Der Sinn der Gegensinn-RNA - Max-Planck

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Vogel, Jörg | Der Sinn der Gegensinn-RNA
Tätigkeitsbericht 2006
Immun- und Infektionsbiologie/Medizin
Der Sinn der Gegensinn-RNA
Vogel, Jörg, E-Mail: [email protected]
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
Selbständige Nachwuchsgruppe - RNA-Biologie (Vogel)
Zusammenfassung
Die Entdeckung tausender unbekannter RNA-Moleküle in allen nur erdenklichen Organismen hat der
RNA-Forschung neuen Schwung gegeben. Früher sah man die RNA vorrangig nur als Bindeglied zur
Genausprägung zwischen DNA und Proteinen. Doch nun findet man immer mehr molekulare Schaltkreise, in denen RNA als Regulator operiert. Solche RNA-Moleküle werden nicht in Proteine übersetzt, man nennt sie daher nichtkodierend. Die Arbeitsgruppe RNA-Biologie am Max-Planck-Institut
für Infektionsbiologie erforscht die Funktion solcher RNA-Moleküle in humanpathogenen Bakterien.
Abstract
After decades of being either underestimated as a simple messenger for the expression of genes – from
DNA to protein - or, vice versa, revered as the molecule from which all life potentially originated,
RNA is now enjoying a well-deserved golden age as modern techniques allow researchers to uncover
the myriad subtle roles that this molecule plays in the cells, tissues, and organisms. The RNA Biology
Group at the Max Planck Institute for Infection Biology is exploring the functions of RNA molecules in
bacteria that cause harm to humans and animals.
RNA wird wiederentdeckt
Die letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass RNA-Moleküle weit mehr biologische Funktionen haben als zuvor angenommen. Traditionell schrieb man nämlich der RNA nur drei grundlegende Rollen
zu, nämlich i.) als Botenstoff der Erbinformation in Form von messenger RNAs (mRNAs), ii.) als
genetisches Material bestimmter Viren und iii.) als essenzieller Bestandteil der ProteinbiosyntheseMaschinerie, der Ribosomen, dort in Form von transfer RNA (tRNA) und ribosomal RNA (rRNA).
Dass RNA selbst wie Enzyme katalytisch aktiv sein kann und dass kleine, nicht-translatierte RNAs
andere wichtige Funktionen in der Zelle, zum Beispiel beim Spleißen von mRNAs, haben, ist zwar
schon länger bekannt, ebenso auch, dass nicht-kodierende RNA-Moleküle selbst als Regulatoren der
Genexpression fungieren können. Dennoch schienen sich solche regulatorischen Funktionen hauptsächlich auf bakterielle Plasmide, Phagen oder Transposons zu beschränken. Das änderte sich jedoch
vor etwa fünf Jahren, als eine systematische Suche in Bakterien und höheren Lebewesen einen ganzen
Mikrokosmos an nicht-kodierenden, kleinen RNAs zutage förderte. Bald darauf gewann die Anwendung kleiner RNAs für das gezielte Ausschalten von Genen in höheren Organismen, die so genannte
RNAi (RNA-Interferenz)-Technik enorm an Fahrt.
Waren im Modellbakterium Escherichia coli nur zehn kleine nichtkodierende RNAs (sRNAs) bekannt
gewesen, stieg deren Zahl binnen kürzester Zeit auf nun über achtzig. Weitere hunderte sRNAs sind
bisher vorausgesagt, müssen allerdings noch nachgewiesen werden. Die Funktion der meisten neu
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entdeckten sRNAs ist noch unbekannt, doch vieles weist darauf hin, dass sie eine neue Klasse von
Regulatoren bei bakteriellen Stressantworten bilden.
sRNAs in krankheitserregenden Bakterien
Bisher sind nur wenige sRNAs in pathogenen Bakterien beschrieben worden. Im Gegensatz zur
systematischen Suche im nicht-pathogenen E. coli-Stamm K12 wurden sie zumeist nur durch Zufall
entdeckt und über ihre Funktion ist wenig bekannt. Die erfolgreiche Suche in E. coli beruhte größtenteils auf der Entdeckung, dass die sRNA-kodierenden Gene dieses Bakteriums in konservierter Form
auch in eng verwandten pathogenen Enterobakterien, wie etwa Salmonella-, Klebsiella- und YersiniaSpezies, vorhanden sind.
Im Mittelpunkt der Arbeitsgruppe RNA-Biologie steht die funktionelle Charakterisierung von sRNAs
im Hinblick auf bakterielle Virulenz und die Wechselwirkung pathogener Bakterien mit befallenen
Wirtszellen. Dabei wird ein ganzes Spektrum molekularer, biochemischer, genetischer und bioinformatischer Methoden angewendet. Da bisher nur in einigen wenigen Fällen tiefer gehend untersucht
wurde, wie solche kleinen RNAs regulatorisch in die bakterielle Genexpression eingreifen, ist die
Arbeitsgruppe besonders an den molekularen Mechanismen dieser Regulation interessiert.
Die meisten sRNAs operieren als so genannte antisense RNAs, das heißt sie können über Basenkomplementarität an Boten-RNAs binden und so die Synthese bestimmter Proteine steuern. Die Paarungen
zwischen diesen Molekülen sind allerdings in ihrer Länge recht kurz, imperfekt und daher schwer
vorherzusagen, womit die größte Herausforderung der Forschung darin besteht, den sRNAs ein oder
mehrere Zielmoleküle zuzuordenen.
Kleine RNAs kontrollieren den Zustand der Zellhülle von Salmonellen
Zusammen mit britischen Wissenschaftlern wurde kürzlich der Mechanismus beschrieben, wie in
Salmonella-Bakterien nicht-kodierende RNA-Moleküle den Zustand der Zellhülle überwachen [1].
Salmonellen sind Mensch und Tier befallende Bakterien, und als Krankheitserreger müssen sie sich
fortlaufend und schnell neuen Umweltbedingungen anpassen können, um innerhalb und außerhalb ihrer Wirte zu überleben. Solche Anpassungen verursacht Stress, gegen den sich Salmonellen beispielsweise mit ihrer Zellhülle schützen. Die Zellhülle intakt zu halten und immer wieder neu zu ordnen ist
äußerst wichtig für das Überleben der Salmonellen unter den widrigsten Bedingungen. Befallen zum
Beispiel Salmonellen einen Wirt, müssen sie dem niedrigen pH-Wert des Magens genauso trotzen können wie der sauerstoffarmen und salzreichen Umgebung im Darm. Um sich anpassen zu können, müssen Salmonellen in der Lage sein, immer wieder neue und andere Membranproteine in ihre Zellhülle
einzubauen. Diese äußeren Membranproteine bilden Poren und erlauben es den Bakterien, Nährstoffe
und Salze aus ihrer Umgebung aufzunehmen - ein zweischneidiges Schwert, denn gleichzeitig werden
diese Poren-Proteine auch vom Immunsystem des Wirts erkannt, ihre Synthese muss also durch das
Bakterium genau kontrolliert werden, damit nicht zu viele davon in der Hülle akkumulieren.
Es wurde jetzt gefunden, dass Salmonellen in einer Art Überwachungsschleife ganz genau registrieren
können, ob sich als Zeichen eines Schadens an ihrer Hülle missgefaltete Membranproteine anhäufen.
Sobald dies registriert wird, schalten kleine nichtkodierende sRNAs sofort die Biosynthese von Membranproteinen ab (Abb. 1). Da im Gegensatz zu regulatorischen Proteinen die Synthese solcher sRNAs
in wenigen Sekunden abgeschlossen ist, kann diese Schutzreaktion mit einer enorm hohen Geschwindigkeit ablaufen.
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Abb. 1: Schädigung der äußeren Membran. Äußere Membranproteine (OMP, outer membrane protein) in Salmonellen werden im Cytoplasma als Präkursoren synthetisiert und dann über die innere Membran hinweg in das
Periplasma (den Raum, der die innere und äußere Membran trennt) transportiert. Dabei wird die Signalsequenz
des Präkursorproteins abgetrennt. Nach korrekter Faltung im Periplasma werden die OMPs in die äußere Membran eingebaut. Im Zuge dieses Prozesses reichern sich immer wieder missgefaltete OMPs im Periplasma an, die
Membranstress verursachen. Gleiches passiert, wenn die Zellhülle von außen, zum Beispiel durch antimikrobielle Substanzen, geschädigt wird. Missgefaltete Membranproteine werden durch bestimmte periplasmatische Sensoren erkannt, die eine proteolytische Kaskade in Gang setzen (RseP/DegS). Diese Kaskade von Proteasen sorgt
dafür, dass ein an der inneren Membran festgehaltener Transkriptionsfaktor, σE, aktiviert wird. Der aktivierte σE
Transkriptionsfaktor assoziert mit der cytoplasmatischen RNA-Polymerase (RNAP) und bewegt diese dazu, das
so genannte σE Regulon zu transkribieren. Dazu gehören Gene der Hitzeschock-Antwort und von Faltungshelfern
für das Periplasma. Kürzlich wurde gefunden, dass σE auch die Transkription der RybB RNA aktiviert, die wiederum sehr schnell an die Boten-RNAs von äußeren Membranproteinen binden kann, um vorerst die Translation
solcher Proteine zu stoppen.
Urheber: MPI Infektionsbiologie/Vogel
Die regulatorischen sRNAs lösen gleich noch ein zweites Problem, nämlich das der äußerst stabilen,
Membranprotein kodierenden Boten-RNAs. Diese RNAs haben nämlich biologische Halbwertszeiten
von etwa einer Viertelstunde - im Vergleich zu anderen Boten-RNAs mit Halbwertszeiten von wenigen
Minuten. Was auch immer der Grund für diese große Stabilität sein mag, sie bedeutet, dass selbst wenn
das entsprechende Gen schnell abgeschaltet wird, die Synthese des entsprechenden Membranproteins
von der Boten-RNA noch lange weiter läuft – zu lange für Salmonellen, die, wie gesagt, oft innerhalb
von Sekunden ihre Hülle neu ordnen müssen. Die regulatorischen sRNAs können dieses Problem
lösen, indem sie direkt die Membranprotein kodierenden Boten-RNAs inaktivieren und so die Produktion von Hüllproteinen ganz abschalten.
Eine Besonderheit der neu entdeckten, regulatorischen sRNAs besteht darin, dass sie hochspezifisch
die Membranprotein kodierenden Boten-RNAs erkennen können, obgleich diese selbst untereinander
sehr verschieden sind. Wie genau diese Erkennung funktioniert, wird in den kommenden Jahren herauszufinden sein.
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Literaturhinweise
[1] Papenfort, K.; Pfeiffer, V.; Mika, F.; Lucchini, S.; Hinton, J. C.; Vogel, J.:
SigmaE-dependent small RNAs of Salmonella respond to membrane stress by accelerating global
omp mRNA decay.
Molecular Microbiology 62, 1674–1688 (2006)
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