48 5. Diskussion 5.1 NF2 Mutationen in seltenen

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5. Diskussion
5.1 NF2 Mutationen in seltenen Meningeomvarianten
Um die Datenlage zur Mutationsfrequenz des NF2 Gens in Meningeomen zu
vervollständigen, wurden in dieser Arbeit 80 seltene Meningeome analysiert. Es konnte
gezeigt werden, dass sich die seltenen histologisch definierten Meningeomvarianten
durch signifikante Unterschiede in der Mutationsfrequenz des NF2 Gens unterscheiden.
In 80 DNA Proben wurden in 10 Tumoren (12,5%) 11 Mutationen gefunden (13,6%),
wobei bei den einzelnen Varianten deutliche Unterschiede in der Mutationsfrequenz
festzustellen waren. Höhere Mutationsfrequenzen wurden bei den 14 psammomatösen
(36%) und den 3 chordoiden (33%) Meningeomen gefunden. Es fanden sich seltener
NF2 Mutationen in klarzelligen (22%) und angiomatösen Meningeomen (11%). Keine
NF2 Mutationen wurden bei den sekretorischen, mikrozystischen, lymphoplasmozytären, dem metaplastischen und dem rhabdoiden Meningeom detektiert.
In der Kontrollgruppe waren 26% der transitionalen Meningeome und 44% der
fibroblastischen Meningeome mutiert.
Die Probenzahl der zwei analysierten lymphoplasmozytären (n=2), dem rhabdoiden
(n=1) und dem metaplastischen (n=1) Meningeom war zu gering und erlaubte keine
verallgemeinernden Aussagen. Signifikant ist dagegen, dass in 33 untersuchten
sekretorischen Meningeomen im Vergleich zu den fibroblastischen Meningeomen keine
NF2 Mutation auftrat (p < 0.0001, Fisher exact test). Im Fall der 7 mikrozystischen
Meningeome wird im Vergleich zur Kontrollgruppe keine Signifikanz erreicht (p < 0.07,
Fisher exact test). Die im einzigen papillären Meningeom detektierten Mutationen
lassen ebenfalls keine statistische Analyse zu.
5.2 NF2 Mutationen im wissenschaftlichen Kontext
Das Verteilungsmuster der Mutationen zeigte keine so genannten hot-spot Regionen,
d.h. Bereiche des Gens, in denen überzufällig häufig Mutationen detektiert werden.
Entsprechend der publizierten Datenlage fanden sich in dieser Arbeit in nahezu allen
Exonen Mutationen. Nur in Exon 10 und Exon 16 wurden keine Mutationen festgestellt.
Exon 3, 7 und 12 waren mit je 3 Mutationen etwas häufiger betroffen. Somit scheinen
Mutationen im Carboxylterminus, der EMR und α-helikalen Region gleichermaßen
48
Einfluss auf die Meningeomentstehung zu haben, was in anderen Studien nicht gezeigt
werden konnte (Wellenreuther, Kraus et al. 1995).
Anzahl NF2 Mutationen
Diagramm 1: Verteilung der Mutationen im NF2 Gen
3
2
1
0
1
2
In 2
3
4
In 4
5
6
7
In 7
Exon
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Intron
In der internationalen Datenbank für NF2 Mutationen (http://uwcmml1s.uwcm.ac.uk/
uwcm/mg/nf2/)
werden
Lokalisation
und
Art
der
Mutationen
gesammelt.
Übereinstimmend mit diesen Daten und wie auch in früheren Studien berichtet, werden
besonders
Nonsense
und
Frameshift
Mutationen
im
NF2
Gen
beobachtet
(Wellenreuther, Kraus et al. 1995) (Lekanne Deprez, Bianchi et al. 1994) (MacCollin
1995). Nonsense Mutationen bezeichnen Veränderungen in der Aminosäuresequenz,
die ein frühzeitiges Stop-Codon induzieren und somit zu einem verkürzten und meist
nicht
funktionalen
Protein
führen.
Durch
Insertionen
oder
Deletionen
der
Aminosäuresequenz, die zu einer Verschiebung des reading frames führen, bewirken
auch Frameshift Mutationen schwerwiegende Veränderungen des Proteins. Diese
Mutationsarten waren auch in unseren Proben am häufigsten vertreten (82%). Eine
Missense Mutation, die durch einen einzigen Aminosäureaustausch definiert ist und auf
Proteinebene geringere Störungen verursacht, trat nur in einem Fall auf (27928)
(Lekanne Deprez, Bianchi et al. 1994) (Wellenreuther, Kraus et al. 1995).
In vier Fällen (14%) ließen sich Mutationen in potentiellen Splice-site Regionen
nachweisen (29428, 29446, 29518, 26426). In Splice-site Regionen treten bestimmte
Basenkonstellationen auf. So sind am 5’ Anfang des Introns zu 100% die Basen (oder
Basentypen) GT (Chen, U et al.) konserviert, dann folgen mit geringeren Prozentzahlen
A (62%) A (68%) G (84%) und T (63%). Am 3’ Intron-Ende sind es zu 100% die Basen
A und G, an dritter Position C (65%). Punktmutationen in diesem Bereich verhindern mit
großer Wahrscheinlichkeit korrektes Splicing.
49
Mittels der verwendeten Gen- und Splice-site Prädiktionsprogramme wurde
berechnet, dass alle vier Mutationen wahrscheinlich eine Veränderung der mRNASequenz verursachen. Ein Funktionsverlust des NF2 Proteins ist somit sehr
wahrscheinlich. Mutationen des NF2 Gens finden sich häufig in Splice-site Regionen
(Merel, Hoang-Xuan et al. 1995; De Vitis, Tedde et al. 1996).
Meningeome, in denen hier keine Mutationen nachgewiesen werden konnten, haben
möglicherweise strukturelle Veränderungen in Regionen, welche nicht untersucht
wurden. In den ausgedehnten intronischen Genabschnitten könnten Mutationen liegen,
welche die für den Splice-Prozess erforderlichen Konformationsänderungen der Prämessenger-RNA
beeinträchtigen.
So
wurden
beispielsweise
für
das
Tumor-
suppressorgen TP53 bei Patientinnen mit familiärem Brustkrebs intronische Varianten
außerhalb der Splice-site Regionen gefunden (Lehman, Haffty et al. 2000; Marsh,
Spurdle et al. 2001). Die Studienlage zu den hieraus resultierenden Konsequenzen für
die Proteinfunktion ist allerdings noch uneinheitlich. Diskutiert werden sowohl benigne
Polymorphismen (Marsh, Spurdle et al. 2001) als auch funktionelle Auswirkungen auf
Proteininteraktion, geringere Apoptose und längeres Überleben der Zellen nach
Chemotherapie (Lehman, Haffty et al. 2000).
Ein alternativer Mechanismus wurde kürzlich vorgeschlagen, der die Entstehung von
Meningeomen beeinflusst und dabei nicht mit NF2 Mutationen oder LOH 22q
einhergeht. Eine abnorme Aktivität der m-Calpain-abhängigen Proteolyse vom
Merlin/NF2 Protein könnte in einigen Meningeomen für den Verlust von Merlin und die
Entstehung von Meningeomen verantwortlich sein (Kimura, Saya et al. 2000). Auch die
Inaktivierung
des
NF2
Gens
beispielsweise
durch
Methylierung
könnte
bei
Meningeomen eine Rolle spielen.
5.3 Technische Diskussion
5.3.1 Diskussion der SSCP-Methode
Die in dieser Arbeit verwendete Screeningmethode SSCP beruht auf dem
theoretischen
Prinzip,
dass
die
Einzelstränge
von
Nukleinsäuren
bestimmte
Sekundärstrukturen im Elektrophoresegel annehmen. Die Sekundärstruktur hängt u.a.
von der Basensequenz ab und kann durch Austausch einzelner Basen verändert
werden.
50
Die Detektionswahrscheinlichkeit von Mutationen hängt hierbei vor allem von der
Länge der zu untersuchenden PCR-Fragmente ab. Übersteigt die Fragmentlänge 150
bis 200 Basenpaare, so wird eine Abnahme der Sensitivität beobachtet (Sheffield, Beck
et al. 1993). Des weiteren haben vor allem Gelzusammensetzung und Temperatur
Einfluss auf die Sensitivität. Insgesamt wird eine Detektionswahrscheinlichkeit der
SSCP Analyse von 62 bis 100% berichtet (Kozlowski and Krzyzosiak 2005). Die hier
verwendeten PCR-Produkte hatten eine Länge von 151 bis 227 bp bei einem Mittel von
187. Deutlich über 200 bp war mit 227 das Produkt für Exon 8. Hier wurden insgesamt
zwei Mutationen detektiert (29445, 29450), was der Rate der anderen Exone entspricht.
Somit wird angenommen, dass die Produktgröße in diesem Fall keinen wesentlichen
Einfluss auf die Detektionswahrscheinlichkeit ausübte.
Ein
weiterer
Kritikpunkt
der
hier
benutzten
SSCP-Analyse
ist,
dass
die
Untersuchungen nicht bei konstanten Temperaturen durchgeführt werden konnten. Aus
Gründen der Reproduzierbarkeit wäre eine standardisierte Temperaturkontrolle
wünschenswert (Hayashi 1992). Um eine noch bessere Auftrennung der Banden bei
standardisierten Temperaturbedingungen zu erreichen, wäre die Verwendung eines
Elektrophoresesystems mit Temperaturgradienten (TGGE) sinnvoll.
Vom direkten Sequenzieren zum Mutationsscreening wurde in dieser Studie
abgesehen. Neben den höheren Kosten und begrenzten Kapazitäten der direkten
Sequenzierung hat sich die Methode bei der Detektion unbekannter Punktmutationen
nicht als vorteilhaft erwiesen (Ziemssen, Schnepf et al. 2001). Die SSCP-Analyse ist
geeignet, homozygote wie auch heterozygote Mutationen in Tumoren aufzuspüren.
Beim direkten Sequenzieren dagegen werden homozygote Mutationen, wie sie in
Kombination mit LOH bei Tumorsuppressorgenen typisch sind, sehr gut identifiziert,
während es bei heterozygoten Mutationen zu falsch negativen Ergebnissen kommen
kann. Dies liegt daran, das äquimolare Verhältnisse von je einem mutierten und einem
Wildtyp-Strang des NF2 Gens vorliegen. Dieses theoretische Verhältnis von 50:50 wird
durch zusätzliche, nicht tumoröse DNA-Beimengungen aus Endothelien, Fibroblasten
und Lymphozyten, weiter zu Ungunsten des mutierten Allels verschoben (Maekawa,
Nagaoka et al. 2004). Die Rate identifizierter Mutationen erreicht ebenso wie bei der
SSCP-Analyse keine 100%.
Bei der SSCP-Analyse verursacht ein einfacher Basenaustausch nur dann eine
Veränderung der Sekundärstruktur der Nukleinsäuresequenz, wenn er an den Stellen
lokalisiert ist, die für die Ausbildung der dreidimensionalen Struktur unter den jeweiligen
51
Bedingungen ausschlaggebend sind. Bei einem Screening mittels SSCP-Analyse
könnte so auch eine Probe mit Mutation nicht durch aberrantes Laufverhalten der
Banden auffallen. Zur Zeit lässt sich die Sekundärstruktur von Nukleinsäuresequenzen
in der Acrylamid-Gelelektrophorese und somit das zu erwartende Laufverhalten nicht
zuverlässig voraussagen (Ziemssen, Schnepf et al. 2001).
5.3.2 Diskussion der LOH-Methode
Die LOH-Analyse ist eine zuverlässige und etablierte Technik zum Nachweis von
Allelverlusten. Geringe Mengen DNA sind ausreichend, um zuverlässige Ergebnisse zu
erhalten. Kontaminationen mit tumorfremder DNA, beispielsweise aus Entzündungszellen oder Gefäßen, behindern die Auswertung nicht.
Bei NF2-Patienten werden beim LOH-Screening in etwa 34–66% der Fälle NF2
Mutationen gefunden (Zucman-Rossi, Legoix et al. 1998). Zucman-Rossi et al. fanden
durch Mutationsanalysen der gesamten genomischen Sequenz mittels Fluoreszenz-insitu-Hybridisierung
(FISH)
Deletionen
großer
Fragmente
im
NF2
Gen.
Die
Detektionsfrequenz konnte so auf 84% gesteigert werden (Zucman-Rossi, Legoix et al.
1998). Konstitutionelle DNA wird bei FISH nicht benötigt. Allerdings sind einzelne
normale Zellen in den Tumorproben immer vorhanden und viele Zellen müssen
ausgewertet werden, um Signalverluste von Artefakten zu differenzieren. Allelverluste
eines Elternteils verbunden mit der Amplifizierung des anderen, potentiell mutierten
Gens werden oft beobachtet. Bei einer Verdopplung des verbleibenden Allels würde der
Verlust des anderen Allels bei FISH nicht detektierbar sein. Amplifikationen lassen sich
mit der LOH-Analyse nicht nachweisen.
5.4 Diskussion der Resultate
5.4.1 Diskussion der NF2 Mutationsfrequenzen
Die Frequenz von NF2 Mutationen in Meningeomen variiert bedeutend zwischen den
verschiedenen Studien. Die Mutationsfrequenz des NF2 Gens in sporadisch auftretenden Meningeomen differiert in den Literaturangaben zwischen 14% und 60%
(siehe Tabelle 9). Bei den häufigen Varianten fanden sich dabei in nur 5–25% der
meningotheliomatösen Meningeome NF2 Mutationen, während die fibroblastischen in
43–72%, die atypischen in 70%, die anaplastischen in 75% und die transitionalen in 12–
52
83% der Fälle Mutationen aufwiesen (Wellenreuther, Kraus et al. 1995; Ueki, Wen-Bin
et al. 1999). Für diese deutliche Diskrepanz der NF2 Mutationsfrequenzen in den
einzelnen Studien könnten unterschiedliche Untersuchungstechniken oder Zusammensetzungen der untersuchten Meningeomvarianten verantwortlich sein, vielleicht auch
Unterschiede in der ethnischen Herkunft.
Tabelle 9: Studien zu NF2 Mutationen
Autor/Jahr
n
n
Mng Exon NF2 Mutationen %
Meningeomvarianten(n)
Harada /1996
23
17
35 (18Men, 50Fibro, 66Trans, 50Atyp)
Men(11), Fibro(4), Trans(3), Mikrozy(1), Atyp(4)
Wellenreuther /1995
70
17
59 (25Men, 83Trans, 70Fibro, 70Atyp, Men(24),
75Anapl)
Anapl(8)
De Vitis /1996
125 17
30
Men(36),
Anapl(1)
Ng /1995
26
17
27
Sporadische
Joseph /1995
26
17
35
Sporadische
Lekanne Deprez/1994 44
17
32
Sporadische
30
Sporadische
Trans(18),
Fibro(35),
Fibro(10),
Trans(46),
Atyp(10),
Angiobl(7),
Merel /1995
57
Evans /1994
28
17
14 (5Men, 43 nonMen)
Men(21), Trans(2), Fibro(3), Atyp(2)
Ueki/1999
50
17
18 (10 Men, 45Fibro, 12,5 Trans)
Men(28), Fibro(11), Trans (8), Atyp (2), Angiopl
(1)
Papi L./1995
61
8
15
Sporadische
Legende Tab. 9: n Mng=Anzahl untersuchter Meningeome, n Exon=Anzahl untersuchter Exone,
Men=meningotheliomatöses Meningeom, Fibro=fibroblastisches Meningeom, Trans=transitionales
Meningeom, Atyp=atypisches Meningeom, Mikrozys=mikrozystisches Meningeom, Anapl=anaplastisches
Meningeom, Angiobl=angioblastisches Meningeom, nonMeni=nicht meningotheliomatöse Meningeome
Speziell bei den transitionalen Meningeomen fällt die Diskrepanz der Mutationsfrequenzen in verschiedenen Studien auf. Einen Grund hierfür könnte die Tatsache
darstellen, dass es sich bei dieser Entität entsprechend der WHO-Definition um einen
Mischtyp des meningotheliomatösen und des fibroblastischen Meningeoms handelt.
Hierdurch entstehen diagnostische Unschärfen, und unterschiedliche Diagnosen der
jeweils beurteilenden Neuropathologen lassen sich kaum vermeiden. Da bei
meningotheliomatösen seltener NF2 Mutationen auftreten als bei fibroblastischen
Meningeomen, und nicht auszuschließen ist, dass es zu Vermischungen kommt, wäre
dies eine Erklärung für die Diskrepanzen der Studien.
Betrachtet man die Meningeomdiagnosen am Institut für Neuropathologie an der
Charité von 2003, so waren von insgesamt 153 Meningeomen 65 vom transitionalen
53
Subtyp (42,5%). Dies entspricht einem Anteil von 47,8% unter den Meningeomen des
WHO-Grades I (siehe Tabelle 10). In einer kanadischen Studie mit ähnlicher Anzahl an
Tumoren (193 Meningeome) wurden nur 33% als transitionale Meningeome beurteilt,
der Anteil an WHO-Grad I Tumoren lag bei 39,2% (Rohringer, Sutherland et al. 1989).
Damit wurde an der Charité die Diagnose „transitionales Meningeom“ häufiger gestellt,
was eine Vermischung wahrscheinlicher macht und eine Erklärung für geringere
Mutationsfrequenzen im NF2 Gen darstellen könnte.
Tabelle 10: Meningeomdiagnosen Neuropathologie Charité 2003
Meningeome WHO I
Transitionale
Ohne
andere WHO I
WHO II
WHO III
11
6
7,20%
3,90%
Differenzierung
65
19
52
136
88,90%
Um eine ausreichend große Zahl an DNA-Proben in diese Studie einschließen zu
können, wurde seltene Meningeome aus unterschiedlichen Instituten und aus mehreren
Jahren zusammengetragen. Es wurde tiefgefrorenes, meist aber in Paraffin
eingebettetes Material zur DNA-Extraktion verwendet. Es kann nicht ausgeschlossen
werden, dass aufgrund unterschiedlicher Qualität der aus Paraffinmaterial und
gefrorenem Material gewonnenen DNA Mutationen bei PCR und SSCP-Analysen nicht
detektiert wurden. Durch fragmentierte DNA sind so bei Paraffinmaterial mehr falsch
positive Ergebnisse in der SSCP Analyse zu erwarten.
Die Häufigkeit an NF2 Mutationen in den Kontrollgruppen der transitionalen und
fibroblastischen Meningeome fiel mit 26% und 44% geringer aus als in der Studie von
Wellenreuther R et al/1995 (83% und 70%) (Wellenreuther, Kraus et al. 1995). Während
in dieser Studie lediglich 10 fibroblastische und 18 transitionale Tumore untersucht
wurden, waren es in der jetzt vorliegenden Untersuchung 25 fibroblastische und 23
transitionale Meningeome. Die geringere Anzahl Proben kann in diesem Fall zu einem
Zufallsfehler geführt haben, wodurch mehr Tumore mit Mutationen eingeschlossen
wurden. Bis auf die unterschiedlichen Primerpaare wurden beide Untersuchungen bei
vergleichbaren Bedingungen durchgeführt. Zur internen Kontrolle wurden 5 Proben mit
54
bekanntem NF2 Status, mit und ohne NF2 Mutationen, blind mit untersucht und alle
NF2 Mutationen konnten nachgewiesen werden.
5.4.2 Diskussion der Ergebnisse der LOH-Analyse
Bei nicht familiären Meningeomen treffen meist Mutationen im NF2 Gen mit einem
LOH auf 22q zusammen, wie in vielen Studien berichtet wurde (siehe Tabelle 11)
(Ruttledge, Sarrazin et al. 1994; Wellenreuther, Kraus et al. 1995; Ueki, Wen-Bin et al.
1999). Insgesamt wird ein Allelverlust auf 22q bei rund 60% der Meningeome
angenommen, was sich in dieser Studie bestätigt (50%). Nur in wenigen Studien fanden
sich einzelne NF2-Genmutationen ohne LOH 22q (De Vitis, Tedde et al. 1996)
(Wellenreuther, Kraus et al. 1995).
Tabelle 11: Studien zu 22q LOH
Autor/Jahr
n Meningeome NF2 Mut % LOH %
Merel, P/1995
57
30
100% Übereinstimmung
Papi L./1995
61
15
60
Wellenreuther R/1995
70
58,5
60
Ng HK/1995
26
27
69
De Vitis LR/1996
125
30
100% Übereinstimmung
Harada T/1996
23
35
61
De Vitis LR/1996
125
30
100% Übereinstimmung
Ueki/1999
50
20
100% Übereinstimmung
Somatische DNA stand in dieser Studie von 49 Fällen zur Verfügung. 50% der
Proben waren homozygot im untersuchten Allelabschnitt. Alle Tumore dieser Gruppe
mit NF2 Mutationen wiesen übereinstimmend einen LOH im Bereich um den NF2 Lokus
auf.
Insgesamt konnten jedoch bei 71% der Meningeome mit LOH selbst nach
mehrmaligem Nachuntersuchen mittels SSCP keine Mutationen nachgewiesen werden.
In dieser Gruppe waren allerdings 11 Meningeome (46%) vom transitionalen Subtyp,
die, wie oben besprochen, auffällig geringe Mutationsfrequenzen aufwiesen. Weitere 5
Meningeome mit LOH waren sekretorische, in denen keine Mutation nachgewiesen
wurde. Anhand der hier erhobenen Daten wird dennoch die These unterstützt, dass auf
Chromosom 22q ein weiteres Gen liegen könnte, welches für die Tumorgenese von
55
Meningeomen von Relevanz ist (Dumanski, Rouleau et al. 1990; Peyrard, Seroussi et
al. 1999). Hierauf wird im nächsten Kapitel näher eingegangen.
Bei dem einzigen papillären Meningeom traten gleich zwei unterschiedliche
Mutationen in Exon 11 und Exon 14 auf. Dies könnte auf eine Inaktivierung des Gens
durch Punktmutationen auf beiden Allelen anstelle eines LOH 22q hinweisen. Eine
Bestätigung dieser These war aufgrund fehlender somatischer DNA in diesem Fall nicht
möglich. Zusammenfassend lassen sich keine neuen Erkenntnisse bezüglich seltener
Meningeomvarianten im Vergleich mit bestehenden Studien zu Meningeomen und LOH
22q ableiten.
5.5 Diskussion alternativer Gene bei der Meningeomentstehung
Bei der Entstehung von Meningeomen und deren Progression zu höhergradigen
Tumorvarianten werden verschiedene Zugewinne und Verluste chromosomalen
Materials beobachtet (siehe Abbildung 17). Angenommen wird, dass die Mutation des
NF2 Gens ein „early event" darstellt.
Abb. 17: Meningeompathogenese und -progression
(mod. nach Lamszus K. 2004 und Perry, Gutmann et al. 2004)
Arachnoidale Ursprungszelle
-22q
NF2 Mutationen/Verluste
EPB41L Verluste
EPB41 Verluste
Meningeom WHO Grad I
-1p, -6q, -10q, -14q, -18q
+1q, +9q, +12q, +15q,
+17q, +20q
VEGF+, Telomerase+
Meningeom WHO Grad II
+17q23
-9p
-1p, -6q, -14q, -18q
Meningeom WHO Grad III
56
Bis dato sind bei Meningeomen vom WHO-Grad I nur Mutationen des NF2 Gens
identifiziert worden, und es sind sehr wahrscheinlich weitere Gene bei den
Meningeomen verändert, welche keine NF2 Mutationen aufweisen. Das NF2 Gen gilt
als das wichtigste Tumorsuppressorgen bei Meningeomen. Dennoch können bei 40–
50% der Tumoren weder NF2 Mutationen noch LOH 22q festgestellt werden.
Mutationen in unterschiedlichen Tumorsuppressorgenen und Onkogenen könnten zu
den verschiedenen histologischen Meningeomvarianten führen.
Auf Chromosom 22 wurden Verluste und Translokationen genetischen Materials
auch außerhalb der NF2 Region detektiert, was auf 22q ein weiteres „Meningeom-Gen“
vermuten ließ. Verschiedene Kandidatengene in der Region 22q12.2 , darunter ADTB1,
RRP22 und GAR22, wurden auf Mutationen untersucht. Es fanden sich allenfalls
einzelne Mutationen trotz LOH der Region (Peyrard, Pan et al. 1996; Zucman-Rossi,
Legoix et al. 1996). Als weitere Kandidaten wurden MN1 in der Region 22q12.1
(Lekanne Deprez, Riegman et al. 1995), INI1(SMARCB1) auf 22q11.23 (Schmitz,
Mueller et al. 2001), CLTCL1/CLH-22 in der Region 22q11.21 (Kedra, Peyrard et al.
1996) und LARGE auf 22q12.3 untersucht (Peyrard, Seroussi et al. 1999).
Weiterhin wurden Gene der Protein 4.1-Familie als Kandidatengene bei der
Meningeomentstehung diskutiert. Das untersuchte EPB4.1-Gen auf Chromosom 1q36,
welches für das Zytoskelettprotein 4.1R kodiert, ist bei Meningeomen inaktiviert (Robb,
Li et al. 2003). Verschiedene Studien unterstützen die Klassifizierung des bei Lungenund Brustkrebs gefundenen EPB41L3-Gens auf Chromosom 18p11 (früher auch 4.1BGen oder DAL-1 genannt) als potenzieller Tumorsuppressor auch bei Meningeomen
(Tran, Bogler et al. 1999; Perry, Cai et al. 2000). Verluste des EPB41L3-Gens durch
LOH wurden in 60% sporadischer Meningeome nachgewiesen (Gutmann, Donahoe et
al. 2000).
Höhergradige Meningeome zeigen Alterationen in den Genen CDKN2A/CDKN2B,
welche die Proteine p16, p15 und p14 kodieren. Sie sind bei zwei Dritteln
anaplastischer Meningeome homozygot deletiert. Selten finden sich bei höhergradigen
Meningeomen Mutationen in TP53 und PTEN (Lamszus 2004). Kürzlich wurde NDRG2
als methyliertes Tumorsuppressorgen bei der Progression maligner Meningeome
identifiziert (Lusis, Watson et al. 2005). Die genaue Bedeutung der weiteren Gene bei
57
der Differenzierung höhergradiger Meningeome ist noch unklar. Die Rolle von
Onkogenen und ihre Aktivierung ist noch weitestgehend ungeklärt. So kodiert das c-sis
Onkogen auf Chromosom 22 für PDGF-B (B-chain of platelet-derived growth factor).
Hohe Expressionslevel wurden bei Meningeomen detektiert, deren Bedeutung aber
nicht weiter untersucht wurde (Maxwell, Galanopoulos et al. 1990).
Eine Übersicht über die verschiedenen Gene bei der Meningeomentstehung und
-progression gibt Abbildung 18:
Abb. 18: chromosomale/genetische Alterationen bei Meningeomen
Abb. 18 Legende: durchgezogene graue Linie - chromosomale Zugewinne
gepunktete schwarze Linie - chromosomale Verluste
Punkte am Linienende - Alterationen bei Meningeomen WHO Grad I
Pfeile am Linienende - Alterationen bei Meningeomen WHO Grad II
und WHO Grad III
fett gedruckte Gene - selten mutierte Gene
fett und unterstrichene Gene - häufig mutierte Gene
normal gedruckt - bereits ausgeschlossene Gene
58
5.6 Interpretation der Resultate
Die deutlichen Differenzen in den Mutationsfrequenzen der einzelnen Untergruppen
unterstützen das Konzept von zwei unterschiedlichen genetischen Gruppen auch
histologisch definierbarer Meningeomvarianten (Wellenreuther, Kraus et al. 1995): Es
finden sich einerseits Tumore mit relativ hohen Mutationsfrequenzen im NF2 Gen, wie
transitionale, fibroblastische, atypische, anaplastische, psammomatöse und vermutlich
auch chordoide und papilläre Meningeome. Andererseits kommen Tumore mit
geringeren oder keinen NF2 Mutationen vor, darunter die klarzelligen, angiomatösen,
meningotheliomatösen, sekretorischen und mikrozystischen Meningeome.
Dieses Konzept wird durch folgende verschiedene Überlegungen unterstützt:
Erstens: Die hier erhobenen Daten lassen einen Zusammenhang zwischen
Histomorphologie und NF2 Mutationsstatus vermuten. Die Meningeomzellen der
Meningeomvarianten mit hohen NF2 Mutationsfrequenzen, wie die fibroblastischen oder
psammomatösen Varianten, zeichnen sich durch eine spindelzellige Morphologie aus.
Im Gegensatz dazu sind Gruppen mit wenigen oder keinen NF2 Mutationen, wie
meningotheliomatöse und sekretorische Meningeome, durch rundliche Tumorzellen
charakterisiert. Diese zeigen Ähnlichkeiten mit arachnoidalen Deckzellen.
Ein Funktionsverlust des NF2 Proteins Merlin als Verbindung von Membranproteinen
und Zytoskelett könnte für die veränderte Zellmorphologie verantwortlich sein. Gestützt
wird diese Hypothese durch die Erkenntnis, dass es durch Mutationen im verwandten
4.1-Protein zu schwerwiegenden Auswirkungen kommt. Patienten, welche diese
Mutation
aufweisen,
leiden
an
hereditärer
Elliptocytose
und
weisen
starke
Veränderungen der Erythrozytenform auf (Gallagher 2004).
Eine andere denkbare Erklärung für die Unterschiede der NF2 Mutationsfrequenz in
den beiden morphologisch unterschiedlichen Meningeomen sind verschiedene
Populationen von Ursprungszellen. Histologisch imponieren bei Meningeomsubtypen
ein mehr mesenchym-ähnlich (viele NF2 Mutationen) und ein mehr epithelial-ähnlich
differenziertes Muster (weniger NF2 Mutationen). Die unterschiedliche Morphologie
könnte das Ergebnis verschiedener Funktionen sein und eine Unterteilung basierend
auf funktionellen Gesichtspunkten scheint somit sinnvoll. Eher mesenchymale
Funktionen wie Kollagenproduktion sowie Teilnahme an Reparaturvorgängen und eher
59
epitheliale Funktionen wie der Aufbau anatomischer Barrieren und sekretorische
Aktivität stehen einander gegenüber (Perry, Gutmann et al. 2004). Diese Hypothese
müsste durch weitere Studien unterlegt werden.
Zweitens: Von einem Konzept unterschiedlicher Ursprungszellen, die variierende
Meningeommorphologien
berichtet.
So
fanden
in
sich
verschiedenen
keinerlei
Hirnregionen
chromosomale
hervorbringen,
Verluste
auf
wurde
22q
bei
meningotheliomatösen Meningeomen, die im anterioren Bereich der Schädelbasis
lokalisiert waren. Dagegen wurde in den meisten transitionalen und fibroblastischen
Meningeomen, die andere Lokalisationen aufwiesen, LOH 22q detektiert (Kros, de
Greve et al. 2001). Diese Beobachtung deutet an, dass sich Meningeome, basierend
auf ihrer Lokalisation, durch unterschiedliche Histogenese und genetischen Ursprung
unterscheiden.
Dieses Konzept wird von den hier erhobenen Daten allerdings nicht unterstützt. Von
den 33 sekretorischen Meningeomen, die alle keine NF2 Mutation aufwiesen, waren 19
in der Konvexität lokalisiert, 12 an der Schädelbasis und 2 im Bereich des Tentoriums.
Gleiche Lokalisationen und Verteilungsfrequenzen von sekretorischen Meningeomen
wurden auch anderweitig beschrieben (Probst-Cousin, Villagran-Lillo et al. 1997). Zehn
(71%) der 14 psammomatösen Meningeome waren spinaler Herkunft oder am Foramen
magnum lokalisiert. NF2 Mutationen wurden sowohl in dieser Gruppe als auch bei
kranialen psammomatösen Meningeomen detektiert. Falls es einen Zusammenhang
zwischen Lokalisation und NF2 Mutationsfrequenz gibt, weist dieses Verteilungsmuster
darauf hin, dass spinale Meningeome nicht der Schädelbasis-Gruppe zugehören.
Drittens: In den 33 sekretorischen Meningeomen wurden keine Mutationen detektiert.
Nach Probst-Cousin et. al wurde von allen untersuchten 31 sekretorischen
Meningeomen der Progesteron-Rezeptor exprimiert (Probst-Cousin, Villagran-Lillo et al.
1997). In diesem Zusammenhang lässt sich spekulieren, dass Tumore ohne NF2
Mutationen über Veränderungen im Progesteronrezeptorstatus charakterisiert werden
könnten. Das NF2 Protein Merlin könnte die Expression des Progesteronrezeptors
fördern. Andererseits könnten Veränderungen im Progesteronsystem selbst auch die
Entstehung von Meningeomen auf alternativem Weg induzieren.
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Insgesamt wird bei benignen Meningeomen davon ausgegangen, dass Frauen mit
einer Rate von 2:1 häufiger betroffen sind als Männer. In dieser Studie fällt eine
deutlichere Verteilung zugunsten der Frauen auf, insgesamt ein Verhältnis von 4:1. Bei
den vorhandenen Daten der seltenen Meningeomen war die Frau:Mann Verteilung
insgesamt 3,5:1. Bei der Kontrollgruppe der fibroblastischen Meningeome waren die
Frauen 7-mal häufiger vertreten. Nur die transitionalen Meningeome wiesen die für
Meningeome übliche Verteilungsquote von 2:1 auf. Besonders bei den sekretorischen
Meningeomen fiel auf, dass Frauen mit einer Verteilung von 10:1 deutlich häufiger
betroffen waren. Unter den atypischen Meningeomen vom WHO-Grad II und den
anaplastischen vom Grad III wurde eine Rate von 1,3:1 Frauen zu Männern erreicht,
wobei die Meningeome vom WHO-Grad I mit 4,7:1 deutlich mehr Frauen betrafen.
Unter den WHO-Grad I-Meningeomen waren Männer mit einer Rate von 2:1 sowohl bei
den angiomatösen als auch bei den mikrozystischen Meningeomen unerwartet
überrepräsentiert.
Sowohl in der Gruppe mit höherer Verteilungsrate für Frauen, als auch der Gruppe
mit mehr Männern waren sehr unterschiedliche Mutationsfrequenzen zu beobachten.
Ein Einfluss der Geschlechterverteilung auf die NF2 Mutationsfrequenzen konnte somit
nicht festgestellt werden. Die Funktion der Sexualhormone im Zusammenhang mit der
Entstehung von Meningeomen ist letztlich aber nicht ausreichend geklärt. Es wird aber
vermutet, dass positive Progesteronrezeptoren für ein eher günstiges klinisches
Verhalten der Tumore sprechen (Brandis, Mirzai et al. 1993; Probst-Cousin, VillagranLillo et al. 1997).
5.7 Beurteilung und Zukunftsperspektiven
Zusammenfassend lässt sich anhand der hier erhobenen Daten das Konzept
unterstützen, dass es wenigstens zwei verschiedene genetische Subvarianten von
Meningeomen gibt, die sich mit den histologischen Klassifikationen überschneiden und
helfen können, den Ursprung dieser Tumore besser zu verstehen. Weitere Studien sind
nötig, um die hier präsentierten Zusammenhänge teifgreifender zu erforschen. Hierbei
wäre
es
zunächst
interessant,
größere
Gruppen
der
hier
untersuchten
Meningeomvarianten zu analysieren, von welchen gegenwärtig nicht ausreichend Fälle
vorlagen, um verallgemeinernde Aussagen machen zu können. Um die Bedeutung und
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Funktion des NF2 Gens in der Pathogenese von Meningeomen umfassender zu klären,
könnten hierzu weitere Untersuchungsmethoden herangezogen werden. So wäre es
beispielsweise sinnvoll, die Spezifität der hier verwendeten SSCP-Analyse durch einen
konstanten Temperaturgradienten zu verbessern und weitere intronische Abschnitte
des
Gens
mit
zu
untersuchen.
Auch
die
Bedeutung
von
alternativen
Ausschaltmechanismen des NF2 Gens, beispielsweise durch Hypermethylierung, oder
von Funktionsverlusten des Proteins Merlin durch beschleunigten Abbau, könnten
Gegenstand weiterführender Forschung sein.
Retrovirale Technologie könnte es bald ermöglichen, mutierte Tumorsuppressorgene
zu ersetzen und den normalen Phänotyp der Zelle wieder herzustellen. DNA Mikroarray
Analysen können zur schnellen genetischen Diagnose auch bei Meningeomen
eingesetzt werden. Ärzte und Patienten könnten in naher Zukunft im Sinne verbesserter
Diagnosestellung und individueller Behandlung von den Forschungsergebnissen im
Bereich der Tumorgenese, -progression, -aggressivität und -prognose profitieren.
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