Molekulare bakterielle Infektionsforschung

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Molekulare bakterielle Infektionsforschung –
Gegenwart und Zukunft
Werner Goebel und Michael Kuhn
Lehrstuhl für Mikrobiologie, Theodor Boveri-Institut für Biowissenschaften der Universität Würzburg
Die Forschung an krankheitserregenden
Mikroorganismen, vor allem an humanpathogenen Bakterien, hat in den letzten
zwei Jahrzehnten einen enormen
Aufschwung erlebt und dieses Gebiet zu
einem der aktuellsten und spannendsten
Forschungsrichtungen der modernen
Mikrobiologie werden lassen. Das war –
vor allem in Deutschland – bei weitem
nicht immer so. Forschung an humanpathogenen Bakterien war, nach den großen
Pionierleistungen von Robert Koch und
seiner Schule, für viele Jahre, von wenigen
Ausnahmen abgesehen, in einen tiefen
Dornröschenschlaf gesunken und weitgehend durch gewinnbringende Routineuntersuchungen klinischer Isolate ersetzt
worden. Gefördert wurde diese jahrzehntelange Forschungsabstinenz im Bereich der
„Medizinischen Bakteriologie“ durch die,
selbst in Fachkreisen weit verbreitete
Auffassung, dass humanpathogene Bakterien durch die guten hygienischen Bedingungen und die leichte Verfügbarkeit von
Antibiotika für unsere Gesellschaft eigentlich kein ernst zu nehmendes medizinisches Problem mehr darstellen. Erst das
Aufkommen und die rasche Verbreitung
der Antibiotikaresistenz in vielen pathogenen Bakterien und das Auftreten neuer
humanpathogener Bakterienarten und
Varianten altbekannter Arten haben zu
einem Umdenken und einer Reaktivierung
dieser Forschungsrichtung in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Deutschland
geführt.
Die Abbildung im Hintergrund zeigt eine fingerförmige Ausstülpung, die von Listeria monocytogenes erzeugt wird, wenn ein sich intrazellulär
bewegendes Bakterium von innen an die Zytoplasmamembran gelangt und diese nach außen
stülpt. Das Bakterium befindet sich (membranumschlossen) an der Spitze der Struktur.
Die Anfänge der molekularen bakteriellen
Infektionsforschung
Zweifellos war die um 1980 einsetzende
Renaissance in der Forschung an humanpathogenen Bakterien von mehreren bahnbrechenden Erkenntnissen und methodischen Fortschritten im Bereich der molekularen Genetik und der Nukleinsäurebiochemie begünstigt, die sich zunächst besonders erfolgreich auf prokaryotische Organismen anwenden ließen. Vor allem die raschen Fortschritte in der bakteriellen Plasmidforschung waren hier richtungweisend:
(a) der Nachweis, dass die meisten Plasmide durch Konjugation oder Transformation
auf andere Bakterien übertragen werden
können; (b) die medizinisch hochrelevante
Erkenntnis, dass diese extrachromosomalen
Moleküle bei den meisten antibiotikaresistenten Bakterien offensichtlich die Träger
der Resistenzgene sind; (c) die Möglichkeit,
diese kleinen zirkulären Moleküle leicht zu
isolieren[1]; (d) die Entwicklung der rekombinanten DNA Technologie, für die Restriktionsendonukleasen und die Vektorplasmide bahnbrechend waren[2].
Die Anfänge der modernen molekularen
Pathogenitätsforschung wurden entscheidend geprägt von den in den 70er und 80er
Jahren, vor allem an pathogenen E. coli-Stämmen gemachten Beobachtungen, dass auf
Plasmiden Gene für „Virulenzfaktoren“ lokalisiert sein können, wie z. B. für bestimmte
Proteintoxine[3, 4], Eisentransportsysteme[5],
Adhäsine[6] und Invasionsfaktoren[7]. Diese
Entdeckungen erleichterten wiederum die
ersten Klonierungen von Virulenzgenen,
etwa der Gene für Hitze-stabile und -labile
Enterotoxine[8], für alpha-Haemolysin[9, 10]
sowie für die P- und S-Adhäsine[10, 11] verschiedener E. coli-Stämme. Die klonierten
Virulenzgene konnten in andere E. coliStämme übertragen werden; damit ließen
sich erste in vivo-Untersuchungen in Tiermodellen durchführen, die die Bedeutung
dieser Gene für die Virulenz aufzeigten – frühe Meilensteine auf dem Weg zur Erforschung der molekularen Mechanismen pathogener Bakterien. Kein Wunder, dass gerade die Plasmidforscher der ersten Stunde,
die sich davor mit Fragen der Plasmidrepli-
kation und -konjugation beschäftigt hatten,
zu den Pionieren der neuen molekularen
bakteriellen Pathogenitätsforschung zählten.
Früh zeigte sich aber auch, dass die meisten Virulenzgene human- und tierpathogener Bakterien auf den bakteriellen Chromosomen lokalisiert sind. Die Verfügbarkeit
besserer Klonierungsvektoren, vor allem der
Cosmide, die auch die Klonierung längerer
chromosomaler DNA-Abschnitte ermöglichte, führte in rascher Folge zur Klonierung
einzelner chromosomaler Virulenzgene und
komplexerer Virulenzdeterminanten in zahlreichen pathogenen Bakterien und zu der
Erkenntnis, dass Virulenzgene häufig zusammenhängend auf längeren, definierten
Chromosomenabschnitten vorliegen[12] –
heute als „Pathogenitätsinseln“ bekannt[13].
Der heutige Stand der bakteriellen
Infektionsforschung
In den darauf folgenden zwei Jahrzehnten
hat dieser Wissenschaftszweig eine stürmische Entwicklung erfahren. Die Erforschung
der molekularen Mechanismen, die der Pathogenität zu Grunde liegen, umfasst mittlerweile nahezu alle bekannten humanpathogenen Bakterien, obwohl eine gewisse
Konzentration auf einige Modellorganismen
(E. coli, Salmonella typhimurium, Shigella flexneri, Listeria monocytogenes und einige andere) unverkennbar ist. Molekulare Infektionsbiologie bedeutet heute aber nicht
mehr nur, die Biologie der Infektionserreger
und ihre spezifischen Pathogenitätsmechanismen zu verstehen, sondern – und das in
zunehmendem Maße – auch die Wechselwirkungen mit ihren jeweiligen Wirtszellen
und zukünftig wohl auch mit dem gesamten
Makroorganismen zu studieren. Ein wesentlicher Zugewinn an Erkenntnis auf dem
Gebiet der molekularen Infektionsbiologie
erwuchs aus der Entschlüsselung der Genomsequenzen von mittlerweile fast allen
bekannten humanpathogenen Bakterien[14].
Damit aufs Engste verbunden war die Entwicklung von Hochdurchsatzverfahren, die
es erstmals ermöglichten, komplexere Vernetzungen der Virulenzgene und deren Regulation sowie die Interaktionen ihrer Genprodukte zu studieren[13, 15–18]. Im FolgenBIOspektrum · 6/04 · 10. Jahrgang
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den soll versucht werden, einige grundlegende Prinzipien herauszuarbeiten, die
heute als gesichert angesehen werden können, und darauf aufbauend erörtern, in welche Richtungen sich die molekulare Infektionsbiologie in Zukunft weiterentwickeln
könnte.
einen oder wenige Faktor(en) ausgelöst werden. Ihre Fähigkeit, sich in einer eukaryotischen Wirtszelle zu vermehren, scheint jedoch eine weit komplexere, noch wenig verstandene Adaptation an den Metabolismus
der Wirtszelle vorauszusetzen.
Adhärenz und Invasion
Krankheitserregende Bakterien vermehren
sich in unterschiedlichen Kompartimenten
ihres Wirtes
Pathogene Bakterien lassen sich grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilen, die extrazellulären und die intrazellulären bzw. fakultativ intrazellulären Bakterien, wobei als
Hauptkriterium für die Unterscheidung dieser beiden Gruppen weniger ihre Fähigkeit
zu sehen ist, in eukaryotische Wirtszellen
einzudringen, als vielmehr ihre Fähigkeit,
sich in einem spezifischen Kompartiment
der infizierten Wirtszelle zu vermehren. Wie
später noch ausgeführt werden soll, kann die
Internalisierung von Bakterien häufig durch
Eine Infektion durch beide Typen pathogener Bakterien beginnt mit der Kolonisierung
spezifischer Wirtsgewebe und Zellverbände. Dies setzt in allen Fällen die Anheftung
der Bakterien an ihre Zielzellen voraus, ein Vorgang, der durch ein oder
mehrere Adhäsine erfolgen kann.
Für die Adhärenz extrazellulärer
Bakterien an Rezeptoren der Wirtszellen sind als Liganden verschiedene strukturierte Zellwandanhänge
(Fimbrien oder Pili) und weniger strukturierte Adhäsine nachgewiesen worden.
Auch intrazelluläre Bakterien adhärieren
zunächst an ihre Wirtszellen. Danach erfolgt
Zukünftige Entwicklungslinien
A. Forschungsfelder
• die Biologie pathogener Mikroorganismen
• die Interaktionen zwischen Wirten und
Mikroorganismen
• neue Werkzeuge, insbesondere für
Untersuchungen der molekularen
in vivo-Pathogenese-Mechanismen
B. Forschungsschwerpunkte
• Erforschung der Ökologie und Zusammensetzung von Populationen pathogener Mikroorganismen
• Metabolismus pathogener Mikroorganismen und ihrer Wirtszellen unter Infektionsbedingungen
• Evolution mikrobieller Virulenz und
Antibiotika-Resistenz
• Biofilmbildung
• Genomplastizität und Erfassung des Virulenzgenpools
• Antigendiversität
C. Besonders interessante
Untersuchungsobjekte
D. Notwendige methodische
Entwicklungen
• Biolumineszenz (und andere) ImagingTechniken zur Verfolgung von Infektionen unter in vivo-Bedingungen
• Anwendung von Microarray- und Proteomanalysen in infizierten Geweben
• Metagenomanalysen mikrobieller Gemeinschaften
• Entwicklung geeigneter Tiermodelle
durch transgene Techniken
• in vivo-Anwendung der siRNA-Technologie
• spezifische Datenbanken und neue Datenanalyseverfahren
E. Anwendungsbereiche
• Entwicklung neuer Bioassays zur Identifizierung geeigneter Targets für Therapie und Impfstoffentwicklung
• neue in vivo-Screening-Techniken
• neue diagnostische Strategien
• Etablierung einer spezifischen Stammund Gewebesammlung
F.
• die Oberflächenstrukturen und Rezeptoren auf der Wirtsseite
• die entsprechenden Interaktionsstrukturen auf Seiten der Mikroorganismen,
sowie
• die damit einhergehende Zell-ZellKommunikation
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Wissenschaftliche Teilnehmer der
„BMBF-Runde“
• M. Dierich (A), M. Frosch (D), P. Glaser
(F), T. Glasz (HUN), W. Goebel (D), J.,
Hacker (D), K.-P. Koller (D), J. Kreft
(D), M. Kuhn (D), M. Maiden (UK),
J. Parkhill, (UK), P. Sansonetti (F)
entweder eine spezifischere Interaktion zwischen oberflächengebundenen Invasinen
auf der Bakterienseite und spezifischen Rezeptoren auf der Wirtszellseite (meist Komponenten des Zell-Zell-Adhäsionsapparates). Andere Bakterien injizieren ihre Invasine in die Wirtszellen mit Hilfe eines Typ
III-Sekretionssystems. In beiden Fällen
werden anschließend in der Wirtszelle Signalkaskaden ausgelöst, die letztlich
zur Umstrukturierung des Cytoskeletts in der Wirtszelle und
zur Aufnahme der Bakterienzelle entweder nach einem
Reißverschluss-(Zipper)-Mechanismus oder einem durch Membranausstülpungen gekennzeichneten Triggermechanismus führen.
Toxine sind wichtige Virulenzfaktoren
Proteintoxine sind als Virulenzfaktoren vor
allem bei extrazellulären pathogenen Bakterien weit verbreitet und dienen dazu,
Wirtszellen zu schädigen, um so die Wirtsabwehr zu schwächen und gewebsinvasive
Infektionsverläufe zu erleichtern. Die lange
bekannten Cytotoxine (wie Choleratoxin
und andere Enterotoxine, Shigatoxin, Pertussistoxin, zahlreiche Clostridientoxine)
und Cytolysine (Hämolysine, Leukotoxine,
verschiedene Phospholipasen) sind mittlerweile in ihrer Struktur und Funktion intensiv erforscht.
Bei intrazellulären Bakterien tritt diese
Art von Toxinen seltener auf, und auch die
von einigen dieser Vertreter produzierten
Toxine wie das Shigatoxin von Shigella dysenteriae scheinen für den intrazellulären Infektionsverlauf keine wesentliche Rolle zu
spielen bzw. haben im intrazellulären Vermehrungszyklus – wie das Listeriolysin von
L. monocytogenes – eine spezielle Funktion als
Öffner der phagosomalen Membran.
In letzter Zeit haben die Moduline von
Salmonellen, Shigellen und vor allem Yersinien als neuartige „bakterielle Toxine“ erhöhte Aufmerksamkeit gefunden. Diese
Proteine, durch TypIII-Sekretionssysteme
von den Bakterien ausgeschleust und direkt
in das Cytosol der Wirtszellen injiziert, interagieren dort mit Komponenten von
Signalkaskaden und führen so zu Störungen
von Signaltransduktionsketten oder zu Veränderungen im Cytoskelett der Wirtszellen.
Als Folge der Modulininteraktionen mit
Komponenten des Apoptosepfades kann es
auch zur induzierten Apoptose der Wirtszellen und zur Immunsuppression kommen.
Sekretionssysteme
Adhäsine pathogener Bakterien werden auf
die Außenseite der Zelloberfläche transpor-
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tiert, und Proteintoxine werden von den
Bakterien in die Umgebung ausgeschieden.
Da für den Transport über die äußere Membran Gram-negativer Bakterien kein allgemeines Transportsystem existiert wie bei
Gram-positiven, sind für den Transport dieser Virulenzfaktoren über die äußere Membran spezifische Protein-Lokalisationssysteme und -Sekretionssysteme entwickelt worden. Ob sich diese Proteintransportsysteme
speziell für die Ausschleusung von Virulenzfaktoren in Gram-negativen Bakterien
evolviert haben, ist jedoch eher zweifelhaft,
da ähnliche Systeme auch in apathogenen
Bakterien nachgewiesen wurden und dort
zur Sekretion von Exoenzymen dienen. Hinweise für das Vorliegen dieser Sekretionssysteme existieren auch für endosymbiontische Bakterien, die z. T. seit vielen Jahrmillionen mit ihren Insektenwirten eine CoSpeziation durchlaufen haben[17]. Demnach
müssen diese Transportsysteme wohl sehr
alten Ursprungs sein. Wie die kürzliche Entdeckung eines Vesikel-vermittelten Transports des Cytolysins HlyE (früher ClyA) von
E. coli zeigt[19], existieren vor allem in
Gram-negativen Bakterien möglicherweise
noch weitere Transportsysteme für Virulenzfaktoren.
Physiologische und metabolische
Adaptationen
Pathogene Bakterien haben zahlreiche Strategien zur optimalen
Anpassung an die physiologischen und metabolischen Gegebenheiten ihrer Habitate entwickelt.
So können Ureasen durch Spaltung
von Harnstoff in Ammoniak und CO2 zur
Abpufferung saurer Umgebungen beitragen.
Katalasen und Superoxiddismutasen bauen
toxische Sauerstoffmetabolite ab. Exoenzyme wie Proteasen, Elastasen, Hyaluronidasen, Neuraminidasen und Collagenasen können zur Versorgung der extrazellulären Bakterien mit Kohlenstoff- und Stickstoffquellen, teils aber auch zur Penetration der Bakterien durch das infizierte Gewebe beitragen.
Weit weniger gut verstanden sind die Mechanismen, die es Bakterien erlauben, die
metabolischen Gegebenheiten der infizierten Wirtszellen und -gewebe für ihr Überleben und ihre Vermehrung zu nutzen.
Gut untersucht sind die Eisenaufnahmesysteme, mit denen sich extrazelluläre Erreger die gebundenen Eisenvorräte des infizierten Wirtes zu Nutze machen. Meist handelt es sich dabei um Siderophor-basierte
Aufnahmemsysteme wie sie auch bei vielen
apathogenen Bakterien vorkommen.
Weitgehend offen ist die Frage, wie sich
intrazellulär wachsende Bakterien mit C-, N-
und S-Quellen in ihren Wirtszellen versorgen. Erste Befunde, wie die Unfähigkeit der
meisten Bakterien nach Mikroinjektion im
Cytosol von Säugerzellen zu wachsen[20],
die Abhängigkeit der cytosolischen Replikation von L. monocytogenes von einem regulierten Aufnahmesystem für phosphorylierte Hexosen[21], der Erwerb spezifischer
ATP/ADP-Translokasen in Rickettsien und
Chlamydien[22], die Abhängigkeit der intrazellulären Vermehrung von Mycobacterium
tuberculosis von Enzymen des Glyoxylatcyclus[23] und einige weitere Daten deuten
darauf hin, dass diese Adaptationsmechanismen komplexer Natur sind. Hier muss
noch viel Forschungsarbeit geleistet werden,
bevor man diese wichtigen Fragen wird beantworten können.
Regulation der Virulenzgene
Die genaue Abstimmung der Expression der
meist zahlreichen Virulenzgene pathogener
Bakterien ist eine Grundvoraussetzung für
eine erfolgreich verlaufende Infektion, da
die Virulenzfaktoren in optimaler Menge
dann und dort produziert werden müssen,
wann und wo sie gebraucht werden. Dazu
werden Regulationsmechanismen
verwendet, wie sie auch für die koordinierte Expression von Genen
apathogener Bakterien unter dem
Einfluss variabler Umweltbedingungen bekannt sind. Häufig werden Virulenzgene durch globale
Regulatoren gesteuert, die auch an
der Stressregulation, der Katabolitrepression, der Eisenregulation u. a. beteiligt sind. Hinzu kommen spezifische, auf die
Virulenzgenexpression abgestimmte Transkriptionsregulatoren, die mit den allgemeinen globalen Regulatoren eng vernetzt sein
können, um eine Feinabstimmung in der
Expression der Virulenzgene zu gewährleisten.
Evolution von Virulenzgenen und
horizontaler Gentransfer
Bereits in den 80er Jahren wurde bei der
Untersuchung uropathogener Bakterien beobachtet, dass Virulenzgene in Genklustern
im Chromosom verankert sind[12, 13]. Derartige „Pathogenitätsinseln“ sind in unterschiedlichen Varianten mittlerweile in zahlreichen Gram-negativen und seltener in
Gram-positiven pathogenen Bakterien nachgewiesen worden. Bestimmte Eigenschaften dieser häufig mobilen genetischen Strukturen weisen auf ihre Abstammung von lysogenen Phagen hin, die ja auch schon früh
neben Plasmiden als Träger von Virulenzgenen, insbesondere bestimmter Toxingene, nachgewiesen werden konnten. Diese
Blockanordnung von Virulenzgenen auf mobilen genetischen Elementen erleichtert
einerseits ihre koordinierte Regulation, besonders aber ihre Weitergabe durch horizontalen Gentransfer und ihre Erweiterung
und Anpassung als Antwort auf sich verändernde Umwelt- bzw. Infektionsbedingungen. So konnten kürzlich in einem Pseudomonas aruginosa-Stamm zwei Pathogenitätsinseln nachgewiesen werden, von denen eine die Gene für Pflanzenpathogenität, die
andere die für Tierpathogenität trägt[24].
Über die Evolution bakterieller Virulenzgene ist in den vergangenen Jahren viel spekuliert und publiziert worden. Vor allem die
vergleichenden Genomanalysen unterschiedlich pathogener und apathogener Vertreter der gleichen oder verwandter Arten
haben hier wesentliche neue Erkenntnisse
geliefert[25].
Ein neues Forschungsgebiet: Zelluläre
Mikrobiologie
Ein molekulares Verständnis von Infektionen erfordert nicht nur eine genaue Kenntnis der Virulenzeigenschaften des Erregers,
sondern auch eine umfassende Kenntnis der
vom Wirt (bzw. den betroffenen Wirtszellen)
als Antwort auf die Interaktion mit dem
Mikroorganismus ausgelösten Reaktionen.
Die vergangenen Jahre haben hier – vor allem in Bezug auf Interaktionen zwischen
intrazellulären Bakterien und Säugerzellen
– zu einer Flut an neuen Informationen geführt. Für diese mikrobiologisch-zellbiologische Forschungsrichtung wurde als neuer
Begriff die „zelluläre Mikrobiologie“ geprägt[26]. Im Mittelpunkt der Untersuchungen standen die Aufklärung der zellulären
Mechanismen, (a) zur Aufnahme von intrazellulären Bakterien in Säugerzellen, (b) zur
intrazellulären Bewegung von Bakterien, (c)
zur Auslösung von Apoptose von infizierten
Zellen, (d) zur Induktion von inflammatorischen Reaktionen, (e) zur Aktivierung des
Immunsystems als Folge von Infektionen
und (f) in zunehmendem Maß auch die unter dem Einfluss von Infektionen zu metabolischen Veränderungen der Wirtszellen
führenden Ereignisse.
So bedeutsam die Ergebnisse dieser
Untersuchungen auch sein mögen, es sollte
nicht vergessen werden, dass die meisten
bisherigen Ergebnisse der zellulären Mikrobiologie mit etablierten Zelllinien erhalten
wurden und diese zukünftig unbedingt an in
vivo-Modellen überprüft werden müssen,
um ihre infektionsbiologische Relevanz zu
bestätigen. Dazu werden gegenwärtig entwickelte Methoden wie die Etablierung
transgener Tiermodelle und Zellsysteme,
die siRNA-Technologie und in vivo-Imaging
Verfahren wesentlich beitragen.
BIOspektrum · 6/04 · 10. Jahrgang
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Wie könnte die Zukunft aussehen?
Ein Blick in die Zukunft ist immer mit Unwägbarkeiten behaftet. Jedoch lässt sich mit
großer Sicherheit vorhersagen, dass
sich die molekulare Infektionsbiologie auch in den kommenden Jahrzehnten als hoch attraktive und aktuelle Forschungsrichtung innerhalb
der Mikrobiologie erweisen wird. Dazu genügt allein schon die erstaunliche
Fähigkeit der Mikroorganismen, rasch ihr
Pathogenitätsreservoir zu verändern und zu
erweitern. Das wird sich auch in Zukunft
nicht wesentlich ändern, obwohl wir mit der
Entschlüsselung der Genome zahlreicher
Mikroben[15] einige ihrer Geheimnisse offen
gelegt haben und damit zukünftig vermutlich besser in der Lage sein werden, schnell
und gezielt auf ihre neuen „Einfälle“ zu reagieren.
In Voraussicht auf diese „zukünftige Entwicklung“ fand 2003 in Würzburg auf Einladung des BMBF eine Zusammenkunft von
Wissenschaftlern aus mehreren europäischen Ländern statt, die sich Gedanken machen sollten, wie ein wissenschaftliches Programm im Rahmen eines in naher Zukunft
geplanten europäischen Verbundnetzes „Pathogenomics“ aussehen könnte. Die dabei
entstandene Sicht einer größeren Expertenrunde soll hier einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Diskussion
vorgestellt werden.
Der bedeutendste zukünftige Forschungsbedarf im Bereich der Infektionsbiologie wurde auf drei Feldern gesehen,
wobei neben den humanpathogenen Bakterien verstärkt auch humanpathogene Pilze
bearbeitet werden sollen. Hierzu wurden eine Reihe von Forschungsschwerpunkten,
besonders interessanten Untersuchungsobjekten und notwendigen Methodenentwicklungen definiert (siehe Kasten). Einig
war man sich auch darin, dass die zukünftige Infektionsforschung sich verstärkt auf die
Interaktion von Mikroorganismen mit Modell-Makroorganismen orientieren sollte, zusätzlich zu den bewährten Zellkultursystemen. Dies soll zu einem besseren Verständnis der in vivo-Pathogenese führen.
Besondere Bedeutung wurde der Aufklärung solcher Pathogenesemechanismen beigemessen, die zum Durchbrechen von epithelialen und endothelialen Barrieren führen (Blut-Hirnschranke; Darmepithel; Lungenepithel; Plazenta).
Wichtige Schwerpunkte wurden auch in
der Erforschung von Kommensalismus und
Nosokomialinfektionen gesehen sowie in
der Aufklärung der Mechanismen, die zur
Evasion der pathogenen Mikroorganismen
aus der Kontrolle der Wirtsimmunabwehr
und zu den durch einige Mikroorganismen
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im infizierten Wirt ausgelösten sekundärpathologischen Effekte
wie Krebs und Autoimmunerkrankungen führen.
Viele dieser ins Auge gefassten zukünftigen Forschungsschwerpunkte, vor allem die dringend erforderliche Hinwendung zur
in vivo-Pathogenese-Forschung, erfordern die Neu- bzw. Weiterentwicklung von
geeigneten Methoden und Werkzeugen.
Und natürlich muss auch die Anwendung
der Forschungsergebnisse einen gebührenden Rang erhalten.
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Prof. Dr. Werner Goebel
PD Dr. Michael Kuhn
Lehrstuhl für Mikrobiologie
Theodor Boveri-Institut für Biowissenschaften
(Biozentrum) der Universität Würzburg
Am Hubland
D-97074 Würzburg
[email protected]
[email protected]
Werner Goebel
Jahrgang 1939; Studium
der Chemie an der Universität Tübingen, Promotion 1965; Postdoc
bei Prof. Helinski an der
University of California
San Diego/La Jolla
1966 – 69; Assistant
Bolin, C. A., Minion, F. C., and Wannemuehler,
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431–436.
Michael Kuhn
Jahrgang 1958; Studium
der Biologie an der Universität Würzburg, Promotion 1989 bei Prof.
Goebel am Institut für
Genetik und Mikrobio-
am Institut für Mikrobiologie der Universität
Hohenheim 1969 – 71;
1971 Habilitation für
das Fach Mikrobiologie
an der Universität
Hohenheim; Leiter der
Abteilung für Genetik
bei der „Gesellschaft
für Molekularbiologische Forschung“ (GBF),
Braunschweig 1972 –
75; seit 1975 Lehrstuhl
für Mikrobiologie am
Institut für Genetik und
Mikrobiologie, seit
1992 am Biozentrum
der Universität Würzburg.
logie der Universität
Würzburg; Postdoc bei
Prof. Sansonetti am Institut Pasteur in Paris
1989 – 90; Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Lehrstuhl für Mikrobiologie der Universität
Würzburg 1991 – 2003;
1998 Habilitation für
das Fach Mikrobiologie
an der Universität Würzburg; seit 1993 Geschäftsführer des BMBF
Kompetenznetzwerks
„PathoGenoMik“ der
Universität Würzburg.
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