Presse-Themendienst Weltgesundheitstag Wie das Erleben die Gene beeinflusst – Epigenetik und Depression Warum führen Traumata in der Kindheit bei den einen Menschen zu Depressionen, bei den anderen nicht? Liegt es an den Genen? Sind es gelernte Reaktionen? Das neue Fachgebiet der Epigenetik kann helfen, die zugrundeliegenden Mechanismen aufzudecken. „Die Epigenetik bietet eine andere Denkweise, indem sie den scheinbaren Dualismus zwischen Biologie und Psychologie auflöst“, betont Prof. Dr. med. Arno Deister, Präsident der DGPPN und Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe. „Dadurch können wir Depressionen besser verstehen und behandeln.“ Die Epigenetik gilt als Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und den Genen, die noch bis vor wenigen Jahren als unveränderlicher Bauplan des Menschen galten. „Dank der Epigenetik wissen wir heute, dass die Gene nicht so stabil sind wie gedacht, sondern durch das Erleben des Menschen beeinflusst werden“, sagt Professor Deister. Das heißt: Lebensstil, Beziehungserfahrungen, Gewohnheiten, gute wie schwierige Erlebnisse hinterlassen Spuren in unserem Erbgut. Die Erfahrungen im Leben lösen molekulare Abläufe in der DNA aus, die bestimmte Gene lesbar machen oder stilllegen. „Wir wissen heute, dass traumatische Ereignisse wie Missbrauch oder Vernachlässigung Schalter im Erbgut umlegen und so die Aktivität der Gene verändern“, so der DGPPN-Präsident. Wenn diese Veränderungen in den Keimzellen stattfinden, werden sie sogar weitervererbt: Erworbene Eigenschaften werden zu angeborenen. Psychische Störungen können also auch auf Erfahrungen von Eltern und Großeltern verweisen. „Es gibt zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen dem erlittenen Hunger während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre und den Essstörungen in jüngeren Generationen“, hebt Deister hervor. Insofern wirft die Epigenetik auch ein neues Licht auf die Kriegsenkel-Diskussion: Inwiefern sind die Seelennöte der Babyboomer-Generation auf die Traumata ihrer Eltern, der Kriegskinder, zurückzuführen? Auch die Frage, wie chronischer Stress zu einer Depression führt, kann mithilfe der Epigenetik besser beantwortet werden. Oder warum manche Menschen verwundbarer sind als andere. Die gute Nachricht: Epigenetische Veränderungen sind nicht in Stein gemeißelt wie die Mutationen des Erbgutes. Psychotherapie, Medikamente, positive Erfahrungen können epigenetische Vorgänge wieder rückgängig machen. „Wir stehen noch ganz am Anfang“, betont Professor Deister. „Aber Ziel ist es, Depressionen langfristig zu verhindern, indem wir frühzeitig Einfluss nehmen auf epigenetische Strukturen.“