Kombinatorische Selektion funktionaler Peptide durch mRNA

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Special
201
Kombinatorische Selektion funktionaler
Peptide durch mRNA-Display
Nikolai A. Raffler und Michael Famulok*
* Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Kekulé-Institut für Organische Chemie und Biochemie
Einleitung
Im menschlichen Körper bilden Antikörper eine wirkungsvolle Maschinerie mit der
unter anderem Infektionen bekämpft werden. Durch Rekombination von variablen
Domänen kann der Körper etwa einhundert
Milliarden (1011) dieser Antikörper mit
unterschiedlichsten Funktionalitäten bilden.
Wegen ihrer hohen Spezifität und Affinität
sind Antikörper mittlerweile zu einem unentbehrlichen Werkzeug in der modernen
biologischen Forschung, der Biomedizin und
der Diagnostik geworden. In der Forschung
wird nun versucht, die natürliche Bildung
von Antikörpern im Labor, in vitro nachzuahmen, indem kombinatorische Methoden
in der Synthese eingesetzt werden. Evolutive Biotechnologien (Übersichten in Lit.[1,2])
bilden hierzu den Schlüssel, um maßgeschneiderte, hochspezifische und funktionale Moleküle zu generieren. In den achtziger Jahren wurde der Grundstein für die
kombinatorische Chemie durch die Entwicklung der Parallelsynthese von Proteinen
durch MARIO GEYSEN[3] gelegt. Seit diesen
ersten Arbeiten wurde die kombinatorische
Chemie auf vielfältige weitere Molekül-
Abb. 1: (A) Puromycin-Molekül, (B) 3’-Ende einer Tyrosyl-tRNA
Klassen ausgedehnt, die es nun unter anderem erlauben, funktionale Ribonukleinsäuren, Desoxyribonukleinsäuren, modifizierte
Nukleinsäuren, Peptide bzw. Proteine aus
komplexen Bibliotheken zu isolieren[4].
Beim so genannten Phagen-Display[5]
wird die genetische Information des Proteins
bzw. Peptids über den Phagen in Bakterien
eingeschleust. Infiziert man Bakterien mit
einem transformierten Phagen, kann dieser
sich vermehren und präsentiert das neu eingeführte Peptid an seiner Oberfläche, während er gleichzeitig die Information für die
entsprechende Proteinvariante in Form der
DNA in seinem Inneren verpackt enthält.
Durch systematische oder zufällige Variation
der DNA-Sequenz können Bibliotheken mit
einer Komplexität von 107 – 109 Peptiden erzeugt werden. Ähnliche Techniken, die zu
den neuen Entwicklungen der evolutiven
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Abb. 2: Mechanismus der Puromycin-vermittelten Fusion von RNA und dem entsprechenden kodierten
Peptid. (A) Als Ausgangsmaterial wird eine chimäre mRNA-DNA-Puromycin-Bibliothek eingesetzt. (B)
In vitro Translation: das Ribosom bindet die RNA und bewegt sich auf dem Templat in Richtung des 3’Endes, das kodierte Peptid wird synthetisiert (Aminosäuren als dunkle Kreise dargestellt). (C) Das
Ribosom erreicht die Verbindungsstelle mRNA-DNA und pausiert, das Puromycin kann in die A-Stelle
eintreten, wo es kovalent mit dem Peptid verknüpft wird. (D) Freisetzung der gebildeten Fusionsmoleküle
Verfahren gerechnet werden und bei denen
Phänotyp und Genotyp eines Peptids oder
Proteins direkt miteinander verknüpft werden, sind das Ribosomen- oder PolysomenDisplay[6]. Das Ribosomen-Display ist hierbei als eine Weiterentwicklung des Polysomen-Displays anzusehen und wurde durch
die Arbeiten von HANES und PLÜCKTHUN zu
einem allgemein anwendbaren System zur
in vitro Selektion von funktionellen Peptiden und Proteinen verbessert. Jede mRNA
der bis zu 109 verschiedenen Moleküle umfassenden Bibliotheken kodiert für ein spezielles Protein und ist mit diesem über ein
einzelnes Ribosom verbunden[7].
Da sowohl Phagen als auch Ribosomen
komplexe biologische Systeme darstellen,
suchte man zur Optimierung der Methode
nach einem kleinen organischen Molekül,
das diese hochmolekularen Strukturen substituieren und jedes Mitglied einer Peptidoder Protein-Bibliothek direkt mit seiner kodierenden mRNA verknüpfen sollte.
mRNA-Display
Eine solche Möglichkeit bietet das mRNA
Display[8]. 1997 stellten SZOSTAK und YANAGAWA nahezu gleichzeitig ein Prinzip vor,
das es ermöglicht, die mRNA und das durch
sie kodierte Peptid kovalent über ein Brückenmolekül miteinander zu verknüpfen. So
kann die eindeutige genetische Aussage
über die funktionelle Struktur des Proteins
erhalten bleiben. Im Zentrum dieser Technologie steht das Antibiotikum Puromycin
(Struktur siehe Abb. 1).
Das Molekül ahmt in vivo aufgrund einer
strukturellen Ähnlichkeit das 3’-Ende einer aminoacylierten tRNA nach (Abbildung
1). Es kann so in die Aminoacyl-tRNA-Bindungsstelle (A-Stelle) des Ribosoms eintreten, wird kovalent an das naszierende Protein gebunden und die Translation bricht ab.
Durch organische Synthese kann nun in vitro ein DNA-Puromycin-Oligomer hergestellt werden, welches am 3’-Ende ein kovalent verknüpftes Puromycin-Molekül
trägt. Wird durch enzymatische Synthese eine mRNA-Bibliothek mit diesem Linkermolekül verbunden, liegt ein mRNA-DNAPuromycin-Molekül vor, welches für die
Translation als Vorlage verwendet werden
kann (mRNA display template). Über die 5’Hydroxylgruppe des Puromycin erfolgt eine
kovalente Bindung an das 3’-Ende des
DNA-Linkers, welcher wiederum mit der
für das Peptid kodierenden mRNA verknüpft ist. Wird nun diese Puromycin-gekoppelte mRNA-Bibliothek in eine in vitro
Translation eingesetzt, so resultieren letztlich Fusionsmoleküle, die aus dem Protein,
Puromycin, dem Linker und der mRNA bestehen (Abb. 2).
Während das Ribosom, so der hypothetische Mechanismus, bei Erreichen der Verbindungsstelle zwischen mRNA und DNA
pausiert, hat das Puromycin Gelegenheit, die
A-Stelle zu besetzen. Durch die PeptidylTransferase-Aktivität des Ribosoms wird daraufhin das Peptid an das Puromycin gebunden (Abb. 3). Somit ist eine stabile kovalente
Verbindung zwischen dem Genotyp und
dem Phänotyp entstanden.
Das gebildete mRNA Display Peptid
wird anschließend revers transkribiert, um
ein doppelsträngiges RNA-DNA-Hybrid zu
gewinnen und sicherzustellen, dass im eigentlichen Selektionsschritt kein RNA-Aptamer isoliert wird. Das so hergestellte Produkt kann für die in vitro Selektion funktioneller Peptide oder Proteine eingesetzt werden. Schematisch ist in Abbildung 4 aufgezeigt, wie eine solche Selektion grundsätzlich aufgebaut ist, und welche Schritte in einem Selektionszyklus durchlaufen werden
müssen.
Zuerst wird eine DNA-Bibliothek synthetisiert, welche aufgrund von randomisierten Bereichen die Diversität von bis zu
1015 verschiedenen Molekülen in sich birgt.
Nach der Umschrift in RNA und der Verknüpfung mit dem Puromycin-Linker wird
mit dem erhaltenen mRNA display templaBIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang
Special
te eine in vitro Translation
durchgeführt. Dabei werden die
mRNA Display Peptide generiert und der verknüpfte RNATeil nach der Aufreinigung des
Komplexes revers transkribiert.
Mit den so hergestellten Molekülen wird der eigentliche
Selektionsschritt hinsichtlich
der gewünschten Eigenschaft
durchgeführt. Nicht gebundene
Mitglieder der Bibliothek werden entfernt, die gebundenen
spezifisch eluiert und mittels
PCR vervielfältigt. Reichern
sich nach mehrmaligem Durchlaufen des Selektionszyklus
funktionale Sequenzen an, so
wird die finale Bibliothek kloniert und die erhaltenen Sequenzen werden analysiert und
charakterisiert.
Ergebnisse und Perspektiven
Mit dieser Methodik sind mittlerweile einige sehr interessante Oligopeptide selektiert worden. Aus komplett randomisierten Proteinbibliotheken wurde
eine Sequenz isoliert, die spezifisch ATP binden kann[9]. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, eine funktionale Sequenz
in 1011 verschiedenen zu finden
und der zusätzlichen Entdeckung eines Zn2+-abhängigen
Motivs handelt es sich dabei um
ein besonders aussagekräftiges
Beispiel. Weiterhin wurde ein
Streptavidin-bindendes Peptid
selektiert, welches mit einer extrem niedrigen Bindungskonstante (Kd = 2 nM) eine hohe Affinität zum Proteintarget besitzt[10]. Das Phänomen des Sequenzraums wurde ebenfalls anhand der Selektion von Peptiden untersucht, die RNA-Motive binden können[11]. Weiterhin
wurden durch das Screening von
cDNA-Bibliotheken Proteine
identifiziert, die an Bcl-X(L)[12]
oder phosphoryliertes Tyrosin[13]
binden.
Von ROBERTS et al. wurden
Strategien entwickelt, um nichtnatürliche Aminosäureseitenketten in ein Peptid zu integrieren[14]. So konnten Peptidkonjugate erzeugt werden, die
an einer definierten Position einen Penicillinrest tragen[15].
Dies erlaubte die Generierung
einer Hybrid-Peptid-Arznei-Bibliothek, welche dazu verwendet
wurde, Penicillin-Peptide zu selektieren, welche an das Penicillinbindeprotein 2a (PB2a, S.
aureus) binden. Die neuen Substanzen zeigen eine mindestens
100-fach höhere Aktivität als das
Penicillinmolekül allein. Dieser
Ansatz erlaubt es somit, die Effizient von bereits bestehenden
Medikamenten durch die Entdeckung neuartiger Hybrid-Liganden zu erhöhen.
Abb. 3: Das mRNA-DNA-Puromycin-Ligationsprodukt wird im Ribosom
kovalent an das Peptid geknüpft
BIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang
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[12] Hammond P.W., Alpin J., Rise C.E., Wright
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mRNA display libraries. J Biol Chem 2001, 276:
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[13] Cujec T.P., Medeiros P.F., Hammond P., Rise
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2002, 9: 253–264
[14] Frankel A., Li S., Starck S.R., Roberts R.W.:
Unnatural RNA display libraries. Curr Opin Struct Biol.
2003 13: 506–512
[15] Li S., Roberts R.W.: A novel strategy for in vitro
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Bind and Inhibit Human alpha-Thrombin Isolated by
mRNA Display. Chem Biol 2003, 10: 69–79.
Abb. 4: Selektionsschema. (A) Ausgehend von der dsDNA der Bibliothek wird die mRNA, die mit dem
Puromycin (P) verknüpft ist, erzeugt. (B) Durch in vitro Translation werden die mRNA Display Peptide
hergestellt (Aminosäuren als graue Kreise dargestellt). (C) Nach der reversen Transkription wird die
Bibliothek in den Selektionsschritt eingesetzt und auf die Eigenschaften gegenüber einem immobilisierten Targetmolekül untersucht. (D) Nach Entfernen der nicht-funktionalen Moleküle werden durch
PCR die funktionalen Sequenzen angereichert
Wir haben die mRNA Display Technologie auf die Selektion von Peptiden angewendet, die an humanes α-Thrombin binden können[16]. Unsere Experimente belegen, dass die selektierten Peptide in der Lage sind, die biologischen Funktionen von
Thrombin in unterschiedlicher Weise zu modulieren. Die Analyse der einzelnen Sequenzen zeigte, dass ein kurzes Motiv aus
den Aminosäuren DPGR entscheidend für
die Interaktion zwischen Thrombin und
dem Peptid ist.
Unter den verschiedenen Techniken, die
eine eindeutige Verknüpfung zwischen dem
Geno- und dem Phänotyp einer Proteinsequenz mit der für sie kodierenden DNA erlauben, wurde das mRNA Display inzwischen stark weiterentwickelt und stellte sich
als besonders leistungsstark heraus. Vor allem hinsichtlich der Einfachheit und Stabilität der Verknüpfung, sowie der erzielbaren
Komplexität der Bibliotheken bietet es entscheidende Vorteile. Die genannten Beispiele zeigen, welches enorme Potenzial diese Technologie auszeichnet und man kann
davon ausgehen, dass weitere bahnbrechende Entwicklungen folgen.
Literatur
[1] Wilson D.S., Szostak J.W.: In vitro selection of
functional nucleic acids. Annu Rev Biochem 1999, 68:
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[2] Kettling U., Koltermann A., Eigen M.: Evolutionary biotechnology – reflections and perspectives.
Curr Top Microbiol Immunol 1999, 243: 173–186.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Michael Famulok
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Kekulé-Institut für Organische Chemie und
Biochemie
Gerhard-Domagk-Straße 1
D-53121 Bonn
Tel.: 0228-73-5661
Fax: 0228-73-5388
[email protected]
[3] Geysen H.M., Meloen R.H., Barteling S.J.: Use
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[7] Hoffmüller U., Schneider-Mergener J.: In vitro
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[8] Roberts R.W.: Totally in vitro protein selection using mRNA-protein fusions and ribosome display. Curr
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[9] Keefe A.D., Szostak J.W.: Functional proteins
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[10] Wilson D.S., Keefe A.D., Szostak J.W.: The use
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peptides. Proc Natl Acad Sci USA 2001, 98: 3750–3755.
[11] Barrick J.E., Takahashi T.T., Ren J., Xia T.,
Roberts R.W.: Large libraries reveal diverse solutions to
an RNA recognition problem. Proc Natl Acad Sci USA
2001, 98: 12374–12378.
BIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang
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