45. Jahrestagung der DGPFG, 27. Februar 2016, Hamburg Der zweite Code Epigenetische Prägung in der perinatalen Phase Vortrag von Peter Spork, Hamburg, www.peter-spork.de Warum verändern Erziehung, Ernährung, Geborgenheit, Misshandlung, Sport oder Erfahrungen im Mutterleib unser innerstes Wesen? Warum prägen sie die Persönlichkeit und Krankheitsanfälligkeit eines Menschen für den Rest seines Lebens? Werden erworbene Umweltanpassungen womöglich an folgende Generationen vererbt? Warum sind wir keine Marionetten unserer Gene? Antworten liefert die neue Wissenschaft der Epigenetik. Sie macht die alte Diskussion, was ererbt und was anerzogen ist, überflüssig. Denn die Umwelt beeinflusst das Erbe und umgekehrt. Die Epigenetik ist eine Art Zusatz- oder Nebengenetik (altgriechisch „Epi“ = neben, zusätzlich, über etc.). Epigenetiker beschäftigen sich mit biochemischen Schaltern oder Dimmern, die den genetischen Code zwar nicht verändern, aber einzelne Gene in unseren Zellen dauerhaft in einen mehr oder weniger gut aktivierbaren oder einen nicht aktivierbaren Modus versetzen können, und sie haben eine revolutionäre Erkenntnis gewonnen: Umwelteinflüsse hinterlassen Spuren im molekularbiologischen Fundament unseres Körpers, verleihen den einzelnen Zellen eine Identität und ein Gedächtnis. Ganz besonders sensibel reagiert unsere Molekularbiologie auf Einflüsse während der Organentwicklung. Dann werden die komplexen Regelsysteme, die den Stoffwechsel von Körper und Gehirn steuern, epigenetisch programmiert. Diese Prozesse laufen vor allem in der so genannten perinatalen Phase ab, also während der Schwangerschaft und in den ersten Monaten nach der Geburt. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von der perinatalen Programmierung, auch vorgeburtliche und frühkindliche Prägung genannt. Sie beeinflusst beispielsweise die Veranlagung zu Übergewicht oder Stresskrankheiten aller Art. Eine besonders wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Ernährung und ein womöglich ungesund hohes und anhaltendes Stressniveau der Mutter während der Schwangerschaft und des Kindes in der ersten Zeit nach der Geburt. Epigenetische Weichenstellungen brennen sich jetzt tief in die Biochemie der Zellen ein und erhöhen im ungünstigen Fall zeitlebens das Risiko für zum Beispiel Diabetes und Übergewicht, Herzinfarkt, Depression, Sucht- und Angsterkrankungen. Umgekehrt können eine gesunde, ausgewogene Ernährung sowie ein möglichst geringes Maß an ungesundem Stress in der Zeit um die Geburt eine effektive, bis ins hohe Alter anhaltende präventive Wirkung entfalten. Neueste Studien mit Tieren legen sogar nahe, dass perinatal erworbene epigenetische Anpassungen an die Ernährung und ein bestimmtes Stressniveau nicht nur den eigenen Stoffwechsel und die eigene Psyche prägen sondern auch Stoffwechsel und Psyche von Kindern und Enkeln. Eine vorausschauende Gesundheitspolitik sollte sich folglich zunehmend um die Aufklärung und Entlastung werdender Eltern kümmern. Das kommt erwiesenermaßen der folgenden Generation zugute und vielleicht sogar Kindern, die erst Jahrzehnte später geboren werden. Dr. rer. nat. Peter Spork ist laut Deutschlandfunk nicht nur einer der führenden deutschen Wissenschaftsautoren sondern auch „der Mann, der die Epigenetik populär machte“. Er studierte Biologie in Marburg und Hamburg und arbeitet seit 1991 als freiberuflicher Wissenschaftsjournalist (u.a. Die Zeit, SZ, FAZ, NZZ, Geo Wissen, bild der wissenschaft). Spork ist Autor mehrerer Sachbücher, die insgesamt in neun Sprachen übersetzt wurden. Sein Bestseller Der zweite Code ist das erste populärwissenschaftliche Sachbuch über Epigenetik. Zudem ist Spork Autor und Herausgeber des Newsletter Epigenetik. Und er hält Vorträge zu den Themen Schlafforschung, Chronobiologie, Epigenetik und Biologie für Kinder. Sporks aktuelles Werk heißt „Wake up!“ und erklärt, wie der Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft gelingen kann. www.peter-spork.de. Literatur Peter Spork: Der zweite Code Epigenetik – oder: Wie wir unser Erbgut steuern können. rororo 2012 (4. Auflage im TB, insgesamt 8 Auflagen und Übersetzungen in 4 Sprachen)