Klinische Diagnostik und Intervention

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Die Essstörungen
Schuster Johann
• einführende Informationen
• Fallbeispiel Lydia
• zur Diagnostik
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ICD-10 vs. DSM-IV
Epidemiologie (Verteilung)
Verlauf & Prognose
Komorbidität
Diagnostische Verfahren
• Diskussion
wissenswertes zu Essstörungen
• Brainstorming
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Feinschmeckerrestaurants
Zeitschriften Æ Diäten
Fernseh-Kochstudios
Übergewicht (USA Æ Europa)
Diäten = Wirtschaftszweig
• Essstörung als psychische Störung
– erst seit ca. 30 Jahren
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Schönheitsideale
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17 Jahrhundert (Rubens)
Monroe – 50er-60er-Jahre
Playboy (Studien!)
Seit den 80ern rückläufig
– Forderung an Modebranche
Fallbeispiel Lydia
• Magersucht:
Lydia 24-jährig, Æ psychiatrische Abteilung eines KH.
Sie selbst glaubte nicht, dass ihr etwas fehlt.
Ihre Eltern & ihr Freund Æ Psychiater Æ freiwillig? ins Krankenhaus.
Eckdaten:
Lydia – 164 cm – 36 kg … BMI = 13,38
↓ Blutdruck – ↓ Kalium & Kalzium
findet best. Körperpartien viel zu dick (Bauch, Oberschenkel, Po)
ständige Angst dick zu werden
Phasen in denen sie stark abnimmt: wenig essen & Abführmittel
Entwicklung:
erstmalig mit 18 Jahren, nach Beziehungsbruch
Diagnostik – DSM-IV
Begriff: Anorexia Nervosa
Appetitverlust emotionaler Natur
Irreführend da das Interesse am Essen nicht verloren wird
•
4 DSM-Kriterien:
– Weigerung Normalgewicht zu halten (85% Soll)
Hungern, Erbrechen, Diuretika & übermäßiger Sport
– ausgeprägte Angst vor Gewichtszunahme
trotz Untergewicht
– Störung in der eigenen Körperwahrnehmung [EDI]
Selbstachtung & Dünnbleiben
– Amenorrhoe (Ausbleiben der Regel)
weniger wichtig! da kaum Unterschied ohne diese Kriterium
Diagnostik – DSM-IV
Begriff: Bulimia Nervosa
Teufelskreis: Hungern - Fressen - Entleeren
sehr strenge Regeln, werden gebrochen, Selbstachtung leidet
•
5 DSM-Kriterien:
– wiederholte Fressattacken
in 2h unverhältnismäßig viel essen
mit dem Gefühl des Kontrollverlustes
– + Maßnahmen gegen Gewichtszunahme
– Dauer: 3 Monate ≈ 2 mal wöchentlich
Fressattacken & Kompensationsverhalten
– Figur & Körpergewicht Æ Selbstbewertung
– nicht im Verlauf einer Anorexia Nervosa - Episode
Diagnostik - Vergleichbar ?!
•
ICD-10
DSM-IV
F50.x
– 0 = Anorexia Nervosa
•
•
F50.00 A.N. Restriktiver Typus
F50.01 A.N. Binge-Eating / Purging
• Fressanfälle mit Reaktion
– 1 = atypische A.N.
•
•
–
ohne Angst vor Gewicht.
– 2 = Bulimia Nervosa
– 3 = atypische B.N.
• nur einige Kriterien erfüllt
– 4 = Essattacken bei and. psych. St.
Trauer, Geburt
– 5 = Erbrechen bei and. psych. St.
Schwangerschaft, Übelkeit
– 8 = Sonstige Essstörungen (Pica)
– 9 = nicht näher bezeichnete
F50.2 Bulimia Nervosa
•
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•
purging vs. nicht purging
F50.1 noch Normalgewicht
F50.3 weniger purging
F50.8 nur kauen & ausspucken
F50.9 Binge-Eating – non purging
F50.00
psychopathologisch
F50.01
impulsiv, suizidal
Persönlichkeitsgestört
Substanzmissbrauch
Epidemiologie & Verlauf
• Anorexia Nervosa
Bulimia Nervosa
Beginn
– frühes bis mittleres Jugendalter
– häufig nach einem belastenden Ereignis / Diät
– spätes Jugendalter …
– leicht übergewichtig / Diät
Lebenszeitprävalenz
– ≈ 1%
– ♀ 10 : 1 ♂
•
Gründe …
– ≈1-2%
– ♀9:1♂
Prognose:
– etwa 70% genesen . . . irgendwann (6 - 7 Jahre) + Rückfälle
– Lebensbedrohlich! Æ Mortalität jedoch um Faktor 10 erhöht
– Exkurs . . . in die Biologie
Exkurs ins Gehirn!
•
Hypothalamus
• steuert Hunger und Essverhalten
• Tiere verlieren Interesse – AnorektikerInnen nicht
•
Hormonabweichung
• eher Folgen des Hungerns
•
körpereigene Opioide
• zügeln Schmerzen & Appetit
• Hungern im euphorischen Zustand ? – möglich !
• BulemikerInnen: ↓ Beta-Endorphin-Werten Æ Heißhunger
Fressanfall Æ ↑ endogene Opioide ≈ Verstärker !
•
Neurotransmitter - Serotonin
• Serotonin fördert die Sättigung – Bulemie als Ser-Mangel
• Depression ebenfalls als Serotoninmangel Æ SSRI
Komorbidität
•
Anorexia Nervosa
– Depression, Zwangsstörung, Phobie, Panikstörung, Alkoholismus
– verschiedene Persönlichkeitsstörungen (Kennedy & Garfinkel, 1992)
– sexuelle Störungen (♀ ≈ 24-jährig)
• 20% bis dato ohne Sexualkontakt
• 50% hatten noch keinen Orgasmus (Raboch & Faltus, 1991)
•
Bulimia Nervosa
Bulimie & Depression Æ genetischer Einfluss hoch (Walters, 1992)
– Depression, Angststörung, Verhaltensstörung,
– Kleptomanie - Substanzmissbrauch – Promiskuität [Impulsivität]
– Persönlichkeitsstörungen: besonders Borderline
Zusammenfassung
• Anorexia Nervosa: ≈ der Wille
–
–
–
–
Weigerung, ein normales Körpergewicht zu halten (85%)
starke Angst vor Gewichtszunahme
gestörte Körperwahrnehmung
bei Frauen Amenorrhoe
• Bulimia Nervosa: ≈ der Ekel
– Wiederkehrende Episoden von Fressanfällen
– mit Kompensationsverhalten
– Figur & Gewicht bilden das Zentrum der Selbstbewertung
• empfinden Ekel nach Fressattacken
Diagnostische Verfahren
• FEV - Fragebogen zum Essverhalten
als deutsche Version des TFEQ (3 factor eating questionnaire)
1. Kognitive Kontrolle des Essverhaltens
– gezügelt & bewusst essen
2. Störbarkeit des Essverhaltens
– disinhibition of control
Essen in Gesellschaft, Geruch, Aussehen …
3. erlebte Hungergefühle (faktoranalytisch unscharf!)
Fazit: reliabel, valide, an 80.000 Vpn normiert
erfasst 2 bedeutsame Dimensionen des Essverhaltens nur deskriptive Beschreibung
anhand von Rohwerten kann auf folgenden Gebieten eingesetzt werden:
– Ernährungsberatung – Schwerpunkt des Problems
– Therapieverlauf
Diagnostische Verfahren
• FBeK – Fragebogen zur Beurteilung des eigenen Körpers
ƒ Körperschema
- Wahrnehmung des eigenen Körpers
ƒ Körperbild
- K-bewusstsein / K-begrenzung / K-kathexis / K-erleben
¾ 3 Faktoren in der Version 82
Mittelwerte & SD:
–
–
–
–
–
trennt klinisch vs. nichtklinisch (wenig differenzierend … Ausnahme Sportler)
Pat. mit Essstörungen / Adipositas (82% / 88%)
Pat. mit gynäkologischen Problemen (Körpererleben & Attraktivität)
Pat. mit Hautkrankheiten (Attraktivitätsmaße)
Pat. mit Seelisch körperlichen Beeinträchtigung …
™ 4 Faktoren in der Revidierten Version 93
Normwerte (%-Ränge):
– studentische Eichstichprobe (aus einer Studie zu sexuellem Missbrauch)
•
Fazit: für den klinischen Einsatz! reliabel, valide, schlecht genormt
erfasst Körperkonzepte versch. klinischen Gruppen
Diagnostische Verfahren
• EDI-2: Eating Disorder Inventory
– erfasst in 91 Items 11 Dimensionen
• Schlankheitsstreben / Bulimie / Unzufriedenheit mit der Figur /
Minderwertigkeitsgefühle / Perfektionismus / Misstrauen / Unsicherheit in
Gefühlswahrnehmung / Angst vor dem Erwachsenwerden
+ Askese / Impulsregulierung / soziale Unsicherheit
•
Stichprobe:
– 40 ♀Anorexia Nervosa vs. Vergleichsstichprobe 1080 ♀ / 580 ♂
– Alter 10 – 20 Jahre
•
Fazit:
hinreichend reliabel, valide & diskriminierend, häufig eingesetzt
keine Verbesserung durch + 3 Skalen (besonders Askese ↓ Gütekriterien)
9 von 11 Skalen unterscheiden signifikant beide Stichproben
zeigt, dass Subskalenwerte Gewichts- & Altersabhängig sind
Geschlechtsunterschiede - Ja / Kulturunterschiede - Nein
Skalen interagieren sehr hoch untereinander
Diskussion!??
Diagnostik der
BorderlinePersönlichkeitsstörung
Natalie Weber
Eva Neis
Gliederung
1.
Begriffsbestimmung und Klassifikation
2.
Epidemiologische Daten
3.
Verlauf und Prognose
4.
Ätiologie und Risikofaktoren
5.
Differenzialdiagnostik
6.
Komorbidität
7.
Diagnostische Verfahren
1. Begriffsbestimmung und
Klassifikation
1.1 Konzepte und Kontroversen
•
•
•
Begriff stiftet bis heute Verwirrung: starker
Bedeutungswandel, keine einheitliche Verwendung,
Lange Zeit stellte die Borderline-Persönlichkeitsstörung eine
eher undifferenzierte „Restkategorie“ für diagnostisch schwer
fassbare und/ oder therapeutisch schwierige Patienten dar
Vertreter d. Psychoanalytischen Schule verwendeten ihn
ursprünglich, um einen Grenzbereich zwischen neurotischen
und psychotischen Erkrankungen zu beschreiben (Stern,
1938)
• Vor allem in Amerika neigten die Psychoanalytiker zu
der Annahme, dass die Psychosen ihrer BorderlinePatienten denjenigen Schizophrener zuzuordnen seien
(Deutsch, 1942; Knight, 1953)
• Später entwickelte sich eine Debatte darüber, ob die
Borderline- Patienten statt den Schizophrenen vielmehr
den affektiven Störungen zuzurechnen seien (pro: z. B.
Stone, 1980; contra: z. B. Kroll, 1988)
• andere wiederum erklärten, sie gehörten zu dem Umfeld
jeder dieser psychotischen Haupttypen (z. B. Frosch,
1964)
• Mit der Herausbildung der Ich-Psychologie und der
Objektbeziehungstheorie sowie durch
Kleinkindbeobachtungen Mahlers ergaben sich neue
Konzeptualisierungsmöglichkeiten der Frühgenese
• Kernberg (1967) sprach erstmals von einer „Borderline
Personality Organisation“ und betonte die
Eigenständigkeit dieser psychischen Struktur
• Er suchte nicht nach einem neuen symptomorientierten
Klassifikationssystem, sondern nach intrapsychischen
Faktoren und konnte so die Borderline-Population trotz
ihrer extremen Heterogenität um das zentrale Phänomen
der Spaltung gruppieren
• Seine Konzeption der BorderlinePersönlichkeitsorganisation beeinflusste zusammen mit
den von Gunderson & Singer erarbeiteten Kriterien
wesentlich das Team der für das DSM-III
verantwortlichen Diagnostiker
1.1.2 Einige Termini und Konzepte des
Borderline-Konstruktes
• Borderland (Hughes, 1884 a)
• Unentwickelte Fälle von Dementia praecox (Kraepelin,
1909/15)
• Latente Schizophrenie (Bleuler, 1911)
• Borderline-Neurosen (Stern, 1938)
• Schizophreniforme Psychose (Langfeldt, 1939)
• Präschizophrene Persönlichkeitsstruktur (Rapaport et al.,
1945/46)
• Pseudoneurotische Schizophrenie (Hoch & Polatin, 1949)
• Latente Psychose (Bychowski, 1953)
• Subklinische Schizophrenie (Peterson, 1954)
• Pseudopsychopathische Schizophrenie (Dunaif & Hoch,
1955)
• Psychotische Persönlichkeit (Bion, 1957)
• Borderline-Schizophrenie (Knight, 1954; Bellak, 1958;
Kety et al., 1968)
• Grenzpsychose (Benedetti, 1967)
• Borderline-Persönlichkeitsorganisation (Kernberg, 1967)
• Borderline-Syndrom (Grinker, 1968; Stone, 1980)
• Borderline-Charakter (Giocacchini, 1975)
• Syndrom der Borderline-Persönlichkeit
• Schizotypische Persönlichkeitsstörung (Spitzer et al.,
1979)
• Borderline-Persönlichkeitsstörung
1.2 Bezeichnung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach ICD-10 und
DSM-IV
Vorweg: Die allgemeinen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung müssen erfüllt
sein!
A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das merklich von den
Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht. Dieses Muster manifestiert sich in
mindestens 2 der folgenden Bereiche:
(1) Kognition (also die Art, sich selbst, andere Menschen und Ereignisse wahrzunehmen und zu
interpretieren),
(2) Affektivität (also die Variationsbreite, die Intensität, die Labilität und Angemessenheit
emotionaler Reaktionen),
(3) Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen,
(4) Impulskontrolle
B. Das überdauernde Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher
und sozialer Situationen.
C. Das überdauernde Muster führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder
Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
D. Das Muster ist stabil und langdauernd, und sein Beginn ist zumindest bis in die Adoleszenz
oder ins frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen.
E. Das überdauernde Muster lässt sich nicht besser als Manifestation oder Folge einer anderen
psychischen Störung erklären.
F. Das überdauernde Muster geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z. B.
Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors
1.2.1 Bezeichnung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach DSM-IV
Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im
Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Die Störung beginnt im frühen
Erwachsenenalter und zeigt sich in verschiedenen Situationen, gekennzeichnet durch
mindestens 5 der folgenden Merkmale:
1. verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden (keine
suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen, die in Kriterium 5 enthalten sind)
2. ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen
Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist
3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der
Selbstwahrnehmung
4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen, z.B. Geldausgeben,
Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle (keine suizidalen oder
selbstverletzenden Handlungen, die in Kriterium 5 enthalten sind)
5. wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen, oder
Selbstverletzungsverhalten
6. affektive Instabilität infolge einer ausprägten Reaktivität der Stimmung, z.B. hochgradige
episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, was gewöhnlich einige Stunden und nur selten
mehr als einige Tage andauert
7. chronische Gefühle von Leere
8. unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren, z.B. häufige
Wutausbrüche, andauernde Wut oder wiederholte körperliche Auseinandersetzungen
9. vorübergehende, durch Belastung ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere
dissoziative Symptome
1.2.2 Bezeichnung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach ICD-10
Im ICD-10 zur Emotional Instabilen Persönlichkeitsstörung (F60.3) zugeordnet
1) Impulsiver Typus (F60.30)
2) Borderline Typus (F.60.31)
Kriterien:
1)
2)
3)
4)
5)
6)
7)
8)
9)
10)
Deutliche Neigung, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln
Wechselnde, instabile Stimmung
Die Fähigkeit, vorauszuplanen, ist gering
Ausbrüche intensiven Ärgers können oft zu gewalttätigem und explosiblem Verhalten führen
Gewalttätiges und explosibles Verhalten wird leicht ausgelöst, wenn impulsive Handlungen
von anderen kritisiert oder behindert werden
Störungen und Unsicherheiten über das Selbstbild, Ziele und die „inneren Präferenzen“
(einschließlich der sexuellen)
Chronisches Gefühl innerer Leere
Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen
Krisen führen
Übermäßige Anstrengungen, nicht verlassen zu werden
Suiziddrohungen oder selbstschädigende Handlungen (diese können auch ohne deutliche
Auslöser vorkommen)
Die Diagnose des Borderline-Typus wird gestellt, wenn zum einen mindestens 2 der
Kriterien 1-5 erfüllt sind und sich zusätzlich mindestens eins der Kriterien 6-10
findet.
1.2.3 Bezeichnung der BorderlinePersönlichkeitsstörung nach ICD-10 und
DSM-IV: Unterschiede
• Das DSM-IV betont die Instabilität von Stimmung, Identität und
Beziehungen
• Das DSM-IV nennt Wechsel zwischen Extremen der
Idealisierung und Entwertung im Beziehungsverhalten
• Im ICD-10 tritt die Impulsivität als Hauptmerkmal hervor
• Das ICD-10 nennt keine paranoiden oder dissoziativen
Symptome
• Im ICD-10 werden sexuelle Präferenzen in Zusammenhang mit
Störungen/ Unsicherheiten über das Selbstbild genannt
• Zur Diagnose müssen beim ICD-10 ínsgesamt nur 3 von 10
Kriterien erfüllt sein, im DSM-IV sind es 5 von 9
• insgesamt sind die Kriterien des DSM-IV differenzierter und
klarer
2. Epidemiologische Daten
• Schätzungen der Prävalenz in der Gesamtbevölkerung:
1,3%-2,1%
• Weissmann (1991) sowie Widiger & Trull (1992): 8% für
ambulante, 15% für stationäre psychiatrische Patienten
(USA)
• 60%-77% aller Borderline-Patienten sind Frauen
• Über 80% der Betroffenen befinden sich in
psychiatrischer/psychotherapeutischer Behandlung
• Direkte Kosten ca. 3 Mrd.€ jährlich
(15% der Kosten für psychische Störungen)
• Suizidrisiko: 4-9%
• ca. 80% frühe Traumatisierung
Fazit:
• Die Schwankungsbreite der Prävalenzangaben sind sehr
hoch. Dies liegt u. a. an den verschiedenen
Studiendesigns, Stichprobenzusammensetzungen,
Stichprobengrößen, diagnostischen Vorgehensweisen
etc
• Die Boderline-Störung ist eine häufig diagnostizierte
Persönlichkeitsstörung
• Die Häufigkeit der Diagnose nimmt in klinischen
Stichproben stark zu
3. Verlauf und Prognose
• Studien der letzten beiden Jahre haben gezeigt, dass die
Prognose der BPS wahrscheinlich besser ist, als früher
angenommen wurde.
• Zanarini et al. (2003) konnten zeigen, dass nach 6 Jahren
75% der Patienten, die zu Beginn der Beobachtungszeit
hospitalisiert waren, eine Remission erreichten.
• Darüber hinaus zeigte sich, dass nur 6% der Patienten, die
eine Remission erreichten, später wieder die
Diagnosekriterien einer BPS erfüllten.
• Auch wenn diese Studie insgesamt einen besseren Verlauf
zeigt, darf nicht übersehen werden, dass sich mindestens
25% der Patienten im Langzeitverlauf nicht bessern.
Positive prognostische Variablen:
(Stone, 1991c; McGlashan, 1988)
• Im Falle von Alkoholmissbrauch die Teilnahme an und
dauerhafte Einbindung in Gruppen der Anonymen
Alkoholiker
• Sehr hohe Intelligenz
• Künstlerisches Talent
• Hohes Maß an Selbstdisziplin
• (bei weiblichen Patienten) Attraktivität
Negative prognostische Variablen:
• Elterliche Grausamkeit oder Brutalität in der
Vorgeschichte
• Inzest/ Missbrauch
• Antisoziale Verhaltensweisen des Patienten
• Schizoide Komorbidität
• Extreme sexuelle Gehemmtheit
• Chronische Feindseligkeit
• Armut
• Suchtmittelmissbrauch bei Patienten, der nicht motiviert
ist, diesen zu kontrollieren
Erfahrung einer Borderline-Patientin
• Danni: Borderline or not? (www.kuckuck.solution.de/borderline_2.html)
„In meiner Welt gibt es nur schwarz und weiß. Ich hasse oder
ich liebe jemanden. Ich kann innerhalb von Sekunden zwischen
diesen Gefühlen hin- und herspringen.
Weil ich das auch jedem anderen unterstelle, kann ich auf
wahre Zuneigung nicht vertrauen. Wer mir jetzt sagt „ich liebe
dich“ kann das gleich schon wieder anders meinen. Daher lebe
ich in ständiger, panikartiger Verlustangst, gerade in
Beziehungen zu Männern.
Meine gesamte Welt ist schwarz weiß. Ich hungere oder ich
fress’ (und kotze). Ich kann entweder gar nix trinken oder mir
komplett die Hucke zuhauen. Ich kann total überdreht und
glücklich sein oder schwermütig mit Selbstmordgedanken. Um
es kurz zu machen: ich kann jegliche Normalität, jegliche
Durchschnittlichkeit nicht ertragen. Sie macht mir Angst und ich
spüre nichts mehr.
Das Quälendste aber ist mein Verhältnis zu mir selbst. Ständig
fühle ich mich abgrundtief häßlich ekelig und abstoßend, frage
mich warum ich überhaupt draußen frei rumlaufen darf und
dann plötzlich (zwar nur ganz selten) habe ich
größenwahnsinnige Vorstellungen. Ich bin die Schönste und
Tollste und jeder ist verzaubert von mir. Natürlich sieht die
Realität anders aus und ich verfalle zurück in meine absolute
Häßlichkeit. Jedenfalls ist es Horror.
Seit fast 10 Jahren kriege ich professionelle „therapeutische
Hilfe“, na und? Es geht mir nach wie vor beschissen, weil ich
nie ausgeglichen und zufrieden sein kann. Ein ruhiger Abend
mit meinem Freund Zuhause vorm Fernseher löst Panik aus in
mir; ich bin ihm gleichgültig. Nur exzessive Situationen machen
mich glücklich. Also quäle ich ihn, um im Streit seine – wenn
auch Haßgefühle – mir gegenüber zu spüren.
Ich habe fünf Jahre tiefenpsychologische Therapie
gemacht, zwei monatelang stationäre Kuraufenthalte in
psychosomatischen Kliniken hinter mir und mache z.Zt.
eine Verhaltenstherapeutische Therapie.
Ich glaub nicht mehr so richtig an „Heilung“. Vielleicht
wäre der einzige Weg, zu sagen, es ist so. Es ist mein
Leben, meinetwegen auch mein Schicksal und meine
Welt ist halt schwarz weiß. Wie die der Hunde. Oder
habt Ihn noch ne Idee? Vielleicht bleibt mir viel
vorenthalten in der facettenreichen farbigen bunten Welt
der „Normalen“, vielleicht erlebe ich aber auch Sphären,
Gefühlsorgasmen;-), von den andere nur träumen
können...???“
4. Ätiologie und Risikofaktoren
1. Biologische Faktoren
•
•
•
Deutlich familiäre Häufung der BorderlinePersönlichkeitsstörung (Togersen et al. 2000)
Genetischer Einfluss liegt insbesondere auf zentralen
Merkmalen wie emotionale Labilität und geringe
Stresstoleranz
Primäre affektive Vulnerabilität (Linehan 1993, Silk
2000), die in der Interaktion mit einer traumatischen
Beziehungsgeschichte und mangelhaften
Lernerfahrungen zur Ausbildung einer BorderlineStörung führt
• Neurobiologische Befunde:
• Hypersensitivität des limbischen Systems, die
dispositionell vorhanden und/oder Folge chronischer
Stressbelastung sein kann (Corrigan et al. 2000,
Herpertz et al., 2001) Æ Übererregung des
Hippocampus, die die Funktionalität von deklarativen
Gedächtnisprozessen stört und Amygdala- vermittelte
emotionale Erinnerungen dominiert
2. Psychosoziale Faktoren
• Die Lebensgeschichte von Borderline-Patienten weisen
gravierende psychosoziale Belastungsfaktoren auf:
schwerwiegende Vernachlässigung, sexuelle
Missbrauchs- und elterliche Gewalterfahrungen in
der Kindheit, eine chaotische und feindselige
Familienatmosphäre und ein invalider Erziehungsstil Æ
die situationsadäquaten Wahrnehmungen und
Emotionen des Kindes werden missachtet oder es wird
hierauf unberechenbar reagiert
5. Differenzialdiagnostik
5.1 Differenzierung auf Achse I
• Differenzialdiagnostische Schwierigkeiten heute am
ehesten zur Posttraumatischen Belastungsstörung
• Unterscheidende Merkmale hierbei sind:
• Zeitlicher Zusammenhang des Auftretens von
Symptomen einer PTSD mit einem Ereignis
außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen
Ausmaßes
• Eine allgemeine Hyperreagibilität und selbstschädigende
Verhaltensweisen sind keine typischen Symptome einer
PTSD
• Im Einzelfall schwierig kann die diagnostische
Abgrenzung einer Borderline-Störung von einer
andauernden Persönlichkeitsveränderung nach
Extrembelastung sein
5. 2 Differenzierung auf Achse II
• Da Komorbiditäten zwischen den
Persönlichkeitsstörungen nicht selten sind, ist die klare
Abgrenzung der einzelnen Persönlichkeitsstörungen von
hoher Bedeutung für eine zuverlässige Diagnose und
angemessene Therapieplanung
• Auf den ersten Blick gibt es relativ viele Ähnlichkeiten
zwischen einer Borderline-Störung und anderen
Persönlichkeitsstörungen
• Jedoch sind die Ähnlichkeiten auf singuläre Kriterien
beschränkt und/oder werden durch eine Differenzierung
der zugrunde liegenden Motivationen, Schemata und
Handlungsimpulse aufgehoben
• Ähnlichkeiten der Borderline-Störung bezüglich
wesentlicher Kriterien zu anderen
Persönlichkeitsstörungen und ihre Abgrenzung
• Beispiele:
• Angst vor dem Verlassenwerden bei BorderlinePatienten als auch bei Patienten mit einer Dependenten
Persönlichkeitsstörung
• Reaktionen auf eine Trennung jedoch unterschiedlich:
der dependente Patient wird beschwichtigen und sich
nachgiebig zeigen, während der Borderline-Patient vor
allem wütend reagiert, dem anderen droht oder ihn
bedrängt, bei ihm zu bleiben
• Die Gefühle im Hinblick auf ein drohendes Alleinsein
sind ebenfalls unterschiedlich:
• Borderline-Patienten fallen in einen Zustand der
Orientierungslosigkeit, Wert- und Haltlosigkeit; ihre
Unsicherheit bezüglich ihrer eigenen Identität kommt hier
zum Vorschein
• Dependente Patienten berichten hingegen eher von
Ängsten, ihr Leben ohne fremde Hilfe nicht meistern zu
können, und schildern Sorgen, ihre Alltagspflichten nicht
bewältigen zu können
• Impulsivität und geringe Frustrationstoleranz bei
Borderline-Patienten und Patienten mit einer
Antisozialen Persönlichkeitsstörung
• Wesentliches Unterscheidungsmerkmal liegt in ihrer
emotionalen Reaktion auf ihre Wutausbrüche,
gesetzeswidrigen und möglicherweise gewalttätigen
Verhaltensweisen:
• Typischerweise erleben Borderline-Patienten starke
Schuld und Scham nach solchen „Ausbrüchen“, während
Antisoziale Patienten hingegen bagatellisieren,
rationalisieren oder sich sogar aufgrund ihres Verhaltens
rühmen
• Paranoide Ideen und Illusionen und soziale Isolation bei
Borderline-Störung und Schizotypischer
Persönlichkeitsstörung
• Jedoch sind psychotische Symptome bei BorderlinePatienten eng verknüpft mit aktueller Belastung; die
psychotischen Symptome sind überwiegend dissoziativ;
soziale Isolation ist bei Borderline-Patienten eher
sekundär durch Konflikte und/oder Wutausbrüche in
Beziehungen bedingt, während es bei Patienten mit
Schizotypischer Persönlichkeitsstörung einem primären
Bedürfnis nach Alleinsein entspringt
• Streben nach Aufmerksamkeit, manipulatives Verhalten
und plötzliche Stimmungswechsel bei Borderline
Persönlichkeitsstörung und Histrionischer
Persönlichkeitsstörung
• Unterschiede sind jedoch Autodestruktivität, wütende
Beziehungsabbrüche, chronisches Gefühl der Leere
sowie eine Identitätsstörung, durch diese BorderlinePatienten charakterisiert sind
• Fazit:
• Bei den Ähnlichkeiten auf Symptomebene sind
motivationale Hintergründe, emotionale Ursachen und
Reaktionen, sowie Kognitions- und Handlungsschemata
sehr unterschiedlich
6. Komorbidität
6.1 Komorbidität zu anderen Achse-IStörungen
• Sieben der zehn genannten Störungen (Achse I; DSMIV) weisen zur Borderline-Störung eine
Komorbiditätsrate von über 10% auf
• Bei den sieben Störungen handelt es sich um die
Zwangsstörung, Einfache Phobie, Somatoforme Störung
und Anorexie (Häufigkeit: 10-19%) sowie um Major
Depression, Alkohol-/Drogenabhängigkeit und Bulimie
(Häufigkeit 20-30%)
• Fazit:
• Depressive Störungen nur bei der Dependenten
Persönlichkeitsstörung ebenso häufig wie bei der
Borderline-Störung
• Bulimie als komorbide Störung bei allen anderen
seltener als bei der Borderline-Störung; sie tritt hier
häufig als Zweitdiagnose auf
• Alkohol- und Drogenabhängigkeit tritt nur bei der
Antisozialen Persönlichkeitsstörung häufiger auf als bei
der Borderline-Störung
• Besonderheit der Borderline-Störung: hoher
Zusammenhang zu sehr vielen Achse-I-Störungen
6.2 Komorbidität zu anderen Achse-II-Störungen
• In 9,4% der Fälle ist die Borderline-Störung die einzige
Diagnose auf der Achse II
• Die Komorbidität zur Histrionischen (50,9%),
Vermeidend- Selbstunsicheren (45,6%) und zur
Dependenten Persönlichkeitsstörung (49,1%) ist am
höchsten
• Die Häufigkeit der Borderline-Störung als Zweitdiagnose
bei Erstdiagnose einer anderen Persönlichkeitsstörung
variiert zwischen 25 und 51%
7. Diagnostische Verfahren
7.1 Überblick
• Borderline-spezifische Verfahren
- Borderline-Persönlichkeits-Inventar (BPI; Leichsenring,
1997)
- Borderline-Symptomcheckliste (Bohus et al., 2001)
- Borderline-Syndrom-Index (BSI; Conte, Plutchik et al.,
1980)
- Diagnostic Interview for Borderline Patients (DIB/ DIB-R;
Gunderson, Kolb & Austin, 1981)
revidierte Fassung: Zanarini, Gunderson et al., 1989a;
dt. Version: z. B. Biermann-Ratjen et al., 1997
• Verfahren zur Erfassung einzelner Symptome
- Beck-Depressions-Inventar (BDI; Beck, Ward et al.,
1961)
- Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (FDS;
Freyberger et al., 1999)
- Fragebogen zu kognitiven Schemata (FKS; Fydrich,
Schmitz & Bodem, 1995)
- Inventar zur Erfassung interpersonaler Probleme (IIP;
Horowitz, Strauß & Kordy, 1988)
- Eating-Disorder-Inventory-2 (EDI; Thiel et al., 1997)
- State-Trait-Angst-Inventar (STAI; Spielberger et al.,
1970)
- State-Trait-Ärgerausdrucksinventar (STAXI;
Schwenkmezger, Hodapp & Spielberger, 1992)
- Fragebogen zu Scham- u. Schuldgefühlen (FSS;
Nienhaus, 2001)
• Verfahren zur Messung des gesamten Bereichs der
Persönlichkeitsstörungen
- Strukturiertes Klinisches Interview (SKID-II; Wittchen,
Zaudig & Fydrich, 1997)
- International Personality Disorder Examination (IPDE;
Loranger, 1995)
- Shedule for Nonadaptive and Adaptive Personality
(SNAP; Clark, 1993)
Zusätzlich ...
• Projektive Verfahren
- Rorschach-Test: untersucht auffällige Denkvorgänge
sowie primitive Abwehrmechanismen und
Objektbeziehungen
Æ kaum Unterschiede zu Schizophrenen
- TAT
• Sprachstatistische Verfahren
7.2 Borderline-Persönlichkeits-Inventar (BPI;
Leichsenring, 1997)
• Fragebogenverfahren; 53 Items zur Erfassung der
typischen Verhaltens- und Erlebensmerkmale der BLStörung
• Beruht auf theoretischem Ansatz von Kernberg (1967,
1988), orientiert sich zudem am deskriptivphänomenologischen Ansatz von Gunderson & Singer
(1975)
• Auf 4 Skalen werden die zentralen Kriterien der BLStörung erfasst:
1) Identitätsdiffusion
2) Realitätsprüfung
3) Primitive Abwehrmechanismen u. Objektbeziehung
4) Angst vor Nähe
• Zusätzlich werden mittels einzelner Items affektive
Symptome sowie Aspekte der Impulskontrolle erfasst
• Zu jeder Skala wird ein Skalenwert berechnet, der dann
anhand einer Normtabelle in T-Werte umgerechnet wird
• Durch gezielte Auswahl von 20 Items wird ein Cut-off-Wert
errechnet, mit dessen Hilfe 89% der BL-Patienten und 81%
der Nicht-BL-Patienten richtig klassifiziert werden
• Gütekriterien:
– Interne Konsistenz liegt für die Skalen zwischen r= .68.91
Æ für den Gesamtfragebogen r=.91 (ohne Items 52 und
53)
– Retest-Reliabilität r=.73 bis r=.88 (bis auf Skala
„Realitätsprüfung“ alle >.80)
– Konstrukt-Validität gesichert (z. B. Leichsenring, 1991a
und b, 1997)
– Auch die konvergente Validität ist nachgewiesen
(Leichsenring, 1992)
•
Beispielitems
1) Identitätsdiffusion
– „Ich frage mich häufig, wer ich eigentlich bin.“
– „Manchmal kommt in mir eine andere Person zum
Vorschein, die gar nicht zu mir gehört.“
– „Manchmal fühle ich mich selbst unwirklich.“
2) Realitätsprüfung
– „Ich habe schon einmal Stimmen gehört, die über mich
sprachen, obwohl niemand da war.“
– „Ich habe schon einmal das Gefühl gehabt, dass andere
mir ihre Gedanken eingeben“
– „Ich habe schonmal die Anwesenheit einer anderen
Person gespürt, obwohl sie nicht wirklich da war.“
• Beispielitems
3) Primitive Abwehrmechanismen u. Objektbeziehung
– „Ich fühle mich oft wert- und hoffnungslos.“
– „Die anderen erscheinen mir oft feindselig.“
4) Angst vor Nähe
– „In engen Beziehungen werde ich immer wieder
verletzt.“
– „Ich fühle mich eingeengt, wenn andere sich zu viel
um mich kümmern.“
– „Wenn eine Beziehung enger wird, fühle ich mich in
der Falle.“
7.3 Borderline-Syndrom-Index (BSI; Conte
et al., 1980)
• Selbstbeurteilungsverfahren
• Ziel: schnell einsetzbares Verfahren zur Erfassung des
Vorliegens einer Borderline-Störung bzw. zur
Absicherung der Diagnose gegenüber anderweitigen
psychischen Störungen
• Der BSI beinhaltet 52 Items, die mit Ja oder Nein
beantwortet werden können
• Die Items beziehen sich auf die Bereiche, die in der
Literatur als typisch für Borderline-Patienten erachtet
werden:
• Mangelnde Impulskontrolle, das Fehlen einer sicheren
Selbst-Identität, Depression, Anhedonie, prekäre
zwischenmenschliche Beziehungen, Depersonalisation
und eine Reihe neurotischer Symptome
• Auswertung: die Anzahl der Ja- bzw. Nein-Antworten
wird aufaddiert
• 25 und mehr Ja-Antworten Æ Borderline-Störung
• 13 und weniger Ja-Antworten Æ andere Diagnose
• Durchführungszeit: ca. 20 Minuten
• Itembeispiele:
1. Ich habe niemals das Gefühl, als ob ich dazugehörte.
2. Ich habe Angst, verrückt zu werden.
3. Ich möchte mich selbst verletzen.
4. Ich habe Angst, eine enge Beziehung einzugehen.
5. Menschen, die zunächst großartig erscheinen,
enttäuschen mich oft später.
• Gütekriterien:
• Reliabilität =.92
• Validität gering
• Mann et al. (1992): BSI konnte lediglich Patienten mit
Borderline-Störung von normalen Kontrollpersonen
unterscheiden und nicht von Patienten mit affektiven
Störungen
• Edell (1984): BSI erfasst weniger spezifische Merkmale
der Borderline- Pathologie als vielmehr ein Gefühl der
Hoffnungs- und Wertlosigkeit
• Spezifität = 90% Æ sehr hoch
• Sensitivität = 33% Æ sehr niedrig
• Fazit:
• Für die deutsche Version des BSI von Rohde-Dachser
(1983) liegen keine Angaben zu den Gütekriterien vor
• Unterscheidung von (stationär behandelten) Borderlineund neurotischen Patienten hat sich nicht bewährt
7.4 Borderline- Symptom- Liste (BSL; Bohus
et al., 2001)
• Bisher: die meisten Instrumente primär zur
klassifikatorischen Diagnostik der Borderline-Störung;
keine Erfassung des Schweregrades der Symptomatik
und keine Erfassung von zeitlichen Veränderungen der
Symptomatik
• Ziel dieses Instruments: störungsbezogenes
Selbstbeurteilungsverfahren zur quantitativen Erfassung
spezifischer Beschwerden bzw. subjektiven
Beeinträchtigungen
• 95 Items wurden an Anlehnung der von Gunderson &
Zanarini beschriebenen Symptom- und Syndromebenen,
der DSM-IV-Kriterien der Boderline-Störung sowie durch
Experten- und Patientenaussagen generiert
• Durch Faktorenanalyse (Varimaxrotation) wurden
folgende 7 Faktoren (Subskalen) ermittelt:
• Selbstwahrnehmung (Identitätsstörung und dissoziative
Symptomatik) mit 19 Items
• Affektregulation (Emotionalität) mit 13 Items
• Autoaggression mit 12 Items
• Dysthymie mit 10 Items
• Soziale Isolation mit 12 Items
• Intrusionen mit 11 Items
• Feindseligkeit mit 6 Items
• Die restlichen 12 Items gehen in den Gesamtwert zur
Beurteilung des Ausmaßes der Beeinträchtigung mit ein
• Bewertung der einzelnen Items erfolgte auf einer 5stufigen Likert-Skala von „überhaupt nicht“ bis „sehr
stark“ Æ Schweregradbewertung wurde gewählt
• Beurteilungszeitraum für die Symptome: vergangene
Woche
• Stichprobe: reine Frauenpopulation: 308 stationäre
Patientinnen mit der klinisch gesicherten BorderlineDiagnose unterschiedlichen Schweregrades
• Item- und Testkennwerte:
• Itemtrennschärfe = 0,37–0,81
• Interne Konsistenz: Cronbachs α = 0,80–0,94
• Kritische Betrachtung der Faktor-Item-Konformität:
• Items wie „Ich hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren“
laden deutlich stärker auf dem Faktor „Autoaggressivität“
als auf dem Faktor „Feindseligkeit“ Æ Problem der
Stichprobe
• „Identitätsstörungen“ wurde als eigenständiger Faktor
nicht benannt; die meisten diesbezüglichen Items
(„…hatte ich keine Vorstellung darüber, wie ich wirklich
bin“, „…fühlte ich mich abgeschnitten von mir selbst“)
laden hoch auf dem Faktor „Selbstwahrnehmung“ (in
Anlehnung an das DSM-IV)
•
•
•
•
•
•
Fazit:
Reine Frauenstichprobe
Weitere Gütekriterien stehen noch aus:
Konvergente Validität
Diskriminante Validität
Änderungssensitivität der Skala (zur Evaluation von
Therapieeffekten)
• Stabilität der Faktorenstruktur
Generalisierte
Angststörung (GAS)
Psychologische Diagnostik und Intervention
Dozentin: Dr. P. Hank
SS 2006
Referenten: J.Kersken, B.Beilstein
Gliederung:
z
z
z
z
z
z
Bezeichnung und Definition
Epidemiologie
Verlauf und Prognose
Differenzialdiagnostik
Komorbidität
Diagnostische Verfahren
Allgemeine Beschreibung der GAS
z
z
z
z
Häufige psychische Störung
unkontrollierbare Sorgen stehen im Mittelpunkt
(Beziehungen/Arbeit/Finanzielles)
Æ begleitet von körperlichen Symptomen
(Schlafschwierigkeiten, Ruhelosigkeit,
Muskelverspannung, Nervosität, Reizbarkeit)
Unterschied zu Phobien: keine Angst vor
bestimmtem Objekt/Situation, keine Panikanfälle
auffälliges Merkmal fehlt Æ Verlauf oft chronisch
Bezeichnung
Klassische Angstneurose
Panikstörung
Generalisierte Angststörung
Æ Panikanfälle
Æ frei-flottierende Ängste
Definfition früher
Starker Wandel:
• DSM-III Æ GAS als Residual-Kategorie
• DSM-III-R (1986) Æ GAS eigenständige Störung,
Sorgen als definitorisches Merkmal
• DSM-IV (1996) Æ Reliabilität verbessert,
pathologische Sorgen im Mittelpunkt
Definition DSM-IV und ICD-10
Æ nur leichte Abweichung
der diagnostischen Kriterien,
aber in der Konsequenz
geringe Übereinstimmung
(Kappa k=.39)
Definition DSM-IV und ICD-10
Unterschiede:
• Symptom-Kriterien bei ICD weniger spezifisch als bei DSM
Æ erhöhte Vergabe der Diagnose bei ICD
• GAS im ICD anderen Störungen untergeordnet
(d.h. Diagnose kann nicht vergeben werden wenn phobische
Störung, Panikstörung, hypochondrische Störung oder
Zwangsstörung vorliegt)
Æ GAS im ICD leicht “übersehen”
Aber:
Studien sprechen für Eigenständigkeit der Diagnose GAS
ÆDiagnose nach DSM-IV vorzuziehen!
Definition
z
Fallbeispiel (S.27)
Epidemiologie
z
z
z
z
Lebenszeitprävalenz: 4 - 7%
Ein-Jahresprävalenz: 3 - 5%
generelle Häufigkeit scheint zuzunehmen
Auftrittshäufigkeit Frauen vs. Männer 2:1
(Æ Komorbidität, keine Geschlechtsunterschiede bei
reiner GAS)
Epidemiologie
z
Beginn oft zwischen 20 und 30 Jahren, aber zweiter
Gipfel im höheren Alter zwischen 55 bis 60 Jahren
Æ häufigste Angststörung im höheren Alter
z
häufigste Angststörung in der Allgemeinarztpraxis,
aber in der psychotherapeutischen Versorgung
seltener als andere Angststörungen
Verlauf und Prognose
z
z
Dauer: 10 Jahre oder länger
Æ chronische Störung
geringe Rate von Spontanremissionen:
- 15% der GAS-Patienten im ersten Jahr
- 25% in den ersten zwei Jahren
- 38% nach fünf Jahren voll remittiert
Æ frühzeitige Behandlung besonders wichtig!
Verlauf und Prognose
Aber:
z
nur ca. ein Fünftel der Patienten mit GAS kommen im
Jahr des Beginns in Behandlung, durchschnittlich warten
sie über 10 Jahre
z
wenn GAS-Patienten dann Hilfe suchen leiden sie meist
schon unter weiteren Störungen
Verlauf und Prognose
Gründe für die späte psychotherapeutische Hilfe:
z
z
z
nicht mangelnde Beeinträchtigung (Studien von
Kessler et al.,1999 und Maier et al., 2000)
exzessive Sorgen werden nicht als Zeichen einer
psychischen Störung wahrgenommen
“Sorgen hat jeder”
häufig wird zunächst Hausarzt wegen körperl.
Symptome aufgesucht Æ erkennt Störung nicht
Æ Auswirkungen: GAS-Patienten zeigen oft
komplexes Störungs- und Symptombild
Differzialdiagnostik
a. Art der Sorgen
z
Definition der Sorgen:
Æ Sorgen im Mittelpunkt der Störung:
- Zentral für das Verständnis der Störung und deren
Diagnose.
Æ Pathologische Sorgen:
- Kriterium, an dem die GAS diagnostiziert wird und
Ansatzpunkt der Therapie.
- Gedankenketten, die sich mit mögl., zukünftigen
Situationen mit negativem Ausgang beschäftigen.
Differzialdiagnostik
a. Art der Sorgen
z
Definition der Sorgen:
- Angst als Begleitgefühl
└> negativ, belastend und schwer kontrollierbar
- Ursprüngliche Funktion der Angst:
└> Hilfe um Probleme zu lösen
└> Bei GAS – Patienten verloren
└> Aversive Situationen werden
durchgespielt, bleiben aber ohne Lösung.
Æ Gefühl der Hilflosigkeit wird so verstärkt.
Differzialdiagnostik
a. Art der Sorgen
z
Typische Inhalte der Sorgen:
Æ Nur wenige Unterschiede zu Sorgen Gesunder
Menschen (Familie/ Beziehung/ Finanzen).
└> Sorgen werden bei GAS gleichermaßen als
realistisch eingeschätzt.
Æ Unterschiede nur im Bezug auf ``Daily Hassles``
Differzialdiagnostik
a. Art der Sorgen
z
Typische Inhalte der Sorgen:
Æ GAS vs. Panik – Patienten:
└> GAS: Erwartung „mentale Katastrophen“
(soz. Konflikte, eigene Inkompetenz oder
Sorgen um andere, kleinere Dinge)
└> Panik: Erwartung körperlicher Katastrophen
(eigene Krankheit, Verletzungen, Tod)
Differzialdiagnostik
a. Art der Sorgen
z
Typische Inhalte der Sorgen:
Æ Insgesamt: Unterschiede eher im Ausmaß der
Sorgen, also der Zeit die sie bei GAS –
Patienten einnehmen.
└> Studien: - GAS :6 – 10 Std. tägl. (60% / Tag)
- Gesunde:
nur 18% / Tag
Æ Die Sorgen bei GAS – Patienten sind exzessiv!
Differzialdiagnostik
a. Art der Sorgen
z
Typische Inhalte der Sorgen:
- Subj. geringe Kontrollierbarkeit.
- höhere emotionale Belastung durch die Sorgen.
└> GAS- Patienten versuchen ihre Sorgen aktiv zu
kontrollieren, bleiben aber trotz ausgefeilter
Strategien langfristig erfolglos.
Æ Sorgen über die Sorgen! („Metasorgen“)
Æ Führen zu der Angst, dass das exzessive Sorgen
schadet, bzw verrückt macht.
Differzialdiagnostik
a. Art der Sorgen
z
Typische Inhalte der Sorgen:
- Weiteres klinisches Merkmal: „Sorgensprünge“
└> d.h. GAS – Patienten springen von einer Sorge zur
nächsten, ohne eine Sorge wirklich zu durchdenken.
- Starkes „Katastrophisieren“:
└> gehen davon aus, dass sie weniger Ressourcen
besitzen , um Probleme zu lösen
Æ Gefühl von Kontrollverlust
Differzialdiagnostik
b. Abgrenzungen
Differzialdiagnostik
b. Abgrenzungen
z
GAS vs Sorgen bei Gesunden:
Æ Abgrenzung der Sorgen mittels DSM – IV – Kriterien
└> Zeitraum
└> Kontrollierbarkeit
└> Körperliche Symptome
Differzialdiagnostik
b. Abgrenzungen
z
GAS vs andere Angststörungen:
Æ i.d.Regel kein situativer Auslöser.
└> evtl. kein Vermeidungsverhalten.
Æ GAS und Panikstörung: ähnlich, da beides
Zustandsängste.
└> Aber: Bei GAS keine Panikanfälle.
└> Kann beides zusammen diagnostiziert werden.
Æ Sorgen spielen bei anderen Angststörungen nur eine
untergeordnete Rolle (weniger aversiv).
Differzialdiagnostik
b. Abgrenzungen
z
GAS vs Zwangsgedanken:
Æ zwar ebenfalls nicht bzw. schwer zu kontrollieren und
aversiv.
└> Aber Unterschiede in Thematik (unrealistisch) und
Stereotypen (keine Gedankenketten, sondern immer
gleichen Gedanken).
└> Werden i.d.R. neutralisiert.
Differzialdiagnostik
b. Abgrenzungen
z
GAS vs Depression:
Æ Schwer, die Rumination beider voneinander
abzugrenzen.
└> Grübeln und Sorgen oft gemeinsam
Æ Anhaltspunkte: - Eher auf Vergangenes gerichtet
- Eher depressiv, niedergeschlagen
Æ Diagnose: nur eines von beiden (wenn beides, dann
schwere depressive Störung).
Differzialdiagnostik
b. Abgrenzungen
z
GAS vs Hypochondrie:
Æ Bei GAS auch häufig hypochondrische Befürchtungen
└> aber eher auf die Gesundheit und Auswirkungen
von Krankheiten an sich gerichtet.
(vgl. GAS: allgemeine Sorgen)
Differzialdiagnostik
b. Abgrenzungen
z
GAS vs Organische Ursachen:
Æ Schilddrüsenüberfunktion oder Medikamente
└> evtl. GAS-ähnliche Zustände
Æ Auch bei deren Absetzung oder Entzug
└> Erst wenn Ängste zu lange, oder zu intesiv
könnte eine GAS vorliegen.
Komorbidität
Æ GAS sehr häufig zusammen mit anderen psychischen
Störungen (v.a. in klinischen Stichproben!).
└> Analysen: nicht höher als bei anderen
Angststörungen.
Æ Hohe Komorbidität: wichtiger Anlass für das Hilfesuchverhalten von GAS – Patienten.
Komorbidität
z
Implikationen:
Æ GAS – Patienten suchen meist nicht wegen ihrer
Sorgen Hilfe auf.
└> Oft erst wegen schwerwiegenderer Störungen.
(z.B. Depression, Schlafstörungen etc.)
└> GAS oft nicht die primäre Störung!
└> Lässt sich nicht automatisch mitbehandeln.
Die Sorgen bleiben oft bestehen, oder treten
wieder auf Æ erhöhtes Rückfallrisiko!
Komorbidität
z
Implikationen:
Æ Eine gut Abstimmung der Intervention für ggf.
komorbide Störungen ist erforderlich!
Æ Ermutigend: Mitbehandelte Angststörungen gehen
auch zurück.
└> Studie mit Panikpatienten:
Die komorbide GAS reduzierte sich von 26%
auf 9% durch die Behandlung.
Komorbidität
Störung
Häufigkeit bei GAS-Patienten
Major Depression
6 - 46%
Dysthymie
6 - 27%
soziale Phobie
16 - 59%
spezifische Phobie
16 - 56%
Komorbidität
z
Allgemein:
Æ 85 – 91% haben min. eine weitere Diagnose.
Æ Häufige zweite Diagnosen:
- Spezifische Phobie
- Sozialphobie
└> zeitlich vor der GAS
- depressive Störung
└> eher als Folge der GAS
Komorbidität
z
Substanzen:
Æ Kein deutlicher Zusammenhang zu Substanz Störungen.
z
Psychosomatik:
ÆBisher kaum beachtet: Zusammenhang von GAS und
körperlichen Erkrankungen,
obwohl in etlichen Studien
bereits nachgewiesen.
Komorbidität
z
Fazit:
- GAS – Patienten haben oft mehrere Störungen und…
- …deren Sorgenproblematik ist sehr komplex.
Æ GAS – Behandlung besondere Herausforderung!
Diagnostische Verfahren
z
Allgemeines:
- 60er Jahre: neues Konzept „worry“
└> kognitive Komponente von Prüfungsangst
- 80er Jahre: „worry“ wird in DSM–III-R als Differenzialkriterium für GAS aufgenommen.
└> Hauptmerkmal: unrealistische oder übertriebene
Angst und Besorgnis bzgl.
zweier oder meherer
Lebensumstände.
Æ Drei Inventare zur Erfassung von „worry“…
Diagnostische Verfahren
z
PSWQ (Penn State Worry Questionaire) Meyer, Miller, Metzger & Borkovec `90
Æ Stammt aus klinischem Bereich
Æ Items: - Anzahl: 16
- Inhalt: von Zeit und Situation unabhängig.
- Bezug: Aspekte der Intensität, Exzessivität
und Kontrollierbarkeit von Sorgen.
- Skala: 5 – stufig („not at all typical of me“[1]
- „very typical of me“ [5])
Æ Beispiel-Item: „Viele Situationen machen mir Sorgen“
Diagnostische Verfahren
z
PSWQ (Penn State Worry Questionaire) Meyer, Miller, Metzger & Borkovec `90
Æ Ergebnisse:
- Interne Konsistenz: Cronbach a =.91-.95 (Original)
- Trennschärfen: bis auf ein Item alle über .20
- FA: Zwei Faktoren (1. genereller F., 2. meth. F.)
Æ Ergebnisse gut!
Æ Einziger der „WAKE“ erfasst (klinisch relevant)
Diagnostische Verfahren
z
SWS (Student Worry Scale) Davey et al. `92
Æ Items: 52 Vpn (Studenten) schrieben Sorgen auf
└> Inhaltsanalyse (Experten)
└> 10 Inhaltsbereiche Æ Items
└>Bsp: Finanzielle Angelegenheiten
└> Pro Item vier – stufige Skala
(„almost never“[1] … almost always[4])
Diagnostische Verfahren
z
SWS (Student Worry Scale) Davey et al. `92
Æ Ergebnisse:
- Interne Konsistenz: Cronbach a =.68 (Original)
- Trennschärfen: nicht sehr gut (3 von 10 entfernt)
- FA: Struktur unklar
Æ Ergebnisse enttäuschend.
Diagnostische Verfahren
z
WDQ (Worry Domains Questionaire) Tallis, Eysenck & Mathews `92
ÆItems: gebildet aus einem Pool von ursprünglich 155
konkreten Sorgen.
└> Einschätzung der Intensität und Häufigkeit
└> Clusteranalyse Æ 6 Cluster identifiziert
└> davon 5 übernommen…
└>… Inhalt: Relationships, Lack of Confidence,
Aimless Future, Work Inkompetence,
Financial.
Diagnostische Verfahren
z
WDQ (Worry Domains Questionaire) Tallis, Eysenck & Mathews `92
└> Aus jedem Cluster 5 repräsentativsten Items
ausgewählt und Reihenfolge randomisiert.
Æ 25 Items (Bsp.: „Ich mache mir Sorgen, …
dass mein Geld nicht reicht.“)
└> Skala: fünf – stufig („not at all“ [0]...“extremely“[4])
Æ Ergebnisse:
- Interne Konsistenz: Cronbach a =.92 (Original)
- Trennschärfen: gut, alle Items über .20
- FA: nur vier statt fünf Faktoren repliziert
Diagnostische Verfahren
z
Vergleich:
- PSWQ: „unspezifische Sorgen“
- SWS und WDQ: einzelne Probleminhalte
└> SWS: Häufigkeit und größere Bereiche
└> WDQ: Intensität und Konkrete Inhalte
+erst später zusammengefasst
- Korrelation: SWS + WDQ = .68
└> höher als ihre jeweilige mit dem PSWQ
- Geschlecht und Alter: - keine Geschlechtseffekte
- negative Korr. mit Alter
Æ je älter, desto weniger Sorgen.
Diagnostische Verfahren
z
Metakognitionsfragebogen (MKF) Hoyer, J., Gräfe, K. `99
- Originalpublikation: Metacognitions Questionnaire
(MCQ) Cartwright-Hatton, S., Wells, A. `97
= Selbstbeschreibungsinventar für metakognitive
Annahmen & Prozesse / Dimensionen v. Metakog.
└> meta-worry = Kennzeichen path. Sorgen
└> metakognitives Modell (Wells, 1995/99):
sowohl positive (Problemlösestrategie) als
auch negative (Kontrollverlust) Annahmen
über Sorgen seitens der Patienten
Diagnostische Verfahren
z
Metakognitionsfragebogen (MKF) Hoyer, J., Gräfe, K. `99
- Originalitems aus 2 Quellen:
1. halbstrukturiertes Interview (25 Studenten)
2. Mitschriften von Gesprächen mit Therapiepatienten
└> mittels FA wurden längere Versionen revidiert zu
einer endgültigen Version mit 65 Items (4-fach
abgestuft Æ siehe Exemplar)
Diagnostische Verfahren
z
Metakognitionsfragebogen (MKF) Hoyer, J., Gräfe, K. `99
- Faktorenstruktur:
└> Hauptkomponentenanalyse Æ 5-FaktorenLösung (38,7% Varianzaufklärung):
Æ Skaleninterkorrelationen sprechen für empirische
Unterscheidbarkeit der Faktoren
Diagnostische Verfahren
z
Metakognitionsfragebogen (MKF) Hoyer, J., Gräfe, K. `99
└> Reliabilität:
- interne Konsistenz: Cronbach a = .78 -.93
(deutsche Version)
- Retestreliabilität: rtt = .94
└> Validität:
- moderat positive Korrelationen der Originalversion
mit anderen Skalen, wie STAI, AnTI
- positive signifikante Korrelationen der Subskalen
des MKF mit Angst (BAI) und Depression (BDI)
zwischen .43 und .63
Quellen:
z
z
z
z
Becker, E.S. & Hoyer, J. (2005). Generalisierte
Angststörung. Göttingen: Hogrefe
Hoyer, J. & Margraf, J. (2003). Angstdiagnostik:
Grundlagen und Testverfahren. Berlin: Springer
Davison, G.C., Neale, J.M. & Hautzinger, M. (Hrsg.)
(2001). Klinische Psychologie
Stöber, J. (1995). Besorgnis: Ein vergleich dreier
Inventare zur Erfassung allgemeiner Sorgen. Zeitschrift
für Differenzielle und Diagnostische Psychologie, 16, 5063.
Soziale Phobie
Referenten:
Moritz Susewind &
Jacques Chlopczyk
Gliederung
•
•
•
•
•
•
Beschreibung des Störungsbildes
Epidemiologie
Verlauf und Prognose
Differentialdiagnose
Komorbidität
Diagnostische Verfahren
Definition des Konzeptes FRÜHER
Soziale Ängste
Soziales Kompetenzdefizit (Marks,
1987)
Sozialphobie (im engeren
Sinne) (Marks, 1987)
Weiß nicht, wie man ein Gespräch
beendet, wie man sich in bestimmten
Situationen verhält.
Ängste in Bezug auf eine oder
mehrere soziale Situationen,
trotz normaler sozialer
Fertigkeiten
Schüchtern, ganz allgemein
Probleme im Umgang mit anderen
Menschen.
Schüchternheit kann vorhanden
sein, muss aber nicht
Starkes allgemeines
Vermeidungsverhalten in Bezug auf
soziale Situationen
Ausgeprägte physiologische
Reaktionen bei Konfrontation
mit phobischer Situation
HEUTE: DSM IV + ICD 10
Soziale Ängste
Vermeidend unsichere
Persönlichkeitsstörung
Spezifische Soziale Phobie
DSM-Kriterien sind in
einzelnen sozialen Situationen
erfüllt
Generalisierte Sozialphobie
DSM-Kriterien sind in den
meisten sozialen Situationen
erfüllt (mindestens 3)
DSM IV Kriterien
A: Dauerhafte, übertriebene Angst
vor einer oder mehreren sozialen
Situationen oder
Leistungssituationen.Befürchtung,
dass Verhalten oder
Angstsymptome
peinlich/demütigend sind.
B: Konfrontation mit gefürchteten
Situation ruft fast immer
unmittelbare Angst hervor (kann
wie Panikanfall aussehen)
C: Person sieht ein, dass Angst
übertrieben und unvernünftig ist
D: Vermeidung der gefürchteten
Situation(en) oder intensive Angst
wenn nicht vermieden
E: Das Vermeidungsverhalten oder die Angst
beeinträchtigen deutlich die normale
Lebensführung, schulische, beruflich oder
soziale Funktionsfähigkeit
F: Bei Personen unter 18 Jahren hält die
Phobie über mindestens 6 Monate an.
G/H : Substanzwirkung, organische
Erkrankung oder andere psychische Störung
können ausgeschlossen werden
PROBLEM - Überlappung
70-89% generalisierter Sozialphobiker haben eine
Vermeidend-Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
20-25% spezifischer Sozialphobiker haben eine
Vermeidend-Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
Fazit soziale Angst ist ein
Kontinuum
Jump
back
Epidemiologie
• Prävalenz
• Besondere kulturelle, Alters- und
Geschlechtsmerkmale
• Erstauftrittsalter
• Verlauf und Prognose
• Risikofaktoren
Prävalenz
• Lebenszeitprävalenz: 3% - 13% (DSMIV)
• Stichprobenzusammensetzung
• Diagnostische Schwellen und Kriterien
• Auswertungsmethoden
➢
Jahresprävalenzrate: 7,9% (Stangier et al.,
2003)
➢
Neben spezifischer und Agora-Phobie die
häufigste Angststörung
Prävalenz
• Subtypen der sozialen Phobie
Nicht-generalisierter Subtyp: 60% (davon
36% Redeangst)
Generalisierter Subtyp: 40%
Im klinischen Kontext ist der generalisierte
Subtyp häufiger (Lieb & Müller, 2002)
Welweite Verbreitung und
kulturelle Merkmale
• Prävalenzraten niedriger in asiatischen
Ländern
• Skandinavien, USA > Deutschland > Italien,
Spanien
• Interkulturelle Unterschiede beim Störungsbild
kulturelle Einflüsse (kollektivistische
Kulturen)
-
Gründe?
-
Bevölkerungsdichte
vielleicht aber auch Unterschiede in
den Erfassungsmethoden
-
Geschlechtsspezifische
Merkmale
➢
➢
Epidemiologische und Bevölkerungsstudien: fast
gleiche Prävalenzraten bei Männern und Frauen
(in manchen Studien wurden jedoch erhöhte
Prävalenzraten bei Frauen festgestellt, Lieb &
Müller, 2002)
klinische Stichproben: Prävalenz bei den
Geschlechtern gleich oder Häufung bei Männern
Erstauftrittsalter
➢
➢
➢
75% vor dem 16. Lebensjahr
Selten nach dem 25. Lebensjahr
Befunde weisen darauf hin, dass der
generalisierte Subtyp früher auftritt
Verlauf und Prognose
➢
➢
➢
Chronischer Verlauf (im Schnitt 20 Jahre)
Häufig suchen Betroffene keine Hilfe („die
stille Störung“, Stangier et al., 2003)
funktionale Beeinträchtigung durch aktuelle
Belastungsfaktoren und Anforderungen
Verlauf und Prognose
➢
➢
➢
Bei Sozialphobikern besteht eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit, dass weitere Störungen
auftreten
Zunehmende Verschlechterung (insbesondere
wenn Komorbiditäten vorliegen)
Selten spontane Remissionen
Verlauf und Prognose
✔
✔
✔
Günstige Faktoren
Höheres Bildungsniveau
Späterer Beginn (nach dem
11. Lebensjahr)
Abwesenheit von
komorbiden Störungen
Risikofaktoren
• Positive
Familienanamnese
• Temperament
(Behavioral Inhibition)
• Geringerer
sozioökonomischer
Status
Differentialdiagnostik
Tiefgreifende
Persönlichkeitsstörung,
schizoide Persönlichkeit
Panikstörung mit Agoraphobie
Nicht auf soziale Situationen beschränkt
Beginnt mit plötzlichen Panikattacken
Vermeidung sozialer Situationen,
weil kein Interesse an anderen
Menschen besteht
Vermeidend
selbstunsichere
Persönlichkeitsstörung
Ist eine
Persönlichkeitsstörung, die oft
die Patientengruppe der
generalisierten Sozialphobie
beschreibt
Agoraphobie ohne
Panikstörung,
generalisierte
Angststörung,
spezifische Phobie
Störung mit
Trennungs
angst
Angst vor der
Trennung von
einer Person
Angst und
Vermeidungsverhalten
auch in Situationen, die
nicht mit sozialer
Berwertung zu tun haben
Komorbidität
• Komorbide Störungen
• Zeitliche Komorbiditätsmuster
Komorbidität
Zeitliche Komorbiditätsmuster
➢
➢
Es liegen erst wenige Längsschnittstudien
vor
Die vorhandenen Befunde weisen jedoch
darauf hin, dass die soziale Phobie
anderen Störungen vorrausgeht (in 75%
der Fälle, Stangier, 2003)
Soziale Phobie ist ein bedeutender Risikofaktor
für die Ausbildung anderer psychischer
Störungen
Diagnose sozialer Phobien
• Wichtige Punkte bei der Diagnose
sozialer Phobien
• Diagnostische Verfahren
• Therapieevaluation
Diagnose sozialer Phobien
• Psychologische Konzeptionen sehen die
soziale Phobie als Endpunkt eines
Kontinuums der sozialen Angst (Orientierung
an der funktionalen Beeinträchtigung, Stangier
& Fydrich, 2002)
• Abgrenzungsprobleme aufgrund der hohen
Komorbitätsraten
Diagnostische Verfahren
●
Liebowitz-Soziale-Angst-Skala (LSAS)
●
Ratingskala Soziale Angst (RSK)
●
●
Social Interaction Anxiety Scale (SIAS)und
Social Phobia Scale (SPS)
Soziale Phobie und Angst Inventar (SPAI;
Fydrich, 2002)
LSAS – Liebowitz-Soziale-Angst-Skala
ƒ Derzeit beliebtestes
Fremdrating
ƒ Erfasst klinische Symptome
und Verhaltensmerkmale der
sozialen Phobie
Leistungssituationen
Soziale Interaktionen
- Einen Test / Examen machen
- eine Party zu geben
- vor anderen Leuten sprechen
oder auftreten
- Menschen, die sie nicht gut kennen
in die Augen schauen
11 Items
13 Items
Vermeiden sie es...?
Haben sie Angst...?
Gütekriterien der LiebowitzSoziale-Angst-Skala
Testkonstruktion nicht mit
Hilfe von Itemstatistiken
(Liebowitz 1987)
Itemanalysen später
nachgeliefert (Heimberg
1999)
¾Homogenität: .58 -.87
¾Trennschärfe: .85 - .91
¾Cronbach: .91
Liebowitz selbst ordnete
die Items ad hoc den
Skalen
„Leistungssituationen“ und
„Soziale
Interaktionssituationen“ zu
Konfirmatorische
Faktorenanalyse
(Safren, 1999)
> 2-Faktor-Struktur nicht
bestätigt!
Konstruktvalidität der LSAS
SIAS (.54)
Beck
Depressions
inventar
(.47)
LSAS
SPAI (.65)
Symptomcheckliste-90-R
(.42)
Ratingskala Soziale Angst
ƒ Erfasst soziale Fähigkeiten anhand einer konkreten
Situation
3 Minuten-Gespräch
mit unbekannter Person
des anderen Geschlechts
Videoaufzeichnung
Auswertung mit
Beobachtungsystem
ƒ Blickkontakt
ƒ Stimme & Sprache
ƒ Sprechdauer
ƒ Körperliche Unruhe
ƒ Konversationsfluss
Sehr schlecht
Sehr gut
Gütekriterien
Reliabilität
Bei gut trainierten
Beobachter (15
Stunden Training)
Gute bis sehr gute
Intraclasskorrelationen
zwischen
verschiedenen
Beurteilern (r ic= 0.76,
0.75, 0.82, 0.80, 0.95)
Konstruktvalidität
SPAI (.55)
Ratingskala
Soziale Kompetenz
Beck Angst
Inventar (.25)
Social Interaction Anxiety Scale (SIAS)und
Social Phobia Scale (SPS) (Beide Stangier et
al., 1999)
➢
➢
➢
➢
Social Interaction Anxiety Scale erfasst
Angst in Interaktionssituationen
Social Phobia Scale erfasst Angst in
Leistungssituationen
Beide Skalen sollten gemeinsam vorgelegt
werden
Beide Skalen weisen Änderungssensivität auf
Social Interaction Anxiety Scale (SIAS)und
Social Phobia Scale (SPS)
➢
➢
➢
➢
Jeweils 20 Items; 5-stufige Likert-Skala
Sehr hohe innere Konsistenzen und TestRetest-Reliabilitäten (Stangier et al., 1999)
Gute Diskrimination von Sozialphobikern
und der KG (ohne psychische Störung)
Schlechtere Diskrimination von
Sozialphobikern vs. verschiedene
Störungsgruppen (wahrscheinlich wegen
hoher Komorbiditätsraten, insb.
Depression)
Soziale Phobie und Angst Inventar (SPAI;
Fydrich, 2002)
➢
➢
Erfasst kognitive und somatische
Symptome der Sozialen Phobie
Besonderheit: es werden Reaktionen auf
soziale Situationen in Abhängigkeit der
anwesenden Personen erfasst
Soziale Phobie und Angst Inventar (SPAI;
Fydrich, 2002)
➢
➢
➢
Gute Reliabilitätswerte (Test-RetestReliabilitätswert rtt=.82)
Innere Konsistenz (je nach Stichprobe)
zwischen α=.93 bis α=.96
Inhaltsvalidität durch Expertenvalidierung
gesichert, außerdem gute Korrelationen mit
Skalen zur sozialen Angst/Phobie
Therapieevaluation
• Verfahren, die nach Stangier et al.
(2003) zur Therapieevaluation geeignet
sind:
✔SPAI
✔SIAS / SPS
✔Einschätzung der Schwere der
Beeinträchtigung (z.B. mit dem DIPS (1994)
✔SKID
✔Beck-Depressions-Inventar (BDI,
Literatur
Die Welt der Zwänge
Referentinnen:
Dorothea Ehrlich und Elisabeth Bohm
Seminar:
Störungsbilder 2006
1
1.) Einführung
ƒ
Zeremonielle, Rituale, Tabus, magisches Denken, aber auch
Zwänge gehören in den meisten Kulturen zum Alltagsleben
und zur menschlichen Entwicklung
ƒ
"normale" Zwänge sind für die Bewältigung des täglichen
Lebens unerlässlich und werden auch entsprechend anerzogen
und gefördert
Exkurs: Entwicklung
ƒ
ƒ
zwanghafte oder zwangähnliche Verhaltensmuster als eine Art
Gerüst auf der Suche nach Struktur und Ordnung
Rituale bei Kindern
2
1.) Einführung
Fallen Euch Beispiele für „normale“ Zwangsphänomene ein?
3
1.) Einführung
Fallen Euch Beispiele für „normale“ Zwangsphänomene ein?
„
„
„
„
„
„
„
Plötzlich auftretende Gedanken wie, „ Habe ich die Kaffeemaschine
ausgemacht?“
den Herd ausgemacht
die Tür abgeschlossen
das Auto abgeschlossen
alle Fenster zu
Doro zieht alle Stecker raus wenn sie verreist
ich muss immer die Kragen anderer Leute richtig rücken und die Schilder
von Pullis wieder reinstecken, wenn sie rausgucken und mindestens 3x
gucken ob ich auch wirklich den Schlüssel eingesteckt habe
4
1.) Einführung
„
solche Gedanken lösen Unruhe oder Anspannung aus, die
mittels gegensteuernder Gedanken neutralisiert werden
„
je mehr man versucht diese Gedanken zu verdrängen, desto
hartnäckiger drängen sie sich ins Bewusstsein, und es entsteht
der Zwang , die Spannung zu reduzieren, indem man nachsieht
„
eine ganze Reihe harmloser Hobbys können unter Umständen
an eine Zwangsstörung erinnern (Sammelleidenschaft)
„
Bei Patienten mit Zwangsstörung geraten die eben
aufgezählten Gedanken und Handlungen außer Kontrolle
5
1.) Einführung
ƒ
erste Ängste und Zwänge als eine Art persönlichen
Aberglauben
ƒ
in diesem Stadium Symptome noch nicht als besonders
belastend, leisten Widerstand
ƒ
häufig verursacht durch Konflikte oder Lebenskrisen beginnen
dann jedoch die ersten Beeinträchtigungen
ƒ
die Angst vor der eigenen Angst hindert die Betroffenen
daran, ihr zwanghaftes Verhalten vollständig zu unterlassen
6
1.) Einführung
ƒ
dieser Kampf kostet viel Energie und führt häufig zu einer
totalen Erschöpfung
ƒ
Betroffene können ihren Alltag immer schlechter bewältigen
ƒ
sie fühlen sich zudem oft niedergeschlagen, mut- und
hoffnungslos
ƒ
ziehen sich immer weiter aus ihrem sozialen Umfeld zurück
ƒ
durch eben diese soziale Isolierung erhält der Zwang
zusätzlich eine Sinnspendende und Zeiterfüllende Funktion
7
1.) Einführung
ƒ
führt zu Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, zu
beruflichen Problemen und zu Einschränkungen im sozialen
Bereich
ƒ
Der Übergang vom normalen Verhalten zu zwanghaften
Verhalten ist fließend
ƒ
Beginn der Zwangsstörung ist für viele nicht mehr
nachvollziehbar
ƒ
Die Betroffenen empfinden ihre Erkrankung selbst als
merkwürdig und peinlich und schämen sich dafür, was dazu
führt, dass sie sich verstecken und trotz großer Hilflosigkeit
keine Hilfe aufsuchen.
8
1.) Einführung
„
Bis in die 70er Jahre hinein galt diese Störung als eher selten
„
Sie war weder überzeugend erklärbar noch einer effektiven
Behandlung zugänglich
„
in den 80er Jahren hat sich die Situation verändert, durch das
Zusammenspiel von neurobiologischer Forschung und
neueren Entwicklungen in der Pharmakotherapie und
Verhaltenstherapie
„
Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie inzwischen
Standard und gezielter in der Anwendung
9
1.) Einführung
Allgemeine Definition
Menschen, die unter einer Zwangsstörung leiden, drängen sich wiederholt
Gedanken oder Handlungen auf, die sie zwar als unsinnig erkennen, sich
aber nicht gegen wehren können. Wird diesem Zwang nicht nachgegeben,
leiden die Betroffenen unter hoher Angst und Anspannung.
Kreislauf
10
DSM-IV-Diagnose einer Zwangsstörung (300.3) (verkürzte Darstellung)
A. Entweder Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen
Zwangsgedanken (1-4 müssen vorliegen):
1. Wiederkehrende und anhaltende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die als
aufdringlich und unangemessen empfunden werden und ausgeprägte Angst und
großes Unbehagen hervorrufen.
2. Die Gedankenimpulse oder Vorstellungen sind nicht nur übertriebene Sorgen
über reale Lebensprobleme.
3. Die Person versucht diese Gedankenimpulse oder Vorstellungen zu ignorieren
oder zu unterdrücken oder sie mit Hilfe anderer Gedanken oder mit Tätigkeit zu
neutralisieren.
4. Die Person erkennt, daß die Zwangsgedanken, -impulse oder – vorstellungen
eigene Gedanken darstellen.
„
Zwangshandlungen (1 und 2 müssen erfüllt sein):
1. Wiederholte Verhaltensweisen (Waschen, Ordnen, Kontrollieren) oder
gedankliche Handlungen (Beten, Zählen, Wöter wiederholen), zu denen sich die
Person gezwungen fühlt.
2. Die Verhaltensweisen oder gedanklichen Handlungen dienen dazu, Unwohlsein
oder Angst zu verhindern oder zu reduzieren oder gefürchteten Ereignissen und
der Situation vorzubeugen.
11
DSM-IV-Diagnose einer Zwangsstörung (300.3) (verkürzte Darstellung)
„
B. Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen werden vom Betroffenen
als übertrieben oder unbegründet angesehen.
„
C. Entweder Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen verursachen eine
erhebliche psychosoziale Beeinträchtigung und sind zeitaufwendig (mehr
als 1 Std pro Tag)
„
D. Andere psychische Störungen müssen ausgeschlossen sein.
„
E. Medizinische Krankheitsfaktoren und Drogen sowie Medikamente
müssen als Verursachung der Zwangsstörung ebenfalls ausgeschlossen
werden.
„
Zu spezifizieren ist ferner:
„Mit wenig Einsicht“: die Person ist nicht in der Lage, die Zwangsgedanken und
Zwangshandlungen als übermäßig oder unbegründet anzusehen.
12
ICD-10-Diagnose der Zwangsstörung (F 42)
Nach ICD-10 gibt es drei diagnostische Subtypen einer Zwangsstörung:
„
„
„
Zwangsstörung mit überwiegend Zwangsgedanken (F 42.0)
Zwangsstörung mit überwiegend Zwangshandlungen (F 42.1)
Mischtyp, in dem sowohl Zwangsdedanken als auch Zwangshandlungen
auftreten (F42.2)
ICD-10-Diagnose der Zwangsstörung (F 42) (verkürzte Darstellung)
„
„
„
„
„
„
„
„
A. Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen bestehen mindestens 2
Wochen lang.
B. Zwangsgedanken/-handlungen erfüllen die Punkte 1-4:
Zwangsgedanken/-handlungen werden als eigene Gedanken/Handlungen
und nicht als von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben.
Sie wiederholen sich dauernd, werden als unangenehm empfunden und
meist als übertrieben oder unsinnig erkannt.
Die Betroffenen versuchen, Widerstand zu leisten.
Die Ausführung eines (einer) Zwangsgedanken/-handlung ist unangenehm.
C. Die Zwangsgedanken/-handlungen führen zu einer massiven
psychosozialen Beeinträchtigung.
D. Häufigste Ausschlußkriterien stellen die Schizophrenie und die
affektiven Störungen dar.
13
1.) Einführung
„
In beiden Klassifikationssystemen werden Zwangsgedanken
und Zwangshandlungen sowie Mischtypen dargestellt; in ICD10 stellen diese jedoch eigene diagnostische Kategorien dar.
Die Konsequenz einer Zwangsstörung ist die erhebliche
psychosoziale Beeinträchtigung und Funktionseinschränkung,
sowohl im Beruf, familiär wie auch in den üblichen sozialen
Aktivitäten. Zwangsstörungen werden also per se als massive
Beeinträchtigung beschrieben.
„
Unterschiede im Zeitkriterium
„
Film ab
14
1.) Einführung
Zwangsformen
„
Unterschiede zwischen den verschiedenen Zwangsformen so groß, dass die
Betroffenen selbst nicht glauben, tatsächlich unter der gleichen Störung zu
leiden.
„
Das Verbindende zwischen ihnen ist jedoch, dass sie alle in irgendeiner
Form unkontrollierbare Gedanken und Impulse erleben.
„
Auch die Anzahl der Symptome schwankt von Person zu Person
(einige unter einem Zwang leiden, kämpfen andere gleich gegen eine ganze
Reihe verschiedener Zwangsstörungen)
15
1.) Einführung
Die häufigsten Formen werden nachfolgend kurz dargestellt, wobei die so
genannten Reinigungs- und Waschzwänge den größten
Anteil ausmachen
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Reinigungs- und Waschzwänge (Angst vor Infektion)
Kontrollzwänge
Wiederhol- und Zählzwänge
Sammelzwänge
Ordnungszwänge
Zwanghafte Langsamkeit
Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen
Wichtig!
Unterschied zwischen Zwangsgedanken und Gedankenzwängen
.
16
Reinigungs- und Waschzwänge
(Angst vor Infektion)
„
Die Betroffenen verspüren panische Angst oder Ekel vor
Schmutz, Bakterien, Viren sowie Körperflüssigkeiten oder ausscheidungen. Das damit einhergehende Unbehagen führt zu
ausgiebigen Wasch- und Reinigungsritualen. Dabei werden die
Hände, der gesamte Körper, die Wohnung oder auch der
verschmutzte Gegenstand stundenlang gereinigt und desinfiziert.
Der Ablauf der Rituale ist genau festgelegt. Kommt es zu
Unterbrechungen, so muss der Betroffene noch einmal von vorn
beginnen. Durch das ausgiebige Waschen wird jedoch der
natürliche Säureschutzmantel der Haut zerstört, und das führt zu
einer erhöhten Wahrscheinlichkeit sich tatsächlich zu infizieren.
17
Kontrollzwänge
„
Die zweitgrößte Gruppe der Zwangserkrankungen sind die so
genannten Kontrollzwänge. In diesem Fall fürchten die
Betroffenen, durch Unachtsamkeit und Versäumnisse eine
Katastrophe auszulösen. Aus diesem Grund werden technische
Haushaltsgeräte, Türen und Fenster sowie gerade gefahrene
Strecken immer wieder kontrolliert. Aber auch nach dem
wiederholten Überprüfen stellt sich bei dem Zwangserkrankten
nicht das Gefühl ein, dass jetzt wirklich alles in Ordnung ist. Oft
bitten die Betroffenen dann Familienangehörige oder Nachbarn,
ihnen bei der Kontrolle zu helfen. Auf diese Weise können sie
die Verantwortung abgeben und ihre Kontrollgänge schneller
beenden.
18
Wiederhol- und Zählzwänge
„
Die so genannten Wiederholzwänge bringen den
Betroffenen dazu, ganz alltägliche Handlungen - wie
beispielsweise Zähne putzen oder das Bettzeug
aufschütteln – immer eine bestimmte Anzahl lang zu
wiederholen. Bei einem Nichteinhalten seiner Regeln
befürchtete er, ihm selbst oder einer nahe stehenden
Personen könnte etwas Schlimmes zustoßen. Bei
Zählzwängen verspürt der Zwangskranke den Drang,
bestimmte Dinge wie Bücher im Regal, Pflastersteine
oder Badezimmerfliesen immer wieder zu zählen.
19
Sammelzwänge
„
„
Sammelzwängler haben Angst davor, aus Versehen etwas für sie
Wertvolles oder Wichtiges wegzuwerfen. Dabei fällt es ihnen
äußerst schwer, zwischen den für jeden Menschen wichtigen
Erinnerungsstücken und wertlosem Müll zu unterscheiden. Viele
sammeln darüber hinaus noch weggeworfene Gegenstände wie
alte Autoteile oder kaputte Haushaltsgeräte, um sie "irgendwann
mal" zu reparieren.
In den Medien wird seit einiger Zeit verstärkt über die so
genannten Messies berichtet. Die Betroffenen zeichnen sich
durch das so genannte „Verwahrlosungssyndrom“ aus. Ein
großer Teil von ihnen leidet zudem unter Sammelzwängen.
20
Ordnungszwänge
„
Die Betroffenen haben sich sehr strengen
Ordnungskriterien und – maßstäben
unterworfen. Entsprechend viel Zeit verbringen
sie täglich damit, ihre Ordnung penibel wieder
herzustellen. So stellen sie beispielsweise die
Konservendosen immer auf eine bestimmte Art
und Weise ins Regal oder sie achten darauf, dass
die Wäsche im Schrank exakt aufeinander liegt.
21
Zwanghafte Langsamkeit
„
Da die Zwangsrituale sehr viel Zeit verschlingen,
verlangsamt jede Zwangsstörung das Leben der
Betroffenen entsprechend. Bei einer kleinen
Untergruppe ist jedoch die Langsamkeit selber das
Problem. Sie benötigen Stunden für ganz alltägliche
Handlungen wie essen oder anziehen. Beim
Haarekämmen muss beispielsweise jedes Haar einzeln
gebürstet werden. Kommt der Betroffene dabei
durcheinander, so muss er wieder von vorne beginnen.
22
Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen
„
Aufdringliche Gedanken spielen bei den meisten
Zwangserkrankungen eine zentrale Rolle. Bei einer Untergruppe
der Betroffenen besteht der Zwang jedoch ausschließlich aus
aufdringlichen Gedanken. Diese haben meist aggressive ("Ich
könnte meine Frau schlagen"), sexuelle ("Ich könnte das
Nachbarskind sexuell misshandeln" oder "Ich bin homosexuell")
oder religiöse ("Ich könnte mich während des Gottesdienstes
blasphemisch äußern") Inhalte. Die größte Angst der
Betroffenen besteht darin, dass ihre Gedanken irgendwann
Realität werden könnten. Tatsächlich ist bislang kein Fall
bekannt geworden, wo ein Zwangskranker seine beängstigenden
Zwangsgedanken in die Realität umgesetzt hat.
23
Unterschied zwischen Zwangsgedanken und
Gedankenzwängen
„
„
Zwangsgedanken (die Aufputscher) sind
unwillkürlich und rufen Unruhezustände hervor.
Sie schießen wie Geistesblitze ins Bewußtsein
und beunruhigen den Betroffenen.
Gedankenzwänge (die Beruhiger) dagegen sind
willkürlich. Sie werden von den Betroffenen
eingesetzt als Bewältigungstrategie, um Unruhe
und Ängste zu neutralisieren. (Wasch-, Kontrollund Ordnungszwänge > beruhigen)
24
2.) Epidemiologie
„
Studie in USA Anfang der 80er Jahre ergab eine überraschend hohe
Prävalenzrate für Zwangsstörungen
„
6 Monatsprävalenz von 1,6%
Lebenszeitprävalenz von 1,94% – 3,29%
Durchschnittswert von 2,5%
„
„
„
Damit ist die Zwangsstörung die vierthäufigste psychiatrische Erkrankung,
was sehr viel mehr ist als ursprünglich angenommen
„
In Deutschland sind ca. 1 MIO erkrankt, aber nur 10% in Behandlung und
„
„Nach Erhebungen der „Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen“
steht für etwa 8.000 Patienten gerade mal ein Therapeut zur Verfügung
.
25
2.) Epidemiologie
Geschlechterverteilung
„
ungefähr gleich verteilt, wobei in den meisten Studien der Frauenanteil
überwiegt, jedoch nicht signifikant
„
Unterschied der Geschlechter beim Beginn der Erkrankung >Männer
erkranken früher als Frauen und Männer leiden eher unter dem
Kontrollzwang und Frauen häufiger unter dem Waschzwang
26
2.) Epidemiologie
Alter bei Beginn der Zwangsstörung
„
Beginn der Krankheit im frühen Erwachsenenalter
„
oft nach einem belastenden Ereignis wie familiären Konflikten oder
Problemen am Arbeitsplatz
„
Altersangaben von 18 bis 26 Jahren, Durchschnittsalter bei 22 Jahren
„
Nach dem 40. Lebensjahr ist ein Beginn der Erkrankung unwahrscheinlich
„
Bei 85 Prozent der Zwangserkrankten sind die Symptome vor dem 35.
Lebensjahr voll ausgeprägt
„
Viele der Betroffenen haben sich zudem bereits in ihrer Kindheit
zwanghaft verhalten
27
2.) Epidemiologie
Erster Therapiekontakt
„
Der Beginn der Zwangsstörung verläuft meist schleichend
„
erst 7 – 7,5 Jahre nach Beginn der Störung erster Kontakt zu
therapeutischen Einrichtungen und ambulanten Therapien suchen
„
es gibt sogar Studien die von 10 und mehr Jahren ausgehen
„
Zu diesem Zeitpunkt sind sie meist um die 30 Jahre alt.
28
3.) Prognose und Verlauf
„
die meisten Literaturangaben gehen entweder von einem chronisch stabilen
Verlauf oder von Schwankungen aus, jedoch nie von Phasen in denen der
Patient Symptomfrei ist
„
Zwangssymptome können je nach Belastung und Befinden mal mehr und
mal weniger stark auftreten - in der Regel verschwinden sie aber nicht
einfach wieder
„
Zwangssymptome der meisten Betroffenen können auf ein erträgliches
Maß zurückgeschraubt werden - vollständig geheilt werden jedoch nur die
Wenigsten
„
die enorme Zeitspanne bis zum Beginn einer effizienten Behandlung wirkt
sich natürlich hinsichtlich der Prognose aus
29
3.) Prognose und Verlauf
Entstehung
„
Als Ursache kommen sowohl biologische als auch psychologische Faktoren
in Frage
„
Wie genau eine Zwangserkrankung entsteht, ist bislang noch unklar. In
Forschung und Therapie wird aber übereinstimmend davon ausgegangen,
dass sowohl biologische (zum Beispiel erbliche) als auch lern- und
lebensgeschichtliche Faktoren (zum Beispiel der Umgang mit Belastungen)
bei der Entstehung von Zwängen eine Rolle spielen.
„
Einige Theorien zur Entstehung seien kurz angeschnitten
30
3.) Prognose und Verlauf
Neurobiologische Erklärungsmodelle:
Biochemische Veränderungen:
„
veränderte Impulsübertragung im Gehirn
„
der chemische Botenstoff "Serotonin" scheint bei der Entwicklung von
Zwangserkrankungen eine Rolle zu spielen.
Vererbung:
„
Verwandten ersten Grades von Zwangserkrankten überproportional häufig
ebenfalls an Zwangs- beziehungsweise Angststörungen leiden.
„
Vererbt wird offenbar eine gewisse Anfälligkeit ("Vulnerabilität"), wenn
Angststörungen in der Familie eine Rolle spielen
31
3.) Prognose und Verlauf
Neurologische Veränderungen:
„
Verschiedene neurologische Erkrankungen – zum Beispiel Epilepsie,
Kopfverletzungen ("Schädel-Hirn-Traumata") oder Gehirntumore
„
Schädigung der "Basalganglien" wie beispielsweise der Tourette-Störung
32
3.) Prognose und Verlauf
Psychologische Erklärungsmodelle:
Verhaltenstheorie:
„
Zwangssymptome ein gelerntes und durch seine Konsequenzen verstärktes
Verhalten
„
wichtigste verstärkende Folge der Zwangshandlungen ist die Verringerung
von Spannungen und Ängsten
„
Erziehung sowie frühere oder aktuell belastende Lebensereignisse
„
Bei späteren Zwangserkrankten handelt es sich oft um unsichere Menschen
mit starken Selbstzweifeln und mangelnder Durchsetzungsfähigkeit (Bsp
Stresssituation auf Arbeit, Angst vor Fehlern)
33
3.) Prognose und Verlauf
Psychologische Erklärungsmodelle:
Kognitive Theorie:
„
Zwangserkrankte überschätzen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten
negativer Ereignisse grundsätzlich.
„
Je stärker eine Person unter einer Zwangserkrankung litt, umso schlechter
erinnerte sie sich an ihre eigenen Handlungen
34
3.) Prognose und Verlauf
Psychologische Erklärungsmodelle:
Psychoanalytische Theorie:
„
der Zwangserkrankte versucht sich mit Hilfe seiner Zwänge gegen unerlaubte
Impulse – wie sexuelle oder aggressive Triebkräfte - zu wehren
„
Symptome sind das Ergebnis eines ständigen Kampfes zwischen den
Triebregungen und den Abwehrmechanismen
„
Mit Hilfe seiner ritualisierten Verhaltensweisen versucht der Zwangserkrankte die
verbotenen Impulse auszulöschen
„
die Rituale können auch als Buße für konkretes Fehlverhalten dienen.
„
Ähnlichkeiten zwischen religiösen und zwanghaften Ritualen, deutet auf positive
Funktionen der Zwangssymptome
35
3.) Prognose und Verlauf
Psychologische Erklärungsmodelle:
Lerntheoretische Sicht
„
Beziehung zwischen Zwängen und Ängsten.
„
Entstehung von Zwanghandlungen als eine Form der Angstbewältigung
„
Angst bewältigen, indem man dem Zwang nachgibt, dadurch wird die
Angst reduziert und die Handlung wird wiederholt, weil dadurch das neue
Auftreten der Angst vermieden werden kann
„
Film ab
36
4.) Vorüberlegungen zu einer
Diagnostik
37
4.) Vorüberlegungen der Diagnostik
•
Großes Problem = die starke Verheimlichung des
Patienten (große Angst vor Ablehnung und Spott).
•
Rolle der Angst vor Bestrafung (dem Patienten das
Gefühl geben, verstanden zu werden)
•
Ambivalenz des Patienten. Einerseits Leidensdruck,
andererseits Angst vor Veränderung.
(Handlungsalternativen genau aufzeigen)
38
5.) Differentialdiagnostik
I) Abgrenzung Zwang – zwanghafte
Persönlichkeitsstörung
II) Abgrenzung Zwang – Schizophrenie
39
5.) Differentialdiagnostik
„
„
„
„
„
Spezifikation der Zwangsgedanken und Rituale
Klärung der Situationen, in denen Rituale auftreten,
auch beschwerdefreie Situationen erfassen
Erfassung von Fluktuationen und Schwankungen der
Beschwerden
Die Bereiche abklären, die durch Zwänge vermieden
werden
Versuch einer Identifikation von gedanklichen
Auslösern der Ängste und Rituale
40
5.) Differentialdiagnostik
„
Erstellung einer Hierarchie von Ängsten, die die
einzelnen Gedanken und Situationen auslösen
„
Die Erwartungen und Befürchtungen klären, die der
Patient mit dem nicht Ausführen des Zwangs verbindet
„
Klärung der familiären und partnerschaftlichen
Interaktion
„
Abklären und Erfassen, ob andere
psychopathologischen Zustände vorliegen
41
5.) Differentialdiagnostik
I) Abgrenzung Zwang - zwanghafte
Persönlichkeitsstörung
Zwanghafte Persönlichkeitsstörung:
„ Übermäßige Vorsicht als Ausdruck der tiefen
persönlichen Unsicherheit
„ Bedürfnis nach Kontrolle, Perfektionismus/
übermäßige Gewissenhaftigkeit
„ Leistungsbezogenheit
„ Eigensinn (andere müssen sich auf alle Fälle
unterordnen)
42
5.) Differentialdiagnostik
I) Abgrenzung Zwang - zwanghafte
Persönlichkeitsstörung
„
„
„
Die Verhaltensmuster sind zeit überdauernd, beginnen
in der Adoleszenz, sind nicht episodenhaft, wie bei der
Zwangsstörung.
Weniger als 10% der Patienten mit einer
Zwangsstörung weisen prämorbid oder komorbid eine
zwanghafte/ anankastische Persönlichkeitsstörung auf.
Es ist eine lebenslange Störung der gesamten
Persönlichkeit.
43
5.) Differentialdiagnostik
II) Abgrenzung Zwang - Schizophrenie
„
„
„
„
Wahnideen zeichnen sich häufig durch ihre
Beziehungslosigkeit zur Realität aus
Gedanken werden von einer höheren Gewalt auferlegt
Schizophrene weisen affektive und formale
Denkstörungen auf (unterbrochen durch psychotische
Schübe)
Zwangssymptome bei Schizophrenie, beim Gilles-de-laTourette-Syndrom und bei organischen psychischen
Störungen werden nicht als Zwangsstörung
diagnostiziert, sondern als Teil der entsprechenden
Störungsbilder betrachtet.
44
6.) Komorbiditäten
45
6.) Komorbiditäten
„
Depressionen ( ca. 1/3 der Zwangspatienten leiden an einer
klinisch relevanten Depression. Diese tritt in der Regel später auf
als die Zwangserkrankung)
„
Angsterkrankung ( oft begleitend, aber zu unterscheiden ist, dass
Zwangspatienten ihre Ängste als unsinnig erkennen während
GAS Patienten sie als bedrückend real empfinden)
„
Panikattaken ( mehr als die Hälfte aller Zwangspatienten leiden
darunter, meist verbunden mit der Zwangsbefürchtung, also der
Angst davor was passiert, wenn das Ritual unterlassen wird)
46
6.) Komorbiditäten
„
„
„
Phobien ( aber keine situationsbezogene Angst
oder Panik, eher Unruhe, Gereiztheit,
Unsicherheit, Scham; Phobiker können Vermeidungsgrund genau beschreiben, Zwangspatienten haben eher unpräzise, übertriebene
Ideen was passieren könnte)
Schizotypische Persönlichkeitsstörung
Depersonalisationsphänomene
47
7.) Schrittweise Diagnostik
a) Biographie und Lebenssituation
b) Persönlichkeitstests
c) Körperliche Untersuchung und Differentialdiagnostik
d) Verhaltensanalyse
e) Aufklärung (Vorbereitung auf Therapie)
48
7.) Schrittweise Diagnostik
a) Biographie und Lebenssituation
„
„
„
Anamnese ermöglicht das Verständnis für die
Zusammenhänge der Erkrankung
Gezielte Fragen zur familiären und
partnerschaftlichen Situation, zu seelischen
Erkrankungen in der Familie, zur Arbeit, zu
sozialen Aktivitäten, zu Lebensumständen und
zur finanziellen Situation
Der Patient legt hierbei die Reihenfolge fest
49
7.)Schrittweise Diagnostik
a) Biographie und Lebenssituation
„
„
Gespräche mit Eltern/ Familie sollen die
Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeiten in
der Vorgeschichte erfassen - Fremdanamnese.
Dadurch sind vor allem die Zwangshandlungen
erfassbar.
Zur Identifizierung der aufrechterhaltenden
Faktoren ist eine ausführliche Erfassung der
aktuellen Situation nötig.
50
7.)Schrittweise Diagnostik
b) Persönlichkeitstests
„
„
Bessere Erfassung der individuellen
körperlichen, psychischen und sozialen
Entstehungsbedingungen und der aktuellen
Problemsituation.
HZI (Hamburger Zwangsinventar)
FPI-R (Freiburger Persönlichkeitsinventar)
IPDE-Screening Bogen (international
personality disorder examination)
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7.) Schrittweise Diagnostik
c) Körperliche Untersuchung und
Differentialdiagnostik
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Zu jeder Diagnose gehört auch eine neurologische
Untersuchung, um z.B. die verschiedenen Funktionen
des Nervensystems zu prüfen, wie Sensibilität,
Bewegungssystem und Reflexe.
Eventuell auch nötig Blut abzunehmen, zur
Untersuchung von weißen und roten Blutkörperchen,
Entzündungszeichen, Elektrolyten, Blutzucker,
Schilddrüsen- und Leberwerte.
Beim Verdacht auf ganz bestimmte körperliche
Ursachen der Zwangsstörung könnte es auch sinnvoll
sein, EEG, CCT oder MRT anzuwenden.
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7.)Schrittweise Diagnostik
d) Verhaltensanalyse
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Bedingungsanalyse
Funktionsanalyse
Mikroanalyse der Leitsymptome
SORK- Schema:
S= Stimulusbedingungen
O= Organismusvariablen
R= Reaktionen (motorische, kognitiv, physiologisch,
emotional)
K= Konsequenzen (kurzfristig; langfristig)
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7.) Schrittweise Diagnostik
d) Verhaltensbeobachtung
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Negativ = in Anwesenheit des Therapeuten,
wird das Verhalten nicht so exzessiv gezeigt wie
sonst
Positiv = erste Konfrontation des Patienten mit
einer schwierigen Situation
Sehr aufwendig (lohnt sich jedoch)
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7.) Schrittweise Diagnostik
e) Aufklärung (Vorbereitung auf Therapie)
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Dem Patienten und oft auch Angehörigen wird im
Verlauf eines längeren Gesprächs die Ergebnisse der
Diagnostik ausführlich und verständlich mitgeteilt
Informationen bezüglich Symptomatik, vermuteten
Ursachen, anzunehmendem Verlauf,
Behandlungsmöglichkeiten und Prognose gegeben.
Hinweise zur Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle
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7.) Schrittweise Diagnostik
e) Aufklärung (Vorbereitung auf Therapie)
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Ziel ist es, aktiv mit dem Patienten zusammen zu
arbeiten, um die Behandlungsschritte in einem
individuellen Therapieplan festzulegen.
Zwangspatienten erleben großen Konflikt, einerseits die
subjektiv erlebten Notwendigkeit das Verhalten
beizubehalten und andererseits der Leidensdruck, der
durch das Verhalten entsteht.
Deshalb sollte vor dem Beginn einer Therapie große
Sorgfalt auf Vorbereitung und Motivation gelegt
werden.
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8.) Diagnostik
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8.) Diagnostik
Klinisches Interview
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Informationen über den Zustand des Patienten,
individuelle Schwierigkeiten und Probleme
Gibt den Stärkegrad, den Verlauf und die
Schwankungen wider
Bekannte Problembereiche untersuchen (die Themen
Verheimlichung, Manipulation, Vermeidung und
Motivation)
Führt zu einer Basis der Interaktion zwischen Klient
und Therapeut
Trichterartige Fragestellung
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8.) Diagnostik
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Das entscheidende diagnostische Kriterium ist
der Nachweis von Zwangsvorstellungen
und/oder Zwangshandlungen mit negativer
Auswirkung auf das psychosoziale
Funktionieren.
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9.) Probleme der Diagnostik
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9.) Probleme der Diagnostik
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Zwangsstörungen = sehr heterogene klinische Gruppe
Das Vorliegen der Kriterien lässt sich nicht mit der
wünschenswerten Genauigkeit überprüfen
Einsicht und Widerstand sind sehr unterschiedlich bei
den verschiedenen Patienten und unterliegen außerdem
noch situationalen und intraindividuellen
Schwankungen
Zwänge haben unterschiedliche Funktionen
(Unterscheidung zwischen zwanghaften Impulsen und
Strategien des Neutralisierens)
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9.) Probleme der Diagnostik
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Patientenselektion: Inwieweit stellen untersuchte
bzw. behandelte Zwangspatienten eine
einigermaßen unverfälschte Stichprobe aller
Zwangspatienten dar?
Filterung von Patienten im Forschungs- und
Behandlungskontext.
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Literatur
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Zaworka, W., Hand, J., Jauering, G. & Lünenschloß, K. (1983). Hamburger
Zwangsinventar (HZI). Weinheim: Beltz
„
Zaudig, M. (Hrsg.) : Die Zwangsstörung. – Stuttgart : Schattauer, 1998
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Lenz, G. (Hrsg.): Symposium Spektrum der Zwangsstöungen (1996, Wien):
Spektrum der Zwangsstörungen. – Wien : Springer, 1998
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http://www2.lifeline.de/yavivo/Erkrankungen/Zwangsstoerung/40Unersuc
hungen
http://www.zwaenge.de/diagnose/zwangsstoerung_formen.htm
http://www.onmeda.de/krankheiten/zwangsstoerungen.htm
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