Embryonale Stammzellforschung in Deutschland – ja

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Wissenschaft intern
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Embryonale Stammzellforschung in Deutschland – ja oder nein:
Rolf Heumann: Pro embryonale Stammzellen
E Can they rebuilt us? ... ist eine der typischen
Fragen, die, in der Ausgabe von Nature am
5. April 2001, an die Stammzellen gestellt
wird. Noch wissen wir es nicht: Stammzellen
können sich selbst replizieren, darüber hinaus in verschiedene Gewebezelltypen differenzieren und als totipotente Zelle im sehr
frühen Embryo einen ganzen Organismus
bilden. Deshalb können sie – so die derzeitige Hoffnung – z. B. im Gehirn irreversibel
verloren gegangene Neurone wieder ersetzen. Dass eine Zelltherapie prinzipiell möglich ist, haben Transplantationen von embryonalen Gehirnzellen an Patienten in
Schweden gezeigt, bei denen die dopaminergen Neurone der substatia nigra degeneriert waren. Die Verwendung von fötalem
Gewebe ist jedoch kein allgemein anwendbarer therapeutischer Weg: Für einen einzigen Patienten wird Gehirngewebe von
mehreren Embryos benötigt, der Erfolg der
Therapie ist nicht vorhersehbar und darüber
hinaus bestehen massive ethische Bedenken. Ein Ausweg wäre die Verwendung von
erwachsenen Stammzellen des Patienten
z. B. von Knochenmarkszellen, die reprogrammiert und transplantiert werden. Voraussetzung einer Therapie ist dann die
funktionelle Integration der transplantierten
Zellen. An Mäusen konnte kürzlich ein
durch Ischämie geschädigter Herzmuskel
durch Transplantation von Knochenmarkszellen funktionell regeneriert werden. Die
sich hier im Tiermodell anbahnende Möglichkeit der Verwendung von Knochenmarkszellen des erwachsenen Patienten hätte einen doppelten Vorteil:
1) Die eigenen Zellen werden verwendet
und somit sind keine immunologischen
Abstoßungsreaktionen zu erwarten.
2) Darüber hinaus sind die ethischen Bedenken bei einer Autotransplantation
eher gering, da keine Zellen einer fremden Person involviert sind.
Die bei der Stammzelldiskussion immer mitschwingende Frage nach einer möglichen
Klonierung des Menschen ist Hintergrund
der breiten öffentlichen Unruhe. Tragen wir
dazu bei, eine neue Menschenrasse zu züchten? Um dies auszuschließen werden erwachsene Stammzellen – vermeintlich oder
zu Recht, das ist hier die Frage – als idealer
Weg gegenüber den embryonalen Stammzellen gepriesen. Warum sollten wir den-
Prof. Dr.
Rolf Heumann
geboren 1947,
1969–1973: Student
für Mikrobiologie an der
Technischen Universität
München. 1971–1972:
„Visiting student“ am
Queen Elizabeth College
in London. 1973–1975:
Diplomarbeit am
Max-Planck-Institut für
Biochemie, Martinsried,
in der Arbeitsgruppe
Prof. B. Hamprecht,
Abt. Prof. F. Lynen.
1978: Promotion mit
dem Thema: „Herstel-
lung und Charakterisierung von polyploiden
Gliomazellen und
zugleich cholinergadrenergen Hybridzelllinien“. Fortführung
des Projektes bis 1979.
Ab August 1979: Wiss.
Assistent am Max-PlanckInstitut für Psychiatrie,
Martinsried bei München, Abt.Neurochemie.
Projektleiter im Schwerpunktprogramm „Dynamik und Stabilisierung
neuronaler Strukturen“.
1988 Habilitation im
Fach Zoologie. 1991
Übernahme des Lehrstuhls Biochemie-Molekulare Neurobiochemie
(Fakultät für Chemie) an
der Ruhr-Universität
Bochum. Aufbau und
Leitung des Studienganges „Biochemie“ an
der Fakultät für Chemie.
noch humane embryonale Stammzellen
verwenden?
Wir stehen trotz der rasanten Entwicklung
der Stammzellforschung noch ganz am Anfang, was das Verständnis der Reprogrammierung von Zellen anbelangt. Nachteil der
erwachsenen Stammzellen ist, dass sie vielleicht nur bei einigen Krankheiten therapeutisch anwendbar sind, bei anderen möglicherweise nicht. Die Erzeugung einer für
die Transplantation ausreichenden Gewebemasse aus erwachsenen Stammzellen ist
häufig schwierig. Das Potential zur Differenzierung in alle benötigten Zelltypen ist
bei erwachsenen Stammzellen eher eingeschränkt. Kann man diese Nachteile bei erwachsenen Stammzellen nicht in den Griff
bekommen? Antwort: vermutlich ja, aber zur
Klärung obiger Fragen ist Forschung eben
an embryonalen Stammzellen sehr hilfreich
und vermutlich notwendig: Die erwachsenen Stammzellen müssen zur Reprogrammierung wieder in einen frühen entwicklungsbiologischen Zustand zurückfallen und
sich danach in den richtigen Zelltyp, sagen
wir z. B. in ein dopaminerges Neuron differenzieren. Notwendige Voraussetzung der
erfolgreichen Therapie mit erwachsenen
Stammzellen ist die Kenntnis des moleku-
laren Mechanismus dieser Reprogrammierung. Der Weg dahin ist vielschichtig: Entwicklungsbiologen machen sich daran, am
Oocyten des Xenopus laevis grundlegende
Mechanismen der Reprogrammierung zu erforschen. Extrapoliert in die Zukunft könnte dies bedeuten, dass es vielleicht einmal
möglich sein wird die erwachsene Stammzelle vorübergehend gezielt in den embryonalen Zustand überzuführen, um dann ebenso gezielt den gewünschten differenzierten
Zelltyp zu erhalten. Will sagen, in Zukunft
könnten die Grenzen zwischen erwachsener
und embryonaler Stammzelle fließend werden. Wir stehen also vor dem Dilemma, dass
die Entwicklung einer erfolgreichen Therapie die Kenntnis der embryonalen Zelle voraussetzt. Hier muss unterstützend für die
Forschung an embryonalen Stammzellen
klargestellt werden, dass die embryonalen
ebenso wie die erwachsenen Stammzellen
eben nicht totipotent sind, also nicht direkt
zur Erzeugung eines ganzen Organismus,
d. h. eines Menschen eingesetzt werden
können. Erst das in Deutschland verbotene
therapeutische Klonen erzeugt durch Kerntransplantation der erwachsenen somatischen Zelle in einen Oocyten eine totipotente embryonale Zelle. Diese kann sich
aber erst nach einem entscheidenden Willensschritt, der Implantation des in vitro erzeugten Embryos in den Mutterleib, in einen ganzen Organismus entwickeln. Dieser
Schritt (reproductive cloning) muss – wie in
England geschehen – streng verboten sein,
will man eine genetische Manipulation an
der Keimzelle des Menschen verhindern.
Da die biowissenschaftliche Forschung an
Stammzellen ein umwälzendes therapeutisches Potential hat, wird sie eine noch unabsehbare wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung erlangen. Zugleich ist mit
dieser neuen Entwicklung ein ethisches und
rechtliches Konfliktfeld von ungewissem
Ausmaß verbunden, so dass eine schnelle,
möglichst global verbindliche Bewertung
und Regelung dringend geboten ist.
Siehe auch Stellungnahme
des Präsidenten der GBM,
Prof. Scheller, auf Seite 355.
BIOspektrum . 4/01 . 7. Jahrgang
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Zwei unterschiedliche Positionen zur Stammzelldebatte:
E Mit humanen embryonalen Stammzellen
verbinden sich große Hoffnungen: sie sollen
Ersatzgewebe für die Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten liefern. Die Gewinnung dieser Zellen ist jedoch unweigerlich
mit der ethisch problematischen Vernichtung menschlicher Embryonen verbunden.
Deshalb ist zu prüfen, ob nicht andere Zellen ein vergleichbares Potenzial besitzen.
Als Alternative bieten sich adulte Stammzellen an, die sich aus dem Organismus Erwachsener gewinnen lassen. Gegen ihre bevorzugte Nutzung wird häufig ihr begrenztes Vermehrungspotenzial ins Feld geführt.
Tatsache ist jedoch, daß die Vermehrungsfähigkeit aller humanen Stammzellen – auch
die embryonaler – gering ist. Adulte gewebespezifische Stammzellen des Menschen lassen sich zwar zumeist nur über eine begrenzte Zahl von Zellteilungen vermehren.
Dennoch gelang es kürzlich Jülicher Biotechnologen, die attraktiven, bisher nur in
begrenzter Menge zur Verfügung stehenden Stammzellen aus Nabelschnurblut auf
elegante Weise fast unbegrenzt zu vermehren: sie betteten sie in kleine Hohlkugeln aus
Kollagen ein und ernteten sie nach erfolgreicher Vermehrung im Bioreaktor durch enzymatische Verdauung des Trägermaterials.
Ein zweites für embryonale Stammzellen vorgebrachtes Argument ist ihr größeres
Entwicklungspotenzial: sie lassen sich in
viele verschiedene Zelltypen entwickeln.
Dieser Vorteil könnte sich jedoch gleichzeitig als ihr größter Nachteil entpuppen: da
sie im Empfänger Tumore bilden können,
sind sie selber nicht für die Transplantation
geeignet. Vielmehr müssen sie zunächst zu
gewebespezifischen Vorläuferzellen entwickelt werden, deren Potenzial dem adulter
Stammzellen gleicht. Diese Vorläufer entstehen jedoch nicht in reiner Form, sondern
gemeinsam mit anderen Zelltypen. Kontaminieren diese das therapeutische Präparat
und wachsen an der Injektionsstelle an,
könnten beispielsweise knorpelähnliche Gebilde statt Neuronen entstehen. Erstere
wurden im Gehirn verstorbener Patienten
gefunden, die wegen ihrer Parkinson-Erkrankung mit fötalen neuronalen Zellpräparaten transplantiert worden waren.
Adulte Stammzellen können demgegenüber in reiner Form gewonnen und kultiviert werden. Dadurch ist das Risiko der
BIOspektrum . 4/01 . 7. Jahrgang
Quelle: Frommann/laif
Regine Kollek: Pro adulte Stammzellen
Prof. Dr. rer. nat.
Regine Kollek
geboren 1950,
Studium der Biologie
und Chemie in Braunschweig. Promotionsstudien in Brighton, Paris
und Würzburg. 1979
bis 1981 Forschungsaufenthalt an der
University of California
(Medical School), San
Diego; 1981 bis Ende
1985 wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Heinrich-Pette-Institut an der
Universität Hamburg;
1985 bis 1987 im
wissenschaftlichen Stab
der Enquetekommission
„Chancen und Risiken
der Gentechnologie“des
Deutschen Bundestages,
Bonn; 1987 bis 1988
freiberufliche Mitarbeit
im Öko-Institut Freiburg;
von 1987 bis 1991 im
Vorstand des Instituts.
1988 bis 1995 wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Hamburger Institut
für Sozialforschung.
Seit Oktober 1995
Professorin für Technologiefolgenabschätzung
der modernen Biotechnologie in der Medizin
an der Universität Hamburg. Mitglied der Akademie für Ethik in der
Medizin. Vorsitzende des
Beirates für ethische
Fragen im Gesundheitswesen des Bundesministeriums für Gesundheit
und Mitglied im Nationalen Ethikrat.
Transplantation eines falschen Zelltyps und
seiner unkontrollierten Reaktionen am Zielort praktisch ausgeschlossen. Adulte Stammzellen sind auch keineswegs vollständig auf
die Bildung einzelner Zelltypen beschränkt.
Trotz ihrer Spezialisierung können beispielsweise hämatopoetische menschliche
Stammzellen aus dem Knochenmark oder
dem Nabelschnurblut im Tierversuch zur
Bildung neuronaler Zellen oder neuer Herzkranzgefäße angeregt werden.
Manche Erfolge embryonaler Stammzellen erweisen sich desweiteren als schlechte
Reproduktion von zuvor mit adulten Stammzellen erzielten Ergebnissen. Beispielsweise gelang es im April 2001 einer Gruppe aus
Bethesda, embryonale Stammzellen der
Maus in insulinproduzierende pankreatische Inselzellen umzuwandeln. Die Zellen
produzierten jedoch so wenig Insulin, daß
damit transplantierte diabetische Mäuse
starben. Bereits im März 2000 hatten jedoch Wissenschaftler der Universität Florida solche Mäuse mithilfe adulter Stammzellen kuriert.
Embryonale Stammzellen fanden in klinischen Versuchen bislang keine Anwendung. Transplantiert wurden – mit uneindeutigen bis problematischen Ergebnissen –
lediglich Präparationen neuronaler Zellen
aus dem Gehirn abgetriebener Föten zur
Behandlung von Patienten mit Morbus Parkinson oder Chorea Huntington. Adulte
Stammzellen werden jedoch seit Jahren
teilweise mit guten Erfolgen zur Behandlung von Leukämien, entzündlichen Erkrankungen oder neuerdings auch zur Regeneration von Knorpelgewebe eingesetzt.
Sie sind weiterhin risikoärmer als embryonale Stammzellen: bei ihnen besteht die
Gefahr des Tumorwachstums nicht. Wenn
sie aus dem Patienten selber gewonnen und
zurücktransplantiert werden, rufen sie – anders als embryonale Stammzellen, die ja
immer von einem fremden Spender stammen – keine Abwehrreaktion hervor. Da eine Gewebeabstoßung nicht zu befürchten
ist, kann auf die Gabe von Immunsuppressiva verzichtet werden.
Für die Entwicklung von Zell- und Gewebeersatztherapien sind adulte Stammzellen also in hohem Maße geeignet. Zwar
unterscheidet sich ihr Potenzial von dem
embryonaler Stammzellen, ist deswegen
aber keineswegs als geringer anzusehen.
Da neue Behandlungsverfahren, die sich
im Tierversuch bewährt haben, beim Menschen nur selten von Anfang an wirksam
sind, müssen sie in vielen kleinen Schritten
optimiert werden. Stammzelltherapien werden keine Ausnahme von dieser Regel bilden. Dabei wird es weniger auf den Ausgangszelltyp ankommen, sondern vielmehr
darauf, wieviel in die Verbesserung der
Zellkulturbedingungen und die Entwicklung von Therapieschemata investiert wird.
Angesichts des Potenzials adulter Stammzellen drängt sich die Frage auf, ob die Entwicklung – und unausweichliche Kommerzialisierung – von therapeutischen Produkten, die auf einer Vernutzung von menschlichen Embryonen beruhen, einer zivilisierten Gesellschaft überhaupt angemessen
ist. Im Bereich der regenerativen Medizin
sind wir nicht auf die Verfolgung einer Entwicklungslinie angewiesen, die wegen des
ihr zugrunde liegenden kulturellen Tabubruchs lange konfliktbehaftet bleiben wird.
Die freiwillige Respektierung ethischer Grenzen – auch wenn es die von Andersdenkenden sind – behindert das innovative Potenzial der Forschung nicht; sie kann es auch
freisetzen. Diese Chance sollten wir nutzen.
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