Die chinesischen Grottentempel Autor(en): Swann, Peter C. Objekttyp: Article Zeitschrift: Du : kulturelle Monatsschrift Band (Jahr): 20 (1960) Heft 5 PDF erstellt am: 25.10.2017 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-293649 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. 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Was menschliche Schöpfung anbe¬ langt, lässt sich dieses künstlerische Weltwunder nur mit den Pyramiden vergleichen, mit Angkor und Borobudur. Wenn es eines sichtbaren Beweises bedarf, dass der reli¬ giöse Glaube Berge zu versetzen vermag, dann erbringen die Grottentempel diesen Beweis. Die buddhistische Religion hat diese Monumente her¬ vorgebracht. Buddha, «Der Erleuchtete», lebte im 6. Jahr¬ hundert v.Chr. in Indien. Die von ihm gegründete Reli¬ gionsform ist aus dem Hinduismus hervorgegangen und nach der barbarischen Verfolgung durch die muselmani¬ schen Angreifer im io. Jahrhundert auch wieder mit ihm verschmolzen. Der Buddhismus lebte fort und blühte in Ländern ausserhalb des eigentlichen Indien, in Ceylon, Burma und Siam, in China und Japan. Der Glaube kam im i. und 2. nachchristlichen Jahrhundert nach China. Zuerst verbreitete er sich nur langsam, gewann dann aber rasch an Bedeutung. Im 4. Jahrhundert besass der Bud¬ dhismus bereits eine starke Anhängerschaft, und die ersten Arbeiten an Grottentempeln wurden in Tun-huang in der Mitte des 4. Jahrhunderts in Angriff genommen. Als man die Grottentempel von Yun-kang im 5. Jahrhundert baute, hatte die Bewegung bereits stark an Popularität gewonnen. In der Zeit vom 5. bis 8. Jahrhundert sind die schönsten Werke entstanden. Bis weit ins 18. Jahrhundert bauten die Gläubigen neue Grotten und reparierten die alten ; aber um 1200 war das grosse Zeitalter der Grottentempel-Bildhauer¬ kunst vorbei. Keine Geschichte der chinesischen Bildhauer¬ kunst kann geschrieben werden, ohne dass sie sich zur Hauptsache mit der Kunst der Grottentempel beschäftigt. Wie der Buddhismus ist der Grottenkult aus einer in¬ dischen Vorstellung hervorgegangen. In Indien gibt es noch 1200 Grotten. Das indische Denken lehrt den Men¬ schen, Gott auf dem Wege innerer Selbsteinkehr zu suchen. Im Dunkel oder Halbdunkel der Grotten wird der Mensch weniger durch äussere Einflüsse abgelenkt und das Suchen nach Gott deshalb erleichtert. Der Inder stellt sich Gott ebenso furchterweckend wie gütig vor ; die dunkeln Grot¬ ten sind ein Ort der Unheimlichkeit. Denn Dunkelheit und Tod sind immer eng miteinander verbunden, und für den Inder bedeutet der Tod das zum neuen Leben führende notwendige Übergangsstadium. Die Stätten sind symbo¬ lisch ; denn diese Grotten wurden aus dem Stein der Berge gehauen, die für den Inder das Symbol der Ewigkeit dar¬ stellen. Indem er in den Stein meisselte, kam der Gläubige möglichst nahe an seinen Gott und an die Ewigkeit. Warum aber derart mächtige Figuren schöpfen? Auch dies entspringt der indischen Buddhavorstellung, denn nach dieser Lehre besass Buddha übernatürliche Eigen- In den Grotten wird er oft in überdimensionier¬ Grösse ter dargestellt, nicht nur um zu beeindrucken, son¬ dern auch um auf seine Rolle als Gott den Allmächtigen hinzuweisen. Beispielsweise findet man in Bamian (Afgha¬ nistan) noch heute gewaltige Statuen, die noch grösser sind als jene in China; den Chinesen dienten sie zweifellos als Vorbild. Und warum werden die Figuren so oft wieder¬ holt? Die Buddhisten betrachten die Wiederholung als eine Tugend. Der buddhistische Glaube umfasst einen rie¬ sigen Zeitraum, unzählige «Kalpa» oder Weltperioden, die alle ihren eigenen Buddha haben. Daraus ist die Darstel¬ lung der «Tausend Buddhas» hervorgegangen. Manchmal sehen wir sieben Buddhas, die Erwecker der unsrigen am nächsten liegenden kosmischen Zeitperiode, und manch¬ mal kommt noch ein achter Buddha hinzu, Maitreva, Buddha der Zukunft. Wie der Buddhismus nach China kam, ist eine der be¬ deutendsten Sagas der Welt. Durch ihren Eifer beseelt, den Glauben zu verbreiten, haben die indischen Missionare und ihre chinesischen Neubekehrten ungeheure Schwie¬ Schäften. rigkeiten überwunden : Die 15 ooo Kilometer zwischen Indien und China um¬ fassen ein Terrain, das unwegsam und auch wenig ein¬ ladend ist. Die Missionare durchquerten das Pamir («Dach der Welt»), das Hochland zwischen Indien und Zentral¬ asien. Sie durchquerten die Wüsten Asiens, eine Wildnis mit nur wenigen Oasen. Auf dieser jeglichen Schutz ent¬ behrenden Route, jederzeit dem Überfall wilder Stämme preisgegeben, kam der Glaube nach China, ein Glaube, der mit völlig friedlichen Mitteln mehr Anhänger gefunden hat als irgendeine andere Weltreligion. Die indischen Mis¬ sionare liessen ihre religiösen Schriften ins Chinesische übersetzen. Die Chinesen verschafften sich ihrerseits die buddhistische Weisheit aus der Quelle und lieferten ihre eigenen, neuen Texte. In den Oasen Zentralasiens bildeten sich buddhistische Gemeinden und schufen eine Kunst, die mit Elementen aus Indien, Rom und dem Mittelosten ver¬ mischt ist. Diese Kunst inspirierte die chinesischen Pilger, noch ehe sie mit dem eigentlichen Indien in Kontakt kamen. Die meisten Grotten befinden sich im nördlichen China, dort, wo der Buddhismus besonders verbreitet war. Einige liegen am Reiseweg, der ins Zentrum Chinas führt, andere wiederum in den Hauptstädten von Dynastien, die sich zu diesem Glauben bekannten. Ursprünglich war der Buddhismus ein Glaube, der le¬ diglich einer beschränkten Klasse von Männern Erlösung versprach, jenen nämlich, die das Leben asketischer Mönche führten. Mahayana, oder «Das Grössere Fahr¬ zeug», versprach dann später allen Erlösung von irdischer Pein, ob Mönch oder Laie, ob Mann oder Frau. In seiner ursprünglichen Form kannte der Buddhismus keine Gottheiten. Aus Mahayana entstand ein Götter¬ pantheon und durch Mahayana als Religionsform wurde die Phantasie der Menschen im Fernen Osten angeregt. Als wichtigste Vorstellung entstand daraus der Bodhisattva, der, nachdem er verschiedene Leben würdig durchwandert hat, sich das Recht erwirbt, in das «Nirwana» («Vollstän¬ diges Erlöschen der Existenz») einzutreten und Buddha zu werden, was das Ziel des Glaubens darstellt. Aber aus Erbarmen mit der leidenden Menschheit zog es der Bodhisattva vor, das endgültige Verlöschtwerden zu ver¬ zögern und auf der Welt zu bleiben, um den leidenden Menschen zu helfen. Kuan Yin («Göttin der Vergebung») ist am bekanntesten. In der Frühzeit der buddhistischen Kunst wurde Buddha niemals in menschlicher Form dargestellt; nur ein Rad oder Fussabdrücke deuteten auf seine Anwesenheit. Durch die römisch-hellenistische Kunst im nordwestlichen Indien inspiriert, begannen die Künstler dann später Buddha und sein Pantheon in verschiedenen menschli¬ chen Formen darzustellen, je nach dem Land, wo sich der Glaube eingebürgert hatte. In der Frühkunst des Fernen Ostens trachteten die Künstler darnach, sich möglichst an die indischen Vorbilder zu halten, um dadurch die ma¬ gische Wirkungskraft ihrer Statuen zu erhöhen. Die Chinesen nahmen den Buddhismus an, der, wie man behauptet, die einzige fremde kulturelle Kraft darstellen soll, welche China zutiefst beeinflusst hat. Aber schon bald macht sich in der Kunst der chinesische Einfluss bemerk¬ bar. Die Dynamik der chinesischen Kunst seit dem 6. Jahr¬ hundert ist im Osten wohl nirgends mehr überboten worden. Der Buddhismus vermochte aber China nicht zu er¬ obern, ohne herausfordernd auf den im Lande eingebür¬ gerten Glauben zu wirken. Ein kriegerisch veranlagter chinesischer Kaiser empfand manchmal die auf Zölibat und Frieden ausgerichtete Religionsform als eine Beleidi¬ gung. Der Reichtum der Klöster erweckte Neid. Mit ihren Verfolgungen haben die Anhänger von Konfuzius und Tao während ihrer Herrschaft viel zerstört. Immerhin ver¬ mochte sich der Glaube zu behaupten und blühte. Auch die Grottentempel sind erhalten geblieben, wenn auch nicht unberührt von der Zeit. Kunstschänder sowie Kriege, durch welche China im Laufe der Jahrhunderte heim¬ gesucht wurde, sind für weitere Verluste verantwortlich. Es gibt viele Grottentempel in China. Die wichtigsten davon sind aber zweifellos Yun-kang, Lung-men, Tunhuang und die kürzlich wieder entdeckten von Mai-chishan. Diese Erzeugnisse aus Stein, Ton und Farbe zei¬ gen, was während eines Jahrtausends ein nobler Glaube hervorzubringen vermochte: eine Ausdrucksform geläu¬ terten Geistes, die wohl selten überzeugender zu finden ist. Die Übersetzung der Texte von Peter C. Sivann besorgte Phyllis Coebergh