333_369_BIOsp_0408.qxd 368 13.06.2008 7:42 Uhr Seite 368 WISSENSCHAFT · JOURNAL CLUB ÿ Ein künstliches Seleno-Enzym: DicyclodextrinylGlutathionperoxidase ÿ Mutationen in mitochondrialer DNA beschleunigen das Altern ÿ Zwei Menschheiten? Mitochondriale DNA zeigt Abspaltung in Populationen südlich der Sahara ÿ Ein thermophiler Crenarchaeot als Ammonium-Oxidierer Lothar Jaenicke1 Jochen Graw2 Johannes Sander3 Ein künstliches Seleno-Enzym: Dicyclodextrinyl-Glutathionperoxidase Das Selenoenzym Glutathionperoxidase (GPX, EC 1.11.1.9) katalysiert die Reduktion schädlicher Peroxide (ROS), indem es selbst aus dem Selenidzustand (E-SeH) zum Selenol (E-SOH) oxidiert. Über verschiedene Zwischenstufen kehrt es dann wieder in den Ausgangszustand zurück. Da viele Krankheiten auf ROS-Schädigung zurückgeführt werden, sind einfache zellulär wirksame GPX-Mimetica vergleichbarer Wirksamkeit gesucht. ó Ein unvollkommenes, aber gebrauchtes Mimetikum ist das 6,6’-Diselenido-bis-Cyclodextrin (6-SeCD). Es hat nun S-W. Lv et al. (G-M. Luo, FEBS J. 274 (2007) 3846–3854) Modell gestanden für das sehr wirksame, einfach zu synthetisierende 6A,6A’-Dicyclohexylamin-6B,6B’-diselenido-bis-β-Cyclodextrin (6-CySeCD). Man erhält es in folgender Reaktionsfolge: CD (Cyclodextrin) (i) m-Benzoldisulfonylchlorid/Pyridin; (ii) KI/DMF; (iii) Cyclohexylamin (cy-NH2)/DMF; NaSeH/DMF/PBS (anaerob); (iv) O2 → CD(6-NH-cy)-Se-Se-CD(6’NH-cy) (= 6-CySeCD). Das Enzym hat eine amphiphile Bindestelle, die in Form und Größe den Substraten entspricht, und stabilisiert durch die Imidogruppe das Selenolat während des Katalysezyklus (wie im natürlichen Enzym). Sein steady state-Reaktionsmechanismus ist ping-pong, ebenfalls wie bei nativer GPX. Es ist anderen GPX-Mimetica nicht nur in der Reduktion von H2O2 und organischen Hydroperoxiden überlegen, sondern auch im Schutz gegen die membranschädigende Mitochondrienschwellung durch das Fenton (Feiv=O)System. Y Damit ist 6-CySeCD ein aussichtsreicher, den bisherigen Stoffen überlegener Kandidat für die Vorbeugung und Therapie von ROSGewebeschädigungen. Lothar Jaenicke ó Mutationen in mitochondrialer DNA beschleunigen das Altern Seit langer Zeit wird die Hypothese diskutiert, dass Mutationen im mitochondrialen Genom die Lebensspanne von Säugern begrenzt. Die Gruppe von Marc Vermulst von der Universität in Washington (Seattle) untersuchte mit Kollegen in Wisconsin (Nat. Genet. 40 (2008) 392–394) Mutationen in mitochondrialer DNA von Mäusen, bei denen die proofreading-Aktivität im Gen für die DNA-Polymerase γA ausgeschaltet ist (Polga–/–). Die homozygoten Mutanten zeigten einige Erscheinungsformen beschleunigten Alterns, wohingegen heterozygote Mäuse sich unauffällig verhielten. ó Genauere Untersuchungen zeigten, dass bei den homozygoten Mutanten die Zahl der Deletionen in Gehirn und Herz mit dem Alter um das 7–10fache ansteigt; Punktmutationen haben dagegen keine statistisch signifikante Bedeutung. Da Deletionen oft ihre Ursache in vorausgehenden Doppelstrangbrüchen der DNA haben, liegt es nahe, einen ähnlichen Mechanismus auch im Fall der Polga-defizienten Mäuse anzunehmen. Die Deletionen bei den Polga–/–-Mäusen treten bevorzugt zwischen nichthomologen Sequenzen auf, was die Interpretation nahelegt, dass die proofreadingAktivität der DNA-Polymase γA Rearrangements zwischen nichthomologen Sequenzen unterdrückt. Doppelstrangbrüche haben ihre Ursachen häufig in einem ungenügenden Schutz vor oxidativem Stress – die Deletionen, die auf diesen Mechanismus zurückzuführen sind, betreffen allerdings fast ausschließlich Deletionen zwischen homologen Sequenzen (hier besonders zwischen zwei Wiederholungseinheiten, die 15 bp lang sind und als Mutationshotspots gelten). Y Diese Arbeit ist aus zweierlei Gründen interessant: Einmal deutet sie darauf hin, dass es einen Homologie-abhängigen Reparaturmechanismus für mitochondriale DNA gibt, der Ähnlichkeiten mit Rekombinationsprozessen aufweist. Zum anderen erscheint es sinnvoll, Polymorphismen im Polga-Gen im Hinblick auf ihre proofreading-Aktivität zu untersuchen. Das könnte neue Hinweise auf Ursachen bei altersabhängigen Erkrankungen geben. Jochen Graw ó 1 Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln 2 Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg 3 Falkenstraße 87, D-58553 Halver BIOspektrum | 04.08 | 14. Jahrgang 333_369_BIOsp_0408.qxd 13.06.2008 8:29 Uhr Seite 369 369 Zwei Menschheiten? Mitochondriale DNA zeigt Abspaltung in Populationen südlich der Sahara Die Phylogenie der mütterlich vererbten mitochondrialen DNA spielt bei der Evolutionsanalyse der Menschheit eine zentrale Rolle. Moderne Menschen haben in einer Auswanderungswelle aus Afrika vor 50.000–65.000 Jahren den Rest der Welt besiedelt, was nicht zuletzt dadurch deutlich wird, dass heute noch innerhalb von Afrika die genetische Vielfalt des Menschen größer ist als außerhalb. Ein internationales Team um Dahor Behar (Haifa/Israel) und Richard Villems (Tartu/Estland) hat aus 624 vollständigen mitochondrialen Genomen verschiedener heute südlich der Sahara lebender Populationen einen Stammbaum konstruiert (D. Behar et al., Am. J. Hum. Genet. 82 (2008) 1130–1140). ó Dabei legten die Autoren besonderen Wert auf die Khoi- und San-Völker in Südafrika, die als einzigartige Überreste einer Jäger-undSammler-Kultur gelten. Die Daten zeigen, dass sich die mitochondriale DNA dieser beiden Völker vor etwa 90.000–150.000 Jahren vom Rest des menschlichen Genpools abgespalten hat. In dieser Zeit bildeten sich offensichtlich etwa 40 verschiedene Abstammungslinien im südafrikanischen Raum. Erst viel später, während der späten Steinzeit vor etwa 40.000 Jahren, wurden Allele anderer Populationen durch Kreuzungen und Rückkreuzungen in den mitochondrialen Genpool eingefügt (introgression); dieser Prozess hat sich durch die jüngere Expansion der Bantu weiter beschleunigt. Y Diese Arbeit gibt natürlich Anlass zu Spekulationen: Hätten sich zwei Menschheiten entwickelt, wenn die Isolation der ursprünglichen Populationen länger angedauert hätte? Im Übrigen stimmen die Untersuchungen der mitochondrialen DNA mit denen männlicher Y-Chromosomen überein: Der ursprünglichste Ast des Y-chromosomalen Stammbaums ist unter den Khoi-San-Völkern weit verbreitet, kommt aber in anderen Populationen nur selten vor. Auch bei linguistischen Merkmalen haben diese Völker eine größere Ähnlichkeit untereinander als mit anderen Populationen in Afrika. Jochen Graw ó Ein thermophiler Crenarchaeot als AmmoniumOxidierer Galten früher allein Proteobakterien als zur Ammonium-Oxidation befähigt, so ist heute bekannt, dass auch Planktomyceten und Crenarchaeotae eine wesentliche Rolle bei diesem Prozess spielen. ó Die bisher untersuchten Vertreter der Crenarchaeotae, die zur Ammonium-Oxidation befähigt sind (AOA), bevorzugen mesophile Bedingungen. R. Hatzenpichler et al. (Proc. Natl. Acad. Sci. USA 105 (2008) 2134–2139) ist es jetzt gelungen, schwach thermophile Archaea (46 °C) aus einer Mikrobenmatte einer heißen sibirischen Quelle anzureichern, die zur Oxidation von Ammonium zu Nitrit befähigt sind. Die Expression der Untereinheit A der Ammonium-Oxidase (amoA) wurde von den Autoren über eine RT-PCR gezeigt. Über eine (CARD-) FISH-Analyse gekoppelt mit einer Mikroaudioradiographie mit radioaktiv markiertem Bicarbonat und einer Konzentrationsbestimmung des Ammoniums konnte die Ammonium-Oxidation einzelnen Zellen (Cocci) zugeordnet werden. Diese Zellen wurden mit dem Namen Candidatus Nitrososphaera gargensis belegt BIOspektrum | 04.08 | 14. Jahrgang und gehören innerhalb der Crenarchaeota in die Gruppe I.1b. Damit unterscheiden sie sich phylogenetisch von den übrigen bekannten AOA, den Candidati Nitrosopumilus marinus und Cenarchaeum symbiosum, die zur Gruppe I.1a gehören. Interessanterweise ist N. gargensis offensichtlich an niedrige Ammoniumkonzentrationen angepasst, sodass bereits bei einer Konzentration von 3,08 mM Ammonium der Prozess gehemmt wird. Das passt zu der niedrigen Ammoniumkonzentration am Fundort des Organismus. Y Die Entdeckung eines thermophilen Ammonium-oxidierenden Archaeons könnte bedeuten, dass dieser Prozess evolutionsgeschichtlich alt ist. Die Anpassung an niedrige Ammoniumkonzentrationen unterstützt außerdem die These von Valentine (Nat. Rev. Microbiol. 5 (2007) 316–323), dass die Archaea sich in Abgrenzung von den Bakterien an chronischen Energiestress angepasst haben und ihre Evolution vor allem durch diese Anpassung gesteuert wird. Johannes Sander ó Kurz gefasst ó Synthese von Nukleosidtriphosphaten ohne Kinase Wie synthetisieren Mykoplasmen ohne Nucleosiddiphosphatkinase, nur mit Nucleosidmonophosphatkinasen (NMPK) Nukleinsäuren? Ureaplasma parvum-NMPKs können (d)NMPs unmittelbar zu (d)NTPs umsetzen (L. Wang, FEBS J. 274 (2007) 1983– 1990). Die Reaktionsgeschwindigkeiten der (d)NDP-Synthesen sind größer als die von (d)NTP. In vivo wird die Geschwindigkeit NTP/dNTP durch die NMP-Konzentration geregelt, sodass zu schließen ist: NMPKs können die Funktion der NDKs ersetzen. LJ ó Brassinosteroide Brassinosteroide sind Pflanzenwuchsstoffe. Fehlen sie oder ihre Transmembran-Rezeptorproteine, bleiben die Pflanzen zwergwüchsig (S. Fujioka et al., Annu. Rev. Plant Biol. 54 (2003) 137–164). S. Savaldi-Goldstein et al. (Nature 446 (2007) 199– 202) beweisen an BrassinosteroidSynthese-Mangelmutanten und deren Restitution durch Gen-Expression, dass diese Rezeptoren ausschließlich in der Epidermis liegen. LJ ó Eisen-haltige Proteine bei Ferroplasma acidiphilum 86 % der untersuchten Proteine bei Ferroplasma acidiphilum enthalten Eisen als Kofaktor. Die Autoren vermuten, dass sich die FerroplasmaLinie seit Entstehung des Lebens ausschließlich in einem sauren, eisenreichen Milieu entwickelt haben könnte. Ihr Studium wäre dann für das Verständnis der Entstehung und Entwicklung des Lebens von großer Bedeutung (M. Ferrer et al., Nature 445 (2007) 91–94). JS ó Faltungs-Funktions-Konzept Viele Proteine sind im Komplex mit dem Indikatormolekül stabil gefaltet, sonst flexibel. K. Sugase et al. (Nature 447 (2007) 1021–1025) beschreiben für die Aktivierungsdomäne des Transktriptionsfaktors CREB (p300) einen Dreistufen-Vorgang: Nach dem Treffen mit dem Liganden werden schwache unspezifische Wechselwirkungen tätig. Das folgende strukturierte Wechselspiel geht durch Molekularbewegung in den Endzustand über, der den festen Kontrakt mit dem Liganden herstellt. LJ