Wissenschaft intern 348 Embryonale Stammzellforschung in Deutschland – ja oder nein: Rolf Heumann: Pro embryonale Stammzellen E Can they rebuilt us? ... ist eine der typischen Fragen, die, in der Ausgabe von Nature am 5. April 2001, an die Stammzellen gestellt wird. Noch wissen wir es nicht: Stammzellen können sich selbst replizieren, darüber hinaus in verschiedene Gewebezelltypen differenzieren und als totipotente Zelle im sehr frühen Embryo einen ganzen Organismus bilden. Deshalb können sie – so die derzeitige Hoffnung – z. B. im Gehirn irreversibel verloren gegangene Neurone wieder ersetzen. Dass eine Zelltherapie prinzipiell möglich ist, haben Transplantationen von embryonalen Gehirnzellen an Patienten in Schweden gezeigt, bei denen die dopaminergen Neurone der substatia nigra degeneriert waren. Die Verwendung von fötalem Gewebe ist jedoch kein allgemein anwendbarer therapeutischer Weg: Für einen einzigen Patienten wird Gehirngewebe von mehreren Embryos benötigt, der Erfolg der Therapie ist nicht vorhersehbar und darüber hinaus bestehen massive ethische Bedenken. Ein Ausweg wäre die Verwendung von erwachsenen Stammzellen des Patienten z. B. von Knochenmarkszellen, die reprogrammiert und transplantiert werden. Voraussetzung einer Therapie ist dann die funktionelle Integration der transplantierten Zellen. An Mäusen konnte kürzlich ein durch Ischämie geschädigter Herzmuskel durch Transplantation von Knochenmarkszellen funktionell regeneriert werden. Die sich hier im Tiermodell anbahnende Möglichkeit der Verwendung von Knochenmarkszellen des erwachsenen Patienten hätte einen doppelten Vorteil: 1) Die eigenen Zellen werden verwendet und somit sind keine immunologischen Abstoßungsreaktionen zu erwarten. 2) Darüber hinaus sind die ethischen Bedenken bei einer Autotransplantation eher gering, da keine Zellen einer fremden Person involviert sind. Die bei der Stammzelldiskussion immer mitschwingende Frage nach einer möglichen Klonierung des Menschen ist Hintergrund der breiten öffentlichen Unruhe. Tragen wir dazu bei, eine neue Menschenrasse zu züchten? Um dies auszuschließen werden erwachsene Stammzellen – vermeintlich oder zu Recht, das ist hier die Frage – als idealer Weg gegenüber den embryonalen Stammzellen gepriesen. Warum sollten wir den- Prof. Dr. Rolf Heumann geboren 1947, 1969–1973: Student für Mikrobiologie an der Technischen Universität München. 1971–1972: „Visiting student“ am Queen Elizabeth College in London. 1973–1975: Diplomarbeit am Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried, in der Arbeitsgruppe Prof. B. Hamprecht, Abt. Prof. F. Lynen. 1978: Promotion mit dem Thema: „Herstel- lung und Charakterisierung von polyploiden Gliomazellen und zugleich cholinergadrenergen Hybridzelllinien“. Fortführung des Projektes bis 1979. Ab August 1979: Wiss. Assistent am Max-PlanckInstitut für Psychiatrie, Martinsried bei München, Abt.Neurochemie. Projektleiter im Schwerpunktprogramm „Dynamik und Stabilisierung neuronaler Strukturen“. 1988 Habilitation im Fach Zoologie. 1991 Übernahme des Lehrstuhls Biochemie-Molekulare Neurobiochemie (Fakultät für Chemie) an der Ruhr-Universität Bochum. Aufbau und Leitung des Studienganges „Biochemie“ an der Fakultät für Chemie. noch humane embryonale Stammzellen verwenden? Wir stehen trotz der rasanten Entwicklung der Stammzellforschung noch ganz am Anfang, was das Verständnis der Reprogrammierung von Zellen anbelangt. Nachteil der erwachsenen Stammzellen ist, dass sie vielleicht nur bei einigen Krankheiten therapeutisch anwendbar sind, bei anderen möglicherweise nicht. Die Erzeugung einer für die Transplantation ausreichenden Gewebemasse aus erwachsenen Stammzellen ist häufig schwierig. Das Potential zur Differenzierung in alle benötigten Zelltypen ist bei erwachsenen Stammzellen eher eingeschränkt. Kann man diese Nachteile bei erwachsenen Stammzellen nicht in den Griff bekommen? Antwort: vermutlich ja, aber zur Klärung obiger Fragen ist Forschung eben an embryonalen Stammzellen sehr hilfreich und vermutlich notwendig: Die erwachsenen Stammzellen müssen zur Reprogrammierung wieder in einen frühen entwicklungsbiologischen Zustand zurückfallen und sich danach in den richtigen Zelltyp, sagen wir z. B. in ein dopaminerges Neuron differenzieren. Notwendige Voraussetzung der erfolgreichen Therapie mit erwachsenen Stammzellen ist die Kenntnis des moleku- laren Mechanismus dieser Reprogrammierung. Der Weg dahin ist vielschichtig: Entwicklungsbiologen machen sich daran, am Oocyten des Xenopus laevis grundlegende Mechanismen der Reprogrammierung zu erforschen. Extrapoliert in die Zukunft könnte dies bedeuten, dass es vielleicht einmal möglich sein wird die erwachsene Stammzelle vorübergehend gezielt in den embryonalen Zustand überzuführen, um dann ebenso gezielt den gewünschten differenzierten Zelltyp zu erhalten. Will sagen, in Zukunft könnten die Grenzen zwischen erwachsener und embryonaler Stammzelle fließend werden. Wir stehen also vor dem Dilemma, dass die Entwicklung einer erfolgreichen Therapie die Kenntnis der embryonalen Zelle voraussetzt. Hier muss unterstützend für die Forschung an embryonalen Stammzellen klargestellt werden, dass die embryonalen ebenso wie die erwachsenen Stammzellen eben nicht totipotent sind, also nicht direkt zur Erzeugung eines ganzen Organismus, d. h. eines Menschen eingesetzt werden können. Erst das in Deutschland verbotene therapeutische Klonen erzeugt durch Kerntransplantation der erwachsenen somatischen Zelle in einen Oocyten eine totipotente embryonale Zelle. Diese kann sich aber erst nach einem entscheidenden Willensschritt, der Implantation des in vitro erzeugten Embryos in den Mutterleib, in einen ganzen Organismus entwickeln. Dieser Schritt (reproductive cloning) muss – wie in England geschehen – streng verboten sein, will man eine genetische Manipulation an der Keimzelle des Menschen verhindern. Da die biowissenschaftliche Forschung an Stammzellen ein umwälzendes therapeutisches Potential hat, wird sie eine noch unabsehbare wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung erlangen. Zugleich ist mit dieser neuen Entwicklung ein ethisches und rechtliches Konfliktfeld von ungewissem Ausmaß verbunden, so dass eine schnelle, möglichst global verbindliche Bewertung und Regelung dringend geboten ist. Siehe auch Stellungnahme des Präsidenten der GBM, Prof. Scheller, auf Seite 355. BIOspektrum . 4/01 . 7. Jahrgang Wissenschaft intern 349 Zwei unterschiedliche Positionen zur Stammzelldebatte: E Mit humanen embryonalen Stammzellen verbinden sich große Hoffnungen: sie sollen Ersatzgewebe für die Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten liefern. Die Gewinnung dieser Zellen ist jedoch unweigerlich mit der ethisch problematischen Vernichtung menschlicher Embryonen verbunden. Deshalb ist zu prüfen, ob nicht andere Zellen ein vergleichbares Potenzial besitzen. Als Alternative bieten sich adulte Stammzellen an, die sich aus dem Organismus Erwachsener gewinnen lassen. Gegen ihre bevorzugte Nutzung wird häufig ihr begrenztes Vermehrungspotenzial ins Feld geführt. Tatsache ist jedoch, daß die Vermehrungsfähigkeit aller humanen Stammzellen – auch die embryonaler – gering ist. Adulte gewebespezifische Stammzellen des Menschen lassen sich zwar zumeist nur über eine begrenzte Zahl von Zellteilungen vermehren. Dennoch gelang es kürzlich Jülicher Biotechnologen, die attraktiven, bisher nur in begrenzter Menge zur Verfügung stehenden Stammzellen aus Nabelschnurblut auf elegante Weise fast unbegrenzt zu vermehren: sie betteten sie in kleine Hohlkugeln aus Kollagen ein und ernteten sie nach erfolgreicher Vermehrung im Bioreaktor durch enzymatische Verdauung des Trägermaterials. Ein zweites für embryonale Stammzellen vorgebrachtes Argument ist ihr größeres Entwicklungspotenzial: sie lassen sich in viele verschiedene Zelltypen entwickeln. Dieser Vorteil könnte sich jedoch gleichzeitig als ihr größter Nachteil entpuppen: da sie im Empfänger Tumore bilden können, sind sie selber nicht für die Transplantation geeignet. Vielmehr müssen sie zunächst zu gewebespezifischen Vorläuferzellen entwickelt werden, deren Potenzial dem adulter Stammzellen gleicht. Diese Vorläufer entstehen jedoch nicht in reiner Form, sondern gemeinsam mit anderen Zelltypen. Kontaminieren diese das therapeutische Präparat und wachsen an der Injektionsstelle an, könnten beispielsweise knorpelähnliche Gebilde statt Neuronen entstehen. Erstere wurden im Gehirn verstorbener Patienten gefunden, die wegen ihrer Parkinson-Erkrankung mit fötalen neuronalen Zellpräparaten transplantiert worden waren. Adulte Stammzellen können demgegenüber in reiner Form gewonnen und kultiviert werden. Dadurch ist das Risiko der BIOspektrum . 4/01 . 7. Jahrgang Quelle: Frommann/laif Regine Kollek: Pro adulte Stammzellen Prof. Dr. rer. nat. Regine Kollek geboren 1950, Studium der Biologie und Chemie in Braunschweig. Promotionsstudien in Brighton, Paris und Würzburg. 1979 bis 1981 Forschungsaufenthalt an der University of California (Medical School), San Diego; 1981 bis Ende 1985 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Heinrich-Pette-Institut an der Universität Hamburg; 1985 bis 1987 im wissenschaftlichen Stab der Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“des Deutschen Bundestages, Bonn; 1987 bis 1988 freiberufliche Mitarbeit im Öko-Institut Freiburg; von 1987 bis 1991 im Vorstand des Instituts. 1988 bis 1995 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung. Seit Oktober 1995 Professorin für Technologiefolgenabschätzung der modernen Biotechnologie in der Medizin an der Universität Hamburg. Mitglied der Akademie für Ethik in der Medizin. Vorsitzende des Beirates für ethische Fragen im Gesundheitswesen des Bundesministeriums für Gesundheit und Mitglied im Nationalen Ethikrat. Transplantation eines falschen Zelltyps und seiner unkontrollierten Reaktionen am Zielort praktisch ausgeschlossen. Adulte Stammzellen sind auch keineswegs vollständig auf die Bildung einzelner Zelltypen beschränkt. Trotz ihrer Spezialisierung können beispielsweise hämatopoetische menschliche Stammzellen aus dem Knochenmark oder dem Nabelschnurblut im Tierversuch zur Bildung neuronaler Zellen oder neuer Herzkranzgefäße angeregt werden. Manche Erfolge embryonaler Stammzellen erweisen sich desweiteren als schlechte Reproduktion von zuvor mit adulten Stammzellen erzielten Ergebnissen. Beispielsweise gelang es im April 2001 einer Gruppe aus Bethesda, embryonale Stammzellen der Maus in insulinproduzierende pankreatische Inselzellen umzuwandeln. Die Zellen produzierten jedoch so wenig Insulin, daß damit transplantierte diabetische Mäuse starben. Bereits im März 2000 hatten jedoch Wissenschaftler der Universität Florida solche Mäuse mithilfe adulter Stammzellen kuriert. Embryonale Stammzellen fanden in klinischen Versuchen bislang keine Anwendung. Transplantiert wurden – mit uneindeutigen bis problematischen Ergebnissen – lediglich Präparationen neuronaler Zellen aus dem Gehirn abgetriebener Föten zur Behandlung von Patienten mit Morbus Parkinson oder Chorea Huntington. Adulte Stammzellen werden jedoch seit Jahren teilweise mit guten Erfolgen zur Behandlung von Leukämien, entzündlichen Erkrankungen oder neuerdings auch zur Regeneration von Knorpelgewebe eingesetzt. Sie sind weiterhin risikoärmer als embryonale Stammzellen: bei ihnen besteht die Gefahr des Tumorwachstums nicht. Wenn sie aus dem Patienten selber gewonnen und zurücktransplantiert werden, rufen sie – anders als embryonale Stammzellen, die ja immer von einem fremden Spender stammen – keine Abwehrreaktion hervor. Da eine Gewebeabstoßung nicht zu befürchten ist, kann auf die Gabe von Immunsuppressiva verzichtet werden. Für die Entwicklung von Zell- und Gewebeersatztherapien sind adulte Stammzellen also in hohem Maße geeignet. Zwar unterscheidet sich ihr Potenzial von dem embryonaler Stammzellen, ist deswegen aber keineswegs als geringer anzusehen. Da neue Behandlungsverfahren, die sich im Tierversuch bewährt haben, beim Menschen nur selten von Anfang an wirksam sind, müssen sie in vielen kleinen Schritten optimiert werden. Stammzelltherapien werden keine Ausnahme von dieser Regel bilden. Dabei wird es weniger auf den Ausgangszelltyp ankommen, sondern vielmehr darauf, wieviel in die Verbesserung der Zellkulturbedingungen und die Entwicklung von Therapieschemata investiert wird. Angesichts des Potenzials adulter Stammzellen drängt sich die Frage auf, ob die Entwicklung – und unausweichliche Kommerzialisierung – von therapeutischen Produkten, die auf einer Vernutzung von menschlichen Embryonen beruhen, einer zivilisierten Gesellschaft überhaupt angemessen ist. Im Bereich der regenerativen Medizin sind wir nicht auf die Verfolgung einer Entwicklungslinie angewiesen, die wegen des ihr zugrunde liegenden kulturellen Tabubruchs lange konfliktbehaftet bleiben wird. Die freiwillige Respektierung ethischer Grenzen – auch wenn es die von Andersdenkenden sind – behindert das innovative Potenzial der Forschung nicht; sie kann es auch freisetzen. Diese Chance sollten wir nutzen.