komorbidität Zeitliche Komorbiditätsmuster ➢ ➢ Es liegen erst wenige Längsschnittstudien vor Die vorhandenen Befunde weisen jedoch darauf hin, dass die soziale Phobie anderen Störungen vorrausgeht (in 75% der Fälle, Stangier, 2003) Soziale Phobie ist ein bedeutender Risikofaktor für die Ausbildung anderer psychischer Störungen Diagnose sozialer Phobien • Wichtige Punkte bei der Diagnose sozialer Phobien • Diagnostische Verfahren • Therapieevaluation Diagnose sozialer Phobien • Psychologische Konzeptionen sehen die soziale Phobie als Endpunkt eines Kontinuums der sozialen Angst (Orientierung an der funktionalen Beeinträchtigung, Stangier & Fydrich, 2002) • Abgrenzungsprobleme aufgrund der hohen Komorbitätsraten Diagnostische Verfahren ● Liebowitz-Soziale-Angst-Skala (LSAS) ● Ratingskala Soziale Angst (RSK) ● ● Social Interaction Anxiety Scale (SIAS)und Social Phobia Scale (SPS) Soziale Phobie und Angst Inventar (SPAI; Fydrich, 2002) LSAS – Liebowitz-Soziale-Angst-Skala Derzeit beliebtestes Fremdrating Erfasst klinische Symptome und Verhaltensmerkmale der sozialen Phobie Leistungssituationen Soziale Interaktionen - Einen Test / Examen machen - eine Party zu geben - vor anderen Leuten sprechen oder auftreten - Menschen, die sie nicht gut kennen in die Augen schauen 11 Items 13 Items Vermeiden sie es...? Haben sie Angst...? Gütekriterien der LiebowitzSoziale-Angst-Skala Testkonstruktion nicht mit Hilfe von Itemstatistiken (Liebowitz 1987) Itemanalysen später nachgeliefert (Heimberg 1999) ¾Homogenität: .58 -.87 ¾Trennschärfe: .85 - .91 ¾Cronbach: .91 Liebowitz selbst ordnete die Items ad hoc den Skalen „Leistungssituationen“ und „Soziale Interaktionssituationen“ zu Konfirmatorische Faktorenanalyse (Safren, 1999) > 2-Faktor-Struktur nicht bestätigt! Konstruktvalidität der LSAS SIAS (.54) Beck Depressions inventar (.47) LSAS SPAI (.65) Symptomcheckliste-90-R (.42) Ratingskala Soziale Angst Erfasst soziale Fähigkeiten anhand einer konkreten Situation 3 Minuten-Gespräch mit unbekannter Person des anderen Geschlechts Videoaufzeichnung Auswertung mit Beobachtungsystem Blickkontakt Stimme & Sprache Sprechdauer Körperliche Unruhe Konversationsfluss Sehr schlecht Sehr gut Gütekriterien Reliabilität Bei gut trainierten Beobachter (15 Stunden Training) Gute bis sehr gute Intraclasskorrelationen zwischen verschiedenen Beurteilern (r ic= 0.76, 0.75, 0.82, 0.80, 0.95) Konstruktvalidität SPAI (.55) Ratingskala Soziale Kompetenz Beck Angst Inventar (.25) Social Interaction Anxiety Scale (SIAS)und Social Phobia Scale (SPS) (Beide Stangier et al., 1999) ➢ ➢ ➢ ➢ Social Interaction Anxiety Scale erfasst Angst in Interaktionssituationen Social Phobia Scale erfasst Angst in Leistungssituationen Beide Skalen sollten gemeinsam vorgelegt werden Beide Skalen weisen Änderungssensivität auf Social Interaction Anxiety Scale (SIAS)und Social Phobia Scale (SPS) ➢ ➢ ➢ ➢ Jeweils 20 Items; 5-stufige Likert-Skala Sehr hohe innere Konsistenzen und TestRetest-Reliabilitäten (Stangier et al., 1999) Gute Diskrimination von Sozialphobikern und der KG (ohne psychische Störung) Schlechtere Diskrimination von Sozialphobikern vs. verschiedene Störungsgruppen (wahrscheinlich wegen hoher Komorbiditätsraten, insb. Depression) Soziale Phobie und Angst Inventar (SPAI; Fydrich, 2002) ➢ ➢ Erfasst kognitive und somatische Symptome der Sozialen Phobie Besonderheit: es werden Reaktionen auf soziale Situationen in Abhängigkeit der anwesenden Personen erfasst Soziale Phobie und Angst Inventar (SPAI; Fydrich, 2002) ➢ ➢ ➢ Gute Reliabilitätswerte (Test-RetestReliabilitätswert rtt=.82) Innere Konsistenz (je nach Stichprobe) zwischen α=.93 bis α=.96 Inhaltsvalidität durch Expertenvalidierung gesichert, außerdem gute Korrelationen mit Skalen zur sozialen Angst/Phobie Therapieevaluation • Verfahren, die nach Stangier et al. (2003) zur Therapieevaluation geeignet sind: ✔SPAI ✔SIAS / SPS ✔Einschätzung der Schwere der Beeinträchtigung (z.B. mit dem DIPS (1994) ✔SKID ✔Beck-Depressions-Inventar (BDI, Literatur Die Welt der Zwänge Referentinnen: Dorothea Ehrlich und Elisabeth Bohm Seminar: Störungsbilder 2006 1 1.) Einführung Zeremonielle, Rituale, Tabus, magisches Denken, aber auch Zwänge gehören in den meisten Kulturen zum Alltagsleben und zur menschlichen Entwicklung "normale" Zwänge sind für die Bewältigung des täglichen Lebens unerlässlich und werden auch entsprechend anerzogen und gefördert Exkurs: Entwicklung zwanghafte oder zwangähnliche Verhaltensmuster als eine Art Gerüst auf der Suche nach Struktur und Ordnung Rituale bei Kindern 2 1.) Einführung Fallen Euch Beispiele für „normale“ Zwangsphänomene ein? 3 1.) Einführung Fallen Euch Beispiele für „normale“ Zwangsphänomene ein? Plötzlich auftretende Gedanken wie, „ Habe ich die Kaffeemaschine ausgemacht?“ den Herd ausgemacht die Tür abgeschlossen das Auto abgeschlossen alle Fenster zu Doro zieht alle Stecker raus wenn sie verreist ich muss immer die Kragen anderer Leute richtig rücken und die Schilder von Pullis wieder reinstecken, wenn sie rausgucken und mindestens 3x gucken ob ich auch wirklich den Schlüssel eingesteckt habe 4 1.) Einführung solche Gedanken lösen Unruhe oder Anspannung aus, die mittels gegensteuernder Gedanken neutralisiert werden je mehr man versucht diese Gedanken zu verdrängen, desto hartnäckiger drängen sie sich ins Bewusstsein, und es entsteht der Zwang , die Spannung zu reduzieren, indem man nachsieht eine ganze Reihe harmloser Hobbys können unter Umständen an eine Zwangsstörung erinnern (Sammelleidenschaft) Bei Patienten mit Zwangsstörung geraten die eben aufgezählten Gedanken und Handlungen außer Kontrolle 5 1.) Einführung erste Ängste und Zwänge als eine Art persönlichen Aberglauben in diesem Stadium Symptome noch nicht als besonders belastend, leisten Widerstand häufig verursacht durch Konflikte oder Lebenskrisen beginnen dann jedoch die ersten Beeinträchtigungen die Angst vor der eigenen Angst hindert die Betroffenen daran, ihr zwanghaftes Verhalten vollständig zu unterlassen 6 1.) Einführung dieser Kampf kostet viel Energie und führt häufig zu einer totalen Erschöpfung Betroffene können ihren Alltag immer schlechter bewältigen sie fühlen sich zudem oft niedergeschlagen, mut- und hoffnungslos ziehen sich immer weiter aus ihrem sozialen Umfeld zurück durch eben diese soziale Isolierung erhält der Zwang zusätzlich eine Sinnspendende und Zeiterfüllende Funktion 7 1.) Einführung führt zu Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, zu beruflichen Problemen und zu Einschränkungen im sozialen Bereich Der Übergang vom normalen Verhalten zu zwanghaften Verhalten ist fließend Beginn der Zwangsstörung ist für viele nicht mehr nachvollziehbar Die Betroffenen empfinden ihre Erkrankung selbst als merkwürdig und peinlich und schämen sich dafür, was dazu führt, dass sie sich verstecken und trotz großer Hilflosigkeit keine Hilfe aufsuchen. 8 1.) Einführung Bis in die 70er Jahre hinein galt diese Störung als eher selten Sie war weder überzeugend erklärbar noch einer effektiven Behandlung zugänglich in den 80er Jahren hat sich die Situation verändert, durch das Zusammenspiel von neurobiologischer Forschung und neueren Entwicklungen in der Pharmakotherapie und Verhaltenstherapie Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie inzwischen Standard und gezielter in der Anwendung 9 1.) Einführung Allgemeine Definition Menschen, die unter einer Zwangsstörung leiden, drängen sich wiederholt Gedanken oder Handlungen auf, die sie zwar als unsinnig erkennen, sich aber nicht gegen wehren können. Wird diesem Zwang nicht nachgegeben, leiden die Betroffenen unter hoher Angst und Anspannung. Kreislauf 10 DSM-IV-Diagnose einer Zwangsstörung (300.3) (verkürzte Darstellung) A. Entweder Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen Zwangsgedanken (1-4 müssen vorliegen): 1. Wiederkehrende und anhaltende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die als aufdringlich und unangemessen empfunden werden und ausgeprägte Angst und großes Unbehagen hervorrufen. 2. Die Gedankenimpulse oder Vorstellungen sind nicht nur übertriebene Sorgen über reale Lebensprobleme. 3. Die Person versucht diese Gedankenimpulse oder Vorstellungen zu ignorieren oder zu unterdrücken oder sie mit Hilfe anderer Gedanken oder mit Tätigkeit zu neutralisieren. 4. Die Person erkennt, daß die Zwangsgedanken, -impulse oder – vorstellungen eigene Gedanken darstellen. Zwangshandlungen (1 und 2 müssen erfüllt sein): 1. Wiederholte Verhaltensweisen (Waschen, Ordnen, Kontrollieren) oder gedankliche Handlungen (Beten, Zählen, Wöter wiederholen), zu denen sich die Person gezwungen fühlt. 2. Die Verhaltensweisen oder gedanklichen Handlungen dienen dazu, Unwohlsein oder Angst zu verhindern oder zu reduzieren oder gefürchteten Ereignissen und der Situation vorzubeugen. 11 DSM-IV-Diagnose einer Zwangsstörung (300.3) (verkürzte Darstellung) B. Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen werden vom Betroffenen als übertrieben oder unbegründet angesehen. C. Entweder Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen verursachen eine erhebliche psychosoziale Beeinträchtigung und sind zeitaufwendig (mehr als 1 Std pro Tag) D. Andere psychische Störungen müssen ausgeschlossen sein. E. Medizinische Krankheitsfaktoren und Drogen sowie Medikamente müssen als Verursachung der Zwangsstörung ebenfalls ausgeschlossen werden. Zu spezifizieren ist ferner: „Mit wenig Einsicht“: die Person ist nicht in der Lage, die Zwangsgedanken und Zwangshandlungen als übermäßig oder unbegründet anzusehen. 12 ICD-10-Diagnose der Zwangsstörung (F 42) Nach ICD-10 gibt es drei diagnostische Subtypen einer Zwangsstörung: Zwangsstörung mit überwiegend Zwangsgedanken (F 42.0) Zwangsstörung mit überwiegend Zwangshandlungen (F 42.1) Mischtyp, in dem sowohl Zwangsdedanken als auch Zwangshandlungen auftreten (F42.2) ICD-10-Diagnose der Zwangsstörung (F 42) (verkürzte Darstellung) A. Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen bestehen mindestens 2 Wochen lang. B. Zwangsgedanken/-handlungen erfüllen die Punkte 1-4: Zwangsgedanken/-handlungen werden als eigene Gedanken/Handlungen und nicht als von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben. Sie wiederholen sich dauernd, werden als unangenehm empfunden und meist als übertrieben oder unsinnig erkannt. Die Betroffenen versuchen, Widerstand zu leisten. Die Ausführung eines (einer) Zwangsgedanken/-handlung ist unangenehm. C. Die Zwangsgedanken/-handlungen führen zu einer massiven psychosozialen Beeinträchtigung. D. Häufigste Ausschlußkriterien stellen die Schizophrenie und die affektiven Störungen dar. 13 1.) Einführung In beiden Klassifikationssystemen werden Zwangsgedanken und Zwangshandlungen sowie Mischtypen dargestellt; in ICD10 stellen diese jedoch eigene diagnostische Kategorien dar. Die Konsequenz einer Zwangsstörung ist die erhebliche psychosoziale Beeinträchtigung und Funktionseinschränkung, sowohl im Beruf, familiär wie auch in den üblichen sozialen Aktivitäten. Zwangsstörungen werden also per se als massive Beeinträchtigung beschrieben. Unterschiede im Zeitkriterium Film ab 14 1.) Einführung Zwangsformen Unterschiede zwischen den verschiedenen Zwangsformen so groß, dass die Betroffenen selbst nicht glauben, tatsächlich unter der gleichen Störung zu leiden. Das Verbindende zwischen ihnen ist jedoch, dass sie alle in irgendeiner Form unkontrollierbare Gedanken und Impulse erleben. Auch die Anzahl der Symptome schwankt von Person zu Person (einige unter einem Zwang leiden, kämpfen andere gleich gegen eine ganze Reihe verschiedener Zwangsstörungen) 15 1.) Einführung Die häufigsten Formen werden nachfolgend kurz dargestellt, wobei die so genannten Reinigungs- und Waschzwänge den größten Anteil ausmachen Reinigungs- und Waschzwänge (Angst vor Infektion) Kontrollzwänge Wiederhol- und Zählzwänge Sammelzwänge Ordnungszwänge Zwanghafte Langsamkeit Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen Wichtig! Unterschied zwischen Zwangsgedanken und Gedankenzwängen . 16 Reinigungs- und Waschzwänge (Angst vor Infektion) Die Betroffenen verspüren panische Angst oder Ekel vor Schmutz, Bakterien, Viren sowie Körperflüssigkeiten oder ausscheidungen. Das damit einhergehende Unbehagen führt zu ausgiebigen Wasch- und Reinigungsritualen. Dabei werden die Hände, der gesamte Körper, die Wohnung oder auch der verschmutzte Gegenstand stundenlang gereinigt und desinfiziert. Der Ablauf der Rituale ist genau festgelegt. Kommt es zu Unterbrechungen, so muss der Betroffene noch einmal von vorn beginnen. Durch das ausgiebige Waschen wird jedoch der natürliche Säureschutzmantel der Haut zerstört, und das führt zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit sich tatsächlich zu infizieren. 17 Kontrollzwänge Die zweitgrößte Gruppe der Zwangserkrankungen sind die so genannten Kontrollzwänge. In diesem Fall fürchten die Betroffenen, durch Unachtsamkeit und Versäumnisse eine Katastrophe auszulösen. Aus diesem Grund werden technische Haushaltsgeräte, Türen und Fenster sowie gerade gefahrene Strecken immer wieder kontrolliert. Aber auch nach dem wiederholten Überprüfen stellt sich bei dem Zwangserkrankten nicht das Gefühl ein, dass jetzt wirklich alles in Ordnung ist. Oft bitten die Betroffenen dann Familienangehörige oder Nachbarn, ihnen bei der Kontrolle zu helfen. Auf diese Weise können sie die Verantwortung abgeben und ihre Kontrollgänge schneller beenden. 18 Wiederhol- und Zählzwänge Die so genannten Wiederholzwänge bringen den Betroffenen dazu, ganz alltägliche Handlungen - wie beispielsweise Zähne putzen oder das Bettzeug aufschütteln – immer eine bestimmte Anzahl lang zu wiederholen. Bei einem Nichteinhalten seiner Regeln befürchtete er, ihm selbst oder einer nahe stehenden Personen könnte etwas Schlimmes zustoßen. Bei Zählzwängen verspürt der Zwangskranke den Drang, bestimmte Dinge wie Bücher im Regal, Pflastersteine oder Badezimmerfliesen immer wieder zu zählen. 19 Sammelzwänge Sammelzwängler haben Angst davor, aus Versehen etwas für sie Wertvolles oder Wichtiges wegzuwerfen. Dabei fällt es ihnen äußerst schwer, zwischen den für jeden Menschen wichtigen Erinnerungsstücken und wertlosem Müll zu unterscheiden. Viele sammeln darüber hinaus noch weggeworfene Gegenstände wie alte Autoteile oder kaputte Haushaltsgeräte, um sie "irgendwann mal" zu reparieren. In den Medien wird seit einiger Zeit verstärkt über die so genannten Messies berichtet. Die Betroffenen zeichnen sich durch das so genannte „Verwahrlosungssyndrom“ aus. Ein großer Teil von ihnen leidet zudem unter Sammelzwängen. 20 Ordnungszwänge Die Betroffenen haben sich sehr strengen Ordnungskriterien und – maßstäben unterworfen. Entsprechend viel Zeit verbringen sie täglich damit, ihre Ordnung penibel wieder herzustellen. So stellen sie beispielsweise die Konservendosen immer auf eine bestimmte Art und Weise ins Regal oder sie achten darauf, dass die Wäsche im Schrank exakt aufeinander liegt. 21 Zwanghafte Langsamkeit Da die Zwangsrituale sehr viel Zeit verschlingen, verlangsamt jede Zwangsstörung das Leben der Betroffenen entsprechend. Bei einer kleinen Untergruppe ist jedoch die Langsamkeit selber das Problem. Sie benötigen Stunden für ganz alltägliche Handlungen wie essen oder anziehen. Beim Haarekämmen muss beispielsweise jedes Haar einzeln gebürstet werden. Kommt der Betroffene dabei durcheinander, so muss er wieder von vorne beginnen. 22 Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen Aufdringliche Gedanken spielen bei den meisten Zwangserkrankungen eine zentrale Rolle. Bei einer Untergruppe der Betroffenen besteht der Zwang jedoch ausschließlich aus aufdringlichen Gedanken. Diese haben meist aggressive ("Ich könnte meine Frau schlagen"), sexuelle ("Ich könnte das Nachbarskind sexuell misshandeln" oder "Ich bin homosexuell") oder religiöse ("Ich könnte mich während des Gottesdienstes blasphemisch äußern") Inhalte. Die größte Angst der Betroffenen besteht darin, dass ihre Gedanken irgendwann Realität werden könnten. Tatsächlich ist bislang kein Fall bekannt geworden, wo ein Zwangskranker seine beängstigenden Zwangsgedanken in die Realität umgesetzt hat. 23 Unterschied zwischen Zwangsgedanken und Gedankenzwängen Zwangsgedanken (die Aufputscher) sind unwillkürlich und rufen Unruhezustände hervor. Sie schießen wie Geistesblitze ins Bewußtsein und beunruhigen den Betroffenen. Gedankenzwänge (die Beruhiger) dagegen sind willkürlich. Sie werden von den Betroffenen eingesetzt als Bewältigungstrategie, um Unruhe und Ängste zu neutralisieren. (Wasch-, Kontrollund Ordnungszwänge > beruhigen) 24 2.) Epidemiologie Studie in USA Anfang der 80er Jahre ergab eine überraschend hohe Prävalenzrate für Zwangsstörungen 6 Monatsprävalenz von 1,6% Lebenszeitprävalenz von 1,94% – 3,29% Durchschnittswert von 2,5% Damit ist die Zwangsstörung die vierthäufigste psychiatrische Erkrankung, was sehr viel mehr ist als ursprünglich angenommen In Deutschland sind ca. 1 MIO erkrankt, aber nur 10% in Behandlung und „Nach Erhebungen der „Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen“ steht für etwa 8.000 Patienten gerade mal ein Therapeut zur Verfügung . 25 2.) Epidemiologie Geschlechterverteilung ungefähr gleich verteilt, wobei in den meisten Studien der Frauenanteil überwiegt, jedoch nicht signifikant Unterschied der Geschlechter beim Beginn der Erkrankung >Männer erkranken früher als Frauen und Männer leiden eher unter dem Kontrollzwang und Frauen häufiger unter dem Waschzwang 26 2.) Epidemiologie Alter bei Beginn der Zwangsstörung Beginn der Krankheit im frühen Erwachsenenalter oft nach einem belastenden Ereignis wie familiären Konflikten oder Problemen am Arbeitsplatz Altersangaben von 18 bis 26 Jahren, Durchschnittsalter bei 22 Jahren Nach dem 40. Lebensjahr ist ein Beginn der Erkrankung unwahrscheinlich Bei 85 Prozent der Zwangserkrankten sind die Symptome vor dem 35. Lebensjahr voll ausgeprägt Viele der Betroffenen haben sich zudem bereits in ihrer Kindheit zwanghaft verhalten 27 2.) Epidemiologie Erster Therapiekontakt Der Beginn der Zwangsstörung verläuft meist schleichend erst 7 – 7,5 Jahre nach Beginn der Störung erster Kontakt zu therapeutischen Einrichtungen und ambulanten Therapien suchen es gibt sogar Studien die von 10 und mehr Jahren ausgehen Zu diesem Zeitpunkt sind sie meist um die 30 Jahre alt. 28 3.) Prognose und Verlauf die meisten Literaturangaben gehen entweder von einem chronisch stabilen Verlauf oder von Schwankungen aus, jedoch nie von Phasen in denen der Patient Symptomfrei ist Zwangssymptome können je nach Belastung und Befinden mal mehr und mal weniger stark auftreten - in der Regel verschwinden sie aber nicht einfach wieder Zwangssymptome der meisten Betroffenen können auf ein erträgliches Maß zurückgeschraubt werden - vollständig geheilt werden jedoch nur die Wenigsten die enorme Zeitspanne bis zum Beginn einer effizienten Behandlung wirkt sich natürlich hinsichtlich der Prognose aus 29 3.) Prognose und Verlauf Entstehung Als Ursache kommen sowohl biologische als auch psychologische Faktoren in Frage Wie genau eine Zwangserkrankung entsteht, ist bislang noch unklar. In Forschung und Therapie wird aber übereinstimmend davon ausgegangen, dass sowohl biologische (zum Beispiel erbliche) als auch lern- und lebensgeschichtliche Faktoren (zum Beispiel der Umgang mit Belastungen) bei der Entstehung von Zwängen eine Rolle spielen. Einige Theorien zur Entstehung seien kurz angeschnitten 30 3.) Prognose und Verlauf Neurobiologische Erklärungsmodelle: Biochemische Veränderungen: veränderte Impulsübertragung im Gehirn der chemische Botenstoff "Serotonin" scheint bei der Entwicklung von Zwangserkrankungen eine Rolle zu spielen. Vererbung: Verwandten ersten Grades von Zwangserkrankten überproportional häufig ebenfalls an Zwangs- beziehungsweise Angststörungen leiden. Vererbt wird offenbar eine gewisse Anfälligkeit ("Vulnerabilität"), wenn Angststörungen in der Familie eine Rolle spielen 31 3.) Prognose und Verlauf Neurologische Veränderungen: Verschiedene neurologische Erkrankungen – zum Beispiel Epilepsie, Kopfverletzungen ("Schädel-Hirn-Traumata") oder Gehirntumore Schädigung der "Basalganglien" wie beispielsweise der Tourette-Störung 32 3.) Prognose und Verlauf Psychologische Erklärungsmodelle: Verhaltenstheorie: Zwangssymptome ein gelerntes und durch seine Konsequenzen verstärktes Verhalten wichtigste verstärkende Folge der Zwangshandlungen ist die Verringerung von Spannungen und Ängsten Erziehung sowie frühere oder aktuell belastende Lebensereignisse Bei späteren Zwangserkrankten handelt es sich oft um unsichere Menschen mit starken Selbstzweifeln und mangelnder Durchsetzungsfähigkeit (Bsp Stresssituation auf Arbeit, Angst vor Fehlern) 33 3.) Prognose und Verlauf Psychologische Erklärungsmodelle: Kognitive Theorie: Zwangserkrankte überschätzen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten negativer Ereignisse grundsätzlich. Je stärker eine Person unter einer Zwangserkrankung litt, umso schlechter erinnerte sie sich an ihre eigenen Handlungen 34 3.) Prognose und Verlauf Psychologische Erklärungsmodelle: Psychoanalytische Theorie: der Zwangserkrankte versucht sich mit Hilfe seiner Zwänge gegen unerlaubte Impulse – wie sexuelle oder aggressive Triebkräfte - zu wehren Symptome sind das Ergebnis eines ständigen Kampfes zwischen den Triebregungen und den Abwehrmechanismen Mit Hilfe seiner ritualisierten Verhaltensweisen versucht der Zwangserkrankte die verbotenen Impulse auszulöschen die Rituale können auch als Buße für konkretes Fehlverhalten dienen. Ähnlichkeiten zwischen religiösen und zwanghaften Ritualen, deutet auf positive Funktionen der Zwangssymptome 35 3.) Prognose und Verlauf Psychologische Erklärungsmodelle: Lerntheoretische Sicht Beziehung zwischen Zwängen und Ängsten. Entstehung von Zwanghandlungen als eine Form der Angstbewältigung Angst bewältigen, indem man dem Zwang nachgibt, dadurch wird die Angst reduziert und die Handlung wird wiederholt, weil dadurch das neue Auftreten der Angst vermieden werden kann Film ab 36 4.) Vorüberlegungen zu einer Diagnostik 37 4.) Vorüberlegungen der Diagnostik • Großes Problem = die starke Verheimlichung des Patienten (große Angst vor Ablehnung und Spott). • Rolle der Angst vor Bestrafung (dem Patienten das Gefühl geben, verstanden zu werden) • Ambivalenz des Patienten. Einerseits Leidensdruck, andererseits Angst vor Veränderung. (Handlungsalternativen genau aufzeigen) 38 5.) Differentialdiagnostik I) Abgrenzung Zwang – zwanghafte Persönlichkeitsstörung II) Abgrenzung Zwang – Schizophrenie 39 5.) Differentialdiagnostik Spezifikation der Zwangsgedanken und Rituale Klärung der Situationen, in denen Rituale auftreten, auch beschwerdefreie Situationen erfassen Erfassung von Fluktuationen und Schwankungen der Beschwerden Die Bereiche abklären, die durch Zwänge vermieden werden Versuch einer Identifikation von gedanklichen Auslösern der Ängste und Rituale 40 5.) Differentialdiagnostik Erstellung einer Hierarchie von Ängsten, die die einzelnen Gedanken und Situationen auslösen Die Erwartungen und Befürchtungen klären, die der Patient mit dem nicht Ausführen des Zwangs verbindet Klärung der familiären und partnerschaftlichen Interaktion Abklären und Erfassen, ob andere psychopathologischen Zustände vorliegen 41 5.) Differentialdiagnostik I) Abgrenzung Zwang - zwanghafte Persönlichkeitsstörung Zwanghafte Persönlichkeitsstörung: Übermäßige Vorsicht als Ausdruck der tiefen persönlichen Unsicherheit Bedürfnis nach Kontrolle, Perfektionismus/ übermäßige Gewissenhaftigkeit Leistungsbezogenheit Eigensinn (andere müssen sich auf alle Fälle unterordnen) 42 5.) Differentialdiagnostik I) Abgrenzung Zwang - zwanghafte Persönlichkeitsstörung Die Verhaltensmuster sind zeit überdauernd, beginnen in der Adoleszenz, sind nicht episodenhaft, wie bei der Zwangsstörung. Weniger als 10% der Patienten mit einer Zwangsstörung weisen prämorbid oder komorbid eine zwanghafte/ anankastische Persönlichkeitsstörung auf. Es ist eine lebenslange Störung der gesamten Persönlichkeit. 43 5.) Differentialdiagnostik II) Abgrenzung Zwang - Schizophrenie Wahnideen zeichnen sich häufig durch ihre Beziehungslosigkeit zur Realität aus Gedanken werden von einer höheren Gewalt auferlegt Schizophrene weisen affektive und formale Denkstörungen auf (unterbrochen durch psychotische Schübe) Zwangssymptome bei Schizophrenie, beim Gilles-de-laTourette-Syndrom und bei organischen psychischen Störungen werden nicht als Zwangsstörung diagnostiziert, sondern als Teil der entsprechenden Störungsbilder betrachtet. 44 6.) Komorbiditäten 45 6.) Komorbiditäten Depressionen ( ca. 1/3 der Zwangspatienten leiden an einer klinisch relevanten Depression. Diese tritt in der Regel später auf als die Zwangserkrankung) Angsterkrankung ( oft begleitend, aber zu unterscheiden ist, dass Zwangspatienten ihre Ängste als unsinnig erkennen während GAS Patienten sie als bedrückend real empfinden) Panikattaken ( mehr als die Hälfte aller Zwangspatienten leiden darunter, meist verbunden mit der Zwangsbefürchtung, also der Angst davor was passiert, wenn das Ritual unterlassen wird) 46 6.) Komorbiditäten Phobien ( aber keine situationsbezogene Angst oder Panik, eher Unruhe, Gereiztheit, Unsicherheit, Scham; Phobiker können Vermeidungsgrund genau beschreiben, Zwangspatienten haben eher unpräzise, übertriebene Ideen was passieren könnte) Schizotypische Persönlichkeitsstörung Depersonalisationsphänomene 47 7.) Schrittweise Diagnostik a) Biographie und Lebenssituation b) Persönlichkeitstests c) Körperliche Untersuchung und Differentialdiagnostik d) Verhaltensanalyse e) Aufklärung (Vorbereitung auf Therapie) 48 7.) Schrittweise Diagnostik a) Biographie und Lebenssituation Anamnese ermöglicht das Verständnis für die Zusammenhänge der Erkrankung Gezielte Fragen zur familiären und partnerschaftlichen Situation, zu seelischen Erkrankungen in der Familie, zur Arbeit, zu sozialen Aktivitäten, zu Lebensumständen und zur finanziellen Situation Der Patient legt hierbei die Reihenfolge fest 49 7.)Schrittweise Diagnostik a) Biographie und Lebenssituation Gespräche mit Eltern/ Familie sollen die Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeiten in der Vorgeschichte erfassen - Fremdanamnese. Dadurch sind vor allem die Zwangshandlungen erfassbar. Zur Identifizierung der aufrechterhaltenden Faktoren ist eine ausführliche Erfassung der aktuellen Situation nötig. 50 7.)Schrittweise Diagnostik b) Persönlichkeitstests Bessere Erfassung der individuellen körperlichen, psychischen und sozialen Entstehungsbedingungen und der aktuellen Problemsituation. HZI (Hamburger Zwangsinventar) FPI-R (Freiburger Persönlichkeitsinventar) IPDE-Screening Bogen (international personality disorder examination) 51 7.) Schrittweise Diagnostik c) Körperliche Untersuchung und Differentialdiagnostik Zu jeder Diagnose gehört auch eine neurologische Untersuchung, um z.B. die verschiedenen Funktionen des Nervensystems zu prüfen, wie Sensibilität, Bewegungssystem und Reflexe. Eventuell auch nötig Blut abzunehmen, zur Untersuchung von weißen und roten Blutkörperchen, Entzündungszeichen, Elektrolyten, Blutzucker, Schilddrüsen- und Leberwerte. Beim Verdacht auf ganz bestimmte körperliche Ursachen der Zwangsstörung könnte es auch sinnvoll sein, EEG, CCT oder MRT anzuwenden. 52 7.)Schrittweise Diagnostik d) Verhaltensanalyse Bedingungsanalyse Funktionsanalyse Mikroanalyse der Leitsymptome SORK- Schema: S= Stimulusbedingungen O= Organismusvariablen R= Reaktionen (motorische, kognitiv, physiologisch, emotional) K= Konsequenzen (kurzfristig; langfristig) 53 7.) Schrittweise Diagnostik d) Verhaltensbeobachtung Negativ = in Anwesenheit des Therapeuten, wird das Verhalten nicht so exzessiv gezeigt wie sonst Positiv = erste Konfrontation des Patienten mit einer schwierigen Situation Sehr aufwendig (lohnt sich jedoch) 54 7.) Schrittweise Diagnostik e) Aufklärung (Vorbereitung auf Therapie) Dem Patienten und oft auch Angehörigen wird im Verlauf eines längeren Gesprächs die Ergebnisse der Diagnostik ausführlich und verständlich mitgeteilt Informationen bezüglich Symptomatik, vermuteten Ursachen, anzunehmendem Verlauf, Behandlungsmöglichkeiten und Prognose gegeben. Hinweise zur Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle 55 7.) Schrittweise Diagnostik e) Aufklärung (Vorbereitung auf Therapie) Ziel ist es, aktiv mit dem Patienten zusammen zu arbeiten, um die Behandlungsschritte in einem individuellen Therapieplan festzulegen. Zwangspatienten erleben großen Konflikt, einerseits die subjektiv erlebten Notwendigkeit das Verhalten beizubehalten und andererseits der Leidensdruck, der durch das Verhalten entsteht. Deshalb sollte vor dem Beginn einer Therapie große Sorgfalt auf Vorbereitung und Motivation gelegt werden. 56 8.) Diagnostik 57 8.) Diagnostik Klinisches Interview Informationen über den Zustand des Patienten, individuelle Schwierigkeiten und Probleme Gibt den Stärkegrad, den Verlauf und die Schwankungen wider Bekannte Problembereiche untersuchen (die Themen Verheimlichung, Manipulation, Vermeidung und Motivation) Führt zu einer Basis der Interaktion zwischen Klient und Therapeut Trichterartige Fragestellung 58 8.) Diagnostik Das entscheidende diagnostische Kriterium ist der Nachweis von Zwangsvorstellungen und/oder Zwangshandlungen mit negativer Auswirkung auf das psychosoziale Funktionieren. 59 9.) Probleme der Diagnostik 60 9.) Probleme der Diagnostik Zwangsstörungen = sehr heterogene klinische Gruppe Das Vorliegen der Kriterien lässt sich nicht mit der wünschenswerten Genauigkeit überprüfen Einsicht und Widerstand sind sehr unterschiedlich bei den verschiedenen Patienten und unterliegen außerdem noch situationalen und intraindividuellen Schwankungen Zwänge haben unterschiedliche Funktionen (Unterscheidung zwischen zwanghaften Impulsen und Strategien des Neutralisierens) 61 9.) Probleme der Diagnostik Patientenselektion: Inwieweit stellen untersuchte bzw. behandelte Zwangspatienten eine einigermaßen unverfälschte Stichprobe aller Zwangspatienten dar? Filterung von Patienten im Forschungs- und Behandlungskontext. 62 Literatur Zaworka, W., Hand, J., Jauering, G. & Lünenschloß, K. (1983). Hamburger Zwangsinventar (HZI). Weinheim: Beltz Zaudig, M. (Hrsg.) : Die Zwangsstörung. – Stuttgart : Schattauer, 1998 Lenz, G. (Hrsg.): Symposium Spektrum der Zwangsstöungen (1996, Wien): Spektrum der Zwangsstörungen. – Wien : Springer, 1998 http://www2.lifeline.de/yavivo/Erkrankungen/Zwangsstoerung/40Unersuc hungen http://www.zwaenge.de/diagnose/zwangsstoerung_formen.htm http://www.onmeda.de/krankheiten/zwangsstoerungen.htm 63