Mutationen auf dem Weg zur Krebszelle

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 Mutationsforschung
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Mutationen auf dem Weg
zur Krebszelle
Die bisherige Lehrmeinung, dass Mutationen nur während der Zellteilung entstehen, wackelt. Untersuchungen von
Molekularbiologen des Instituts für Krebsforschung, Comprehensive Cancer Center Wien, bestätigen, dass es auch in
Text Univ.-Prof. Dr. Erich Heidenreich
ruhenden Zellen zu einer hohen Mutationsfrequenz kommen kann. Ú Chromothripsis*
Quelle: Univ.-Prof. Dr. Erich Heidenreich,
Institut für Krebsforschung Wien
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*Durch ein katastrophales Ereignis wird ein Chromosom/
Chromosomenteil mehrfach zerstückelt und in willkürlicher
Reihenfolge wieder zusammengesetzt. Dies beeinträchtigt
die Funktion der dort lokalisierten Gene beträchtlich.
bereits früher durch Zelltod ausgemerzt
wurden. Das bedeutet, dass die wahre Mutationsfrequenz während der Krebsentwicklung sogar noch höher war.
Da die massive Anzahl an Mutationen
nicht mit herkömmlichen spontanen Mutationsraten in proliferierenden Zellen (ermittelt z.B. mit dem HGPRT-Mutationsdetektionssystem) erklärbar ist, stellt sich die
Frage nach den Entstehungsmechanismen. Ihr Verständnis wäre wichtig für eine
mögliche Prävention krebsauslösender
Mutationen.
Gebündelte
Mutationen.
Kürzlich wurden bei der Sequenzierung
von Krebszellgenomen zwei auffällige
Phänomene von lokalisierter Hypermutation entdeckt, für die die Bezeichnungen
Chromothripsis und Kataegis geprägt
wurden. Beide sind jeweils auf einen bestimmten Bereich des Genoms beschränkt.
Die Mutationen scheinen alle gleichzeitig
im Rahmen eines einzelnen, katastrophalen Ereignisses entstanden zu sein – und
nicht durch eine langjährige Akkumulierung von Einzelmutationen, wie es der
klassischen Theorie der Krebsentstehung
entsprechen würde.
Für Chromothripsis ist typisch, dass ein
Chromosom oder ein Teil eines Chromosoms aussieht, als wäre es/er mehrfach zerstückelt und in willkürlicher Reihenfolge
wieder zusammengesetzt worden (siehe
Abbildung). Die resultierenden, vielfachen Insertionen und Deletionen können
natürlich die Funktion der dort lokalisierten Gene beträchtlich beeinträchtigen.
Bei Kataegis besteht die gebündelte Häufung an Mutationen aus Punktmutatiokrebs:hilfe!
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FOTOs: Univ.-Prof. Dr. Erich Heidenreich, Institut für Krebsforschung Wien; privat
nen“ einzustufen, die keine offensichtliche
Relevanz für die Krebsentstehung haben
und auch von Patient zu Patient verschieden sind.
Die große Anzahl an Mutationen in Krebszellen ist erstaunlich, da man eigentlich davon ausgeht, dass die Mehrzahl zufälliger
Mutationen nachteilig für die Zellfunktionen ist. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Sequenzierung von Krebszellgenomen den gegenwärtigen Endzustand
einer Entwicklung (und somit quasi nur
die „überlebenden“ Mutationen) zeigt.
Aus evolutionärer Sicht ist anzunehmen,
dass die aufgefundenen Mutationen jene
sind, die der Krebszelle entweder einen adaptiven Selektionsvorteil verschaffen (=
Treiber-Mutationen) oder neutral sind (=
Trittbrettfahrer-Mutationen), während jene spontan aufgetretenen Mutationen, die
nachteilig für das Zellüberleben waren,
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Während die Ermittlung des ersten humanen Referenzgenoms noch eine langfristige und teure Anstrengung war, wurden in
den letzten wenigen Jahren die Methoden
zur Ermittlung von DNA-Sequenzen und
deren computergestützte Auswertung bedeutend einfacher und erschwinglicher.
Die „Next generation“-Sequenzierungsmethoden ermöglichten erstmals die Analyse
aller genetischer Änderungen in kompletten Genomen von Krebszellen im direkten
Vergleich zu jenen von gesunden Referenzzellen. Große Forschungskonsortien
wie das „International Cancer Genome
Consortium“ haben es sich seitdem zur
Aufgabe gemacht, möglichst viele Genome der bedeutendsten Krebsarten zu charakterisieren. Die zunehmende Anzahl pub­
lizierter Krebszellgenome zeigt, dass in
Krebszellen wesentlich mehr Mutationen
vorliegen als bisher gedacht. Bis zu mehreren Tausend kleinere und größere Mutationen pro Einzelgenom manifestieren die
genetische Instabilität von Krebszellen.
Typischerweise sind mehrere der aufgefundenen Mutationen solche in Proto-Onkogenen oder Tumorsuppressorgenen. Sie
müssen als „Treiber-Mutationen“ der
Krebs­entwicklung eingestuft werden, weil
sie die Krebsentstehung initiiert haben
und die fortschreitende Malignität vorantreiben. Der heute mögliche Vergleich
mehrerer Krebsgenome derselben Krebsart bietet die große Chance, bisher unbekannte oder weniger bekannte, neue Treiber-Mutationen zu identifizieren, die über
verschiedene Individuen hinweg mehrfach gefunden werden.
Die überwiegende Masse der Mutationen
hingegen ist als „Trittbrettfahrer-Mutatio-
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Platte mit einem Monolayer aus 108 zellzyklusarretierten Hefezellen, unter denen es durch spontane
Mutationen zur Bildung von mehreren Hundert wuchernden Klonen kam.
nen. Es wurde sogar eine sehr charakteristische Häufung an Basensubstitutionen von
Cytosin hin zur Thymin im Kontext von
TpC-Dinukleotiden festgestellt. Diese Art
von Mutationssignatur legt die Beteiligung einer Cytidindeaminase aus der sogenannten APOBEC-Proteinfamilie nahe.
Derartige Deaminasen wandeln in einzelsträngigen DNA-Bereichen Cytosin in
Uracil um und dirigieren dadurch mutationsauslösende Vorgänge an die Stelle dieser Uracil-Nukleotide. Kataegis ähnelt dadurch dem normalen zellulären Vorgang
der sogenannten somatischen Hypermutation. Diese trägt in jedem menschlichen
Körper als Teil des adaptiven Immunsys­
tems dazu bei, dass das Repertoire an Immunglobulin-Genen seine große Variabilität erhält. In diesem Fall ist die Hypermutabilität jedoch streng auf diese Gene und
die passenden Entwicklungsstadien der
passenden Zelltypen (B-Zellen) begrenzt.
Details des Kataegis-Vorgangs sind noch
nicht bekannt, jedoch sind vermutlich
ebenso wie bei Chromothripsis die Bildung und Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen und darüber hinaus die Aktivität von sogenannten Transläsionssynthese-Polymerasen involviert.
Der Modellorganismus Sac-
charomyces cerevisiae.
Eine
wichtige Möglichkeit zur Aufklärung der
Mechanismen bietet die Verwendung der
Sprosshefe S. cerevisiae, bei der diese Mutationssignatur und das gebündelte Auftreten von Mutationen in einem begrenzten
Genombereich ebenfalls gefunden wurde.
krebs:hilfe!
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Mit der Hefe bietet sich die viel versprechende Möglichkeit, derartige Mutationen
nicht nur im Nachhinein (quasi in Form
von Genom-Archäologie) zu detektieren,
sondern ihre Entstehung experimentell
mitzuverfolgen.
S. cerevisiae bietet viele Vorteile, die sie für
solche Mutationsstudien attraktiv macht.
Durch den schnellen Lebenszyklus kann
man mit sehr hohen Zellzahlen arbeiten
und daher auch seltenere Ereignisse detektieren. Das kleine Genom ist leichter
zu analysieren und trotz der einfacheren
Organisationsstufe ist der DNA-Metabolismus inklusive der DNA-Reparatur dennoch hoch homolog zu jenem des Menschen und dadurch geeignet für eine Analyse mutationsauslösender Mechanismen.
Auch unsere Arbeitsgruppe nutzt den
Modellorganismus S. cerevisiae für entsprechende Studien (siehe Abbildung).
Im Rahmen von Projekten, unterstützt
von der Herzfelderschen Familienstiftung, interessieren wir uns besonders für
die Mutationsentstehung in zellzyklusarretierten Zellen. Zugrunde liegt die Idee,
dass herkömmliche Vergleiche mit Mutationsraten proliferierender Zellen (definiert als Mutationen pro Zellteilung)
nicht sinnvoll sind, wenn in Wirklichkeit
ein großer Anteil der Mutationen in den
teilweise langen Phasen zwischen den
Zellteilungen, also in ruhenden Zellen,
entsteht.
Mutagene DNA-Reparatur.
Wir studieren auch speziell Mutationen,
die spontan als Folge endogener DNA-
Schädigungen gebildet werden. Unsere Ergebnisse belegen, dass – auch ohne offensichtliche äußere DNA-schädigenden Einflüsse – die unablässig im Hintergrund
notwendige Reparatur endogener DNASchäden eine bedeutende Quelle von Mutationen ist. Somit resultiert hier weniger
das Ausbleiben von DNA-Reparatur in
Mutationen, sondern es sind gewisse Reparaturvorgänge selbst mutagen.
Im Zuge unserer Arbeiten stellten wir u.a.
fest, dass ein beträchtlicher Anteil an Leserasterverschiebungsmutationen in ruhenden Zellen von einem bestimmten Reparaturweg bei Doppelstrangbrüchen (der
„Verknüpfung nicht homologer Enden“)
abhängig ist. Dieser Reparaturweg wird
nun auch mit der Verknüpfung von Bruchstücken bei Chromothripsis in Verbindung gebracht. Leserasterverschiebungsmutationen interessieren uns deshalb besonders, weil sie mit einer minimalen Änderung (schon ab einer +1-Insertion oder
-1-Deletion) eine maximale Auswirkung
erreichen können, wie die komplette Inaktivierung eines Gens, was z.B. Tumorsuppressorgene ausschalten kann.
Wir konnten auch nachweisen, dass der
Zuwachs solcher Mutationen mit einer
spontanen intrazellulären Anreicherung
reaktiver Sauerstoffradikale in ruhenden
gestressten Zellen korreliert. Dies legt eine
Rolle solcher Radikale als Auslöser von
DNA-Doppelstrangbrüchen nahe. Auch
eine Beteiligung von Transläsionssynthese-Polymerasen konnten wir beobachten.
Fazit. Unsere eigenen Resultate lassen
zusammen mit jenen der Sequenzierungsprogramme folgenden Schluss plausibel
erscheinen: Der gemeinsame Nenner einer
ungewöhnlich hohen Mutationsfrequenz
könnte eine fehleranfällige Reparatur von
zytotoxischen DNA-Läsionen, wie zum
Beispiel DNA-Doppelstrangbrüchen,
nicht nur während der Zellteilung, sondern auch in ruhenden Zellen sein. <
Univ.-Prof. Dr. Erich Heidenreich
Klinik für Innere Medizin I
Comprehensive Cancer Center
Medizinische Universität Wien
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