Mutationen im SMN-Gen verursachen Spinale Muskelatrophie Über

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ÿ Mutationen im SMN-Gen verursachen Spinale Muskelatrophie
ÿ Über Essigsäure zum Schokoladengeschmack
ÿ Neue pharmakologische Hilfe bei Harndrang
© Springer-Verlag 2014
Gen in den Schlagzeilen
Mutationen im SMN-Gen verursachen Spinale Muskelatrophie
ó Spinale Muskelatrophie vom Typ 1 (SMA1;
OMIM 253300) ist eine schwere rezessive neuromuskuläre Erkrankung mit einer Häufigkeit
von ∼1:10.000 (schwere Formen führen im
Alter von 2 Jahren zum Tod); die Häufigkeit von
Heterozygoten beträgt etwa 1:50. Die Ursache
für diese Erkrankung sind Mutationen im
SMN1-Gen (survival motor neuron 1). Es gibt
verschiedene Mutationen in diesem Gen, die
zu unterschiedlichen Schweregraden der Erkrankung führen. Um zu verstehen, warum dies
so ist, haben Kavita Praveen und ihre Kollegen
aus Chapel Hill und Philadelphia, USA, eine
Serie von 12 verschiedenen humanen SMN1Mutationen nachgebildet und in Drosophila
exprimiert (Praveen K et al., PLoS Genet (2014)
10:e1004489). Die Mutationen betreffen hochkonservierte Aminosäuren in drei wichtigen
Bereichen des SMN1-Proteins: die Gemin2bindende Domäne, die Tudor-Domäne, und eine Tyr/Gly-reiche Domäne (YG-Box). Die bei
den Drosophila-Mutanten beobachteten Unterschiede im Schweregrad (z. B. Letalität) sind
den entsprechenden Unterschieden zwischen
den Patienten ähnlich. Als besonders wichtig
haben sich in den Experimenten die Mutationen herausgestellt, die die YG-Box betreffen,
denn sie zeigen ein stärkeres Krankheitsbild
als die Nullmutationen. Die in der YG-Box veränderten Proteine können nicht mehr mit sich
selbst Dimere bilden – wohl aber mit dem Wildtyp-Protein. Wenn in Drosophila das WildtypProtein stark überexprimiert wird, kann dadurch die Wirkung der Proteine zurückgedrängt
werden, deren YG-Box verändert ist. Dieser Befund eröffnet die Möglichkeit, diejenigen
Patienten gezielt zu behandeln, deren Muskelatrophie durch eine Mutation in der Region des
SMN1-Gens hervorgerufen wird, die für die
YG-Box codiert.
Y Neben der Perspektive einer personalisierten Therapie liegt der Verdienst dieser Arbeit
in der Darstellung der besonderen Bedeutung
von Punktmutationen, die oftmals zu schwereren Krankheitsbildern führen als der Verlust
des ganzen Gens. Außerdem können allelische
Serien dazu verwendet werden, die Funktion
bestimmter Domänen des entsprechenden Pro-
Abb.: Muskelbiopsie bei der Spinalen Muskelatropie (SMA 1). Die schwere Form ist durch auffällige hypertrophische Fasern zwischen atrophischen Muskelfaserbündeln charakterisiert.
(Bild: Katirji B et al. (Hrsg.) (2014) Neuromuscular Disorders in Clinical Practice. Springer Science+Business
Media, New York.)
teins zu untersuchen, wenn Punktmutationen
in verschiedenen Bereichen eines Gens zu unterschiedlichen Schweregraden oder gar unterschiedlichen Krankheitsbildern führen.
Jochen Graw, Neuherberg
Mikroorganismus in den Schlagzeilen
Über Essigsäure zum Schokoladengeschmack
ó Dass ein Verrottungsprozess für den leckeren Kakao-Geschmack verantwortlich ist, dürfte den meisten Naschkatzen nicht bewusst
sein. Aber wie bei vielen anderen Lebensmitteln auch, sorgen Mikroorganismen für den feinen Genuss. Biotechnologen der Saar-Universität um Christoph Wittmann sowie von Nestlé
haben die Stoffwechselwege bei der SchokoFermentation genauer unter die Lupe genommen (Adler P et al., Appl Environ Microbiol
(2014) 80:4702–4716).
Dass sich deutsche und schweizerische
Forscher mit Schokolade befassen, wundert
kaum, arbeiten sie doch in den größten Konsumländern für die zarte Süßigkeit weltweit.
Doch bislang fermentieren die Kakaobohnen
und das anhaftende Fruchtfleisch unter Bananenblättern in südlicher Sonne. Erstmals
verfolgten Forscher nun im heimischen Labor
detailliert die Fermentationsschritte. Bekannt
war, dass Hefen, Milch- und Essigsäurebakterien die Nährstoffe aus dem Kakao so
umsetzen, dass daraus Vorstufen des
Schokoladenaromas entstehen. Die einzelnen
Schritte und die notwendige Teamarbeit unter den Mikroorganismen machten die Wissenschaftler nun mithilfe von Isotopenmarkierungen sichtbar: Milchsäurebakterien und
Hefen stellen aus den Zuckern im Fruchtfleisch Milchsäure und Ethanol her. Essigsäurebakterien verarbeiten diese über getrennte Stoffwechselwege zu Acetat. Diese
Trennung ist zwar energetisch ungünstig, aber
schnell, und darauf zurückzuführen, dass
Phosphoenolpyruvat-Kinase und Malat-Enzyme fehlen.
Abb.: Essigsäurebakterien wie Acetobacter pasteuerianus spielen eine wesentliche Rolle für die
Entwicklung des typischen SchokoladenGeschmacks während der Fermentation von
Kakaobohnen (Bild: Claudia Ludy).
Y Eine ausgewogene Zusammensetzung der
richtigen Mikroorganismen ist daher für den
Schokoladen-Geschmack eine Grundvoraussetzung. Durch den Einsatz von natürlichen
Starterkulturen könnten Kakaobauern den
Ertrag von Kakao-Fermentationen verbessern.
Anja Störiko, Hofheim
BIOspektrum | 06.14 | 20. Jahrgang
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Arzneimittel in den Schlagzeilen
Neue pharmakologische Hilfe bei Harndrang
Abb.: Mirabegron aktiviert β3-Adrenozeptoren
und fördert die Relaxation der Blasenmuskulatur.
ó Das Syndrom der überaktiven Blase
(overactive bladder, OAB) ist häufig, lästig
und psychosozial sehr belastend: Ganz
plötzlich kontrahiert sich spontan die Blasenmuskulatur und es entsteht ein starker
Harnndrang, ohne dass die Blase tatsächlich gefüllt ist. Um die Blasenmuskulatur zu
relaxieren und den Harndrang zu reduzieren,
standen bisher vor allem M3-Cholinozeptorantagonisten wie das Trospium, Tolterodin
und Darifenacin zur Verfügung. Der M3-Cholinozeptor wird über den Neurotransmitter
Acetylcholin aktiviert, der dann Gq-Proteine und die Phospholipase C stimuliert. In der
Folge wird die intrazelluläre Kalziumkonzentration erhöht und die glatten Muskelzellen kontrahieren. Dieser Prozess wird
durch die Antagonisten blockiert.
Der β3-Adrenozeptor stellt nun einen zum
M3-Cholinozeptor funktionell antagonistischen Rezeptor in der Blasenmuskulatur dar.
Der β3-Adrenozeptor wird durch den Neurotransmitter Noradrenalin aktiviert, koppelt
an das G-Protein Gs und stimuliert die Adenylylzyklase, die den second messenger
BIOspektrum | 06.14 | 20. Jahrgang
cAMP generiert. cAMP erniedrigt die intrazelluläre Kalziumkonzentration und relaxiert
damit die glatten Muskelzellen in der Blase. Einen ähnlichen funktionellen Antagonismus findet man auch an den glatten Muskelzellen der Atemwege, nur dass hier der
β2-Adrenozeptor exprimiert ist.
In Analogie zur bronchodilatatorischen
Therapie des Asthma bronchiale mit β 2Adrenozeptoragonisten liegt es nun nahe,
die OAB mit β3-Adrenozeptoragonisten zu
behandeln. Anfang Juni 2014 wurde in
Deutschland der erste β 3-Adrenozeptor agonist, Mirabegron, zur OAB-Therapie zugelassen. Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien zeigten die klinische Wirksamkeit von Mirabegron (Chapple CR et al., BJU
Int (2014) 113:696–703).
Y Die unerwünschten Wirkungen von Mirabegron sind milde. Prinzipiell stellt sich
jedoch die Frage, ob es bei einer Dauertherapie mit einem Agonisten wie Mirabegron
zur Rezeptordesensitisierung und damit zum
Wirkungsverlust kommt. Außerdem bleibt,
wie bei so vielen neu eingeführten Arzneistoffen mit therapeutischen Alternativen die
Frage offen, ob der neu eingeführte Arzneistoff den alten Therapieprinzipien klinisch
überlegen ist. Die Praxis und weitere klinische Studien werden also zeigen müssen,
welchen Stellenwert das neue und klinisch
interessante Wirkungsprinzip besitzt. Im Falle von Mirabegron sind von der Klonierung
des β 3-Adrenozeptors bis zur Einführung
eines Arzneistoffs in die Praxis immerhin
25 Jahre vergangen, eine im Vergleich zu
anderen Rezeptorklonierungen sehr lange
Zeit. Dies reflektiert auch die Tatsache, dass
es sehr schwer war, Wirkstoffe mit hoher
Selektivität für den β 3-Adrenozeptor und
geeigneten pharmakokinetischen Eigenschaften, insbesondere der Resorbierbarkeit
nach oraler Gabe, zu gewinnen.
Roland Seifert, Hannover und
Lutz Hein, Freiburg
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