scienzz.com Seite 1 von 3 16.02.2006 - EPIGENETIK Das Puzzle des Lebens Epigenetische Marker und die Pfade der Vererbung Isabelle Bareither Obwohl mit der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts der Text im Buch des Lebens entziffert sein sollte, kann ihn noch immer niemand vollständig lesen. Forscher realisieren, dass noch ein paar Stückchen zur Vervollständigung des großen Puzzles fehlen. Eines davon scheint die lange in Vergessenheit geratene Epigenetik zu sein. So genannte epigenetische Marker beeinflussen die Gene, ohne die DNA zu ändern und bestimmen, ob sie zur Ausprägung kommen oder nicht. Epigenetische Epigenetische Marker, wie Methylierungen der DNA, beeinflussen die Ausprägung der Veränderungen steuern die Gene Krebsentstehung, verursachen Probleme beim Klonen, und scheinen an der Entwicklung komplexer Krankheiten wie Schizophrenie oder Psychosen maßgeblich beteiligt. Die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts vor zwei Jahren war einer der bisherigen Höhepunkte der Gentechnik. Das groß angelegte Human Genom Projekt, mit dem Ziel der vollständigen Entzifferung der DNA, wurde mit dem Jahr 2003 früher abgeschlossen als erwartet. Der genetische Bauplan des Menschen, eine Abfolge von 3 Milliarden DNA-Bausteinen, war entwirrt. Die Euphorie war groß. Und im Sandkasten einiger Wissenschaftler ging sofort die fixe Idee herum, dass man nun nicht nur maßgeschneiderte Medikamente, sondern selbst einen Menschen bauen könnte. Doch schon wenige Jahre nachdem die ersten komplexen Lebewesen wie Schafe und Kühe geklont waren, mussten die Wissenschaftler erkennen, dass die perfekte Replikation der DNA nicht alles sein konnte. Die berühmte Dolly z.B., das erste geklonte Schaf, wurde schon wenige Jahre nach seiner Geburt krank. Die Forscher hatten statt Hoffnung und Euphorie plötzlich nur noch Fragezeichen im Kopf. Als perfekte Kopie der Mutter entwickelte Dolly Krankheiten, die bei der Erbgut-Spenderin nicht vorkamen. Schon in jungen Jahren litt das Tier unter Arthritis und anderen Anzeichen von Alterskrankheiten. Dolly war das weltweit erste Säugetier, das aus der Körperzelle eines erwachsenen Tieres geklont wurde. Bei dieser Methode wird das Erbgut in Form von DNA aus einer Körperzelle entnommen und in die Eizelle eines zweiten Schafes eingesetzt, der zuvor der Zellkern entfernt worden war. Die Eizelle wird dann in die Gebärmutter eines weiteren Schafes eingepflanzt. Dolly hatte demnach drei Mütter, die Gene aber nur von einer – der Erbgut-Spenderin. Da Dolly nur die DNA ihrer „Mutter“ erhalten hatte– und bei dieser keine Alterskrankheiten bekannt waren - konnten die Gene nicht der Grund sein für die Entwicklung der Symptome. Wissenschaftler nehmen an, dass subtile chemische Veränderungen am Genom dafür verantwortlich sind, die allerdings nicht die DNA-Sequenz selbst betreffen. Es scheint, dass epigenetische Marker für die Nur epigenetische Marker unterscheiden Unterschiede zwischen Tochter- und diese Mäusekinder Mutterschaf verantwortlich sind. Epigentische Informationen (das griechische Wort epi bedeutet auf, nach – oder auch „jenseits konventioneller Genetik“) beeinflussen die Ausprägung der Gene und können vererbt werden, obwohl sie die DNA-Sequenz selbst nicht verändern. Die Informationen stecken in Proteinen und niedermolekularen Substanzen, welche die DNA umgeben oder dort gebunden sind. Wie zahlreiche Forscher http://www.scienzz.de/magazin/print58-5815.html 28.02.2006 scienzz.com Seite 2 von 3 meinen, beeinflussen die Marker Gesundheit und Erscheinungsbild sowie Entwicklung und Altern eines Organismus erheblich. Durch die lebenslang andauernde Flexibilität der epigenetischen Mechanismen könne ein Lebewesen auf Umweltveränderungen reagieren, ohne das die DNA selbst geändert werden muss. Doch sogenannte „Epimutationen“ scheinen auch mitschuldig zu sein an der Entwicklung von Krebs und komplexen Krankheiten wie Schizophrenie oder Psychosen. Indessen entstehen aus dem Ansatz der Epigenetik aber auch neue Chancen für Behandlungsmethoden. Während Veränderungen an der DNA schwierig sind, steckt in der Flexibilität der epigenetischen Marker ein großes Potential für die Medizin, hoffen jedenfalls Ärzte. In Berlin haben sich Wissenschaftler, Studenten und Interessierte aus aller Welt vom 9 – 11 Februar zu einer Konferenz zum Thema Epigenetik zusammengefunden. Prof. Sigrid Weigel, Organisatorin der Konferenz, konnte namhafte Wissenschaftler aus Israel, Kanada, Brasilien, und zahlreichen europäischen Ländern begrüßen. Die Forscher kamen aus den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, wie der Genetik oder Biologie, aber auch der Philosophie, Geschichte und Philologie. Das große Interesse von Menschen aus der ganzen Welt und der verschiedenen Wissenschaften würde das zunehmende Interesse an der Epigenetik reflektieren, so Sigrid Weigel. Sigrid Weigel, Organisatorin der Berliner Tagung zur Epigenetik Bild: privat Die Direktorin des Zentrum für Literaturforschung (ZfL) Berlin, weist in ihrer Eröffnungsrede aber auch nachdrücklich auf das Stiefmütterchen-Dasein der Epigenetik hin. „Die Forschung auf dem Gebiet der Epigenetik steht noch immer im Schatten des Genetischen Paradigmas. Noch immer wissen viel zu wenige, dass die Misserfolge bei Klon-Experimenten wahrscheinlich durch die Epigenetik erklärt werden können.“ Man hätte durch diese Misserfolge gesehen, dass Fortpflanzung nicht nachgeahmt werden könne, wenn nur das Genetische Level einbezogen würde. „Anstatt dessen müssen wir die komplexen Funktionen der Epigenetik in Betracht ziehen, die für die Ausprägung der DNA verantwortlich sind“, insistiert die Professorin für Literatur. Viele Forschungsprojekte würden sich derzeit mit der Frage befassen, durch welche Funktionen Erbfaktoren kontrolliert werden, oder mit den Worten Weigels „wie Gene an- oder ausgeschaltet werden, wie sie stillgelegt werden oder sich gegen andere Gene durchsetzen können“. Ein prominentes Feld seien dabei Untersuchungen zu den Funktionen von Methylierungen der DNA, auch „imprinting“ genannt. Verschiedene epigenetische Phänomene intensivieren oder unterdrücken die Wirkung von Genen. Die bekannteste Erscheinung ist die Beeinflussung von Genen durch Methylgruppen. Das Methyl, bestehend aus Wasser- und Kohlenstoffatomen, dockt an das Gen an und hemmt es in steigendem Grade mit der Methylierung. Aber auch andere Prozesse können ein Gen zur Ausprägung bewegen oder es bezähmen. Dazu gehört die Einwicklung und damit das Ausschalten von Chromatiden sowie Veränderungen an so genannten HistonKomplexen, beides Teile innerhalb der DNA. Diese Prozesse beeinflussen die Ausprägung der Gene, ohne die DNA selbst zu verändern und sind nach der Meinung einiger Wissenschaftler verantwortlich für die Entstehung von Krebs. Auch Eva Jablonka, Professorin an der Universität in Tel-Aviv, unterstrich in ihrem Vortrag auf der Berliner Konferenz die wichtige Rolle der Epigenetik bei der Entstehung und Behandlung von Krebs. Sie wies darauf hin, dass „viele Tumorzellen abnormale, erbliche Muster von DNAMethylierungen aufweisen, die oft assoziiert werden mit der Dämpfung von Anti-Tumor Genen. Außerdem scheinen Expression der epigenetische Mechanismen verantwortlich für die Veranlagung DNA wird durch Methylierungen von Tumor-Zellen in Lebewesen“. Verschiedene Krebsarten beeinflusst können demnach dadurch entstehen, dass die Gene für wichtige Reparaturenzyme oder Schutzmechanismen epigentisch ausgeschaltet werden. Da die epigenetischen Veränderungen aber umkehrbar seien, würde ein http://www.scienzz.de/magazin/print58-5815.html 28.02.2006 scienzz.com Seite 3 von 3 Verständnis der Mehtylierungs-Muster eventuell zu neuen Methoden bei der Behandlung von Krebspatienten führen, so die Forscherin. Zur Veranschaulichung der Flexibilität der epigenetischen Marker führt die isrealische Professorin eines der bekanntesten epigenetischen Experimente an. Dabei wird der Hälfte einer Gruppe von trächtigen Mäusen, Nahrungsergänzungsmittel wie Folsäure und Vitamin B12 verabreicht. Werden die schwangeren Mäuse mit normaler Kost gefüttert, ist das Fell ihres Nachswuchses gelblich. Die Mäusekinder der mit Zusätzen gefütterten Tiere dagegen sind bräunlich. Die DNA der Mäuse liefert dabei keinerlei Unterschiede zwischen den verschiedenfarbigen Kindern auf. Die Mäuse sind sogenannte “inbreed” Tiere. Bei dieser Methode der Fortpflanzung erzeugen nahe Verwandte miteinander den Nachwuchs. Dadurch kommt es zwar zu Schwächen und frühen Krankheiten bei den Tieren, aber auch zu einer Verminderung der genetischen Unterschiede. Im Falle der verschiedenfarbigen Mäusekinder wurden nur epigenetische Abweichungen in Form der Methylierungen gefunden. Damit hat sich die Diät der Mutter zwar nicht auf die DNA selbst, aber auf das Aussehen der Nachkommen direkt ausgewirkt. Laut Art Petronis, einem anderen Sprecher auf der Berliner Tagung, werden epigenetische Veränderungen der DNA auch verantwortlich gemacht für verschiedene komplexe Krankheiten wie Psychosen oder Schizophrenie. Das Team um den kanadischen Wissenschaftler von der Universität Toronto betreibt derzeit Zwillingsstudien mit dem Ziel, mehr über die unterschiedlichen Ausprägungen der DNA bei Genidentischen Geschwistern zu erfahren. „Monozygotische (Eineiige) Zwillinge teilen 100% ihrer Gene und somit werden normale Erbkrankheiten an beide Kinder weitergegeben“. Komplexe Krankheiten wie Schizophrenie dagegen sind von „epigenetischen Modifikationen der DNA, welche die Gen-Aktivitäten regulieren“ abhängig, erklärt Prof. Petronis. Die Art Petronis von der Uniepigenetischen Merkmale würden genau wie die Gene versity Toronto untersucht vererbt werden, doch sind sie „Gegenstand von komplexe Krankheiten an Hand von Zwillingsstudien Veränderungen durch Umwelteinflüsse“ weiß Petronis. Der Professor führt dabei wieder das Beispiel der geklonten Tiere an. „Trotz der identischen DNA sind die Tiere keine perfekten Nachahmungen ihrer Erbgut-Spender“. Und auch bei eineiigen Zwillingen können Krankheiten, welche eine genetische Komponente beinhalten, in unterschiedlichem Maße ausgeprägt sein. Demnach besitzen die Zwillinge beide die genetische Veranlagung zu Krankheiten wie Schizophrenie, doch die Ausprägung hängt von epigenetischen Markern ab. Es bleibt abzuwarten, wie diese Ergebnisse die Forschung weiterhin beeinflussen werden. Diesbezüglich wies Eva Jablonka in ihrer Rede mit Nachdruck daraufhin, dass die Forschung heutzutage ein Teil der Zukunft ist. „Geschichte ist jetzt. Wir müssen unsere Auffassung von Vererbung ausweiten“. Alle Dozenten der Tagung in Berlin unterstrichen jedoch, dass auch die Epigenetik nur Teil des großen Puzzles des Lebens sei. Man dürfe nicht vergessen, dass andere Faktoren - wie die Entschlüsselung DNA - genauso wichtig sind. Mehr im Internet: Sigrid Weigel, ZfL Berlin Art Petronis, Universität Toronto Eva Jablonka, Universität Tel-Aviv Epigenetik http://www.scienzz.de/magazin/art5815.html http://www.scienzz.de/magazin/print58-5815.html 28.02.2006