Herr Dr. med. Roland Vauth

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5/13/2011
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Fachtagung „Sexualmedizin“ vom 12. Mai 2011: „Lust und
Unlust“
Lust und Lustlosigkeit aus
psychotherapeutischer Sicht
Verhaltens – und gestalttherapeutische Strategien
bei sexuellen Appetenzstörungen
Klassifikation
Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych Roland Vauth
Psychiatrischen Universitätspoliklinik Universitäre Psychiatrische Klinik Basel
Lehrsupervisor für Verhaltenstherapie
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Klassifikation
ICD 10
Mangel oder Verlust an
sexuellem Verlangen (F52.0)
Sexuelle Aversion (F52.10)
Mangelnde sexuelle
Befriedigung (52.11)
Mangelnde sexuelle
Befriedigung (F52.11)
Versagen geniataler
Reaktionen (F52.2)
Orgasmusstörungen F52.3)
Ejaculatio praecox (F52.4)
Nicht organische
Dyspareunie FF52.6)
Nicht organischer
Vaginismus (F52.5)
Gesteigertes sexuelles
Verlangen (F52.7)
DSM IV
Hypoactive sexual desire
disorder (302.71)
Sexual aversion disorder
(302.79)
Sexual arousal disorders
302.72
Orgasmic disorders 302.73.75
Sexual pain disorders
302.76, 306.51
Sexual dysfunction due to
general medical condition
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hypoactive sexual desire disorder
(DSM-IV-TR)
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Persistierender oder wiederkehrender Mangel oder Abwesenheit von
sexuellen Phantasien oder Wunsch nach sexuellen Handlungen
Kritik: physiologische Genitalreaktionen (z.B. Lubrikation) konstituierender
Bestandteil, obwohl meist nicht in Beschwerdepräsentation (dort eher
Lustlosigkeit oder Schmerz beklagt)
Aber beachte:
Einfluss: Alter, Geschlecht und Lebensstil
Subjektiver Leidensdruck und/oder resultierende
Partnerschaftsprobleme
darf nicht besser erklärbar sein durch irgendeine weitere Achse I Störung
darf nicht Folge von Medikamentennebenwirkung sein oder einer
köperlichen Erkrankung
Anders als bei sexuellen Aversionen, wo negative Emotionen wie Angst
und Ekel mit sexuellen Vorstellungen und Handlungen verknüpft sind,
sind sie hier grundsätzlich mit positiven Gefühlen verbunden.
Both et al 2010. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology, 31(4): 207–218
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Geschlechtsspezifische
Unterschiede
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Geschlechtsspezifische Unterschiede
Frauen zeigen allgemein geringer ausgeprägte Motivation zu
sexuellen Handlungen als Männer: Sie masturbieren seltener,
haben weniger häufig sexuelle Phantasien, haben seltener
Verlangen nach Sex und beklagen sich häufiger über die
geringere Sexualmotivation.1
Mangel an Sexualmotivationist2 die häufigste sexuelle Störung
bei Frauen, sie kann subjektiv (sexuelles Genusserleben)
und/oder objektiv (z.B. Lubrikationsmangel)
Geringes sexuelles Verlangen bei 20-30%, 50% davon als belastend
erlebt
Mangel an sexueller Erregung bei 11-31%
1Baumeister et al 2001. Personal Soc Psychol Rev ;5:242–273
2Both et al 2010. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology, 31(4): 207–218
Kontext sexueller Lustlosigkeit
Perspektive der Anreiz/Appetenz-Motivation
Modelle der Infprmationsverarbeitung
Bedeutung psychologischer Faktoren wie
Bewertungsprozesse
Stimmung
Kognition
Partnerschaft/Beziehungskontext
Hormone
Somatische Erkrankungen
Medikation
Both et al 2010. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology, 31(4):
207–218
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Voraussetzungen von sexuellem
Verlangen und Aktivitäten
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Kritik an den linearen Phasen-Theorien, die davon ausgehen, dass
sexuelle Bedürfnisse sexueller Erregung vorausgehen
Sexuelle Motivation ist eher begleitet von oder folgt der
Verarbeitung aktueller sexueller Stimuli (“Anreize” aus
Umgebung, oder Vorstellung) 1-3.
D.h. Aktivierung des Sexualsystems bleibt aus oder bricht ab,
sofern eine oder mehrere der folgenden Bedingungen verletzt sind3
a. Sexuelles Reaktionssystem muss intakt sein
b. Anwesenheit von Stimuli (Anreize aus Umgebung oder
sexuellen Phantasien), denen hinreichend attraktive sexuelle
Bedeutung zugeschrieben wird
c. Geeignete Umgebungsbedingungen, um sexuelle Aktivitäten
auszuführen
Ursachen sexueller Lustlosigkeit
1. Basson J Sex Marital Ther 2001;27:395–403
2. Both et al In Janssen E, editor. The psychophysiology of sex. Bloomington: Indiana University Press; 2007. pp 327–339;
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Beachte aber: Motive für sexuelle Aktivitäten sind vielfältig und
setzten nicht zwingend sexuelle Erregung oder sexuelles Verlangen
voraus1. Beispiele:
Körperlicher Genuss,
Zuneignung zeigen
Den Partner zufrieden machen
“Ehepflicht” erfüllen
Dabei -auch wenn diie wichtigsten 10 Motive im Wesentlichen
übereinstimmen- doch Tendenz geschlechtsspezifischer
Unterschiede
Männer eher körpernah motiviert (z.B. Wunsch, einen attraktiven
Körper zu betrachten),
Frauen eher beziehungsoriente Motive (z.B. Liebe zeigen)
Both et al 2010. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology, 31(4): 207–218
Meston CM, Buss DM. Why humans have sex. Arch Sex Behav 2007;36:477–
507.
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Psychologische Faktoren bei Lustmangel
1. Bewertungen von sexuellen Stimuli bei
Lustlosigkeit beeinflusst von
schwächeren und/oder negativeren Begleitemotionen
negativen Bewertungen von sexuellen Stimuli und/oder von
situativem Kontext der sexuellen Handlung aufgrund von
Routine und Variationsmangel
Lerngeschichte
negative Kopplungen
Mangel an positiver klassischer Konditionierung
negative Folgen wie Enttäuschung, Schmerzen beim Sex
oder Angst
Erfahrung sexueller Gewalt
lustfeindliche Einstellungen gegenüber Sex in
Herkunftsfamilie
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Both et al 2010. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology, 31(4): 207–218
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Voraussetzungen von sexuellem
Verlangen und aktivitäten
Both et al 2010. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology, 31(4): 207–218
3. Everaerd & Laan J Sex Marital Ther 1995;21:255–263.
.
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Prozessmodell sexueller reaktionen
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1. Biologische Faktoren: Erkrankungen wie z.B. Diabetes, NNR-Unterfunktion nach
Bestrahlung oder Chemotherapie, Ovarectomie;
2. Psychologische Faktoren: z.B. schwächere und negativere Begleitemotionen, negative
Bewertungen von sexuellen Stimuli (von situativem Kontext der sexuellen Handlung,
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Psychologische Faktoren bei Lustmangel
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2. Einflüsse negativer Emotionen und
Kognitionen
Depression -> Libidomangel (Antriebsmangel,
Freudlosigkeit, neg. kognitive Trias), bei rec.
depressiver Störung Lustmangel 3x so häufig
Negative Selbstbewertung
Spectatoring:
(off task focussing) vs. hot focus: sich auf
sexuelle Vorstellungen und die sexuellen
Reaktionen darauf konzentrieren
vermindern vs. erhöhen sexuelle Bedürfnisse bzw.
Reaktionen
Positives Feedback über körperliches
Aussehen erhöht sexuelle Erregung
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Teufelskreis dysfunktioneller
Bewertungsprozesse als Lustbremse
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Zweiprozessmodell sexueller Reaktionen:
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sexuelle Lerngeschichte bestimmt Bewertung sexueller Stimuli
Dysfunktionale
Kognitionen (“Gleich wird
bestimmt die Erregung
wegbleiben!”, “Ich bin
körperlich/sexuell
unattraktiv!”)
Reales Versagen
munitioniert
dysfunktionalen
Kognitionen
Sexuelle
Versagensangst
Fehlleitung der
Aufmerksamkeit auf
nicht Sex-assoziierte
Stimuli
(spectatoring)
mangelnde Entwicklung
oder Rückgang sexueller
Erregung
automatisch: präattentiv und
rasch
unter bewusster
Aufmerksamkeitszuwendung: steuernd
Sensitivität störbar, z.B. hormonell, Störbar durch Ablenkung und negative Gedanken
medikamentös, durch Erkrankungen
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Psychologische Faktoren bei
Lustmangel
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3. Partnerschaftsbezogene Faktoren
Wer weniger Lust hat ist auch unzufriedener mit der
Partnerschaft1
Wer sich enger verbunden fühlt und mehr Freudvolles in der
Partnerschaft insgesamt findet, hat auch mehr Lust2
Wer tagsüber mehr positive Interaktionen hat, hat häufiger
Sex2
Systemisch: Wer weniger will hat mehr Macht und Kontrolle
über die Emotionalität in der Partnerschaft
Normen und Werte über Sex und Partnerschaft haben
Einfluss3
Wer fängt an?, Müssen beide Lust haben?, Darf Sex im Alter noch
sein?
1. Dennerstein et al J Sex Med 2009;6:1668–1673.
2. Impett et al. J Pers Soc Psychol 2008;94:808–823
3. Everaerd et al. J Sex Marital Ther 1995;21:255–263.
Klassifikation
sexueller
Lustlosigkeit
Verhaltenstherapeutische
Problemanalyse
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Partner
Kontinuität
Spezifische Diagnostik
Situation
Sexuelle
Lustlosigkeit
Verlauf
Paargespräch bevorzugen
Spezifisch nach lustinduzierenden bzw. lustreduzierenden Stimuli
und Kontexten bzw. Gefühlen fragen
Klären warum lustinduzierende Stimuli und Situationen fehlen,
nicht aufgesucht oder gar gemieden werden,
z.B. weil nicht (mehr) akzeptabel oder angenehm, zu dichter oder
erschöpfender Alltag, Attraktivität von sich selbst oder Partner
Praktik
Beginn
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Erleben von Sex in Partnerschaft und bei Selbstbefriedigung
aktuell ?
Zufriedenheit mit der Partnerschaft allgemein?
Aktuelle Stimulationspraktiken?
Sexuelle Stimulation angemessen? -> Lubrikation, Erektion
Hinweise auf somatische oder psychische Erkrankungen?
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Sexualtherapeutische Interventionen
systematisch aufbauen
Das PLISSIT-Schema
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P= Permission
LI= Limited
Information
SS=Special
Suggestions
IT=Intensive Therapy
LI
Sexualtherapeutische
Interventionen
IT
Vauth et al 1999, Nervenarzt, 70 (1): 54-63
Vauth et al 2004, Nervenarzt, 75, 873-881
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Ansatzpunkte
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Anreiztheoretische Motivationsmodelle
sexuellen Verlangens begründen geringe Lust
und Erregbarkeit mit
Geringer Erregbarkeit des sexuellen
Reaktionssystems
Mangel an attraktiven sexuellen Stimuli
Störende kognitive und emotionale Einflüsse, die
Entstehung und Aufrechterhaltung sexueller
Erregung behindern
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Ansatzpunkte
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Daher richtet Sexualtherapie sich v.a. auf
Unterstützung des Paares in der Anwendung
(neuer) attraktiverer sexueller Stimuli, die stärker
erregen und so Sex wieder belohnender machen
Fördern angenehmer und Reduktion negativer
sexueller Gefühle
Verbesserung von Kommunikation und Intimität in
der Partnerschaft
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Gestalttherapeutische Konzepte
(Perls) als Hintergrundprinzipien
der Sexualtherapie
Gestalt – Kontakt und Feld :
Vordergrund, Hintergrund, das Ganze ist mehr als die Summe
seiner Teile
Konzentration – Gewahrsein und Achtsamkeit
Multisensorielles Erkunden
Existentialismus – Dialog und Ich-Du-Beziehung
Martin Buber: Hinwendung zum anderen Menschen auf gleicher
Ebene, bei der die Person in ihrer Einzigartigkeit wertgeschätzt
wird, ohne einen Zweck zu verfolgen
Kognitiv-verhaltenstherapeutische
Strategien der Sexualtherapie
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Über Wirksamkeit von Einzeltechniken lässt sich relativ wenig sagen,
da meist Behandlungspakete evaluiert 1
Wirksame Behandlungsstrategien behandeln paartherapeutisch und
nicht nur fokussiert auf mangelndes sexuelles Verlangen,
z.B. zielen sie auch auf Verbesserung von sexueller Erregung ,
orgasmischem Erleben und allgemeiner Zufriedenheit mit dem Sex
Bei verminderter Lust auf Sex Einsatz ähnlicher Strategien wie bei
Störungen der sexuellen Erregungsbildung2
mit Schwerpunkt auf Selbststimulationsübungen, die anschliessend als
Paarübungen ausgebaut werden :
Teaching,
Ermutigung zum Ausprobieren neuer Selbst- und
partnerschaftlicher Stimulationen
1. Kuile et al In: Sturmey P, Hersen M, editors. Handbook of evidence-based practice in clinical psychology, Vol. II: Adult
disorders. Chichester: John Wiley & Sons; 2011.
2. Laan et al In: Balon R, Segraves RT, editors. Handbook of sexual dysfunction. Boca Raton: Taylor and Francis; 2005. pp
123–154
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Kernelemente
sexualtherapeutischer Intervention
bei verminderter Lust
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Masters & Johnson’s klassischer Ansatz umfasst:
Einsatz edukativer Strategien über adäquate sexuelle Stimulation
und Hindernisse der Lustentwicklung
Koitusverbot -> Verhaltenssicherheit und Reduktion von
Erwartungsängsten
Durchführung einer Serie von abgestuften “sensate focus “ Übungen1 mit den Zielen einer Verminderung von
Beobachter-Perspektive
Leistungsorientiertheit (Versagensängste)
Veränderung dysfunktionaler Kognitionen und Erwartungen
1.
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Sensate Focus - Ziele
Nutzung der Übungen zur Diagnostik der zugrunde liegenden
Paardynamik
Nutzung zur Veränderung eines möglicherweise
dysfunktionalen sexuellen Paarsystems.
Reduktion der Angst vor körperlicher Intimität,
Bewältigung von Versagensängsten
Korrektur von irrationalen Sexualmythen und negativen
Erwartungen
Aufbau von Vertrauen und Verbesserung des eigenen
Körperbildes.
Der Klassiker: Masters WH, Johnson VE. Human sexual inadequacy. 1970, Boston: Little, Brown.
Kernelemente
sexualtherapeutischer Intervention
bei verminderter Lust
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Erweiterung von Masters & Johnson’s klassischem Ansatz
umfasst Einsatz verschiedener sexualtherapeutischer,
kognitiver und paartherapeutischer Interventionen[1-3]:
Zusätzliche sexualtherapeutische Interventionen
umfassen z.B.[4] :
Übungen zur Identifikation attraktiver sexueller Stimuli oder
zur Verbesserung von orgasmischem Erleben (z.B.
Selbststimulationsübungen oder Drehbücher des
Geschlechtsverkehrs nach wirksamer klitoraler Stimulation
1.
2.
3.
4.
Kernelemente
sexualtherapeutischer Intervention
bei verminderter Lust
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Kognitiv-verhaltenstherapeutische Aspekte zielen auf
Gedanken und Bilder die mit der Entwicklung sexueller Lust
und Erregung hemmen wie
Negative Selbstbewertungen: z.B. “Ich bin unattraktiv, ein
schlechter partner, weil ich keine Lust auf Sex habe…”
Dysfunktionale Bewertungen im Zusammenhang mit Intimität
und Initiative zum Sex, z.B. “Wenn ich ihn küsse, will er
gleich Sex haben…”
Negative Erwartungen, z.B. “Ich brauche immer zu lange, um
erregt zu werden…”
86.. Hurlbert et al J Behav Ther Exp Psychiatry 1993;24:3–13.
87. Hurlbert J Sex Marital Ther 1993;19:41–55.
88. Trudel et al. Sex RelationTher 2001;16:145–164.
89. Hurlbert & Apt J Sex Marital Ther 1995;21:21–29.
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[email protected]
So das wars erst mal, bis
zum Workshop….
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