Behandlungspfade in der Suchttherapie

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Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Abteilung Köln
Masterstudiengang Suchthilfe
Masterthesis
Behandlungspfade in der Suchttherapie
Vorgelegt von:
Tanja Lang
Matrikelnummer: 277130
1. Gutachter:
Herrn Dr. Bernd Schneider
2. Gutachter:
Herrn Prof. Dr. med. M. A. Wolfgang Schwarzer
Erftstadt im Februar 2011
1
Inhaltsverzeichnis
1. Zusammenfassung
5
2. Einleitung
6
3. Die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems in der medizinischen
Rehabilitation
3.1 Die Qualitätssicherung durch Einführung eines Qualitätsmanagements
9
9
3.2 Der Zertifizierungsprozess der Fachklinik Liblar
13
3.3 Die Position der Behandlungspfade im Qaulitätsmanagementsystem
14
4. Die Suchterkrankung. Fakten, Ätiologie und Behandlungsmöglichkeiten
15
4.1 Diagnostik der Suchterkrankung
15
4.2 Epidemiologie der Suchterkrankung
17
4.3 Ätiologie der Suchterkrankung
18
4.3.1 Die Suchtpersönlichkeit
19
4.3.2 Das Erklärungsmodell der Suchttrias
19
4.3.3 Der lernpsychologische Erklärungsansatz
20
4.4 Therapeutische Behandlungsansätze der Suchttherapie in der Fachklinik Liblar
21
4.4.1 Die Psychodramatherapie
21
4.4.2 Der verhaltenstherapeutische Ansatz
22
4.4.3 Die kognitive Verhaltenstherapie
23
4.4.4 Der systemische Behandlungsansatz
24
4.4.5 Die Gruppentherapie
25
4.5 Behandlungspfade der Patienten mit Suchtmittelabhängigkeit ohne Komorbidität
26
4.5.1 Behandlungspfad der Orientierungsphase
27
2
4.5.2 Behandlungspfad der Kernphase
42
4.5.3 Behandlungspfad der Abschlussphase
59
5. Die Behandlung der Patienten mit Komorbidität
70
5.1 Die Komorbidität von Suchtmittelabhängigkeit und Depression
71
5.1.1 Fakten, Ätiologie und Behandlungsansätze der Depression
72
5.1.1.1 Diagnostik der Depression
73
5.1.1.2 Epidemiologie der Depression
73
5.1.1.3 Ätiologie der Depression
74
5.1.1.4 Therapeutische Behandlungsansätze der Depression
75
5.1.2 Modifikation der Behandlungspfade für Patienten mit bestehender
Suchtmittelabhängigkeit und Depression
78
5.2 Die Komorbidität von Suchtmittelabhängigkeit und Borderline–Störung
84
5.2.1 Diagnostik der Persönlichkeitsstörung
84
5.2.2 Ätiologie der Persönlichkeitsstörung
84
5.2.3 Diagnostik der Borderline–Störung
86
5.2.4 Epidemiologie der Borderline–Störung
86
5.2.5 Ätiologie der Borderline–Störung
86
5.2.6 Therapeutische Behandlungsansätze der Borderline–Störung
88
5.2.7 Modifikation der Behandlungspfade für Patienten mit bestehender
Suchtmittelabhängigkeit und Borderline–Störung
90
5.3 Die Komorbidität von Suchtmittelabhängigkeit und dissozialer
Persönlichkeitsstörung
97
5.3.1 Diagnostik der dissozialen Persönlichkeitsstörung
97
5.3.2 Epidemiologie der dissozialen Persönlichkeitsstörung
98
5.3.3 Ätiologie der dissozialen Persönlichkeitsstörung
98
5.3.4 Therapeutische Behandlungsansätze bei dissozialer Persönlichkeitsstörung
99
3
5.3.5 Modifikation der Behandlungspfade für Patienten mit bestehender SuchtmittelAbhängigkeit und dissozialer Persönlichkeitsstörung
102
6. Die Qualitätssicherung in der medizinischen Rehabilitation
109
6.1 Ein Exkurs: die quantitative Inhaltsanalyse in der Sozialforschung
109
6.2 Die Bedeutung der Kategorien therapeutischer Leistungen des Deutschen
Rentenversicherungsträgers
110
6.2.1 Gegenüberstellung der Kategorien therapeutischer Leistungen und der Inhalte
der Behandlungspfade suchtmittelabhängiger Patienten ohne Komorbidität
113
6.3 Qualitätssicherung durch Leitlinien
120
6.3.1 Die Leitlinien der Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen
121
6.3.2 Vergleich der Leitlinien der Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen
mit den Inhalten der Behandlungspfade suchtmittelabhängiger Patienten ohne
Komorbidität
125
7. Diskussion
129
8. Literaturverzeichnis
138
9. Anhang
146
4
1. Zusammenfassung
Der
Rentenversicherungsträger
fordert
von
allen
Kliniken,
die
durch
den
Rentenversicherungsträger belegt werden, seit 2005 ein Qualitätsmanagementsystem
einzuführen. Hieraus entstand die Idee zu dieser Masterarbeit, Behandlungspfade für die
psychotherapeutische
Behandlung drogenabhängiger Patienten in der stationären
Langzeitentwöhnungsbehandlung zu erstellen und zu überprüfen, inwieweit sie den
unterschiedlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen in der medizinischen Rehabilitation
gerecht werden. Ich nehme dazu den Prozess der Qualitätssicherung und die
Behandlungsinhalte der Fachklinik Liblar als Beispiel.
Es werden zunächst die der Qualitätssicherung zu Grunde liegende Norm DIN/EN/ISO 9001
: 2008 vorgestellt. Nach der Darstellung der Position der Behandlungspfade innerhalb des
Qualitätsmanagementsystems erfolgt die Darstellung des theoretischen Hintergrundes der
Suchterkrankung, der sich die Vorstellung der Behandlungspfade für suchtmittelabhängige
Patienten ohne Komorbidität anschließt. Die Aufgaben der Behandlungspfade werden,
entsprechend den Behandlungsphasen der Fachklinik Liblar, soweit möglich vor einem
theoretischen Hintergrund dargestellt. Für die Behandlung von komorbiden Patienten wurden
die Behandlungspfade für die Komorbidität von Sucht und Depression, Sucht und Borderline
–Störung sowie Sucht und Delinquenz modifiziert, so dass die Inhalte dem Störungsbild
gerecht werden. Dabei wurden Aufgaben zeitlich verschoben oder neue Aufgaben in die
Behandlungspfade hinzugenommen. Die in der Beschreibung der Aufgaben vorgestellten
Trainingsprogramme und die zu den Aufgaben vorgeschlagenen Interventionen befinden
sich in Langform im Anhang. Überprüft wurde die Qualität der Behandlungspfade durch
Vergleichen
der
in
den
Kategorien
Therapeutischer
Leistungen
des
Rentenversicherungsträgers angegebenen Therapieziele und die Inhalte der Leitlinien zur
Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen. Dabei zeigte sich, dass die Inhalte in
weiten Teilen den Forderungen des Rentenversicherungsträgers entsprechen. Die
entwickelten Behandlungspfade und das Prinzip der Qualitätssicherung werden zuletzt
kritisch diskutiert.
5
2. Einleitung
Die
Idee,
Behandlungspfade
für
den
therapeutischen
Bereich
der
stationären
Entwöhnungsbehandlung drogenabhängiger Patienten zu entwickeln, entstand im Rahmen
des Zertifizierungsprozesses der Fachklinik Liblar. Seit 2005 ist es für alle Krankenhäuser
und Rehabilitationskliniken in Deutschland Pflicht, im Abstand von zwei Jahren einen
strukturierten Qualitätsbericht zu erstellen (Ertl Wagner et al 2009). Die Fachklinik Liblar
begann im Sommer 2008 ein Qualitätsmanagementsystem zu implementieren und ist seit
September 2010 durch die DEKRA zertifiziert.
Die Qualitätssicherung entwickelte sich zunächst im Bereich der Industrieproduktion. Ziel war
es, durch die Einführung von Produktionsstandards, so genannten Qualitätsstandards, die
Qualität eines Produktes zu sichern, um eine hohe Kundenzufriedenheit, und somit eine
sichere
Marktposition
zu
erreichen.
Die
Kundenzufriedenheit
wurde
durch
Kundenbefragungen und Marktforschung erfasst. Durch das Einbeziehen neuester
Technologien, durch ständig verbesserte Produktionsabläufe und aufgrund der Ergebnisse
aus Kundenbefragung und Marktforschung sollte die Qualität des Produktes stetig verbessert
werden.
Die
Bedeutung
von
Prozessorientierung
und
Kundenzufriedenheit,
die
ausschlaggebend für den Erfolg eines Unternehmens sind, nahm seit den 1980er Jahren
auch im Gesundheitssystem zu, so dass Qualitätssicherung und die Einführung eines
Qualitätsmanagementes im Gesundheitswesen durch die Paragraphen 135 – 137 SGB V
gesetzlich geregelt wurden (ebenda).
Eine Einrichtung kann zwischen verschiedenen Qualitätsmanagementsystemen wählen. Ein
im Gesundheitswesen häufig eingesetztes System zur Qualitätssicherung ist die Norm DIN/
EN/ISO 9001:2008.
Bei einer Zertifizierung nach diesem System werden alle Abläufe
während eines Klinikaufenthaltes in Form von Flussdiagrammen oder Pfaden dargestellt.
Zunächst ging es darum, die Stationen, die ein Patient von der Aufnahme bis zur Entlassung
durchläuft, in einem solchen Diagramm darzustellen. Als nächster Schritt wurden die
medizinischen Abläufe, die eine Behandlung einer physischen Erkrankung erfordert, in Form
von
Behandlungspfaden
erfasst.
Anwendungen,
Medikamentengaben
und
weitere
medizinische Maßnahmen wurden in Form eines Pfades dargestellt und sorgten für eine
hohe Transparenz der Behandlung für den Behandelnden und den Behandelten.
Die
Behandlungspfade sollten dabei den Anforderungen des aktuellen wissenschaftlichen
Standards entsprechen. Um dies zu gewährleisten, bildeten sich Gremien, die Leitlinien für
die Behandlung bestimmter Krankheitsbilder aufstellten. Diese Vorgehensweise setzte sich
auch in der Behandlung psychischer Erkrankungen durch. So erstellte die Deutsche
Gesellschaft für Suchtforschung (DGS) und die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) Leitlinien für die Postakutbehandlung
6
alkoholbezogener Störungen. Unter Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen
Forschungsergebnisse werden hier Empfehlungen zu notwendigen Inhalten der Behandlung
eines bestimmten Krankheitsbildes, in diesem Fall der Alkoholabhängigkeit, gegeben.
Verpflichtend für den Behandelnden sind die Leitlinien bislang noch nicht.
Der Anteil der Abhängigkeitserkrankungen an der Gesamtzahl der Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation (ambulant und stationär) betrug 2008 6,2 % (DRV 2010). Dass
dieser nicht unerhebliche Kostenanteil in eine qualitativ gute Behandlung fließt, wird vom
Kostenträger durch die Forderung der Zertifizierung der von ihr belegten Einrichtung
kontrolliert und auch durch die Erfassung und Überprüfung der Kategorien therapeutischer
Leistungen, kurz KTL. Sie werden zusammen mit dem Abschlussbericht an den
Rentenversicherungsträger übersendet und zeigen alle Leistungen, die der Patient während
seiner gesamten Behandlung
entsprechende
Erkrankung
erhalten hat. Abgeleitet aus den Leitlinien für die
hat
der
Rentenversicherungsträger
evidenzbasierte
Therapiemodule (ETM) zusammengestellt, anhand derer er überprüft, ob der Rehabilitand
mit den von der Einrichtung angegebenen KTL eine qualitativ gute Behandlung erhalten hat
(DRV 2007). In regemäßigen Abständen gehen Rückmeldungen an die Einrichtungen, in
welchen Bereichen die Behandlung verbessert werden muss und in welchen Bereichen die
Behandlung der Einrichtung zufriedenstellend ist.
Die
Struktur
der
vorliegenden
Masterarbeit
folgt
dem
vorgestellten
Weg
über
Qualitätssicherungssystem, Behandlungspfad und Kontrolle durch KTL und Leitlinien. In dem
anschließenden Kapitel 3 werde ich auf das Qualitätsmanagement, die Qualitätssicherung
und
die
Position
der
hier
vorgestellten
Behandlungspfade
innerhalb
des
Qualitätsmanagementsystems eingehen.
Daran schließt sich in Kapitel 4 die Darstellung der Fakten und des theoretischen
Hintergrundes für Abhängigkeitserkrankungen sowie die Vorstellung der Behandlungspfade
für Suchtkranke ohne Komorbidität an. Die Aufgaben der Behandlungspfade werden
anschließend soweit möglich vor wissenschaftlichem Hintergrund beschrieben; und ich
schlage zu den Aufgaben passende Interventionen und Trainingsprogramme vor mit
Angaben der Seiten, auf denen die Interventionen und Trainingsprogramm im Anhang der
Arbeit vorgestellt werden.
Eine Veränderung der Behandlungspfade für Patienten mit den komorbiden Störungen
Suchtmittelabhängigkeit und Depression, Suchtmittelabhängigkeit und Borderline-Störung
und Suchtmittelabhängigkeit und Dissoziale Persönlichkeitsstörung nehme ich in Kapitel 5
vor. Hierbei handelt es sich um Vorschläge von Behandlungspfaden, die zur Zeit noch nicht
vollständig in der Einrichtung umgesetzt werden.
7
Kapitel 6 beginnt mit einem Exkurs über die qualitative Inhaltsanalyse, die in veränderter
Form die Basis der sich an den Exkurs anschließenden Gegenüberstellung der Inhalte der
Behandlungspfade
mit
den
Qualitätsmerkmalen
der
KTL
des
Deutschen
Rentenversicherungsträgers und den Leitlinien zur Postakutbehandlung alkoholbezogener
Störungen bildet.
Eine Diskussion der gesamten Arbeit erfolgt in Kapitel 7.
Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird jeweils nur die männliche Form verwendet. Die
weibliche Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen.
8
3. Die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems in der medizinischen
Rehabilitation
Die Qualitätssicherung in der medizinischen Rehabilitation erfolgt auf unterschiedlichen
Ebenen. Durch den Rentenversicherungsträger vorgegeben ist die Einführung und Pflege
eines Qualitätsmanagementsystems für Rehabilitationskliniken. Die am Patienten erfolgte
Behandlung wird durch die Kategorien therapeutischer Leistungen (KTL) überprüft, die am
Ende einer Behandlung erfasst und gemeinsam mit dem Abschlussbericht an den
Rentenversicherungsträger übermittelt werden. Der Behandlungsrahmen wird durch die
Leitlinien vorgegeben, die von übergeordneten Gremien für ein jeweiliges Störungsbild
entwickelt wurden. Die genannten Prozesse der Qualitätssicherung möchte ich am Beispiel
der Fachklinik Liblar vorstellen. Eine genaue Betrachtung der KTL und der Leitlinien erfolgt
nach der Vorstellung der Behandlungspfade, die Teil des Qualitätsmanagementsystems
sind, in Kapitel 6.
Beginnen möchte ich an dieser Stelle mit der Vorstellung eines
Qualitätsmanagementsystems
Qualitätssicherung.
und der
Rolle
der
Behandlungspfade innerhalb der
Dazu werde ich zunächst auf die Begriffe Qualitätssicherung und
Qualitätsmanagement eingehen und die Inhalte der Norm DIN/EN/ISO 9001:2008 vorstellen.
3. 1 Die Qualitätssicherung durch Einführung eines Qualitätsmanagements
Verschiedene Maßnahmen dienen der Qualitätssicherung. Zunächst wird die Qualität eines
Produktes gemessen, die entdeckten Mängel werden analysiert und es werden Handlungen
eingeleitet, um die Leistungen zu verbessern. Anschließend wird die Qualität erneut
gemessen um festzustellen, ob die angestrebte Verbesserung erreicht wurde (Michel 2002).
Deming beschrieb diesen Zyklus mit den Begriffen Planen (Plan), Ausführen (Do),
Verbessern (Act), Überprüfen (Chek), kurz als PDAC Zyklus bezeichnet (Ertl-Wagern et al
2009, S.6). Voraussetzung für die Qualitätssicherung ist die Existenz von definierten
Standards.
Anders beim Qualitätsmanagement. Hierbei handelt es sich um einen fortlaufenden Prozess,
durch den Strukturen, Prozesse und Ergebnisse einer Einrichtung optimiert und
weiterentwickelt werden sollten (ebenda). Das Qualitätsmanagement ist zukunfts-, prozessund kundenorientiert. Alle Mitarbeiter einer Einrichtung müssen sich daran beteiligen. Das
Qualitätsmanagement ist der Oberbegriff aller Tätigkeiten einer Einrichtung, die der
Qualitätssicherung dienen.
Es gibt verschiedene Konzepte zur Qualitätssicherung. Beispielsweise das TQM (Total
Quality Management). „Total“ steht für die Notwendigkeit des Zusammenwirkens aller
Tätigkeitsbereiche einer Einrichtung, ohne jedoch alle Bereiche kotrollieren zu wollen.
„Quality“ bedeutet eine konsequente Qualitätsorientierung bei allen internen und externen
9
Prozessen der Leistungserbringung. „Management“ steht für die Vorbildfunktion durch die
Führungskräfte im Bezug auf die Leitungsqualität. Für das TQM ist Qualität eine
Grundeinstellung, sie ist kundenorientiert, betrachtet das Qualitätsmanagement als
Führungsaufgabe, sieht alle Mitarbeiter in der Verantwortung für eine optimale Qualität und
steht für eine leistungs- und prozessorientierte Qualitätsbetrachtung. Es wird als Vorläufer
der anderen Qualitätssicherungskonzepte gesehen, aber im Gesundheitsbereich nur selten
eingesetzt (Michel 2002).
In der Industrie wurden seit 1970 branchenbezogene Normen für die Durchführung von
Qualitätssicherungsmaßnahmen
entwickelt,
Dienstleistungssektor ausgedehnt wurden.
die
in
den
1980er
Jahren
auf
den
Im Mittelpunkt steht die Kundenzufriedenheit.
Das Deutsche Institut für Normung (DIN) trat bereits 1951 der internationalen Organisation
für Normung (ISO = International Organisation for Standardization) bei. Europäische Normen
werden
durch
die
Buchstaben
EN
bezeichnet.
Die
Kurzform
dieser
Normierungsgesellschaften lauten DIN/EN/ISO (Ertl-Wagner et al 2009). Die 9000er
Normenfamilie bezieht sich auf das Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen. So steht
ISO 9001:2008 für die Norm 9001, die zuletzt im Jahr 2008 geändert wurde. Bei dieser Norm
werden die Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem geregelt (ebenda). Der
Schwerpunkt liegt hier auf dem systematischen Erkennen und der Handhabung von
Prozessen und ihrer Wechselwirkung innerhalb einer Organisation.
Eine Einrichtung, die das Qualitätsmanagementsystem DIN/EN/ISO 9001:2008 einführen
möchte, muss sich mit den acht folgenden Hauptkapiteln der Norm auseinander setzen:
1. Anwendungsbereich
2. Normative Verweisungen
3. Begriffe
4. Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem
5. Verantwortung der Leitung
6. Management von Ressourcen
7. Produktrealisierung
8. Messung, Analyse und Verbesserung
Inhalte des Kapitels 4, Qualitätsmanagementsystem, sind die Darstellung der betrieblichen
Prozesse und ihre Wechselbeziehungen, wie die Prozesse gemessen, überwacht und
analysiert werden (dguv 2010). Dies geschieht in einem QM-Handbuch, das folgende
Bereiche abhandeln muss: der Anwendungsbereich des QM muss definiert werden; es muss
die für das QM-System erstellten Verfahren enthalten, bzw. die Verweise darauf; es muss
die Wechselwirkung zwischen den Prozessen des Qualitätsmanagements beschreiben (Ertl10
Wagner et al 2009). Die Bedürfnisse der Kunden müssen ermittelt und mit dem Ziel der
Kundenzufriedenheit in interne Forderungen umgesetzt werden. Die Förderung eines
Bewusstseins
der
Mitarbeiter
für
Kundenforderungen
muss
durch
den
Qualitätsmanagementbeauftragten der obersten Leitung erfolgen. In seinen Aufgabenbereich
gehört es auch, die Qualitätspolitik auf ihre fortdauernde Angemessenheit zu überprüfen und
die dazu notwendigen Dokumente zu lenken. Ein weiterer wichtiger Bereich, der zum
Aufgabenfeld der Leitungsebene gehört, Kapitel 5, ist die Sicherstellung der Kommunikation
zwischen den verschiedenen Ebenen der Funktionsbereiche (dguv 2010). Um eine ständige
Qualitätsverbesserung
zu
erreichen
ist
es
notwendig,
Auditergebnisse
und
Kundenrückmeldungen zu berücksichtigen und die Prozesse dementsprechend zu
aktualisieren und zu optimieren. Die dazu erforderlichen Mittel müssen vom Unternehmen
bereitgestellt werden. Die Prozesse hierzu werden im Kapitel 6, Management von
Ressourcen, erfasst. Weitere Inhalte dieses Kapitels sind die Schulung der Mitarbeiter und
die Überprüfung der Wirksamkeit der Schulung. Zur Produktrealisierung (Kapitel 7) gehören
die Forderungen der Kunden an das Produkt, die Kommunikation mit den Kunden über das
Produkt,
z.B.
in
Form
von
Produktinformationen,
Auftragsbearbeitung
und
Kundenbeschwerden. Auch gesetzliche Regelungen und Anforderungen von Behörden
müssen hier mit einbezogen werden. Wie zufrieden die Kunden nach Erhalt des Produktes
sind, wird im letzen Bereich des Qualitätsmanagements erfasst, Kapitel 8, hier wird die
Kundenzufriedenheit gemessen, aber auch die Produktionsprozesse werden überwacht
(ebenda). Diese Kontrolle des Erreichten geschieht durch interne Audits (= Überprüfung der
dargestellten Prozesse auf ihre Richtigkeit und ob die Prozesse den Anweisungen
entsprechend umgesetzt werden) und Messungen, die jährlich in einem Management
Review zusammengefasst werden müssen. Es soll weiter in der Einrichtung ein
standardisiertes Verfahren des Fehlermanagements vorliegen, um nachzuweisen, dass
Strategien dazu vorliegen, wie mit „Beinahe-Zwischenfällen“ umgegangen wird (Ertl-Wagner
et al 2009).
Ob die Aufgaben und Prozesse einer Einrichtung alle der Norm entsprechend erfüllt werden,
wird am Ende des Zertifizierungsprozesses in einem Audit durch einen externen,
unabhängigen, akkreditieren Auditor überprüft. In dem Falle, dass nicht alle Anforderungen
erfüllt werden, muss die Einrichtung die bestehenden Mängel beheben und sich in einem
nächsten Audit erneut überprüfen lassen. Sind nun alle Anforderungen erfüllt, erhält das
Unternehmen eine Zertifizierung, die meist ein Jahr lang gültig ist und dann erneut überprüft
wird. Im Abstand von drei Jahren erfolgt die Rezertifizierung zur Aufrechterhaltung des
Zertifikates.
11
Die Norm DIN/EN/ISO 9001 basiert auf den acht folgenden Grundsätzen, die ein Leitbild für
das Management darstellen sollen (ebenda):
1. Kundenorientierung
Gegenwärtige und zukünftige Erfordernisse der Kunden sollten verstanden, erfüllt
und in den Erwartungen übertroffen werden.
2. Verantwortlichkeit der Führung
Sie sollten ein Umfeld schaffen, in dem die Mitarbeiter sich für die Zielerreichung der
Organisation voll und ganz einsetzen können.
3. Einbeziehung der beteiligten Personen
Personen machen das Wesen einer Organisation aus. Ihre vollständige Einbeziehung
ermöglicht, ihre Fähigkeiten zum Nutzen der Organisation einzusetzen.
4. Prozessorientierter Ansatz
Tätigkeiten
und
die
dazugehörigen
Ressourcen
sollten für
eine
effiziente
Zielerreichung als Prozess geleitet und gelenkt werden.
5. Systemorientierter Managementansatz
Erkennen, Verstehen, Leiten und Lenken von miteinander in Wechselbeziehung
stehenden Prozessen tragen zur Wirksamkeit und Effizienz der Zielerreichung einer
Organisation bei.
6. Kontinuierliche Verbesserung
Kontinuierliche Verbesserung ist ein dauerhaftes Ziel der Organisation.
7. Sachbezogener Entscheidungsfindungsansatz
Um wirksame Entscheidungen treffen zu können, müssen sie auf der Analyse von
Daten und Informationen beruhen.
8. Lieferantenbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen
Beide, Lieferant und Unternehmen, sind voneinander abhängig. Durch die Beziehung
zum beiderseitigen Nutzen wird die Wertschöpfungsfähigkeit beider Seiten erhöht.
Die Norm DIN/EN/ISO 9001:2008 ist prozessorientiert, ihr Schwerpunkt liegt auf den
kontinuierlichen Verbesserungsprozessen im modernen Qualitätsmanagement (Ertl-Wagner
et al 2009).
Für eine Einrichtung bedeutet die Zertifizierung meist eine verbesserte Marktposition oder
zumindest eine Sicherung der Marktteilhabe (DEGEMED und FVS, Auditleitfaden 3.0). Bei
vielen Suchteinrichtungen, die eine Zertifizierung anstreben, ist die gesetzliche Vorgabe ein
wesentlicher Motivationsgrund, da bei Nichtzertifizierung eine weitere Belegung durch den
Rentenversicherungsträger nicht gegeben ist. Wenn der Prozess der Zertifizierung einen
guten Weg nimmt, bietet das Qualitätsmanagement die Möglichkeiten, die Arbeitsprozesse
und angebotenen Produkte ständig zu überprüfen und zu verbessern, Zuständigkeiten klar
12
zu regeln, interne Abläufe zu optimieren und die Arbeit an Schnittstellen zu verbessern
(Michel 2002). Wie der Fachverband Sucht und die DEGEMED feststellen, bedarf es dazu
einer hohen Motivation und eine entsprechende Bereitschaft der Leitung und der Mitarbeiter,
sich auf den Prozess einzulassen und die dazu notwendigen Ressourcen bereitzustellen
(2008).
3.2 Der Zertifizierungsprozess der Fachklinik Liblar
Die
Fachklinik
Liblar,
eine
Einrichtung
zur
stationären
Langzeitentwöhnung
für
polytoxikomane Männer und Frauen, in Erftstadt Liblar bei Köln gelegen, entschied sich für
eine Zertifizierung nach DIN/EN/ISO 9001:2008. Damit galt es, die Prozesse, die von dem
multidisziplinären
Team
der
Einrichtung
durchgeführt
werden,
entsprechend
den
Forderungen der Norm darzustellen. Die Arbeiten hieran fanden in den Qualitätszirkeln der
Bereiche
Medizin,
Arbeitstherapie
(unterteilt
nach
Handwerk
und
Hauswirtschaft),
Sporttherapie, Kreativtherapie, Verwaltung, Nachtbereitschaften und Psychotherapie statt.
Koordiniert wurden die Arbeiten durch eine Qualitätsmanagementbeauftragte, deren
zusätzliches Aufgabenfeld in der Psychotherapie liegt. Sie wurde und wird durch den
Qualitätsmanagementbeauftragten der Geschäftsführung und durch die Klinikleitung
unterstützt. Die Klinik kann bis zu 40 Patienten betreuen und verfügt über eine
angeschlossene Adaptionseinrichtung mit vier Behandlungsplätzen, die nicht in die
Zertifizierung einbezogen wurde. Die Kollegen des Bereiches Psychotherapie arbeiten
verhaltenstherapeutisch, systemisch, und mit den Methoden des Psychodramas. In den
meist wöchentlich stattfindenden Qualitätszirkeln wurde und wird über Therapieinhalte, deren
Umsetzung und Dokumentation diskutiert. Insgesamt dauerte der Prozess der Zertifizierung
nahezu zwei Jahre. Keiner der Mitarbeiter hatte vorher Erfahrungen im Bereich
Qualitätsmanagement sammeln können, so dass sich alle auf vollkommen fremdem Terrain
bewegten. Dem entsprechend dauerte es, bis Flussdiagramme mit einer gewissen Sicherheit
gehandhabt wurden oder bis wirklich alle alten Formulare und Vordrucke aus den Büros und
den Tiefen des Intranet verschwunden waren. Die Tatsache, dass beispielsweise
Dokumente nicht „mal eben“ verändert werden können, sondern dazu ein festgelegter Weg
eingehalten werden muss, der mit der Freigabe durch die QM-Beauftragte endet, findet noch
heute ihre Gegner. Nach einem internen Audit in jedem Arbeitsbereich fand ein externes
Audit statt, dem die Zertifizierung der Einrichtung folgte. Insgesamt hat die Einführung des
Qualitätsmanagementsystems in allen Bereichen zu einer Verbesserung der Strukturen, der
Kommunikation und der Klarheit der Zuständigkeiten geführt. Im Bereich der Psychotherapie
ist durch die Behandlungspfade eindeutig festgelegt, welche Aufgaben die Rehabilitanden in
diesem Bereich erledigen müssen, um tatsächlich zur Auseinandersetzung mit den Themen
13
zu gelangen, die mit ihrer Abhängigkeitsentwicklung im Zusammenhang stehen. Ob sie mit
der Behandlung zufrieden sind oder Veränderungsvorschläge haben, wird in regelmäßigen
Abständen von meist vier Wochen während der Behandlung und am Ende der Behandlung
durch Fragebögen in Erfahrung gebracht. Die Auswertung der Fragebögen wird im Team
vorgestellt und die sich möglicherweise daraus ergebenden Veränderungsnotwendigkeiten
werden in Qualitätszirkeln ausgearbeitet.
3.3 Die Position der Behandlungspfade im Qualitätsmanagementsystem
Die in dieser Arbeit vorgestellten Behandlungspfade gehören in das Kapitel 7
„Produktrealisierung“ der zugrunde liegenden Norm. Inhalt dieses Kapitels ist die Forderung
des Kunden an das Produkt, die Auftragsbearbeitung und auch die Kundenbeschwerde. Im
Gesundheitswesen beinhaltet die Auftragsbearbeitung vor allem die direkten Leistungen am
Patienten (Ertl-Wagner et al 2009). Es muss nachgewiesen werden, dass die Organisation
definiert, was die Leistungen sind, wie diese geplant werden, welches Leistungsniveau
angestrebt wird, wie diese Anforderungen bewertet werden und wie mit dem Kunden
kommuniziert wird. Die Behandlungspfade müssen diese Anforderungen erfüllen. Vedder
(2004) schreibt hierzu: „ Behandlungspfade legen die optimale Abfolge und Terminierung der
wichtigsten Interventionen fest, die von allen Disziplinen bei der Behandlung eines Patienten
mit einer bestimmten Diagnose durchgeführt werden“ (S. 1). Sie erhöhen die Effizienz durch
eine exakte Festlegung der Reihenfolge und des Umfangs aller Behandlungsschritte. Die
Prozesse werden steuerbar und transparent, wodurch die Qualität der Behandlung gesichert
wird und die Ressourcen gezielt eingesetzt werden können.
In den in dieser Arbeit vorgestellten Behandlungspfaden werden die wesentlichen
psychotherapeutischen Aufgaben, die der Rehabilitand während einer Suchtbehandlung in
Begleitung des Therapeutenteams erledigen soll, in Form von Flussdiagrammen dargestellt
und ihre Inhalte werden vor einem wissenschaftlichen Hintergrund beschrieben.
Ob die
Behandlungspfade tatsächlich den weiter oben genannten Anforderungen gerecht werden,
wird
am
Ende
der
Arbeit
Rentenversicherungsträgers
durch
und
den
eine
Gegenüberstellung
Leitlinien
der
mit
Deutsche
den
KTL
des
Gesellschaft
für
Suchtforschung (DGS) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (DGPPN) überprüft. Die Behandlungspfade des therapeutischen Bereiches
sind nur ein Teil des komplexen Produktes, das ein „Kunde“ in einer Rehabilitationsklinik
erhält. Der zweite wesentliche Bereich der Entwöhnungsbehandlung, die Arbeitstherapie mit
ihren Prozessen und Vernetzungen wird in der vorliegenden Arbeit nicht erfasst, ebenfalls
werden die Bereiche Medizin, Kreative Gestalttherapie und Bewegungstherapie nicht
berücksichtigt.
14
4. Die Suchterkrankung
Fakten, Ätiologie und Behandlungsmöglichkeiten
Bereits in seiner frühen Geschichte konsumierte der Mensch psychotrope Substanzen. Ihre
Einnahme und Wirkung erfüllte wichtige individuelle und soziale Funktionen (Westermeyer
1991).
Neben
der
individuellen
Stimulation
und
Entspannung
wurden
sie
zur
Bewusstseinserweiterung genutzt. Auf sozialer Ebene waren sie Teil religiöser Riten und
Zeremonien und dienten als Heilpflanzen bei bestimmten Krankheiten. Heute ist der Konsum
von Alkohol und Nikotin durch eine hohe Verfügbarkeit fester Bestandteil unseres Alltags
geworden. Ebenso sind illegale Drogen heute überall erhältlich. Obwohl Handel und Besitz
illegal sind und juristisch belangt werden, ist es dennoch jedem der es möchte möglich,
illegale Substanzen zu erwerben und zu konsumieren. Dabei nehmen die Konsumenten
häufig die damit verbundenen psychischen, sozialen und medizinischen Risiken in Kauf. Es
gibt Menschen die einen selbstzerstörerischen Umgang mit den Rauschmitteln zeigen, die
Droge bis zur Bewusstseinsstörung konsumieren oder bereits am Morgen oder während der
Arbeitszeit konsumieren (Tretter & Müller 2001). Wird dieses abweichende Verhalten trotz
negativer Konsequenzen fortgesetzt, ohne ihm entgegen zu steuern, sprechen die Autoren
von einer Sucht. Das Verhalten zeigt eine „destruktive Eigendynamik“ (ebenda S. 22).
Generell kann jedes Verhalten des Menschen, so die Autoren, in die Sucht entgleisen.
Voraussetzung hierfür ist, dass jedes menschliche Verhalten zu einer Art Rauschzustand
führen kann. Dieser Rausch führt zur Wiederholung des Verhaltens, es entsteht ein Drang
zur Wiederholung, der die Essenz der Sucht ist. Ziel dieser Handlungswiederholungen ist
das Erzeugen von Lustzuständen oder die Minderung von Unlustzuständen, doch davon
mehr bei den Erklärungsmodellen. In der Fachwelt wird heute häufig nicht mehr von Sucht,
sondern von Abhängigkeit gesprochen. Der Begriff „Sucht“, der von dem althochdeutschen
Wort „Siech“ stammt und kranksein bedeutet wird durch einen milderen Begriff der
Abhängigkeit ersetzt. Klein (2001) warnt davor, die beiden Begriffe „Sucht“ und
„Abhängigkeit“ synonym zu verwenden, da Abhängigkeit nicht generell negativ sein muss,
teilweise sogar notwendig ist, während hinter der Sucht ein negativer Prozess der
Selbstzerstörung steht.
Zunächst die Diagnosekriterien der Suchtmittelabhängigkeit nach den beiden bekanntesten
Klassifikationssystemen ICD 10 der WHO (International Code of Disorders) und DSM IV
(Diagnostik and Statistical Manual of Mental Disorders).
4.1 Diagnostik der Suchterkrankung
Unproblematisch und damit ohne diagnostischen Befund ist ein „gelegentlicher Konsum“ von
Rauschmitteln. Nimmt man ein quantitatives und qualitatives Spektrum des stoffbezogenen
15
Konsumverhaltens an, ist die nächst höhere Ebene der „Gewohnheitskonsum“, bei dem in
regelmäßigen Abständen Rauschmittel eingenommen werden. Aus diesem kann sich ein
Missbrauch entwickeln, der akut oder chronisch sein kann. Ein deutliches Risiko mit
negativen Folgen geht mit „riskanten Konsum“ einher, der nächsten Stufe des
Konsumverhaltens. Der dann folgende „Schädliche Konsum“ zeigt bereits gesicherte
negative oder bereits persistierende Folgen. Ihm folgt der abhängige Konsum, für den
folgende Diagnosekriterien definiert sind (Tretter & Müller 2001).
Die Diagnosekriterien der Suchtmittelabhängigkeit nach dem Klassifikationssystem ICD 10
(2010, S.99):
1) Toleranzentwicklung, d.h. Dosissteigerung, um den gewünschten Substanzeffekt zu
erreichen.
2) Ein körperliches Entzugssyndrom, nachgewiesen durch die substanzspezifischen
Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahe
verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.
3) Der starke Wunsch bzw. Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.
4) Vernachlässigung sozialer und beruflicher Aktivitäten.
5) Schädlicher Konsum, d.h. einen anhaltenden Substanzgebrauch trotz Nachweis
eindeutiger Schäden.
Für eine sichere Diagnose sollten innerhalb der letzten 12 Monate mindestens drei oder
mehr Kriterien erfüllt sein.
Ähnliche Kriterien gibt das zweite bekannte Klassifikationssystem für Diagnosen, das DSM
IV (1998, S.99). Auch hier gilt die Diagnose als bestätigt, wenn drei oder mehr Kriterien
innerhalb der letzten 12 Monate erfüllt waren.
1) Toleranzentwicklung, definiert durch eines der folgenden Kriterien:
a) Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung, um einen Intoxikationszustand
oder erwünschten Effekt herbeizuführen.
b) Deutlich verminderte Wirkung bei fortgesetzter Einnahme derselben Dosis.
2) Entzugssymptome, die sich durch eines der folgenden Kriterien äußern:
a) Charakteristisches Entzugssyndrom der jeweiligen Substanz (...)
b) Dieselbe (..) Substanz wird eingenommen, um Entzugssymptome zu lindern
oder zu vermeiden.
3) Die Substanz wird häufig in größeren Mengen oder länger als beabsichtigt
eingenommen.
16
4) Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzkonsum zu verringern
oder zu kontrollieren.
5) Viel Zeit für Aktivitäten, um die Substanz zu beschaffen (...), sie zu sich zu nehmen
(…) oder sich von ihren Wirkungen zu erholen.
6) Wichtige
soziale,
berufliche
oder
Freizeitaktivitäten
werden
aufgrund
des
Substanzkonsums aufgegeben oder eingeschränkt.
7) Fortgesetzter
Substanzkonsum
trotz
Kenntnis
eines
anhaltenden
oder
wiederkehrenden körperlichen oder psychischen Problems, das wahrscheinlich durch
die Substanz verursacht oder verstärkt wurde (...). (DSM - IV, 1994, S. 99).
Da unsere Einrichtung mit dem ICD 10 arbeitet, beziehe ich mich ab nun auf dieses
Klassifikationssystem. Für die Suchtmittelabhängigkeit nennt das ICD 10 folgende möglichen
Störungen (ICD 10 2010, S.100):
F10 Störungen durch Alkohol
F11 Störungen durch Opioide
F12 Störungen durch Cannabinoide
F13 Störungen durch Sedative oder Hypnotika
F14 Störungen durch Kokain
F15 Störungen durch andere Stimulanzien, einschließlich Koffein
F16 Störungen durch Halluzinogene
F17 Störungen durch Tabak
F18 Störungen durch flüchtige Lösungsmittel / Inhalanzien
F19 Störungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper
Substanzen
Wie viele Menschen tatsächlich abhängig von Drogen sind, zeigen die folgenden Angaben
zur Epidemiologie. Die vorgestellten Zahlen beziehen sich auf Deutschland.
4.2 Epidemiologie der Suchterkrankung
Margraf (2000) weist auf die Schwierigkeit hin, zuverlässige epidemiologische Daten zur
Suchterkrankung zu erhalten, da von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. So werden
neben den Daten aus Bevölkerungsumfragen auch Unfallstatistiken bezogen auf Alkohol und
Drogen, Kriminalstatistiken aus dem Bereich Drogen, Verkaufsstatistiken für Alkohol und
Zigaretten und Zahlen aus klinisch therapeutischen Einrichtungen genutzt.
Die folgenden Daten entstammen dem Jahrbuch Sucht aus dem Jahr 2010.
17
Bei den am leichtesten zu erhaltenden Suchtmitteln Nikotin und Alkohol besteht der höchste
Konsum. So lag der durchschnittliche Pro – Kopf – Konsum für Alkohol 2008 in Deutschland
bei 9,9 Litern, höher als in jedem anderen Land, das an der Erhebung teilnahm. Zigaretten
wurden 2008 landesweit 87.497 Millionen Stück konsumiert.
18,3 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland betrieben 2008 Alkoholmissbrauch.
2008 bestand eine Alkoholabhängigkeit bei 3,4 % der Männer und 1,4 % der Frauen.
Eine Abhängigkeit von illegalen Drogen wurde 2006 bei 1,8 % der Männer und 0,6 % der
Frauen festgestellt.
Margraf (2000) bezieht sich auf Zahlen aus dem Jahr 1997. Damals habe das
durchschnittliche Alter des Erstkonsums für Tabak bei 16 Jahren gelegen, für Alkohol
zwischen 16 und 18 Jahren, für Haschisch bei 18 Jahren, bei Opiaten liegt es bei 20 und bei
Kokain bei 21 Jahren.
Durch eine Abhängigkeit von illegalen Drogen steigt die Mortalitätsrate um das 15 – 20fache.
So wurden im Jahr 2008 1449 Rauschgifttote registriert, was einen Anstieg von 4 %
gegenüber dem Vorjahr bedeutet (Stempel 2008). Die Suchtstörung ist bei Männern die am
häufigsten gestellte psychische Diagnose. Die Folgestörungen, die sich daraus ergeben sind
vielfältig: sie reichen von Leber- und Bauspeicheldrüsenerkrankungen, Herzerkrankungen,
gastrointestinalen Störungen, Karzinomen über Infektionen, AIDS bis zu Erkrankungen durch
Fehl- und Mangelernährung. Soziale Folgestörungen sind häufig Partnerschaftsprobleme,
Verlust des Arbeitsplatzes, soziale Isolierung bis hin zur Verwahrlosung bei schwerem
Drogenmissbrauch und Folgeerkrankungen durch Beschaffungsprostitution (Margraf, 2000).
So ist es Ziel der stationären Entwöhnungsbehandlungen, die Süchtigen mit Hilfe der
Behandlung wieder sozial und beruflich zu integrieren und die Folgeerkrankungen auf einem
Minimum zu halten. Dies spiegelt sich in den Behandlungspfaden der Einrichtungen wider.
4.3 Ätiologie der Suchterkrankung
Es gibt zahlreiche verschiedene Erklärungsmodelle für die Entstehung der Suchterkrankung.
Sie beziehen sich auf alle Ebenen menschlichen Lebens. Im Laufe der Zeit haben sich die
Erklärungsansätze deutlich erweitert, so dass in den neueren Theorien nicht mehr
ausschließlich die betroffene Person im Fokus steht, sondern das Umfeld und die Situation
des Betroffenen mit einbezogen werden. Ich werde mich hier auf die Erklärungsmodelle aus
den Bereichen Lerntheorie und Systemtheorie beschränken, die den stärksten Einfluss auf
die Arbeit in unserer Einrichtung haben. Den psychoanalytischen Ansatz, der besonders zu
Beginn der therapeutischen Suchtarbeit im Vordergrund stand, werde ich nicht weiter
erläutern, da er in der aktuellen Erklärungs- und Behandlungspraxis in den Hintergrund
18
gerückt ist. Allem voran möchte ich die von einigen Autoren beschriebenen Eigenschaften
der Suchtpersönlichkeit vorstellen.
4.3.1 Die Suchtpersönlichkeit
Böhmer et al (1993) bezieht sich auf eine Langzeitstudie von Shedler und Block (1990), bei
der 101 Person über 15 Jahre drei mal auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale hin
untersucht wurden (vom 3. bis 18. Lebensjahr). Dabei haben sich die regelmäßig
drogenkonsumierenden
Personen
als
eher
emotional
labil,
mit
einem
niedrigen
Selbstvertrauen, Beziehungsstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten gezeigt.
Dörner (2007) sieht in der gesamtgesellschaftlichen Haltung, ständig „Kapitäne unserer
Seele“ sein zu wollen (ebenda S. 237) einen wesentlichen Grund für das Abhängigwerden
von Rauschmitteln. Dabei zählen heute für den Menschen nur positive Erfahrungen, negative
Erfahrungen und Bedingungen sollen ausgemerzt werden. Schwierigkeiten in unseren
Lebenswegen akzeptieren wir nicht mehr, so der Autor, sondern erwarten, dass sie sich von
selbst auflösen oder aber jemand anderes sie für uns löst. Dieser Wunsch nach einem ewig
zufriedenen Leben ist unser aller Suchtanteil. Viele nutzen Suchtmittel, um mit ihrer Hilfe die
Brücke zwischen Wunsch und Realität zu schlagen. Sucht wird meist heimlich gelebt, was
dadurch erleichtert wird, dass das Umfeld wegschaut, um dem anderen und sich selbst
Peinlichkeiten zu ersparen.
Beck (Beck et al 1997) benennt folgende charakteristische Eigenschaften, die Menschen
anfällig machen für eine Abhängigkeitsentwicklung. Er nennt als erstes eine hohe Sensibilität
für unangenehme Gefühle. Beck geht von einer geringen Motivation aus, Kontrolle über sich
auszuüben. Weiter nennt er eine starke Impulsivität und Suche nach Erregung, verbunden
mit einer geringen Toleranz gegenüber Reizmangel. Unzureichende soziale Strategien zum
Lustgewinn und ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, persönlich wichtige Ziele zu erreichen,
kennzeichnen häufig süchtige Menschen ebenso wie eine geringe Frustrationstoleranz.
Im Erklärungsmodell der Suchttrias sind diese Eigenschaften der Person nur ein Faktor, der
eine Sucht auslösen kann, dieser Faktor alleine führt nicht zwangsläufig in eine
Suchtentwicklung.
4.3.2 Das Erklärungsmodell der Suchttrias
Das Trias Konzept der Sucht wurde zu Beginn der siebziger Jahre des letzen Jahrhunderts
von Kielholz und Ladewig formuliert. Der Ansatz geht davon aus, dass das Zusammenwirken
der drei Faktoren Person, Umwelt und Droge darüber bestimmt, ob ein Mensch
drogenabhängig wird oder nicht. Jeder der Faktoren besteht aus verschiedenen Variablen.
So gehören die genetische Disposition und bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, wie
19
oben
bereits
genannt,
Konsumverhalten,
soziale
zu
dem
Faktor
Person.
Schichtzugehörigkeit,
Soziokulturelle
Einstellung
Einflüsse
gegenüber
wie
Drogen,
Lebensbedingungen, die Familienstruktur und Arbeitssituation bilden den Faktor Umwelt. Der
Faktor Droge kann durch seine spezifische Wirkung Teil an der Suchtentwicklung haben.
Gefällt der Person die Wirkung der Droge nicht, wird der Konsum eingestellt, so dass sich
keine Abhängigkeit entwickeln kann (Böhmer et al, 1993).
Das Konzept der Suchttrias
gehört heute zu den am meisten genutzten, da für jede einzelne Person ein individuelles
Erklärungsmuster zusammengestellt werden kann, es aber trotzdem in seiner Ursprungsform
sehr einfach ist und dem Geist des Systemischen entspricht, der alles, was geschieht, im
Zusammenhang zwischen System und Umfeld betrachtet. Neben den Risikosituationen, die
in die Sucht hineinführen, hat dieses Konzept den Vorteil, dass man hiermit sehr gut
Schutzfaktoren herausarbeiten kann, die Resilienzfaktoren, die Möglichkeiten eines
Ausstiegs aus der Sucht aufzeigen können.
4.3.3 Der lernpsychologische Erklärungsansatz
Hier ist zunächst das klassische Konditionieren nach Pawlow zu nennen, da es die erste
Stufe des Lernens beschreibt. Dabei wird ein zunächst unkonditionierter Stimulus zu einem
konditionierten Stimulus, der aus einer unkonditionierten Reaktion eine konditionierte
Reaktion macht. Beides ist möglich durch die zeitnahe Verknüpfung von Stimulus und
Reaktion, so dass der, um Pawlows bekanntes Beispiel heranzuziehen, ursprünglich
neutrale Glockenton in Verbindung mit der vorausgehenden Futtergabe zu einer
Verknüpfung führt, die bei dem Hund alleine durch das Erklingen des Tones den
Speichelfluss hervorriefen. Übertragen auf einen Heroinkonsumenten führt beispielsweise
das Sehen einer Spritze zur Vorfreude auf die Drogenwirkung und das Suchen nach der
Droge. Skinner fügte später den Faktor der Bewertung hinzu. Eine erlebte positive
Konsequenz beeinflusst hier das wiederholte Auftreten eines Verhaltens oder dessen
Unterlassung bei negativer Konsequenz. Hiermit ist nun auch die Entwicklung einer Sucht zu
erklären, da die als positiv erlebte Wirkung der Drogen zu einer erneuten Einnahme führt. An
dieser Stelle kommt der bisher außer acht gelassene Faktor der menschlichen Physiologie
hinzu. Das menschliche Hirn entwickelt eine Toleranz gegenüber der eingenommenen
Substanz, so dass der Drogenkonsument gezwungen ist, immer mehr des Suchtmittels
einzunehmen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Diesem Wunsch läuft er hinterher
und landet auf diesem Weg in der Sucht.
Das Verschwinden einer negativen Konsequenz, dem körperlichen Entzug, durch eine
Handlung, beim Drogenabhängigen die Drogeneinnahme, erklärt den Drogenkonsum bei
20
fortgeschrittener
Sucht,
da
die
negativen
Entzugssymptome
durch
die
erneute
Drogeneinnahme beseitigt werden.
Bandura erweitere die Lerntheorien noch um den Faktor des Lernens am Modell.
Angenommen wird, dass Menschen von anderen Menschen lernen, besonders dann, wenn
sie die Modellperson positiv bewerten. Um so zu sein wie die Person, imitiert der Mensch
das Verhalten dieser Person. Ein Grund, der häufig zum Drogenkonsum führt. Der erste
Konsum erfolgt meist in der Gruppe und es wird mitgemacht, weil die Person sich nicht
ausgrenzen
will.
Margraf
(2000)
spricht
bei
der
Entwicklung
einer
schweren
Suchtmittelabhängigkeit von einer „Verschiebung im Verhaltensrepertoire“ (S. 276). Nämlich
dann, wenn die normalen täglichen Lebensabläufe aufgegeben werden und nur noch die
Verhaltensweisen zur Beschaffung der Drogen zwecks Beseitigung der Entzugssymptome
im Vordergrund stehen. Dies geschieht mit steigender Wahrscheinlichkeit, je schwieriger die
Lebenssituation
der
Person
zu
Beginn
des
Drogenkonsums
ist,
je
weniger
Lebenszufriedenheit und Erfolgserlebnisse die Person zu diesem Zeitpunkt erlebt, da durch
die zu Beginn des Konsums positive Wirkung die negativ erlebten Lebensbereiche in den
Hintergrund rückt, es kommt lerntheoretisch zu einer negativen Verstärkung, die die
Wahrscheinlichkeit eines weiteren Konsums erhöht.
4.4 Therapeutische Behandlungsansätze der Suchttherapie in der Fachklinik Liblar
Im Folgenden stelle ich die wesentlichen Merkmale der Behandlungsansätze vor, die in der
Fachklinik Liblar durch die Mitarbeiter der Gruppentherapie vertreten sind.
Hierzu gehören der Behandlungsansatz des Psychodrama, der verhaltenstherapeutische
und kognitiv verhaltenstherapeutische Ansatz sowie der systemische Behandlungsansatz.
4.4.1 Die Psychodramatherapie
Das Psychodrama ist ein Verfahren der handelnden Darstellung und des inneren Erlebens
(v. Ameln, Gerstmann & Kramer 2004). Es wurde in der ersten Hälfte des vergangenen
Jahrhunderts von dem Arzt, Psychotherapeuten und Philosophen Jakob Levy Moreno
entwickelt. Für Moreno (1988) ist das Psychodrama eine „Tiefentherapie der Gruppe“ (S.76).
Durch die psychodramatische Arbeit in der Gruppe werden die Probleme der Gesellschaft
und des Individuums als „Mikro-Realität“ (S.77) in der Gruppe dargestellt.
Ziel der Arbeit des Psychodramas soll die Erweckung der Spontaneität, der Aktion und der
Kreativität sein (Leutz 1986). Hintergrund ist die Haltung, dass der Mensch ein Teil des
Kosmos ist und die zunehmende Entfremdung zwischen den Menschen zur Vernichtung der
21
Welt führen kann. Die Spontanität ist für Moreno eine angemessene Reaktion auf neue
Bedingungen oder eine neue Reaktion auf eine alte Bedingung. Aktion sieht Moreno als ein
Kennzeichen alles Lebendigen. Durch die Entwicklung des Psychodramas hat er die Aktion
in die therapeutische Arbeit gebracht. Durch die Darstellung einer Szene, die der Protagonist
unter Umständen verbal nicht beschreiben kann, wird er zum aktiv Handelnden. Durch das
Ausprobieren neuer Reaktionen auf der Bühne entwickelt er aktiv Verhaltensalternativen, die
ihm bislang nicht bewusste Perspektiven aufzeigen und damit den Blick auf bisher als
belastend Erlebtes verändern können. Wenn Spontaneität und Aktion sich auf bestehende
oder entstehende Gestaltungsprinzipien beziehen, tritt, so Moreno, Kreativität auf, die es der
Person ermöglicht, neue Erkenntnisse zu sammeln und neue Vorstellungen zu entwickeln.
Die wichtigsten Techniken diese Therapieverfahrens sind nach Lammers (2004) Folgende:
zunächst das Erwärmen der Teilnehmer für das bevorstehende Spiel, das sowohl auf der
körperlichen, als auch auf der psychischen und sozialen Ebene stattfindet. Während des
Rollenspiels kann Erleben konkretisiert werden, der Szenenaufbau kann von dem
Therapeuten zusammen mit dem Protagonisten vorbereitet werden und es können
Inszenierungstechniken eingesetzt werden, indem beispielsweise die Zähigkeit einer
Situation durch ein sehr langsames Spieltempo ausgedrückt wird. Gerät der Spielfluss ins
Stocken, besteht die Möglichkeit des Doppelns, ein Hilfs-Ich spricht mögliche Impulse oder
Empfindungen des Protagonisten aus, die er selbst in dem Augenblick nicht benennen kann.
Der Protagonist entscheidet für sich selbst, welche Vorschläge des Hilfs-Ichs er akzeptiert
oder ablehnt. Eine zentrale Technik ist der Rollentausch, bei dem zwei Personen ihre Rolle
tauschen und der Rollenwechsel, der sich auf eine Person bezieht, die in eine neue Rolle
schlüpft. Übernimmt ein Hilfs-Ich die Rolle des Protagonisten, kann dieser sein Verhalten aus
einer Distanz heraus beobachten, was in der Psychodramatherapie als Spiegeln bezeichnet
wird. Ein Rollenspiel wird durch Integration beendet, was bedeutet, dass die erlebten
Emotionen, die neuen Handlungsdimensionen und Lösungsansätze in das Leben des
Protagonisten integriert werden sollten. Aber der Protagonist muss auch wieder in die
Gruppe integriert werden. Eine Integration der Erfahrungen der Mitspieler in das
Gruppengeschehen ist ebenfalls notwendig. Dies alles dient nach Moreno der Katharsis, der
Reinigung und Läuterung des Menschen von ihn behindernden Fixierungen. Moreno selbst
drückt es so aus: „Jedes wahre zweite Mal ist die Befreiung vom ersten“ (Moreno 1983, in
Leutz, 1986, S. 141).
4.4.2 Der verhaltenstherapeutische Ansatz
Tretter (2001) beschreibt die Verhaltenstherapie als auf der experimentellen Psychologie und
der Lernpsychologie aufbauend. Sie konzentriert sich auf objektive Beobachtungen. Eine
22
Ausdifferenzierung dieses Ansatzes ist die kognitive Verhaltenstherapie, die besonders
durch Beck et al (1994; 1997) repräsentiert wird. Der Begriff Verhaltenstherapie wurde von
Lindlsey und Skinner eingeführt und von Eyseneck verbreitet. Die
Verhaltenstherapie
besteht aus einer Vielzahl von Methoden, die auf die jeweiligen Störungsbilder zugeschnitten
sind, und ihre Methoden bauen auf den Ergebnissen der experimentellen Psychologie auf.
Die Tatsache, dass ihre Interventionen experimentell kontrolliert werden, ist ein
ausschlaggebender Grund für die kassenärztliche Anerkennung dieses Verfahrens (Dorsch
1994).
Allgemein erklärt die Verhaltenstherapie den Aufbau oder Abbau von Verhaltensmustern
durch den damit verbundenen Erfolg oder Misserfolg. Positive Effekte führen zu einem
gehäuften Auftreten des zugrunde liegenden Verhaltens.
Margraf (2000) beschreibt die Verhaltenstherapie wie folgt:
„Die Verhaltenstherapie ist ein genuin klinisch-psychologischer Heilkundeansatz mit
einer Vielzahl spezifischer Techniken und Behandlungsmaßnahmen, die je nach Art
der vorliegenden Problematik einzeln oder miteinander kombiniert eingesetzt
werden. Eine für alle Zeiten abschließende Festlegung der Verhaltenstherapie ist
angesichts ihrer permanenten Weiterentwicklung nicht möglich (...) S. 631).
Dabei weist er im Weiteren ausdrücklich darauf hin, dass die Verhaltenstherapie nicht zu
Symptomverschiebungen führt; dass die Gedanken und Gefühle des Patienten mit in die
Behandlung einbezogen werden; dass die Verhaltenstherapie nicht davon ausgeht, alle
psychischen Störungen seien durch einfache Konditionierung erworben; dass der Gebrauch
von Medikamenten nicht generell abgelehnt wird (ebenda).
Therapeutische Basisfertigkeiten, die der Therapeut beherrschen sollte sind beispielsweise
die Gesprächsführung, die Beziehungsgestaltung und die Motivationsarbeit. Sie sind die
Voraussetzung für die Anwendung störungsübergreifender und störungsspezifischer
Verfahren.
4.4.3 Die kognitive Verhaltenstherapie
Die kognitive Therapie ist eine Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Verfahren, die von
dem Einfluss der Kognitionen auf das emotionale Erleben und das Verhalten ausgehen
(Margraf 2000). Es ist ein Ziel der Behandlung, Veränderungen von Gedanken, Erwartungen,
Wahrnehmungsstilen,
Vorstellungen,
Einstellungen,
Überzeugungen
und
Schluss-
folgerungen, die ein Problemverhalten begünstigen, gemeinsam mit dem Patienten zu
erarbeiten.
Die kognitive Therapie nach Beck (Beck et al 1997), die er im Hinblick auf die Behandlung
süchtiger Patienten entwickelt hat, beschäftigt sich mit der Veränderung der einem Verhalten
23
zu Grunde liegenden Denkmuster. So geht er davon aus, dass jeder Mensch
Grundüberzeugungen hat, beispielsweise, immer allein zu sein. Diese Grundüberzeugungen
beeinflussen sein emotionales Empfinden, so ist z.B. ein Mensch mit der Grundüberzeugung
immer alleine zu sein, traurig. Beides führt im Falle der abhängigen Person zu
suchtspezifischen Grundannahmen, beispielsweise geht die Person davon aus, dass sie
durch den Drogenkonsum die Einsamkeit und Trauer nicht mehr empfinde. Diese
Bedingungen führen nach Beck zu typischem Suchtverhalten, der Betroffene sucht Orte auf,
an denen er Drogen kaufen kann. Während der Therapie werden diese Muster gemeinsam
mit dem Süchtigen sichtbar gemacht, und es wird versucht, alternative Denkmuster dazu zu
entwickeln, die ein neues Verhalten ermöglichen (Beck et al 1997).
Beide Behandlungsansätze werden in der Suchtbehandlung, sowohl in der Einzeltherapie als
auch in der Gruppentherapie, angewendet.
4.4.4 Der systemtheoretische Behandlungsansatz
Die systemische Therapie sieht den Menschen immer als in sozialen Bezügen lebend.
Individuelle Entwicklung ist nur im Rahmen sozialer Interaktion und mit wichtigen
Bezugspersonen denkbar (Schiepek 1999). Sie findet Anwendung in der Paar- und
Familientherapie, der Gruppentherapie aber auch in der Einzeltherapie. Der Autor nennt fünf
allgemeine Grundpositionen im systemischen Behandlungsansatz:
-
Die Berücksichtigung der Autonomie des Systems:
Zwischen den beteiligten Komponenten besteht eine Vernetzung und
Rückbezüglichkeit, die sie nach außen hin geschlossen und unabhängig erscheinen
lasst. Das System operiert mit eigenen Strukturen und Grenzen.
-
Die Berücksichtigung der Eigendynamik des Systems:
Die systemeigenen Regeln und Rückbezüglichkeiten bilden eine ganz eigene
Dynamik, die das System kennzeichnet. Diese Eigendynamik ist meist sehr komplex
und damit in ihrer Wirkung, auch auf Veränderungen, schwer vorher zu sehen. Eine
Veränderung oder Irritation der Dynamik kann zur Instabilität des Systems führen,
innerhalb der Therapie kommt es bei der behandelten Person oder Familie zu Krisen.
-
Die Berücksichtigung der System-Umwelt:
Obwohl Systeme ihre eigenen Strukturen haben, stehen sie doch mit ihrer Umwelt in
Kontakt und werden durch sie beeinflusst und beeinflussen ihrerseits die Umwelt.
-
Die Veränderung innerer Konstrukte und Wirklichkeitskonstruktionen:
24
Der Mensch schafft sich durch seine Wahrnehmung und die Verarbeitung des
Wahrgenommenen eine eigene Wirklichkeit. Dabei geht die systemische Therapie
von einer engen Verknüpfung emotionaler und kognitiver Prozesse aus.
-
Wechselseitiger Bezug zwischen individuellen Problemen und interpersoneller
Kommunikation:
Hier kommt es häufig zu der Frage des Sinns, den ein bestehendes Problem für ein
System hat. Die zwischenmenschliche Kommunikation wird als ein Warnsignal für
zwischenmenschliche Konflikte gesehen.
Bei der Betrachtung dieser Faktoren liegt der Fokus der systemischen Therapie auf den
Ressourcen des Systems. Welche Veränderungen, Irritationen oder Impulse müssen
vorgenommen oder gegeben werden, damit das System Zugang zu seinen Ressourcen
erhält, um dadurch einen Veränderungsprozess der eigenen Strukturen zu beginnen?
4.4.5 Die Gruppentherapie
In der stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung süchtiger Patienten nimmt die
Gruppentherapie eine wichtige Rolle ein, weswegen ich sie hier extra aufführe. Sie gehört
nicht
im
engeren
Sinn
zu
den
Behandlungsmethoden,
sondern
ist
„eine
psychotherapeutische, korrigierende Einflussnahme auf Verhalten und Erleben“ (Ermann
1996, S. 303). So ist denn jede Therapie im stationären Bereich Gruppentherapie, da bereits
die
therapeutische
Gemeinschaft
eine
Gruppe
ist,
unabhängig
davon
ob
Gruppenpsychotherapie oder ausschließliche Einzelpsychotherapie angeboten wird (Jorda
2004). Im Unterschied zu Familien- oder Freizeitgruppen sind therapeutische Gruppen im
stationären Bereich zeitlich begrenzt und die Psychotherapiegruppe hat eine festgelegte
Frequenz. Für Moreno (1988) ist „Gruppenpsychotherapie (...) eine Methode, welche die
zwischenmenschlichen Beziehungen und die psychischen Probleme mehrerer Individuen
einer Gruppe bewusst im Rahmen empirischer Wissenschaft behandelt“ (S. 52). Die Gruppe
ist für einen Menschen ein natürliches Umfeld, sie kommt der natürlichen Umgebung des
Menschen näher, als die Einzeltherapie (Moreno1988). Ein Ziel der Gruppentherapie ist die
Förderung der Integration des Einzelnen gegenüber den unkontrollierten Kräften der
Umgebung. Ein weiteres Ziel ist die Integration der Gruppe. Dabei funktioniert die Gruppe als
Miniaturfamilie und Miniaturgesellschaft. So können Beziehungsmuster der Familie in der
Gruppe mit Hilfe
der Gruppenmitglieder und dem Therapeuten aufgearbeitet werden.
Wirkmechanismen der Gruppentherapie sind, dass der Patient die Universalität seiner
Störung erkennen lernt; er lernt es, Altruismus zu entwickeln und anderen zu helfen; es kann
zu einer korrigierenden Wiederholung der Familiensituation in der Gruppe kommen; soziale
25
Kompetenzen können entwickelt werden indem soziale Ängste abgebaut werden und der
Patient erlebt, wie er von anderen ernst genommen wird. Weiter findet ein Lernen am Modell
statt; der Patient lernt, mit Konflikten umzugehen und Solidarität zu leben, der Patient erlebt
sich als ein Teil einer Gruppe (nach Yalom 1974 aus Sonntag und Tretter 2001).
Margraf (2000) beschreibt Gruppentherapie als „Methode der Behandlung psychischer
Störungen mit einer Gruppe von Patienten“ (S. 578). Er hebt die Bedeutung der
Gruppentherapie zum Training sozialer Kompetenzen hervor. Der Therapeut unterstützt die
Gruppenprozesse durch helfende Instruktionen, durch geeignete Vorbilder und Modelle,
durch Rollenspiele zur Einübung alternativer Verhaltensweisen.
Damit eine konstruktive Gruppenatmosphäre entsteht, sollten folgende Faktoren gegeben
sein: es sollte eine gute Gruppenkohäsion bestehen, was bedeutet, dass die Gruppe für die
Teilnehmer eine gewisse Attraktivität hat, die sich in einem „Wir-Gefühl“ äußert. Vertrauen
und Offenheit sollten in der Gruppe vorhanden sein. Erst dadurch entsteht eine Atmosphäre,
in der auch schwierige Themen von den Gruppenmitgliedern angesprochen werden. Die
Arbeitshaltung sollte kooperativ sein. Erst dann sind die Teilnehmer bereit, sich auf Neues
einzulassen. Kooperation entsteht, wenn die Bedingungen der Kohäsion, der Offenheit und
des Vertrauens erfüllt sind (Keusen 2007).
Die Arbeit in der Gruppe findet je nach therapeutischer Ausrichtung des die Gruppe leitenden
Therapeuten statt. In der Fachklinik Liblar finden in einer Woche vier Einheiten
Gruppentherapie mit einer Dauer von 90 Minuten statt. Zusätzlich findet einmal wöchentlich
ein 90 Minuten dauerndes Plenum, eine Großgruppenversammlung, statt in der inhaltliche
Themen zur Sucht und zum Zusammenleben besprochen werden. Ein Wochenplan der
Einrichtung befindet sich im Anhang D auf S. 204.
4.5. Behandlungspfade der Patienten mit Suchtmittelabhängigkeit ohne Komorbidität
Es folgt nun die Vorstellung der Behandlungspfade für ausschließlich suchtmittelabhängige
Patienten. Ich beginne mit dem Flussdiagramm des Behandlungspfades für die
Orientierungsphase. Daran anschließend werden die jeweiligen Aufgaben der Behandlungspfade inhaltlich erläutert und es werden Interventionen oder Trainingsprogramme
vorgeschlagen, die im Zusammenhang mit der Aufgabe eingesetzt werden könnten. Die
hinter
den
Interventionen
stehende
Seitenzahl
gibt
an,
wo
die
Intervention/
Trainingsprogramme im Anhang beschrieben werden. Das Gleiche wiederholt sich für die
Behandlungspfade
der
Kern-
und
der
Abschlussphase
der
Behandlung.
Die
Buchstabenfolgen QMVA IV.x.x.x., die bei den Behandlungspfaden immer wieder zu finden
sind, beziehen sich auf das entsprechende Kapitel im Qualitätsmanagementhandbuch der
Fachklinik Liblar.
26
4.5.1
Behandlungspfad der Orientierungsphase
Hier nun die Vorstellung des ersten Behandlungspfades.
QMVA IV.5.1.1 Behandlungspfad Orientierungsphase 1. – 8. Behandlungswoche
Aufnahme d.
Rehabilitanden u.
Bezugsgruppenzuteilung
Verantwortlichkeiten
1 Arzt
2 Bezugstherapeut
4 Psychologe
Therapeutische
Aufnahme
2
1
Medizin.
Diagnostik
Bemerkungen
Psychologische
Diagnostik
Aufnahmee
3
Aufnahmeanamnesebogen/
Aufnahmemappe
4 –17
Bezugstherapeut
Teilweise auch
Einzeltherapeut
Beobachtungen des
Sozialverhaltens in
der Gruppe
Stabilisierung der
Therapiemotivation
Psychoedukation
1 vergl. Kap.
IV.4.1
Medizinische
Aufnahme;
Kap. IV.4.2
Therapeutische
Aufnahme
MGU:
Medizinische
Fragebögen
4
Tests
5
Erste
Verhaltensanalysen
8
Anbindung an die
Gruppe und an die
Klinik
10
6
erste
Zielvereinbarungen
mit Rehabilitanden
2 Klärung der
Nebenkosten,
Krankenkasse
Juristisches
3 Abklärungen
der Medikation
Differenzierung
des
Behandlungspla
nes nach
individuellem
diagnostischem
Schwerpunkt
7
9
4 BSI
6
Fallbesprechung
im Team
11
Gesundheitstraining
5- 16, ohne 6-7,
finden in
Bezugsgruppen
statt
10 QMFB IV.5.7
Indikationsgrup
pen
Unterschriftenli
ste (Anhang S.
205)
Vorlagen Suchtinfo
Erhebung der
Familienanamnese
12
13
Schilderung der
Lebensgeschichte
14
Darstellung
des sozialen Netzes
Vorlage
Soziales Netz
Anstehende
Aufgaben
erfüllt
15
Nein
Nacharbeiten
fehlender
Aufgaben
16
Ja
Wechsel in
Kernphase
17
27
Der zeitlichen Rahmen, der durch die Kostenzusage der Rentenversicherungsträger meist
auf eine Frist von sechsundzwanzig Wochen festgelegt ist, wird in unserer Einrichtung in
drei Behandlungsphasen unterteilt. Die Orientierungsphase umschließt die 1. bis 8.
Behandlungswoche, die Kernphase dauert von der 9. bis zur 17. Woche, bis zur 26. Woche
befindet sich der Patient dann in der Abschlussphase.
unsere
Einrichtung
eine
Kostenzusage
von
Hat ein Patient bei Aufnahme in
13 Wochen,
was
häufig
bei
einer
Wiederholungsbehandlung der Fall ist, kommt es meist mit Zustimmung des Patienten zu
einer Verlängerung der Kostenzusage auf 26 Wochen durch Antragstellung an den
Kostenträger. Besteht keine Notwendigkeit zur Verlängerung, oder ist der Patient dazu nicht
bereit, durchläuft er die Behandlungspfade innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden Zeit.
Die Inhalte der Orientierungsphase
Bereits vor seiner Aufnahme wird der Patient einer Bezugsgruppe zugeteilt. In ihr bleibt er
während seines gesamten Aufenthaltes und durchläuft gemeinsam mit den anderen
Mitgliedern
seiner
Gruppe
das
angebotene
Gruppentherapieprogramm.
In
der
Orientierungsphase befindet sich der Rehabilitand von der 1. bis 8. Behandlungswoche. Der
Therapeut hat in dieser Phase die Aufgabe, den Behandlungsverlauf mit dem Patienten
gemeinsam zu planen. Daher werden innerhalb der ersten drei Tage nach Aufnahme des
Patienten Daten zur Diagnostik erhoben, die mit der Erfassung der Familienanamnese durch
den Bezugstherapeuten beginnt. In einem Aufnahmegespräch erhält der Patient den
Fragebogen BSI (Deutsche Version, Belzt Test 2000), den er innerhalb der nächsten zwei
bis drei Tage dem Bezugstherapeuten ausgefüllt abgeben muss. Weiter wird dem Patienten
im Aufnahmegespräch eine Aufnahmemappe ausgehändigt. Sie enthält die Hausordnung,
Einverständniserklärungen und Schweigepflichtsentbindungen, eine Verpflichtungserklärung,
die einem Therapievertrag entspricht, die Therapiestandards und die Unterschriftenliste für
die Indikationsgruppen. Der Bogen mit den Therapiestandards enthält die wesentlichen
Aufgaben des Rehabilitanden, die er während der Behandlung erledigen muss und
entspricht damit den Inhalten der Behandlungspfade. Bei Erledigung einer Aufgabe, wird
dies durch die Unterschrift des Bezugstherapeuten auf dem Bogen der Therapiestandards
bestätigt. Die auf den Flussdiagrammen immer wieder aufgeführte InkationsgruppenUnterschriftenliste ist ebenfalls in der Aufnahmemappe enthalten. Hier lässt sich der Patient
am Ende einer einmal wöchentlich stattfindenden Indikationsgruppe seine Teilnahme durch
die Unterschrift des die Gruppe leitenden Therapeuten unterschreiben. Der Inhalt der
Aufnahmemappe findet sich im Anhang C, ab Seite 187.
28
Aus
den
Informationen
des
Anamnesegespräches
und
dem
zu
beobachtenden
Sozialverhalten wird eine erste Psychodynamik abgeleitet. Am Ende der zweiten
Behandlungswoche wird die Psychodynamik gemeinsam mit den Testergebnissen des BSI
(Brief Symptom Inventory, Deutsche Version, Beltz Test, 2000) im Team vorgestellt. Hier
werden erste Maßnahmen besprochen, an denen der Patient teilnehmen sollte.
Entsprechend seiner medizinischen Leistungsfähigkeit werden der Arbeitstherapiebereich
und die mögliche sportliche Belastung des Patienten festgelegt.
Aufgabe des Patienten ist es, sich innerhalb der ersten beiden Behandlungswochen um die
Klärung der Nebenkosten zu kümmern. Bei Patienten die beispielsweise nach längerem JVA
- Aufenthalt nicht krankenversichert sind ist es die Aufgabe, sich in dieser Zeit um eine
Krankenversicherung zu bemühen. Hierbei wird er, falls er das wünscht, von seinem
Bezugstherapeuten unterstützt.
In den ersten zwei bis drei Wochen seines Aufenthaltes nimmt der Patient einmal
wöchentlich an der Indikationsgruppe „Orientierung“ teil, die auf die Fragen und Nöte der neu
aufgenommenen Patienten ausgerichtet ist. In dieser Gruppe findet auch eine erste
Psychoedukation statt, das Modell der Suchttrias wird besprochen und die Patienten setzen
sich
mit
verschiedenen
Fragen
ihrer
Suchtmittelabhängigkeit
auseinander.
Eine
Stabilisierung der Motivation erfolgt über die Bearbeitung des Vierfelderschemas (Anhang D,
S. 196) zu den Themen Abstinenz und Drogenkonsum. Neben der Orientierungsgruppe
findet eine „Patengruppe“ statt. Bei seiner Ankunft wird jedem Patienten ein Pate zur Seite
gestellt, dies ist ein Patient, der wenigstens 4 Wochen in unserer Einrichtung ist und den neu
aufgenommenen Patienten bei dem Einfinden in die Klinik- und Tagesstruktur unterstützt.
Der Sinn der Patengruppe ist dem der Orientierungsgruppe ähnlich, eine Anbindung an die
Gruppe und die Einrichtung und ein Einstieg in eine erfolgreiche Behandlung sollen
hierdurch unterstützt werden. Innerhalb der ersten zwei Wochen sollte der Patient seinen
Lebenslauf in der Bezugsgruppe vorstellen.
Während der Orientierungsphase sollte der
Patient des weiteren sein soziales Netz vorstellen. Wenn es zu keinen Auffälligkeiten
gekommen ist, kann der Patient nach zwei Wochen Aufenthalt Ausgänge mit zwei weiteren
Patienten innerhalb des Klinikortes wahrnehmen, die in Rahmen der Bezugsgruppe
reflektiert werden müssen.
Die im Flussdiagramm genannten Maßnahmen zur Stabilisierung der Therapiemotivation
und die Anbindung an die Gruppe erfolgen über die gesamte Zeit der Orientierungsphase
und häufig auch darüber hinaus, besonders in Krisen ist ein erneuter Motivationsaufbau
immer wieder notwendig. Gleiches gilt für das Beobachten des Sozialverhaltens und die
Auseinandersetzung des Patienten mit den Rückmeldungen zu seinem Sozialverhalten. Ein
29
Prozess, der sich über die gesamt Zeit des Klinikaufenthaltes erstreckt und nicht nur auf die
Orientierungsphase begrenzt ist, aber eben auch dort stattfindet.
Aufgaben während der Orientierungsphase
•
Aufbau einer Arbeitsbeziehung,
•
Diagnostik (Testdiagnostik, Anamnesen und Verhaltensanalyse),
•
Klärung der Nebenkosten,
•
Aufbau und Stabilisierung der Therapiemotivation,
•
Anbindung an die Einrichtung und die Gruppe / Beziehungsaufbau / Patengruppe /
Betrachten des Sozialverhaltens,
•
Darstellung des Lebenslaufes und des Sozialen Netzes,
•
Psychoedukation:
Modell der Suchttrias, Vierfelderschema,
im
Rahmen
der
Orientierungsgruppe,
•
Einzelgespräche.
Aufbau einer Arbeitsbeziehung
Bereits seit den 1970er Jahren ist bekannt, dass die Arbeitsbeziehung zwischen Therapeut
und Patient wesentlich für den Erfolg der Behandlung ist. Zimmer beschreibt hierzu folgende
Kompetenzen des behandelnden Therapeuten (Zimmer, 2005, S. 64):
-
große Flexibilität, sich auf verschiedene Patienten und ihre Beziehungsangebote
einzustellen,
-
Warmherzigkeit,
-
Strukturierungsfähigkeit,
-
Systematische Aufmerksamkeitslenkung,
-
Unterstützung,
-
hohes Maß an Offenheit.
Nach Carl Rogers sind die Empathie, die Wertschätzung und die Kongruenz des
Therapeuten wesentlich für die Gestaltung der therapeutischen Arbeitsbeziehung (Howe und
Minsel 1994). Forschungsergebnisse im Bereich der Wirksamkeitsforschung zeigten positive
Wirksamkeit, wenn die therapeutische Beziehung durch folgende weiteren Kompetenzen
gekennzeichnet
war:
Wertschätzung
Rückmeldungen geben,
indem
vom
des
Therapeuten
Patienten
für
geäußertes
den
Patienten
Empfinden
durch
und
den
Therapeuten validiert werden und Bemühungen zur Verhaltensänderung genauso anerkannt
werden, wie das Erreichen eines Zieles. Angstreduktion bei der Besprechung von
schambesetzten Themen und die Veränderung der Sprache, mit deren Hilfe der Patient
30
seine eigenen Probleme konkret benennen kann, so dass aus unklaren Klagen konkrete
Problemstellungen werden. Zimmer (2005) beschreibt für die Anfangsphase der Behandlung,
dass es zunächst um die Entscheidung für oder gegen Therapie gehe. Dabei muss der
Patient für sich entscheiden, ob er sich von diesem Therapeuten angenommen und
verstanden fühlt und ihn für kompetent genug hält, ihn bei der Bearbeitung seiner Probleme
unterstützen zu können. Weiter muss er für sich entscheiden, ob er sich auf die
Patientenrolle einlassen möchte und die dazu notwendige Lernbereitschaft hat. Auch der
Therapeut muss sich die Frage stellen, ob er mit dem Patienten zusammenarbeiten und ihm
die notwendige Unterstützung geben kann.
Bislang habe ich ein Merkmal einer guten therapeutischen Beziehung nicht erwähnt, die
Bildung einer therapeutischen Allianz. Hier stehen Freiwilligkeit und Vertrauen im
Vordergrund. Der Patient begibt sich freiwillig zu dem Therapeuten seines Vertrauens. Ob
sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickeln kann, stellt sich bei einer ambulanten
Therapie meist in den ersten fünf probatorischen Sitzungen heraus. Dies ist im Klinikalltag so
nicht möglich. Zum einen, weil wir mit Patienten arbeiten, die ihre Behandlung nach § 35
BTMG beginnen und die Therapie lediglich dem JVA – Aufenthalt vorziehen, zum anderen,
weil die Kostenträger entgegen dem Wunsch des Patienten eine Behandlung in unserer
Einrichtung bewilligen und nicht in der vom Patienten gewünschten Klinik. Nicht jeder Patient
hat dann die Offenheit sich auf unsere Einrichtung einzulassen, viele dieser Menschen
beginnen die Behandlung voreingenommen. Auch intensive Motivationsarbeit und Einladung
kann diese Voreingenommenheit nicht auflösen. Es gibt noch einen weiteren Punkt, der die
Freiwilligkeit einschränkt, der in unserem zu Beginn des Kapitels kurz erwähnten
Aufnahmeprozedere liegt. Am Ende der Woche werden die Neuaufnahmen für die
kommende Woche verteilt, so dass Therapeut und Patient willkürlich zugeordnet werden.
Freiwilligkeit besteht in der Auswahl des Einzeltherapeuten, hier kann der Patient selbst
entscheiden, mit welchem Therapeuten er die Einzelgespräche führen möchte.
Interventionen:
-
Kurzkontakte / Smalltalk in den Behandlungspausen (S. 155)
-
Besuch der Patengruppe (S. 156)
-
Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung (S. 190)
Diagnostik
Margraf
(2000)
beschreibt
Diagnose
als
das
„Erkennen
spezifischer
Symptom-
konstellationen an einem Patienten und deren Zuordnung und Benennung zu einer
bestimmten diagnostischen Gruppierung ...“ (S. 565).
Die Zuordnung erfolgt nach den
31
Klassifikationssystemen des DSM IV oder des ICD 10. In Deutschland wird letzteres am
häufigsten als Klassifikationssystem verwendet.
Die therapiebezogene Diagnostik dient demgegenüber der Vorbereitung der Behandlung.
Dabei wird Verhalten auf den Ebenen sichtbares Verhalten und Motorik erfasst, der
sogenannten Alpha – Ebene, auf der Beta – Ebene werden die Gedanken erfasst, auf der
Chi – Ebene werden somatische und physiologische Prozesse erfasst (Skript Dr. Schneider
2006, S. 23). Ebert (2000) beschreibt Diagnostik:“... als einen Prozess, der so lange währt,
wie das Arbeitsbündnis mit dem Klienten besteht“ (S. 184). Zur Diagnostik gehören die
Anamnesen, die je nach Autor unterschiedliche Schwerpunkte haben, aber immer so
ausführlich wie möglich sein sollen. Osten (2000) unterteilt die Anamnesen in Status –
Anamnesen und biographische Anamnesen. Häufige Hilfsmittel in der Diagnostik sind
Fragebögen und Ratingskalen, mit deren Hilfe der Patient Einschätzungen über sich selbst
abgeben kann. In unserer Einrichtung wird, wie bereits erwähnt, das BSI (Brief Symptom
Inventory) verwendet.
Beobachtungen auf der oben genannten Alpha – Ebene, also des sichtbaren Verhaltens und
der Motorik, finden während der Kurzkontakte zwischen Patient und Therapeut im Klinikalltag
statt. Häufig stimmt das Verhalten im Rahmen der Therapieeinheiten nicht mit dem in der
Freizeit gezeigten Verhalten überein. Der Patient kann innerhalb der Gruppentherapie
hierauf angesprochen werden, vorausgesetzt, es besteht bereits ein hinreichend belastbares
Arbeitsbündnis. Auch in der Gruppentherapie und der Arbeitstherapie zeigen viele Patienten
unterschiedliche Verhaltensweisen. Daher ist es wichtig, sich innerhalb des Teams im
Rahmen von Fallbesprechungen über den Patienten auszutauschen.
Da die Anamnese eine wesentliche Säule der therapeutischen Diagnostik ist, gehe ich
hierauf noch einmal genauer ein.
Die Anamnese
Die griechische Bedeutung des Wortes Anamnese ist die Wiedererinnerung der Seele und
stammt aus der Philosophie Platons (Osten 2000). Die ersten Kontakte zwischen Patient und
Therapeut beschreibt Osten als die initiale Phase der hoch symbolisierten Interaktionen, die
verdichtet erste wesentliche Punkte des Lebenslaufs der Person zeigen (ebenda, S. 18).
Begriffe, die in der ersten Phase der Behandlung immer wieder auftauchen, so auch in
unserem Behandlungspfad sind Anamnese, Prozessanalyse, Diagnostik und Klassifikation.
Die Anamnese steht hier für das Sammeln von Informationen, sowohl aus der
Lebensgeschichte der Person, als auch in Form von Beobachtungen und eigenen
32
Empfindungen, beispielsweise der herrschenden Atmosphäre. Die Prozessanalyse umfasst
das Bilden von Synopsen (Zusammenschau) und Inferenzen (Schlussfolgerungen).
Das Bild, das durch die Datenerhebung in den ersten Einzelsitzungen gewonnen wird, ist
kein objektives Bild von Problemzusammenhängen, sondern ein kleiner Ausschnitt, der ein
Modell der Person und ihrer Geschichte zeigt und damit eine grobe Struktur der
Lebensgeschichte dieses Menschen darstellt. Die hinter den entwickelten Modellen
stehenden Strukturen müssen, so der Autor, hypothetisch erschlossen werden und immer
wieder auf ihr Zutreffen hin überprüft werden. Schneider (Handout VT 2006) nennt es „von
der Information zum Verstehen“. Das Selbst des Therapeuten ist in diesen Prozess mit
einbezogen, wodurch die erarbeiteten Hypothesen gefärbt sein können, was ebenfalls eine
ständige kritische Überprüfung der erkannten Strukturen und einen kollegialen Austausch
notwendig macht.
Osten (2000) benennt die verschiedenen Bereiche der biographischen Anamnese, die es
aus seiner Sicht abzufragen gilt:
Die frühe familiäre Situation, Geburt und Geschwisterfolge. Dazu gehören detaillierte Fragen
nach der Wohnung, der Wohnumgebung, der kulturellen und sozialen Eingebundenheit der
Familie, aber auch der Atmosphäre in der Familie, der wirtschaftlichen Lage, der
Freizeitgestaltung, wer mit wem Kontakt hatte und aktuell noch hat, bzw. die Nichtexistenz
von Kontakten.
Erfragt
werden
des
weiter
die
genauen
Lebensumstände
in
den
Kinderjahren,
Besonderheiten der Kinderjahre, Erinnerungen an psychische Störungen während der
Kindheit, Einstellungen der Eltern zu Arbeit, Beruf und Leistung, Erinnerungen an den
Schuleintritt, wie und wann die Entscheidung für den Beruf zu Stande kam. Weiter wird die
Entwicklung der Geschlechtsidentität erfragt, empfundene Veränderungen in der Pubertät,
welche Veränderungen und Entwicklungen sich im Erwachsenenalter ergeben haben.
Ebenso werden mögliche Defizite erfasst und auf eine mögliche Pathologisierung hin
untersucht. Gibt es Mangelerfahrungen. In welchen Bereichen gab und gibt es protektive
Faktoren, die in der Behandlung genutzt werden können?
Meist wird in den ersten drei Tagen nach Aufnahme des Patienten eine Sozialanamnese
durch den Bezugstherapeuten erhoben. Hier werden zunächst nur die demographischen
Daten des Patienten, seiner Ursprungsfamilie und seiner Partner und Kinder erhoben. Je
nach Offenheit des Patienten kann bereits zu diesem Zeitpunkt detaillierter nach der
Familienatmosphäre, nach der aktuellen Beziehung zu den Eltern, den Großeltern und den
Geschwistern gefragt werden. Weitere Anamnesesitzungen folgen in der zweiten
Behandlungswoche. Nun werden im Rahmen der Familienanamnese sozio–ökonomische
Verhältnisse der Ursprungsfamilie und der aktuellen Lebensbedingung ebenso erfragt, wie
33
das Erziehungsklima, die Familienthemen und -leitsätze, kritische Lebensereignisse und
weitere Krankheiten. Die Berufsanamnese des Patienten wird durch die Arbeitstherapeuten
erhoben
und
an
die
Bezugstherapeuten
weitergeleitet.
Im
Rahmen
der
ersten
Teamvorstellung werden diese Informationen zusammengefasst an das gesamte Team
weitergegeben. Zur störungsspezifischen Anamnese gehören auch die Erfassung der
Entwicklung des Suchtmittelkonsums und das Erfassen der Delinquenzentwicklung. Da
diese Daten meist erst in der zweiten Behandlungswoche erhoben werden, entscheidet sich
dann, ob der Patient in den Behandlungspfad für delinquent persönlichkeitsgestörte,
Borderline Störungen oder depressive Patienten wechselt.
Verhaltensanalyse
Aus den Informationen der Familienanamnese, den Testergebnissen von BSI und den
Verhaltensbeobachtungen
aus
der
Arbeitstherapie,
den
Sporteinheiten
und
den
Kurzkontakten entsteht eine erste Verhaltensanalyse. Hier geht es darum, Hypothesen
darüber aufzustellen, wie sich die Psyche des Menschen aus der Lebensgeschichte heraus
zu dem entwickelt hat, was aktuell erkennbar und von der Person selbst erlebbar ist. Margraf
(2000) nennt es ein Erarbeiten eines sogenannten funktionalen Bedingungsmodells des
Problemverhaltens aus den vorliegenden diagnostischen Informationen. Beck et al (1997)
heben deutlich hervor, dass ein gutes Fallkonzept dem Therapeuten hilft, die Komplexität
einer Suchtproblematik zu verstehen. Daher nun die beiden am häufigsten angewendeten
Möglichkeiten der Verhaltensanalyse: die Verhaltensanalyse nach dem SORKC – Modell
nach Kanfer und die Verhaltensgleichung nach Bartling et al (1992).
Unter Verwendung des SORKC - Modells wird das Verhalten eines Menschen nach den
folgenden Kriterien aufgeschlüsselt:
Situation =
in welchen Situationen tritt ein bestimmtes Verhalten auf?
Organismus =
mit welchen körperlichen Empfindungen reagiert die Person?
Reaktion =
die konkrete Verhaltensreaktion der Person.
Kontingenz=
bezeichnet die Regelmäßigkeit des Auftretens der Konsequenz
nach der Reaktion.
Konsequenz = welche Konsequenz ergab sich für die Person aus diesem Verhalten.
Für eine erste Verhaltensanalyse nutzen wir dieses Modell. Für ein detaillierteres Bild setzen
wird die Problemanalyse nach Bartling, Echelmeyer, Engberding und Krause (1992) ein,
besonders im Zusammenhang mit der Erarbeitung der dysfunktionalen Kognitionen und der
Erarbeitung vorhandener Risikosituationen.
34
Bartling et al (1992) sprechen von der Verhaltensgleichung, die eine wesentlich detailliertere
Untersuchung des Verhaltens darstellt und folgende Variablen berücksichtig:
Stimulus
= überdauernde oder akute interne und externe Vorbedingungen
und Ergebnisse, z.B. Setting, Situation, Stimmungen,
Bedürfnislage, Gedanken.
Beispiel: der Betroffene ist alleine in der Wohnung.
Wahrnehmungsprozesse = orientieren, Aufnehmen und Kodieren von Informationen.
Beispiel: der Betroffene sieht, dass seine Familie nicht zu Hause ist.
Innere Verarbeitung
= z.B. Interpretation und Bewertung der Situation,
Handlungsvorbereitung.
Beispiel: er fühlt sich einsam.
Verhalten
= auf motorischer, emotionaler, kognitiver und physiologischer
Ebene.
Beispiel: der Betroffene öffnet eine Flasche Wein und beginnt zu trinken.
Konsequenz
= hier wird unterschieden zwischen kurzfristig vs. langfristig, intern
vs. extern, positiven vs. negativen Konsequenzen.
Beispiel: kurzfristig fühlt er sich gut, das Einsamkeitsgefühl ist weg, sein Verhalten wird
negativ verstärkt.
Indem man beispielsweise Konsumsituationen mit Hilfe dieses Modells analysiert, können
typische Verhaltensmuster des Betroffenen herausgearbeitet werden, die wichtig für das
Verständnis der Suchtentwicklung des Patienten sind und für die weitere Therapieplanung.
Für
Patient und Therapeut ergeben sich hieraus wichtige Informationen für die Rückfall-
prophylaxe,
Risikosituationen
werden
erkannt
und
daraus
können
während
der
Behandlungszeit Vermeidungsstrategien und Verhaltensalternativen entwickelt werden.
Gemeinsam mit dem Patienten können an dieser Stelle erste Zielvereinbarungen getroffen
werden, aus denen sich dann eine vorläufige Therapieplanung ergibt.
Klärung der Nebenkosten
Diese Aufgabe gehört eigentlich in den Bereich der Sozialberatung, weswegen der Punkt
nicht als einzelne Aufgabe im Behandlungspfad geführt wird, sondern unter dem Punkt
„Bemerkungen“ auf der rechten Seite des Behandlungspfades zu finden ist.
35
Die Klärung der Nebenkosten wird in unserer Einrichtung vom Bezugstherapeuten begleitet,
falls der Patient hierfür Unterstützung braucht. Aus diesem Grund ist sie auf den
Behandlungspfaden der Psychotherapie zu finden. Aufgaben die zu diesem Punkt gehören
sind: die Klärung der finanziellen Situation, Antragstellung für Arbeitslosengeld oder
Übergangsgeld,
Klärung
der
Krankenversicherung,
Regelung
von
gerichtlichen
Angelegenheiten und eine erste Regulation der Schulden. Der Patient wird dahingehend
unterstützt, dass er hier eine Selbstständigkeit entwickelt, die ihm die Sicherheit und
Zuversicht gibt, diese Aufgaben zukünftig erfolgreich bewältigen zu können. Die rasche
Erledigung dieser Aufgabe in der ersten Behandlungswoche führt zu einem ersten
Erfolgserlebnis, durch das die Behandlungsmotivation positiv beeinflusst werden kann.
Aufbau und Stabilisierung der Therapiemotivation
Besonders in der Anfangsphase der Behandlung ist es wichtig, Motivation zu erzeugen, da
aus der Perspektive des Betroffenen die ganze Arbeit noch vor ihm liegt und das alte,
bekannte Leben aus der Gewohnheit heraus bequemer zu sein scheint.
„ Das Interesse am Thema „Motivation“ beginnt oft mit dem Erstaunen darüber, weshalb
Menschen sich nicht verändern“ beginnen Miller und Rollnick 2002 ihre Einführung in die
„Motivierende Gesprächsführung“. Der von den Autoren vorgestellte Ansatz zum Aufbau
einer Veränderungsmotivation fasst heute in der Behandlung suchtmittelabhängiger
Patienten immer mehr Fuß, weswegen ich mich im Bereich der Motivationsarbeit weitgehend
auf diese Autoren beziehe. Ich stelle zunächst die fünf Grundprinzipien der Motivierenden
Gesprächsführung (MI) vor:
Empathie
Durch Empathie oder einfühlendes Verstehen und Akzeptanz werden das Selbstwertgefühl
und die Selbstakzeptanz des Klienten gestärkt. Daraus kann der Patient für sich leichter zu
der Haltung gelangen, tatsächlich etwas verändern zu können. Es gilt hier, das bisher
Erlebte des Patienten und seinen Umgang damit zu respektieren und mögliche Rückschritte
in der Behandlung nicht als Widerstand zu werten. Widerstand ist im Sinne der MI ein Fehler
des Therapeuten, den er durch Empathie aufheben kann, indem er dem Patienten entweder
neue Alternativen anbietet oder aber ihn nach seinen eigenen Lösungen fragt, ihn quasi dort
abholt, wo er steht.
Widersprüche aufzeigen
Hierbei werden dem Patienten Widersprüche zwischen seiner aktuellen Lebenssituation und
seiner gewünschten Lebenssituation aufgezeigt. Mit diesen Diskrepanzen, wie die Autoren
36
die Widersprüche nennen, soll in der Therapie gearbeitet werden und im Idealfall werden die
vorhandenen Diskrepanzen aufgelöst. Je höher die vom Patienten erlebte kognitive
Diskrepanz ist, desto größer wird sein Veränderungswunsch, da die mit dem gegenwärtigen
Verhalten verbundenen Nachteile bewusster werden.
Beweisführung vermeiden
Dies ist das dritte wesentliche Prinzip der MI. Durch das Vermeiden von Beweisführung
werden mögliche Reaktanzen des Patienten vermieden, da er, wenn der Therapeut sich sehr
für eine bestimmte Lösung einsetzt und den Betroffenen davon überzeugen möchte, dieser
immer weiter in die Gegenposition gedrängt wird. Erlebt wird vom Patienten häufig eine
Einschränkung der Entscheidungsfreiheit.
Umgang mit Widerstand
Aus der Sicht der Autoren ist der Aufbau von Widerstand beim Patienten ein
Therapeutenfehler, häufig wegen der oben beschriebenen Beweisführung. Wichtig ist es
dann, die ambivalente Sichtweise des Patienten zu akzeptieren und mit ihm gemeinsam
alternative Ideen zu entwickeln. Für den notwendigen Perspektivenwechsel ist die Empathie
des Behandelnden unabdingbar. Miller und Rollnick (2004) empfehlen einen spielerischen
Umgang mit Widerstand, die Impulse des Patienten positiv zu nutzen.
Förderung der Selbstwirksamkeit
Die Selbstwirksamkeitserwartung ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung und
Aufrechterhaltung von Motivation. Ohne die Überzeugung, seine Lebenssituation selbst
verändern zu können wird der Patient nur schwer zu einem Veränderungsversuch zu
motivieren sein. Aufgabe des Therapeuten ist es, die Selbstwirksamkeit und die
Selbstwirksamkeitserwartung des Patienten zu unterstützen und zu stärken.
Wesentliche Strategien des MI sind demzufolge:
-
aktives Zuhören (S. 148)
-
Change talk hervorrufen (S. 148)
-
positive Entwicklungen verstärken / loben
-
offene Fragen stellen (S. 148)
-
Zusammenfassen (S. 149)
37
Die Phasen der Veränderungsbereitschaft
Die
Patienten,
die
zu
uns
zur
Behandlung
kommen,
zeigen
unterschiedliche
Motivationsgrade. Diejenigen, die Therapie statt Strafe gewählt haben, haben oft zunächst
lediglich die Motivation, die JVA zu verlassen, was nicht gleichbedeutend ist mit einer
stabilen Abstinenzmotivation. Andere kommen aus der Entgiftung und haben sich dort erst
entschieden, es jetzt doch einmal mit einer Therapie zu probieren. Diese Patienten sind
entweder zunächst misstrauisch, lassen sich aber im Idealfall auf den Prozess ein und
gelangen zu einer stabilen Veränderungsmotivation, oder sie sind zunächst zwar hoch aber
nicht stabil motiviert. Die Begeisterung für die Therapie gleicht einem Strohfeuer, das nach
kurzer
Zeit
dem
therapeutischen
Alltag
erliegt.
Hier
ist
es
schwer,
einen
Behandlungsabbruch zu verhindern. Eine andere Patientengruppe, häufig schon mit einiger
Therapieerfahrung, kommt mit realistischen Erwartungen, weiß worauf sie sich einlässt, hat
die negativen Seiten des Konsums und der Delinquenz so intensiv erfahren, dass sie eine
gute Veränderungsbereitschaft hat, die lediglich zwischendurch immer mal wieder stabilisiert
werden muss.
Mit diesen unterschiedlichen Phasen der Veränderungsbereitschaft haben sich bereits
Proschaska und DiClemente 1986 beschäftigt.
Besteht keinerlei Motivation, das Konsummuster zu verändern, wird Abhängigkeit als
Gewohnheit gesehen, die zum Alltag dazu gehört, so sprechen die Autoren von der
Precontemplationsphase. Körkel und Schindler (2003) sprechen von einer Absichtslosigkeit,
der Rubikon als Grenze zwischen Konsum und Abstinenz wird noch nicht wahrgenommen.
Hier können nur Informationen gegeben werden, die unter Umständen dazu führen, dass der
Betroffene in die nächste Phase wechselt, in die Contemplationsphase. Hier entsteht eine
erste Einsicht darein, dass die Dinge nicht optimal laufen, allerdings ist die Ambivalenz groß,
bei der Annäherung an die Veränderung wird das Alte wieder interessant, wendet sich der
Betroffene dem Alten zu, sieht er beim Näherkommen wieder dessen Nachteile. Hier gilt es
ihm Rahmen von MI Diskrepanzen zu schaffen. Veränderungsstrategien werden
in der
Entschlussphase (Determination) entwickelt und in der Handlungsphase (Action) umgesetzt.
Das neu Erworbene wird nun stabilisiert und weiter ausgebaut, der Betroffene befindet sich
in der Phase der Maintenance, der Aufrechterhaltung. Misserfolge und Durststrecken führen
zu einer schwankenden Veränderungsmotivation und unter Umständen zu Rückfällen oder
einem Relapse. Die vorher beschriebenen Phasen müssen ganz oder teilweise wieder
durchlaufen werden (Körkel & Schindler 2003). Wichtig ist es bei der Behandlung von
Suchtmittelabhängigen, zu wissen, in welcher Phase der Betroffene sich befindet, um ihm
die dazu passende Unterstützung anbieten zu können. Passen die Interventionen nicht zu
38
der Phase, in der der Patient sich gerade befindet, werden die Interventionen ins Leere
laufen oder Widerstand hervorrufen. Dabei muss berücksichtig werden, dass es sich bei
diesem Phasenmodell nicht um ein starres Modell handelt, sondern dass die einzelnen
Phasen mehrfach durchlaufen werden können, Phasen können ausgelassen werden, in
anderer Phasen wird immer wieder zurückgekehrt. Die Überprüfung, in welcher Phase der
Patient sich befindet sollte aus diesem Grund nicht nur in der ersten Behandlungsphase
durchgeführt werden, sondern ist auch während der weiteren Behandlung notwendig (Körkel
& Schindler 2003).
Indikationsgruppe Orientierungsgruppe
Die Maßnahmen zur Behandlungsmotivation ziehen sich durch die gesamte Behandlung und
finden im Rahmen der Bezugsgruppen, der Einzelsitzungen und auch bei den Kurzkontakten
immer wieder Verwendung. Allerdings haben sie im Rahmen der Orientierungsgruppe noch
einmal einen besonderen Schwerpunkt. Diese Gruppe wird in unserer Einrichtung im
Rahmen der wöchentlich stattfindenden 90 Minuten dauernden Indikationsgruppen
angeboten und ist für die Patienten in den ersten Wochen ihres Aufenthaltes verpflichtend.
Je nach Motivationsgrad erfolgt der Wechsel in andere Gruppen auch zu einem späteren
Zeitpunkt. Neben Fragen zur Klinikstruktur und zur Therapie allgemein wird die
Orientierungsgruppe entsprechend den Phasen Precontemplation und Contemplation
gestaltet. So werden mit dem Patienten die Diagnosekriterien der Sucht besprochen. Im
Rahmen der Psychoedukation, die im Rahmen der Orientierungsgruppe stattfindet, stellen
wir
das
Modell
der
Suchttrias
vor.
Für
die
Patienten
findet
hier
eine
erste
Auseinandersetzung mit der eigenen Suchtentwicklung statt.
Inhalte der Psychoedukation (Anhang D)
-
Modell der Suchttrias (S. 194)
-
Besprechen der Diagnosekriterien (S. 195)
-
Vierfelderschema bezüglich Drogen und Abstinenz (S. 196)
-
Erstellen eines Problemkuchens (S. 197)
39
Darstellung des Lebenslaufes und des sozialen Netzes
Während der Orientierungsphase stellt der Patient seinen Lebenslauf in der Gruppe vor und
sein soziales Netz. Durch die Vorstellung des Lebenslaufes erfahren die Gruppenmitglieder
etwas über das Leben des Mitpatienten und der Patient übt, sich gegenüber der Gruppe zu
öffnen. Es ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht notwendig, alle belastenden Erlebnisse zu
erwähnen. Für die Vorstellung des sozialen Netzen bearbeitet der Patient eine Vorlage (S.
198) mit deren Hilfe er sein persönliches soziales Netz direkt vor Augen hat. Der Begriff des
„Sozialen Netzes“ kennzeichnet die
Menschen im näheren und ferneren Umfeld des
Patienten, die ihn entweder unterstützen oder in seiner Weiterentwicklung behindern. Die
Personen des sozialen Umfeldes spielen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der
Sucht eine wichtige Rolle, aber auch bei der Behandlung und Rückfallprophylaxe (Klein
2001). Dargestellt auf einem Blatt Papier, entsteht zumeist rasch ein guter Überblick darüber,
in welchen Lebensbereichen der Patient gut durch sein soziales Umfeld aufgefangen werden
kann oder aber wo er nur wenig Unterstützung hat und hier für sich neue Kontakte aufbauen
sollte. Häufig neigen Süchtige dazu, ihre Zeit mit solchen Aktivitäten und Personen zu
verbringen, die ihre Sucht weiter begünstigen (Beck et al, 1997). Sie meiden sogar
Aktivitäten, durch die soziale Interaktionen begünstigt werden, da diese ihrem Drang nach
Konsum im Wege stehen.
Wir haben uns entschieden, das soziale Netz bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der
Therapie einzusetzen, da es für die Patienten häufig ein langer Weg ist, sich von ebenfalls
drogenkonsumierenden Freunden oder Gruppen zu distanzieren, und sie in der
Kontaktaufnahme mit nicht abhängigen Menschen meist sehr unsicher sind und diese lieber
meiden. Mit der meist notwendigen Distanzierung von alten Freunden brechen für die
Betroffenen ganze Lebensbereiche weg, die nicht von heute auf morgen ersetzt werden
können. Meist wird dieser Punkt erneut thematisiert, wenn es um die Beziehungsgestaltung
der Patienten geht und um ihre Zukunftsplanung. Die in der Kernphase wichtige Entwicklung
von Freizeitaktivitäten soll hier ein Übungsfeld für die Patienten sein, über deren Ergebnisse
in den Bezugsgruppen berichtet wird, doch dazu unter Punkt 4.5.2 mehr. Weitere wichtige
Fragen sind, wie gehen Patienten mit ihrem noch konsumierenden oder substituierten
Partner um? Diese Fragen können nicht als einmaliges Thema bearbeitet werden, sondern
ziehen sich wie ein roter Faden durch die Behandlung. Hier entsteht die Frage, wie intensiv
die Angehörigen, gleichgültig ob Eltern, Partner oder Kinder, mit in die Behandlung
einbezogen werden sollten.
40
Einzelgespräche
Einzelgespräche finden im Normalfall im Rhythmus von zwei Wochen statt, was aber je nach
aktueller
Situation
des
Patienten
flexibel
gestaltet
werden
kann.
So
finden
in
Krisensituationen häufiger Einzelgespräche statt, meist dünnen sie zum Behandlungsende
hin aus. Hier hat der Patient die Möglichkeit, sich den Psychotherapeuten auszusuchen, mit
dem er seine Einzelgespräche führen will. Für Patienten ohne Therapieerfahrung ist es meist
leichter, sich zunächst in den Einzelkontakten zu öffnen, und die Themen, die im
Einzelgespräch vorbereitet wurden, in der Gruppe weiter zu bearbeiten. Themen wie
Missbrauch
müssen
nicht
in
der
Gruppe
besprochen
werden,
sie
werden
in
Einzelgesprächen bearbeitet. Allerdings möchte ich hier erwähnen, das wir unsere Patienten
deutlich darauf hinweisen, dass wir auch in den Einzelgesprächen keine Traumatherapie
durchführen, da aus unserer Sicht die doppelte Belastung der Suchtbearbeitung und der
Traumabearbeitung für die meisten Patienten eine emotionale Überforderung darstellt, die
häufig zum Behandlungsabbruch führen kann oder in einem Rückfall endet.
Vorbereitung
Eine
und Nachbesprechung der Heimfahrten und Rehabilitationsfahrten findet
häufig auch im Rahmen der Einzelgespräche statt.
Beobachtung des Sozialverhaltens
Zu dieser Aufgabe habe ich keine wissenschaftlichen Hintergrundinformationen finden
können. Gemeint ist mit dieser Aufgabe, die durch die Mitarbeiter und im Idealfall die
Mitpatienten erfüllt wird, dass darauf geachtet wird, wie der Patient sich in die
Therapiegemeinschaft einfügt. Bereitet es ihm Mühe, sich in der Gruppe zu äußern, zieht er
sich in der Freizeit zurück oder dominiert er vom ersten Tag an die Gruppe. Ist das Verhalten
des Patienten in den Therapieeinheiten und in der therapiefreien Zeit identisch oder gibt es
Unterschiede? Die Beobachtungen hierzu werden mit dem Patienten in der Gruppe, in der
Großgruppe und in den Einzelgesprächen besprochen. Sie fließen ebenfalls mit in die
Anamnese ein. Oft ist es das thematisierte beobachtbare Verhalten, was zu einer ersten
Auseinandersetzung mit der eigenen Suchtgeschichte führt und den Patienten an Themen
heranführt, die er sonst nicht benennen würde. Wichtig ist es, Veränderungen im Verhalten
während des gesamten Therapieprozesses zu beobachten. Folgt nach einer Zeit des
Voranschreitens ein Rückschritt in alte Verhaltensmuster, wie verändern sich Frisur und
Kleidung während des Aufenthaltes. Oft zeichnen sich durch Veränderungen auf diesen
Ebenen bereits Krisen ab, die der Betroffene selbst so nicht benennen will oder kann.
41
4.5.2 Behandlungspfad der Kernphase
QMVA IV.5
Verantwortung
Behandlungspfad
Kernphase 9 - 17 Behandlungswoche
Aufnahme in die
Kernphase
Bemerkungen
1 – 24
Bezugstherapeut
teilweise
Einzeltherapeut,
Vorstellung der
Suchtanamnese
1
Erarbeiten der
Funktonalität
der Drogen
Auseinandersetz
ung mit Selbst-/
Fremdbild
4
Erarbeiten
dysfunktionaler
Kognitionen
Vorstellung des
Delinquenzverlaufs
7
Analyse der
kriminellen
Energie
10
Beobachtung des
Sozialverhaltens
in der Gruppe
13
Auseinandersetz
ung mit
Emotionen
16
Teilnahme an
Rückfallprophylaxe
Durchführen von
Rehafahrten
18
2
Entwicklung von
Sinn drogenfreien Lebens
3
5
Erhöhung der
Selbstwirksamkeit
6
8
Entwickeln von
Zukunftsperspektiven
9
Auseinandersetz
ung Beziehungsgestaltung
11
Angehörigen
Gespräch
12
Geschlechtsspezfische
Themen
14
Auseinandersetz
ung mit dem
Thema Sexualität
15
Erarbeiten
aktiver Freizeitgestaltung
Reflexion i. d.
Gruppe
Die Aufgaben,
der Kernphase,
deren Erledigung
durch die
Rehabilitanden
erfolgt, werden in
den
Therapiestandar
ds festgehalten
und
abgezeichnet
vom jeweiligen
Therapeuten
MGU:
QMVA IV.5.3
Therapiestandar
ds
17
16 QMFB IV.5.7
Indikationsgrupp
en
Unterschriftenlist
e
19
Zielvereinba
rungen
überprüfen
20
24
Nacharbeit
fehlender
Themen
22
nein
Aufgaben
erfüllt??
21
ja
a
Wechsel in
Abschlussphase
42
Die Kernphase umfasst die 9. – 17. Behandlungswoche. Nachdem der Patient in der
Orientierungsphase begonnen hat, sich mit seiner Familiengeschichte auseinander zu
setzen, ist nun die Vorstellung der Entwicklung der Suchtgeschichte eine weitere Aufgabe,
die die Auseinandersetzung des Patienten mit seiner Lebensgeschichte betrifft. Damit
verbunden ist die Auseinandersetzung mit der Funktionalität des Drogenkonsums. Hier wird
die Verbindung zwischen Familien- und Lebensgeschichte und der Suchtentwicklung
herausgearbeitet.
Weitere Aufgaben sind die Überprüfung des Selbstbildes durch Rückmeldungen der
Mitarbeiter und Mitpatienten. Ziel ist es, durch die Überprüfung des Selbstbildes und die
Erarbeitung dahinter stehender dysfunktionaler Kognitionen Zugang zu bisher nicht
zugängliches Ressourcen zu ermöglichen und damit die Selbstwirksamkeit des Patienten zu
erhöhen, da sie eine wesentliche Voraussetzung für eine dauerhafte Abstinenz darstellt
(Miller & Rollnick 2002). Ohne die Zuversicht des Patienten, bezogen auf seine Sucht etwas
bewirken zu können und sich neue Problemlösestrategien erarbeiten und diese umsetzen zu
können, ist der Rückfall in den Konsum
sehr wahrscheinlich. Die Abstinenzzuversicht
wächst mit der Gestaltung einer konkreten Zukunft, was nur dann möglich ist, wenn die
betroffene Person einen Sinn in einem drogenfreien Leben sieht. Die Sinnfindung und die
Zukunftsgestaltung sind häufig ein schwieriger Prozess, der im Laufe der Behandlung immer
wieder neu bearbeitet werden muss, da sich durch das Voranschreiten in der Behandlung
die Perspektiven des Patienten verändern. Häufig gelingt es erst gegen Ende der
Behandlung, dazu konkrete Vorstellungen zu entwickeln, weswegen diese Aufgabe auch in
der Abschlussphase noch einmal auftaucht.
Eine
weitere
wesentliche
Aufgabe
in
diesem
Behandlungsabschnitt
ist
die
Auseinandersetzung mit der bisher gezeigten Delinquenz. Dabei ist es an dieser Stelle
wichtig, zwischen zweierlei delinquentem Verhalten zu unterscheiden: zum einen dass durch
den Konsum illegaler Drogen aufgetretene delinquente Verhalten, d.h. Delinquenz, die aus
dem Drogenkonsum resultiert, zum anderen das delinquente Verhalten, dass bereits vor der
Suchtmittelabhängigkeit aufgetreten ist. Der Drogenkonsum wird in diesem Fall häufig
funktionalisiert, um das delinquente Verhalten beeinflussen zu können. In diesem Fall spricht
man von einer delinquenten Persönlichkeitsstörung, auf die in Kapitel 5.3 genau
eingegangen wird. Die mit der Delinquenz gesammelte Erfahrung, z.B. durch den Verkauf
von Drogen schnell große Summen Geldes verdienen zu können, bedarf einer kritischen
Auseinandersetzung. Damit verbundene Scham- und Schuldgefühle sollten im Rahmen der
Einzel- und Gruppentherapie bearbeitet werden.
Wesentliche Frage ist, wie kann ein
anderer Umgang mit den aufgetretenen kriminellen Energien gefunden werden.
43
Wie auch in der Orientierungsphase ist die Beobachtung des Sozialverhaltens in der Gruppe
eine Aufgabe, die von dem Therapeutenteam geleistet werden soll. Rückmeldungen zum
Sozialverhalten durch Gruppenmitglieder gehören ebenfalls zu dieser Behandlungsaufgabe.
In der Gruppe sollte dann eine konstruktive Auseinandersetzung stattfinden. Szenenahes
Verhalten kann anzeigen, dass eine erneute Motivation des Patienten notwendig ist. Eine
Überprüfung des Tempos in der Bearbeitung der Themen und der begonnen Veränderung
kann Klarheit bringen, besonders, wenn sich nach einer Phase positiver Veränderung ein
erneutes Hinwenden zum Szeneverhalten zeigt. Wenn die Veränderungen zu rasch erfolgen,
tritt eine massive Verunsicherung des Patienten auf, auf die eine Gegenregulation durch
Hinwenden zu bislang vertrautem Verhalten folgt. Dann sollte das Bearbeitungstempo in der
Behandlung reduziert werden, ein Betrachten und Stabilisieren des Erreichten ist notwendig.
Der Drogenkonsum ist häufig Ausdruck einer gestörten Beziehungsgestaltung, die bereits in
der Ursprungsfamilie erlernt wurde. Beziehungen im Erwachsenenalter bestanden häufig nur
zu ebenfalls Drogenabhängigen. In diesen Beziehungen steht die Droge meist im
Vordergrund. Das Aufbauen und Pflegen einer anderen Beziehung ist für langjährig
Drogenabhängige daher meist eine Herausforderung, besonders wenn sie in Kindheit und
Jugend
keine konstruktive Beziehungsgestaltung erlernen konnten. In diesen Themen-
komplex gehören auch die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Themen und
Sexualität, die im Rahmen der Indikationsgruppen in der Frauen- und Männergruppe
bearbeitet werden und die Auseinandersetzung mit dem eigenen emotionalen Erleben.
Immer wieder bilden sich während des Aufenthaltes Paarverbindungen, die von der
bisherigen Art der Beziehungsgestaltung geprägt sind und somit einiges Konfliktpotential mit
sich bringen. Aus diesem Grund haben wir ein spezielles Prozedere für die Paare entwickelt,
bei denen sich die Partner in unserer Einrichtung kennen gelernt haben. Bevor die
Möglichkeit eines privaten Rückzugs gegeben wird, ist die Inanspruchnahme von
Zweiergesprächen
oder
Sechsaugengesprächen
sinnvoll,
in
denen
die
Beziehungsgestaltung der Partner von einem Therapeuten begleitet wird. Sie wird auf
bestehende Suchtmuster durchforscht und es werden mögliche Alternativen dazu erarbeitet.
Ebenfalls notwendig ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema Beziehungsgestaltung in
der Bezugsgruppe. Nur ein offener Umgang und eine offene Auseinandersetzung mit der
Beziehung führen aus unserer Erfahrung zu einem positiven Behandlungsverlauf.
Im letzen Teil der Kernphase sollte der Patient an der Indikationsgruppe Rückfallprophylaxe
teilnehmen. Hier geht es ganz konkret um Strategien der Rückfallvermeidung in riskanten
Situationen, die es erst einmal herauszufinden gilt. An dieser Stelle kann der Patient auf die
erarbeiteten Ergebnisse der Suchtanamnese und der Funktionalität des Drogenkonsums
zurückgreifen und diese mit konkreten Verhaltensweisen verknüpfen.
44
Ab der neunten Behandlungswoche kann der Patient, soweit es zum bisherigen
Behandlungsverlauf passt, seine Ausgänge alleine wahrnehmen. Spätestens ab diesem
Zeitpunkt wird von uns erwartet, dass er seine Freizeit aktiv gestaltet, indem er sich
beispielsweise in einem Sportverein anmeldet oder sich zur Teilnahme an einem
Volkshochschulkurs anmeldet und von dem dort Erlebten berichtet, beispielsweise ob es ihm
schwer fällt, mit nicht abhängigen Menschen Kontakt aufzunehmen, wie ist seinem Erleben
nach die Reaktion der „Normalen“ auf den Patienten. Hierdurch soll der Patient neben der
Kontaktaufnahme üben, seine freie Zeit aktiv zu gestalten und neue Hobbys zu finden, so
dass die Zeiten der Langeweile und der Sinnlosigkeit, die häufig zum erneuten
Drogenkonsum führen, reduziert werden. Allerdings muss hier auf das rechte Maß geachtet
werden, da Patienten häufig dazu neigen, sich Freizeitstress aufzubauen, indem sie viele
Aktivitäten planen. Wichtig ist es, hier das Risiko der Rückfälligkeit durch Überforderung zu
bearbeiten und eine Ausgewogenheit zwischen Aktivität und Passivität herauszuarbeiten, die
zur Zufriedenheit des Patienten führt. Nach einer anfänglichen Phase der euphorischen
Aktivität bricht die Bereitschaft zur Teilnahme an Vereinen häufig ein, an dieser Stelle gilt es,
mit Motivationsarbeit die Kontinuität zu fördern und so die Basis für ein positives Erlebnis zu
schaffen, da jede Art von abgebrochener Aktivität häufig wieder zu Rückschritten führt und
selbstwertbehindernde Kognitionen wachruft und die notwendige Selbstwirksamkeit
schwächen.
Der Punkt der maßvollen Freizeitgestaltung gehört auch in den Bereich des Gesundheitstrainings. Weitere Punkte sind gesunde Ernährung, Bewegung, konstruktiver Umgang mit
Stress und das Erkennen und Akzeptieren der eigenen Grenzen.
Mit dem Einzelausgang ist die Möglichkeit von Heimfahrten gegeben, die im Rhythmus von
zwei Wochen stattfinden können. Diese Zeitvorgabe ist durch den Rentenversicherungsträger gegeben. Die Fahrten werden in der Bezugsgruppe vorbesprochen. Mögliche
auftretende Schwierigkeiten werden angesprochen und ein Umgang damit erarbeitet. Nach
der Fahrt wird diese vom Patienten reflektiert. Inwieweit konnten im Vorfeld erarbeitete
Strategien umgesetzt werden oder wenn dies nicht der Fall war, warum die Umsetzung nicht
möglich war. Die besonders bei den ersten Heimfahrten auftretenden Emotionen können für
eine weitere Bearbeitung der Beziehungsmuster und der Funktionalität des Drogenkonsums
genutzt werden.
In der sechzehnten Behandlungswoche spätestens soll dann eine Überprüfung des bisher
Erreichten erfolgen. Die in der Orientierungsphase aufgestellte Psychodynamik und die mit
dem Patienten gemeinsam vereinbarten Ziele sollen überprüft und gegebenenfalls verändert
werden, so dass mögliche Fehlentscheidungen oder falsche Hypothesen von Seiten der
Therapeuten nicht mit in die Abschlussphase hinüber genommen werden.
45
Die Aufgaben während der Kernphase
•
Suchtanamnese
und
die
Funktionalität
des
Drogenkonsums
/
Erarbeiten
dysfunktionale Kognitionen,
•
Delinquenzverlauf, Umgang mit kriminellen Energien,
•
Selbstbild
/
Fremdbild,
Zugang
zu
Ressourcen
und
das
Erhöhen
der
Selbstwirksamkeit,
•
Auseinandersetzung mit dem emotionalen Erleben,
•
Beziehungsgestaltung, Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Themen
und Sexualität,
•
Angehörigengespräche,
•
Rückfallprophylaxe,
•
Gesundheitstraining,
•
Aktive Freizeitgestaltung,
•
Beobachtung des Sozialverhaltens in der Gruppe.
Entwicklung der Suchtgeschichte
Ähnlich wie bei der Familienanamnese geht es hier um die genauen Details, die den
Patienten in die Sucht geführt haben. Die Informationen dazu werden meist zunächst in
Einzelgesprächen erhoben, müssen aber auch in der Bezugsgruppe vorgestellt werden. Die
Rückmeldungen und -fragen der Mitpatienten decken häufig weitere Aspekte auf, die unter
Umständen im Einzelgespräch nicht aufgetaucht sind.
Im Rahmen der Erhebung der Suchtkarriere nennen Schuhler und Vogelsang (2006) und
ebenso Beck et al (1997) als wichtige Aspekte folgende: biologisch – medizinische Faktoren,
die für den Substanzkonsum wichtig sind; Gefühle, die mit dem Suchtmittelkonsum
verbunden sind; wann tritt Verlangen nach Drogen auf; wie hat sich der Drogenkonsum
entwickelt, wann wurde eine neue Substanz dazu genommen bzw. eine alte Droge
weggelassen; was hat der Patient für suchtspezifische Gedanken, wie werden die Drogen
beschafft; welche Gedanken hat der Patient vor dem Konsum, was sind seine
erlaubnisgebenden Gedanken, zu welchem Zeitpunkt wird welche Droge in welcher Menge
unter Umständen in Verbindung mit welchen weiteren Drogen eingenommen; welches sind
die unmittelbaren positiven Folgen der Suchtmitteleinnahme, welches sind die mittel- und
langfristigen Konsequenzen des Drogenkonsums, welche Risikosituationen im Sinne von
Auslösesituationen gibt es für den Patienten?
Fragen, die Schuhler und Vogelsang nicht aufgeführt haben, die aber aus unserer Sicht
ebenfalls wichtig sind: wie hat das Umfeld reagiert, als es vom Drogenkonsum des
Angehörigen erfahren hat, wie hat sich dadurch der Kontakt verändert, welche emotionalen
46
Verbindungen bestehen heute zu den Angehörigen, wie hat sich der Freundeskreis
verändert, gibt es noch drogenfreie Kontakte. Meist wird hier das bereits in der
Orientierungsphase dargestellte soziale Netz (S. 198) hinzugezogen.
Für den Bezugstherapeuten ist es an dieser Stelle wichtig, die in der Orientierungsphase
aufgestellte Verhaltensanalyse noch einmal zu überprüfen, meist ergeben sich hier wichtige
Ergänzungen.
Funktionalität des Drogenkonsums
Zur Auseinandersetzung mit der Suchtgeschichte gehört die Auseinandersetzung mit der
Funktionalität des Drogenkonsums. Dies geschieht hier wieder zweigleisig sowohl innerhalb
der Einzelgespräche als auch in der Bezugsgruppe, da dysfunktionale Kognitionen,
suchtspezifische Gedanken und manchmal auch das Herausarbeiten von Risikosituationen
in den Einzelgesprächen besser erarbeitet werden können.
Unter der Funktionalität versteht man den Nutzen, den es für den Betroffenen hat, Drogen zu
konsumieren. Meist liegt der Nutzen auf der emotionalen und körperlichen Ebene.
Heroinabhängige Patienten geben oft an, zum Beginn ihres Konsums
intensiv Wärme
empfunden zu haben und das Gefühl, dass sie einfach toll sind. Patienten die einen
intensiven Speedkonsum hatten, wollten für sich damit erreichen, das sie ein ganzes
Wochenende durchfeiern konnten und das einfach toll fanden. Im Sinne der Lerntheorie sind
dies positive Verstärker, die dafür verantwortlich sind, dass ein Verhalten weiter fortgesetzt
wird. Bei der Sucht bleibt es allerdings nicht dabei. Entsprechend den Diagnosekriterien der
Suchtmittelabhängigkeit kommt es nach einer gewissen Zeit zu massiven körperlichen
Entzugssymptomen, die eine weitere Drogeneinnahme nach sich ziehen, damit die
körperlichen Missempfindungen verschwinden. Aus der positiven Verstärkung wird eine
negative, da durch die Drogeneinnahme die negativen Symptome beseitig werden, die
heroinabhängigen Patienten reden häufig von „gesund machen“. In diesem Stadium der
Abhängigkeit ist der zu Beginn empfundene „Kick“ für den Konsumenten kaum noch
erreichbar.
Im Folgenden werde ich mich an dem kognitiven Erklärungsmodell der Sucht nach Beck
(Beck et al 1997) orientieren. Um die Funktionalität gut zu erfassen, müssen nach diesem
Ansatz die suchtspezifischen Grundannahmen und die automatischen Gedanken des
Patienten gemeinsam mit ihm herausgearbeitet werden. Die suchtspezifischen Grundannahmen, die erst entstehen, wenn die Person süchtig ist, spielen eine wesentliche Rolle
bei der Entwicklung des Dranges zu konsumieren. Beispielweise beschreibt ein Patient:
“ wenn ich Kokain genommen habe, konnte ich wesentlich mehr leisten. Damit wurde ich den
47
hohen Erwartungen meines Vaters gerecht.“ Grundannahme ist hier, viel leisten zu müssen,
um anerkannt zu werden. Diese Erwartung kann besser erfühlt werden durch den
Kokainkonsum. Es geht hier um die Wirkungserwartung, die der Patient gegenüber der
Droge hat. Diesen suchtspezifischen Grundannahmen liegen Grundüberzeugungen zu
Grunde, die sogenannten dysfunktionalen Kognitionen, die sich auf verschiedene Ebenen
des menschlichen Erlebens beziehen können. Beispielsweise auf das persönliche
Überleben, Erfolg und Freiheit, von den Betroffenen benannt als „ich bin hilflos“, „zu nichts
nutze“ etc. Eine weitere Ebene ist die der Stellung innerhalb einer Gruppe. Hier denken
Betroffene häufig, „ich werde nicht akzeptiert, wenn ...“. Diese Grundüberzeugungen führen
zu negativen Emotionen, die die Person manipulieren möchte. Meist gibt es nicht nur eine
Grundüberzeugung für die suchtspezifischen Grundannahmen, sondern mehrere bilden ein
Netz aus dysfunktionalen Kognitionen. Beispielsweise könnte die Grundannahme „ich bin
hilflos“ zu der suchtspezifischen Grundannahme führen, dass die Person sich durch den
Konsum von Heroin sicher und geborgen fühlt.
Ist diese Kette aus Grundüberzeugung, negativen Emotionen und suchtspezifischen
Grundannahmen einmal in Gang gesetzt, folgt meist die motorische Umsetzung des
Konsums, der Betroffene besorgt sich die gewünschte Droge, konsumiert sie und hat damit
zunächst
einmal
einen
Ausweg
gefunden.
Der
Unterschied
zwischen
den
Grundüberzeugungen und den suchtspezifischen Grundannahmen liegt darin, dass die
Grundüberzeugungen nicht immer präsent sind, wenn die dazugehörenden negativen
Emotionen auftreten, wogegen die suchtspezifischen Grundannahmen leichter abrufbar sind.
Beck et al (1997) beschreiben die Abfolge, in der diese Grundannahmen abgerufen werden
wie folgt: zunächst kommen die antizipatorischen Annahmen, wie z.B. „es wird mir gut
gehen“, als nächstes folgen die romantisierenden Erinnerungen, die z.B. sein kann, „ich
werde einige Stunden nur ein angenehmes Vergnügen empfinden“. Durch das Verlassen auf
die Drogenwirkung entwickeln sich die suchtspezifischen Gedanken, z.B. „ich brauche die
Droge, um...“ aus denen sich dann der Drang zu konsumieren entwickelt. Was nun zum
Konsum fehlt ist der erlaubnisgebende Gedanke, z.B. „ dieses eine Mal ist es ok“, der dann
zur konkreten Handlung des Drogenerwerbs und zum Konsum führt.
Ich möchte hier auf die Nähe zur Verhaltensanalyse nach Bartling et al (1992) hinweisen (S.
31). Da ich das Erklärungsmodell von Beck für den Patienten aber griffiger finde, weil es um
seine persönlichen Gedanken geht, die er mit dem Konsum und der Abstinenz verbindet,
habe ich es an dieser Stelle vorgestellt. Einschränkend muss ich allerdings erwähnen, dass
dieses kognitive Modell nach Beck aus meiner Erfahrung nicht mit jedem Patienten
bearbeitet werden kann, da es immer wieder Patienten gibt, die nicht über eine ausreichende
Reflexionsfähigkeit verfügen, oder aber es mangelt an den notwendigen Sprachkenntnissen,
48
um diesen Weg gehen zu können. Wenn sich ein Patient auf dieses Modell einlassen kann,
können seine Grundannahmen mit ihm überprüft werden,
Auslösesituationen werden
deutlich und es können Strategien erarbeitet werden, die die abstinente Seite stärken, und
damit die abstinenzbezogene Selbstwirksamkeit erhöhen.
Mögliche Interventionen:
-
Gedankenstopp (S. 153)
-
Geleitetes Entdecken (S.154)
-
Überprüfung dysfunktionaler Kognitionen (S. 163)
Delinquenzverlauf, Umgang mit kriminellen Energien
Bei suchtmittelabhängigen Patienten entwickelt sich die Delinquenz im Rahmen ihrer
Drogenabhängigkeit, sie tritt als Folgeerscheinung der Suchtentwicklung auf. Diese
Patienten sagen, dass sie abstinent kein delinquentes Verhalten zeigen, es ist ihnen
unangenehm, diese Verhaltensweisen während der Konsumzeiten gezeigt zu haben. Sie
haben ein natürliches Scham- und Schuldgefühl, dass ihnen dieses Verhalten untersagt
(Vogelsang 2006).
Um sich aber dennoch mit diesem Thema auseinander zu setzen, müssen sie die
Entwicklung ihres delinquenten Verhaltens im Rahmen des Delinquenzverlaufes in der
Bezugsgruppe vorstellen. Dazu gehört neben der Darstellung des eigentlichen Verhaltens
auch das
Nennen der
bisher erfolgten Verhaftungen und der Haftzeiten. Eine
Auseinandersetzung mit diesen Verhaltensweisen und den Konsequenzen für die
Betroffenen selbst, die Opfer, die Angehörigen und die Gesellschaft wird erwartet. Meist
haben die Patienten sich darüber bislang keinerlei Gedanken gemacht. Schuld- und
Schamgefühle werden geweckt mit dem Ziel, dem Patienten die negativen Konsequenzen,
die er bislang, wie in vielen anderen Bereichen auch, außer Acht gelassen hat, bewusst zu
machen.
Häufig wird das Handeln mit Drogen auf eigentümliche Weise als nicht delinquentes
Verhalten gerechtfertigt, da die Käufer ja selbst entschieden hätten, die Droge erwerben zu
wollen. Aus der so verharmlosten Handlung erhält die Kriminalität des Abhängigen eine
positive Verstärkung, beispielsweise die Anerkennung in der Szene, eine bessere
Lebensqualität, da bestimmte Formen der Beschaffung aufgrund begrenzter finanzieller
Mittel nicht notwendig sind (Beck et al 1997). Patienten mit negativem Selbstwertgefühl
erhalten
eine
selbstwertdienliche
Anerkennung
ihrer
Person,
da
sie
die
reine
Zweckbeziehung der Kunden zu ihnen ummünzen in persönliche Wichtigkeit. Diese
scheinbar
positiven
Konsequenzen
machen
es
auch
den
nicht
delinquent
49
persönlichkeitsgestörten Patienten häufig schwer, sich von der Kriminalität zu distanzieren.
Sie haben gelernt, wie rasch große Summen Geldes erworben werden können, ohne sich
lange dafür anstrengen zu müssen. Dieses Schnelle, was sie auch bei der Drogenwirkung
fasziniert hat, ist eng mit der Suchtmittelabhängigkeit verbunden (ebenda).
Aus diesem Grund nimmt der Punkt der Selbstwertstabilisierung in unserer Einrichtung viel
Raum ein. Es ist für die Patienten eine wichtige Aufgabe, zu lernen, sich auch dann als
wertvoll zu erleben, wenn sie sich die Statussymbole der Gesellschaft nicht leisten können.
Mögliche Interventionen:
-
Auseinandersetzung mit Verstößen gegen das Klinikregelwerk (S.149)
-
Vorstellung des Delinquenzverlaufes (S. 152)
Selbstbild / Fremdbild, Zugang zu Ressourcen und das Erhöhen der
Selbstwirksamkeit
Selbstbild oder Selbstkonzept umfasst die Gefühle und Kognitionen, die der Mensch sich
selbst gegenüber hat. Sie werden erlebt durch die Selbstbeobachtung der eigenen
Erlebnisse und Handlungen, aber auch durch die Beurteilung durch andere. Die Beziehung
zu anderen spiegelt sich im Fremdbild wider. Es besteht aus den Annahmen darüber, wie
andere Menschen uns sehen und bewerten (Dorsch 1994).
Wesentliche Anteile des Selbstkonzeptes entwickeln sich in der Kindheit, doch bleibt das
Selbst auch im Erwachsenenalter eine „prinzipiell dynamische Größe“ (Potreck – Rose &
Jacob, 2008, S. 19). Für die Autorinnen bilden die Selbstakzeptanz, das Selbstvertrauen,
die soziale Kompetenz und das soziale Netz die vier Säulen des Selbstwertes.
Selbstakzeptanz bedeutet hier eine positive Einstellung zu sich selbst. Selbstvertrauen meint
die positive Einstellung zu den eigenen Fähigkeiten und Leistungen. Soziale Kompetenz
beinhaltet das Erleben von Kontaktfähigkeit und soziales Netz steht für das Eingebundensein
in positive soziale Beziehungen. Selbstwertstarke Personen werden von anderen meist
positiv beschrieben und tun dies selbst auch. Menschen mit hohem Selbstwert leiden
weniger an psychischen Störungen, fühlen sich attraktiver und kompetenter. Ein positives
Selbstwertgefühl ist somit ein Schutzfaktor im Sinne einer „Coping-Ressource“ (ebenda, S.
25), die in Stresssituationen schützen kann. Die Richtung der Kausalzusammenhänge ist
dabei allerdings noch nicht geklärt.
Ein wesentlicher Faktor, der bislang unerwähnt blieb, ist die Selbstkontrolle. Sie scheint,
gemeinsam mit der Selbstregulation, wesentlich für die sozialen und beruflichen Erfolge zu
sein. Daraus ergibt sich, dass Menschen mit geringem Selbstwertgefühl ihre Selbstkontrolle
und ihre Selbstregulation verbessern sollten, um konkrete Erfolge erreichen zu können.
50
Zusätzlich können sie ihr Wohlbefinden steigern, wenn sie sich auch unabhängig von ihren
Leistungen positiver bewerten, so die Autorinnen.
Ein
geringes
Selbstwertgefühl
ist
häufig
der
Grund
und/oder
die
Ursache
der
Suchterkrankung. Oft waren bereits die Beziehungserfahrungen der frühen Kindheit nicht
selbstwertdienlich, zusätzlich ist das Selbstwertgefühl meist nach langen Jahren des
Konsums sehr niedrig und sehr brüchig. Ergebnis ist oft mangelnder Realismus in der
Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit, der sich entweder in einer starken
Überschätzung oder einer starken Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten ausdrückt.
Nach Behrendt (1996) kompensieren viele Drogenabhängige diese selbstempfundenen
Schwierigkeiten mit dem Gefühl, durch die Drogeneinnahme und die erlebten Erfahrungen
etwas Besseres zu sein.
Körkel und Schindler (2003) sprechen vom Selbsthass, den Abhängige häufig dann
entwickeln, wenn sie nach Abstinenzphasen wieder exzessiv konsumieren und damit für sie
selbst der Eindruck entsteht, der Sucht nichts Eigenes entgegen setzen zu können.
Dies erleben wir genauso in unserer Einrichtung. Daher ist die Auseinandersetzung mit dem
Selbst- und Fremdbild eine wesentliche Aufgabe während der Behandlungszeit. Ziel ist es,
Selbst- und Fremdbild realistisch zu überprüfen und dann eine Stabilisierung des
Selbstwertgefühles aufzubauen. Weiter scheint es uns wichtig, die Selbstwirksamkeit des
Patienten zu verbessern, so dass seine Abstinenzzuversicht zunimmt, damit er sich zutraut,
an seiner Situation erfolgreich und dauerhaft etwas verändern zu können, so dass dadurch
seine Abstinenzzuversicht wächst.
Die Aktivierung persönlicher Ressourcen gilt als ein wesentlicher Faktor beim Schutz gegen
Rückfälle (z.B. Körkel & Schindler 2003) und bedeutet eine Aktivierung sozialer
Kompetenzen, positiver Gefühle und Erfahrungen und sozialer Netzwerke.
Mögliche Interventionen:
-
Ressourcenaufbau (S. 158)
-
Ressourcenwaage (S. 158)
-
Rückmeldungen aus dem handlungsorientierten Bereich (S.160)
-
Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes (S 161)
Beziehungsgestaltung, Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Themen und
Sexualität
Das Thema Beziehung ist in der Suchtarbeit wesentlich. Häufig stammen die Abhängigen
aus Familien mit gestörten Beziehungsmustern. Die Beziehungen, die sie eingehen haben
51
deutliche Suchtstrukturen, der Partner wird instrumentalisiert, um eigene Defizite
auszugleichen und/oder um gute Gefühle zu vermitteln. Dabei werden die Schwierigkeiten
des Partners häufig nicht gesehen oder der Patient möchte den anderen aus seiner Not
retten, hier sei an die Co-Abhängigkeit erinnert. Minuchin (nach v. Schlippe 1995) beschreibt
drei unterschiedliche Beziehungsstrukturen innerhalb einer Familie, die das in der Praxis
erlebte fachlich darstellen. Die verstrickte Familie ist stark mit sich selbst beschäftigt, die
einzelnen Familienmitglieder stehen sich sehr nah, so dass Distanzen verschwinden und
Grenzen verwischt werden, die Autonomie des Einzelnen ist beeinträchtigt. Die größte Angst
verursacht hier die Trennung. Eine Störung bei einem der Familienangehörigen destabilisiert
das gesamte Familiengefüge. Genau das Gegenteil passiert in isolierten Familien, hier sind
die Grenzen sehr starr. Die Kommunikation über diese Grenzen hinweg ist schwierig. Das
Zugehörigkeitsgefühl innerhalb dieser Familien ist sehr schwach, es ist schwierig, um Hilfe
zu bitten. Hier wird die größte Angst durch Nähe ausgelöst. Störungen eines
Familienmitgliedes werden nicht beachtet. Zwischen diesen beiden Extremen sieht Minuchin
die gesunde Beziehungsstruktur. Die Grenzen zwischen den Angehörigen sind klar, aber
flexibel. Kontakt besteht innerhalb der Familie, ist aber genauso nach außen hin möglich.
Innerhalb des Familiensystems hat die Ehe der Eltern eine besondere Rolle, da sie ein
Subsystem innerhalb des Systems ist. Hier ist es wichtig, dass die Grenzen der Eltern als
Ehepaar eingehalten werden und nicht durch Kinder oder Großeltern aufgeweicht werden.
Oftmals kommt es bei Schwierigkeiten in der Ehe zu einer Grenzaufweichung, indem die
Kinder im elterlichen Konflikt instrumentalisiert werden, als Triangulation bezeichnet
(ebenda). Der aktuellere Begriff des „parenting“ beschreibt diesen Zustand ebenfalls. Meist
geht ein Elternteil eine Koalition mit einem Kind ein und versucht sich mit ihm gegen den
Ehepartner zu verbünden. Triangulationen werden von den Betroffenen meist geleugnet.
Trost (1999) schreibt hierzu, dass eine sichere emotionale Bindung, wie sie in einer
Familienstruktur mit klaren Grenzen weitergegeben wird,
für Kinder die wichtigste
Ressource zur Bewältigung von Unsicherheit, Angst und Stress sind. Der aus der
Psychoanalyse stammende Autor sieht die Entwicklung einer Suchterkrankung als eine
Störung des Prozesses des Erwachsenwerdens während der Adoleszenz.
Dem
Jugendlichen gelingt es nicht, die mit der Adoleszenz verbundene Aufgaben der sozialen
Integration in die Gesellschaft der Erwachsenen, der Ablösung vom Elternhaus und der
Entwicklung eines Rollenbildes für das eigene und das Gegengeschlecht zu lösen.
Betrachtet man die Lebensläufe der Patienten, sind klare Familienstrukturen nur sehr selten
zu finden. Häufig liegt bei einem Elternteil bereits eine Suchterkrankung vor, so dass die
Patienten bereits sehr früh Verantwortung innerhalb der Familie übernommen haben und von
dem nichtabhängigen Elternteil als Partnerersatz gesehen wurden. Diese erworbenen
52
Beziehungsstrukturen und die Erfahrungen der Grenzüberschreitung behindern die
erfolgreiche Entwicklung eines stabilen Selbstbildes, dass eine wesentliche Voraussetzung
für eine gesunde Beziehungsgestaltung ist. Die erlebten Beziehungsmuster werden meist mit
solchen Partnern fortgesetzt, die ebenfalls keine stärkenden Beziehungsstrukturen kennen
gelernt haben.
Um eine zufriedene Beziehung führen zu können, ist es notwendig, eine gute Beziehung zu
sich selbst aufgebaut zu haben. Dazu gehört, eine Vorstellung davon zu haben, wie man
sich in der eigenen Geschlechterrolle erlebt. Insgesamt finden wir bei den Patienten häufig
ein klassisches Rollenverständnis. Die weiblichen Patienten legen häufig,
einem alten
Rollenverständnis entsprechend, Wert darauf, beschützt und versorgt zu werden (Vogelsang
2006). Den bei den Männern offen dargestellten Machtanspruch drücken sie subtiler aus,
indem sie über ihre vordergründigen Schwächen Druck auf den Partner ausüben. Diese
unterschiedlichen Strategien gilt es bewusst zu machen, so dass weibliche Patienten aus der
Opferrolle heraustreten können und Männer nicht nur als Täter gesehen werden.
Erstaunlich ist, wie schnell Beziehungen während einer Langzeittherapie eingegangen
werden und dass sie, so schnell wie sie entstanden sind, auch wieder aufgelöst werden.
Hierzu schreibt Tretter (2001), dass er die Liebe mit dem Craving vergleicht, dem süchtigen
Verlangen und dem damit verbundenen Kontrollverlust. Das Zusammensein mit der
geliebten Person hat eine Rauschqualität und eine Trennung von der geliebten Person führt
zu dem Verlangen, wieder mit ihr im Kontakt zu sein. Tretter nennt Liebe, ein geistiges
Besetztsein von dem geliebten Menschen. Nachteile einer Person werden in der ersten
Phase intensiven Verliebtseins nicht gesehen. Das äußere Erscheinungsbild der Person
wirke wie berauscht. Für den Verliebten wird die geliebte Person zum Rauschmittel. Auch die
Sexualität gleicht einem Rauscherleben beim sexuellen Akt. Der Autor stellt die Frage, ob
dieses Streben anders ist als das süchtige Streben nach Alkohol (S. 184). Die Abhängigkeit
von Rauschmitteln könnte demnach ein fehlgeleitetes Liebesverhältnis sein.
Wir sehen es als wesentliche Aufgabe, gemeinsam mit den Patienten den Zusammenhang
zwischen seiner Beziehungsgestaltung und dem möglichen Konsum einer Beziehung und
seiner Sucht zu erarbeiten, um die Chance auf eine zufriedenstellende Beziehung zu
erhöhen und dies auch im Rahmen der Angehörigengespräche weiterzuführen.
Mögliche Interventionen:
-
Teilnahme an Frauen- und Männergruppe (S. 153)
-
Betrachten der bisherigen Paarbeziehungen in Gruppen- und Einzeltherapie (S. 156)
-
Sechs-Augen-Gespräch mit Patienten, die während der Behandlung eine Beziehung
beginnen (S. 160)
53
Angehörigengespräche
Der Kontakt zu Angehörigen kann für den Patienten sowohl positiv, als auch negativ sein.
Beck et al (1997) weist auf die Risiken hin, die mit ebenfalls drogenkonsumierenden
Familienangehörigen verbunden sind. Oft bedeutet die Abstinenzentscheidung damit eine
Entscheidung gegen den Kontakt zu diesen Familienmitgliedern. Bei abhängigen Partnern
steht eine mögliche Trennung im Raum. Aber auch nichtabhängige Angehörige, die den
Patienten bereits lange in seiner Sucht begleiten, können durch ihr für Außenstehende
verständliches Misstrauen und ihre Wut ein Risiko für die Abstinenzentscheidung des
Patienten sein, da eingespielte Verhaltensmuster zwischen den Partnern zu einem Rückfall
in alte Muster und später in den Drogenkonsum führen können. Es gibt mehr Angehörige, die
in einem süchtigen Umfeld leben, als Süchtige selbst (Klein 2001). Der Autor spricht von der
Mitbeteiligung der Partner bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Sucht. Körkel und
Schindler
(2003)
haben
in
ihrem
Rückfalltraining
ein
ganzes
Kapitel
dem
Angehörigengespräch gewidmet. Themen sind hier die mögliche Rückfälligkeit und der
erwartete Umgang der Partner damit, aber auch Befürchtungen und Wünsche der Partner an
den süchtigen Partner. Durch die Sucht des Partners habe die Angehörigen häufig viel
Verantwortung sowohl für den kranken Partner, als auch für die anderen Familienmitglieder
übernommen. Befindet sich der Suchtkranke nun in einer Entwöhnungsbehandlung,
erwarten sie, dass er bei seiner Rückkehr den vernachlässigten Pflichten nachkommt und
den
nichtabhängigen
Partner
unterstützt.
Diese
Forderung
löst
beim
Patienten
Versagensängste aus, die vor der Rückkehr in die Familie besprochen werden sollten.
Kinder Suchtkranker haben ebenso Verantwortung übernehmen müssen oder übernommen
und sind häufig verunsichert, wie der Elternteil zukünftig ohne Drogen seine Rolle
übernehmen wird und hat gleichzeitig Angst vor der Rückfälligkeit des Elternteils.
Andererseits können Schwierigkeiten in der Elternbeziehung das Kind selbst in die Sucht
führen. Diese komplexen Verbindungen, sollten im Rahmen der Angehörigengespräche
unter Moderation eines Therapeuten bearbeitet werden. Die zukünftige Gestaltung der
Familienbeziehung sollte besprochen werden und das emotionale Erleben beider Seiten
sollte offen angesprochen werden. Im Idealfall finden mehrere Angehörigengespräche
während eines Behandlungsaufenthaltes statt, oftmals ist es aber auch nur ein Gespräch
und weitere Auseinandersetzungen finden ohne Therapeut bei Besuchen oder Heimfahrten
statt. Ziel ist es, die Angehörigen soweit möglich konsequent in die Behandlung des
abhängigen Patienten einzubeziehen und die Themen, die in der Behandlung des
Betroffenen relevant sind, auch im Angehörigengespräch zu bearbeiten.
54
Auseinandersetzung mit dem emotionalen Erleben
„Unabhängig vom Zeitpunkt des Rückfalls kristallisieren sich immer wieder unangenehme
Gefühle
unterschiedlichster
Qualität
und
Intensität
als
wichtigster
Faktor
des
Rückfallgeschehens heraus“ (Körkel & Schindler 2003, S.19). Dazu gehören nach Angabe
der Autoren Angstzustände, depressive Verstimmungen oder Depressionen, Gefühle innerer
Leere, Verlusterlebnisse, aber auch aufkommende Wahnsymptome oder unangenehme
Nebenwirkungen von Psychopharmaka. Daraus ergibt sich die Aufgabe, besonders im
Rahmen der Rückfallprävention, die Patienten zu befähigen, belastendes emotionales
Erleben ohne Rauschmittel zu regulieren. Doch zunächst einige theoretische Informationen
über den nicht immer eindeutigen Begriff der Emotion.
Margraf (2000) definiert den Begriff der Emotion wie folgt: „in der Verhaltenstherapie meist
mit Hilfe
eines Mehr- oder Dreiebenen-Ansatzes als komplexes Reaktionsmuster
aufgefasste Vorgänge, die mit physiologischen, kognitiven und Verhaltensänderungen sowie
subjektiven Valenzurteilen (…) einhergehen. Bei starken Emotionen kann es zu zeitweisen
Beeinträchtigungen des klaren Denkens und angemessenen Handelns kommen“ (S. 570).
Im Unterschied zum Gefühlsbegriff schließt die Emotion auch den körperlichen Zustand und
die Verhaltensebene der Person mit ein. Das Gefühl macht lediglich einen Teil der
Emotionen aus (Schmidt-Atzert 1996). Emotionen sind nicht alleine auf äußere Ereignisse
zurück zu führen, sie hängen auch vom momentanen Zustand und von zeitlich
überdauernden
Personenmerkmalen
ab.
Die
durch
eine
Situation
ausgelösten
Veränderungen laufen nicht synchron auf den verschiedenen Ebenen ab. Der Autor bezieht
sich unter anderem auf Ausführungen von Schachter und Singer (1962), die davon
ausgehen, dass die physiologische Erregung nur für den Aspekt der erlebten Intensität
verantwortlich sein kann. Ob ein Mensch Angst, Freude oder eine andere Emotion erlebt,
ergibt sich aus der Wahrnehmung und kognitiven Verarbeitung der Situation. Der Mensch
sucht demnach nach einer Erklärung für eine durch ein Ereignis ausgelöste unspezifische
physiologische
Reaktion.
Die
Erklärung
liefert
die
Situation.
Ein
Geschenk
löst
beispielsweise Freude aus, der Anblick einer Schlange löst vermutlich eher Angst aus.
Zur Neuroanatomie der Emotionen sei an dieser Stelle nur soviel gesagt, dass man heute
weiß, dass Strukturen des limbischen Systems maßgeblich an der Bildung von Emotionen
beteiligt sind, besonders die Amygdala, auch Mandelkern genannt. Weiter spielen
Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin u.a. eine wesentliche Rolle bei der Bildung von
Emotionen (Birbaumer & Schmidt 1996). Sie werden durch die Einnahme von Drogen
ebenfalls manipuliert, so dass die Patienten lernen, durch die Drogeneinnahme positive
Emotionen stimulieren zu können, besonders wenn sie in ihrer Alltagssituation negative
55
Emotionen erleben, woraus sich das zu Beginn von Körkel und Schindler beschriebenen
erhöhte Rückfallrisiko bei negativem emotionalen Erleben ergibt.
Mit dem emotionalen Erleben setzen sich die Patienten im Rahmen der Einzel- und
Gruppentherapie
auseinander.
Das
Thema
Emotionen
wird
besonders
in
der
Indikationsgruppe „Emotionen“ behandelt. Die Inhalte des Emotionstraining werden im
Kapitel Trainingsprogramme (S. 160) vorgestellt. Aber auch in der Rückfallprophylaxe wird
der Themenkomplex „Emotionen“ bearbeitet.
Mögliche Interventionen:
-
Emotionstagebuch (S. 152)
-
Emotionstraining (S. 166)
Rückfallprophylaxe
Der Rückfall ist ein häufiges Ereignis während und nach der Behandlung von Abhängigen,
stellt Margraf (2000) fest. Körkel und Schindler (2003) schreiben: „nach sozial-kognitivem
Rückfalldenken ist erneuter Alkoholkonsum der statistisch erwartbare Normalfall, auf den
man sich realistischerweise einstellen sollte“ (S. 31). Margraf (2000) schreibt, dass rund zwei
Jahre nach der Behandlung 70 % der Patienten mit einer Heroinabhängigkeit rückfällig
geworden sind. Die Haltung gegenüber Rückfällen ist in der deutschen Suchthilfe nicht
einheitlich, tendiert aber vermehrt in die Richtung, das stationäre Langzeitentwöhnungen mit
rückfälligen Patienten weiterarbeiten und nicht sofort die Behandlung beenden. Dies ist auch
die Haltung der Fachklinik Liblar. Marlatt und Gordon (1985) haben ein kognitives
Rückfallmodell vorgestellt. Die Autoren gehen davon aus, dass ein Rückfall eine längere
Vorlaufzeit hat, in der sich auf der Verhaltensebene bereits Hinweise auf die Rückfälligkeit
zeigen. Als begünstigende Faktoren eines Rückfalls werden immer wieder kritische
Lebenssituationen, Konfrontation mit Risikosituationen und das Fehlen konstruktiver
Bewältigungsstrategien genannt. Durch die Risikosituation werden suchtspezifische
Grundannahmen aktiviert, wie z.B. „ohne Drogen ist das Leben langweilig“. Den
Grundannahmen folgen die automatischen Gedanken, hier als mögliches Beispiel:“es ist
Zeit, es sich gut gehen zu lassen“. Mit diesen Gedanken verbunden ist der Drang oder das
Verlangen, Suchtmittel zu konsumieren, die Gedanken werden zum internalen Auslöser, die
durch erlaubnisgebende Gedanken wie „einmal kann ich ja konsumieren“ mit zunehmender
Wahrscheinlichkeit zur konkreten Handlung führen, der Abhängige besorgt sich das
Suchtmittel und konsumiert (dazu auch S.43, dysfunktionale Kognitionen). Ist es zum ersten
Konsum gekommen, spricht man heute vom Ausrutscher oder „lapse“ im Englischen. Dieser
Vorfall kann zum Auslöser weiteren Konsums werden, wenn nun selbstkritische
56
automatische Gedanken ausgelöst werden, wie:“ich werde es niemals schaffen, abstinent zu
sein“.
Diese können dann zu einer Fortsetzung des Konsumverhaltens führen, der
Abhängige ist in seinem Suchtverhalten gefangen (Beck et al 1997). Für die therapeutische
Arbeit bedeutet das eine intensive Auseinandersetzung mit möglichen Risikosituationen des
Patienten
und
der
Aufbau
einer
möglichst
stabilen
Selbstwirksamkeit
und
Abstinenzzuversicht. Das Herausarbeiten der Risikosituationen sollte mit viel Sorgfalt
betrieben werden, denn je länger ein Patient konsumiert hat, desto mehr Risikosituationen
gibt es für ihn. Hinter den Risikosituationen stehen verschiedene gedankliche Muster, die
ihm im Laufe seines Therapieaufenthaltes klar werden sollten.
Als kritische Zeit nach einer Entwöhnungsbehandlung gelten die ersten drei Monate (Körkel
& Schindler 2003). Hier werden die meisten Abhängigen rückfällig 40% (Angaben für
Alkoholiker). In den weiteren drei Monaten werden nochmal 10 % rückfällig und in den
folgenden
sechs
Monaten
kommt
es
bei
weiteren
10
%
der
Patienten
zur
Abstinenzverletzung, so dass innerhalb des ersten Jahres 60 % der Betroffenen erneut
rückfällig geworden sind. Patienten, die diese Zeit überstanden haben, haben gute
Aussichten, längerfristig abstinent zu bleiben. Diese Zahlen zeigen die Notwendigkeit einer
Rückfallprophylaxe während und nach der Behandlung, besonders zu den Zeiten des
Übergangs, beispielsweise von der stationären Behandlung zurück in das alte Umfeld.
Mögliche Interventionen:
-
Gedankenstopp (S. 153)
-
Geleitetes Entdecken (S. 154)
-
Rückfallprozedere (S. 159)
-
Erarbeiten und Überprüfen dysfunktionaler Kognitionen (S. 163)
-
Rückfallprophylaxe (S. 178)
Gesundheitsinformation
Die Suchtmittelabhängigkeit hat für den Betroffenen vielfältige medizinische Folgen, selbst
wenn er den Konsum einstellt (Beck et al 1997). Bei Heroinabhängigen mit intravenösem
Konsum liegen meist erhebliche Gefäßprobleme vor, die Leber ist geschädigt durch
Alkoholkonsum oder eine der möglichen Hepatitisformen. Andere Infektionserkrankungen
wie AIDS stellen ein weiteres Risiko dar. Herzerkrankungen und Kreislaufprobleme können
Folge des Drogenkonsums sein, zusätzlich Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
(Tretter 2001). Die meisten Patienten, die in unserer Einrichtung ihre Behandlung beginnen,
liegen mit ihrem Gewicht unterhalb des Normalgewichtes. Für viele weibliche Patienten ist
die Gewichtszunahme während der Behandlung ein großes Problem. Die mit dem
57
Untergewicht verbundenen Störungen wie Amenorröh nehmen sie häufig in Kauf, um dem
gängigen Schönheitsideal zu entsprechen. Allerdings stabilisiert sich durch die regelmäßige
Nahrungsaufnahme während einer Langzeitentwöhnung der Hormonhaushalt wieder. Aus
diesen Gründen finden in regelmäßigen Abständen Großplenen statt, in denen Mediziner
über die Themenschwerpunkte Hepatitis, Geschlechtskrankheiten, AIDS, Herz-Kreislaufbeschwerden und gesunde Bewegungsabläufe und gesunde Ernährung informieren. Ich
habe diesen Punkt trotzdem hier aufgenommen, da die Auseinandersetzung mit einer
gesunden Lebensweise auch in der Gruppen- und Einzeltherapie immer wieder statt findet.
Aktive Freizeitgestaltung
Dieser Punkt deckt sich teilweise mit der Sitzung 8 der Rückfallprophylaxe S. 178. Trotzdem
möchte ich an der Stelle auch noch einmal darauf eingehen.
Die Drogensucht hat meist den gesamten Tag des Patienten strukturiert und alle Kraft und
Zeit in Anspruch genommen, so dass für andere Aktivitäten keine Kapazitäten mehr frei
waren. Fällt dieser strukturgebende Faktor weg, bleibt viel Zeit übrig, die der Patient
gestalten muss. Patienten mit Therapieerfahrung und Rückfallerfahrung wissen, dass
Berufstätigkeit alleine die Lücke, die der fehlende Konsum hinterlässt, nicht füllen kann. „Vor
allem
ein
Ungleichgewicht
zwischen
täglichen
Verpflichtungen
(…)
und
Regenerationsmöglichkeiten (…) trägt zu einem unausgewogenen Lebensstil bei (…). Wenn
dem Belastungspegel langfristig nichts an angenehmen Dingen entgegengesetzt wird, erhöht
sich die Bereitschaft, sich durch Alkoholkonsum Erleichterung zu verschaffen“ (Körkel &
Schindler 2003, S. 307).
Besonders die Abende und Wochenenden werden häufig als langweilig und somit negativ
erlebt und immer wieder als einen der Rückfallgründe angeben, wenn es auch meist nicht
der ausschlaggebende Grund ist. Das ist einer der Gründe, weswegen in der Klinik der
Einzelausgang mit der Aufgabe verbunden ist, sich in einem Sport- oder Freizeitverein
anzumelden und diesen regelmäßig zu besuchen. Durch die Koppelung an die Möglichkeit,
die Klinik alleine zu verlassen, wird der Anreiz erhöht, sich hier tatsächlich zu engagieren, da
sonst die Möglichkeit des Einzelausgangs wegfällt. Ziel soll es somit auch sein, drogenfreie
Kontakte zu knüpfen, was für viele Drogenabhängige eine Herausforderung ist, da sie davon
ausgehen, dass Nichtabhängige ihnen mit vielen Vorurteilen begegnen und sie ablehnen
werden. Insofern ist es auch eine positive Erfahrung für das meist negative Selbstwertgefühl
des Patienten, wenn er tatsächlich Anschluss in einem örtlichen Verein findet und erleben,
dass er, wenn er auf die Drogeneinnahme verzichten, wieder anerkannt wird.
58
4.5.3 Behandlungspfad der Abschlussphase
QMVA IV. 5. 3 Behandlungspfad Abschlussphase 18. – 26.Behandlungswoche
Aufnahme in die
Abschlussphase
Beobachtung des
Sozialverhaltens in der
Gruppe
Verantwortung
1
Bemerkungen
1 - 18
Bezugstherapeut
Einzeltherapeut
2 QMFB IV 5 7
Indikationsgruppen
Unterschriftenliste
Teilnahme an der
Rückfallprophylaxe
2
Krisenbewältig.
Stressmanagem. /
Notfallheft
Ausgewogenheit
v. Selbst- u. Gem.
schaftsverantwortung
5
Erhöhung der
Selbstwirksamkeit
Nachsorgeplanung
Adaption / BeWo
Durchführung von
Rehafahrten/
Heimfahrten
7
10
3
Besuch einer
Selbsthilfegruppe
4
6
8
Erarbeiten von
Berufsperspektiven
Erarbeitung von
Zukunftsperspektiven
9
10 QMFB IV.10.3
Rehafahrtscheine
11
Reflexion i.
Einzel. /Gruppe
12 QMFB IV.5.5
SGELaufzettel_Freizeit
gestaltung
Erarbeitung aktiver
Freizeitgestaltung
12
13
Abschied aktiv
gestalten
14 QMFB IV.11.3
Patientenfragebog
en
Abschlussdiagnostik
14
Psychologischer
Test: BSI
15
Zielvereinbarun
gen überprüfen
16
Nacharbeit
fehlender
Themen
17
nein
Aufgaben
erfüllt??
ja
Entlassung
18
59
Die letzte Phase der Behandlung dauert von der 18. bis zur 26. Behandlungswoche. Hier
liegt der Schwerpunkt in der guten Vorbereitung auf die Zeit nach der Therapie. Die in der
Kernphase begonnene Rückfallprophylaxe soll hier zu Ende geführt werden. Gleichzeitig ist
es Pflicht für alle Patienten, während ihres Aufenthaltes wenigstens einmal eine
Selbsthilfegruppe zu besuchen. Wir begrüßen es, wenn sich ein Patient verschiedene
Selbsthilfegruppen anschaut, um Unterschiede in der Arbeitsweise zu erleben und um zu
verhindern, dass er im Falle des Missfallens einer Gruppe das gesamte Selbsthilfekonzept
ablehnt. Es ist für die Patienten eine wichtige Übung zur Frustrationstoleranz, wenn sie
erleben, dass etwas nicht schlecht ist, nur weil beim ersten Versuch nicht alles optimal war.
Es geht in der letzten Behandlungsphase weiter darum, Strategien zur Krisenbewältigung zu
entwickeln und das bisherige Stressmanagement zu verbessern.
Da zwei Drittel der Behandlung bereits hinter dem Patienten liegen,
sollte er vermehrt
Verantwortung in der Großgruppe übernehmen, ohne seine eigenen Aufgaben aus dem Blick
zu verlieren. Dies ist für viele Patienten schwierig, da sie entweder sehr stark in der
Großgruppe engagiert sind und dies zur Vernachlässigung ihrer eigenen Pflichten führt, oder
aber sie zeigen nur wenig Engagement für die Großgruppe mit der Begründung, sie müssten
sich jetzt um ihre Nachsorge kümmern. Bei der Planung der Nachsorge, also ob sich jemand
für eine Adaption, ein betreutes Wohnen oder eine ambulante Nachsorge im Anschluss an
die stationäre Behandlung entscheidet, geht es wieder um die Entwicklung konkreter
Zukunftsperspektiven und der Abklärung der beruflichen Perspektive. Diese Aufgaben
werden dem Patienten umso besser gelingen, je höher seine Selbstwirksamkeit ist. Unter
Umständen muss hier noch einmal nachgearbeitet werden, sowohl in den Einzelgesprächen,
als auch in der Gruppentherapie. Patienten werden oft während der Kernphase wesentlich
sicherer, ihr Zutrauen in die eigene Abstinenzfähigkeit steigt, sie sind stolz darauf, über einen
längeren Zeitraum keine Drogen mehr konsumiert zu haben, die körperlichen Beschwerden
durch den oft langjährigen Konsum und den Entzug haben sich verbessert, die
Leistungsfähigkeit im psychischen und physischen Bereich ist erhöht. Schreitet die
Behandlungszeit weiter fort und sehen die Patienten die Umsetzung des Gelernten auf sich
zukommen, sinkt die Zuversicht wieder, alles Erreichte wird in Frage gestellt und die
Vertrautheit des alten Umfeldes lockt wieder ins alt bekannte Fahrwasser. Eine Stabilisierung
der Selbstwirksamkeit durch die Würdigung des bisher Erreichten und eine konkrete
Planung, um die mit der Veränderung verbundene Angst vor dem Neuen zu reduzieren, ist
jetzt unbedingt notwendig. An dieser Stelle bieten auch externe Belastungserprobungen in
Form von Heimfahrten oder Rehabilitationsfahrten die Möglichkeit der Überprüfung.
Auch in dieser Phase ist, wie auch in der Kernphase, weiterhin die aktive Freizeitgestaltung
ein wichtiges Aufgabenfeld für die Patienten, gerade jetzt ist sie wichtig, damit sie die
60
Fortsetzung von Freizeitaktivitäten in Zeiten üben, die sie als emotional belastet erleben,
denn häufig ist ein Anzeichen für beginnende Rückfälligkeit das Vernachlässigen von
positiven Aktivitäten und ein Zurückgleiten in passive Verhaltensmuster (Körkel &Schindler
2003).
Obwohl zu Behandlungsbeginn für viele Patienten die Behandlungsdauer von 26 Wochen
schier endlos zu sein scheint, stellen sie in der 20. Woche fest, dass alles doch sehr schnell
gegangen ist. Aus der Lebensgeschichte vieler Patienten heraus ist Abschied nehmen von
etwas, was sie meist mit unangenehmen Erfahrungen verbinden, daher ist der Impuls meist
groß, den Abschied nicht vorzubereiten und am letzen Tag einfach zu gehen. Uns ist wichtig,
dass dies nicht geschieht, sondern dass der Patient seine Behandlung noch einmal im
Rahmen der Gruppentherapie reflektiert und einen Abschied mit ihm nahestehenden
Patienten gestaltet, bevor er in die nächste Phase seiner Abstinenzentwicklung wechselt.
Circa vier Wochen vor Behandlungsende wird gemeinsam mit dem Patienten überprüft,
inwieweit die vereinbarten Ziele erreicht wurden, an welchen Punkten nach nachgearbeitet
werden muss und was als Aufgabe mit in die nächste Behandlungsphase, die Adaption oder
Nachsorge genommen wird und dort weiter bearbeitet werden sollte. In der letzen
Behandlungswoche findet die Abschlussdiagnostik statt. Der Patient füllt noch einmal den
BSI aus und den Fragebogen zur Klinikbewertung (Anhang D, S. 199), in dem er seinen
Aufenthalt in unserer Einrichtung bewerten kann.
Die Aufgaben der Abschlussphase sind somit:
•
Rückfallprophylaxe / Besuch einer Selbthilfegruppe
•
Stressmanagement zur Krisenbewältigung
•
Ausgewogenheit von Selbst- und Gemeinschaftsverantwortung
•
Planung der Nachsorge
•
Entwickeln einer beruflichen Perspektive
•
Gegebenenfalls Verbesserung der Selbstwirksamkeit
•
Externe Belastungserprobung
•
Aktive Freizeitgestaltung
•
Gestalten des Abschieds
Rückfallprophylaxe / Besuch einer Selbsthilfegruppe
Für die Rückfallprophylaxe verweise ich auf die Ausführungen der Kernphase S. 56.
Zum Besuch der Selbsthilfegruppen sagen verschiedene Autoren immer wieder, dass für die
Aufrechterhaltung der Abstinenz der regelmäßigen Besuch
einer Selbsthilfegruppe ein
61
wesentlicher Faktor ist (Zeitler 2001, Körkel & Schindler 2003, Lindenmeyer 2005). Körkel
und Schindler (2003) zitieren eine Untersuchung von Montgomery et al (1995) die zeigt, dass
die aktive Auseinandersetzung mit dem 12-Punkte- Programm der Anonymen Alkoholiker bei
Betroffenen zu einem reduzierten Trinkverhalten oder zur Abstinenz führte (S.451). Ein
wesentlicher Vorteil sei der Gruppenkontakt im Falle des erneuten Trinkens. Die Gruppe
werde in diesen Situationen als sehr hilfreich erlebt, da sie den Betroffenen besser
unterstützen könne als Angehörige, die, wenn sie überhaupt von dem Rückfall wissen, oft
hilflos oder vorwurfsvoll reagieren. Wichtig ist allerdings, dass der Betroffene sich in der
Gruppe wohl fühlt und zu den Teilnehmern ein vertrauensvoller Kontakt besteht. Als einige
Charakteristika einer guten Selbsthilfegruppe seien hier erwähnt: die Art der Gruppenleitung,
Verschwiegenheit nach außen, freundliche Aufnahme in der Gruppe, freundlicher Umgang
der Teilnehmer miteinander, die Gruppenstruktur, die Zusammensetzung der Teilnehmer, ein
günstiger zeitlicher Rahmen, und auch gemeinsame Freizeitaktivitäten (Körkel & Schindler
2003).
Der Besuch einer Selbsthilfegruppe während des Aufenthaltes in unserer Klinik geschieht
meist gemeinsam mit anderen Patienten. Viele besuchen die Narcotics Anonymous in Köln
oder die Selbsthilfegruppe Keup, die von zwei ehemaligen Patienten der Einrichtung
gegründet wurde und deren Arbeitsweise der unserer Klink ähnlich ist. Dies finden manche
Patienten positiv, es ist etwas Vertrautes, viele freuen sich aber auch, ein anderes Konzept
kennen zu lernen. Oft wird die erste Angst vor dem Besuch der Selbsthilfegruppe dadurch
reduziert, dass sich die NAs in großen, aber regelmäßigen Abständen in unserer Einrichtung
vorstellen.
Stressmanagement zur Krisenbewältigung
Der
bevorstehende
Wechsel
aus
der
stationären
Langzeittherapie
in
die
Nachsorgeeinrichtung oder zurück in die alte Umgebung löst bei vielen Patienten Stress aus,
der ein mögliches Rückfallrisiko darstellt.
Die Stressforschung hat gezeigt, dass neuroendokrine und vegetative Stressreaktionen dann
ein besonderes Risiko darstellen, wenn sie über einen längeren Zeitraum andauern (Kaluza
2005). Dabei wird der Stress im Wesentlichen durch die subjektive Bewertung des
Betroffenen ausgelöst und durch die Strategien, die er anwendet, um den Stress zu
bewältigen.
Der Autor unterscheidet zwischen einem instrumentellen Stressmanagement, bei dem das
Ziel die Reduzierung der Stressoren ist, dem kognitiven Stressmanagement, das die
kognitive Bewertung überprüft, und dem palliativ regenerativen Stressmanagement, also der
Entspannung und Regeneration in und im Anschluss an Stressphasen.
62
Als Interventionsmethoden nennt Kaluza psychophysiologische Entspannungsverfahren wie
die
Progressive
Muskelrelaxation,
Methoden
der
kognitiven
Umstrukturierung,
die
Vermittlung von Selbstmanagementkompetenzen, das Training von selbstbehauptendem
Verhalten und von sozial-kommunikativen Kompetenzen.
Rief (2000) spricht von Maßnahmen zur psychischen Stabilisierung, die die Lebensqualität
verbessern und die Risikofaktoren reduzieren sollen, um dadurch die Gefahr eines Rückfalls
zu minimieren. Er empfiehlt ein Emotionstraining, ein Kommunikationstraining, Übungen zur
Stressreduktion und Steigerung des körperlichen Wohlbefindens. Körkel und Schindler
(2003) empfehlen zur Stressbewältigung besonders Entspannungstechniken wie autogenes
Training oder Meditation.
Jetzt heißt das Kapitel allerdings Stressmanagement zur Krisenbewältigung. Das Ende der
Behandlung, dass ja bereits am Aufnahmetag feststeht, wenn nichts Besonderes
dazwischen kommt, kann an sich ja nicht als Krise gesehen werden, da die sich nach dem
Duden (1982) als Wende- oder Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung definiert und so
sollte man eine Therapie ja eigentlich nicht beschreiben. Als Krise erleben die Patienten
beispielsweise eher den Verlust des Arbeitsplatzes, Wohnungsverlust, Beziehungsverlust
(Beck et al 1997). Trotzdem trifft ein Quäntchen von jedem der genannten Beispiele auf das
Ende der Behandlung zu, da nun wieder neue Aufgaben auf die Patienten zukommen, sie
wechseln in ein anderes Umfeld und geknüpfte Kontakte werden durch räumliche Distanz
getrennt. Der hier liegende Unterschied zwischen Stress und Krise ist ein wesentlicher, den
der Patient lernen muss. Nach dem Stressmodell von Margraf und Schneider (1990) können
die Ausprägungen der Anspannung als hoch und niedrig beschrieben werden. Ist die
allgemeine Anspannung niedrig, kann mit den alltäglichen Stressoren gut umgegangen
werden, auch wenn größere Belastungen auftreten, kann die Person noch ein Gefühl von
Kontrolle haben. Liegt eine hohe allgemeine Anspannung vor, können bereits alltägliche
Stressoren zu einem Stresserleben führen, wodurch die Schwelle überschritten wird, ab der
die Person ein Problemverhalten zeigt. Es soll deutlich werden, dass Stress auch durch
alltägliche kleine Probleme ausgelöst werden kann, wenn die allgemein erlebte Belastung
hoch ist.
Häufig schaffen Drogenabhängige es sehr gut, anstehende Aufgaben zu verdrängen und
damit einen möglichen Stressor zu schaffen, der sie dann unter Umständen in eine Krise
führen kann. Und hier kann dann ein Teufelskreis entstehen, da Krisen
häufig in den
Rückfall führen und dieser wiederum die Krise verstärkt (ebenda). Wir bieten aktuell noch
kein Stressmanagement im Sinne eines kompakten Trainings an, eine Auseinandersetzung
findet während der Gruppentherapie und in den Einzelgesprächen statt.
Die Auseinandersetzung mit dysfunktionalen Kognitionen ist eine wesentliche Aufgabe in der
63
Kernphase der Behandlung und begegnet dem Patienten erneut in der Rückfallprophylaxe,
die sich in die Abschlussphase erstreckt. Ebenfalls in der Kernphase und in der
Abschlussphase besucht der Patient einen Sportverein oder einen Verein seiner Wahl und
übt damit eine aktive Freizeitgestaltung, die einen positiven Ausgleich für den
Behandlungstag darstellt. Andere hier angesprochene Interventionen bieten wir im Rahmen
der einmal wöchentlich stattfindenden Indikationsgruppen an. Hierzu gehören:
-
Progressive Muskelrelaxation (S. 157)
-
Emotionsregulationstraining (S. 166)
-
Genusstraining (S. 170)
Ausgewogenheit von Selbst- und Gemeinschaftsverantwortung
Zu dieser Aufgabe habe ich in der Literatur nichts finden können. Es geht aus unserer Sicht
darum, dass die Patienten entweder zu viel Verantwortung in der Gemeinschaft
übernehmen, so wie sie es häufig in ihren Ursprungsfamilien bereits gemacht haben, oder
aber jede Verantwortung weit von sich weisen, da sie es nicht gelernt haben, für sich selbst
und ihr Handeln Verantwortung übernehmen zu müssen. So spielt hier die jeweilige
Familiengeschichte des Patienten eine wesentliche Rolle. Wichtig ist es bei dieser Aufgabe,
dass der Patient als Teil einer Gemeinschaft lernt, dass er sowohl Verantwortung für sich
übernehmen soll und sich beispielsweise um seine Nachsorge kümmern muss, dass er aber
auch eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft hat und dieser auch in Zeiten
persönlichen Stresses nachkommen muss. Hierbei braucht er die Unterstützung durch die
Bezugstherapeuten und die Mitpatienten. Durch Rückmeldungen wird ihm gezeigt, inwieweit
die „Verantwortungswaage“ sich im Gleichgewicht befindet.
Planung der Nachsorge
Es sei eine allgemeine Lebenserfahrung, dass der Mensch in der Regel ca. ein Jahr
benötige, um ihm wichtige Lebensgewohnheiten derart umstellen zu können, dass sich sein
Leben wieder vollkommen normalisiere und ihm die Veränderung zur zweiten Natur
geworden sei, schreibt Lindenmeyer (2005). Alleine aus diesem Grund ist die
Nachsorgebehandlung im Anschluss an die stationäre Entwöhnungsbehandlung notwendig,
abgesehen davon, dass die wenigsten Patienten während ihres Aufenthaltes alle
anstehenden Themen ausreichend bearbeitet können. Immerhin geschehen die meisten
Rückfälle innerhalb der ersten drei Monate. Wir gehen von einer Rekonvaleszensphase von
mehreren Jahren aus, ohne dass dies wissenschaftlich belegt ist. Wissenschaftlich belegt ist
durch Rückfallstudien, dass Patienten, die in den ersten beiden Jahren nicht rückfällig
geworden sind ein deutlich reduziertes Rückfallrisiko haben (z.B. Margraf 2000). Wir
64
empfehlen allen Patienten, soviel Unterstützung wie möglich in Anspruch zu nehmen, um
Rückfälligkeit zu vermeiden.
Das deutsche Suchthilfesystem bietet ein breit gefächertes Nachsorgeangebote an. Für
arbeitslose Abhängige besteht die Möglichkeit, eine Adaptionsbehandlung anzuschließen,
die zwischen 13 und 16 Wochen dauert. Daran kann ein betreutes Wohnen angeschlossen
werden, das bis zu zwei Jahre dauern kann, je nachdem wie viel Unterstützung der Patient
braucht und haben möchte. Daran kann sich eine ambulante Nachsorge anschließen, die
häufig über Drogenberatungsstellen, Suchtambulanzen, Selbsthilfegruppen, Psychologen
und Psychotherapeuten angeboten wird.
Viele Patienten begeben sich während des Betreuten Wohnens gleichzeitig in eine
ambulante Psychotherapie, um weiterhin auch therapeutische Unterstützung bei der
Entwicklung einer stabilen Abstinenz zu haben.
Die meisten unserer Patienten sind durch den langjährigen Drogenkonsum arbeitslos
geworden. Viele haben in den letzen zwei und mehr Jahren nicht mehr regelmäßig
gearbeitet. Für sie ist der Wiedereinstieg ins Berufsleben mit Versagensängsten verbunden.
Aus diesem Grund empfehlen wir nahezu allen Patienten im Anschluss an die
Langzeittherapie eine Adaptionsmaßnahme. Hier kann der Patient meist zwei Praktika
absolvieren und dabei erproben, wie er mit den Belastungen des Arbeitsalltags, der
geregelten Struktur und den am Arbeitsplatz geltenden Hierarchien zurecht kommt.
Schwierigkeiten werden in Einzelgesprächen oder in der Gruppe zusammen mit den anderen
Adaptionshausbewohnern besprochen. Ab und an ergeben sich über den Praktikumsplatz
Möglichkeiten einer Festanstellung, oder es wird zumindest deutlich, ob der Patient in
diesem Arbeitsfeld tätig werden möchte oder nicht. Leider ist es gerade bei erstbehandelten
Patienten oft der Fall, dass sie eine Adaptionsmaßnahme ablehnen, da sie sich durch die
stationäre Entwöhnung ausreichend abstinent fühlen.
Manchmal geling es uns, diese
Patienten von einem betreuten Wohnen zu überzeugen, damit ein gewisses Maß an
Unterstützung und Begleitung bei alltäglichen Schwierigkeiten noch gewährleistet ist.
Normalerweise
empfehlen
wir
das
betreute
Wohnen
im
Anschluss
an
die
Adaptionsbehandlung. Wie auch die oben genannten Autoren empfehlen wir während der
gesamten Zeit und über die Zeit der betreuten Nachsorge hinaus den regelmäßigen Besuch
der Selbsthilfegruppen, wie unter dem Punkt Rückfallprophylaxe und Besuch einer
Selbsthilfegruppe (S. 61) beschrieben. Eine Nachsorge in Form einer Adaption oder eines
betreuten Wohnens hat den weiteren Vorteil, dass der Patient sich auch räumlich neu
orientieren kann. Häufig ist das alte Umfeld drogennah, die Familien zeigen Suchtstrukturen,
so dass das Risiko sehr hoch ist, dass die noch instabilen neu erworbenen Verhaltensweisen
in den alten vertrauten Strukturen der Familienbeziehungen untergehen und der Patient,
65
beginnend mit Verhaltensrückfällen, auch stofflich wieder rückfällig wird.
Einmal monatlich wird das Thema Nachsorge im Rahmen der Indikationsgruppen extra
behandelt.
Hier
erhalten
die
Patienten
Informationen
über
die
verschiedenen
Nachsorgemöglichkeiten. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Angebote werden
abgewogen, und es wird individuell auf jeden Teilnehmer bezogen überlegt, was für ihn am
passendsten sein könnte. Da dieses Angebot als Indikationsgruppe alleine aber zu wenig
ist, um eine ausreichende Motivation für eine Nachsorgebehandlung aufzubauen, wird
dieses Thema auch immer wieder in der Gruppen- und Einzeltherapie angesprochen. Wenn
klar wird, dass ein Patient an einem bestimmten Punkt für sich nicht weiterkommt oder auch
im Rahmen der Arbeitstherapie Schwierigkeiten auftauchen, geben wir immer wieder den
Hinweis, dass dies Gründe sind, die eine stationäre Nachsorge sinnvoll erscheinen lassen,
so dass der Patient langsam an die Notwendigkeit herangeführt wird.
Mögliche Interventionen:
-
Besuch einer Selbsthilfegruppe als verpflichtende Aufgabe während der Behandlung
-
Bewerbungsfahrten zu Nachsorgeeinrichtungen (S. 150)
Entwicklung einer beruflichen Perspektive
Für die meisten Menschen schafft eine Berufstätigkeit, die zufrieden stellt und den
Lebenserwerb sichert, ein Gefühl der gesellschaftlichen Integration. Der Verlust des
Arbeitsplatzes bedeutet für viele einen verlorenen Kampf um Anerkennung, wodurch
süchtige Verhaltensweisen gefördert werden können (Baumeister 2006). Hinzu kommt bei
längerer Arbeitslosigkeit die Angst, den im Berufsleben gestellten Anforderungen nicht mehr
gewachsen zu sein. Das ist ein wesentlicher Grund für die Bedeutung die der Entwicklung
einer realistischen beruflichen Perspektive beigemessen wird. Ein anderer Grund ist, dass
die beruflichen Reintegration ein wesentliches Ziel des Rentenversicherungsträgers für die
stationäre Langzeitentwöhnungsbehandlung ist. Alle bis hierhin vorgestellten Maßnahmen
haben den Zweck, die Arbeitsfähigkeit und die gesellschaftliche Teilhabe des Patienten
wieder herzustellen. Für die Patienten ist das zunächst meist nicht klar, hier steht die
Abstinenzwerdung im Vordergrund, Angehörige sehen das meist ähnlich. Das Thema der
beruflichen Zukunftsorientierung ist für viele Betroffene unangenehm, weil sie, mehr ahnend
als wissend, ihre Chancen auf dem heutigen Arbeitsmarkt gering einschätzen.
In den ersten sechs Monaten des aktuellen Jahres befand sich in unserer Einrichtung ein
Patient mit überwiegendem THC Konsum in einer Ausbildung, die er nach dem
Behandlungsende fortsetzen wollte. Alle anderen Patienten sind arbeitslos, meist
66
langzeitarbeitslos. Dies ist für unsere Art der Einrichtung eher die Norm, trotzdem gibt es nur
wenig Literatur zu dem Thema Berufsperspektive bei Drogenabhängigen. In Ausführungen
zu anderen Punkten werden Schwierigkeiten am Arbeitsplatz erwähnt (z.B. Beck et al 1997,
Körkel & Schindler 2003), aber detaillierte Ausführungen sind eher selten. Lindenmeyer
schreibt in seinem Buch “Lieber Schlau als Blau”, das sich an Alkoholiker richtet, von einer
zwei- bis dreimal so hohen Arbeitslosenquote bei Suchtmittelabhängigen wie bei dem Rest
der Bevölkerung. Er empfiehlt, die Suche nach einem Arbeitsplatz nicht erst nach der
Behandlung zu beginnen, sondern währenddessen, um bei wahrscheinlich auftretenden
Frustrationen therapeutische Unterstützung zu erhalten. Die Entscheidung, abstinent zu
werden, ist für die berufliche Reintegration wichtig, aber sie ist keine Garantie für einen
Arbeitsplatz. Oft geht es darum, gemeinsam mit dem Patienten zunächst realistische
berufliche Ziele zu entwickeln. Ein erstes Problem stellt der Schulabschluss dar. Schay et al
(2007) benennt für das Jahr 2005
das 47 % der Patienten ohne Schulabschluss seien. Im
gleichen Jahr hätten 73,5 % eine oder mehrere Ausbildungen begonnen und nach einiger
Zeit abgebrochen. Lediglich 26,5 % hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung gehabt.
Meist muss bei diesen Patienten abgeklärt werden, ob sie diesen Beruf weiter ausüben
können oder inwieweit sie umschulungsberechtigt sind (ebenda). Eine Rückkehr in den
erlernten Beruf ist heute oft über Praktika möglich. Das ist ein wichtiges Argument für eine
Adaptionsbehandlung im Anschluss an die stationäre Langzeitentwöhnung. Die durch die
lange Zeit der Abhängigkeit große Distanz zum Arbeitsmarkt führt dazu, dass ein
unrealistisches Bild des aktuellen Arbeitsmarktes besteht, der oft schon für hochqualifizierte
Arbeitnehmer keine Arbeit bieten kann, noch schwieriger ist es für ungelernte Arbeitskräfte.
Durch den Konsum haben die Abhängigen gelernt, unangenehme Situationen durch
Drogeneinnahme schnell zu beenden. Dieses Verhalten hilft bei der Arbeitsplatzsuche nicht,
statt dessen sind eine gute Frustrationstoleranz und ein gutes Selbstbewusstsein notwendig,
um auch nach zahlreichen Absagen noch ausreichend
für die Fortsetzung der Suche
motiviert zu sein. Insofern kann die Arbeitssuche zu einer Risikosituation für Rückfälligkeit
werden. Während der Langzeitbehandlung und in der Adaptionsbehandlung kann und muss
der Patient hier therapeutisch begleitet werden.
Diese Schwierigkeiten ergeben sich für Menschen mit einer reinen Suchtmittelabhängigkeit.
Die Problematik verschärft sich noch einmal bei einer bestehenden Doppeldiagnose. Nicht
selten sind diese Menschen den Anforderungen des heutigen Arbeitsmarktes nur bedingt
gewachsen. Hier ist neben der Abklärung der realistischen Möglichkeiten auf dem
Arbeitsmarkt die Entwicklung anderer selbstwertdienlicher Lebensinhalte zu fördern, denn
die Berufstätigkeit gilt als eine wesentliche Säule des Selbstwertgefühls. Diese Säule fällt bei
mehrfach belasteten Patienten meist nur sehr klein aus, so dass es wichtig für sie ist, die
67
weiteren Säulen, wie die der sozialen Kontakte und des sozialen Engagements, des
Körpererlebens über Sport und eine zufriedenstellende Sexualität, des Erwerbs von Bildung
oder der Religiosität (Potreck - Rose & Jacob 2008) auszubauen und zu stärken.
Mögliche Interventionen:
-
Erstellen einer Bewerbungsmappe (S. 151)
-
Bewerbungstraining (S. 151)
-
Besuch des BIZ (S. 151)
Aktive Freizeitgestaltung
Hier verweise ich auf das die Ausführungen zur Freizeitaktivität während der Kernphase (S.
58).
Aktive Gestaltung des Abschieds
Hierzu habe ich in der Literatur nichts finden können, so dass sich der folgende Absatz auf
die
Erfahrungen
aus
der
Klink
bezieht.
Unangenehme
Zustände
versuchen
Drogenabhängige meist zu vermeiden. Zwei Strategien lassen sich bezogen auf die
Gestaltung des Abschieds erkennen: einige versuchen
meist so lange wie möglich zu
verdrängen und dann zu sagen, dass jetzt für eine gute Vorbereitung keine Zeit mehr wäre,
andere zeigen verstärkt ihre unsympathische Seite, da sie mit Ärger besser umgehen
können als mit Trauer. In den meisten Fällen liegt es an dem Bezugstherapeuten, die
Patienten besonders auf die letzte Strategie aufmerksam zu machen und sie bei der
Vorbereitung des Abschieds zu unterstützen. Da die Mitglieder der Bezugsgruppe von ihrem
eigenen Abschied noch ein Stück entfernt sind, unterstützen sie den Patienten ebenfalls. Für
viele war die Behandlungszeit seit langen Jahren die erste Abstinenzzeit, sie haben meist
einen Platz in der Gruppe gefunden und oft enge menschliche Kontakte geknüpft. Andere
Patienten haben ihnen in schwierigen Phasen geholfen, sie konnten selbst die Erfahrung
machen, dass sie jemanden unterstützen konnten. Dies alles jetzt wieder aufgeben zu
müssen, macht vielen Patienten Angst und nur wenige gehen offen damit um. Die
Ungewissheit, ob sie dass, was sie während der Behandlung für sich verändern konnten,
draußen fortsetzen können, ist groß. Je nach Lebensgeschichte kommen Erinnerungen an
frühere Trennungen und Verluste wieder ins Bewusstsein, und es ist gut, wenn der Patient
sich mit diesen Erinnerungen bereits in der Gruppen- oder Einzeltherapie beschäftigt hat,
denn dazu ist es in den letzen Behandlungstagen in der Tat zu spät. Viele verlieren darüber
das, was sie erreicht haben aus den Augen und brauchen an dieser Stelle Hinweise, dass
68
sie das von ihnen Erreichte in die nächste Behandlungsphase mitnehmen. Einige Rituale
zum Behandlungsende sind von unserer Seite vorgegeben, andere kann der Patient sich
selbst überlegen.
Mögliche Interventionen:
-
Abschlusseinzelgespräche mit dem Einzel- und dem Bezugstherapeuten (S. 149)
-
Therapiereflexion in der Bezugsgruppe (S. 163)
-
Verabschiedung durch die Großgruppe in der letzen Abendrunde (S.164)
69
5. Die Behandlung der Patienten mit Komorbidität
Die Erfahrung in der praktischen Suchtarbeit zeigt, dass der Anteil der Patienten mit mehr als
einer diagnostizierten Störung zunimmt. Dies ist der Grund dafür, dass ich die
Behandlungspfade für Suchtmittelabhängige entsprechend den veränderten Bedürfnissen
der Patienten mit Komorbidität in diesem Kapitel modifiziere. Dabei soll erwähnt werden,
dass diese Behandlungspfade nicht im Qualitätshandbuch der Fachklinik Liblar festgehalten
sind und es sich bei diesen Behandlungspfaden um Vorschläge einer möglichen Behandlung
handelt. Aber zunächst zu dem Begriff der Komorbidität.
Liegt bei einem Menschen neben einer Suchterkrankung gleichzeitig eine Erkrankung aus
dem schizophrenen Formenkreis vor, so spricht man seit den 90er Jahren des letzten
Jahrhunderts von einer Doppeldiagnose (Löhrer 1999). Der Autor nennt diese Begriffswahl
unscharf, die klinisch exakte Bezeichnung sei die der Komorbidität. Sie sei im Klinischen die
Regel und nicht die Ausnahme. Neben der Doppeldiagnose F1/F2 (Abhängigkeit und
Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis) sei die Komorbidität F1/F3 (depressive
Erkrankungen) und F1/F6 (Persönlichkeitsstörungen) klinisch wichtig (ebenda). Besonders
die Komorbidität durch das Vorliegen einer Abhängigkeit und einer Persönlichkeitsstörung
(F1/F6) bestimmen die Prognose einer Entwöhnungsbehandlung. Schwoon schreibt dazu: „
Bei Menschen, bei denen eine Abhängigkeitskrankheit zusammen mit einer weiteren
psychischen Störung auftritt, ist gehäuft mit besonders schwierigen Krankheitsentwicklungen
und extrem komplizierten Behandlungsabläufen zu rechnen“ (Schwoon 2001, S. 504). Beck
et al (1997) beschreiben vier typische Eigenschaften eines persönlichkeitsgestörten
Menschen, die die Behandlung deutlich erschweren: Die betroffene Person erlebt ihre
Symptome als ich-synton, sie erlebt sich selbst als nicht gestört, sondern als normal in ihrem
Verhalten; sie werden von anderen Menschen häufig als anstrengend empfunden, da sie,
ohne es zu bemerken, anderen Leid zufügen; sie haben eine hohe Änderungsresistenz und
können sich dementsprechend eine Veränderung ihrer Persönlichkeit nur schwer vorstellen.
Faupel (2005) definiert die Persönlichkeitsstörung als überdauernde Formen affektiver,
kognitiver und beziehungsrelevanter Verhaltensmuster, die sehr rigide, fehlangepasst und
veränderungsresistent sind.
Arbeits- und Obdachlosigkeit, Aggressionsneigungen und körperliche Erkrankungen treten
bei ihnen häufiger auf. Trotz der Belastungen gehen komorbide Patienten seltener in
weiterführende Behandlungen, brechen diese eher ab und erreichen schlechtere
Katamneseergebnisse (ebenda). Art, Dauer und Intensität des Konsums spielen neben der
Rauschmittelwirkung eine Rolle bei der Ausprägung der Komorbidität. Im weiteren Verlauf
des Kapitels wird jede oben genannte Komorbidität zunächst theoretisch vorgestellt.
70
Anschließend wird der Behandlungspfad der Suchtmittelabhängigkeit entsprechend
verändert.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie eine Komorbidität entstehen kann:
Einerseits kann der Suchtmittelkonsum zu psychischen Störungen führen, so die
drogeninduzierte Psychose, die unter anderem durch hohen Cannabiskonsum auftreten
kann. Das Trigger-Modell geht davon aus, dass bei der betroffenen Person eine
Vulnerabilität für die Entwicklung einer Psychose vorliegt. Probiert dieser Jugendliche
Cannabis und setzt den Konsum weiter und ansteigend fort, manifestiert sich eine Psychose.
Ein weiteres Modell geht davon aus, dass die Einnahme von Drogen als weiterer
Vulnerabilitätsfaktor hinzukommt und es so zum Ausbruch der Psychose kommt (Schwoon
2001).
Andererseits kann eine psychische Störung den Suchtmittelkonsum fördern. So berichten
antisoziale Patienten davon, dass sie durch die Einnahme von Opiaten ihre Aggressionen
besser kontrollieren können. Es handelt sich um eine sogenannte Selbstbehandlung der
Betroffenen. Sehr selbstunsichere Jugendliche geben an, unter Alkohol oder Drogenwirkung
besser auf das andere Geschlecht zugehen zu können oder sich in der Gruppe anerkannter
zu fühlen.
5.1 Die Komorbidität von Suchtmittelabhängigkeit und Depression
Beck et al (1997) sprechen von einer Komorbidität bei Drogenabhängigen durch affektive
Störungen von 26%. Er beschreibt, dass der Leidensdruck der Betroffenen durch die
Komorbidität deutlich erhöht wird und die Prognose des Suchtverlaufes verschlechtert wird.
Dabei weist er darauf hin, dass eine verlässliche Diagnose einer depressiven Störung erst
nach einigen Monaten der Abstinenz gestellt werden kann, da der Suchtmittelkonsum und
der Entgiftungsprozess depressionsähnliche Symptome hervorrufen können, ohne dass
tatsächlich eine Depression im klinischen Sinne vorliegt. Er weist ausdrücklich darauf hin,
dass es gerade bei Suchtpatienten mit einer depressiven Störung wichtig ist, die
Selbstwirksamkeitsüberzeugung
der
Patienten
zu
verbessern,
da
durch
sie
die
Abstinenzwahrscheinlichkeit deutlich beeinflusst wird.
Konkret empfehlen Beck et al (1997) nach einer Zeit der Abstinenz die Frage zu klären,
welche der vorliegenden Störungen im Vordergrund steht, Sucht oder Depression. Stehen
die depressiven Symptome im Vordergrund, sollten sie vorrangig behandelt werden, zumal
wenn davon ausgegangen werden kann, dass eine Verbesserung der depressiven
Symptomatik zu einer Reduzierung des Suchtmittelverlangens führt. Weiter geben die
Autoren zu bedenken, ob umgekehrt eine Reduzierung oder Abstinenz vom Suchmittel zu
einer Reduktion der depressiven Symptome führt.
71
Bei der Erstellung eines Fallkonzeptes sollten die verschiedenen Symptomebenen
abgedeckt sein: Kognitionen, Affekt, physiologische Symptome, Motivation und Verhalten
(ebenda). Dabei ist es wichtig, gemeinsam mit dem Patienten den Zusammenhang zwischen
der kognitiven, affektiven und motivationalen Ebene herauszuarbeiten. An erster Stelle steht
aber auch für diese Autoren die Aktivierung des Patienten, wobei ihm verdeutlicht werden
sollte, dass es zunächst um die jeweiligen Handlungen geht und nicht um die Reduzierung
der depressiven Symptome, die meist automatisch mit der Umsetzung der Aktivitäten
einhergehen und erst durch das unmittelbare Erleben für den Patienten glaubhaft werden.
Die Autoren stellen fest, dass viele Suchtpatienten erst nach dem Verlust einer wichtigen
Beziehung
depressiv
werden.
Erschwerend
treten
meist
finanzielle
Probleme,
gesundheitliche und gesetzliche Schwierigkeiten auf. Diese Bedingungen verstärken den
Suchtmittelkonsum, so dass bei einer Abstinenz diese Probleme für den Patienten wieder
deutlich zu Tage treten und der Wunsch nach Suchtmitteleinnahme wieder ansteigt. So
verlieren sie durch die Aufgabe des Konsums häufig das Einzige, was ihnen Freude bereitet,
was die Symptome der Depression zunächst verstärken und die Abstinenzmotivation
reduzieren kann. Wichtig ist hier neben dem Überprüfen der Gedankenketten, ein Suchen
nach Verhaltensweisen, die von dem Betroffenen positiv erlebt und bewertet werden. Aus
unserer Erfahrung heraus ist dies häufig der Sport oder der Kontakt zu Kindern oder anderen
Familienangehörigen.
Tritt nach einer Phase leichter Besserung eine Verschlechterung der Symptome auf,
attribuieren Patienten häufig auf die externale Übermacht der Sucht, der sie sich nicht
gewachsen fühlen. Therapie und Therapeut werden als ineffektiv erlebt, oft kommt es an
dieser Stelle zu Behandlungsabbrüchen oder zu Rückfällen. Beck et al (1997) empfehlen an
dieser Stelle, dass der Therapeut kritisch nachfragen sollte, nicht in Vorwürfe abgleiten und
die therapeutische Arbeitsbeziehung aufrecht erhalten sollte. Eine erneute Betrachtung der
bisher erreichten Ziele und eine weitere Überprüfung der Kognitionen können aus dieser
Krise heraus führen. Aber wann hat ein Mensch überhaupt eine Depression?
5.1.1 Fakten, Ätiologie und Behandlungsmöglichkeiten der Depression
Ich beschränke mich bei meinen Ausführungen auf die unipolar verlaufende Depression, die
unter den affektiven Störungen den größten Anteil ausmacht. Meist erkranken Personen
zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. In neuester Zeit wird von einer Zunahme der
depressiven Erkrankung ausgegangen, weil sich immer mehr Menschen von ihrem Alltag
überfordert fühlen oder den Sinn in ihrem Leben verlieren, was sich in depressiven
Verhaltensweisen oder noch schlimmer in einer handfesten Depression zeigen kann. Immer
72
mehr Menschen versuchen zunächst eine Selbstbehandlung, indem sie Alkohol oder Drogen
zu sich nehmen, um die erlebten Stimmungen zu verbessern. Hierüber können sie zusätzlich
in eine Abhängigkeit zum Suchtmittel geraten.
5.1.1.1 Diagnostik der Depression
Diagnostische Kriterien nach ICD 10 für die Depression F32,33 (2010, S 149).:
„In den unten beschriebenen typischen leichten (F32.0, mittelgradigen (F32.1) oder
schweren (F32.2 und F32.3) depressiven Episoden, leidet die betreffende Person
gewöhnlich unter den typischen Symptomen von:
-
Gedrückter Stimmung
-
Interessenverlust, Freudlosigkeit
-
Verminderung des Antriebs, erhöhter Ermüdbarkeit.
Die Verminderung der Energie führt zu erhöhter Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkung.
Deutliche Müdigkeit tritt oft nach nur kleinen Anstrengungen auf.
Andere häufige Symptome sind:
1. Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
2. Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
3. Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit (sogar bei leichten depressiven
Episoden).
4. Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
5. Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen.
6. Schlafstörungen.
7. Verminderter Appetit.
Für die Diagnose depressiver Episoden aller drei Schweregrade wird gewöhnlich eine Dauer
von mindestens 2 Wochen verlangt; kürzere Zeiträume können berücksichtig werden, wenn
die Symptome ungewöhnlich schwer oder schnell aufgetreten sind.
Einige der oben genannten Symptome können auffällig sein und ein charakteristisches Bild
mit spezieller klinischer Bedeutung ergeben“ (ebenda).
5.1.1.2 Epidemiologie der Depression
Hautzinger (2005) nennt eine Lebenszeitprävalenz für Depressionen von 12 – 16% bei
Männern und 20 – 26% bei Frauen.
73
Schwarzer schreibt 1999, das größte Problem der Depression sei die Selbsttötungsgefahr.
Etwa 15% der schwer Depressiven würden ihrem Leiden so ein Ende setzen. Wesentlich
höher sei die Zahl der überlebten Selbsttötungsversuche.
Zur Dauer der Depression schreibt der Autor, dass sie umso rascher verschwindet, je
frühzeitiger sie erkannt wird. Eine Depression kann von einigen Wochen bis zu einigen
Monaten andauern.
Depressionen treten in Verbindung mit z.B. Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen,
Zwängen, Essstörungen, Süchten, psychophysiologischen, somatoformen Störungen,
Schizophrenie und schizophrenoformen Störungen, Demenzerkrankungen und chronischen
körperlichen Krankheiten auf (Hautzinger 2005). 1998 berichtet der Autor von einer
amerikanischen Studie, die zeigte, dass bei 77 % der Patienten mit Diagnose Depression
wenigstens eine weitere Diagnose gestellt wurde. Zwischen 60% und 80 % der Betroffenen
geben an, dass die Depression erst nachfolgend auftrat.
5.1.1.3 Ätiologie der Depression
Kognitionspsychologisches Störungskonzept
Zu Grunde gelegt wird hier eine kognitive Störung. Das Denken depressiver Personen wird
dabei als einseitig, willkürlich, selektiv und übertrieben negativ beschrieben.
Es
wird
ausgelöst
durch
negative
Erfahrungen,
Verluste,
Nichtkontrolle
und
sozialisationsbedingte Vorgaben. Durch belastende Situationen werden diese Schemata
ausgelöst. Diese Abläufe sind stark automatisiert und damit massiv veränderungsresistent.
Trotzdem gilt es genau sie zu verändern. Dabei hat sich die kognitive Umstrukturierung als
gute Behandlungsmethode gezeigt. Empirische Untersuchungen belegen, dass die kognitive
Verhaltenstherapie bei der Behandlung depressiver Personen der medikamentösen
Behandlung langfristig überlegen ist. Selbstabwertung und negative Selbstverstärkung sind
Ergebnisse der kognitiven Prozesse depressiver Personen (Hautzinger 2005). Zusätzlich
verfügen depressive Personen nur über wenige Verstärker, ihre Aktivitätsrate ist reduziert,
der konstruktive Umgang mit Belastungen ist herabgesetzt, so dass es zu einer Häufung
unangenehmer Ereignisse kommt, die in die oben genannte Spirale hineinführen.
Beck et al (1994) spricht von der kognitiven Triade, bestehend aus der Sicht des Patienten
von sich selbst, die Sicht seiner momentanen Lebenssituation und die Sicht seiner Zukunft.
Diese negativen Schemata hat der Patient durch negative Erfahrungen wie beispielsweise
Tod oder Verlust von Angehörigen, Zurückweisung, Kritik oder depressive Vorbilder in der
Kindheit erworben. Sie werden bei depressiven Menschen immer dann aktiviert, wenn neue
Situationen auftreten, die, und sei es auch nur entfernt, den Bedingungen oder Situationen
74
entsprechen, in denen sie diese Schemata erworben haben. Ein solches Schema kann
beispielweise zu der Erwartung führen, immer zu versagen. Die Person fühlt sich dann für
jedes auftretende Missgeschick verantwortlich und in ihrer Sichtweise bestätigt. Die
negativen Schemata halten zusammen mit den kognitiven Vorurteilen die negative Triade
depressiver Patienten aufrecht (Davison & Neal 1998). Das Selbstkonzept des depressiven
Menschen ist dem entsprechend negativ, die Zukunft sieht er ebenso, was den dritten
Aspekt der Triade darstellt.
Schwarzer zieht 1999 das bio–psycho–soziale Erklärungsmodell zur Erklärung der
Depression heran. Neben einer genetischen Disposition können frühkindliche Belastungen
wie Verlust oder Trennung zu einer gesteigerten Vulnerabilität gegenüber depressiven
Strukturen
führen.
Körperliche
oder
psychische
Stressoren
wirken
sich
auf
die
Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin aus. Diese Botenstoffe sind für die Regulation
unserer Emotionen zuständig, so dass eine Störung dieser beiden Botenstoffe eine
Depression auslösen kann. Es wird angenommen, dass ein niedriger Noradrenalinspiegel zu
einer Depression führt und ein niedriger Serotoninspiegel die neuronale Aktivität in anderen
neurochemischen Systemen verändert und dadurch sowohl Depression als auch Manie
auslösen kann (Davison & Neal 1998). Diese Zusammenhänge wurden aus der Wirkung
bestimmter Medikamente abgeleitet. Dabei verhindern die Trizyklika die Aufnahme von
Noradrenalin und Serotonin durch die Neuronen. Eine andere Medikamentengruppe sind die
Monoaminooxidasehemmer, die eben dieses Enzym davon abhalten, die beiden
Neurotransmitter zu deaktivieren. Der wissenschaftliche exakte Nachweis dieser Annahmen
steht bislang noch aus.
Beim ersten Auftreten einer Depression spricht man von einer depressiven Episode, bei
wiederholtem Auftreten depressiver Phasen handelt es sich um eine rezidivierende
depressive Störung. Schwarzer (1999) beschreibt die Kombination von medikamentöser und
Psychotherapie als die gängige Behandlungsmethode der Depression. Dabei läge bei
schweren und psychotischen Depressionen der Schwerpunkt auf der Pharmakotherapie, die
Psychotherapie würde eher bei leichteren Depressionen angewendet. Daneben führt
Schwarzer Bewegung, Lichttherapie, Schlafentzug und Eletrokrampftherapie an und steht
damit mit Hautzinger (1998) auf einer Linie.
5.1.1.4 Therapeutische Behandlungsansätze der Depression
Eines der anerkanntesten Erklärungsmodelle der Depression ist das Modell nach Beck, das
ich weiter oben vorgestellt habe. Es nimmt als wesentlichen verursachenden Faktor die
kognitiven Schemata des Patienten an, die ihn in eine Depression führen. Daher sollte sich
75
ein wesentlicher Teil der Behandlung mit den kognitiven Schemata des Patienten
auseinandersetzen. Dies findet unter Einsatz der kognitiven Verhaltenstherapie statt, die
Margraf (2000) als einen problemzentrierten, strukturierten, psychologischen Behandlungsansatz beschreibt. Im Rahmen der Behandlung depressiver Personen setzt er die vier
folgenden Schwerpunkte.
-
Überwindung der Inaktivität und/oder der einseitig belastenden Aktivität.
-
Verbesserung des Sozial-, Kommunikations- und Interaktionsverhaltens und der
sozialen Kontaktstrukturen.
-
Erkennen,
Überprüfen
und
Korrigieren
dysfunktionaler
Einstellungen
und
Überzeugungen.
-
Aufbau eines Bewältigungs- und Problemlöserepertoires für zukünftige Krisen.
Zu Beginn der Behandlung und in Krisen haben beruhigende Versicherungen, aktuelle
Entlastung und konkrete Vorgaben ihre Berechtigung. Schwarzer (1999) nennt im Umgang
mit depressiven Patienten folgende Grundsätze: die Vermeidung gut gemeinter Ratschläge;
bei akuter Depression, es sollte nicht zu Ablenkung oder Zerstreuung geraten werden; dem
Patienten sollte in dieser Situation von wichtigen und folgenschweren Entscheidungen
abgeraten werden; und er sollte keine durchgreifenden Veränderungen im beruflichen oder
privaten Bereich vornehmen. Der Therapeut sollte stellvertretend für den Betroffenen
Hoffnung zeigen und dem Patienten sagen, dass es sich um eine vorübergehende Phase
handelt, die ohne bleibende Einschränkungen vorüber gehen wird.
Kognitive Elemente der Behandlung
Im Laufe der Behandlung sollte der Patient mit Hilfe des Therapeuten sein Denken
differenzieren und in Richtung eines reiferen Denkens verändern. Häufige kognitive Fehler
sind neben der
Übergeneralisierung
selektive Abstraktionen,
dichotomes
Denken,
Solltyranneien, emotionales Begründen und Magnifizieren des Negativen. Diese Denkmuster
gilt es zu erkennen, zu überprüfen und zu verändern (Margraf 2000).
Dabei sollte dem Patienten nichts ausgeredet werden, sondern durch die Kooperation
zwischen Patient und Therapeut sollen Probleme identifiziert, individuelle Blockaden erkannt
und Alternativen dazu entwickelt und ausprobiert werden. Auch hier ist der erste Schritt die
Beobachtung der Denkweise, das Protokollieren automatischer Gedanken in den zentralen
Problembereichen. Beck et al (1994) benennt konkret die Suche nach Gegenbeweisen für
die dysfunktionalen Gedanken, die Diskussion der logischen Schlussfolgerungen dieser
Gedanken im Vergleich zu den tatsächlichen Erfahrungen und die Überprüfung der
Grundannahmen in geplanten Experimenten. Der Zusammenhang zwischen Situationen und
76
Gefühlen wird in einem nächsten Schritt erarbeitet. Die erkannten dysfunktionalen Gedanken
werden nun durch den Patienten einem Realitätstest unterzogen. Weitere Möglichkeiten der
Bearbeitung sind das Experimentieren, das Reattribuieren, das Finden von Alternativen, um
nur einige zu nennen. So lernt der Patient, wie er selbst Einfluss auf sein emotionales
Erleben nehmen kann, indem er seine Kognitionen überprüft und verändert. Dies soll ihn
nach der Behandlung dazu befähigen, in Krisen sein Verhalten eigenständig zu prüfen und
Strategien der Bewältigung zu entwickeln (ebenda).
Aus dem Vorgestellten ergeben sich folgende Veränderungen der Behandlungspfade für
Patienten mit Suchterkrankung und Depression.
77
5.1.2 Modifikation der Behandlungspfade für Patienten mit bestehender Suchtmittelabhängigkeit und Depression.
Die Aufgaben der Behandlungspfade (BHP), die in der Behandlung dieser Patientengruppe
besonders wichtig sind oder neu dazu genommen wurden, weil sie bei der Behandlung
ausschließlich suchtmittelabhängiger Patienten nicht notwendig waren, sind in den nun
folgenden Flussdiagrammen der Behandlungsphasen fett-kursiv hervorgehoben.
Orientierungsphase 1. – 8. Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und Depression
Aufnahme d.
Rehabilitanden u.
Bezugsgruppenzuteilung
Verantwortlichkeiten
1 Arzt
2 Bezugstherapeut
4 Psychologe
Therapeutische
Aufnahme
Medizin.
Diagnostik
2
Aufnahmeanamnesebogen /
Aufnahmemappe
5 – 20
Bezugstherapeut
Teilweise auch
Einzeltherapeut
1
Bemerkungen
Psychologische
Diagnostik
Aufnahmee
3
Zuordnung
Depres. BHP
5
7
Stabilisierung d.
Therapiemotivation
6
Erste
Verhaltensanalysen
Beobachtungen des
Sozialverhaltens &
Kontaktangebote
9
Anbindung an die
Gruppe und an die
Klinik
10
Gesundheitstraining
13
1 vergl. Kap.
IV.4.1
Medizinische
Aufnahme;
Kap. IV.4.2
Therapeutische
Aufnahme
MGU:
Medizinische
Fragebögen
4
Tests
erste
Zielvereinbarungen
mit Rehabilitanden
Psychoedukation
2 Klärung der
Nebenkosten,
Krankenkasse
Juristisches
3 Abklärung der
Medikation
Differenzierung
des
Behandlungspla
nes nach
individuellem
diagnostischen
Schwerpunkt
8
11
4 BSI
5
Fallbesprechung
im Team
Vorlage Suchtinfo
Führen des
Emotionstagebuchs
Erhebung der
Familienanamnese
12
15
Schilderung der
Lebensgeschichte
6- 17, ohne 7-8,
finden in
Bezugsgruppen
statt
14
Aktivierung
16
Darstellung
des sozialen Netzes
11 QMFB IV.5.7
Indikationsgrup
pen
Unterschriftenli
ste
17
Vorlage
Soziales Netz
Anstehende
Aufgaben
erfüllt
Nacharbeiten
fehlender
Aufgaben
18
19
Nein
Ja
Wechsel in
Kernphase
20
78
Behandlungspfad Kernphase 9 - 17 Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und Depression
Aufnahme in die
Kernphase
1
Diagnostik BDI
Verantwortung
2
BHP Depres.
Ja
1 – 26
Bezugstherapeut,
teilweise
Einzeltherapeut,
Vorstellung der
Suchtanamnese
3
Erarbeitung der
Funktonalität
der Drogen
Selbstbild/
Fremdbild
6
Erarbeitung
dysfunktionaler
Kognitionen
Vorstellung des
Delinquenzverlaufs
9
Analyse der
kriminellen
Energie
12
Beobachtung des
Sozialverhaltens
in der Gruppe
15
Emotionen &
Emotionstagebuch führen
18
Teilnahme an
Rückfallprophylaxe
21
Rehafahrten /
Reflexion i.d.
Gruppe
Wechsel BHP
Sucht
nein
4
Bemerkungen
Entwicklung Sinn
drogenfreien
Lebens
5
7
Erhöhung der
Selbstwirksamkeit
8
10
Entwicklung von
Zukunftsperspektive
11
Auseinandersetz
ung Beziehungsgestaltung
13
Angehörigen
Gespräch
14
Geschlechtsspezfische
Themen
16
Auseinandersetz
ung mit dem
Thema Sexualität
17
Teilnahme an
Entspannungstraining
20
Teilnahme an
Selbstsicherheitstraining
19
Erarbeitung
aktive Freizeitgestaltung
22
Zielvereinba
rungen
überprüfen
Die Aufgaben,
der Kernphase,
werden in den
Therapiestandar
ds festgehalten
und
abgezeichnet
vom jeweiligen
Therapeuten
MGU:
QMVA IV.5.3
Therapiestandar
ds (S.189)
18 QMFB IV.5.7
Indikationsgrupp
en
Unterschriftenlist
e
23
24
Nacharbeit
fehlender
Themen
25
nein
24
Aufgaben
erfüllt??
ja
a
Wechsel in
Abschlussphase
79
Behandlungspfad Abschlussphase 18 – 26 Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und Depression
Aufnahme in die
Abschlussphase
Beobachtung des
Sozialverhaltens in der
Gruppe
Verantwortung
1
Bemerkungen
1 - 18
Bezugstherapeut
Einzeltherapeut
2 QMFB IV 5 7
Indikationsgruppen
Unterschriftenliste
Teilnahme an
Rückfallprophylaxe
2
Krisenbewältig.
Stressmanagem. /
Notfallheft
Ausgewogenheit
v. Selbst- u. Gem.
schaftsverantwortung
5
Erhöhung der
Selbstwirksamkeit
Nachsorgeplanung
Adaption / BeWo
Durchführen von
Rehafahrten/
Heimfahrten
7
10
3
Besuch einer
Selbsthilfegruppe
4
6
8
Erarbeitung von
Berufsperspektiven
Erarbeitung von
Zukunftsperspektiven
9
10 QMFB IV.10.3
Rehafahrtscheine
11
Reflexion i.
Einzel. /Gruppe
12 QMFB IV.5.5
SGELaufzettel_Freizeit
gestaltung
Erarbeitung aktiver
Freizeitgestaltung
12
13
Abschied aktiv
gestalten
14 QMFB IV.11.3
Patientenfragebog
en
Abschlussdiagnostik
14
Psychologischer
Test: BSI
15
Zielvereinbarun
gen überprüfen
16
Nachbearbeitung
fehlender
Themen
17
nein
Aufgaben
erfüllt??
ja
Entlassung
18
80
Anders
als
bei
der
Suchtmittelabhängigen
Behandlungsphasen
Vorstellung
werde
den
ich
bei
jeweiligen
der
Behandlungspfade
bei
der
Komorbidität
für
Behandlungspfad
nicht
ausschließlich
jede
vorstellen,
der
da
drei
diese
Behandlungspfade für Süchtige das Grundgerüst darstellen und lediglich entsprechend der
Doppeldiagnose modifiziert werden. Im Folgenden stelle ich die Veränderungen der
einzelnen Pfade im Gesamten vor.
Allen besonderen Aktivitäten muss die Diagnostik voran gestellt werden. Allerdings birgt sie
im Falle der Depression einige Fallstricke, wie oben beschrieben. Um nicht zu viel Zeit zu
verlieren, könnte bei einem deutlich erhöhten Skalenwert auf der Depressionsskala des BSI
(Brief Symptom Inventory) bereits in der ersten Fallbesprechung des Patienten im Team
nach spätestens zwei Wochen entschieden werden, ob er den Behandlungspfad für
Komorbidität Sucht und Depression durchläuft.
Dies bedeutet für den Patienten, dass mit ihm gemeinsam im Rahmen von Einzelkontakten
verschiedene Möglichkeiten der Aktivierung vereinbart werden. So kann beispielsweise mit
ihm vereinbart werden, dass er an den angebotenen Aktivitäten am Wochenende, die von
einem verantwortlichen Patienten und einer Nachtbereitschaft vorbereitet werden, verbindlich
teilnimmt. Da die Klinik in der Nähe eines Schlossparkes liegt, kann eine weitere
Vereinbarung sein, dass er gemeinsam mit seinem Paten an drei Tagen in der Woche nach
dem Behandlungsprogramm um 17.00 Uhr 30 Minuten durch den Park joggt. An diesem
Punkt sind der Phantasie und der Flexibilität von Patient und Therapeut keine Grenzen
gesetzt.
Um einen detaillierten Überblick über das emotionale Erleben des Patienten zu erhalten, wird
er angehalten, sein Erleben in einem Emotionstagebuch festzuhalten, dass er in
regelmäßigen Abständen seinem Bezugstherapeuten zeigt und was dann mit dem Patienten
besprochen werden muss. Da neben der verminderten Aktivität der soziale Rückzug ein
typisches Verhalten depressiver Patienten ist, wird ihr Sozialverhalten verstärkt beobachtet.
Es werden von Seiten des Teams vermehrt Kurzkontakte angeboten, die keinen weiteren
therapeutischen Anspruch haben, als den Patienten etwas aus seiner Einsamkeit zu locken
und ihm zu signalisieren, dass er, so wie er ist, wahr- und ernst genommen wird. Sollte dem
Patienten der Anteil der Gruppen- und auch Großgruppenveranstaltungen in unserem
Wochenplan zu hoch sein, so dass er mit den vielen Kontakten überfordert ist (jede
Bezugsgruppe hat vier Einheiten Gruppentherapie wöchentlich und drei Großplenen von
wenigstens einer Stunde Dauer) ist es möglich, den Patienten von einem Teil der
Großplenen und gegebenenfalls auch von Teilen der Gruppentherapie zu befreien. Dies
sollte in einer Teamsitzung entschieden und für einen Zeitrahmen von einer Woche
angeboten werden. Der Patient kann sich selbst aussuchen, an welchen Einheiten er nicht
81
teil nehmen möchte. Soweit die Änderungen ihm Rahmen der Orientierungsphase.
Zu Beginn der Kernphase (9. Behandlungswoche) würde dann die psychologische
Testdiagnostik durch die Bearbeitung des BDI II (Becks Depressions Inventar II, Hautzinger,
M., Keller, F., Kühner C., Test Service) erfolgen. Bestätigt sich die Diagnose, würde der
Patient während seines gesamten Aufenthaltes in dem begonnenen Behandlungsprogramm
bleiben. Falls sich die Diagnose nicht bestätigt, durchläuft er ab jetzt den Behandlungspfad
für Suchtmittelabhängigkeit.
In der Kernphase sollte ein Schwerpunkt der Behandlung auf der Erarbeitung dysfunktionaler
Kognitionen und dem Reflektieren des emotionalen Erlebens mit Hilfe des von Anfang an
geführten Emotionstagebuches liegen. Hier wäre es wichtig, den Patienten spüren zu lassen,
dass die sorgfältige Führung des Tagebuches auch dem Therapeuten wichtig ist. Der
Therapeut zeigt das, indem er das Buch regelmäßig, in der Kernphase einmal wöchentlich,
durchliest und mit dem Patienten Auffälligkeiten bespricht und bei Erfolgen gemeinsam mit
ihm eine mögliche Belohnung erarbeitet. Während der Kernphase sollte der Patient
zusätzlich zu den Aufgaben des normalen Suchtbehandlungspfades auf jeden Fall an einem
Selbstsicherheitstraining teilnehmen. Es muss zugestanden werden, dass es in unserer
Einrichtung nicht immer möglich ist, ein komplettes Selbstsicherheitstraining anzubieten.
Alternativ werden dann die Trainingsteile angeboten, die für den Patienten besonders wichtig
sind, und es werden Teile des Trainings in die Gruppentherapie eingebaut. Ob ein
depressiver Patient an der für die Kernphase wichtigen Delinquenzgruppe teilnimmt und wie
intensiv er sich mit seiner Delinquenz beschäftigen muss, hängt von deren Ausprägung ab.
Ist diese nur niedrig, kann er von der Teilnahme an der Delinquenzgruppe, die ca. drei Mal
monatlich angeboten wird, frei gestellt werden. Pflicht für den Patienten, wäre die Teilnahme
an der Entspannungsgruppe, die über einen Block von vier Einheiten angeboten wird. Der
Patient soll dadurch bewusst lernen, dass er durch die Entspannung sein emotionales
Erleben selbst positiv beeinflussen kann.
In der Abschlussphase wäre für den depressiven Patienten neben dem Besuch der NAs
(Narcotic Anonymus) auch der Besuch der EAs (Emotion Anonymus) zu empfehlen, damit er
unter
Umständen für die Zeit
nach der stationären Entwöhnung
auch diese
Selbsthilfegruppe für sich in Anspruch nehmen kann.
Für jeden Patienten ist die Zeit nach der Behandlung angstbesetzt, aber der depressive
Patient kann hier noch einmal besonders in Selbstzweifel geraten, so dass die frühzeitige
und detaillierte Planung der Nachsorge besonders wichtig ist. Gut wäre es, bereits zu Beginn
der zweiten Behandlungshälfte, also in der Mitte der Kernphase, mit der Nachsorgeplanung
zu beginnen. Dies könnte nach der Halbzeitbesprechung des Patienten im Team beginnen,
bei der das Team entscheidet, welche Nachsorgemaßnahme für den Patienten aus
82
therapeutischer Sicht als notwendig erachtet wird. Dabei handelt es sich um Vorschläge zur
Nachsorge, die letzte Entscheidung liegt beim Patienten selbst. Da Veränderungen für einen
depressiven Menschen immer etwas sehr Unangenehmes sind, scheint es notwendig, dass
von Seiten des Therapeuten immer wieder nachgefragt wird, auf welchem Stand die
Nachsorgevorbereitungen sind, und er gegebenenfalls auch Unterstützung anbietet. Hier
zeigt sich dann die erreichte Veränderung der Selbstwirksamkeit des Patienten und in
wieweit noch eine weitere Auseinandersetzung, und damit Stabilisierung, stattfinden muss.
Während der gesamten Behandlung sollte die Freizeitgestaltung des Patienten ein Thema
sein, da es typisch für Patienten mit diesem Störungsbild ist, dass der Patient nicht die
notwendige Kontinuität bei der Entwicklung eines aktiven Freizeitverhaltens aufbringt. An
diesem
Punkt
muss
sicherlich
immer
Abschlussphase noch, damit der Patient
wieder
angehalten
werden,
auch
in
der
dies als ein wesentliches Thema mit in die
anschließende Nachsorgebehandlung nimmt.
Das bei den Interventionen aufgeführte achtsamkeitsbasierte Stressreduktionsprogramm
wird derzeit nicht komplett in unserer Einrichtung angeboten, allerdings werden im Rahmen
der Gruppentherapie immer wieder Teile davon zu Beginn der Gruppenstunden eingesetzt,
um das Bewusstsein für das eigene Erleben und den eigenen Körper zu sensibilisieren.
Aufgaben, die ich bereits an anderer Stelle beschrieben habe, stelle ich hier nicht erneut vor,
sondern verweise durch die hinter der Aufgabe stehende Seitenzahl auf die frühere
Beschreibung.
Zusätzliche oder modifizierte Aufgaben während der Behandlung:
•
Erarbeitung dysfunktionaler Kognitionen (S. 47)
•
Emotionstagebuch (S. 152)
•
Entspannungstraining (S. 157)
•
Steigerung der Aktivitätsrate / Aktive Freizeitgestaltung (Überwindung der Inaktivität
und/oder der einseitig belastenden Aktivität) (S. 162)
•
Mindfulness-Based-Stress-Reduction Programm (achtsamkeitsbasiertes Stressreduktionsprogramm. (S. 172)
•
Selbstsicherheitstraining (S. 182)
83
5.2 Die Komorbidität von Suchtmittelabhängigkeit und Borderline-Störung
Zu Beginn dieses Kapitels gehe ich zunächst allgemein auf die Persönlichkeitsstörungen
und einige Erklärungsmodelle ein, um im weiteren Verlauf Erklärungsmodelle der Borderline
– Störung und ihre Behandlungsmöglichkeiten vorzustellen.
5.2.1Diagnostik der Persönlichkeitsstörung
Zunächst die Diagnosekriterien der Persönlichkeitsstörungen nach ICD 10 (2010, S 246):
1. Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in mehreren
Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und
Denken sowie in den Beziehungen zu anderen.
2. Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf
Episoden psychischer Krankheit begrenzt.
3. Das auffällige Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und
sozialen Situationen eindeutig unpassend.
4. Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich
auf Dauer im Erwachsenenalter.
5. Die Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden, manchmal jedoch erst im
späteren Verlauf.
6. Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und
sozialen Leistungsfähigkeit verbunden.
Für die Diagnose der meisten Untergruppen müssen mindestens drei der jeweils genannten
Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen. Die Untergruppen bilden die paranoide
Persönlichkeitsstörung (F60.0), die schizoide Persönlichkeitsstörung (F60.1), die dissoziale
Persönlichkeitsstörung (F60.2) und die emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3),
die sich in den impulsiven (F60.30) und den Borderline Typus (F60.31) unterteilt. Weiter gibt
es die histrionische (F60.4), die anankastische (F60.5), die ängstlich vermeidende (F60.6),
die abhängige (F60.7) und die sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung, zu der die
exzentrische,
haltlose,
narzisstische,
passiv-aggressive
und
die
unreife
Persönlichkeitsstörung gehören.
5.2.2 Ätiologie der Persönlichkeitsstörung
Zur Erklärung der Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen schreibt Schwoon (2001), dass
die Familien von Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung häufig unvollständig sind und
dass die Betroffenen zeitweise in Heimen gelebt haben. Schul- und Berufsausbildungen
werden abgebrochen. Selbstständigkeit und Selbstverantwortung sind nur unzureichend, so
84
ist ihre Selbstversorgung unzureichend und ihr Gesundheitsverhalten risikobehaftet. Soziale
Kontakte aufzunehmen und zu pflegen ist für diese Patienten schwierig, da sie es nicht
gelernt haben. Konflikte werden nicht ausgetragen, sondern vermieden. Eigene Emotionen
können nicht richtig wahrgenommen werden und dadurch nicht angemessen darauf reagiert
werden. Angenehme Emotionen können nur erlebt werden, wenn sie drogeninduziert sind.
Andere Autoren wie Faupel (2005) und Moggi (2002) ziehen das Bio–Psycho–Soziale –
Erklärungsmodell heran, das dem Triasmodell der Sucht (S.19) weitgehend entspricht. Auch
hier werden biologische, meist genetische, aber auch neurologische oder durch Störungen
im
Transmittersystem des
angenommen,
die
in
Gehirns
Verbindung
und psychisch bedingte Vulnerabilitätsfaktoren
mit
einer
belastenden
Umwelt
zu
einer
Symptomentwicklung führen können. Bei bestehender Drogenabhängigkeit würden diese
Betroffenen während einer Abstinenzzeit eine Verschlechterung ihres Empfindens erleben,
das sich für sie ins Unerträgliche steigern könne, was die negative Prognose bei der
Behandlung dieser Störungsbilder erkläre (Beck et al 1994).
Einen
Erklärungsansatz,
der
lerntheoretisch
fundiert
ist
und
pathologische
entwicklungspsychologische Einflüsse mitberücksichtigt, liefert Millon (Millon 1981; 1990;
1996 in Schmitz et al 2001). Er geht von biologischen Faktoren aus, die aus Anlagefaktoren
und
Einflüssen
pränataler
Entwicklungsfaktoren,
die
Entwicklung
den
bestehen.
Einfluss
Weiter
berücksichtigt
zwischenmenschlicher
Erfahrung
er
und
Lernbedingungen, wie die neuropsychologische Kindesentwicklung beinhalten. Er nimmt an,
dass sich die Persönlichkeit eines Menschen aus seiner Position innerhalb der Polaritäten
Autonomie und Bindung sowie Selbstkontrolle und Selbstaktualisierung ergibt. Dieses
„Raummodell
der
Persönlichkeit“
(Schmitz
et
al
2001,
S.
10)
ermöglicht
eine
Dimensionierung des Persönlichkeitsstils. Millon nimmt bezüglich persönlichkeitsgestörter
Menschen an, dass bei ihnen eine Vulnerabilität vorliegt, die in diesem Fall eine besondere
Labilität des Menschen gegenüber ungünstigen Umweltbedingungen oder psychosozialen
Einflüssen nach sich zieht.
Schwoon (2001) verweist passend zum oben Dargestellten auf die Notwendigkeit eines
individuellen Krankheitskonzeptes, das die subjektive Sicht des Patienten einschließt. Dazu
bedarf es einer diagnostischen Klarheit, die sich in einer gründlichen Erhebung der biopsycho-sozialen Lebensdaten ausdrückt.
Behandlungsbeziehung,
empathische
Er
empfiehlt
Konfrontation
weiter Kontinuität
und
eine
in der
transparente
Behandlungsplanung und Behandlungskontrakte.
85
5.2.3 Diagnostik der Borderline-Störung
Im Folgenden stelle ich die Diagnosekriterien der Borderline-Störung (F60.31) nach ICD 10
vor, die eine Erscheinungsform der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung ist:
„Einige Kennzeichen emotionaler Instabilität sind vorhanden, zusätzlich sind oft das
eigene Selbstbild, Ziele und innere Präferenzen (einschließlich der sexuellen) unklar
und gestört. Meist besteht ein chronisches Gefühl innerer Leere. Die Neigung zu
intensiven, aber unbeständigen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen
Krisen führen mit übermäßiger Anstrengung, nicht verlassen zu werden, und mit
Suiziddrohungen oder selbstschädigenden Handlungen (diese können auch ohne
deutliche Auslöser vorkommen) (Internationale Klassifikation psychischer Störungen
2010, S. 250).“
„Kennzeichen emotionaler Instabilität sind nach der gleichen Quelle (…) eine
deutliche Tendenz, impulsiv zu handeln ohne Berücksichtigung von Konsequenzen,
und mit wechselnder, instabiler Stimmung. Die Fähigkeit, voraus zu planen ist gering,
und Ausbrüche intensiven Ärgerns können oft zu gewalttätigem und explosivem
Verhalten führen; dieses Verhalten wird leicht ausgelöst, wenn impulsive Handlungen
von anderen kritisiert oder behindert werden. Zwei Erscheinungsformen dieser
Persönlichkeitsstörung können näher beschrieben werden, bei beiden findden sich
Impulsivität und mangelnde Selbstkontrolle (ebenda, S. 249).“
Der zweite Typus ist der impulsive Typ, F60.30.
5.2.4 Epidemiologie der Borderline-Störung
Studien aus den Jahren 1983, 1985 und 1989 zeigten ein häufiges gemeinsames Auftreten
von Sucht und Borderline Persönlichkeitsstörung (Beck et al 1997). Die Prävalenzdaten zu
diesem Diagnosebild zeigen allerdings extreme Schwankungen. Moggi (2002) nennt Zahlen
zwischen 2 und 66% von Borderline Störungen bei Suchtmittelabhängigen. Faupel (2005)
benennt für die Komorbidität von Sucht und Borderline-Störung Zahlen zwischen 20 – 50%,
spricht aber von Schätzungen. Zur Prävalenz der Borderline Störung nennt sie den Wert von
2%, wovon 75% Frauen seien. Die Nutzung von Suchtmitteln gehört zu den
Diagnosekriterien.
5.2.5 Ätiologie der Borderline-Störung
Die Borderline – Störung ist, wie bei den
Persönlichkeitsstörungen beschrieben,
multifaktoriell bedingt. Für Rentrop et al (2007) steht im Zentrum eine genetisch bedingte
eingeschränkte Fähigkeit, das emotionale Erleben zu steuern. Soziale Faktoren, die eine
86
Entwicklung des Störungsbildes begünstigen, sind für die Autoren eine Überforderung der
Eltern im Umgang mit dem „schwierigen“ Kind. Bei den Eltern selbst liegen häufig affektive
Störungen, Süchte, Gewalterfahrungen durch Eltern oder andere Familienangehörige,
sexueller Missbrauch und / oder chaotische Familienstrukturen vor. Trautmann (2004) führt
noch erschwerte Individuationsprozesse an, da zu einem Elternteil eine sehr enge
Beziehung besteht oder bestanden hat. Schwarzer (1999) spricht zusätzlich von einer durch
Zwillingsstudien belegten genetischen Disposition, einer neurobiologischen Vulnerabilität,
ausgelöst durch negative Erfahrungen in der Kindheit, beispielsweise durch einen sehr
strengen Erziehungsstil der Eltern, gestörte Autonomieentwicklung im zweiten bis vierten
Lebensjahr
und
einer
vorliegenden
Traumatisierung.
Dazu
gehören
auch
Vernachlässigungen, fehlende Zuwendung, Gewalterfahrung und Missbrauch, der bei 80 %
der Betroffenen vorliegt.
Trautmann (2004) bezieht sich bei der Erklärung der Störung auf Millon (1996), der das
inhomogene Störungsbild in einen entmutigten, einen impulsiven, einen mürrischen und
einen selbstdestruktiven Typus unterscheidet. Der entmutigte Typus sei als Kind angepasst
gewesen und zeige wenig Eigeninitiative. Ihre Kindheit haben diese Menschen als traurig
und depressiv in Erinnerung. Die wenigen Bindungen, die diese Personen in der Kindheit
hatten, waren unzuverlässig. Als Erwachsene benötigen sie viel Sicherheit, bevor sie eine
Bindung eingehen, in der sie dann aber extrem klammern. Sie können nur schwer alleine
sein und haben häufig Mühe, die Aufgaben des Alltags zu erledigen. Da diese Menschen
Konflikte
zu
vermeiden
suchen,
unterdrücken
sie
ihren
Ärger,
der
sich
über
selbstverletzendes Verhalten und suizidalem Verhalten seinen Weg nach außen sucht.
Der impulsive Typ braucht viel Aufmerksamkeit durch seine Umwelt. Bekommt er sie nicht,
greift er zu drastischen Maßnahmen, wie Selbstverletzung, aggressivem Verhalten
gegenüber anderen oder Gegenständen oder sexuell verführerischem Verhalten.
Der mürrische Typ ähnelt im Verhalten einer passiv-aggressiven Störung. Der Autor
beschreibt diese Menschen als trotzig, unzufrieden, mürrisch, stur, pessimistisch und voller
Groll. Sie fühlen sich grundsätzlich vom Leben betrogen und sind schnell gekränkt. Was sie
sich wünschen sind enge Bindungen zu anderen, Zuneigung und Liebe. Sie stehen zwischen
ihren Abhängigkeitswünschen und ihrem Autonomiebestreben. Diesen Konflikt zeigt auch
der selbstdestruktive Typ, der sich allerdings dafür hasst und aus diesem Grund am
häufigsten selbstverletzendes Verhalten zeigt. Ihr Verhalten kann sehr unterwürfig sein, um
Konflikte mit anderen Menschen zu vermeiden. Sie verfügen über eine hohe Sensibilität für
Stimmungen
und
Erwartungen
anderer.
Trautmann
weist
darauf
hin,
dass
die
Berücksichtigung der sozialen Rahmenbedingungen, wie Arbeitslosigkeit, Wohnung,
Freundeskreis, für die therapeutische Arbeit wichtig ist.
87
Durch den Konsum von Suchtmitteln reduzieren Borderline Patienten ihre negativen Gefühle
der Hilflosigkeit in Stresssituationen und im Umgang mit Konflikten (Költzsch & Brodbeck
2002). Dulz und Schneider (2001) fügen hinzu, dass es bei dem Drogenkonsum weniger um
die Rauschwirkung geht, als vielmehr um die Vermeidung diffuser Ängste und innerer Leere.
Damit dient die Drogenwirkung der Vermeidung negativer Emotionen, lerntheoretisch eine
negative
Verstärkung
und
eine
Art
der
Selbstmedikation,
die
häufig
in
die
Suchtmittelabhängigkeit führt.
5.2.6 Therapeutische Behandlungsansätze der Borderline-Störung
Bei der Behandlung von Borderline Patienten kann es in Phasen schwerer Impulsausbrüche
und starker Neigung zu psychotischer Dekompensation notwendig sein, auch medikamentös
zu behandeln. Neuroleptika wirken antipsychotisch und impulsdämpfend, bei länger
anhaltenden ausgeprägten Verstimmungszuständen können Antidepressiva gegeben
werden (Schwarzer 1999; Rentrop et al 2007). Langfristig ist aber die Psychotherapie die
angezeigte
Behandlungsform.
Dabei
geht
es
bei
der
Behandlung
von
Persönlichkeitsstörungen allgemein immer nur um eine Abmilderung der Symptome, die
Persönlichkeitsstörung an sich ist überdauernd.
Den kognitiv verhaltenstherapeutischen Ansatz bei der Behandlung von Borderline Patienten
vertritt neben Beck auch Marsha Linehan (Fiedler 2005). Sie geht von einem affektiven
Vulnerabilitätskonzept aus und sieht die Störung im Bereich der affektiv – depressiven
Stimmungsstörungen. Zentrales Symptom ist für Linehan die selbstdestruktive Impulsivität
der Betroffenen. Sie wertet es als eine Problemlösestrategie, um unangenehmes Erleben zu
reduzieren. Primäre Dysfunktion ist für Linehan eine unangemessene Affektregulation. Sie
beschreibt „eine hohe Sensitivität gegenüber emotionalen Stimuli, heftige Reaktionen schon
auf schwache Reize und eine nur langsame Rückkehr zum Ausgangsniveau“ (Linehan 1989,
S. 221, aus Fiedler 2005). Da die Patienten selbst ein stabiles Eingebundensein in
bestehende Beziehungen nicht erleben, suchen sie ihr Umfeld nach Richtlinien für ihr
Denken und Fühlen ab. Sie verfügen nicht über ein stabiles Identitätserleben.
Linehan hat ein Therapiemanual für die Gruppentherapie mit Borderline – Patienten erstellt,
das auch als Skillstraining bekannt geworden ist (Rentrop et al 2007), also als Training
bestimmter Fertigkeiten, die eine Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen erreichen
soll. Das Training erstreckt sich über acht Gruppensitzungen, die einmal wöchentlich mit
einer Dauer von zweieinhalb Stunden stattfinden sollen. Dieses Programm wird in Anhang B
auf Seite 162, vorgestellt.
88
Für Beck et al (1997) stehen bei Borderline Patienten die Stabilisierung des Selbstbildes im
Vordergrund, das Akzeptieren von persönlichen Erfolgen und die Steigerung der
Selbstwirksamkeit. Aber auch die Auseinandersetzung mit dysfunktionalen Kognitionen,
besonders im Hinblick auf „die Sabotage ihrer eigenen Ziele und dem Glauben, sie seien
nichts wert“ (ebenda S. 297), sind für den Autor wesentliche Aufgaben der Behandlung. Ihre
niedrige Toleranz gegenüber Konflikten und ihr ausgeprägtes Empfinden innerer Leere und
Einsamkeit macht es in der Behandlung notwendig, dass sie den Aufbau neuer Beziehungen
und/oder
die
Erneuerung
alter
Beziehungen
erlernen.
Das
Dekatastrophisierung ist notwendig, um die Patienten gegenüber
Einüben
von
ihrer massiven
Hoffnungslosigkeit zu stärken. Dem ausgeprägten Schwarz – Weiß – Denken dieser
Patienten sollte durch eine Überprüfung der zugrunde liegenden Kognitionen und der
Entwicklung von konstruktiven Gedankenmustern begegnet werden.
Das beschriebene schwierige Beziehungsverhalten der Patienten zeigt sich natürlich auch in
der Arbeitsbeziehung zwischen Patient und Therapeut. Für Trautmann (2004) ist bei der
Behandlung von Patienten mit Borderline Störung wichtig, klare Absprachen zu treffen, ein
klares, gut strukturiertes Setting und eine rasche Klärung des Arbeitsauftrags. Absolute
Ehrlichkeit ist ein weiterer wichtiger Punkt in der Zusammenarbeit mit diesen Patienten, da
sie durch ihre hohe Sensibilität schnell spüren, ob beispielsweise ein genanntes Motiv für
eine Intervention ehrlich ist oder nicht. In ihrer Kindheit haben sie, so der Autor, oft genug
erlebt, dass etwas zu ihrem Besten sein sollte, was dann allerdings dem Wohl des anderen
diente. Außerdem würden diese Patienten sehr das Helfermotiv des Therapeuten
ansprechen, was bedeutet, dass der Behandelnde sich immer wieder überprüfen muss,
wessen Verantwortung er gerade übernimmt (Schwarzer 1999).
Die Spaltung der Welt in Gut und Böse nimmt der Borderline Patient auch innerhalb eines
Teams vor. Dabei kann der heute idealisierte Mitarbeiter morgen komplett unfähig sein, was
für den betroffenen Mitarbeiter als durchaus kränkend erlebt werden kann. Schwarzer (1999)
empfiehlt ein solches Verhalten nicht als persönliche Kränkung zu sehen, sondern es als
einen Ausweg aus einer angstauslösenden Beziehungssituation zu sehen, zu der dem
Patient andere Verhaltensalternativen fehlen. Mögliche Gegenübertragungen durch den
Therapeuten gelte es nicht herunter zu spielen, sondern sich offen damit auseinander zu
setzen. Offener Austausch im Team, Intervision und Supervision sind in der Arbeit mit
Borderline Patienten besonders wichtig, auch um immer wieder zu einer einheitlichen Linie
zurück zu finden.
89
5.2.7 Modifikation der Behandlungspfade für Patienten mit bestehender Suchtmittelabhängigkeit und Borderline-Störung
Die Aufgaben der Behandlungspfade (BHP), die in der Behandlung dieser Patientengruppe
besonders wichtig sind oder neu dazu genommen wurden, weil sie bei der Behandlung
ausschließlich suchtmittelabhängiger Patienten nicht notwendig waren, sind in den nun
folgenden Flussdiagrammen der Behandlungsphasen fett-kursiv hervorgehoben.
Orientierungsphase 1. – 8. Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und Borderlinestörung (BDL)
Aufnahme d.
Rehabilitanden u.
Bezugsgruppenzuteilung
Verantwortlichkeiten
1 Arzt
2 Bezugstherapeut
4 Psychologe
Therapeutische
Aufnahme
2
1
Medizin.
Diagnostik
Bemerkungen
Psychologische
Diagnostik
Aufnahmee
3
Zuordnung
BDL BHP
4
Tests
5
Aufnahmeanamnesebogen /
Aufnahmemappe
1 vergl. Kap.
IV.4.1
Medizinische
Aufnahme;
Kap. IV.4.2
Therapeutische
Aufnahme
MGU:
Medizinische
Fragebögen
Nein
2 Klärung der
Nebenkosten,
Krankenkasse
Juristisches
BHP Sucht
Ja
4 – 19
Bezugstherapeut
Teilweise auch
Einzeltherapeut
Stabilisierung d.
Therapiemotivation
6
Erste
Verhaltensanalysen
7
erste
Zielvereinbarungen
mit Rehabilitanden
8
Beobachtungen
Beobachtungen des
des
Sozialverhaltens
Sozialverhaltens/
Verantwortungsübernahme
9
Anbindung an die
Gruppe und an die
Klinik
10
Psychoedukation &
-Skillstraining
11
3 Abklärung der
Medikation
Differenzierung
des
Behandlungspla
nes nach
individuellem
diagnostischen
Schwerpunkt
4 BSI
5&7
Fallbesprechung
im Team
Vorlage Suchtinfo
Erlernen eines
Entspannungstrainings
Vorstellung der
Familienanamnese
12
14
6- 16, ohne 7-8,
finden in
Bezugsgruppen
statt
13
Teilnahme am
Gesundheitstraining
Auseinandersetzung
Selbtbild
15
Schilderung der
Lebensgeschichte
Darstellung
des sozialen Netzes
11 QMFB IV.5.7
Indikationsgrup
pen
Unterschriftenli
ste
16
Vorlage
Soziales Netz
Anstehende
Aufgaben
erfüllt
17
Nein
WechselJain
Kernphase
Nacharbeiten
fehlender
Aufgaben
18
19
90
Behandlungspfad Kernphase 9 - 17 Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und Borderline Störung
Verantwortung
Aufnahme in die
Kernphase
Bemerkungen
1 – 24
Bezugstherapeut
,
teilweise
Einzeltherapeut,
1
Vorstellung der
Suchtanamnese
2
Erarbeitung der
Funktonalität
der Drogen
Entwicklung Sinn
drogen-freien
Lebens
3
Auseinandersetz
ung mit Selbst/
Fremdbild
4
Erarbeiten
dysfunktionaler
Kognitionen
5
Erhöhung der
Selbstwirksamkeit
6
Vorstellung des
Delinquenzverlaufs
7
Analyse der
kriminellen
Energie
8
Entwicklung von
Zukunftsperspektive
9
10
Beobachtung des
Sozialverhaltens
in der Gruppe
13
Emotionen &
Emotionstagebuch
16
Teilnahme an
Rückfallprophylaxe
19
Durchführung
von Rehafahrten
Auseinandersetz
ung Beziehungsgestaltung
11
Angehörigen
Gespräch
12
Geschlechtsspezfische
Themen
14
Auseinandersetz
ung mit dem
Thema Sexualität
15
Erarbeitung
aktiver Freizeitgestaltung
Reflexion i. d.
Gruppe
17
Teilnahme an
Selbstsicherheits
training
20
Zielvereinbarung
überprüfen
18
Die Aufgaben, der
Kernphase,
werden in den
Therapiestandards
festgehalten und
abgezeichnet vom
jeweiligen
Therapeuten
MGU:
QMVA IV.5.3
Therapiestandards
(S. 189)
16 QMFB IV.5.7
Indikationsgruppe
n
Unterschriftenliste
21
24
Nacharbeit
fehlender
Themen
23
nein
Aufgaben
erfüllt??
22
ja
a
Wechsel in
Abschlussphase
91
Behandlungspfad Abschlussphase 18 – 26 Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und Borderline Störung
Aufnahme in die
Abschlussphase
Beobachtung des
Sozialverhaltens in der
Gruppe
Verantwortung
1
Bemerkungen
1 - 19
Bezugstherapeut
Einzeltherapeut
2 QMFB IV 5 7
Indikationsgruppen
Unterschriftenliste
Teilnahme an der
Rückfallprophylaxe
2
Krisenbewältig.
Stressmanagem. /
Notfallheft
Ausgewogenheit
v. Selbst- u. Gem.
schaftsverantwortung
5
Erhöhung der
Selbstwirksamkeit
Nachsorgeplanung
Adaption / BeWo
Rehafahrten/
Heimfahrten
8
11
3
Besuch einer
Selbsthilfegruppe
6
9
Erarbeitung einer
Berufsperspektiven
Teilnahme an einem
Genusstraining
Entwicklung einer
ZukunftsPerspektive
4
7
10
11 QMFB IV.10.3
Rehafahrtscheine
12
Reflexion i.
Einzel. /Gruppe
13 QMFB IV.5.5
SGELaufzettel_Freizeit
gestaltung
Erarbeitung aktiver
Freizeitgestaltung
13
14
Abschied aktiv
gestalten
15 QMFB IV.11.3
Patientenfragebog
en
Abschlussdiagnostik
Psychologischer
Test: BSI
16
15
Zielvereinbarun
gen überprüfen
17
Nachbearbeitung
fehlender
Themen
18
nein
Aufgaben
erfüllt??
ja
Entlassung
19
92
Wie bei den Behandlungspfaden für Depression und Suchtmittelabhängigkeit werde ich auch
hier nur die Veränderungen der drei Behandlungspfade vorstellen.
Da es sich bei der Borderline-Störung um ein vielfältiges Störungsbild handelt, ist es
schwierig, diesen Anforderungen im Rahmen einer Drogenentwöhnungsbehandlung voll
gerecht zu werden, denn eigentlich brauchen die Betroffenen alles, was Süchtige auch
brauchen, nur in größerem Umfang.
Ich beginne mit den Veränderungen innerhalb der Orientierungsphase. Zur Zeit wird die
Diagnostik
bei
bestehendem
Verdacht
auf
oder
einer
bereits
diagnostizierten
Persönlichkeitsstörung durch die leitende Psychiaterin durchgeführt. In der ersten
Teambesprechung nach allerspätestens zwei Wochen würde im Team entschieden, ob der
Patient den Behandlungspfad für die Borderline Patienten durchlaufen sollte. Durch das
häufig auffallende Verhalten kommt es meist schnell zu einer Auseinandersetzung mit dem
gezeigten Sozialverhalten in der Bezugsgruppe. Im Rahmen der Einzelgespräche sollten die
Schwierigkeiten des Patienten im Sozialkontakt noch einmal angesprochen werden und die
Beziehung zwischen Selbstbild und Auftreten des Patienten sollte erarbeitet werden. In den
Einzelkontakten müsste eine erste Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen
stattfinden, wobei zu Beginn besonders die Stärken fokussiert werden sollten, um die
Selbstwirksamkeit der Patienten zu stabilisieren und damit die Abstinenzzuversicht zu
verbessern. Da durch den Verzicht auf die Droge ein wesentliches Regulativ zur
Emotionssteuerung fehlt, würde bereits in der Orientierungsphase mit dem Skillstraining und
den regelmäßigen Entspannungsübungen begonnen. Da die Patienten zu Beginn oft mit den
Großplenen emotional überfordert sind, könnte für sie in dieser Zeit im Rahmen der
Psychoedukation eine Schulung angeboten werden. Bezüglich des Skillstraining ist mit der
Erstellung eines Notfallkoffers zu beginnen, es wird gemeinsam mit den Patienten überlegt
und geübt, was ihnen in dem bestehenden Rahmen helfen könnte, ihre Emotionen besser zu
kontrollieren.
Ob es dem Patienten gelingt, ein gutes Gleichgewicht zwischen Selbstverantwortung und
Verantwortungsübernahme in der Therapiegemeinschaft zu entwickeln, muss bei Borderline
Patienten sicherlich bereits in dieser Phase beleuchtet werden und nicht, wie bei den
Behandlungspfaden
der
ausschließlich
suchtmittelabhängigen
Patienten,
in
der
Abschlussphase. Meist übernehmen diese Patienten bereits nach kurzer Zeit viel
Verantwortung innerhalb der Großgruppe, da dies Teil ihrer Beziehungsmuster ist. Damit
schaffen die Patienten aber gerade zum Behandlungsbeginn eine Überforderungssituation,
auf die sie mit impulsiven Durchbrüchen reagieren. Oft entstehen dadurch Situationen, in
denen die Patienten die Behandlung abbrechen wollen, da sie sich in eine ihnen bekannte
93
Lage gebracht haben und daraus ableiten, dass die Behandlung keinen Sinn hat und die
Drogen doch das Einzige sind, was ihnen helfen kann.
Die mit dem oben Beschriebenen im Zusammenhang stehende Notwendigkeit der
Auseinandersetzung mit dem Selbstbild, die Verbesserung der Selbstwirksamkeit und der
Abstinenzzuversicht sind Aufgaben, die sich durch die gesamte Behandlung der Patienten
ziehen müssen, aber bereits in der Orientierungsphase beginnen sollten.
In der Kernphase sollten zusätzlich das intensive Erarbeiten der dysfunktionalen Kognitionen
und die detailierte Auseinandersetzung mit dem emotionalen Erleben im Behandlungsfokus
stehen, damit die Patienten lernen, ihre Emotionen besser zu differenzieren. Dazu ist es
notwendig, dass sie ein Emotionstagebuch führen, das regelmäßig durch den Bezugs- oder
den Einzeltherapeut angesehen und besprochen wird. Borderline Patienten müssen in den
ersten beiden Behandlungsdritteln mehr Einzelgespräche erhalten als ausschließlich
suchtmittelabhängige Patienten. Dabei wäre es wichtig, dass sich Bezugs- und
Einzeltherapeut gut austauschen, sonst wird der Patient mit seinen Spaltungsversuchen
sicherlich zum Erfolg kommen. Über die Beziehungsgestaltung der Patienten innerhalb der
Patientenschaft und des Teams wird zur allgemeinen Beziehungsgestaltung der Patienten
übergeleitet, da hier häufig pathologische Muster vorliegen. Sollten die Patienten einen
engeren Kontakt zu einem anderen Patienten eingegangen sein, was häufig der Fall ist,
können an diesem konkreten Beispiel die Beziehungsmuster thematisiert werden. Hierzu
gehört ebenfalls die Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Themen, die zur Zeit
meist in Einzelgesprächen oder in den Männer- oder Frauengruppen stattfindet. Für eine
langfristige Abstinenz ist eine konkrete Entwicklung der Zukunftsperspektive und damit
verbunden eine Sinnfindung für eine drogenfreies Leben maßgeblich. Hier kann man
wieder alten Denkmustern begegnen, so dass unter Umständen erneut eine Überprüfung der
kognitiven Muster notwendig wäre.
Die zuletzt genannten Themen müssen natürlich auch in der Abschlussphase weiter
bearbeitet werden.
Wenn es der Klinikrahmen zulässt, findet aktuell in der letzten Phase noch einmal ein
Genusstraining statt, meist ist es verkürzt auf die Sinnesreize, die für den Patienten oder die
Patientengruppe wichtig sind, häufig Schmecken, Hören und Fühlen. Dies müsste fester
Bestandteil
des
Behandlungspfades
werden.
Erreicht
ein
Borderline
Patient
die
Abschiedsphase der Behandlung, was leider in den meisten Fällen nicht der Fall ist, liegt hier
noch einmal eine Hürde durch den bevorstehenden Abschied. Die damit verbundenen
Emotionen müssen sowohl in den Einzel- als auch in den Gruppensitzungen besprochen und
94
ein angemessener Umgang damit erarbeitet werden. Hilfreich kann es sein, hier immer an
das Erreichte zu erinnern und damit die Selbstwirksamkeit zu aktivieren, so dass der Patient
den Mut und die Energie aufbringen kann für den Wechsel in die Nachsorgeeinrichtung.
Aufgaben, die ich bereits an anderer Stelle beschrieben habe, stelle ich hier nicht erneut vor,
sondern verweise durch die hinter der Aufgabe stehende Seitenzahl auf die frühere
Beschreibung.
Zusätzliche oder modifizierte Aufgaben während der Behandlung:
•
Diagnostik (31)
•
Überprüfung dysfunktionaler Kognitionen (S. 47)
•
Emotionstagebuch (S. 152)
•
Entspannungstraining (S. 157)
•
Ressourcenaufbau (S.158)
•
Emotionsregulationstraining (S. 166)
•
Gruppentherapie für Borderline Patienten nach Linehan (angeboten im Rahmen der
Psychoedukation) (S. 168)
•
Genusstraining (S. 170)
•
Selbstsicherheitstraining (S.182)
•
Skillstraining und Notfallkoffer
Gruppentherapie für Borderline Störung nach Linehan
Das Gruppentherapieprogramm für Patienten mit Borderline Störung nach Linehan (1993)
besteht aus acht Sitzungen, die hier kurz vorgestellt werden (nach Fiedler 2005). Ich stelle
hier nur eine grobe Zusammenfassung vor, eine ausführlichere Ausarbeitung ist bei den
Trainingsprogrammen (S.168) im Anhang zu finden.
Die erste Sitzung dient der Orientierung über das Therapieprogramm und der Vorstellung der
Gruppenteilnehmer.
Die zweite Sitzung beschäftigt sich mit der Schulung der Wahrnehmungsfertigkeiten.
Die Patienten erhalten Selbstbeobachtungsprotokolle, in die sie alle störungsrelevanten
Ereignisse und Erfahrungen eintragen sollen. Diese werden in jeder folgenden Sitzung
besprochen und spiegeln Veränderungen und Therapiefortschritte wider. Wichtig ist bei der
Nachbearbeitung der Tagebücher, rationale Handlungen den emotionalen Handlungen
gegenüber zu stellen. Die Patienten werden dazu aufgefordert, die bei ihnen überwiegenden
Emotionen durch das Einüben sorgfältigen Nachdenkens und inhaltlich begründeten
Handelns zu ersetzen. Ziel ist es, rationale und gefühlsmäßige Situationsaspekte zu
95
integrieren. Durch verschiedene Übungen wird den Patienten gezeigt, dass es zwischen
Schwarz und Weiß viele weitere Farbschattierungen gibt.
Skillstraining
Skills bedeuten in der Dialektisch Behavioralen Therapie nach Linehan Fertigkeiten, die
helfen
sollen,
Anspannungen
zu
reduzieren
und
krisenhafte
Situationen
ohne
selbstschädigendes Verhalten zu überstehen (Rentrop et al 2008). Selbstschädigendes
Verhalten ist
anzusehen als eine Reaktionsbildung zur Vermeidung oder Reduzierung
negativer Emotionen und wird von den Patienten häufig als Kontrollverlust erlebt. Klares
Denken ist dann meist nicht mehr möglich, es ist nur noch der eine Wunsch da, den
unangenehmen Zustand rasch zu beenden. Dass es den Patienten gelingt, in einer solchen
Situation die Kontrolle zu behalten, dies ist das Ziel eines Skillstrainings. Dabei werden
verschiedene
Lebensbereiche
trainiert.
Es
gibt
Stresstoleranzskills,
die
auf
Körperempfindungen basieren und ungefährliche Schmerzreize darstellen.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Emotionsregulation, indem die Patienten lernen, ihre
Gefühle richtig zu identifizieren und ein überlegtes Handeln anzuschließen.
Beim Erwerb zwischenmenschlicher Skills geht es darum, Gefühle, Wünsche und Kritik
angemessen auszudrücken, wie das Trainingsprogramm nach Linehan zeigt.
Zu guter Letzt ist das Einüben von Achtsamkeit ein wesentliches Training, bewusst im
Augenblick leben, was meist durch regelmäßige Meditationsübungen und durch das Erlernen
einer Entspannungstechnik erreicht werden kann.
Der Notfallkoffer
Die Materialien, die für die Stresstoleranzskills benötigt werden, fassen Borderline Patienten
häufig in einem „Notfallkoffer“ zusammen.
Dazu probieren die Patienten die einzelnen Mittel im normalen Alltag, ohne erhöhtes
Stresserleben aus, und entscheiden, welche ihnen am besten helfen könnten. Diese
Substanzen werden dann an einem festen Ort in der Wohnung aufbewahrt und werden in
der Tasche oder dem Rucksack der Patienten immer mitgeführt (Rentrop et al 2008). Oft ist
es zu Behandlungsbeginn so, dass eine Kette von Substanzen genutzt werden müssen, um
dem emotionalen Erleben einen wirksamen Gegenreiz zu bieten, z.B. nimmt jemand
zunächst
Braustabletten ein,
Ammoniakfläschchen.
Werden
kaut
durch
anschließend eine Chilischote und riecht
das
Training
der
anderen
Fähigkeiten
am
die
Kontrollmöglichkeiten des emotionalen Erlebens immer mehr verbessert, bedarf es meist
keiner Ketten von Substanzen mehr, sondern es reicht ein Mittel in absoluten Notsituationen.
96
5.3 Die Komorbidität von Suchtmittelabhängigkeit und dissozialer
Persönlichkeitsstörung.
Der letzte modifizierte Behandlungspfad stellt die Behandlung bei bestehender Komorbidität
von Suchtmittelabhängigkeit und dissozialer Persönlichkeitsstörung dar.
Vogelgesang (2006) beschreibt zwei Typen von gewalttätigen Patienten, die es in einer
Einrichtung geben kann. Einmal ist es der Patient, der nicht über seine Aggressivität und
Gewalttätigkeit sprechen möchte, weil er sich für sein Verhalten schämt. Dieser Patient hat
dann allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit keine dissoziale Persönlichkeitsstörung, da bei
ihm ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass das gezeigte Verhalten nicht der Norm
entspricht. Der zweite Typ des gewalttätigen Patienten, ist sich der Auffälligkeit seines
Verhaltens gar nicht bewusst, er erachtet es als sein Recht, sich nicht an das Recht halten
zu müssen. Um diese Patienten geht es in den folgenden Ausführungen, die, wie auch bei
den anderen Störungsbildern, mit den Diagnosekriterien beginnen.
5.3.1 Diagnostik der dissozialer Persönlichkeitsstörung
Zunächst die Diagnosekriterien der dissozialen Persönlichkeitsstörung (F60.2) nach ICD 10
(2010, S. 248):
Diese Persönlichkeitsstörung fällt durch eine große Diskrepanz zwischen dem
Verhalten und den geltenden sozialen Normen auf und ist charakterisiert durch:
1. Kaltes Unbeteiligtsein und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Gefühlen anderer.
2. Grobe und andauernde Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer
Normen, Regeln und Verpflichtungen.
3. Unvermögen zur Beibehaltung längerfristiger Beziehungen, aber keine
Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen.
4. Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, auch
gewalttätiges Verhalten.
5. Unfähigkeit zum Erleben von Schuldbewusstsein oder zum Lernen aus
Erfahrungen, besonders aus Bestrafungen.
6. Ausgeprägte Neigung, andere zu beschuldigen oder einleuchtende
Rationalisierungen für das eigene Verhalten anzubieten, durch welches die Person
in einen Konflikt mit der Gesellschaft geraten ist.
97
5.3.2 Epidemiologie der dissozialen Persönlichkeitsstörung
Rieger et al erhoben 1990 Daten, bei denen 50 % der Opiatabhängigen eine dissoziale
Persönlichkeitsstörung aufwiesen. Beck et al (1994) nennt eine Lebenszeitprävalenz der
dissozialen Persönlichkeitsstörung bei Suchtmittelabhängigen von 20 – 50%, eine
beachtliche Spanne.
5.3.3 Ätiologie der dissozialen Persönlichkeitsstörung
Davison und Neale (1998) stellen zahlreiche Untersuchungen vor, die mit dissozialen
Personen durchgeführt wurden, um ein besseres Verständnis für dieses Störungsbild zu
erlangen. Adoptionsstudien konnten zeigen, dass dissoziales Verhalten genetisch weiter
gegeben wird, so dass die Kinder eines dissozialen Elternteils eine erhöhte Disposition habe,
selbst dieses Verhalten zu zeigen. Untersuchungen des zentralen Nervensystems dieser
Personen zeigten Abnormitäten bei der gezeigten Wellenfrequenz. Die Autoren erwähnen
unter anderen eine Studie von Ellington (1954), die eine niedrige Wellenfrequenz im EEG
dissozialer Menschen zeigt, wie sie für Säuglinge und Kleinkinder normal ist, aber nicht für
Erwachsene. Eine weitere Untersuchung von Sydulko (1978) wird zitiert, die neben der
niedrigen Wellenfrequenz positive Spitzen im Temporallappen aufwiesen, die aus
Aktivitätsausbrüchen mit einer hohen Frequenz bestanden. Allerdings weisen nicht alle
Patienten diese Abnormitäten auf, so dass nicht von einem allgemein gültigen Kriterium
ausgegangen werden kann. Untersuchungen von McCord und MCCord aus dem Jahr 1964
zu den familiären Beziehungen, in denen dissoziale Personen aufwachsen zeigen, dass
elterliche Zuwendung häufig fehlte und die Kinder von den Eltern zurückgewiesen wurden.
Andere Untersuchungen zeigten, dass die Eltern sowohl in ihren Disziplinierungsmaßnahmen als auch in dem Versuch, den Kindern Verantwortung für andere beizubringen,
inkonsequent waren (Bennett 1960 in Davison & Neale 1998). Eine offene Frage war, warum
dissoziale Personen nicht aus Erfahrungen lernen. Eine Annahme hierzu war, dass das
Angstniveau der Patienten niedriger ist als bei normalen Menschen, was sich durch
verschiedene Untersuchungen (Lykken, 1957 und Schachter und Latané,1964 in Davison
Neale,1998) bestätigte. Außerdem gelingt es den Patienten sehr rasch, sich innerlich von
dem Gefühl der Angst zu distanzieren (Ogloff & Wong 1990 in Davison & Neale 1998). 1970
erweiterte Schmauk die Fragestellung der mangelnden Lernfähigkeit um den Aspekt der
Differenzierung der Strafe und stellte fest, dass die Patienten durchaus in der Lage waren,
ihr Verhalten zu kontrollieren, und zwar dann, wenn sie durch das Nichtlernen materiellen
Schaden nehmen würden. Ein anderer Faktor ist die Schwierigkeit der Patienten, über einen
längeren Zeitraum eine zielgerichtete Tätigkeit beizubehalten. Hier ergaben Untersuchungen
von Gorenstein und Newman (1980), das Tiere mit Läsionen im ZNS im Bereich des
98
Septums, des Hippocampus und des präfrontalen Cortex ähnliche Schwierigkeiten hatten.
Gorenstein nimmt an, dass die Präsens eines Ereignisses, das nicht unmittelbar in der
näheren Umgebung auftritt, beispielsweise eine Inhaftierung bei bestimmten Straftaten, bei
diesen Läsionen nur schwach ist und damit nicht zur Verhaltenskontrolle führen kann.
Aus lerntheoretischer Sicht beschreibt Margraf (2000), dass bei Kindern mit einer Störung
des Sozialverhaltens oft eine familiäre Häufung aggressiver, expansiver Verhaltensweisen
vorliegt, entsprechend den Ausführungen von Davison und Neale. Zudem würde das
aggressive Verhalten der Kinder immer wieder verstärkt. Sie erhalten durch ihr aggressives
Verhalten mehr Aufmerksamkeit durch Eltern oder Lehrer, oder die Eltern ziehen an die
Kinder gestellte Anforderungen zurück, weil die Kinder aggressiv reagieren. All das bedeutet
für das kindliche Verhalten eine negative Verstärkung. Andere Kinder ziehen sich von dem
aggressiven Kind zurück oder reagieren passiv, was das aggressive Verhalten weiter
verstärken kann. Der Autor weist auf das Modelllernen nach Bandura hin, der in einer
Untersuchung belegen konnte, dass Kinder sich im Ausdruck ihres aggressiven Verhaltens
an erwachsenen Vorbildern orientieren. Der Erziehungsstil der Eltern sei, so Margraf, häufig
stark bestrafend. Diese Kinder zeigen außerhalb der Familie öfter aggressives Verhalten als
Kinder, die mit einem weniger hart strafenden Erziehungsstil aufwachsen. Der Erziehungsstil
der Eltern sich expansiv verhaltender Kinder wird als unberechenbar beschrieben. Auch wird
genannt, dass Elternpaare dieser Kinder häufig streiten. Die Therapieforschung zu diesem
Störungsbild zeigt durchaus Möglichkeiten einer erfolgreichen Behandlung, wenn die Eltern
angeleitet werden, effektiver auf das Verhalten ihrer Kinder einzugehen und den Kindern und
Jugendlichen alternative Verhaltensweisen zu ihrem aggressiven Verhalten gezeigt werden.
Allerdings
stellt
Margraf
(2000)
fest,
dass
auch
hier
bei
den
angebotenen
Trainingsprogrammen eine Abbruchquote von 50 % vorliegt. Je ausgeprägter das aggressive
Verhalten ist, desto ungünstiger ist die Prognose (ebenda).
Trotzdem besteht durch die frühzeitige Behandlung dieser Störung eine deutlich bessere
Prognose als bei der Erwachsenenstörung der Dissozialität. Aus diesem Grund habe ich das
Störungsbild der expansiven Verhaltensstörung hier kurz erwähnt.
5.3.4 Therapeutische Behandlungsansätze bei dissozialer Persönlichkeitsstörung
Moggi
(2002)
empfiehlt
für
die
Behandlung
von
Patienten
mit
dissozialer
Persönlichkeitsstörung, zunächst das Interesse für die Behandlung zu wecken, da die
meisten dieser Patientengruppe nicht freiwillig in eine Behandlung gehen. Machtkämpfe
gälte es zu vermeiden und die Zusammenarbeit müsse immer wieder auf die sachliche
99
Ebene zurück geführt werden, auch wenn der Patient wiederholt Manipulationsversuche
unternehme.
Beck et al (1997) empfehlen, ebenso wie Moggi, bei dissozialen Patienten als erstes einmal
nicht auf die angebotenen Machtkämpfe einzugehen (ebenso Vogelgesang 2006). Die
Notizen der Sitzungen sollten möglichst detailliert sein, um Leugnungen entgegenwirken zu
können. Auf der Ebene der Verantwortung sei der dissozial persönlichkeitsgestörte Patient
nicht erreichbar. Erfolgreicher sei es, ihm Kosten und Nutzen seines Verhaltens vor Augen
zu führen und durch eine unterhaltsame Therapie sein Interesse an der Fortsetzung der
Behandlung zu erreichen. Ein weiterer wesentlicher Behandlungsbaustein ist aus seiner
Sicht ein Selbstsicherheitstraining. Dies begründen Beck et al (1997) damit, dass die
Grundlage des passiv-aggressiven Verhaltens oft eine reduzierte Selbstsicherheit sei. Durch
ein echtes stabiles Selbstbewusstsein würden die Patienten beispielsweise ihre Kritik direkt
äußern, so dass das gezeigte Verhalten oder der Widerstand vom Therapeuten besser zu
verstehen sei.
Bezüglich der bereits weiter oben erwähnten Machtkämpfe beschreibt Trautmann (2004)
folgendes Dilemma, in dem sich ein Therapeut gegenüber einem dissozialen Patienten
befindet: „Demonstriert man gegenüber dem Patienten, dass man der Stärkere ist, kommt er
nicht wieder; lässt man dem Patienten das Dominanzgefühl, kommt er auch nicht wieder,
weil so ein „Schwächling“ kein ebenbürtiger Gesprächspartner ist, von dem man sich etwas
sagen lässt“ (S. 95). Der Autor geht davon aus, dass eine Therapie nur dann möglich ist,
wenn der Patient der Therapie nicht ausweichen kann. Dann sei es Aufgabe des
Therapeuten, ständig
seine Macht zu demonstrieren und sich auf die so entstehenden
Konflikte einzulassen. Ich finde diese Variante sehr anstrengend für die therapeutische
Arbeit und denke, dass es für den Patienten immer die Alternative der Haft gibt, die er einem
eventuell aussichtslosen Machtkampf vorzieht. Eine klare Haltung ist aus meiner Erfahrung
beim dissozialen Patienten notwendig, und ihm dabei das Gefühl zu vermitteln, dass ihm die
Entscheidung zur Veränderung
überlassen ist, ihn aber immer wieder sachlich an die
Kosten einer Verweigerung zu erinnern, denn die Androhung einer Sicherheitsverwahrung
stellt doch eine beachtliche negative Konsequenz für den Patienten dar. Aber es sei noch
einmal erwähnt, dass dies meine eigenen Erfahrungen sind, die empirisch nicht belegt
werden können.
Die Chancen, durch eine Therapie eine Verhaltensänderung der Patienten herbeizuführen,
wird von Davison und Neale bei dissozialen Patienten als sehr schlecht eingestuft. Da diese
Personen misstrauisch sind, häufig nicht die Wahrheit sagen und ihnen soziale Kontakte
unwichtig sind, ist es schwierig, zu ihnen eine stabile therapeutische Beziehung aufzubauen.
100
Da sie sich meist mit ihrem Verhalten im Recht fühlen, ist kein inneres Einsehen vorhanden,
das gezeigte Verhalten zu verändern.
Die Frage ist, ob sich die Behandlungschancen dieser Patienten bessern würden, wenn die
Wirkungserwartung ihrer Therapeuten neutral wäre? Davon geht Vogelgesang (2006) bei der
Vorstellung ihres Therapieprogramms für Patienten mit diesem Störungsbild aus. Sie
benennt eine Hilf- und Hoffnungslosigkeit, mit der viele Therapeuten dissozialen Patienten
begegnen, teilweise auch weil sie in ihrer Ausbildung wenig auf diese Patientengruppe
vorbereitet worden sind. Dadurch kann es, so die Autorin, zwischen Patient und Therapeut
zu einem Schweigebündnis bezüglich der Themen Aggression und Gewalt kommen. Das
wiederum bedeutet, dass der Patient eines seiner wichtigsten Themen nicht bearbeiten
kann. Die Autorin hat für ihre Einrichtung ein Therapieprogramm entwickelt, dass ich im
Anhang B, S. 169 kurz vorstelle.
Fiedler (2004) meint hingegen, dass sich zu sehr auf die Behandlung von Kriminalität,
Delinquenz und Gewalt konzentriert wird, anstatt sich auf persönlichkeitsbedingte
Interaktionseigenschaften zu konzentrieren. Die bisher angebotenen Behandlungen
bestehen meist aus einer Kombination aus Einzel- und Gruppentherapie, die überwiegend im
Rahmen einer Institution angeboten werden. Schwerpunkte der Behandlung sollten das
Herausarbeiten der für eine Person typischen Auslöser für Impulskontrollverluste und
Aggressivität und eine Verbesserung der Wahrnehmung eigener Risikomerkmale und der
eigenen Reaktion darauf sein. Der Patient sollte Verhaltensalternativen erwerben, mit denen
er seine Interessen gewaltfrei ausdrücken und erreichen kann. Das Einbeziehen der
Angehörigen und Bezugspersonen bereits in einem frühen Behandlungsstadium ist für
Fiedler wichtig, um mit ihnen gemeinsam neue Konfliktlösungsmuster zu erarbeiten. Auch
die Zeit nach der Entlassung sollte frühzeitig geplant werden, so dass der Patient mit einer
tragfähigen
Lebensperspektive
die
Behandlung
beendet,
im
Idealfall
durch
eine
Nachsorgeeinrichtung weiter begleitet werden kann.
Aus dem Vorgestellten ergeben sich Veränderungen in der Behandlung, die in den nun
folgenden Behandlungspfaden berücksichtigt werden.
101
5.3.5 Modifikation der Behandlungspfade für Patienten mit bestehender Suchtmittel-
abhängigkeit und dissozialer Persönlichkeitsstörung
Die Aufgaben der Behandlungspfade (BHP), die in der Behandlung dieser Patientengruppe
besonders wichtig sind oder neu dazu genommen wurden, weil sie bei der Behandlung
ausschließlich suchtmittelabhängiger Patienten nicht notwendig waren, sind in den nun
folgenden Flussdiagrammen der Behandlungsphasen fett-kursiv hervorgehoben.
Orientierungsphase 1. – 8. Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und dissoziale Persönlichkeitsstörung (DL)
Aufnahme d.
Rehabilitanden u.
Bezugsgruppenzuteilung
Verantwortlichkeiten
1 Arzt
2 Bezugstherapeut
4 Psychologe
Therapeutische
Aufnahme
1
Medizin.
Diagnostik
2
Aufnahmeanamne
sebogen / Aufnahmemappe
Psychologische
Diagnostik
Aufnahmee
3
1 vergl. Kap.
IV.4.1
Medizinische
Aufnahme;
Kap. IV.4.2
Therapeutische
Aufnahme
MGU:
Medizinische
Fragebögen
4
Test
5
Zuordnung
DL BHP
2 Klärung der
Nebenkosten,
Krankenkasse
Juristisches
BHP Sucht
Nein
Ja
6 – 18
Bezugstherapeut
Teilweise auch
Einzeltherapeut
Bemerkungen
Stabilisierung d.
Therapiemotivation
6
Erste
Verhaltensanalysen
7
erste
Zielvereinbarungen
mit Rehabilitanden
Beobachtungen des
Sozialverhaltens in
der Gruppe
9
Anbindung an die
Gruppe und an die
Klinik
10
Teilnahme an
Psychoedukation
Teilnahme an einem
Gesundheitstraining
12
3 Abklärung der
Medikation
Differenzierung
des
Behandlungspla
nes nach
individuellem
diagnostischen
Schwerpunkt
8
11
4 BSI
5 &7
Fallbesprechung
im Team
Vorlage Suchtinfo
Erhebung der
Familienanalyse
13
14
Schilderung der
Lebensgeschichte
5- 18, ohne 6-8,
finden in
Bezugsgruppen
statt
Darstellung
des sozialen Netzes
11 QMFB IV.5.7
Indikationsgrup
pen
Unterschriftenli
ste
15
Vorlage
Soziales Netz
16
Anstehende
Aufgaben
erfüllt
Nein
Nacharbeiten
fehlender
Aufgaben
17
Ja
Wechsel in
Kernphase
18
102
Behandlungspfad Kernphase 9 - 17 Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und dissoziale Persönlichkeitsstörung
Verantwortung
Aufnahme in die
Kernphase
Bemerkungen
1 – 24
Bezugstherapeut
,
teilweise
Einzeltherapeut,
Vorstellung des
Delinquenzverlaufs
1
Analyse der
kriminellen
Energie
Auseinandersetz
ung mit Selbst-/
Fremdbild
4
Erarbeitung
dysfunktionaler
Kognitionen
Vorstellung der
Suchtanamnese
7
Erarbeitung der
Funktionalität
der Drogen
10
Beobachtung
des
Sozialverhaltens
13
Auseinandersetz
ung mit
Emotionen
16
Teilnehme an
Rückfallprophylaxe
19
Durchführung
von Rehafahrten
2
Erarbeitung des
Kosten/ Nutzen
Abwägens
3
5
Erhöhung der
Selbstwirksamkeit
6
8
Sinn eines
drogenfreien
Lebens
9
Auseinandersetz
ung Beziehungsgestaltung
11
Angehörigen
Gespräch
12
Geschlechtsspezfische
Themen
14
Auseinandersetz
ung mit dem
Thema Sexualität
15
Entwicklung
einer Zukunftsperspektive/
Nachsorge
18
Erarbeitung
aktiver Freizeitgestaltung
Reflexion i. d.
Gruppe
17
20
Zielvereinba
rungen
überprüfen
Die Aufgaben,
der Kernphase,
deren Erledigung
durch die
Rehabilitanden
erfolgt, werden in
den
Therapiestandar
ds festgehalten
und
abgezeichnet
vom jeweiligen
Therapeuten
MGU:
QMVA IV.5.3
Therapiestandar
ds
16 QMFB IV.5.7
Indikationsgruppen
Unterschriftenlist
e
21
24
Nacharbeit
fehlender
Themen
23
nein
Aufgaben
erfüllt??
22
ja
a
Wechsel in
Abschlussphase
103
Behandlungspfad Abschlussphase 18 – 26 Behandlungswoche
Suchtmittelabhängigkeit und dissoziale Persönlichkeitsstörung
Aufnahme in die
Abschlussphase
Beobachtung des
Sozialverhaltens
Verantwortung
1 - 18
Bezugstherapeut
Einzeltherapeut
1
Bemerkungen
2 QMFB IV 5 7
Indikationsgruppen
Unterschriftenliste
Bezugsgru
Teilnahme an
Rückfallprophylaxe
2
Krisenbewältig.
Stressmanagem. /
Notfallheft
Ausgewogenheit
v. Selbst- u. Gem.
schaftsverantwortung
5
Erhöhung der
Selbstwirksamkeit
7
Nachsorgeplanung
Adaption / BeWo
3
Besuch einer
Selbsthilfegruppe
4
6
8
Erarbeitung von
Berufsperspektiven
Entwicklung einer
Zukunftsperspektive
9
10 QMFB IV.10.3
Rehafahrtscheine
Durchführung von
Rehafahrten/
Heimfahrten
Erarbeitung aktiver
Freizeitgestaltung
10
12
Reflexion in
Einzel. /Gruppe
11
12 QMFB IV.5.5
SGELaufzettel_Freizeit
gestaltung
13
Abschied aktiv
gestalten
14 QMFB IV.11.3
Patientenfragebog
en
Abschlussdiagnostik
14
Psychologischer
Test: BSI
15
Zielvereinbarun
gen überprüfen
16
Nachbearbeitung
Bemerkungen
17
nein
Aufgaben
erfüllt??
ja
Entlassung
18
104
Wie
bei
den
Modifikationen
der
Behandlungspfade
bei
Depression
und
Suchtmittelabhängigkeit und Borderline Störung und Suchtmittelabhängigkeit werde ich auch
hier nur die Veränderungen der drei Behandlungspfade vorstellen.
Zusätzlich zu dem Fragebogen der Aufnahmediagnostik findet aktuell eine ausführliche
Diagnostik durch die leitende Psychiaterin statt. Eine ausführliche Anamnese des
Bezugstherapeuten, die sehr sorgfältig protokolliert wird, ist ebenfalls wichtig für eine gute
Diagnostik. Ob der Patient diesem Behandlungspfad zugeordnet wird, sollte spätestens nach
zwei Wochen in einer Teambesprechung entschieden werden. Während der gesamten
Behandlung sollte großes Augenmerk auf das gezeigte Sozialverhalten des Patienten gelegt
werden. Hinweise, dass Regeln nicht zu diskutieren, sondern einzuhalten sind, sind hier
immer wieder notwendig. Wichtig ist aber nicht nur das Einhalten der Regeln, sondern das
gesamte Auftreten des Patienten, seine Körpersprache und Mimik müssen beachtet werden,
da diese von den Patienten bewusst eingesetzt werden, um andere Patienten zu
manipulieren, meist mit dem Ziel, sie einzuschüchtern. Dissozial persönlichkeitsgestörte
Patienten mit Therapieerfahrung wissen, dass Konflikte in einer Behandlung ohne Gewalt
und Gewaltandrohung gelöst werden müssen und versuchen sich zumindest vordergründig
an diese Regel zu halten. Patienten mit diesem Störungsbild ohne Therapieerfahrung geben
nicht vor, sich an diese Regel halten zu wollen, sondern sprechen in Konfliktsituationen
Gewaltandrohungen
aus.
Da
Gewalt
und
Gewaltandrohung
zu
einer
sofortigen
disziplinarischen Entlassung führen können, steht der Patient meist sehr häufig zu
Behandlungsbeginn bereits vor seiner disziplinarischen Entlassung. Hier muss die erste
Auseinandersetzung mit dem Kosten-Nutzen-Prinzip beginnen, indem dem Patienten
verdeutlicht wird, dass ihn dieses Verhalten sofort wieder zurück in die Haft bringt. Akzeptiert
der Patient diesen deutlichen Hinweis, arbeitet er dann bereits an der Verbesserung seiner
Konfliktfähigkeit und der Akzeptanz der Regeln. Diese Auseinandersetzung mit der
Konfliktfähigkeit
und
der
Sozialverträglichkeit
müsste
sich
durch
die
gesamte
Behandlungszeit ziehen.
In
der
Kernphase würde
die
vorrangige Aufgabe nicht,
wie
bei
ausschließlich
suchtmittelabhängigen Patienten, darin bestehen, den Suchtverlauf in der Bezugsgruppe
vorzustellen, sondern hier muss die erste Aufgabe sein, den Delinquenzverlauf vorzustellen
und regelmäßig an der Delinquenzgruppe teilzunehmen, die als Indikationsgruppe meist drei
Mal im Monat über 90 Minuten angeboten wird. Bei der Analyse der Bedeutung des
dissozialen Verhaltens sollte wieder das Einüben der Kosten-Nutzen-Abwägung im
Vordergrund stehen. Entscheidet der Patient sich, zukünftig auf dissoziales Verhalten zu
verzichten, bedeutet das für ihn eine starke Verunsicherung des Selbstbildes, so dass die
105
Teilnahme an einem Selbstsicherheitstraining notwendig ist. Auch in der Kernphase ist die
Auseinandersetzung mit dem Sozialverhalten angezeigt.
Ähnlich wie bei den anderen komorbiden Störungsbildern sollte auch hier bereits in der
Kernphase eine Auseinandersetzung mit der Zukunftsplanung und eine Vorbereitung der
Nachsorge stattfinden, da besonders für diese Patienten ein Wechsel in ein delinquenzfreies
Leben als bedrohlich erlebt wird und mit vielen Unsicherheiten verbunden ist. Im Umgang mit
Krisen brauchen diese Patienten eine umfangreiche Unterstützung, die nicht erst im letzten
Behandlungsdrittel beginnen kann, sondern im Rahmen des Konfliktmanagements bereits in
der Orientierungsphase beginnen muss. Aufgaben, die ich bereits an anderer Stelle
beschrieben habe, stelle ich hier nicht erneut vor, sondern verweise durch die hinter der
Aufgabe stehende Seitenzahl auf die frühere Beschreibung.
Zusätzliche oder modifizierte Aufgaben während der Behandlung:
•
Ausführliche Anamneseerhebung / Diagnostik (31)
•
Auseinandersetzen mit Verstößen gegen die Klinikregeln (S. 149)
•
Vorstellung des Delinquenzverlaufes (S. 152)
•
Ressourcenaufbau (S. 158)
•
Selbstsicherheitstraining (S. 182)
•
Teilnahme an der Indikationsgruppe Delinquenz
•
Umgang mit Frustrationen
Vorstellung des Delinquenzverlaufes
Anders
als
bei
der
Vorstellung
des
Delinquenzverlaufes
bei
in
erster
Linie
Suchtmittelabhängigen, ist Patienten mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung die
Vorstellung ihrer Straftaten nicht unangenehm. Sie berichten von allem, was sie bisher
angestellt haben mit sichtlichem Stolz, ohne daran zu denken, wo sie dieses Verhalten
hingeführt hat und wie es den Opfern ihrer Straftaten ergangen ist. Hier ist es wichtig, die
Gruppendynamik im Auge zu behalten. Befindet sich mehr als ein dissozialer Patient in einer
Bezugsgruppe, kommt es zum gegenseitigen Sich-auf-die-Schultern-Klopfen oder offenen
Respektbekundungen, was eine Verstärkung des beschriebenen Verhaltens darstellt. Es gilt
dann, die nicht delinquenten Gruppenmitglieder zu stärken und zu ermutigen, ihren Eindruck
zu dem Geschilderten zu äußern, um dem Patienten zu zeigen, welche Empfindungen er
damit bei anderen Menschen auslöst. Aus meiner Sicht sollte aber auch der Stolz
angesprochen werden und das gute Gefühl, das der Patient hatte, während er allen anderen
106
gezeigt hat, dass er viel besser ist als sie. Gleichzeitig sollte der Patient darauf hingewiesen
werden, dass es sich bei den Erfolgen seiner Delinquenz um kurzfristige Erfolge handelt.
Teilnahme an der Indikationsgruppe Delinquenz
Die Inhalte der Delinquenzgruppe der Fachklinik Liblar lehnen sich an das Münchwieser
Gruppenprogramm für Substanzabhängige mit aggressiven Störungen nach Vogelsang
(2006) an, das ich im Folgenden nur kurz vorstellen möchte. Eine ausführlichere
Beschreibung erfolgt im Anhang B, S. 174). Wie der Titel sagt, konzentriert sich dieses
Programm auf aggressive Störungen, wurde von dem Leiter der Delinquenzgruppe unserer
Einrichtung aber so adaptiert, dass es für die Auseinandersetzung mit Delinquenz ebenso
geeignet ist. Die Schwerpunkte sind dabei weitgehend geblieben, es geht darum, die
Auslöser dissozialen Verhaltens zu erarbeiten, den Preis dieses Verhaltens zu betrachten
und hierbei zwischen kurzfristigen und langfristigen Gewinnen zu unterscheiden. Des
Weiteren ist das Selbstbild, das hinter dem delinquenten Verhalten steht, Thema in dieser
Gruppe.
Umgang mit Frustrationen
Meist findet bereits zu Beginn der Behandlung eine Auseinandersetzung mit dem Thema
Frustration statt, da der Patient nur schwer damit umgehen kann, dass er etwas nicht
bekommt, von dem er meint, dass es ihm zusteht, beispielsweise eine Sonderregelung. Da
ein dissozial persönlichkeitsgestörter Patient häufig Wünsche und Anliegen hat, die den
bestehenden Klinikregeln entgegenlaufen, kommt es immer wieder zu Frustrationen, die der
Patient aushalten muss. Der dissoziale Patient glaubt dann oft, seinen Willen durchsetzen zu
können, indem er mit einem Behandlungsabbruch droht. Er hat die Konsequenzen dieser
Handlung nicht vor Augen, falls er diese in die Tat umsetzen würde. Hier braucht er immer
wieder Hinweise von außen, da, wie oben beschrieben, langfristige Konsequenzen oftmals
seine Entscheidungsfindung nicht beeinflussen. Häufig hilft den Patienten an dieser Stelle
der Kosten-Nutzen-Vergleich, der es ihnen ermöglicht, angemessen auf eine Frustration zu
reagieren.
Beck et al (1997) sagen dazu, dass es sinnvoll ist, die Kosten–Nutzen–Vergleiche zunächst
für die kurzfristigen Konsequenzen zu üben und im nächsten Schritt langfristigere
Abwägungen mit dem Patienten zu trainieren. Beim Kosten–Nutzen–Vergleich werden
gemeinsam mit dem Patienten Überlegungen dazu angestellt, welche Konsequenzen eine
Handlung für ihn hat und wie er sie bewertet. Übersteigen die Kosten den Nutzen, gilt es
alternative Handlungen zu überdenken, die erneut dem Vergleich unterzogen werden. Dies
107
geschieht so lange, bis für den Patienten Kosten und Nutzen in einem angemessenen
Verhältnis stehen.
Zu den Kosten und dem Nutzen passt das sich anschließende Kapitel. Es geht im weiteren
Verlauf der Arbeit darum, die Behandlungspfade für suchtmittelabhängige Patienten mit den
Anforderungen des Rentenversicherungsträgers und den Leitlinien der Postakutbehandlung
alkoholbezogener Störungen zu vergleichen.
108
6. Die Qualitätssicherung in der medizinischen Rehabilitation
Um die Aufgaben in den vorgestellten Behandlungspfaden für Suchtkranke ohne
Komorbidität mit den Kategorien therapeutischer Leistungen (KTL) des Deutschen
Rentenversicherungsträgers und den Leitlinien zur Alkoholbehandlung zu vergleichen, werde
ich in diesem Kapitel zunächst die Bedeutung der KTL darstellen. Der dann anschließende
Vergleich der KTL mit den Inhalten der Behandlungspfade erfolgt in Anlehnung an die
quantitative Inhaltsanalyse aus der Sozialforschung, die ich in einem Exkurs kurz vorstelle.
Nach der Gegenüberstellung von KTL und Behandlungsaufgaben schließt sich ein Vergleich
der Behandlungsaufgaben mit den Leitlinien der Postakutbehandlung alkoholbezogener
Störungen an.
6.1 Ein Exkurs: die quantitative Inhaltsanalyse in der Sozialforschung
Die Inhaltsanalyse wird als ein methodisches Verfahren definiert, das die im Text
enthaltenen Aussagen oder Bedeutungen erfasst (Rustemeyer 1992). Lasswell führte diesen
Begriff 1948 ein. Er verband damit die Frage: “Wer sagt was in welchem Medium zu wem mit
welcher Wirkung?“(Lasswell nach Rustemeyer 1992, S.3). Damit wird deutlich, dass die
Inhaltsanalyse aus dem Bereich der Medienwissenschaft stammt. Ziel der Inhaltsanalyse ist
es, die „Intersubjektivität des Verstehens einer Textbotschaft“ (ebenda S. 13) anzustreben,
indem einzelne Textteile systematisch überprüft werden, um festzustellen, ob und wie sie
sich
bestimmten
herausgearbeiteten
Bedeutungsinhalten
zuordnen
lassen.
Mit
Intersubjektivität ist gemeint, dass verschiedene Beobachter unabhängig voneinander zu
dem gleichen Ergebnis kommen. Kernstück einer Inhaltsanalyse ist die Beschreibung und
Definition der relevanten Bedeutungsaspekte, die zur Bildung sogenannter Kategorien
führen, denen die Inhalte der zu analysierenden Texte zugeordnet werden. Jeder Textteil
wird dabei Schritt für Schritt daraufhin überprüft welche der zuvor festgelegten
Bedeutungsaspekte er enthält. In der theoriegeleiteten Forschung ist es optimal, wenn die
relevanten Bedeutungsaspekte aus einer theoretischen Fragestellung deduktiv hergeleitet
werden (Groeben & Rustemeyer 2001). Vorher sollte das relevante Untersuchungsmaterial
festgelegt werden, ob beispielsweise Texte, Filme oder Werbung analysiert werden sollen.
Die Definition der Kategorien findet im nächsten Schritt statt. Sie sollten exakt erläutert
werden und es sollten positive und negative Beispiele der Inhalte der Kategorie gegeben
werden. Die Passung von Analyseeinheit (Untersuchungsmaterial) und Kategoriensystem
muss überprüft werden. Bei einer schlechten Passung muss das Kategoriensystem
überarbeitet werden und/oder die vorher geschulten Kodierer müssen erneut geschult
werden. Die Übereinstimmung der Kategorisierung der Kodierer wird vorher an festgelegtem
Trainingsmaterial ermittelt, das nicht in die Ergebnisanalyse einfließt. Als nächster Schritt
109
können nun die Inhalte der Analyseeinheiten den Kategoriensystemen durch die Kodierer
zugeordnet werden. Die Auswertung der Kodierergebnisse erfolgt dann entsprechend der
Fragestellung und kann von der Analyse der Frequenzen bis zur Faktorenanalyse reichen.
Die Ergebnisse sollten mit den eingangs aufgestellten Hpyothesen in Bezug gestellt und
diskutiert werden (Groeben & Rustemeyer 2001).
Ich erlaube mir bei der Gegenüberstellung der Inhalte der Behandlungspfade mit den
Inhalten der KTL und der Leitlinien die Methode der Inhaltsanalyse an wesentlichen Punkten
abzuwandeln.
Das Kernstück der Inhaltsanalyse, das Kategoriensystem, liegt in diesem Fall bereits in Form
der KTL und der Leitlinien zur Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen vor und
muss nicht mehr entwickelt oder überprüft werden. Da es sich bei den vorgegebenen
Kategorien um wissenschaftlich fundierte Fachbegriffe handelt und auch die Inhalte der
Behandlungspfade, soweit möglich, wissenschaftlich untermauert sind, habe ich von einer
Kategorienzuordnung durch mehrere Kodierer abgesehen. Aufgrund der Modifikation der
Methode und dem Skalenniveau der erhobenen Daten auf Nominalskalenniveau belasse ich
es
bei
der
Erfassung
der
Häufigkeiten
der
Übereinstimmungen
und
der
Nichtübereinstimmung.
6.2 Die Bedeutung der Kategorien therapeutischer Leistungen des Deutschen
Rentenversicherungsträgers
Die Deutsche Rentenversicherung hat im Rahmen der Qualitätssicherung erstmals 1995 ein
umfassendes Leistungsverzeichnis in Form der KTL für die gesamte Rehabilitationsmedizin
erstellt (Michel 2002). Mit seiner Hilfe soll der Behandlungsverlauf systematisch mit dem
Behandlungsergebnis in Beziehung gesetzt werden können.
In dem Vorwort des Rentenversicherungsträgers zum Handbuch KTL 2007 heißt es, dass
die KTL seit 1997 ein bewährtes Instrument zur Dokumentation therapeutischer Leistungen
in den Reha-Entlassungsberichten sind und damit einen wesentlichen Beitrag zur
Qualitätssicherung der medizinischen Rehabilitation und zur Weiterentwicklung der
rehabilitativen Versorgungspraxis in Form von Reha-Leitlinien liefern. Als Leitlinien werden
Handlungsempfehlungen zur Behandlung bestimmter Patientengruppen bezeichnet (DRV
Bund 2007). Seit dem Jahr 2007 gilt eine überarbeitete Version der KTL. Die ursprünglich
gültige
Version
wurde
dabei
in
einem
wissenschaftlich
begleiteten
Projekt
zur
Weiterentwicklung der KTL überarbeitet. Dabei wurden Vorschläge und Erfahrungen von
Anwendern und aus internen Arbeitsgruppen, empirische Analysen zum Kodierverhalten und
die Prüfungsergebnisse anderer Klassifikationsschemata gesichtet und systematisiert. Der
110
daraus entstandene Entwurf wurde an 1400 Rehaeinrichtungen, Fachgesellschaften,
Berufsverbände und andere Institutionen versendet und um eine Einschätzung der
Vorschläge gebeten. Die Ergebnisse wurden durch Fachvertreter im Rahmen von
Workshops diskutiert und in die Form der aktuellen KTL integriert.
Die KTL gelten für alle Bereiche der medizinischen Rehabilitation, sowohl für Erwachsenen
als auch für Kinder und Jugendliche, für den stationären Bereich ebenso wie für den Bereich
ambulanter Rehabilitation.
Das Leistungsverzeichnis besteht aus elf Kapiteln. Sie bezeichnen die übergeordneten
Leistungsgruppen der Rehabilitation:
A
Sport- und Bewegungstherapie
B
Physiotherapie
C
Information, Motivation, Schulung
D
Klinische Sozialarbeit, Sozialtherapie
E
Ergotherapie, Arbeitstherapie und andere funktionelle Therapien
F
Klinische Psychologie, Neuropsychologie
G
Psychotherapie
H
Reha – Pflege
K
Physikalische Therapie
L
Rekreationstherapie
M
Ernährung
Dokumentiert wird immer die im Einzelfall erbrachte therapeutische Leistung. Für jede
Leistungseinheit
ist
eine
Codierung
definiert,
die
aus
einem
vierstelligen
Dokumentationscode besteht. Dieser besteht aus einem Buchstaben und drei nachfolgenden
Ziffern. Hier ein Beispiel: G051 steht für Psychotherapie einzeln, verhaltenstherapeutisch.
Jede therapeutische Leistung wird durch bestimmte spezifische Qualitätsmerkmale
beschrieben. Hierzu gehören die therapeutenbezogenen beruflichen Qualifikationsmerkmale
der die Leistung ausführenden Berufsgruppen. Weiter ist das Fachgebiet spezifiziert, dem
die Leistung zugeordnet ist, und es werden patientenbezogene Merkmale wie Indikation,
Zielsetzung und Belastbarkeit berücksichtigt. Mit der Dauer, Frequenz, Anzahl der
Rehabilitanden und den Ausstattungsmerkmalen für die Durchführung werden die
aufwandsbezogenen Merkmale der jeweiligen therapeutischen Leistung erfasst. Bei den
Angaben handelt es sich um Mindestanforderungen für die entsprechende Leistungseinheit,
die vom Rentenversicherungsträger als verbindlich vorausgesetzt werden.
So gelten für das oben genannte Beispiel G051 folgende Qualitätsmerkmale:
111
G05 Einzelpsychotherapie, verhaltenstherapeutisch
Dokumentationscodes
G051 Psychotherapie einzeln, verhaltenstherapeutisch
G052 Psychotherapie einzeln, verhaltenstherapeutisch, Expositionstraining
Qualitätsmerkmale
Berufsgruppe:
Arzt für Psychosomatik und Psychotherapie, Arzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, Facharzt mit Zusatzbez. Psychotherapie, Psychologischer Psychotherapeut, Arzt/Diplom-Psychologe in fortgeschrittener
psychother. Aus-/Weiterbildung unter Supervision*
Zusatzausbildung
bzw. Fortbildung:
Weiterbildung in Verhaltenstherapie
Fachgebiet:
Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik,
Abhängigkeitserkrankungen
Indikation:
spezifische psychische Problematik
Therapieziel:
Dauer:
Aufbau von Therapiemotivation, Problemanalyse, Erkennen
und Veränderung problematischer Verhaltensweisen, Erstellen
von Therapiezielen, Planung und Durchführung der einzelnen
Behandlungsschritte, Planung der Nachsorge
mindestens 20 Minuten
Frequenz:
empfohlen mindestens 1 mal pro Woche
Anzahl
Rehabilitanden:
1 Rehabilitand
Sonstige
Qualitätsmerkmale: * sowie im Bereich der Abhängigkeitserkrankungen Diplom
Sozialarbeiter bzw. Diplom-Sozialpädagoge mit DRV anerkannter suchttherapeutischer Zusatzausbildung; in der
Kinderrehabilitation Qualifikation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
(aus DRV 2007, S.199)
Die tatsächliche Therapiezeit der Leistung wird als eigene Variable mit Großbuchstaben
codiert. Dabei darf die angeführte Mindestdauer nicht unterschritten werden.
Die KTL Daten werden regelmäßig durch den Rentenversicherungsträger ausgewertet. Die
Ergebnisse werden den Einrichtungen in Form regelmäßiger Berichte zur Qualitätssicherung
zugesendet. Hierin erhält die Einrichtung auch Informationen über fehlerhafte KTL
Codierungen. Anhand der Leistungsprofile kann die Einrichtung ihre therapeutische Praxis
überprüfen und Dokumentationsmängel erkennen. Die Einrichtung kann ihre Arbeit mit dem
Rehabilitanden dadurch kontinuierlich verbessern.
112
6.2.1 Gegenüberstellung der Kategorien therapeutischer Leistungen und der Inhalte
der Behandlungspfade suchtmittelabhängiger Patienten ohne Komorbidität.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die konkreten Inhalte einer Suchtbehandlung in
strukturierende Behandlungspfade zu übertragen und einerseits durch die Vorstellung des
theoretischen Hintergrundes wissenschaftliche zu untermauern, andererseits durch einen
Vergleich mit den Anforderungen des Rentenversicherungsträgers zu überprüfen, ob die
Inhalte den Qualitätsanforderungen des Rentenversicherungsträgers entsprechen. Da der
Schwerpunkt auf den Inhalten der Qualitätsanforderung liegt, werde ich lediglich den Punkt
„Therapieziel“ der Qualitätsmerkmale der KTL mit den Behandlungsangeboten der Klinik
vergleichen und die weiteren Qualitätsmerkmale (Berufsgruppe, Fachgebiet, Indikation,
Dauer, Frequenz, Anzahl Rehabilitanden, sonstige Qualitätsmerkmale) außer acht lassen.
Unter den KTL Bezeichnungen werde ich die Therapieziele der jeweiligen KTL aufführen und
ihr diejenigen Aufgaben aus den Behandlungspfaden gegenüber stellen, die sich mit den
angeführten Therapiezielen beschäftigen und auf die Seite der Masterarbeit verweisen, auf
der die Aufgabe vorgestellt wird. Die Ausführungen des Rentenversicherungsträgers zu den
Therapiezielen übernehme ich wörtlich aus den Qualitätsmerkmalen. Zu Beginn einer neuen
Leistungsgruppe fasse ich die wesentlichen Erläuterungen aus dem Text zur Erklärung der
Leistungsgruppe des KTL Handbuches (2007) kurz zusammen.
KTL aus dem Bereich C: Information, Motivation, Schulung
Es handelt sich bei diesen Schulungen um standardisierte Einheiten, deren Inhalt in einem
Manual hinterlegt ist. Die Schulungen können interdisziplinär durchgeführt werden. Es
werden grundlegende krankheitsbezogene Informationen vermittelt, die den Rehabilitanden
befähigen, begründete Entscheidungen bezüglich der weiteren Diagnostik und Behandlung
seiner Erkrankung zu fällen.
C030 Gespräche mit Patienten und Partnern / Angehörigen
Tabelle 1 Gegenüberstellung Therapieziele C030 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
Vermittlung
von
Kenntnissen
über
die
Erkrankung, Motivation zu Therapietreue und
Verhaltensänderung,
Förderung
der
Krankheitsbewältigung,
Erarbeiten
von
Problemen der Langzeitbehandlung, Motivation
zur aktiven Nachsorge (DRV 2007, S. 69).
-
Angehörigengespräch (S.54 )
113
Gegenüberstellung C050 Vortrag Gesundheitsinformation
Tabelle 2 Gegenüberstellung Therapieziele C050 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Gesundheitstraining (S.57)
Motivation zu einer gesunden Lebensführung,
z.B. gesunde Ernährung, aktive Nachsorge wie
Sport, Bewegung u.a. (DRV 2007, S. 71).
C52 Patientenschulung bei Suchtmittelabhängigkeit, -missbrauch
C521 Einführung zur Patientenschulung bei Suchtmittelabhängigkeit, -missbrauch
C522 Psychoedukatives Programm „Gesundheit“ bei Suchtmittelabhängigkeit, -missbrauch
C523 Motivationsgruppe bei Suchtmittelabhängigkeit, -missbrauch
Tabelle 3 Gegenüberstellung Therapieziele C052 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Stabilisierung der Therapiemotivation
Vermittlung krankheitsspezifischer Informationen,
(S.36)
Verhaltensmodifikation, Motivierung, Schulung,
Psychoedukation
(S. 39(Info
Förderung
eines
Krankheitsverständnisses,
Orientierungsgruppe))
Krankheitsbewältigung,
Aufbau
gesundheitsförderlicher Einstellungen, Einsicht in
den Zusammenhang von Lebensstil, Erkrankung
bzw.
Gesundheit,
Stärkung
von
gesundheitsförderlichen
Ressourcen,
Problematisieren von gesundheitsschädlichen
Lebensgewohnheiten, Planung der Nachsorge
(DRV 2007, S. 118).
KTL aus dem Bereich D: Klinische Sozialarbeit, Sozialtherapie
Die klinische Sozialarbeit und Sozialtherapie soll den Rehabilitanden motivieren, beraten,
begleiten, anleiten und unterstützen. Die Angebote können mit einzelnen Rehabilitanden
oder in Gruppen von Diplom Sozialarbeitern/Diplom Sozialpädagogen oder andern
qualifizierten Berufsgruppen durchgeführt werden.
D02 Sozialrechtliche Beratung
D023 Sozialrechtliche Beratung: Wirtschaftliche Sicherung
D025 Sozialrechtliche Beratung: Klärung rechtlicher Fragen
Tabelle 4 Gegenüberstellung Therapieziele D02 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Klärung der Nebenkosten (S. 35)
Information, Selbstbefähigung, Entscheidungshilfe in sozialrechtlichen Fragestellungen, ggf.
persönliche Hilfen (z.B. Antragstellung zur
Erlangung von Sozialleistungen) (DRV 2007, S.
122).
114
D042 Vor- und Nachbereitung der Teilnahme an Selbsthilfegruppen im Rahmen des
Therapieprogramms
D044 Kontakt- und Infogespräch mit Vor- und Nachbehandlern
Tabelle 5 Gegenüberstellung Therapieziele D040 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Nachsorgeplanung (S. 64),
Vorbereitung und Anbahnung weiterführender
- Erarbeitung beruflicher Perspektiven (S.
Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den
66)
Beruf und/oder das soziale Umfeld (DRV 2007,
S. 124).
D052 Psychoedukative Gruppe: Training von sozialer Kompetenz
Tabelle 6 Gegenüberstellung Therapieziele D052 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Erhöhung der Selbstwirksamkeit (S.50)
Auseinandersetzung, Reflexion, psychosoziale
- Krisenbewältigung, Stressmanagement
Stabilisierung,
Rehabilitationsmotivation,
(S.62),
Krankheitsbewältigung,
Vermittlung
sozialer
- Training sozialer Kompetenzen (183)
Basisinformationen, Erwerb von Handlungskompetenz,
Erarbeiten
von
Perspektiven,
ressourcenorientierte
Veränderungsund
Lösungsmöglichkeiten (DRV 2007, S. 125).
D100 Sozialtherapie als Großgruppe
Tabelle 7 Gegenüberstellung Therapieziele D 100 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Sozialverhalten in der Gruppe (S.41),
Verbesserte Wahrnehmung und Entfaltung von
- Fremdbild / Selbstbild (S. 50)
eigenen Interessen und im Rahmen einer
- Ausgewogenheit Selbst-/
größeren
Gemeinschaft,
Zunahme
von
Gruppenverantwortung (S. 64)
psychosozialer Verantwortungsfähigkeit und
Handlungskompetenz (DRV 2007, S. 130).
D110 Bereichsversammlung, Vollversammlung
Tabelle 8 Gegenüberstellung Therapieziele D110 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Sozialverhalten in der Gruppe (S. 41),
Stärkung
sozialer
Kompetenz,
Klärung
- Fremdbild / Selbstbild(S. 50)
institutioneller Regeln (DRV 2007, S.131).
115
KTL aus dem Bereich F: Klinische Psychologie, Neuropsychologie.
Diese Leistungsgruppe umfasst psychologische Leistungen, die nicht im engeren Sinne als
Psychotherapie bezeichnet werden. Die klinisch psychologischen, neuropsychologischen
und künstlerischen Therapieleistungen dienen in der Regel der Behandlung von
psychischen Beeinträchtigungen, die das Erleben und Verhalten der Rehabilitanden
beeinflussen. Es soll ein gesundheitsförderlicher Umgang mit
krankheitsrelevanten
Emotionen und Kognitionen, eine gesundheitsfördernde Verhaltensänderung und die
Reduzierung emotionaler und kognitiver Teilleistungsstörungen erreicht werden. Die
Leistungen werden von Diplom Psychologen und Ärzten mit entsprechender Weiterbildung
sowie ausgebildeten Kunsttherapeuten erbracht. Durch die beschriebenen Therapieziele und
die Frequenz der Leistungen findet eine Abgrenzung zu den unter G vorgestellten
Interventionen statt.
F03 Therapeutische Intervention in Konfliktsituationen
Tabelle 9 Gegenüberstellung Therapieziele F030 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Krisenbewältigung und
Konfliktklärung, Spannungsreduktion,
Stressmanagement (S. 62)
emotionale Stabilisierung (DRV 2007, S. 173).
F092 Progressive Relaxation nach Jacobson, Durchführung in der Gruppe
Tabelle 10 Gegenüberstellung Therapieziele F092 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Indikationsgruppe PMR (S. 158)
Erlernen von Entspannungsfähigkeit
(DRV 2007, S. 181).
KTL aus dem Bereich G: Psychotherapie
Die Leistungen dieser Gruppe erfassen psychotherapeutische Leistungen im engeren Sinne,
sie gehören zu den Fachgebieten Psychotherapie, Psychosomatik, Psychiatrie und
Abhängigkeitstherapie. Die Psychotherapie umfasst die Behandlung psychischer Vorgänge
mit psychologischen, konzeptionell fundierten und eigenständigen Methoden. Für eine
schlüssige Codierung ist eine strukturierte, zielorientierte und in das therapeutische
Gesamtmilieu eingebundene psychotherapeutische Strategie notwendig.
116
G042 Gruppentherapie in der Gruppe, psychodynamisch:
Psychoanalytisch – interaktionelle Gruppe
G047 Gruppentherapie in der Gruppe, psychodynamisch:
Geschlechtsspezifische Gruppe
Tabelle 11 Gegenüberstellung Therapieziele G042 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Beobachten des Sozialverhaltens (S. 41),
Bearbeitung interpersoneller Beziehungsmuster,
- Darstellung des sozialen Netzes (S. 40),
Förderung von Realitätsbezug und
- Erarbeitung dysfunktionaler Kognitionen
psychosozialer Interaktionsfähigkeit,
(S. 47),
Differenzierung von Selbst- und
- Auseinandersetzung mit dem Selbst- und
Objektvorstellung, Stabilisierung des
Fremdbild (S. 52),
Selbstwertgefühls, Verbesserung der
- Auseinandersetzung mit dem
Körperwahrnehmung
emotionalen Erleben (S. 55)
(DRV 2007, S. 197).
G051 Psychotherapie einzeln, verhaltenstherapeutisch
Tabelle 12 Gegenüberstellung Therapieziele G051 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Familienanamnese (32),
Aufbau
von
Therapiemotivation,
- Verhaltensanalyse (S. 34),
Problemanalyse, Erkennen und Veränderung
- Stabilisierung der Therapiemotivation (S.
problematischer Verhaltensweisen, Erstellen von
36),
Therapiezielen, Planung und Durchführung der
- Schilderung der Lebensgeschichte (S.
einzelnen Behandlungsschritte, Planung der
40),
Nachsorge
- Schilderung der Suchtgeschichte (S. 46),
(DRV 2007, S. 199).
- Funktionalität des Drogenkonsums
(S.47),
- Erarbeitung dysfunktionaler Kognitionen
(S. 47),
- Schilderung der Delinquenzentwicklung
(S. 49),
- Auseinandersetzung mit dem Selbstund Fremdbild (S. 50),
- Beziehungsgestaltung (S. 52),
- Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Themen und dem Thema
Sexualität (S. 52),
-
Auseinandersetzung
mit
emotionalen Erleben (S. 55),
-
Rückfallprophylaxe (S. 56),
-
Unterstützung bei der Entwicklung
aktiver Freizeitgestaltung (S. 58),
Krisenbewältigung, Stressmanagement
(S. 62),
Nachsorgeplanung (S. 64),
Erarbeiten von Berufs- und
Zukunftsperspektive (S. 66),
Gestaltung des Abschiedes (S.68)
-
dem
117
G061 Psychotherapie in der Gruppe, verhaltenstherapeutisch, störungsspezifisch:
Problemlösegruppe
G062 Psychotherapie in der Gruppe, verhaltenstherapeutisch, störungsspezifisch:
Training sozialer Kompetenzen und Fertigkeiten
G063 Psychotherapie in der Gruppe, verhaltenstherapeutisch, störungsspezifisch:
Arbeitsweltbezogene Problematik
G064 Psychotherapie in der Gruppe, verhaltenstherapeutisch, störungsspezifisch:
Geschlechtsspezifische Gruppe
G069 Sonstige störungsspezifische Psychotherapie in der Gruppe, verhaltenstherapeutisch:
Tabelle 13 Gegenüberstellung Therapieziele G06 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Vorstellung der Lebensgeschichte und
Entwicklung von Lösungs- und Veränderungsdes sozialen Netzes (S. 40),
möglichkeiten für individuelles Problem- bzw.
Vorstellung
des Suchtverlaufes (S. 46),
Störungsbild,
Aufbau
allgemeiner
- Funktonalität des Drogenkonsums (S.
Problemlösefertigkeiten,
Verbesserung
des
47),
Interaktionsverhaltens
- Erarbeitung dysfunktionaler Kognitionen
(DRV 2007, S. 201).
(S. 47),
- Vorstellung des Delinquenzverlaufes
(S.49),
- Auseinandersetzung mit dem Selbst- und
Fremdbild (S. 50),
- Beziehungsgestaltung (52),
- Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Themen / Sexualität (S. 52),
- Auseinandersetzung mit dem
emotionalen Erleben (S.52),
- Rückfallprophylaxe (S. 56),
- Aufbau einer aktiven Freizeitgestaltung
(S. 58),
- Krisenbewältigung und
Stressmanagement (S. 62),
- Nachsorgeplanung (S. 64)
- Entwicklung einer realistischen,
Zukunftsperspektive / beruflichen
Perspektive (66)
G094 Störungsspezifische Gruppe bei Abhängigkeitsproblematik: Rückfallprävention
Tabelle 14 Gegenüberstellung Therapieziele G094 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Vorstellung des Lebenslaufes (S. 40),
Einsicht in die Funktionalität des Problem- Vorstellung des Suchtverlaufes (S. 46),
verhaltens,
positive
Abstinenzentscheidung,
- Erkennen der Funktionalität des
Erreichen der Abstinenz, Erwerb von kurz- und
Drogenkonsums und dysfunktionaler
mittelfristigen
Bewältigungsstrategien,
Kognitionen (S.47),
Vermittlung enttabuisierenden Rückfallmodells
- Rückfallprophylaxe (S. 56)
(DRV 2007, S. 207).
118
G101 Psychoedukative Gruppe: Genusstraining
G102 Psychoedukative Gruppe: Motivationstraining bei Abhängigkeitserkrankungen
G109 sonstige psychoedukative Gruppe:
Tabelle 15 Gegenüberstellung Therapieziele G 10 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Stabilisierung der Therapiemotivation (S.
Vermittlung
von
Informationen
zu
36),
Erkrankungsverlauf und –behandlung, TherapiePsychoedukation
(S.39 (Info
konzept, Klinikstruktur und –regeln, Förderung
Orientierungsgruppe))
von Krankheitsverständis und –bewältigung
- Genusstraining (171),
sowie Therapiemotivation, Auseinandersetzung
mit unterschiedlichen Sinneserfahrungen (DRV
2007, S. 208).
G111 Gesprächspsychotherapie einzeln
G112 Systemische Therapie einzeln
G114 Psychodramatherapie einzeln
Tabelle 16 Gegenüberstellung Therapieziele G11 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Familienanamnese (S. 32),
Entwicklung von Lösungs- bzw. Veränderungs- Verhaltensanalyse (S. 34),
möglichkeiten für individuelles Problem- bzw.
- Schilderung der Lebensgeschichte
Störungsbild,
Aufbau
allgemeiner
und
(S.40),
spezifischer Problemlösefertigkeiten
- Schilderung der Suchtgeschichte (S. 46),
(DRV 2007, S. 209).
- Funktionalität des Drogenkonsums (S.
-
47),
Schilderung der Delinquenzentwicklung
(S. 49),
Selbstbild / Fremdbild (S. 50),
Auseinandersetzung mit der bisherigen
Beziehungsgestaltung (S. 52),
Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Themen (S. 52),
Angehörigengespräche (S. 54),
Auseinandersetzung mit dem
emotionalen Erleben (S. 55),
Rückfallprophylaxe (S. 56),
Entwicklung einer aktiven Freizeitgestaltung (S. 58),
Krisenbewältigung, Stressmanagement
(S. 62),
Nachsorgeplanung (S. 64),
Erarbeitung von Berufs- und
Zukunftsperspektive (S. 66),
Gestaltung des Abschiedes (S. 68)
119
G130 Paargespräch, Familiengespräch, Angehörigengespräch
Tabelle 17 Gegenüberstellung Therapieziele G 130 und Umsetzung FK
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Selbstbild- Fremdbild (S. 50),
Hilfe zur Wahrnehmung und Klärung von
- Auseinandersetzung mit der bisherigen
Partnerkonflikten
bzw.
konfliktbehafteten
Beziehungsgestaltung (S. 52),
Familienstrukturen,
psychosoziale
- Angehörigengespräch (S. 54)
Kompromissbildung (DRV 2007, S. 211).
G161 Organisation und Monitoring externer Belastungserprobung in der Psychotherapie
G162 Durchführung externer Belastungserprobung in der Psychotherapie (einzeln)
Tabelle 18 Gegenüberstellung Therapieziele G16 und Umsetzung FKL
Therapieziel
Umsetzung FKL
- Vor- und Nachbereitung von
Vorbereitung auf altes und neues Berufsumfeld,
stattgefundenen Heim- und Rehafahrten
Einschätzung
und
Überprüfung
der
in Einzelgesprächen (S. 41)
Leistungsfähigkeit, Erprobung des erreichten
Therapieerfolges unter Belastungsbedingungen
(DRV 2007, S. 214).
Zusammenfassendes Ergebnis
Die vom Rentenversicherungsträger vorgegebenen Therapieziele der 18 beschriebenen KTL
die sich auf die psychotherapeutische Behandlung der Rehabilitanden beziehen, werden
durch die Inhalte der Behandlungspfade vollständig abgedeckt. Allerdings wird aus den
Angaben zu den KTL und der Beschreibung der KTL nicht eindeutig ersichtlich, welche
Maßnahmen vom Kostenträger im Rahmen einer Suchtbehandlung erbracht werden
müssen. Folglich kann ich mit der Gegenüberstellung von KTL und Behandlungspfad nicht
eindeutig
überprüfen,
ob
die
Inhalte
tatsächlich
den
Anforderungen
des
Rentenversicherungsträgers entsprechen. Aus diesem Grund stelle ich die Aufgaben der
Behandlungspfade nun noch den Leitlinien der Postakutbehandlung alkoholbedingter
Störungen gegenüber.
6.3 Qualitätssicherung durch Leitlinien
Die Inhalte der Behandlungspfade suchtmittelabhängiger Patienten werden in einem
nächsten Schritt mit den gültigen Leitlinien zur Behandlung alkoholabhängiger Patienten
verglichen. Leitlinien sind praxisbezogene Handlungsempfehlungen, die die Durchführung
der Behandlung für ein bestimmtes Störungsbild vorgeben. Sie beruhen auf dem aktuellen
wissenschaftlichen Stand. Die wissenschaftlich fundierten Inhalte werden in einer
120
idealtypischen Rehabilitation als „evidenzbasierte Therapiemodule“ (ETM) zusammengestellt
(DRV 2007). Auch hier werden Häufigkeit, Dauer und Gruppengröße festgelegt. Der
Kostenträger sieht hierin indikationsspezifische Bewertungskriterien für die therapeutische
Versorgung.
Zur
Überprüfung
der
ETM
werden
die
KTL
den
evidenzbasierten
Therapiemodulen zugeordnet und spiegeln damit das therapeutische Geschehen und zeigen
dem Rentenversicherungs-träger, inwieweit die geltenden Leitlinien in der therapeutischen
Praxis umgesetzt werden.
6.3.1 Die Leitlinien der Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen
Weissing und Schneider (2006) gehen davon aus, dass Leitlinien und die Entwicklung
strukturierter Behandlungspfade in der multiprofessionellen Arbeit mit substanzbezogenen
Störungen generell an Bedeutung zunehmen. Die Autoren sehen in der Arbeit mit Leitlinien
für den Behandelnden folgende Vorteile: Hilfe bei schwierigen Entscheidungsfindungen und
zur Erhöhung der fachlichen Kompetenz; die Verbesserung der Compliance und des guten
Rufes für die Einrichtung und damit einhergehend finanzielle Vorteile. Die durch die Leitlinien
gegebene rechtliche Absicherung von Therapieentscheidungen ist ein weiterer Vorteil.
Der Patient würde in folgenden Punkten von Leitlinien profitieren können: Die
Behandlungsrisiken werden verringert; unnötige Maßnahmen können verhindert werden; es
besteht die Möglichkeit der Beurteilung und der bewussten Auswahl einer Behandlung. Der
Behandelte erhält Unterstützung bei der Durchsetzung des Rechtsanspruches auf
Anwendung methodisch gesicherter Behandlungsverfahren; und es wird insgesamt leichter
für ihn, sich zu informieren.
Die optimale Ressourcennutzung und die wissenschaftliche Grundlage sind Vorteile, die der
Rentenversicherungsträger durch die Anwendung von Leitlinien hat. Möglicherweise können
Ressourcen eingespart werden. Durch Leitlinien kann der Kostenträger Kontrolle und
Einfluss auf die Behandlung ausüben.
Seit dem Jahr 2000 werden von Expertengruppen Leitlinien nach den Kriterien der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und
des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) erstellt (Brüggemann et al 2004).
Die deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und die
deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) haben
2009 einen Leitfaden zur „Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen“ vorgestellt. Die
wesentlichen Inhalte werde ich im Folgenden vorstellen. Der genaue Wortlaut der Leitlinien
kann über den Internetverweis in der Literaturliste eingesehen werden. Die Verfasser der
Leitlinien geben den Hinweis, dass die Leitlinien der Wissenschaftlichen Fachgesellschaft für
Ärzte nicht bindend sind.
121
Der Begriff der „Postakutbehandlung“ wurde bewusst gewählt und im Jahr 2000 auf einer
konstituierenden Konferenz beschlossen, um einen möglichst neutralen Begriff zu wählen
und damit einen wissenschaftlichen und keinen versicherungsrechtlichen oder versorgungskulturellen Hintergrund zu betonen (Brüggemann et al 2004). Nach der Begriffserklärung
folgt die Darstellung der Rahmenbedingungen. Hierzu gehören die Definition der Zielgruppe,
die
Zielvereinbarung
mit
dem
Patienten,
der
Zugang
des
Patienten
zu
einer
Postakutbehandlung, Ausführungen zu den Behandlungsorten und die Darstellung des
rechtlichen Kontextes.
Ein nächster Punkt widmet sich der Diagnostik. Besonders hervorgehoben wird die
Bedeutung der ausführlichen Anamneseerhebung, besonders der Suchtanamnese. Es
folgen Hinweise, dass auch Folgeerkrankungen erhoben werden sollen. Hierin liegt ein
Unterschied zu den KTL, da sie die Diagnostik als eigenständigen Punkt nicht berücksichtigt,
da
die
KTL,
so
der
Rentenversicherungsträger
„ausschließlich
die
Realität
des
therapeutischen Leistungsgeschehens“ abbildet (DRV 2007, S.15).
Mit der Behandlung beschäftigt sich der nächste Punkt der Leitlinien. Als Grundlage nennen
die Autoren das bio-psycho-soziale Modell. Die Zuordnung der Patienten innerhalb des
Versorgungssystems
erfolgt
nach
dem
ICF
(Internationale
Klassifikation
der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit). Die Leitlinien empfehlen für die
Behandlung eine integrierte Behandlung aus den Therapiezweigen Psychotherapie,
Sozialtherapie und Somatotherapie. Weiter wird die Behandlungsdauer angesprochen, die
sich nach den individuellen Bedürfnissen des Patienten richten sollte und maximal bis zu
sechs Monaten andauern kann.
Zu den therapeutischen Aufgaben zählen der Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen
Bindung, die Motivationsarbeit und die Zielvereinbarungen, die mit dem Patienten getroffen
werden.
Folgende
Behandlungsmethoden
werden
von
den
Autoren
genannt:
Suchtspezifische Methoden wie die Selbstmanagementtherapie mit den Schwerpunkten
Rückfallprävention, Erkennen von Risikosituationen, Entwicklung von Verhaltensalternativen
und dem Erkennen der Funktonalität des Alkoholkonsums; aber auch das 12 SchritteProgramm der Anonymen Alkoholiker und die Pharmakotherapie zählen hierzu.
Allgemeine
Behandlungsmethoden
sind
die
Psychoedukation,
die
Motivierende
Gesprächsführung, die klassische Verhaltenstherapie, die kognitiv behaviorale Therapie, das
soziale
Kompetenztraining,
klientenzentrierte
Verhaltensverträge,
Gesprächspsychotherapie
und
zu
psychodynamische
guter
Letzt
die
Therapie,
Paar-
und
Familientherapie.
122
Es folgen Darstellungen zur Ergo- und Arbeitstherapie und zur Sozialtherapie. Hier sind
Veränderungen ungünstiger sozialer Verhältnisse und die berufliche Integration thematische
Inhalte.
Die Leitlinien geben des weiteren Hinweise zur Körpertherapie, zur werteorientierten
Therapie und zur Behandlung komorbider Störungen, zur Nachsorge und Selbsthilfe.
6.3.2 Vergleich der Leitlinien der Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen
mit den Inhalten der Behandlungspfade suchtmittelabhängiger Patienten ohne
Komorbidität.
Vergleiche ich die Inhalte der Leitlinien mit den Inhalten der hier vorgestellten
Behandlungspfade, die sich auf die Behandlung Abhängiger illegaler Drogen bezieht, so ist
eine gute Übereinstimmung zu erkennen. Das zeige ich in der folgenden Tabelle, in der ich
den Punkten der Leitlinien für Alkoholabhängige die entsprechenden Aufgaben der
vorgestellten Behandlungspfade gegenüberstelle. Ich sehe hier von einem Seitenverweis ab,
da nicht alle Inhalte der Leitlinien durch die Masterarbeit erfasst werden.
Tabelle 19 Gegenüberstellung der Inhalte der Leitlinien für die Postakutbehandlung
alkoholbedingter Störungen und der Behandlungspfade der Fachklinik Liblar (FKL).
Leitlinie Postakutbehandlung Alkohol
Behandlungspfade FKL
Rahmenbedingungen
-
Zielgruppe
-
Ziele
-
Durch die Zuweisung der Kostenträger
festgelegt.
(Abstinenz
/
Besserung
v.
-
Entsprechen den Zielen der Fachklinik.
-
Wird durch den Kostenträger geregelt.
Störungen)
-
Zugang
Antragstellung
durch
Drogenberatung
oder Entgiftung.
-
Behandlungsorte
-
Rechtlicher Kontext
-
Erfüllt durch die Anerkennung als
Fachklinik zur Behandlung polytoxikomaner Patienten.
-
Geregelt durch die
Bewilligungsverfahren
versicherungsträgers.
-
Diagnostik BSI als Standard, weitere
Antrags- und
des
Renten-
Diagnostik
-
Anamnesen
123
Leistungsdiagnostik
möglich,
Anamnese.
Behandlung
-
Grundlage bio-psycho-soziales Modell
-
Modell der Suchtrias
-
Zuordnung nach ICF
-
Diagnostik durch ICF fehlt, allerdings
finden Belastungserprobungen statt.
-
Integrierte Behandlung
-
Abgedeckt
durch
Psychotherapie,
Sozialberatung bei Behördenangelegenheiten,
medizinischer
Behandlung,
Arbeits-, Sport- und Kunsttherapie.
-
Behandlungsdauer
-
Ist zunächst durch den Kostenträger
festgelegt,
wird
bei
Kostenzusage verlängert,
13
Wochen
falls
ange-
zeigt.
-
Therapeutische Aufgaben
Vertrauensvoll therapeutische Bindung
Motivationsarbeit
Zielvereinbarungen
-
-
Kurzkontakte, Beziehungsaufbau
-
Anbindung an die Gruppe und die Klinik
-
Stabilisierung der Therapiemotivation
-
Zielvereinbarung mit Rehabilitand
-
Rückfallprophylaxe
-
Funktionalität des Drogenkonsums
-
Erarbeiten dysfunktionaler Kognitionen
-
Aktive Freizeitgestaltung
-
Inhalte
Behandlungsmethoden
Selbstmanagement:
Rückfallprävention/Risikosituationen/
Funktionalität des Konsums
Verhaltensalternativen
der
Tabelle
11
(S.117)
Gruppentherapie & Tabelle 12 (S. 117)
Einzeltherapie.
12 Schritte Programm der AA
Fehlt.
124
-
Pharmakotherapie
Gehört in den medizinischen Bereich,
daher in dieser Arbeit nicht aufgeführt,
findet aber statt.
-
Allgemeine Methoden
-
Psychoedukation
-
Gesundheitstraining
-
MI (im Rahmen der Motivationsarbeit)
-
Verhaltenstherapie
Kognitiv behaviorale Therapie
-
Kognitive Therapie nach Beck
Soziales Kompetenztraining
-
Training sozialer Kompetenzen
-
Psychodramatherapie
Klientenzentrierte Gesprächspsychoth.
-
Fehlt als eigenständige Therapieform
Paar- und Familientherapie
-
SystemischeTherapie
-
Angehörigengespräch
-
Beziehungsgestaltung
Psychoedukation
MI
Klassische VT
Psychodynamische Therapie
-
-
Ergo- und Arbeitstherapie
-
Sozialtherapie
Veränderung
ungünstiger
Vorstellung rein psychotherapeutischer
Behandlungspfade,
beide
Bereiche
bilden
je
50
%
des
Behandlungsumfangs.
sozialer
-
Klärung der Nebenkosten u.ä.
-
Erarbeitung berufl. Perspektiven
Verhältnisse
Berufliche Integration
125
-
Körpertherapie
-
Bewegungstherapie
angeboten,
aber
wird
regelmäßig
aufgrund
der
thematischen Einschränkungen hier nicht
vorgestellt.
-
Werteorientierte Therapie
Fehlt als einzelner Punkt, wird aber in
der
GT,
in
Indikationsgruppen
Einzelgesprächen,
und
Plenen
thematisiert.
-
Behandlung komorbider Störungen
-
Behandlungspfade Komorbidität
(wenn
auch noch nicht komplett umgesetzt)
-
Nachsorge
-
Selbsthilfe
-
Nachsorgeplanung
-
Besuch einer Selbsthilfegruppe
Zusammenfassendes Ergebnis der Gegenüberstellung
Was bislang noch nicht Bestandteil der Behandlungspfade ist, ist die Bearbeitung des ICF
durch die Patienten, so dass hier die geforderte Zuordnung nach den Defizitbereichen in
unserer Einrichtung nicht stattfindet. Allerdings findet eine Überprüfung der Belastbarkeit des
Patienten durch die Heim- und Rehabilitationsfahrten statt, die in der Gruppen und
Einzeltherapie vor- und nachbereitet werden.
Das 12 Schritte Programm der Anonymen Alkoholiker fehlt in unserer Einrichtung, da die
dahinter stehende christliche Haltung sich nicht in unserem Klinikkonzept widerspiegelt.
Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie wird in unserer Einrichtung nicht als reine
Therapiemethode angeboten. Da sie aber Grundelemente für viele Therapieformen liefert,
beinhaltet auch die therapeutische Behandlung in der vorgestellten Einrichtung Elemente der
Gesprächspsychotherapie, beispielsweise die Haltung des Therapeuten gegenüber dem
Patienten. Was in der Fachklinik Liblar zwar nicht als unabhängiges Thema angeboten wird,
aber im Rahmen der Gruppen- und Einzeltherapie mit den Patienten bearbeitet wird, ist die
werteorientierte Therapie.
Obwohl die Leilinien für die Behandlung alkoholabhängiger Patienten entwickelt wurden,
besteht zu der in der Fachklinik Liblar stattfindenden Therapie mit polytoxikomanen
Patienten eine insgesamt hohe Übereinstimmung. Von 34 Vergleichspunkten aus dem Inhalt
der Leitlinien zur Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen sind 30 Punkte auch in
der Behandlung polytoxikomaner Patienten zu finden. Von den vier weiteren Punkten fehlen
126
zwei vollständig (die Verwendung des ICF und des 12 Schritte-Programms der AA) die
beiden weiteren Punkte gibt es nicht in Reinform, aber Teile der Gesprächstherapie sind in
den in der Einrichtung angebotenen Behandlungsmethoden enthalten, und die Themen
Spiritualität und Religiosität der Wertetherapie werden im Rahmen der Einzel- und
Gruppentherapie thematisiert. Die Behandlung komorbider Patienten findet statt, wenn auch
zur Zeit noch nicht nach den Vorgaben der hier entwickelten Behandlungspfade.
Sowohl die Vergleiche der Inhalte der Behandlungspfade mit den KTL, als auch der
Vergleich mit den Leitlinien der Postakutbehandlung alkoholbedingter Störungen zeigen das
die
therapeutischen Inhalte,
Behandlungspfade
mit
Suchtkranker
denen
ohne
ein
Patient
Komorbidität
sich
beim
Durchlaufen
auseinandersetzen
sollte,
der
den
Maßstäben der Qualitätssicherung des Rentenversicherungsträger, mit Ausnahme zweier
Punkte, gerecht werden.
127
7. Diskussion
Das Vorhaben, die Prozesse und Aufgaben, die ein Patient während einer stationären
Langzeitentwöhnung im Bereich der Psychotherapie erledigen sollte, in Form von
Behandlungspfaden darzustellen, war mit einigen Schwierigkeiten verbunden. So ist es
normalerweise üblich, dass die Aufgaben in den Flussdiagrammen medizinischer
Behandlungspfade durch Pfeile miteinander verbunden werden, durch die eine Reihenfolge
vorgegeben wird, in der die einzelnen Behandlungsschritte durchgeführt werden sollten. So
wird durch die Behandlungspfade eine Schritt-für-Schritt Anweisung gegeben, wann eine
Aufgabe während der Behandlung erledigt werden muss. Dies in einem gruppentherapeutischen Prozess umzusetzen, ist aus der praktischen Erfahrung heraus nicht oder
nur schwer zu realisieren. In der Gruppe stehen häufig aktuelle Themen, die sich aus dem
Zusammenleben in der Gemeinschaft ergeben, im Vordergrund. Hat ein Patient in der
Gemeinschaft
ein unangemessenes Sozialverhalten gezeigt, wird dies in der Gruppe
besprochen, da eine zeitnahe Konfrontation erfolgreicher ist, als erst einige Tage später in
die Auseinandersetzung zu gehen. Dafür müssen aber die Belange und Aufgaben der
anderen Gruppenmitglieder zurückgestellt werden. Außerdem könnte der Patient, der ein
unangemessenes Sozialverhalten gezeigt hat eine fehlende Konfrontation als ein
stillschweigendes Akzeptieren seines Verhaltens deuten, was eine Verstärkung dieses
Verhaltens zur Folge hätte. Auch die Krise eines Gruppenmitgliedes kann dazu führen, dass
ein Thema, das ein Patient sich vorgenommen hat, oder das laut Behandlungspfad für ihn
ansteht, nicht bearbeitet werden kann. Es besteht aber die Möglichkeit, dass dieser Patient
durch die Unterstützung des Patienten in der Krise etwas über sich oder eines seiner
eigenen Themen erfährt, was aber im Behandlungspfad zu diesem Zeitpunkt nicht ansteht.
Natürlich gibt es Aufgaben der Behandlungspfade, die miteinander verbunden sind:
Beispielsweise kommt es durch die Stabilisierung der Therapiemotivation zu einer besseren
Anbindung an die Gruppe und umgekehrt, diese Aufgaben können durch Pfeile miteinander
verbunden werden; oder durch die Vorstellung der Suchtanamnese kommt es zu einer
Beschäftigung mit der Funktionalität des Drogenkonsums und der Frage nach dem Sinn
eines drogenfreien Lebens, auch hier ist eine Darstellung der Verbindung der Aufgaben
durch Pfeile im Flussdiagramm möglich; Gleiches gilt für den Zusammenhang zwischen
Angehörigengespräch und Auseinandersetzung mit der bisherigen Beziehungsgestaltung, so
kann eine Auseinandersetzung mit der bisherigen Beziehungsgestaltung zu der Idee, die
Familie oder den Partner zum Angehörigengespräch einzuladen, führen. Hat ein Patient eine
Rehabilitationsfahrt unternommen, muss sie in der Gruppe reflektiert werden. In der
Abschlussphase
gehören
Krisenbewältigungsstrategien
die
Rückfallprophylaxe
zusammen
und
das
und
am
die
Ende
Entwicklung
der
Kernphase
von
die
128
Zielvereinbarungen mit dem Patienten überprüft werden, gehört zur Überprüfung, ob alle
Aufgaben der Phase erfüllt wurden. Auch diese aufeinander folgenden Aufgaben habe ich in
den Flussdiagrammen durch Pfeile verbunden.
Alle anderen Aufgaben sind, aus den oben genannten Gründen, soweit sinnvoll, durch Linien
miteinander verbunden, um so ihren Zusammenhang darzustellen, ohne eine feste
Reihenfolge vorgeben zu wollen.
Es wird an dieser Stelle deutlich, dass es einerseits
möglich ist, die Aufgaben oder Schritte, mit denen ein Patient sich in der therapeutischen
Behandlung auseinandersetzen sollte, mit Hilfe eines Behandlungspfades darzustellen, dass
andererseits
eine
verbindliche
Umsetzung
einer
vorgegebenen
Reihenfolge
der
Aufgabenbearbeitung aber nur in sehr eingeschränktem Maß gelingen kann. Dies ist in der
Einzeltherapie meist etwas besser möglich als in dem komplexen Prozess der
Gruppentherapie, wobei auch die Prozesse der Einzeltherapie einem vorgeschriebenen
Behandlungspfad
zuwiderlaufen
können.
So
können
die
hier
vorgestellten
Behandlungspfade eher als ein Rahmen angesehen werden, in dem vorgegeben ist, welche
Aufgaben überhaupt bearbeitet werden sollten, damit der Patient an seine ganz persönlichen
Themen, die mit seiner Suchtentwicklung im Zusammenhang stehen, herangeführt wird. Ein
grobes zeitliches Raster ist durch die Einteilung in Phasen gegeben, die den Aufenthalt des
Patienten in drei Segmente unterteilen, in dem die Aufgaben erledigt werden sollten.
Das, was beispielsweise Vedder (2004) als Vorteil der Behandlungspfade für die Psychiatrie
benannte, die Erhöhung der Effizienz durch exakte Festlegung von Reihenfolge und Umfang
aller Behandlungsschritte sowie die Transparenz und Steuerbarkeit der Prozesse, gilt für den
rein psychotherapeutischen Prozess, besonders im Rahmen der Gruppentherapie, aus
meiner Sicht aus den oben genannten Gründen, nur eingeschränkt. Auch die Idee, mit
geschlossenen Gruppen zu arbeiten, bringt hier vermutlich nur wenig Veränderung und ist im
normalen stationären Alltag bisher nicht praktikabel, da es unwahrscheinlich ist, dass von
beispielsweise acht gleichzeitig aufgenommenen Patienten alle acht die 26 Wochen
dauernde
Behandlung
Querverlegungen,
wie
durchlaufen.
sie
im
Abbrüche,
Suchtbereich
die
vorzeitige
Regel
sind,
Entlassungen
würden
zu
oder
einem
Schrumpfungsprozess führen, bei dem am Ende der Behandlungszeit möglicherweise nur
noch zwei Patienten in der Gruppe sind. Für diese beiden ein Gruppentherapieprogramm
aufrecht zu erhalten, wäre mehr als unwirtschaftlich. Hier würden Ressourcen nicht mehr
sinnvoll eingesetzt werden können.
Eine nächste Schwierigkeit liegt in der genauen Aufschlüsselung der einzelnen
Therapieaufgaben
oder
Behandlungsschritte.
Wie
differenziert
stellt
man
eine
Behandlungsaufgabe dar, ohne dass die Darstellungen des Behandlungspfades zu komplex
wird und Patient und Therapeut von der dargestellten Menge der zu bewältigenden
129
Aufgaben entmutigt werden? Wie erfasst man die wesentlichen Aufgaben, die zu einer
möglichst erfolgreichen Auseinandersetzung mit dem zugrunde liegenden Thema führen? So
stellte sich mir die Frage, ob die Aufgaben „Beobachtung des Sozialverhaltens“ oder die
„Anbindung an die Gruppe und die Klinik“
in der Orientierungsphase in einem
Behandlungspfad angemessen sind. Ich entschied mich dazu diese Aufgaben aufzunehmen,
da gerade drogenabhängige Patienten es gelernt haben, sich in verschiedenen Settings
anzupassen. Jemand, der sich in der Gruppensitzung motiviert zeigt und Sachen sagt, die
den Therapeuten erstmal erfreuen (unter den Patienten als „Therapeutenfutter“ bezeichnet),
zeigt unter Umständen in der Freizeit ein anderes Verhalten indem er beispielsweise
ausschließlich
den
Kontakt
zu
rückfälligen
Patienten
sucht.
Oder
dissozial
persönlichkeitsgestörte Patienten, die sich gerne in der Gruppe angepasst zeigen, in der
Freizeit aber durch Mimik und Gestik ihre Mitpatienten einschüchtern, ließen es mir sinnvoll
erscheinen, diese zunächst eigentümlich erscheinenden Aufgaben „Beobachtung des
Sozialverhaltens“ und „Anbindung an die Gruppe und die Klinik“ in den Behandlungspfad mit
aufzunehmen. Um zu verdeutlichen, dass eine Vorstellung des Delinquenzverlaufes alleine
nicht ausreicht, sondern eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema „dissoziales
Verhalten“ notwendig ist, habe ich die Aufgabe der „Analyse der kriminellen Energie“
hinzugenommen. Sicherlich hätte dies auch stillschweigend unter die Aufgabe der
Vorstellung
des
Freizeitgestaltung
Delinquenzverlaufes
im
Aufgabenbereich
gefasst
der
werden
können.
Entwicklung
der
Ähnlich
hätte
die
„Zukunftsperspektive“
aufgenommen werden können. Hier war mir eine separate Aufführung allerdings wichtig, da
Langeweile und Einsamkeit immer wieder als ein wesentlicher Grund für die Rückfälligkeit
genannt werden und der aktiven Freizeitgestaltung daher in unserem Behandlungskonzept
eine
wichtige
Rolle
beigemessen
wird.
Die
Reflexion
des
Verlaufes
der
Rehabilitationsfahrten ist ebenfalls eine Aufgabe, die unter dem Punkt „Rehafahrten“
besprochen werden könnte, allerdings ergeben sich bei der Reflexion der Fahrten häufig
neue Themen, oder die Selbstüberschätzung des Patienten wird deutlich, weil er entgegen
seinen Erwartungen Suchtdruck bekommen hat. Die Reflexion ist somit ein wichtiger Schritt
in der Behandlung, vorausgesetzt, der Patient geht offen mit den aufgetretenen
Schwierigkeiten um. Diese Aufgaben tauchen in der Abschlussphase noch einmal auf. Hier
ist eine weitere Aufgabe, auf die ich eingehen möchte, die Entwicklung einer
„Ausgewogenheit von Selbst- und Gemeinschaftsverantwortung“. Drogenabhängige haben
an diesem Punkt, wie auf S. 60 beschrieben, Mühe, ein gesundes Maß zu finden, so dass es
sehr wichtig ist, hier ein gesundes Gleichgewicht zu erlangen, was mich dazu bewogen hat,
diese Aufgabe in den Behandlungspfad aufzunehmen. Gleiches gilt für die Aufgabe den
„Abschied aktiv zu gestalten“. Wie auf S. 68 beschrieben, liegt im Abschiednehmen oder
130
seiner Vermeidung ein nicht unerhebliches Rückfallrisiko für den Patienten. Aus diesem
Grund habe ich der Bedeutung dieser Aufgabe dadurch Rechnung getragen, indem ich sie
separat im Behandlungspfad aufgeführt habe. Es war mir nicht möglich, zu diesen Aufgaben
theoretische Hintergründe zu finden, so dass ich in diesen Fällen Erfahrungen und Eindrücke
aus dem Klinikalltag dargestellt habe.
Die Behandlungspfade komorbider Patienten habe ich entwickelt und vorgestellt, da ich auch
und gerade für diese Patienten eine strukturierte Therapieplanung für notwendig erachtet.
Tatsächlich werden bereist wesentliche Schritte dieser Behandlungspfade in der Praxis
umgesetzt, allerdings sind die Flussdiagramme dazu noch nicht im Qualitätshandbuch
erfasst. Eine wichtige Veränderung wäre eine differenziertere Testdiagnostik bei diesen
Patienten, als sie zur Zeit in der Klinik stattfindet. Bislang werden aus den Daten der
Anamnese, der durchgeführten Aufnahmediagnostik, der Verhaltensbeobachtung und einem
Gespräch der leitenden Psychiaterin mit dem Patienten die Diagnosen gestellt. Die
Anschaffung eines Persönlichkeitstestes ist sinnvoller Weise geplant.
In der Behandlung komorbider Patienten wird viel mit Trainingsprogrammen gearbeitet. So
wird
für
alle
drei
Selbstsicherheitstraining
vorgestellten
angeraten,
Komorbiditäten
für
depressive
in
und
der
Fachliteratur
ein
Borderline-Patienten
sind
Entspannungsverfahren wichtige Bestandteile der Behandlung. Letztere werden in der
Fachklinik Liblar regelmäßig angeboten, anders das Selbstsicherheitstraining. Aus
personellen
Gründen
besteht
hierzu
nicht
die
Möglichkeit.
Teile
des
Selbstsicherheitstrainings fließen in die Delinquenzgruppe mit ein oder werden im Rahmen
der Gruppentherapie angeboten. Hier ist eine Verbesserung des Angebotes durch die Klinik
notwendig.
Insgesamt kann bei der Behandlung komorbider Patienten gesagt werden, dass sie mit
Ausnahme der Trainingsprogramme die gleichen Aufgaben erledigen sollten wie die
ausschließlich suchtmittelabhängigen Patienten, wenn auch zu verschiedenen Zeitpunkten.
Allerdings brauchen sie dabei ein intensiveres Maß an Unterstützung. Borderline-Patienten
und depressive Patienten brauchen aus meiner Erfahrung häufig ein behutsameres
Vorgehen, wobei der Therapeut ein sehr gutes Gespür dafür haben muss, in welchen Fällen
Behutsamkeit einmal nicht angezeigt ist, während
dissozial persönlichkeitsgestörte
Patienten die Behutsamkeit des Therapeuten als seine Schwäche deuten. Solche
Unterschiede in der Arbeit mit Patienten kann man in einem Behandlungspfad nicht
darstellen. Hier sind Erfahrung und Intuition des Therapeuten gefragt, die aus meiner Sicht
wichtige übergeordnete Prinzipien in der Arbeit mit Menschen sind, die jedoch in einem
Flussdiagramm nicht erfasst werden können. Diese Tatsache macht für mich nicht den Wert
der Behandlungspfade zunichte. Aber meines Erachtens lohnt es sich, diesen Aspekt im
131
Hinterkopf zu behalten, auch um
den Behandlungspfaden keine so starke Bedeutung
zukommen zu lassen, dass ich vielleicht einen Teil meiner eigenen Verantwortung für meine
Arbeit
an die Behandlungspfade abgebe, dass
ich möglicherweise Therapie nach
Vorschrift, entsprechend den Behandlungspfaden mache und dabei nicht mehr den
Patienten mit seiner eigenen Geschichte und seinen eigenen Aufgaben vor Augen habe, was
in der psychotherapeutischen Arbeit jedoch das A und O sein sollte.
Es ist aus meiner Sicht interessant, wie viele Erklärungsmodelle es heute gibt, die sich mit
der Suchtentwicklung und –aufrechterhaltung beschäftigen und welche zahlreichen Modelle
es für die Erklärung von Rückfälligkeit gibt. An erster Stelle ist hier das kognitive Modell von
Beck
zu nennen, vorgestellt auf S. 43. Der Autor sieht es als wesentliches
Behandlungskriterium an, dass der Patient sich mit den kognitiven Zusammenhängen seiner
Sucht auseinander setzt. Dies ist aber nicht allen Patienten möglich. Nicht jeder Patient hat
die kognitiven Fähigkeiten, diese Zusammenhänge zu erfassen und auf seine eigene Sucht
zu übertragen. Gerade bei Patienten, die nach langen Jahren des Konsums eine stationäre
Langzeitentwöhnung beginnen, zeigt sich häufig eine reduzierte kognitive Fähigkeit.
Einfachere Erklärungsmodelle, wie die Trias der Sucht (S. 19), zeigen hier bessere Erfolge
und vermitteln dem Patienten rasch das Gefühl, erste Ansätze seiner Sucht verstehen zu
können, während das kognitive Modell häufig frustriert, und das negative Selbstbild
stabilisiert, denn der auf kognitiver Ebene überforderte Patient spürt sein Unvermögen.
Sicherlich gibt es noch vieles, was zu Sucht gesagt werden kann, ich habe mich bei der
Vorstellung der Hintergründe, Behandlungsmöglichkeiten und Erklärungsmodelle auf das
bezogen, was in der Fachklinik Liblar genutzt oder eingesetzt wird. Eine
größere
Ausführlichkeit wäre der Überschaubarkeit der ohnehin umfangreichen Arbeit nicht zu gute
gekommen. Das ist denn auch der Grund dafür, dass ich mich ausschließlich mit den
Behandlungspfaden der Psychotherapie beschäftigt habe und die Bereiche Arbeit-, Ergo-,
Kunst- und Bewegungstherapie außen vor gelassen habe. Ein weiterer Grund für die
Entscheidung zur Vorstellung der therapeutischen Behandlungspfade war der, dass ich
selbst als Bezugstherapeutin in der Gruppentherapie arbeite. Natürlich gibt es im Rahmen
der Qualitätssicherung auch für die nicht in dieser Arbeit vorgestellten Bereiche
Flussdiagramme und Ausführungen im Qualitätshandbuch, aber in der
vorliegen
Masterthesis finden sie keine Berücksichtigung.
Die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems lieferte, wie in der Einleitung dargestellt,
die Idee für die Behandlungspfade. Bei der näheren Beschäftigung mit der Entstehung des
Qualitätsmanagements und der Entwicklung der Normen traten immer wieder Bedenken bei
mir auf, inwieweit hier eine adäquate Übertragung von der Industrie zur Behandlung oder
sozialen Dienstleistung möglich ist. Zu Beginn der Diskussion erwähnte ich bereits, dass
132
bestimmte Aufgaben des Therapeuten nicht erfasst werden können. Große Bedenken
kamen mir bei der in der industriellen Qualitätssicherung sehr wichtigen Kundenorientierung.
Das ist in der Industrie sicherlich ein zentraler Punkt. Dies eins zu eins in den Bereich der
sozialen Dienstleistung und hier besonders in die Suchttherapie zu übertragen halte ich für
nahezu gefährlich. Schwerstabhängige Patienten, und nur die kommen in die stationäre
Langzeitentwöhnung, sind durch den Drogenkonsum daran gewöhnt, dass die von ihnen
empfundenen Bedürfnisse sofort befriedigt werden. Sie haben es verlernt oder nie gelernt,
angemessen und konstruktiv mit Frustrationen umzugehen. Stattdessen konsumieren sie bei
auftretenden Schwierigkeiten Drogen. Somit ist es eine der wesentlichen Aufgaben des
Patienten, Bedürfnisaufschub zu lernen, Frustrationen auszuhalten, einen Umgang mit dem
unter Umständen dabei auftretenden Suchtdruck zu finden. Würde sich eine Klinik hier der
Kundenorientierung so verpflichtet fühlen, wie es in der Industrie der Fall ist, würde sie ihrer
Aufgabe der Suchtbehandlung nicht gerecht werden. Natürlich ist nicht nur der Patient
Kunde, auch die Angehörigen zählen zum Kundenkreis einer Rehabilitationsklinik. Die
Familien des abhängigen Patienten sind ebenfalls durch viele verschiedene Suchtmuster
gekennzeichnet, so dass auch bei ihnen Vorsicht geboten ist, wenn es um die Erfüllung aller
Erwartungen von Seiten der Klinik geht. So müssen Angehörige häufig erst mühsam lernen,
dass das süchtige Familienmitglied nicht immer telefonisch erreichbar ist oder nicht für die
Lösung
aller
entstehenden
Schwierigkeiten
verantwortlich
ist.
Auch
die
Drogenberatungsstellen, die Entgiftungen und die Haftanstalten sind als zuweisende Stellen
Kunde einer Rehabilitationsklinik. Hier arbeitet die Klinik zwar kundenorientiert, indem sie
Informationsmaterial versendet oder die Klinik im Rahmen der Akquise vorstellt, aber ab und
an findet man auch auf dieser Ebene Suchtstrukturen, die wir zwar nicht behandeln, aber
auch nicht zu unterstützen suchen.
Ein weiterer diskussionswürdiger Punkt bei der Übertragung des Qualitätsmanagements
(QM) der Industrie in den Bereich der sozialen Dienstleistung ist die ständige Verbesserung
der Prozesse und des Produktes. Was wird aber in der Psychotherapie produziert? Wie kann
man Verhaltensänderung, Lebenszufriedenheit, Selbstwertgefühl und Zuversicht messen?
Nimmt man Studien zur Therapieevaluation, kann man zwar feststellen, welches Verfahren
bei welchem Krankheitsbild erfolgreich eingesetzt werden kann, aber nur, weil ausschließlich
ein Behandlungsverfahren eingesetzt wird. In einer Rehabilitationsklinik arbeitet ein
multiprofessionelles Team und es ist nicht zuzuordnen, welche Intervention zum Erfolg
geführt hat. Vielleicht war es ja ein kurzer informeller Kontakt während einer Pause bei einer
Tasse Kaffee, der beim Patienten etwas ausgelöst hat. Wie bereits zu Beginn erwähnt, kann
dies nicht in einem Flussdiagramm erfasst werden oder als verbesserte Produktqualität
gemessen werden. In einem Flussdiagramm wird der organisatorische Rahmen einer
133
Behandlung erfasst. Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass die Zertifizierung
einer Einrichtung, also das Anerkennen des QM – Systems der Einrichtung durch einen
unabhängigen Auditor, etwas über die Organisation der Klink aussagt und nicht über die
Qualität der dort angebotenen Therapie. Natürlich kann man davon ausgehen, dass eine
gute Organisationsstruktur sich auf die Qualität der Arbeit auswirkt, aber Untersuchungen
dazu sind mir nicht bekannt. Mitarbeiter einer zertifizierten Einrichtung nennen meist die
klare Zuständigkeit für einen Bereich, die einheitlichen Dokumente und die festgelegte
Struktur beispielsweise des Aufnahmeprozderes als wesentlichen Vorteil des QM, was in der
Fachklinik Liblar genauso erlebt wird.
Die oben genannten Defizite des Qualitätsmanagements (QM) ist sich auch der
Rentenversicherungsträger bewusst, denn er nutzt nicht nur die Zertifizierung zur
Überprüfung der Arbeit einer Rehabilitationsklinik, sondern er zieht die Kategorien
Therapeutischer Leistungen ebenfalls hinzu. Durch die in Kapitel 6 vorgestellten KTL
versucht der Rentenversicherungsträger Kontrolle über die Inhalte der durchgeführten
Behandlung zu erhalten. Gleichzeitig ist es das Ziel, die von der Einrichtung angegebenen
Leistungen als Abrechnungsbasis zu nutzen, was bislang aber noch nicht der Fall ist. Die
Inhalte der KTL beschreiben wesentliche Aufgaben der Therapie ausführlich, aber auch mit
ihnen kann das zwischenmenschliche Geschehen eines therapeutischen Prozesses nicht
erfasst werden, was unter den Dokumentationshinweisen für die KTL durch die DRV (2007)
selbst folgendermaßen ausgedrückt wird:“ Auch inhaltliche Aspekte der therapeutischen
Beziehung können mit der KTL nicht standardisiert erfasst werden“ (S. 16).
Für mich war die Zuordnung der Behandlungsinhalte zu den KTL nicht immer eindeutig
möglich. So werden beispielsweise während eines Angehörigengespräches sowohl
edukative als auch therapeutische als auch sozialarbeiterische Inhalte angeboten. Wie
kundenfreundlich wäre es, im Rahmen eines Angehörigengespräches Fragen der
Familienmitglieder aus dem Bereich der Sozialarbeit mit dem Hinweis abzuwehren, dass es
sich
um
ein
therapeutisches
Angehörigengespräch
handelt,
in
dem
Fragen
zu
Behördenangelegenheiten nicht beantwortet werden dürfen? Auf die Gefahr hin, dass ich
selbst zu „kundennah“ bin, würde ich als Therapeutin so nicht reagieren. So geben auch die
KTL eine Struktur vor, setzen einen Rahmen, der aber von einer klaren Eindeutigkeit aus
meiner Sicht zur Zeit noch entfernt ist.
Bei der Gegenüberstellung der in den KTL vorgegebenen Therapieziele und der Aufgaben
der Behandlungspfade zeigt sich eine gute Übereinstimmung. Ich habe den Therapiezielen
die Aufgaben der Behandlungspfade gegenübergestellt, in denen diese Ziele bearbeitet
werden. Dies entspricht nicht immer den abzurechnenden Einheiten. So werden z.B. die
Therapieziele der Leistung „G049 störungsspezifische Gruppe bei Abhängigkeitsproblematik:
134
Rückfallprävention“ nicht nur in der Rückfallprävention angesprochen, sondern auch bei der
Vorstellung des Lebens- und Suchtverlaufes, bei der Erarbeitung der dysfunktionalen
Kognitionen usw. Damit habe ich zum Zweck der Gegenüberstellung der KTL Ziele und der
Behandlungsinhalte
den
Rahmen
der
KTL
erweitert,
um
die
Vielfältigkeit
der
Behandlungsinhalte darzustellen. Gegenüber dem Kostenträger wird selbstverständlich nur
die dem Titel der KTL entsprechende Leistung abgerechnet, bei dem Beispiel „G049“ die
Rückfallprophylaxe. In der Klinik werden im Bereich der Psychotherapie, bestehend aus
Einzel- und Gruppentherapie, aus allen notwendigen Leistungsgruppen der DRV Leistungen
angeboten, sofern der Patient die Behandlung nicht nach einem kurzen Aufenthalt abbricht.
Es gibt in der Klinik für jeden Therapiebereich eine Zusammenstellung der angebotenen
Leistungen eines Arbeitsbereiches mit den entsprechenden Kennzeichnungen der KTL und
den notwendigen Zeitangaben. Diese wird von den Mitarbeitern genutzt, um die
ausgeführten Leistungen zu erfassen.
Ein drittes Element der Qualitätssicherung des Rentenversicherungsträgers sind die
Leitlinien
zur
Behandlung
eines
bestimmten
Störungsbildes.
Hier
wird
die
Behandlungsqualität, wie bei den KTL, auf der Ebene der therapeutischen Arbeit erfasst. Ich
habe die Leitlinien zur Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen des AWMF
(Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) als Basis
verwendet und mit den Inhalten der erstellten Behandlungspfade verglichen. Auch hier zeigte
sich eine weitgehende Übereinstimmung, mit den Ausnahmen Zuordnung nach ICF, 12
Schritte Programm der AA, die Werteorientierte Therapie und die klientenzentrierte
Gesprächspsychotherapie.
selbstständige
Therapieform
Die beiden letztgenannten Therapieformen werden als
tatsächlich
nicht
angeboten,
allerdings
finden
sich
Basiselemente der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, wie die therapeutische
Haltung gegenüber dem Klienten, auch in den in unserer Einrichtung angebotenen
Behandlungsmethoden. Es wird sowohl in der Gruppen- als auch in der Einzeltherapie über
Werte gesprochen, aber nur bedingt in der Art und Weise wie sie die Leitlinien vorgeben, die
sich auf Spiritualität und Religiosität beziehen. Hier ist evtl. noch ein Relikt aus den Anfängen
der Suchttherapie in dieser Klinik zu finden, in der solche Inhalte nicht besprochen wurden.
Spürbar ist allerdings, dass das Interesse für diese Themen in der Patientenschaft
vorhanden ist. Zur Zeit findet der ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit,
Behinderung und Gesundheit) noch keine Verwendung in der Fachklinik Liblar. Unter
Berücksichtigung des zunehmenden Schwerpunktes der beruflichen Rehabilitation besteht
hier Notwendigkeit zur Veränderung, so dass dieser Fragebogen in die Anfangsdiagnostik
aufgenommen werden sollte.
135
Die Einhaltung der Leitlinien ist zur Zeit noch nicht verpflichtend. Hinzu kommt in Bezug auf
die Masterthesis, dass die Leitlinien für die Behandlung der Alkoholabhängigkeit entwickelt
wurden, die Behandlungspfade sich jedoch auf die Behandlung polytoxikomaner Patienten
beziehen. Ich habe den Vergleich damit gerechtfertigt, dass die zugrunde liegenden
Suchtmuster der beiden Suchtformen gleich sind, auch wenn sich ein beispielsweise Kokain
konsumierender Patient eindeutig von einem alkoholabhängigen Patienten unterscheidet.
Nicht erwähnt wurden bei den Gegenüberstellungen die Behandlungspfade komorbider
Patienten. In den berücksichtigten Leitlinien ist der Komorbidität zwar ein Kapitel gewidmet,
allerdings findet man dort beispielsweise im Bezug auf Borderline-Störungen Folgendes: „Bei
alkoholabhängigen Patienten mit Borderline–Störung wird von einigen Experten die
„Dialektisch–Behaviorale Therapie“ (DBT) nach Linehan empfohlen (…). Darüber hinaus
können Empfehlungen für eine spezielle Therapiemethode derzeit nicht gegeben werden“
(Bottlender et al bei AWMF 2010, S.9). Das Skillstraining aus der DBT wird in der Fachklinik
Liblar bei der Behandlung von Borderline–Patienten angewendet. Da weitere konkrete
Aussagen in den Leitlinien fehlen, erschien mir eine Gegenüberstellung nicht sinnvoll.
Bei
den KTL werden in der Leistungsgruppe G „Psychotherapie“ Hinweise auf die „Rehabilitation
von Menschen mit Abhängigkeit (DRV 2007, S. 189) gegeben, Hinweise auf die Behandlung
von Menschen mit Komorbidität habe ich nicht finden können, so dass dies ein Grund für die
fehlende Gegenüberstellung ist. Ein anderer Grund ist, dass eine Behandlung komorbider
Patienten in der Klinik zwar entsprechend den Erkenntnissen der Therapieforschung erfolgt,
aber die in dieser Arbeit entwickelten Behandlungspfade zur Zeit noch nicht vollständig
umgesetzt werden, da notwendige Trainingsprogramme und die Diagnostik noch verbessert
werden müssen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Entwicklung von Behandlungspfaden für
die therapeutische Arbeit nur bedingt die Vorteile der Behandlungspfade aus der Industrie
oder Medizin bietet. Sie bieten keine so klaren Prozessvorgaben wie Behandlungspfade in
der Medizin oder gar Prozessbeschreibungen in der Industrie. Allerdings zeigen die
Behandlungspfade für die jeweilige Phase der Behandlung die wesentlichen Aufgaben auf,
die der Patient und/oder der Therapeut während dieser Zeitspanne erledigen sollten. Ein
Vergleich mit den Vorgaben des Rentenversicherungsträgers durch die Gegenüberstellung
der Therapieziele der KTL und ein Vergleich der Behandlungspfade mit den Leitlinien der
AWMF für die Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen zeigte, dass die Inhalte der
Behandlungspfade den Vorgaben beider Qualitätssicherungssysteme größtenteils gerecht
werden. Inwieweit es sinnvoll ist, Vorgaben aus der Industrie auf den Bereich der sozialen
Dienstleistung zu übertragen, bleibt an einigen
exakten
Prozessbeschreibung
oder
der
Stellen fraglich, so an dem Punkt der
Erfassbarkeit
von
Beziehungsarbeit
und
136
Therapieevaluation.
Trotzdem
sollen
hierdurch
die
Vorteile
der
kontrollierten
Qualitätssicherung nicht geschmälert werden. Die klare Regelung von Zuständigkeiten, die
einheitliche Dokumentenlenkung, das Erfassen aller Prozesse in einem Qualitätshandbuch
tragen eindeutig zur Verbesserung der organisatorischen Prozesse bei.
Aus meiner Sicht ist es zum einen wichtig, sich die unterschiedlichen Bereiche der
Qualitätssicherung zu verdeutlichen, um den jeweiligen Systemen die richtige Bedeutung
beizumessen; zum anderen zu beachten, dass nicht jedes Geschehen durch die
Qualitätssicherung erfasst werden kann. Eine Erhebung der Patientenzufriedenheit am Ende
der Behandlung erfasst subjektive Eindrücke des Patienten, die von zahlreichen
unspezifischen Faktoren bestimmt sein können, beispielsweise von der Atmosphäre der
Einrichtung oder der Art und Weise, wie Teamkollegen einander begegnen und mit welcher
Haltung dem Patienten begegnet wird. Die Haltung, die ein Therapeut gegenüber den
Patienten und der therapeutischen Arbeit hat, muss er sich selbst erarbeiten, sie hängt mit
seinen
persönlichen
Werten
zusammen
für
die
er
selbst
verantwortlich
ist.
Qualitätssicherung bedeutet hier aus meiner Sicht Auseinandersetzung mit sich selbst.
Schön, wenn darüber im Team ein Ausstausch stattfinden kann, der, so war es in der
Fachklinik Liblar, durch den Prozess der Qualitätssicherung ausgelöst worden ist.
137
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9. Anhang
Anhang A
Interventionen
S. 147 – 165
Anhang B
Trainingsprogramme
S. 166 - 186
Anhang C
Inhalt der Aufnahmemappe
S. 187 - 193
Anhang D
Handouts Psychoedukation
S. 194 – 199
Patientenfragebogen
S. 200 – 204
146
Anhang A
Interventionen
Aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet das Verb intervenieren dazwischentreten,
vermitteln, sich einmischen. Durch das gezielte Eingreifen in Organismen, soziale oder
technische Systeme soll dem Auftreten von Störungen vorgebeugt werden, sie behoben oder
ihre
Folgen
eingedämmt
werden.
In
der
medizinischen
und
psychologischen
Gesundheitsvorsorge zählen hierzu neben Therapie und Psychotherapie alle Maßnahmen
der Prävention und Rehabilitation (Fröhlich 1994). Weiter schreibt der Autor:“ als
psychologische Intervention gelten alle Maßnahmen, die mit psychologischen Mitteln das
Erleben und Verhalten ansprechen und durch den Abbau von Störungen bei gleichzeitigem
Aufbau positiver Einstellungen
(…) sowie kreativer, kommunikativer und sozialer
Fähigkeiten der Förderung von Gesundheit, harmonischem Zusammenleben, Wohlbefinden
und Zufriedenheit dienen “ (S.225). Margraf (2000) gibt für die Psychologie folgende
Definition: „Professionelles, wissenschaftlich fundiertes und überprüftes Handeln, das mit
psychologischen Mitteln und Methoden im Erleben und Verhalten zum Zweck der Entfaltung
oder Rehabilitation einer Person oder der Vorbeugung oder Behandlung von Störungen
ansetzt.“ (S. 584).
In diesem Sinne stelle ich nun die im Zusammenhang mit den Behandlungspfaden in unserer
Einrichtung eingesetzten Interventionen vor.
Allgemeine Interventionen
Die folgenden Begriffe kennzeichnen die Standardinterventionen des therapeutischen
Alltags, weswegen ich sie nicht näher beschreiben werde:
Abstrahieren, Anerkennen, Auffordern, Bewerten (aber vorsichtig), Fragen, Humor
Hypothesen bilden und bilden lassen, Informieren, Ideen sammeln, Konfrontieren, Loben,
Paraphrasieren, Provozieren, Strukturieren.
Die ersten fünf
nun folgenden Interventionen habe ich aus
der
Motivierenden
Gesprächsführung übernommen:
Aktives Zuhören
Die Grundannahme, die hinter dem Aktiven Zuhören steht, ist die Annahme, dass es in der
Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen zu Störungen kommen kann,
beispielweise weil der Sender etwas Bestimmtes sagen möchte, dies aber nicht so
formulieren kann, dass der Empfänger tatsächlich versteht, was der Sender ausdrücklich will.
Antwortet der Empfänger nun auf das, was er gehört hat, reden die Gesprächspartner
möglicherweise aneinander vorbei und fühlen sich vom ihrem Gesprächspartner nicht
147
verstanden. Das versucht der aktive Zuhörer zu verhindern, indem er das, was er als die
Bedeutung des Gesagten verstanden hat, formuliert und es der Person als eigene Aussage
zurückspiegelt, allerdings nicht in Form einer Frage, sondern als Aussage (Miller und
Rollnick 2000). Wichtig hierbei ist es, dass der Therapeut reflektiv denkt, ihm klar ist, dass
sein Verständnis eines Begriffes nicht auch das seines Gegenübers sein muss und er sich
diesbezüglich Klarheit verschaffen muss, indem er die Aussage mit eigenen Worten
wiederholt und so nachprüft, ob er die Aussage richtig verstanden hat. Dabei genügt es, nur
ein oder zwei Wörter des Gesagten zu wiederholen oder aber als subtilere Art der Reflexion
die Worte des Patienten durch andere zu ersetzen. Das wird als Paraphrasieren bezeichnet.
Durch das Anbieten von Hypothesen oder durch Reflexion der angenommenen Gefühlslage
des Patienten wird der Prozess der Selbstexploration beschleunigt. Da der Therapeut
entscheidet, was reflektiert wird und was ignoriert wird, kann er der Reflexion des
Gegenübers eine Richtung vorgeben.
Bestätigen
Das Bestätigen der Person dient im therapeutischen Prozess dem positiven Beziehungsaufbau. Dies kann durch Anerkennung, Komplimente oder Verständnis vermittelnden
Aussagen geschehen. Auch das aktive Zuhören kann als eine Bestätigung verstanden
werden, weil der Patient merkt, dass es dem Therapeuten wichtig ist, was der Patient meint.
Change Talk hervorrufen
Miller und Rollnick sagen selbst, dass es sich hierbei um eine sehr direktive Intervention
handelt. Im Rahmen des Change Talk kann die Person die Nachteile des derzeitigen
Zustands erkennen, dazu die Vorteile einer Veränderung. Daraus kann sich eine Zuversicht
gegenüber der Veränderung einstellen, die Selbstwirksamkeitserwartung der Person steigt
und es kommt zu einer Veränderungsabsicht. Die Motivation des Patienten, sich auf einen
therapeutisch begleiteten Veränderungsprozess einzulassen, ist nun vorhanden.
Offene Fragen stellen
Besonders in den ersten Kontakten zwischen Patient und Therapeut ist es wichtig, dass der
Patient Vertrauen aufbaut, er sollte sich akzeptiert fühlen. Dazu sollte der Patient viel Raum
zum Reden haben, Miller und Rollnick (2000) sprechen davon, dass der Patient mehr als die
Hälfte der Zeit redet. Dies kann der Therapeut dadurch erreichen, dass er offene Fragen
stellt, die längere Antworten provozieren.
148
Zusammenfassen
Miller und Rollnick (2000) unterscheiden zwischen sammelnder Zusammenfassung. Sie sind
eher kurz und sollen entweder zu weiteren Ausführungen einladen oder aber eine neue
Richtung vorgeben. Eine anschließende Frage kann sein: “Was gibt es sonst noch?“
Verbindende Zusammenfassungen verknüpfen das von einer Person Gesagte mit Inhalten,
die bereits vorher einmal besprochen wurden. Hierbei wird die Person ermutigt, über
Zusammenhänge zwischen den beiden Themen nachzudenken. Durch verbindendes
Zusammenfassen kann die Ambivalenz einer Person gut verdeutlicht werden.
Überleitende Zusammenfassungen markieren den Wechsel von einem Thema zu einem
anderen. Die Autoren empfehlen sie besonders am Ende der ersten Sitzung, um alles
Gesagte thematisch zu verbinden.
Interventionen im Rahmen der Behandlungsphasen:
Abschlusseinzelgespräche mit dem Einzel- und dem Bezugstherapeuten.
Der Patient fasst aus seiner Sicht die Arbeit in den Einzelgesprächen zusammen und
reflektiert sie kritisch, dazu gehören die Fragen, was ihm gut gelungen ist, wo er weiter
gekommen ist, wo noch Veränderungsbedarf besteht und wo er unter Umständen ein Thema
konsequent vermieden hat, ob die vereinbarten Ziele erreicht worden sind, wenn nicht,
welches die Gründe dafür waren. Das Gleiche macht der Einzeltherapeut für die Arbeit mit
dem Patienten.
Im Abschlussgespräch mit dem Bezugstherapeuten werden die mit dem Patienten
vereinbarten Ziele noch einmal besprochen. Sollten sich bei der Überprüfung der
Therapiestandards, was ca. zwei Wochen vor Ende der Behandlung geschehen sollte,
herausgestellt haben, dass noch Aufgaben offen waren, wird nun geschaut, ob diese
Aufgaben erledigt worden sind.
Aus meiner Sicht ist es wichtig noch einmal gemeinsam mit dem Patienten zu schauen, was
ihn nach der Behandlung in seinem Alltag stärken kann und was er in der Behandlung für
Möglichkeiten gefunden hat, sein Belohnungszentrum zu befriedigen, ohne das es zu einer
Abstinenzverletzung kommt.
Auseinandersetzen mit Verstößen gegen das Klinikregelwerk
Das
Nichteinhalten
bestehender
Regeln
ist
oftmals
ein
Ausdruck
delinquenter
Verhaltensweisen, sofern man Delinquenz als von der Norm abweichendes Verhalten
definiert. So findet drei Mal in der Woche eine Abendrunde statt, in der es unter anderem
darum geht, die Regelverstöße der vergangenen Tage offen anzusprechen. Im Rahmen der
Bezugsgruppen wird über die Bedeutung des Übens der Regeleinhaltung immer wieder
149
gesprochen, ebenso wie in Großgruppenveranstaltungen. Ziel ist es häufig, einen Weg zu
finden, indem der Patient seinen Wunsch, sich von anderen zu unterscheiden ausdrücken
kann, ohne bestehende Regeln zu verletzen, anders ausgedrückt, einen angemessenen
Umgang mit dem Wunsch nach Rebellion zu finden.
Regelverstöße können auch Desinteresse oder Überforderung zum Ausdruck bringen. Auch
dies wird in den Bezugsgruppen thematisch bearbeitet. Da wir über keine feststehenden
Konsequenzen für bestimmtes regelwidriges Verhalten verfügen, werden Konsequenzen
meist in der Bezugsgruppe individuell festgelegt.
Besprechen der Diagnosekriterien
Immer wieder beginnen solche Patienten eine Behandlung, die sich für weniger süchtig als
die anderen Patienten und folglich für fehl am Platze halten. Da es nach Proschaska und
DiClemente in der Phase der Precontemplation sinnvoll ist, Informationen zu geben, stellen
wir dann die Diagnosekriterien der Suchtmittelabhängigkeit nach ICD 10 vor. Bisher war
demnach noch niemand falsch in unserer Einrichtung, allerdings heißt das noch lange nicht,
dass der Betroffene dies auch akzeptiert. Immerhin erfährt er, dass er aus Sicht dieses
Diagnoseschlüssels alle Kriterien erfüllt. Als Therapeuten lassen wir diese Feststellung, das
die notwendigen Kriterien erfüllt sind, ohne weiteren Kommentar stehen. Oftmals entwickelt
sich dann zwischen den Gruppenteilnehmern ein Austausch, da therapieerfahrene Patienten
diese
Leugnungshaltung
von
sich
selbst
kennen.
Die
dann
folgenden
Selbsterfahrungsberichte erreichen häufig mehr bei den Patienten als die theoretischen
Ausführungen der Therapeuten.
Bewerbungsfahrten zu Nachsorgeeinrichtungen
Die Belastungserprobungen in der zweiten Hälfte der Behandlung bestehen einerseits aus
Tages- und Wochenendfahrten zu Familie und Angehörigen, andererseits geht es darum,
dass die Patienten sich bei für sie in Frage kommenden Nachsorgeeinrichtungen vorstellen.
Dazu existiert ein von einem Patienten verwalteter Ordner, in dem sich Informationsmaterial
über Nachsorgeeinrichtungen in NRW, aber auch Baden Württemberg befinden. Hier findet
der Patient mögliche Adressen. Der erste Kontakt zu einer in Frage kommenden Einrichtung
ist meist telefonisch. Nachdem der Patient seine Bewerbungsunterlagen an die Einrichtung
gesendet hat, folgt meist die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Diese Fahrten
werden innerhalb der Gruppentherapie vorbereitet. Mögliche Schwierigkeiten, die unterwegs
auftreten können, Risikosituationen, in die der Patient geraten kann werden angesprochen,
mögliche Verhaltensweisen werden erarbeitet und teilweise im Rollenspiel durchgespielt.
150
Nach der Fahrt werden die Strategien, falls sie angewendet werden mussten, besprochen
und gegebenenfalls überarbeitet.
Bewerbungsmappe
Jeder Patient muss während seines Aufenthaltes eine Bewerbungsmappe erstellen. Meist
geschieht das in den ersten
Behandlungswochen, da die Patienten dann die für die
Gruppentherapie notwendigen Lebens-, Sucht- und Delinquenzverläufe erstellen. Die
Gelegenheit dazu erhalten sie während der sogenannten “Rehaeinheit”, die einmal
wöchentlich für jede Gruppe stattfindet. Hier werden die Patienten bei der Erstellung des
Lebenslaufes und des Anschreibens unterstützt. Die Stellenausschreibungen finden sie in
der Zeitung oder sie können sie an ihren ehemaligen Arbeitgeber richten. Am Ende der
Behandlung soll jeder Patient eine komplette Bewerbungsmappe zur Verfügung haben.
Patienten die nicht schreiben können, werden zum einen durch ehrenamtlich tätige
Pädagogen im Schreiben, Lesen und im einfachen Rechnen nachbeschult, und sie erhalten
Unterstützung durch ihre Mitpatienten.
Bewerbungstraining
In den einmal wöchentlich angebotenen Rehaeinheiten, in denen alle Aufgaben, die mit der
Rehabilitation verbunden sind erledigt werden können, finden die Bewerbungstrainings statt.
Durchgeführt werden sie von einem Ergotherapeuten, der die Patienten während der
gesamten Behandlung in diesem Bereich betreut. Es werden mit
Hilfe der anderen
Patienten Bewerbungsgespräche geführt, die anschließend analysiert werden, leider zur Zeit
noch ohne Videoaufzeichnung. Im Nachhinein wird das Training meist positiv bewertet, da
die Patienten eine Vorstellung davon bekommen haben, wie sie in einer solchen Situation
wirken und was sie verbessern können oder sogar müssen.
Besuch des BIZ
Alle Patienten fahren während der wöchentlich angebotenen Rehaeinheiten, in denen alle
Aufgaben, die mit der Rehabilitation verbunden sind erledigt werden können, wenigstens
einmal zum Berufsinformationszentrum nach Brühl. Sie können dort die Suche nach
Informationen
über
den
sie
interessierenden
Beruf
üben
oder
sich
über
Umschulungsmöglichkeiten informieren. Dadurch soll die Hemmschwelle herabgesetzt
werden, solche Informationsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Vielen ist es auch lästig,
sich in so einem Raum hinzusetzen und Informationen zu sammeln. Ist das jedoch bereits
einmal gemacht worden, fällt ein erneuter Besuch des BIZ am zukünftigen Wohnort leichter.
151
Delinquenzverlauf
Jeder Patient stellt in der Bezugsgruppe seinen bisherigen Delinquenzverlauf vor. Dabei
werden auch erste Vergehen aus der Kindheit erwähnt, z.B. das Stehlen von Süßigkeiten in
einem Geschäft. Wichtig ist, das emotionale Erleben vor, während und nach den Straftaten
zu beschreiben und zu beobachten, wie sich das Empfinden im Laufe der Zeit verändert hat
und Straftaten zu einer Selbstverständlichkeit im Drogenalltag geworden sind. Häufig zeigen
Patienten Stolz bezüglich ihrer Straftaten. Nachfragen verdeutlichen dann, dass es oft die
einzigen Handlungen sind, auf die sie stolz sind und
für die sie
innerhalb der Szene
Anerkennung erhalten konnten. Offene aber nicht abwertende Rückmeldungen zum
delinquenten Verhalten der Patienten sind ein wichtiger Bestandteil der Therapie, damit die
Patienten erkennen, dass sie außerhalb der Szene mit diesem Verhalten auf Ablehnung
stoßen. Hier gilt es oftmals für die Patienten auszuhalten, dass sie sich in der Welt der
Nichtabhängigen zunächst nicht profilieren können.
Nicht alle Patienten stellen ihre Delinquenz so positiv dar. Immer wieder löst der Vortrag der
bisherigen Straftaten auch Schuld- und Schamgefühle aus. Aus unserer Sicht gilt es diese
nicht wegzureden, sondern sie als Teil der Abhängigkeitserkrankung zu sehen, der durch
eine stabile Abstinenz verhindert werden kann.
Distanzierungstechniken
Meist wenden wir diese Interventionen für traumatisierte Patienten an, die häufig zu
Behandlungsbeginn über Erinnerungen an die traumatisierenden Erlebnisse klagen, die sie
immer wieder einholen würden. Viele, meist Frauen, kommen in unserer medialen Zeit gut
damit zurecht, sich eine Fernbedienung vorzustellen, mit deren Hilfe sie die erinnerten Bilder,
wie bei einem Fernsehapparat, ausstellen. Eine Alternative dazu ist es, sich das
Überpinseln eines Bildes mit einer dicken Quaste und schwarzer Farbe vor zu stellen. Nach
mehrmaligem Üben im Rahmen von Einzelsitzungen können die Betroffenen diese Übung
alleine für sich durchführen. Weitere Interventionen können sein, die Patienten rückwärts
zählen zu lassen oder die Übung der Zwerchfellatmung, bei der der Patient sich gerade
hinsetzt, seine rechte Hand auf den Bauch legt und sich auf seinen Atem konzentriert (Zobel
2007)
Emotionstagebuch
Das Emotionstagebuch wird den Patienten als Hausaufgabe gegeben. Die vom Betroffenen
gesammelten Einträge werden in der nächsten Behandlungssitzung ausgewertet. In einem
Heft werden mehrere Spalten eingerichtet, die als Überschrift folgende Fragen haben:
152
Was fühle ich?
Was denke ich?
Was war?
Was will ich tun?
Welche Konsequenzen hat mein tun?
Dabei soll der Patient sich beim Ausfüllen der Spalten Zeit lassen und seine Fühlen und
Denken genau beschreiben (Schmitz et al 2001). Durch die Auseinandersetzung mit den
Notizen
und
der
Überlegung
alternativer
Verhaltensweisen
zu
selbst-
oder
fremdverletzenden Verhaltensweisen und dysfunktionalen Denkmustern soll es für den
Patienten möglich werden, seine negativen Emotionen zu verstehen, neu zu bewerten und
willentlich zu beeinflussen (Rentrop et al 2007).
Diese Intervention wird meist bei Patienten mit Depressionen oder Borderline – Störung
eingesetzt.
Frauen- oder Männergruppe
Wir bieten regemäßig im Rahmen der Indikationsgruppen Männer- und Frauengruppen an,
die jeweils von einem Therapeuten, bzw. von einer Therapeutin geleitet werden. Inhalte sind
das Geschlechtsrollenverständnis und der Austausch darüber, so dass eine Erweiterung des
bisherigen Rollenverständnisses möglich ist. Für beide Geschlechter ist es wichtig, einen
geschützten Rahmen zu haben, in dem sie unter ihres Gleichen schambesetzte Erfahrungen
austauschen können. Immer geht
es auch darum, einen Zusammenhang zur
Suchtentwicklung herzustellen und alternative Verhaltensweisen zu erarbeiten und
gegebenenfalls auch auszuprobieren. So ist es für Frauen, die sich oft als Konkurrentinnen
sehen, immer wieder eine neue Erfahrung, etwas gemeinsam mit anderen Frauen zu
unternehmen oder die Erfahrung der gegenseitigen Unterstützung zu erleben.
Gedankenstopp
Eigentlich findet man diese Intervention häufig im Bereich der Zwangserkrankungen, um
ständiges Grübeln und negative Gedankenketten zu unterbrechen (Tyron 2005). Für uns ist
die Intervention von Nutzen, weil bei der Analyse dysfunktionaler Kognitionen deutlich wird,
dass der Patient bestimmte Grundüberzeugungen innerlich manifestiert und damit seinen
Substanzkonsum rechtfertigt. Hat der Patient für sich selbst eingesehen, dass ein
bestimmter Gedanke irrational ist und seine Abstinenzfähigkeit immer wieder in Frage stellen
kann, arbeiten wir mit dem Gedankenstopp. Es wird dabei so vorgegangen, dass der Patient
sich innerlich den Gedanken vorspricht, ohne Vorwarnung ruft der Therapeut sehr laut
„Stopp“, was meist zu einer Schreckreaktion des Patienten führt. Der Therapeut lässt den
153
Patienten genau beschreiben, was passiert ist und was er empfunden hat. Dasselbe
Vorgehen wird erneut wiederholt. Der Patient wird wieder nach seinem Erleben gefragt. Der
Patient versucht es im nächsten Schritt selbst, indem er zunächst laut Stopp ruft, beim
nächsten Schritt stellt der Patient sich vor, selbst stopp zu rufen. Meist müssen einige
Schritte mehrfach wiederholt werden, da es für die Patienten oft befremdlich ist, sich selbst
etwas zuzurufen. Nach jedem Wiederholungsdurchgang ist es wichtig, den Patienten nach
seinem Erleben zu fragen. Treten nun wieder die altbekannten Grundüberzeugungen auf,
soll der Patient seine Gedanken mit dem inneren „Stopp“ unterbrechen können. Wichtig ist
es, nachzufragen, ob der Patient diese Technik im Alltag auch anwendet und ob sich die
Frequenz der Anwendung des Gedankenstopp verändert, denn sie sollte sich reduzieren.
Steigert sie sich, würde das eine Festigung des Gedankens bedeuten könne, was
kontraindiziert wäre.
Diese Intervention wird auch noch einmal im Rahmen der Rückfallprophylaxe (S. 179
genannt.
Geleitetes Entdecken
Beck et al (1997) verstehen unter geleitetem Entdecken, dass der Therapeut den Patienten
nach der Bedeutung fragt, die ein auslösender Reiz, beispielsweise ein Löffel für einen
Heroinabhängigen, hat. Er fragt nach der Wirkungserwartung, seinen erlaubnisgebenden
Gedanken und seinen speziellen suchtbezogenen Handlungsplänen. Mit Hilfe dieser Fragen
werden dem Patienten die kognitiven Zusammenhänge seiner Suchtmittelabhängigkeit
deutlich. Dabei wird ein Flussdiagramm erstellt, in dem jeder Bestandteil des kognitiven
Suchtmodells ein Kästchen hat. Nachdem der Therapeut dem Patienten dieses Modell
erklärt hat, wird es von beiden gemeinsam ausgefüllt, weil suchtbezogene Grundannahmen
und dahinter stehende Grundüberzeugungen dem Menschen oft gar nicht, bzw. nicht
einfach zugänglich sind.
Die Fragen des Therapeuten werden benötigt, um diese
Grundüberzeugungen bewusst zu machen.
Hautzinger (2005) nennt diese Intervention „Grundüberzeugungen ändern“ (S. 172). Er
schlägt
vor,
Grundannahme
von
einem
automatischen
auszugehen.
Diese
Gedanken
Gedanken
oder
können
einer
nach
suchtspezifischen
Hautzinger
über
Tagesprotokolle erfasst werden. Der Patient wird nach der Bedeutung dieses Gedanken
gefragt. Aus den Gedanken wird eine allgemeingültige Regel, eine Axiom, abgeleitet. In der
weiteren therapeutischen Arbeit werden die Vor- und Nachteile der Axiome herausgearbeitet,
sie werden Realitätstests unterzogen, und der Patient nimmt einen Rollentausch vor, indem
er andere Grundsätze annimmt, die für seine Ziele erfolgversprechender sind. Parallel dazu
werden aus den Axiomen Hypothesen bezüglich der Grundüberzeugungen erstellt, die zur
154
Lebensgeschichte des Patienten in Bezug gesetzt werden. Der Autor hebt die Bedeutung
hervor, die dem kritischen Bewerten dieser grundlegenden Überzeugungen zukommt. Dem
Patient soll deutlich werden, dass diese Grundüberzeugungen ganz oder teilweise falsch
sein können. Diese Überprüfung kann wieder durch das Abwägen von Vor- und Nachteilen
geschehen, durch Realitätstest
und Verhaltensexperimente, durch das Formulieren von
Extremen und das Suchen alternativer Erklärungen (ebenda).
Kurzkontakte und Smalltalk
Unsere praktische Erfahrung zeigt, dass kurze Kontakte in den Behandlungspausen und in
der Freizeit, während Spät- und Wochenenddiensten die Anbindung des Patienten an die
Einrichtung und damit die Behandlung positiv beeinflussen. In diesen Kontakten geht es
nicht darum, sich über den therapeutischen Prozess auszutauschen, sondern es wird über
Alltägliches gesprochen. Der Patient hat dadurch die Möglichkeit, den Mitarbeitern der
Einrichtung als „normalen“ Menschen zu begegnen, der Makel des „Kranken“ fällt weg. Die
Mitarbeiter können aus einer anderen Perspektive erlebt werden. Das kann die
Hemmschwelle, Kontakt aufzunehmen, verringern helfen. Hier wird aus unserer Erfahrung
ein Grundstein für die Bereitschaft des Patienten gelegt, sich auch in Krisen an die
Mitarbeiter zu wenden und bereits früh in der Behandlung die Erfahrung zu machen, dass
das Einholen von Unterstützung möglich und hilfreich ist. Manchmal genügt bereits ein
Kopfnicken aus der Distanz, das dem Patienten das Gefühl gibt, als Mensch wahrgenommen
zu werden.
Aus diesen Kontakten können allerdings auch Informationen über das Sozialverhalten des
Patienten hervorgehen. Hier erlebt man den Menschen häufig anders als im Rahmen der
Therapieeinheiten, in denen eine größere Distanz und ein stärkeres Gefälle zwischen
Therapeut und Patient erlebt wird. Mögliche Widersprüche im Erleben können bei länger
bestehender Arbeitsbeziehung, die bereits eine gewisse Belastbarkeit erlangt hat,
angesprochen werden.
Modell der Suchttrias
Dieses Erklärungsmodell der Entstehung von Suchtmittelabhängigkeit gehört zu den
prozess- und interaktionsorientierten Modellen. Es ist ein Modell, das den Patienten im
Rahmen
der
Orientierungsphase
Denkanstöße
geben
kann,
über
ihre
eigene
Suchtentwicklung nachzudenken. Es wird in diesem Erklärungsmodell angenommen, dass
der Drogenmissbrauch ein Geschehen ist, dass durch drei Faktoren bedingt wird: die
Person, die Umwelt der Person und die Droge. Zur Person gehören Erbanlagen, psychische
Variablen, soziokulturelle Einflüsse wie Konsumverhalten, Einstellung gegenüber Drogen.
155
Soziale
Schichtzugehörigkeit,
allgemeine
Lebensbedingungen,
Familienstruktur,
Arbeitssituation und der Einfluss sozialer Gruppen bilden den Umweltfaktor. Zu dem Faktor
Drogen gehören ihre spezielle Wirkung, die Art und Dauer der Einnahme und die Höhe der
Dosis (Böhme et al 1993). Die Interaktionen zwischen den Faktoren ist nicht geklärt, so dass
es sich eher um ein deskriptives Modell handelt. Trotzdem ist es als erstes theoretisches
Input für die Patienten gut geeignet.
Paarbeziehungen in Gruppensitzungen und Einzelgesprächen
Der Patient berichtet über seine bisherigen Beziehungen. Dabei werden rasch Muster
deutlich, die der Betreffende selbst meist noch nicht erkannt hat. Diese Muster werden
hinterfragt, wie sie entstanden sein können, wem sie nützen, wie sich Kosten und Nutzen
gegenüber stehen, was Alternativen sein könnten, wie diese umgesetzt werden könnten.
Immer wieder werden diese Gespräche in den Einzelsitzungen vorbereitet, so dass der
Patient mit einer gewissen Vorarbeit in die Gruppensitzung geht. Dies hat den Vorteil, dass
besonders Frauen mit Erfahrungen sexueller Gewalt ihre eigenen Grenzen wahren, denn oft
reden sie sehr detailreich über ihre Erfahrungen und inszenieren damit Retraumatisierungen.
In den Einzelsitzungen kann besprochen werden, welche Informationen in der Gruppe
wichtig sind, welche jedoch ausschließlich in den Einzelgesprächen bearbeitet werden.
Patengruppe
Bei der Patengruppe handelt es sich um eine ausschließlich von den Patienten selbst
geleitete Gruppe, die die neuen Patienten in den ersten beiden Wochen ihres Aufenthaltes in
Begleitung ihres Paten aufsuchen. Die Paten sind Patienten, die wenigstens sechs Wochen
im Haus sind und die Regeln und die Struktur des Hauses und des Therapietages bereits
kennen. Die Patengruppe findet je nach Bedarf ein bis zwei mal wöchentlich statt. Der neue
Patient kann hier Fragen zur Therapie und zum Ablauf stellen, Wochenendaktivitäten für die
neuen Patienten werden organisiert, es findet ein Austausch auf Patientenebene statt.
Dadurch werden neue Patienten auch in der Großgruppe willkommen geheißen, gleichzeitig
werden die alten Patienten in die Pflicht genommen, sich für die Neuen zu engagieren und
das zurückzugeben, was sie selbst zu Beginn der Behandlung auch empfangen haben. Auch
für sie findet hierdurch noch einmal eine Bindung an die Klinik und die Großgruppe statt.
Praktikumssuche
Diese Aufgabe stellt sich nicht nur für die Patienten, die in unsere
angeschlossene
Adaptionseinrichtung wechseln, sondern auch für die Patienten, die in eine andere
Adaptionseinrichtung
wechseln
wollen.
Dies
ist
mit
einer
sogenannten
externen
156
Belastungserprobung verbunden. Der Patient muss sich, ähnlich wie zur Vorstellung bei der
Adaptionseinrichtung (S. 150), selbst mit möglichen Praktikumsgebern in Verbindung setzen,
die Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln heraussuchen, um zu dem Betrieb zu
gelangen und die Fahrt in der Bezugsgruppe vorbesprechen, um auf mögliche Risiken
vorbereitet zu sein. Dies ist nicht für alle Adaptionseinrichtungen notwendig, da einige den
Patienten auch ein bis zwei Wochen, manchmal auch vier Wochen, zur Verfügung stellen,
um sich Praktika vor Ort zu suchen. Dies ist sicherlich praktischer, als die Praktika aus der
Behandlung heraus zu suchen, zumal sie ja auch dort bei auftretenden Schwierigkeiten
betreut werden. Trotzdem hat die vorzeitige Praktikumssuche ihre Vorteile, da sie eine erste
Orientierung am neuen Aufenthaltsort mit sich bringt und im Falle der Frustration immer
noch der Bezug zur Klink da ist, der stabilisieren kann. Patienten, die in unser Adaptionshaus
wechseln, müssen sich während der letzen Wochen ein Praktikum suchen, so dass sie mit
dem Wechsel in die Adaption direkt in ein Praktikum starten.
Problemkuchen
Besteht eine Orientierungsgruppe aus Patienten, die bereits über Therapieerfahrung
verfügen, stellen wir die Aufgabe, einen Problemkuchen zu zeichnen. Ähnlich eines
Tortendiagramms teilt der Patient den Kreis in unterschiedlich große Felder ein, in die er die
Themen einträgt, die er meint bearbeiten zu müssen. Interessant ist dabei, dass das Thema
Sucht häufig nicht konkret erwähnt wird. Das kann als Hinweis verstanden werden, dass der
Patient weitere Unterstützung beim Aufbau der Behandlungsmotivation braucht.
Progressive Muskelrelaxation (PMR)
Durch
Entspannungsübungen
soll
eine
Veränderung
physiologischer
Reaktionen
herbeigeführt werden. Angst und Anspannung werden häufig von solchen Reaktionen
begleitet. Ziel einer Entspannungsübung ist es, die Wahrnehmung des Kontrastes zwischen
willkürlich angespannter und entspannter Muskulatur zu verbessern (Margraf 2000).
Der
Patient lernt, dass er sein eigenes Erleben steuern kann und verliert das Gefühl des
Ausgeliefertseins. Auf die genaue Vorstellung der PMR möchte ich im Hinblick auf die
zahlreiche Literatur, die hierzu bereits existiert, verzichten.
In der Fachklinik Liblar wird ein PMR Kurs von vier Sitzungen einmal im Quartal angeboten.
Zusätzlich werden in unregelmäßigen Abständen Imaginationsübungen angeboten, meist in
Form von Gedankenreisen.
157
Ressourcenaufbau
Ziel dieser Intervention ist es, von einem negativen Stimmungszustand in einen positiven zu
gelangen und damit den Zugang zu den eigenen Ressourcen zu verbessern und die
Selbstwirksamkeit zu erhöhen. Voraussetzung ist, dass der Patient bereits etwas über die
steuernde Funktion negativer und positiver Imaginationen, Wörter und Körperhaltungen
kennt und ihm die Bedeutung persönlicher Ressourcen vertraut ist (Fliegel und Kämmerer
2006).
Der Patient sucht sich eine Situation aus, die ihm Angst bereitet, in der er glaubt, unterlegen
zu sein. Daraufhin wird der Patient gebeten, die antizipierten negativen Gefühle so intensiv
wie möglich in sich aufsteigen zu lassen und die dazugehörenden physiologischen und
körperlichen Reaktionen genau wahrzunehmen und zu beschreiben. Diesem Empfinden gibt
der Patient als nächstes in einer übertriebenen Körperhaltung Ausdruck und friert für ca. 5
Sekunden diese Haltung ein. Nachdem der Therapeut bis fünf gezählt hat, wechselt der
Patient ohne lange Überlegung in eine dieser Haltung entgegengesetzte Köperposition. Das
Empfinden in dieser neuen Position wird von dem Patient in einem kurzen Satz beschrieben.
Für manche Patienten ist es schwierig, in der neuen Situation passende Beschreibungen zu
finden, hier kann der Therapeut Hilfestellung geben und seine Beobachtung benennen.
Dieses Prozedere wird nun erneut wiederholt, allerdings spricht der Patient beim Einnehmen
der positiven Körperhaltung auch die dazu gehörenden positiven Beschreibungen laut aus.
Anschließend wird der Patient aufgefordert, positive Erinnerungen von früher mit der
positiven Körperhaltung zu verbinden, das können Bilder, Melodien oder auch Gerüche aus
der Kindheit sein. Als nächstes wird der Patient aufgefordert, für dieses positive Erleben ein
Symbol zu finden, das er in der Problemsituation verwenden kann, imaginär oder real, was
für ihn am besten ist. Im nächsten Schritt wird wieder die Verbindung zur Problemsituation
hergestellt und ein praktisches Vorgehen erarbeitet, so dass der Patient sich beispielweise
vor einem schwierigen Gespräch etwas Zeit nimmt und sich an das gute Gefühl erinnert und
das Symbol dazu in die Hand nimmt. Diese Übung muss der Patient als Hausaufgabe
während der Therapiesitzungen regelmäßig alleine trainieren. Unter Umständen ist es
sinnvoll, gemeinsam mit ihm eine Zeit zu überlegen, zu der er diese Übung täglich
durchführen kann.
Ressourcenwaage
Ziel der Übung ist ein Erarbeiten und Verdeutlichen von Ressourcen, die entweder bereits
vorhanden sind oder im Rahmen der Therapie geweckt werden sollen.
Gemeinsam mit dem Patienten wird für die thematische Belastung ein symbolisierender
Gegenstand gesucht und auf eine Waagschale gelegt. Es geht nun darum gemeinsam mit
158
dem Patienten zu überlegen, was ein Gegengewicht zu der erlebten Belastung sein könnte,
so dass eine unter Umständen nicht zu verändernde Belastung wie der Tod eines
Angehörigen besser ertragen werden kann. Es geht darum mit Hilfe der Waage bildlich die
innere Balance wieder herzustellen, so dass die Belastung ausgeglichen werden kann. Für
jede Ressource, die dem Patienten einfällt, werden Gegenstände auf die zweite Waagschale
gelegt, bis die Balance hergestellt ist.
Im Weiteren ist es wichtig, gemeinsam mit dem Patienten zu erarbeiten, wie die genannten
Ressourcen in den Alltag integriert werden können.
Rückfallprozedere
Die Haltung gegenüber Rückfällen ist in der deutschen Suchthilfe nicht einheitlich, tendiert
aber vermehrt in die Richtung, dass stationäre Langzeitentwöhnungen mit rückfälligen
Patienten weiterarbeiten und nicht sofort die Behandlung beenden. So empfiehlt Körkel
(2001), die oftmals affektgeleitete disziplinarische Entlassung durch eine einzelfallbezogene
Rückfallbearbeitung und Weiterbehandlung zu ersetzen. Die Rückfallbearbeitung sollte bald
nach der Abstinenzverletzung beginnen und einem festgelegten Prozedere folgen. Dies ist
auch die Haltung der Fachklinik Liblar. Es wurde für rückfällige Patienten folgendes
Prozedere entwickelt: Patienten, die während der Behandlung rückfällig werden, werden
zunächst von der Großgruppe isoliert, solange sie noch intoxikiert sind, um möglichen
Suchtdruck bei anderen Patienten zu reduzieren. Sie werden alleine auf ein Zimmer gelegt,
und ein stabiler Patient wird ihnen als Pate zur Seite gestellt. Während dieser sogenannten
Besinnungszeit dürfen die Patienten einmal in der Stunde aus dem Zimmer um zu rauchen,
darüberhinaus wird eine schriftliche Reflexion des Rückfalls erwartet, wenn der Patient
wieder klar ist, und er muss über die gesamte Zeit der Rückfallbearbeitung ein Tagebuch
führen, das er dem Therapeuten in regelmäßigen Abständen vorlegen muss. Sobald keine
Substanzen mehr im Körper nachgewiesen werden, wird die Kontaktsperre zu den anderen
Patienten aufgehoben; und der Hergang des Rückfalls und die ersten Ergebnisse der
Reflexion müssen in der Bezugsgruppe dargelegt werden. Die Zeit der Besinnung wird dann
aufgehoben, die Rückfallbearbeitung ist aber noch nicht abgeschlossen. Dazu gehören nach
die Vorstellung der Reflexion in der Großgruppe und das Ausfüllen von Selbst- und
Fremdkonzeptfragebögen, die die gezeigte Veränderung durch die Rückfallbearbeitung
erfassen sollen. Erst dann wird die Rückfallbearbeitung als beendet angesehen. Zuerst
reflektieren die Patienten häfigl recht oberflächlich, so dass sie Unterstützung durch die
Bezugstherapeuten und die Bezugsgruppe brauchen. Für Patienten mit Doppeldiagnosen ist
die Zeit der Besinnung häufig nur schwer auszuhalten, so dass bei ihnen diese Zeit meist
verkürzt wird. Lässt sich ein Patient auf die gestellten Aufgaben ein, kann er dadurch
159
Wesentliches über seine Abhängigkeit lernen. Risikosituationen werden erkannt, alternative
Verhaltensweisen für den Konsum überlegt. Manche Patienten haben erst über dem Erleben
eines Rückfalles eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer Sucht begonnen.
Allerdings arbeiten wir nicht mit allen Rückfällen. Hat der Rückfall mit einem hohen Maß an
Delinquenz stattgefunden findet keine weitere Zusammenarbeit statt.
Rückmeldungen aus dem handlungsorientierten Bereich
Da
die
Patienten
während
ihres
Aufenthaltes
in
unserer
Einrichtung
nicht
nur
psychotherapeutisch begleitet werden, sondern Arbeits-, Kreativ- und Sporttherapie ebenfalls
zum Programm gehören, ergibt sich aus diesen Bereichen auch immer wieder die
Möglichkeit, das Selbstwertgefühl des Patienten zu regulieren. Beispielsweise können gute
Leistungen in der Arbeitstherapie zu Anerkennung durch Mitpatienten und Teamer führen.
Dies kann gemeinsam mit dem Patienten als positive Eigenschaft in sein Selbstbild eingefügt
werden.
Umgekehrt
kann
die
gescheiterte
Verantwortungsübernahme
in
einem
Arbeitsbereich den Patienten an seine Grenzen führen, so dass eine Überprüfung der
tatsächlichen Leistungsfähigkeit in diesem Bereich unausweichlich wird.
Sechs-Augen-Gespräch
Der Name dieser Gespräche entstand tatsächlich aus der Anzahl der am Gespräch
beteiligten Augen. Dies ist eine Alternative zur Bezeichnung „Paargespräch“, da wir den
beteiligten Patienten mit diesem Begriff vermitteln könnten, dass sie für uns ein Paar sind,
was aber nicht der Fall ist. Wie unter dem Punkt Beziehungsgestaltung (S. 48) dargestellt,
handelt es sich meist um Kontakte zwischen männlichen und weiblichen Patienten, die dem
Lusterleben dienen und damit eine positives Gegengewicht zu den Unlusterfahrungen des
therapeutischen Prozesses darstellen können. Die Gespräche werden von einem
Therapeuten geleitet, den die Patienten sich selbst aus dem Team aussuchen können.
Themen sind dann die aktuelle Beziehungsgestaltung, bestehende Beziehungsmuster,
Parallelitäten zwischen der Beziehungsgestaltung und der Sucht. Wurden mehrere
Gespräche geführt und baut sich eine gewisse Stabilität in der Beziehung auf, so dass
deutlich wird, dass beide Patienten die Beziehung über die Behandlungszeit hinaus
fortsetzen wollen, geht es auch um eine gemeinsame Zukunftsplanung, mögliche Risiken,
die bei Partnerschaften bestehen, in denen beide Partner abhängig sind. Die bearbeiteten
Inhalte der Sechs–Augen–Gespräche werden in den Gruppensitzungen bekanntgegeben, so
dass die Bezugsgruppenmitglieder weitgehend über den Stand der Beziehung informiert
sind, ohne dass auf genaue Einzelheiten eingegangen werden muss.
160
Selbstkonzept
Diese Intervention greift ebenfalls die Kognitionen des Patienten auf. Meist in der
Depressionsbehandlung eingesetzt, kann sie auch in der Behandlung von Zwangs- und
Suchtpatienten zur Anwendung kommen. Bekannt ist die Triade negativer Kognitionen von
Beck et al (1996). Die Person konzentriert sich überwiegend auf Misserfolge und negative
Aspekte, die sie internal attribuiert und woraus sie ein globales negatives Selbstbild aufbaut
(Zimmer, F.T. 2005). Als weitere Konsequenz kann es zu einer geringeren Akzeptanz durch
außenstehende Personen kommen, wodurch die eigenen negativen Annahmen Bestätigung
finden.
Es geht bei dieser Intervention darum, die selektiven Informationsfilter für neue positive
Informationen zu öffnen. Dazu wird die Aufmerksamkeit auf Wahrnehmungen und
Gedächtnisinhalte gerichtet, die positive Selbstbewertungen beinhalten. Diese sind meist in
positiver Stimmung leichter zugänglich als bei gedrückter Stimmung. Letztgenannte führt
leichter zu allzu kritischer Selbstbewertung. Lässt sich aber der Patient auf die veränderte
Betrachtungsweise ein, so zeigt sich eine deutliche Stimmungsaufhellung (ebenda). Da es
aber häufig für die Patienten schwierig ist, sich selbst positiv zu bewerten, da sie sich meist
in einer gedrückten Stimmung befinden, ist hier die Unterstützung durch den Therapeuten
notwendig. Dieser muss dazu die zugrunde liegende Problematik des Patienten und die
funktionalen Zusammenhänge mit anderen Problembereichen kennen. Er sollte dem
Patienten das Konzept der Intervention erklären können und in angemessenem Tempo
vorgehen, orientiert am Tempo des Patienten.
Das Konzept kann der Therapeut am besten anhand eines vom Patienten bereits genannten
Beispiels verdeutlichen. Wichtig ist, dass der Zusammenhang zwischen Selbstkonzept und
emotionalem Empfinden deutlich wird und die Möglichkeit, durch veränderte Kognitionen die
eigene Stimmung selbst zu beeinflussen.
Unterstützt werden kann der Patient bei der Exploration positiver Eigenschaften durch einen
Selbstkonzeptfragebogen, so dass der Patient eine Vorlage möglicher positiver Begriffe
erhält. Oder der Patient wird aufgefordert, eine für ihn sympathische Person zu beschreiben.
Anschließend wird der Patient gefragt, wann er sich in den letzen zwei Wochen bezüglich
bestimmter Eigenschaften aus seiner Sicht akzeptabel verhalten hat. Zimmer empfiehlt
weiter, den Begriff der Selbstsicherheit in verschiedene Aspekte aufzuschlüsseln und
möglichst gegenwartsbezogene Erfahrungen zur berücksichtigen. Wichtig sei es weiter, auf
eine zu positive Formulierung zu verzichten, da der Patient dann unter Umständen nicht
mehr folgen könne. Selbstwertdienliche Sätze, die von dem Patienten voll akzeptiert werden,
können auf ein kleines Kärtchen geschrieben werden, so dass er die Möglichkeit des
wiederholten Lesens hat. Das kann als Hausaufgabe mit gegeben werden.
161
Als Erweiterung der Übung kann der Patient aufgefordert werden, zwischen den
Therapiesitzungen weitere positive Aspekte seiner Person zu erkennen und zu formulieren.
Eine Anleitung können hierbei die Fragen sein: „Was fand ich heute an meinem Verhalten
gut?“ und „Was hat mir heute an mir gefallen?“ (Zimmer F.T. 2005). Eine eigenen Studie des
Autors zur Evaluation dieser Intervention ergab bei stark depressiven Patienten eine
signifikanten
Verbesserung
der
Stimmung
nach
einer
halben
Stunde
Aufmerksamkeitslenkung auf positive Aspekte des Selbst.
Anders ist es bei Patienten, die sich selbst überschätzen. Sie attribuieren meist nicht internal
sondern external, Schuld am Scheitern sind die anderen, die Situation oder das Leben
überhaupt. Auch hier gilt es, die kognitiven Prozesse des Patienten zu überprüfen, allerdings
nicht mit dem Ziel des Aufbaus eines positiven Selbstbildes, sondern hier ist der Aufbau
eines realistischen Selbstbildes notwendig.
Dazu werden, wie oben beschrieben, die Gedanken über die Ursachen eines Misserfolgs
gemeinsam mit dem Patienten auf ihre reale Gültigkeit hin überprüft. Ist beispielsweise
tatsächlich der festnehmende Polizist schuld an der langjährigen Haftstrafe? So, wie bei
Patienten mit schlechtem Selbstbild vorsichtig positiv dosiert werden muss, gilt es hier, mit
zu rascher negativer Kritik vorsichtig zu sein, um die therapeutische Arbeitsbeziehung nicht
zu gefährden. Wird das grandiose Selbstbild zu schnell ausgehöhlt, kann es zu einer
erheblichen psychischen Destabilisierung des Patienten kommen. Die mit der Akzeptanz der
Selbstverschuldens verbundene Übernahme von Eigenverantwortung stellt den Patienten oft
vor eine völlig neue Aufgabe. Es ist wichtig, die Balance zwischen positiven und negativen
Eigenschaften des Patienten herzustellen, so dass dem Patienten deutlich wird, dass es
nicht um eine Zerstörung der eigenen Person geht, sondern das weiterhin gute
Eigenschaften da sind, aber auch negative Eigenschaften, die es zu akzeptieren gilt. So
bilden die vorhandenen positiven Eigenschaften die Plattform, von der aus die negativen
Eigenschaften betrachtet werden können.
Familientherapeutisch könnte gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet werden, welches
Familienmitglied welche Werthaltungen mitgegeben hat. Wer hat gesagt, dass der Patient
keinen Erfolg haben darf oder keine Fehler machen darf? Wessen Auftrag ist es, das Leben
als ständige Scheitern zu erleben? Nachdem das geklärt ist, kann der Patient überprüfen,
welche Werte und auch Aufträge er weiterhin übernehmen möchte und von welchen er sich
distanziert.
Steigerung der Aktivitätsrate
Dazu hält der Betroffene zunächst in einem Wochenplan alle stattgefundenen Aktivitäten
fest. In den Therapiesitzungen geht es darum, gemeinsam mit dem Patienten positive,
162
neutrale und negative Aktivitäten zu unterscheiden. Es wird auf Ausgewogenheit zwischen
positiven und negativen Aktivitäten hin gearbeitet. Die positiven Aktivitäten verbessern die
Stimmung des Patienten und fördern weitere Aktivitäten (Hautzinger 1998). Hier ist es die
unmittelbare Selbstbeobachtung, die dem Patienten diese Zusammenhänge zeigt. Ein
ausschließliches Argumentieren an dieser Stelle ist wenig erfolgreich, weil das eigene
Erleben ausbleibt. Gleichzeitig erkennt der Patient depressionsfördernde Verhaltensmuster,
die er zu kontrollieren lernt. Sinnvoll ist es, gemeinsam mit dem Betroffenen eine Liste für ihn
angenehmer Ereignisse aufzustellen, die das Planen eines aktiven Wochenplanes
erleichtern. Dabei gilt es eine Akzeptanz gegenüber den negativen Aktivitäten zu entwickeln,
die nicht vermieden werden können. Es geht um die Herstellung von Ausgewogenheit.
Therapiereflexion in der Bezugsgruppe
In Gegenwart der oftmals kritischen Gruppenmitglieder reflektiert der Patient seine
Behandlung. Da die Mitpatienten ihn auch in der Freizeit erlebt haben, haben sie noch eine
andere Seite kennen gelernt, die dem Therapeuten oft vorborgen bleibt, da schon seine
Anwesenheit zu einer Veränderung führt, und sei es nur in der verbalen Ausdrucksweise. Oft
erhält der Patient zu seinem unangemessenen Verhalten während der Behandlung in der
letzten Gruppensitzung Rückmeldungen, die vorher so, manchmal bedauerlicherweise, nicht
gemacht wurden. Hier kann beim Therapeuten ab und an die Frage auftauchen, ob man
ausschließlich an der Fassade des Patienten gearbeitet hat, was bedauerlich wäre. Oft
stimmen Patienten- und Therapeutenwahrnehmung überein und es ergibt sich ein rundes
Ganzes, was in den nächsten Monaten der Bewährungsprobe unterzogen wird.
Überprüfen dysfunktionaler Kognitionen
Das Überprüfen dysfunktionale Kognitionen bedeutet: das Erkennen kognitiver Fehler wie
der Übergeneralisierung, der selektiven Abstraktionen, des dichotomen Denkens, der
Solltyranneien, des emotionalen Begründens und Magnifizierens des Negativen. All dies
gehört in den Bereich der dysfunktionalen Kognitionen (Margraf 2000). Sie gilt es zu
überprüfen.
Die den suchtspezifischen Grundannahmen zugrunde liegenden Grundüberzeugungen sind
insofern dysfunktional, als sie häufig irrational sind und keinen wirklichen Realitätsbezug
haben. Wenn ein Patient denkt, er dürfe keine Fehler machen oder er sei nur dann ein guter
Mensch, wenn er von allen anderen Menschen geliebt würde, sind dies dysfunktionale
Gedanken, die Person kann an ihnen nur scheitern. Beck spricht von negativen Schemata,
denen
mehrere
logische
Fehler
zugrunde
liegen
wie
beispielsweise
willkürliche
163
Schlussfolgerungen oder selektive Abstraktion. In der Verhaltenstherapie werden sie auch
als systematische Denkfehler bezeichnet.
Eine weitere Möglichkeit ist das Führen von Tagebüchern. Beispielsweise nimmt ein Patient
an, dass es ihm niemals gelingen wird, aus seiner Depression aufzutauchen. Wenn er ein
Tagebuch führt, in das er regelmäßig über den Tag verteilt notiert, wie er seine
Gemütsverfassung erlebt wird ihm bei der Durchsicht dieser Notizen auffallen, dass sein
Gemütserleben nicht an allen Tagen gleich ist, sondern dass es auch positivere Tage gibt.
Durch diese Information kann der Patient die allgemeine Überzeugung in Frage stellen, dass
er immer in der gleichen depressiven Stimmung lebt. Hieraus dann der Betroffene die
Energie schöpfen, das bestehende Schema in Frage zu stellen und ein realistischeres zu
entwickeln (Davison & Neale 1998).
Verabschiedung durch die Großgruppe in der letzen Abendrunde
Dazu muss ich zunächst einmal den Begriff der Abendrunde erklären. Sie ist eine
Großgruppenveranstaltung, die dienstags, donnerstags und sonntags um 18:45 Uhr mit
offenem Ende stattfindet und von einem Patienten geleitet wird. Hier werden Verstöße gegen
das Regelwerk angesagt, Patienten können sich über das Erlebte der letzen Tage mitteilen
oder einen Mitpatienten auf sein Verhalten der letzen Tage ansprechen. Nimmt ein Patient
zum letzten Mal an dieser Runde teil, gehört ein Teil der Zeit ihm und seinem Abschied.
Patienten, die engen Kontakt zu dem Verabschiedeten haben, suchen ein Musikstück für ihn
aus, das gespielt wird, er bekommt Rückmeldungen, die an dieser Stelle meist positiv sind.
Sollte etwas Negatives dabei sein, so wird etwas Positives nachgesetzt, ganz selten wird ein
Patient an der Stelle noch einmal “in die Mangel” genommen. Jeder Patient bekommt zuletzt
ein Geschenk von der gesamten Großgruppe und ist dann meist froh, wenn zum üblichen
Ablauf der Abendrunde zurückgekehrt wird.
Verpflichtungserklärung
Die meisten Kliniken gehen mit dem Patienten einen Therapievertrag ein, der sowohl von
dem Patienten, als auch vom Bezugstherapeuten unterschrieben wird. In unserer Einrichtung
nennen wir dies Verpflichtungserklärung, da uns dieses Wort weniger formell erschien als
der Begriff eines Vertrages. Im Wesentlichen verpflichtet sich der Patient zur Offenheit
gegenüber den Mitarbeitern, zur Verschwiegenheit außerhalb der Bezugsgruppe, um das
Kleingruppengeheimnis sowie den respektvollen Umgang mit sich, seinen Mitpatienten und
den Mitarbeitern zu wahren. Er verpflichtet sich auch zum rücksichtsvollen Umgang mit dem
Klinikeigentum. Dieser Vertrag kann zusätzlich unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des
jeweiligen Patienten ergänzt werden, so z.B. bei Borderline Patienten, die sich im Falle des
164
Wunsches nach Selbstverletzung unverzüglich an einen Mitarbeiter zu wenden haben.
Dieses Dokument wird immer wieder überarbeitet und optimiert.
Vierfelderschema bezüglich Drogen und Abstinenz
Diese Intervention wird meist in Gruppen eingesetzt. Das Ausfüllen der vier Felder zu den
Punkten Drogen Pro und Contra, Abstinenz Pro und Contra geschieht gemeinsam (Anhang
D, S. 196). Je nach Motivationslage der Teilnehmer sind die einzelnen Felder unterschiedlich
gewichtet. Häufig erschreckt es die Patienten, dass sich die Vor- und Nachteile zahlenmäßig
in der Waage befinden. Dann kommt der nächste Schritt, den Körkel und Schindler (2003)
als das Waagemodell bezeichnen. Die einzelnen Argumente werden von jedem einzelnen für
sich selbst gewichtet, dabei überwiegt meist, aber nicht immer, die negative Seite der Droge
und die positive Seite der Abstinenz. Beck et al (1994) bezeichnen die Analyse der Vor- und
Nachteile als eine sehr wichtige Technik der kognitiven Therapie.
165
Anhang B
Trainingsprogramme
Die nun vorgestellten Trainingsprogramme werden nicht alle komplett in unserer Einrichtung
angeboten, oft werden nur bestimmte Module eingesetzt, da es aus personellen Gründen
nicht möglich ist, jedes Programm komplett in regelmäßigen Abständen anzubieten.
1. Emotionsregulationstraining
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, emotionales Erleben zu verändern. Dazu gehören
z.B. als erster Schritt das Identifizieren von Emotionen und die Steigerung der Achtsamkeit
gegenüber aktuellen Gefühlen. Die Hindernisse die es bei der Veränderung von Gefühlen
gibt, gilt es zu identifizieren. Es gilt die Verwundbarkeit gegenüber verletzlichen Emotionen
zu reduzieren. Ereignisse, die positive Gefühle hervorrufen, gilt es, bewusster zu erleben
(Sulz nach Linehan 2005). Eingesetzt werden kann das Training, bei fehlender
Gefühlswahrnehmung, bei fehlendem oder inadäquatem verbalen und nonverbalen
Gefühlsausdruck,
fehlende
Steuerung
eines
intensiven
Gefühls
und
Über-
oder
Untersteuerung des durch das Gefühl ausgelösten Handlungsimpulses. Das Training wird
meist bei Patienten mit Depressionen oder Borderline Störung angeboten.
Zunächst das Vorgehen bei Überemotionalität und Untersteuerung nach Sulz (2005).
In der ersten Einheit wird mit den Patienten gemeinsam geübt, Emotionen zu identifizieren
und zu benennen. Dazu werden zunächst Informationen über die jeweiligen Emotionen
gegeben. Eine Selbstbeobachtung des Patienten schließt sich an. Es wird geschaut, in
welcher Situation welche Gefühle ausgelöst wurden, und es wird erfasst, wie sie sich auf
Denken und Handeln ausgewirkt haben.
Auch das Erkennen der Hindernisse beim Erleben von Emotionen erfolgt über die
Selbstbeobachtung. Dabei wird die Funktion der Emotionen erfasst, welche Wirkung erzielt
ein Gesichtsausdruck, es wird geschaut, wie viel schneller Verhalten durch Emotionen
ausgelöst wird als durch Kognitionen; wie viel Energie unter Umständen durch Emotionen
freigesetzt werden kann. Weiter wird an diesem Punkt gemeinsam mit den Patienten
beobachtet, wie erlebte Emotionen die Sicht der eigenen Person bestätigen.
Im nächsten Schritt geht es darum, sich stärker gegen schmerzliche Gefühle zu schützen.
Dabei wird zunächst auf körperlicher Ebene reagiert, indem die körperliche Gesundheit
weitgehend hergestellt wird. Dazu gehört eine gesunde Lebensweise mit gesunder
Ernährung, Verzicht auf Alkohol, Drogen und Medikamente. Es sollte auf ausreichenden
Schlaf geachtet werden, auf ausreichende Bewegung. Wichtig ist hier der Wechsel von
166
passiver Haltung zu aktiver Lebensgestaltung, damit die Person erlebt, wie sie durch eigenes
Handeln ihre Emotionen verändern kann.
Zur Vermehrung positiver Ereignisse, reicht es teilweise, kurzfristig angenehme Aktivitäten
zu planen und durchzuführen und so z.B. jeden Tag eine positive Aktivität auszuüben und
diese ganz bewusst wahrzunehmen. Langfristig gilt es, die eigene Lebensplanung so zu
verändern, dass positive Ereignisse häufiger werden. Dazu gehört auch, Umstände, die
negative Emotionen auslösen, nach Möglichkeit zu verändern, sich von Kontakten zu lösen,
die häufig zu Enttäuschungen und Verletzungen führen. Als letzten Punkt nennt der Autor
das Ablenken im Fall von verstärktem Grübeln, z.B. indem die Person sich bewusst auf die
Gegenwart konzentriert.
Um die Achtsamkeit gegenüber Emotionen zu steigern, gilt es, sie zunächst zu beobachten;
bewusst ihr Kommen und Gehen wahrzunehmen; zu erleben dass es wenig Sinn macht,
aufkommende Gefühle abblocken oder vorhandene Gefühle verdrängen zu wollen. Ein
wesentlicher Schritt ist es, sich nicht in die Gefühle zu verbeißen, sondern sie los zu lassen.
Es gilt, sich nicht in ein Gefühl hinein zu steigern. Wichtig ist es zu erleben, dass die Person
nicht das Gefühl ist, sondern dass sie sich als Mensch mit Emotionen erlebt und sich
entscheiden kann, wie sie auf das Gefühl reagiert. Emotionen sollten nicht verurteilt, sondern
akzeptiert werden.
Bei bestimmten Emotionen ist es sinnvoll, ihnen entgegen zu handeln, beispielsweise bei der
Angst, wenn sie übertrieben ist. Dann sollte die Person genau das machen, wovor sie Angst
hat. Den durch die Angst ausgelösten Fluchtimpulsen sollte widerstanden werden; die Angst
soll die Zeit und den Raum bekommen, den sie braucht. Wenn sie weniger wird, sollte sich
von ihr verabschiedet werden und die Person sollte noch eine Zeit ohne Angst in der
Situation bleiben.
Als letzten Punkt verweist Sulz (2005), auf die Notwendigkeit, Techniken der Stresstoleranz
anzuwenden. Er nennt hier die einem Gefühl entgegengesetzte Mimik, die zu einer
Abschwächung der negativen Emotion führen kann.
Zeigt ein Patient dagegen eine Unteremotionalität mit Übersteuerung, ist ein ähnliches
Vorgehen sinnvoll (ebenda). Hier gilt es die Selbstbeobachtung zu schulen, damit die Person
die jeweiligen Emotionen überhaupt erleben kann. Dies geschieht durch Analyse der
äußeren Situation. Anschließend wird auf die körperlichen Reaktionen geachtet.
In Anlehnung an die kognitive Emotionstheorie nach Lazarus (Sulz 2005) beobachtet die
Person auch, welche Gedanken eine Emotion auslösen; die Person übt, diese Emotion zu
verbalisieren. Dabei sollte auch die Unsicherheit in der Auseinandersetzung mit dem Gefühl
zum Ausdruck kommen.
167
Über die Kognitionen kommt es dann zum mimischen Zeigen des Gefühls, z. B. über den
Gesichtsausdruck, die Stimme und die Wortwahl, die Körperhaltung und die Gestik.
Der nächst Schritt der Annäherung an die Emotionen erfolgt auf der Handlungsebene, z. B.
sich aus dem Ärger heraus bei einer zuständigen Person zu beschweren. Sollte dies alles
gelungen sein, ist es für die betreffende Person wichtig, das Geleistete anzuerkennen und
sich selbst zu belohnen.
Der Autor empfiehlt, gemeinsam mit dem Patienten zehn sehr typische Situationen
herauszusuchen, in denen der Betroffenen nicht angemessen auf seine Gefühle reagieren
konnte. Mit Hilfe der Skalierungstechnik wird der Grad der dysfunktionalen Reaktion
eingeschätzt und ein Sollwert vereinbart. Am Ende des Trainings liegt der Erfolg darin, dass
der Patient zum einen seine Gefühle besser erleben und differenzieren kann, zum anderen
Möglichkeiten für sich erarbeitet hat, die erlebten Emotionen in konkretes Handeln münden
zu lassen.
Durch dieses intensivere emotionale Erleben wird die Person unter Umständen für ihre
Umwelt anstrengender, da sie bisher ihre Emotionen verschwiegen und verdrängt hat, um
andere nicht zu belasten. Aus diesem Grund rät der Autor, Bezugspersonen in die
Behandlung mit ein zu beziehen.
2. Dialektisch behaviorale Therapie nach Linehan (eine Zusammenfassung)
Das Gruppentherapieprogramm für Patienten mit Borderline Störung nach Linehan (1993)
besteht aus acht Sitzungen, die hier kurz vorgestellt werden (nach Fiedler 2005).
Die erste Sitzung dient der Orientierung über das Therapieprogramm und der Vorstellung der
Gruppenteilnehmer.
Die zweite Sitzung beschäftigt sich mit der Schulung der Wahrnehmungsfertigkeiten.
Die Patienten erhalten Selbstbeobachtungsprotokolle, in die sie alle störungsrelevanten
Ereignisse und Erfahrungen eintragen sollen. Diese werden in jeder folgenden Sitzung
besprochen und spiegeln Veränderungen und Therapiefortschritte wider. Wichtig ist bei der
Nachbearbeitung der Tagebücher, rationale Handlungen den emotionalen Handlungen
gegenüber zu stellen. Die Patienten werden dazu aufgefordert, die bei ihnen überwiegenden
Emotionen durch das Einüben sorgfältigen Nachdenkens und inhaltlich begründeten
Handelns zu ersetzen. Ziel ist es, rationale und gefühlsmäßige Situationsaspekte zu
integrieren. Durch verschiedene Übungen wird den Patienten gezeigt, dass es zwischen
Schwarz und Weiß viele weitere Farbschattierungen gibt.
168
In den Sitzungen drei bis sieben geht es um das Training spezifischer Fertigkeiten. Durch die
intensive Tagebucharbeit können individualisierte Bereiche festgelegt werden, in denen der
Teilnehmer
seine
Fertigkeiten
in
verschiedenen
zwischenmenschlichen
Bereichen
verbessern muss.
Dabei können die Wahrnehmungsfertigkeiten der Teilnehmer geschult werden. Hier werden
die Inhalte der zweiten Sitzung weiter ausgebaut, also Selbstbeobachtung, aber auch
Selbstmanagementtraining.
Weiter geht es um die Effektivierung sozialer und zwischenmenschlicher Kompetenzen. Hier
geht es um das Erlernen einer Ausgewogenheit zwischen allgemeinen Anforderungen und
persönlichen Bedürfnissen der Patienten. Das Respektieren der Bedürfnisse anderer ist
einzuüben sowie auch das Respektieren der eigenen Bedürfnisse und das Sich-Einsetzen
für sie. Die Patienten üben, in Konflikten aggressionsfreie Lösungen zu finden und mit
Stimmungsschwankungen in zwischenmenschlichen Situationen angemessen umzugehen.
Die Themen Selbstmanagement und Emotionsregulierung werden weiter vertieft. Dabei wird
das Benennen und Identifizieren verschiedener emotionaler Befindlichkeiten geübt. Im Laufe
der Sitzungen wird die Aufmerksamkeit vermehrt auf positives emotionales Erleben gerichtet.
Auch werden gemeinsam mit den Teilnehmern Strategien erarbeitet, sich selbst besser
gegen mögliche Verletzungen durch andere und/oder gegen sich selbst zu schützen.
Der hohen Stressanfälligkeit der Patienten wird mit einer Steigerung der Stresstoleranz
begegnet. Hier lernen die Teilnehmer, zwischenmenschliche Krisen zu erkennen, rational zu
bewerten und konstruktiv zu bewältigen. Als konkrete Beispiele werden die in den
Tagebüchern
festgehaltenen
Krisen
genutzt.
Wichtig
ist
hier
ebenfalls,
den
Impulskontrollverlust der Patienten zu durchbrechen.
Die letzte Sitzung dient dem Abschluss des Trainingsprogramms. Dabei wird das
gemeinsam Erreichte resümiert. Das Gesamte wird einer Wertung des Für und Wider
unterzogen. Möglichkeiten des Transfers des Erreichten in den Alltag werden überlegt.
Neben den Gruppen sollen die Patienten auch einzeltherapeutisch begleitet werden, um sehr
persönliche Themen, die nicht in ein Gruppensetting passen, bearbeiten zu können.
Das Manual ist verschiedentlich auf seine Effektivität hin untersucht worden. Erste
Ergebnisse der Autorin selbst zeigten zunächst, dass 16,7 % der Trainingsteilnehmer die
Behandlung abbrachen, demgegenüber brachen 58,3 % der Kontrollgruppe die Behandlung
ab. Durch weitere Überarbeitungen des Trainingsmanuals sei die Effektivität weiter
verbessert worden (Fiedler 2005).
169
3. Genusstraining
Beobachtet man die Patienten bei den Mahlzeiten oder während und nach einer
Freizeitaktivität z.B. in der freien Natur, sieht man, dass es den meisten nicht mehr gelingt,
etwas richtig zu genießen. Zwar werden sie zum Ende einer Therapieeinheit ungeduldig und
wollen unbedingt rauchen, aber genossen wird die Zigarette dann nicht, es geht lediglich um
die Wirkungserwartung und den schnellen Konsum, den die Patienten durch die
Drogeneinnahme gewöhnt sind. Das Gehirn ist durch die Drogenwirkung nur noch auf
besondere “Kicks” programmiert. Immer wieder berichten Patienten, dass sie erst nach
einigen Wochen bis Monaten in der Einrichtung wieder bewusst eine Farbe wahrgenommen
haben oder bewusst in den Himmel geschaut haben. Zur Förderung solch positiver
Wahrnehmungen bieten wir ein Genusstraining an, das alle fünf Sinne anspricht, pro Einheit
ist eine Sinneswahrnehmung Hauptthema.
Zu Beginn der ersten Sitzung geht es zunächst darum, was Genuss eigentlich bedeutet, wie
Genuss sich mit der Sucht verträgt und wie Genuss mit Verzicht zu vereinbaren ist. Viele
Patienten haben auch vor ihrer Sucht nicht richtig genießen können, am ehesten können sie
das Gemeinte nachvollziehen, wenn sie nach einer Zeit der Abstinenz erneut konsumiert
haben. Aber auch hier ist es eher die Gier, die die Überhand gehabt zu haben scheint und
nicht der Genuss. Oftmals entwickelt sich um diese Fragen eine interessante Diskussion, an
der sich meist die ganze Gruppe beteiligt, da es einmal nicht um ein schweres persönliches
Thema geht, sondern allen klar ist, dass es in den nächsten 90 Minuten um etwas
Angenehmes geht und keiner selbst “zum Thema wird”. Nach der Diskussion werden die
sieben Genussregeln noch besprochen.
Genuss braucht Zeit. Lutz (2005) weist darauf hin, dass ein emotionaler Zustand sich
entwickeln muss, man muss sich manchmal einen Freiraum schaffen, um genießen zu
können. Genuss muss erlaubt sein. Bei vielen Patienten wird klar, dass die Erziehung
Genuss unterbunden hat, entweder war alles strukturiert oder nichts war wirklich so wichtig,
als dass es sich gelohnt habe, sich dafür Zeit zu nehmen. Die dritte Regel besagt, dass
Genussempfinden sich nicht nebenbei einstellen kann. Wichtig ist es, die gesamte
Aufmerksamkeit auf einen eng begrenzten Bereich, beim Training eben einen Sinnesreiz, zu
konzentrieren. Man muss wissen, was einem gut tut, wenn man richtig genießen will. Für
Drogenabhängige ist das eine wesentliche Regel. Denn für sie bedeutet der Verzicht auf
Rauschmittel aller Art, dass sie auf etwas verzichten müssen, was ihnen nach ihrer
Erfahrung einmal gut getan hat. Zu wissen, was einem gut tut, heißt auch zu wissen, was
einem nicht gut tut und dieses dann konsequent zu meiden. Der Wert einer Sache sinkt mit
zunehmender Verfügbarkeit. Auch hier haben Drogenabhängige intensive Erfahrungen, ein
Vergleich zur Sucht bleibt hier nicht außen vor. Schließlich gilt noch die Regel, dass es ohne
170
Erfahrung keinen Genuss geben kann. Zu guter Letzt heißt die siebte Genussregel, dass
Genuss alltäglich ist. Jeder Mensch hat in seinem Alltag Dinge, die er genießen kann, er
muss sie nur bewusst wahrnehmen.
Wir haben bewusst keine Reihenfolge der angesprochenen Sinnesreize fetgelegt. Die
Gruppengröße liegt bei maximal acht Patienten, die das gesamte Training gemeinsam
absolvieren.
Nachteil unseres Angebotes ist, dass es meist nur im Abstand von zwei bis drei Wochen
angeboten wird, da wir sonst das Angebot an Indikationsgruppen nicht koordinieren können.
4. Kompetenztraining zur Verbesserung der Körperwahrnehmung nach Schmitz,
Schuler, Handke-Raubach und Jung (2001).
Dieses Training wird häufig bei Borderline Patienten im Zusammenhang mit dem
Emotionstagebuch durchgeführt. Es dient der Steigerung der Achtsamkeit, dem verbesserten
Umgang mit Emotionsspitzen, und der Steigerung der Selbstregulationsfähigkeit.
Die Achtsamkeit kann beispielsweise trainiert werden durch ein bewusstes Wahrnehmen der
Körperhaltung. So wird der Patient aufgefordert, seine Sitzhaltung bewusst wahrzunehmen
und bewusst zu verändern, um so den Unterschied zwischen den Positionen zu erleben und
ein Gefühl dazu zu bekommen, wann der Patient sich besser oder sicherer fühlt (Schmitz et
al 2001).
Die dialektisch behaviorale Therapie nach Linehan beinhaltet unter anderen Elemente des
Zen-Buddismus. Hierzu gehört die Achtsamkeitsübung des Atemzählens. Der Patient
bekommt die Instruktion, seine Atemzüge zu zählen, dabei beginnt er mit eins für den ersten
Atemzug und eins für das erste Ausatmen, zwei für den zweiten Atemzug und zwei für das
zweite Ausatmen. Dies setzt er bis 10 fort. Verzählt sich der Patient, muss er wieder bei eins
beginnen (ebenda). Durch diese Übung soll das Auftreten störender Gedanken unterbunden
werden.
Weitere Übungen hierzu sind das bewusste Gehen. Hierbei sollen die Füße bewusst
angehoben und abgesetzt werden, die Schritte sollen einen gleichmäßigen Abstand haben,
so dass der Körper in einen gleichmäßigen Bewegungsfluss kommt, der wiederum die
Gedanken beruhigen und ein Bewusstsein für Veränderungen der Körperhaltung und
Körperempfindung stärken soll, so dass die Patienten ihren Körper als etwas Ganzes
erleben und nicht nur aus isolierten Einzelteilen bestehend. Das Zusammenwirken des
Systems Körper soll den Patienten durch diese Übungen bewusst werden.
Eine wichtige Trainingseinheit ist die Nähe – Distanz – Übung. Dabei handelt es sich um
eine Paarübung, bei der die Patienten experimentell prüfen, welcher Abstand zum
171
Gegenüber für sie angenehm ist und welcher als unangenehm erlebt wird. In diesem Fall gilt
es zu üben, den Partner gegebenenfalls zu stoppen und auf eine für den Patienten
angenehme Distanz zu bringen.
Eine Übung, um innerlich auf Distanz gehen zu können, ist die Balkonübung. Hier stellt sich
der
Patient
eine
schwierige
Situation
vor,
beispielsweise
eine
schwierige
Verhandlungssituation. Wegen der Abwertungen seitens einer der Teilnehmer ist der starke
Wunsch da, seine Wut ungefiltert heraus zu schreien, was aber in der Situation
unangemessen wäre. So übt es der Patient sich vorzustellen, wie er in seinen Gedanken die
Situation verlässt und auf einen zu dem Raum gehörenden Balkon hinaus geht. Dort
versucht der Patient sich so plastisch wie möglich einen angenehmen Ausblick vorzustellen,
einen Park, in dem Kinder spielen oder Menschen Fahrrad fahren. Nach ca. 2 Minuten kehrt
er zurück in die Situation. Mit einiger Übung ist sein emotionales Erleben gefasster, und er
kann sich wieder konstruktiv am Geschehen beteiligen.
An diese beispielhaft vorgestellten Übungen schließen sich jeweils Auswertungen an, bei
denen in den Gruppen ein Austausch über das Erlebte stattfinden soll. Wichtig ist bei allen
Aufgaben, dass die Patienten das innere Erleben möglichst exakt schildern und die mit den
Übungen verbundenen Veränderungen des Erlebens auch detailliert schildern.
5. Mindfulness-Based-Stress-Reduction Programm (Achtsamkeitsbasiertes
Stressreduktionsprogramm.
2002 entwickelten Segal, Williams und Teasdale dieses Programm, das als eine Art
Rückfallprophylaxe bei Depressionen gesehen werden kann. Anlass für die Entwicklung
eines solchen Programms waren die hohen Rückfallraten depressiver Patienten nach einem
Klinikaufenthalt. So seien zwei Jahre nach einer Behandlung 60% rückfällig (eine Zahl, die
jeden Suchttherapeuten jubeln lassen würde). Bisherige Evaluationsstudien haben bei
depressiven Patienten, die in ihrem Leben mehr als zwei depressiven Episoden hatten, eine
Stabilisierung des Behandlungserfolges gezeigt, so dass bei dem Programm von positiven
therapeutischen Effekten ausgegangen werden kann (Michalak & Heidenreich 2007) Es
handelt sich um ein Gruppenprogramm für bis zu 12 Teilnehmer, das acht Sitzungen umfasst
und einmal wöchentlich mit einer Dauer von zwei Stunden stattfinden sollte (ebenda). Jede
Sitzung beginnt mit einer gemeinsamen Achtsamkeitsübung von 30 Minuten. Die
Erfahrungen während der Sitzungen und während des Übens zu Hause werden ausführlich
besprochen. Weiter hat jede Sitzung ein Schwerpunktthema. Die Autoren empfehlen,
zusätzlich einen Tag der Achtsamkeit in das Programm zu integrieren, an dem die
Teilnehmer über einen längeren Zeitraum Achtsamkeitsübungen praktizieren können. Bevor
die Patienten an dem Programm teilnehmen, müssen sie sich bereit erklären, an sechs
172
Tagen in der Woche 45 Minuten Achtsamkeitsübungen zu Hause durchzuführen. Die
Teilnehmer sollten sich während der Teilnahme am Programm nicht in einer suizidalen
Phase ihrer Depression befinden, da die Aufmerksamkeit auf das innere Erleben zu einer
weiteren Verschlechterung des Erlebens führen kann. Das Üben der Achtsamkeit stammt
aus den verschiedenen buddhistischen Schulen und will eine innere Haltung fördern,
aktuelles Geschehen zu akzeptieren, statt zu bewerten. Es geht um eine veränderte innere
Haltung dem Alltag gegenüber. Hierin liegt auch, so die Autoren, der Unterschied zu dem
Behandlungsansatz von Beck, der sich schwerpunktmäßig mit den kognitiven Schemata der
Patienten auseinander setzt, aber nicht unmittelbar an einer Veränderung der inneren
Haltung der Patienten arbeitet.
Die achtsamkeitsbasierten Übungselemente bestehen aus folgenden Themen (Michalalk &
Heidenreich 2007).
„Body Scan“
Der Teilnehmer liegt auf einer weichen Unterlage auf dem Rücken und beobachtet und
konzentriert sich auf den eigenen Atem, ohne ihn verändern zu wollen. Nach einigen Minuten
wird die Aufmerksamkeit nacheinander auf jedes Körperteil gerichtet. Begonnen wird mit den
linken Zehen. Auch hierbei wird das Wahrgenommene nicht bewertet. Bemerkt ein
Teilnehmer, dass seine Konzentration abdriftet, kehrt er, ohne sich dafür zu verurteilen, zu
dem aktuellen Körperteil zurück und setzen die Übung weiter fort.
„Atemmeditation“
Die Teilnehmer sitzen in aufrechter Haltung auf einem Stuhl oder auf einem Kissen auf dem
Boden. Sie konzentrieren sich auf ihren Atem und achten besonders auf ihre Empfindungen
im
Unterbauch.
Bei
Abdriften
der
Aufmerksamkeit
soll
der
Teilnehmer
ohne
Selbstverurteilung wieder mit seiner Aufmerksamkeit zum Atmen zurückkehren. Ist die
Aufmerksamkeit auf den eigenen Atem gefestigt, wird sie auf den gesamten Körper
ausgedehnt. Während der Atem beachtet wird, kommt die Wahrnehmung des gesamten
Körpers als Einheit dazu. Auftretende Schmerzen oder Spannungen werden ebenfalls nur
wahrgenommen, aber nicht bewertet. Insgesamt dauert diese Übung 30 – 45 Minuten.
„Achtsamkeit in Bewegung“
Hier werden einfache Dehnübungen aus dem Yoga durchgeführt. Sie bieten die Möglichkeit,
im Wechsel von Dehnung und Entspannung Achtsamkeit für den Körper zu entwickeln, was
für viele Patienten einfacher ist als bei ausschließlich statischer Sitzmeditation. Besonders
die Gehmeditation lässt sich gut in den Alltag integrieren. Das Gehen wird hierbei
entschleunigt und die damit verbundenen Empfindungen werden achtsam wahrgenommen.
173
„Routinetätigkeiten“
Als Übungsmöglichkeit wählen die Teilnehmer Routinearbeiten wie Geschirrabwaschen oder
Bügeln, die sie achtsam durchführen. Im Laufe der Zeit sollen die Teilnehmer versuchen,
immer mehr Situationen des Alltags achtsam wahrzunehmen und alltägliche Tätigkeiten
achtsam auszuführen.
„Atemraum“
Während des Alltags sollen die Teilnehmer sich mehrmals am Tag einen dreiminütigen
Atemraum schaffen, um in dieser Zeit ihren Atem achtsam zu verfolgen. Zu Beginn werden
feste Zeiten vereinbart, beispielsweise vor dem Arbeitsbeginn oder vor dem Schlafengehen.
Später sollen die Teilnehmer sich diesen Raum auch während der alltäglichen Aufgaben
schaffen, besonders wenn sie sich angespannt oder niedergeschlagen fühlen. Dabei ist es
nicht das Ziel, dieses Erleben aufzulösen, sondern ohne Bewertung bewusst wahr zu
nehmen.
Ergänzt werden die Achtsamkeitsübungen durch kognitiv verhaltenstherapeutische Elemente
wie Psychoedukation, Informationen über den Umgang mit Kognitionen und der
Veränderung des eigenen Verhaltens. Auch bei diesen Teilen des Programms soll die
Achtsamkeit das Handeln leiten. Dies wird dadurch begünstigt, dass jedes Element mit der
Atemraum-Übung begonnen wird, damit die Teilnehmer wieder Kontakt zum aktuellen Hier
und Jetzt bekommen.
6. Das Münchwieser Gruppenprogramm für Substanzabhängige mit aggressiven
Störungen nach Vogelsang (2006).
Die Autorin schlägt dieses Programm vor für Patienten mit einer Substanzabhängigkeit und
antisozialer und narzisstischer Persönlichkeitsstörung mit mangelnder Impulskontrolle; und
selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung mit sporadischen aggressiven Impulsdurchbrüchen.
Die Gruppe ist halboffen und findet über sechs Wochen einmal wöchentlich mit einer Dauer
von zwei Stunden statt. Maximal 12 Personen können teilnehmen. Wichtig ist, dass das
betreuende Therapeutenteam die Gruppenatmosphäre immer wieder überprüft und
gegebenenfalls korrigiert. Die Autorin weist ausdrücklich darauf hin, dass der Therapeut sich
nicht in Machtkämpfe verwickeln lassen sollte. Die therapeutische Ausrichtung des
Programms ist verhaltenstherapeutisch und berücksichtigt interaktionell-gruppendynamische
Aspekte. Am Ende einer jeden Sitzung bekommen die Teilnehmer Hausaufgaben für die
nächste Sitzung. Weiter findet eine Schlussrunde am Ende einer jeden Sitzung statt, in der
174
die Teilnehmer sich mitteilen können und die Therapeuten fassen die Quintessenz der
Sitzung noch einmal zusammen
Erstes Thema ist: „Die Auslöser meiner Aggressivität“.
Ziel ist es, die individuellen Auslöser aggressiven Verhaltens zu identifizieren und davon
grundlegende Ursachen der Aggressivität abzuleiten.
Eine Annäherung an dieses Thema erreicht die Autorin durch die als Frage formulierte
Hausaufgabe, mit welchen Mitpatienten der Rehabilitand nicht zurecht kommt und in
welchen Situationen der Patient besondere Schwierigkeiten mit ihm hat. In der Gruppe
werden von jedem Teilnehmer die Auslöser gesammelt, um dann unter Anleitung des
Therapeuten die allgemein zugrunde liegende Ursachen aggressiven Verhaltens zu
erarbeiten. Das können beispielsweise Gefühle des Bedrohtseins, der Unterlegenheit, der
Angst oder der Hilflosigkeit sein. Zum Ende der Sitzung werden Möglichkeiten erarbeitet, wie
man diesen Auslösern alternativ begegnen kann.
Zuletzt wird die Frage für die nächste Sitzung als Hausaufgabe mitgegeben.
Thema Nummer zwei ist: „Teile meiner Aggressivität“.
Die kognitiven, emotionalen und verhaltensmäßigen Bestandteile der individuellen Störung
und das Herausarbeiten von zugrunde liegenden Gemeinsamkeiten der jeweiligen
aggressiven Verhaltensweisen der Teilnehmer sind das Ziel dieser Sitzung.
Die dazu gestellte Frage lautet: „Was kann man von außen beobachten und was geht innen
in mir vor, wenn ich wütend bin?“ Das geschilderte Verhalten wird unter Anleitung der beiden
begleitenden Therapeuten unter die Rubriken Gefühle, Gedanken und Verhalten
eingeordnet, indem das geschilderte Verhalten auf einer Tafel unter den jeweiligen Punkten
festgehalten wird. Besonders eingegangen werden sollte auf aktuell bestehendes
aggressives Verhalten. Wesentlicher Punkt ist die Herausarbeitung der Zusammenhänge
dieser drei Rubriken und das Ziel, das mit der Einnahme von Drogen erreicht werden sollte.
Zuletzt gibt es wieder die Hausaufgabe für die nächste Sitzung.
Die Dritte Sitzung gilt dem Thema: „Preis meiner Wut“.
Hier sollen die kurzfristigen positiven Folgen aggressiven Verhaltens den mittel- und
langfristigen negativen Konsequenzen gegenüber gestellt werden und es soll eine kognitive
Repräsentanz der negativen Konsequenzen aggressiven Verhaltens in der Auslösesituation
erarbeitet werden.
Die Frage dazu lautet: „Was habe ich von meiner Wut?“
175
Die Antworten werden unter den Kategorien Positiv und Negativ eingeordnet, so dass
dadurch deutlich wird, dass die positiven Konsequenzen immer kurzfristig sind, die mittelund langfristigen jedoch negativ sind. Die Möglichkeiten, die negativen Konsequenzen in der
aktuellen Situation präsent zu haben, werden individuell herausgearbeitet.
Die vierte Sitzung beschäftigt sich mit der „Teufelsspirale der Aggression“.
Ziel dieser Sitzung ist das Erkennen des Teufelskreises aggressiver Kognitionen, Emotionen
und Verhaltensweisen. Weiter sollen die Aggressionen als unpassendes Mittel der
Problemlösung erkannt und alternative Problemlösestrategien gemeinsam mit den Patienten
erarbeitet werden. Dabei sollen die Teilnehmer sich eine Situation vorstellen, in der ein Mann
unbedingt durch eine Türe gehen muss, die von einem aggressiv knurrenden Hund bewacht
wird. Welches Verhalten würde der Patient zeigen und wie erfolgversprechend wäre dieses.
An diesem Beispiel soll den Teilnehmern klar werden, dass aggressives Verhalten zur
Eskalation führt und damit nicht erfolgversprechend ist. Am ehesten erfolgversprechend
wäre besänftigendes Verhalten. Wie ein Aussteigen aus der individuellen Aggressionsspirale
aussehen kann, wird in der Gruppe erarbeitet, was zu einem individuell zugeschnittenen
Training sozialer Kompetenzen führt.
Dieses Mal wird wieder eine vorbereitende Frage für die nächste Sitzung als Hausaufgabe
mitgegeben.
Die fünfte Sitzung beschäftigt sich mit dem Thema „Mein Selbstbild“
Dieses Mal soll das durch die aggressiven Verhaltensweisen geprägte Selbstbild sowie die
handlungsleitenden Modelle und Ideale herausgearbeitet werden.
Die Hausaufgabe der letzen Sitzung war die Beantwortung der Frage:“Wenn Sie ein Tier
wären, welches Tier würden Sie verkörpern?“ oder „Welchem Filmhelden kommt Ihr
Verhalten am nächsten?“ Die Antworten werden gesammelt und in der Gruppe kritisch
diskutiert. Die Autorin nennt als Beispiel den Teilnehmer, der sich John Wayne als Vorbild
genommen hat und hinter dessen Einsamkeit der Teilnehmer seine Dominanz zu verdecken
sucht.
Die sechste Sitzung beschäftigt sich mit der Frage:“Was kann ich statt dessen tun?“.
Ziele sind das Herausfinden und Erproben individuell geeigneter alternativer Strategien statt
aggressiver Verhaltensweisen. Es geht noch einmal darum, dass die Teilnehmer sich mit
den auslösenden Situationen beschäftigen und sich die erstellte Kosten-Nutzen-Bilanz vor
Augen führen. Praktische Hinweise, zur Vermeidung von Orten, Situationen und Personen,
176
die aggressionsauslösend sind, werden noch einmal besprochen. Das während des
Programms Erreichte wird noch einmal resümiert.
Als erlebnisaktivierende Therapiebausteine schlägt die Autorin Hockey, Tschoukball vor.
Ziel ist die Aktivierung von Gefühlen, die in Situationen entstehen, die aggressives Verhalten
sowohl fördern als auch verbieten. Weiter soll die Fähigkeit zur kritischen Reflexion eigenen
Verhaltens direkt nach einer Aktivität gefördert werden.
So werden nach 10 Minuten Tschoukballspiel unter Anleitung eines Sporttherapeuten die
beobachteten Verhaltensweisen und die begleitenden Emotionen und Kognitionen reflektiert.
So kann herausgearbeitet werden, dass die lange Unterdrückung von Aggressionen zu
einem aggressiven Durchbruch führen kann.
Anschließend werden 10 Minuten Hallenhockey gespielt, bei dem ein höheres Maß an
Aggressivität notwendig ist. Anschließend wird auch hierzu das Verhalten reflektiert, und es
werden Vergleiche zum vorherigen Spiel gezogen.
Die Autorin schlägt auch einen Friedhofsbesuch vor. Er findet aus der Gruppenstunde
heraus statt, ohne dass die Teilnehmer das Ziel des Spaziergangs kennen. Auf dem Weg
zum Friedhof soll das Thema Aggression weiter besprochen werden.
Dann sollen die
Teilnehmer sich ein Gräberfeld aussuchen und dort 15 Minuten lang die Gräber anschauen
und sich gedanklich mit den Menschen, die dort beerdigt sind, beschäftigen. Auf dem
Rückweg von dem Friedhof zur Klinik soll über das Verschwinden der Aggressionen
gesprochen werden. Den Teilnehmern soll durch den Friedhofsbesuch deutlich werden, dass
ein Settingwechsel die Aggressionsspirale unterbrechen kann. Außerdem zeigt der Tod als
existentielles Thema die Vergänglichkeit des Daseins und stellt die Verhaltensweisen des
Patienten in einen anderen Sinnzusammenhang, der das Aufregen über Nichtigkeiten in
Frage stellt.
177
7. Rückfallprophylaxe
Das Rückfallprophylaxeprogramm der Fachklinik Liblar orientiert sich weitgehend an dem
Rückfallpräventionstraining S.T.A.R nach Körkel und Schindler (2003). Unsere Adaptation
besteht aus acht Sitzungen. Die einzelnen Themenblöcke werden einmal wöchentlich in
einer 90 Minuten dauernden Einheit bearbeitet. Das Programm findet als Block statt, die
Teilnehmer bilden eine feste Gruppe. Die Gruppengröße ist auf 10 Teilnehmer beschränkt.
1. Sitzung „Hinführung zum Thema Rückfälligkeit“
In der ersten Veranstaltung geht es inhaltlich um die Bedeutung der Rückfallprophylaxe, die
Erwartungen und Sorgen der Teilnehmer bezüglich dieses Themas. Es wird nach
Erfahrungen mit ähnlichen Programmen, aber auch mit bestehenden Rückfällen der
Teilnehmer vor der Behandlung gefragt, so entsteht zunächst ein Erfahrungsaustausch.
Da natürlich über das Programm auch nach der Einheit ein Austausch zwischen den
Patienten stattfindet, wissen die meisten schon, was auf sie zukommt. Trotzdem gibt es
immer wieder Teilnehmer, die zunächst fest davon überzeugt sind, dass sie dieses Training
nicht brauchen, da sie nicht rückfällig werden. Dies sind meist junge Patienten und / oder
Patienten, die zum ersten Mal eine stationäre Langzeitbehandlung machen und in der ersten
Euphorie über eine längere Abstinenzzeit zur Selbstüberschätzung neigen. Häufig verbirgt
sich aus unserer Erfahrung dahinter die Angst vor einem Rückfall und die Angst, wieder die
komplette Kontrolle über das eigene Verhalten zu verlieren. Solche Informationen werden
von der Therapeutin an die Bezugs- und Einzeltherapeutin weitergegeben, damit auch in
diesen Bereichen eine Auseinandersetzung mit den Ängsten möglich ist.
2. Sitzung „Pro und Contra Abstinenz“
Die Einnahme von Drogen wird häufig während einer Behandlung, zumindest gegenüber den
Therapeuten, nahezu verteufelt. Ist es bis hierhin in der Behandlung noch nicht gelungen,
darüber offener ins Gespräch zu kommen, soll das nun an dieser Stelle möglich werden. Es
geht darum, sich noch einmal genau anzuschauen, was es für Vorteile hat, abstinent zu
leben, aber auch, was es für Nachteile hat. Meist entsteht ein Vierfelderschema Pro und
Contra Abstinenz (S.197), in dem es um die Vor- und Nachteile der Abstinenz und des
Drogenkonsums geht, denn dass der nicht nur Nachteile hatte, ist ein wesentlicher Grund für
die Abhängigkeitsentwicklung. Oft sind Patienten erstaunt, dass es meist genauso viele Vorwie Nachteile auf beiden Ebenen gibt. Hier wird den Betroffenen meist selbst klar, wie
wichtig für sie auch das den Konsum Umgebende ist, die „Kollegen“, die Delinquenz, das
Ritual, das mit dem Konsum verbunden war, das Gefühl anders zu sein, nicht spießig. Und
es zeigt sich, dass die Entscheidung des Abstinent-Werdens erstmal eine kognitive
178
Entscheidung ist, weil eine Bewertung der Vor- und Nachteile zeigt, dass die Nachteile des
Konsums überwiegen. Das Erarbeitete wird im Anschluss diskutiert und jeder Teilnehmer
kann sich seine eigenen Gründe für seine Abstinenzentscheidung noch einmal vor Augen
halten, bzw. schriftlich festhalten, wenn er das möchte.
3. und 4. Sitzung „ Risikosituationen“
Zunächst wird den Patienten das kognitive Modell des Rückfalls ausführlich nahegebracht.
Erklärt werden internale und externale Risikosituationen. Jeder Teilnehmer muss an dieser
Stelle für sich selbst erste Überlegungen anstellen, welche Auslöser es für ihn gibt. Der
nächste Schritt ist die Erklärung suchtspezifischer Grundannahmen, was sich manchmal als
schwierig erweist, da sie zunächst nicht einfach zugänglich sind. Für viele Patienten ist es
schwierig, sie von den automatischen Gedanken zu unterscheiden. Dass das bisher Gesagte
Verlangen auslösen kann, wird für manchen Teilnehmer in der Sitzung spürbar, indem sie
Suchtdruck erleben. Die 3. und 4. Sitzung sind unserer Erfahrung häufig vom Erleben des
Suchtdruckes begleitet. Für die Erklärung der Zusammenhänge des kognitiven Modells wird
viel Zeit eingeplant, da die Inhalte für die meisten Patienten sehr fremd sind. Es ist neu für
sie, sich mit ihren innerlichen Prozessen so detailiert auseinander zu setzen. Für manche
Patienten ist dieses Modell allerdings auch zu kompliziert. Wichtig ist dann aus unserer
Sicht, dass die Patienten Auslöser verstehen lernen, wie den verbogenen Kaffeelöffel für
Heroinabhängige.
In der vierten Sitzung geht es dann um die Suche nach möglichst vielen Risikosituationen
des Einzelnen und dem Finden der dahinter stehenden Grundannahmen. Begeistert sind
viele Teilnehmer, wenn sie bemerken, dass die suchtspezifischen Grundannahmen sich in
verschiedenen Risikosituationen wiederholen. Sie erkennen darin eigene Muster und
bekommen das Gefühl, dass sie ihre Sucht, die sie häufig als übermächtig erleben,
verstehen und ihr etwas entgegensetzen können. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit wird hier
gestärkt, wenn auch erstmal nur vorübergehend.
5. Sitzung „Umgang mit Anerkennung und Kritik“
Hier geht es darum, das angemessene Ausdrücken und die Annahme von Kritik und
Anerkennung zu üben. Für viele Patienten war beides unter der Wirkung von Drogen kein
Problem, oftmals hat dieser Punkt zur Abhängigkeitsentwicklung geführt, so dass sie große
Schwierigkeiten haben, hier angemessen zu agieren. Dies wird in Anlehnung an das S.T.A.R
Programm von Körkel und Schindler (2003) nicht theoretisch besprochen, sondern aktiv
geübt. Jeder Teilnehmer muss einem Mitpatienten gegenüber Kritik und Anerkennung
äußern und anschließend entgegennehmen. Dabei zeigt sich, was von beidem ihm besser
179
gelingt. Für viele ist es leichter, Kritik anzunehmen und Anerkennung zu äußern.
Anerkennung versuchen viele abzuwehren oder attribuieren auf den Zufall. Durch diese
Übung wird auch das Selbstbewusstsein des Patienten thematisiert, z.B. dass es ein gutes
Gefühl hervorruft, wenn Anerkennung offen angenommen werden kann. Ein weiterer Punkt
ist die Art, wie beides geäußert wird. Hier bekommen die Patienten im Vorfeld Tipps, wie sie
beides angemessen platzieren können, z.B. indem sie konkrete Dinge ansprechen, mit dem
anderen in Blickkontakt treten und respektvoll ihr eigenes Erleben schildern, ohne Vorwürfe
an das Gegenüber zu richten.
6. Sitzung „ Umgang mit unangenehmen Gefühlen“
Fragt man einen Patienten, wie er sich fühlt, sagt er meist „schlecht“. Fragt man weiter nach,
was er genau damit meint, kann der Patient dies nicht konkret benennen. In dieser Einheit
geht es darum, diesbezüglich mehr Klarheit zu erlangen. Dazu werden zunächst die
negativen Gefühle in der Gruppe gesammelt. Als nächstes geht es an die Beschreibung des
Erlebens, das die einzelnen negativen Gefühle auslösen. Diese Beschreibung kann durch
die Gruppenteilnehmer geschehen, braucht aber auch immer wieder die Unterstützung und
Ergänzung der Therapeutin. Auf der letzen Ebene geht es darum, die physischen
Veränderungen zu beschreiben, die ein Gefühl auslösen kann. Körkel und Schindler (2003)
lassen ihre Teilnehmer die Gefühle in Form und Farbe darstellen. Dies machen wir in
unseren Einheiten seltener, da dies häufig im Rahmen der Kreativen Gestalttherapie in den
Bezugsgruppen gemacht wird. Des Weiteren findet regelmäßig eine Indikationsgruppe zum
Thema Emotionen statt, so dass dieses Thema im Rahmen der Rückfallprophylaxe etwas
kürzer eingeplant ist. Wichtiger ist aus unserer Sicht, an dieser Stelle noch einmal intensiv
auf die Zusammenhänge zwischen Emotionen, insbesondere den negativen, und dem
Drogenkonsum sowie möglichen Rückfallrisiken einzugehen. Das ist besonders unter dem
Aspekt wichtig, dass das emotionale Erleben in dem kognitiven Erklärungsmodell des
Rückfalls nicht ausführlich besprochen wird, sondern ausschließlich als internale
Auslösesituationen auftaucht.
7. Sitzung „ Umgang mit Suchtdruck“
Die erlebten negativen Emotionen benennen zu können, ist ein wichtiger Schritt in der
Suchtbehandlung, schützt aber alleine noch nicht vor dem Verlangen, Drogen zu
konsumieren. Diese Einheit ist die, in der viele Patienten wieder starken Suchtdruck
bekommen, weil in Rollenspielen bestimmte Risikosituationen nachgespielt werden. Das
Treffen
das
ehemaligen
Dealers
oder
Kunden
wird
nachgestellt
und
mögliche
Verhaltensweisen werden gemeinsam mit der Gruppe erarbeitet und durchgespielt. Dann
180
kann und soll der Betroffene selbst entscheiden, was für ihn die beste Strategie ist, z.B. sich
verbal ganz klar abzugrenzen und ein Drogenangebot abzulehnen oder doch besser die
Straßenseite zu wechseln und damit die Situation zu verlassen. Streit mit dem Partner oder
den Kindern, dem Vorgesetzen oder Kollegen werden im Rollenspiel gestellt. Wichtig ist es
in dieser Sitzung, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren, sowie eine
kognitive Neubewertung vorzunehmen. Z.B. können das Verlassen einer Situation oder das
Meiden bestimmter Orte und Lokale nicht als Zeichen von Schwäche gesehen werden,
sondern sollen als eine klare Abstinenzentscheidung bewertet werden, auf die der
Betreffende stolz sein kann. Wichtig ist hierbei, dass der Patient lernt, seinen Suchtdruck
realistisch einzuschätzen. Wir arbeiten mit einer 10er Skala, auf der der Patient seinen
Suchtdruck bewerten soll, wenn er ihn erlebt. Dies geschieht nicht nur während der
Rückfallprophylaxe, sondern immer dann, wenn das Verlangen, Drogen zu konsumieren,
groß
wird.
Dadurch
entsteht
eine
Selbstverständlichkeit
darin,
dem
eigenen
Konsumverlangen einen Wert zu geben, und entsprechend auch Veränderungen im Erleben
besser einschätzen zu können und zu erkennen, durch welche Strategien der Suchtdruck
nach unten reguliert werden kann.
8. Sitzung „Ausgewogener Lebensstil“
Für viele Abhängige ist es schwierig, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Belastung und
Entspannung zu finden. Die meisten berichten, in Zeiten der Abstinenz viel gearbeitet zu
haben, aber irgendwann sei das zu eintönig gewesen, etwas habe gefehlt. An den
Wochenenden, in denen nur ein sehr eingeschränktes Therapieprogramm stattfindet, werden
begleitete Freizeitaktivitäten angeboten, an denen sich aber oft nur wenige Patienten
beteiligen, wenn nicht ausreichend Werbung dafür gemacht wird. Zum Wochenbeginn klagen
dann viele Patienten, es sei am Wochenende langweilig gewesen. Für die Patienten ist es
schwierig, ihre freie Zeit aktiv zu gestalten oder überhaupt so zu gestalten, dass diese ein
gutes Gegengewicht zur wöchentlichen Anspannung bietet. In dieser Einheit werden
zusammen mit der Gruppe Ideen entwickelt, wie eine „machbare“ Freizeitgestaltung
aussehen könnte. Das Wort „machbar“ benutze ich deshalb, weil die Patienten oft
kostspielige Vorstellungen haben, die sich dauerhaft mit einem normalen Einkommen oder
gar Hartz IV nicht umsetzen lassen. Um hier Frustrationen vorzubeugen, versuchen wir
schon im Vorfeld realistische Pläne zu entwickeln. Auch innerhalb der Freizeit kommt der
Ausgewogenheit zwischen Aktivität und Spannung einerseits und Entspannung andererseits
Bedeutung zu. Zeiten, in denen man sich mit anderen austauscht, sind ebenso einzuplanen
wie Zeiten, die man für sich allein hat. Ziel ist es, das jeder Patient für sich rausfindet,
welche „Mischung“ für ihn die richtige ist. Eine richtige Patentlösung gibt es nicht. Wichtig ist
181
die Erkenntnis bei den Teilnehmern, dass auch die Freizeitgestaltung nicht dauerhaft die
gleiche sein kann, sondern dass sie dem jeweiligen erlebten Belastungsgrad angeglichen
werden muss. Hierzu wird, wieder in Anlehnung an Körkel und Schindler (2003), ein
Waagemodell genutzt, bei dem die eine Seite der Waage mit den wechselnden Belastungen
belegt wird und der Patient dann überlegen kann, was bei der gegebenen Belastung auf der
anderen Seite der Waage ein Gegengewicht in der Freizeit bilden könnte.
8. Selbstsicherheitstraining
Bei der Vorstellung des theoretischen Hintergrundes der Borderline Störung wurde immer
wieder deutlich, dass diese Patienten häufig ein negatives Selbstbild haben, nur über eine
niedrige Selbstwirksamkeit verfügen und ihre eigenen Erfolge nicht wirklich akzeptieren
können. Aus diesem Grund stelle ich nun in kurzen Zügen das Trainingsmanual
zum
Gruppentraining sozialer Kompetenzen (Hinsch und Pfingsten 1998) vor.
Das Trainingsprogramm besteht aus sieben Sitzungen mit je ca. 180 Minuten Dauer, die mit
acht Teilnehmern und zwei Trainern durchgeführt werden.
Vor der ersten Trainingseinheit findet eine Einführungsveranstaltung statt. Den potentiellen
Teilnehmern werden die Ziele, Konzepte und der Ablauf des Programms nahe gebracht. Am
Ende der Veranstaltung kann jeder Teilnehmer noch einmal überprüfen, ob er tatsächlich an
dem Programm teilnehmen möchte. Das Training bietet folgende Hilfen dabei an: zu lernen,
eigene Forderungen und Interessen durchzusetzen; in Beziehungen zum Partner oder
Freunden eigene Wünsche und Bedürfnisse angemessen zu vertreten; die Sympathie
anderer Menschen zu gewinnen (ebenda). Dabei gehen die Autoren davon aus, dass
selbstsicheres Verhalten ebenso erlernbar ist wie Fahrradfahren oder Schwimmen. Das
Training dient hier als Übungsfeld und soll nicht als ein Selbsterfahrungskurs verstanden
werden. Erster theoretischer Inhalt ist die umgekehrte Verhaltenspyramide. Sie zeigt, dass
selbstsicheres Verhalten im Laufe der Zeit in selbstsichere Verhaltensgewohnheiten
übergeht. Diese wiederum tragen im Laufe der Zeit zur Bildung einer selbstsicheren
Persönlichkeit bei. Die Teilnehmer werden darüber informiert, dass mit Rollenspielen
gearbeitet wird, die mit einer Videokamera aufgenommen und anschließend mit den
Teilnehmern besprochen werden.
Inhalt der ersten Sitzung ist das Erklärungsmodell für sicheres / unsicheres Verhalten. Zu
Beginn jeder Sitzung empfehlen die Autoren die Bekanntgabe der Tagesordnung. Als
Warming-up findet eine Übung zum besseren Kennenlernen statt, bei der sich zunächst zwei
Teilnehmer zusammensetzen und sich gegenseitig vorstellen. Nach ca. fünf Minuten setzen
sich jeweils zwei Gruppen zusammen und jeder stellt den Teilnehmer vor, mit dem er den
182
ersten Teil der Übung gemacht hat. Je nach Gruppe kann die schwierigere Variante gewählt
werden, bei der ein Teilnehmer seinen Übungspartner im Plenum vorstellt. Die Trainer
sollten ihre Funktion glaubhaft ausüben, ohne als perfekt sozialkompetent und damit
unglaubwürdig zu gelten.
Als nächstes wird das Erklärungsmodell eingeführt. Anhand eines konkreten Beispiels wird
der Zusammenhang zwischen Situation, Selbstverbalisation, Emotion und Verhalten
erläutert. Dabei wird zunächst erarbeitet, was bei negativer Selbstverbalisation geschieht,
anschließend, wie die gleiche Situation bei positiver Selbstverbalisation ablaufen kann.
Wichtig ist, dass es für alle Teilnehmer nachvollziehbar ist, dass durch ihr Verhalten die
negative Selbstverbalisation verstärkt werden kann und die Person sich dadurch in eine
Negativspirale bringen kann. Jeder Teilnehmer überlegt als nächstes, welche Situationen für
ihn mit negativer Selbstverbalisation verbunden sind und schreibt dies auf ein Arbeitspapier.
Nachdem er das negative Muster aufgeschrieben hat, soll der Teilnehmer anschließend,
eine positive Alternative entwickeln. Zuletzt findet eine 40 Minuten dauernde Entspannung
nach der PMR statt. Es handelt sich dabei um eine Bewältigungsstrategie, die den Umgang
mit schwierigen Situationen erleichtern kann, was sich aber erst nach mehrmaligem Üben
zeigen wird. Damit die Teilnehmer auch zu Hause üben können, wird jedem die
Entspannungsübung auf einem Tonträger mit gegeben, so dass er diese Übung fortsetzen
kann.
Zusätzlich
erhält
jeder
Teilnehmer
ein
Arbeitsblatt
mit
verschiedenen
Rollenspielsituationen, die in eine Rangfolge zu bringen sind, beginnend mit der für den
Betreffenden schwierigsten Situation. Das Arbeitsblatt soll beim nächsten Mal ausgefüllt
mitgebracht werden und entsprechend dem Erklärungsmodell bearbeitet werden. Die
Kassette soll von den Teilnehmern einmal täglich gehört werden. Am Ende einer jeden
Sitzung werden „Stundenbögen“ ausgeteilt, die als Feedback für die Trainer dienen.
Die zweite Sitzung beginnt wieder mit der Bekanntgabe des Tagesablaufes. Als nächstes
widmet sich die Gruppe den erledigten Hausaufgaben der ersten Sitzung. Dabei sollten sich
die Trainer auch nach den Erfahrungen mit der Entspannungsübung erkundigten. Aufgabe
der Trainer ist es dann, die Teilnehmer weiter zu motivieren und von der Notwendigkeit des
fortgesetzten Übens zu überzeugen. Ein Diskriminationstraining schließt sich an, bei dem die
Teilnehmer üben zwischen selbstsicherem, aggressivem und unsicherem Verhalten zu
unterscheiden. Die Teilnehmer erhalten dazu einen Fragebogen, der Verhaltensbeispiele
zeigt, die jeder für sich alleine bewerten soll, gemeinsam mit den Trainern wird dann
herausgearbeitet, was an einem beschriebenen Verhalten selbstsicher, selbstunsicher oder
aggressiv ist. Falls Unsicherheiten über die Zuordnung eines Verhaltens auftreten, ist es die
Aufgabe des Trainers, nach den Verhaltenskonsequenzen zu fragen. Dies geschieht indem
183
er nach den Gefühlen des anderen fragt. Hierdurch wird es für die Teilnehmer meist leichter,
so die Autoren, die dargestellten Verhaltensweisen richtig zuzuordnen. Hierauf folgt ein
Modellrollenspiel durch die Trainer, das den Teilnehmern das Prozedere des Rollenspiels
und des anschließenden Video-Feedbacks nahebringen soll. Vorteil des Modellrollenspiels
ist, dass die Trainer dadurch für die Teilnehmer zum Modell werden, an dem sie bereits
lernen können. Vorher wird ein Arbeitsblatt mit den Kriterien selbstsicheren Verhaltens
besprochen, so dass die Teilnehmer das Verhalten der Trainer richtig deuten können.
Anschließend führen die Teilnehmer selbst Rollenspiele mit Video-Feedback durch. Die
Autoren weisen an dieser Stelle auf die Notwendigkeit hin, dass Vermeidungsstrategien
einzelner Teilnehmer unterbunden werden sollten, wobei das idealerweise durch die Gruppe
selbst geschieht. Ein Entspannungstraining von 18 Minuten bildet den Abschluss vor der
Verteilung der Hausaufgaben. Diese bestehen neben dem weiteren täglichen Üben der
Entspannungstechnik darin, eine Situation, die die Teilnehmer sich selbst aus einer Reihe
auf einem Arbeitsblatt vorgegebener Situationen aussuchen, im Alltag umsetzen. Das
Ausfüllen der Stundenbögen bildet den Abschluss der zweiten Sitzung.
Die dritte Sitzung beginnt wieder mit der Bekanntgabe der Tagesordnung und der Frage
nach den Hausaufgaben, besonders nach den Erfahrungen des in vivo Trainings. Auch das
Vorankommen mit der Entspannungstechnik wird abgefragt.
Kernthema dieser Sitzung ist das Bewusstmachen der Selbstverbalisationen. Die Autoren
erarbeiten diese Bewusstwerdung in zwei Schritten. Zunächst wird den Teilnehmern ein
Videoband vorgeführt, bei dem eine selbstunsichere Person zunächst Vermeidungs- und
dann Bewältigungsstrategien zeigt. An fünf markanten Punkten wird der Film angehalten und
die Teilnehmer müssen auf einem Blatt Papier die Gedanken aufschreiben, die ihrer
Meinung nach der Person dazu durch den Kopf gehen. Anschließend wird die Gruppe geteilt
und die Trainer sprechen mit den Teilnehmern die Notizen durch und diskutieren die
Unterschiede. Ziel ist es, gemeinsam mit den Teilnehmern die Selbstverbalisationen in
günstig/ungünstig, konstruktiv/destruktiv zu kategorisieren. Die unterschiedlichen Arten, mit
Vermeidungsverhalten umzugehen, sollten ebenfalls gemeinsam mit den Teilnehmern
herausgearbeitet werden. Als konstruktive Problemlösungen sollten internal variable
Attributionen entwickelt werden, so dass das konkrete Verhalten in den Focus rückt und nicht
eine Abwertung der gesamten Person stattfindet.
Als zweiten Schritt müssen die Teilnehmer nun üben, sich selbst zu loben. Dies wird in einer
Partnerübung geübt, bei der jeder Teilnehmer seinem Partner wenigstens zwei positive
Dinge über sich sagen muss. Auf ein Zeichen des Trainers setzen sich dann jeweils zwei
Paare zusammen und berichten den anderen, was ihr Partner ihnen über sich gesagt hat. In
184
einem anschließenden Plenum sollen noch einmal die Schwierigkeiten genannt werden mit
Lob umzugehen, bzw. sich selbst Anerkennung auszusprechen.
Im Anschluss finden Rollenspiele statt, die mit der Videokamera aufgezeichnet werden.
Dabei muss, wie auch bei den anderen Rollenspielen, jeder Teilnehmer einmal eine Szene
spielen. Daran schließt sich das Entspannungstraining von nur noch 9 Minuten an. Vor den
Stundenbögen werden die Hausaufgaben benannt, eine erneute in vivo Übung aus dem
Arbeitsblatt mit den Szenen zum Thema „Recht durchsetzen“.
In der vierten Sitzung beschäftigen die Teilnehmer sich mit dem Situationstyp
„Selbstsicheres Verhalten in Beziehungen“. Hier gilt es zu üben, Emotionen angemessen zu
äußern und Abstand von der Vorstellung zu entwickeln, dass man ein Recht auf die Erfüllung
der Wünsche durch den Partner hat. Denn genau das führt in vielen Beziehungen zum Streit.
Die Teilnehmer erhalten ein Arbeitsblatt, auf dem zahlreiche Situationen in Beziehungen
vorgestellt werden. Als erstes lesen die Teilnehmer das Blatt durch. Gemeinsam wird dann
anhand der Instruktionen für selbstsicheres Verhalten herausgearbeitet, welche Kriterien für
die neue Situation wichtig sind. Wesentlich sind das Äußern der eigenen Gefühle und das
Verstehen des Partners. Im Anschluss daran erhalten die Teilnehmer ein Arbeitsblatt zum
Thema: „Gefühle erkennen und benennen“. Es sind wieder Situationen beschrieben und die
Teilnehmer sollen die dazu gehörenden Emotionen zunächst für sich selbst aufschreiben
und die Ergebnisse in Kleingruppen besprechen. Auch zu dieser Sitzung gehören wieder das
Entspannungstraining
und
die
Hausaufgaben,
die
Umformulierungen
des
letzten
Arbeitsblattes und die Bearbeitung eines Arbeitsblattes, wobei es um die Benennung der
Gefühle geht, da der Teilnehmer jeden Abend eine Situation des Tages aufschreiben und die
dabei erlebten Gefühle benennen soll.
Die Aufzeichnungen werden zu Beginn der fünften Sitzung ausführlich besprochen. Den
Teilnehmern werden mit einem neuen Arbeitspapier Instruktionen für ein selbstsicheres
Verhalten in Beziehungen ausgeteilt und im Plenum besprochen. Im Anschluss daran führen
die Trainer ein Modellrollenspiel durch, das von den Teilnehmern anhand der neuen
Instruktionen bewertet wird. Dann müssen sie selbst ins Rollenspiel einsteigen, das in
Kleingruppen durchgeführt und mit dem begleitenden Trainer besprochen wird. Ab dieser
Sitzung findet kein Entspannungstraining mehr in der Gruppe statt, das weitere Üben bleibt
aber weiterhin Hausaufgabe. Auch die Hausaufgaben entfallen in dieser Sitzung.
In der sechsten Sitzung wird der Situationstyp „Sympathie gewinnen“ eingeführt. Die Autoren
stellen fest, dass diese Situationen für die Teilnehmer die komplexesten sind, da hier am
185
intensivsten auf die Haltung des Gegenübers eingegangen werden muss. Sein Verhalten
muss aufgenommen und richtig interpretiert werden und die situationsbezogenen
Bedingungen müssen ebenfalls mit einbezogen werden. Um angemessen zu reagieren,
müssen die Teilnehmer auch die in den vorherigen Situationen erworbenen Fähigkeiten in
ihre Bewältigungsstrategie einbringen.
Der Teilnehmer wird über vier Schritte an dieses Thema herangeführt. Zunächst bekommt er
ein Arbeitspapier mit Rollenspielsituationen zu diesem Situationstyp. Im Plenum wird
diskutiert, was bei diesen Situationen anders ist als bei den anderen und welche Techniken
besonders wichtig sind. Verstärken können sollte hier als zentrale Technik herausgearbeitet
werden. Dazu werden im nächsten Schritt verschiedene Verstärkungsmöglichkeiten
erarbeitet. Die Beiträge sollen an einer Tafel festgehalten werden. Im dritten Schritt erhalten
die Teilnehmer das Arbeitspapier mit den Instruktionen für selbstsicheres Verhalten in
Situationen,
in
denen
sie
Sympathie
erwerben
möchten.
Es
wird
im
Plenum
durchgesprochen. Nachdem im vierten Schritt die Trainer ein Modellrollenspiel gezeigt
haben, sind die Teilnehmer mit ihrem Rollenspiel an der Reihe. Hausaufgabe in dieser
Sitzung ist es, eine der aufgeführten Situationen zu verwirklichen.
Die unterschiedlichen Machtverhältnisse der drei Situationen (Recht haben, Beziehung,
Sympathie) werden mit den Teilnehmern erläutert. Geht es darum, sein Recht
durchzusetzen, hat das eigene Ich die größte Macht, während in Beziehungssituationen die
Macht von Ich und Du gleich sind. Anders ist es, wenn jemand Sympathie erwerben möchte,
da erhält der andere die größere Macht und die Person selbst einen niedrigeren Machtanteil.
Wichtig ist, bei den Teilnehmern der Bewusstwerdungsprozess, dass sie die Zuordnung
einer Situation selbst vornehmen, prinzipiell ist jede Zuordnung möglich. Welche
Entscheidung ein Mensch hier trifft, hängt von den persönlichen Mustern des Menschen ab.
Dabei wird der Mensch dann häufig nicht der Vielfalt der gegebenen Situationen gerecht,
sondern entscheidet immer nach dem gleichen Schema, was zu Konflikten und
Unzufriedenheit führen kann. Für die Autoren ist ein wesentliches Ziel des Trainings erreicht,
wenn die Teilnehmer diese Zusammenhänge für sich erkennen können und differenzierter
werden in der Bewertung von Alltagssituationen. Diese Unterscheidung der drei
Situationstypen wird in der letzten Sitzung noch einmal geübt. Zuletzt wird jeder Teilnehmer
gebeten, eine für ihn problematische Situation auf eine Karteikarte zu schreiben. Diese
Situationen sollen in Kleingruppen diskutiert werden, so dass anschließend klar ist, welchem
Typ die Situation zugeordnet werden soll, welche kurz- und langfristigen Ziele in der
Situation verfolgt werden und welche kurz- und langfristigen Konsequenzen sich daraus
ergeben. Jede Situation sollte nach der Analyse in einem Rollenspiel dargestellt werden. Die
186
erarbeiteten notwendigen Verhaltensweisen für eine optimale Zielerreichung werden
anschließend von dem Teilnehmer auf der Karteikarte notiert.
Für die Katamneseerhebung erhält jeder Teilnehmer am Ende der letzen Sitzung einen
Fragebogen mit einem frankierten Rückumschlag.
187
Einverständniserklärung
Name:………………………………………………………
Datum:………………………..
Gegenüber Drogenberatungsstellen, Krankenkassen und anderen für mich zuständigen Stellen
entbinde ich die Mitarbeiter der Fachklinik Liblar von der Schweigepflicht bzgl. des
Therapieverlaufs.
Gegenüber meinen Angehörigen entbinde ich die Mitarbeiter der Fachklinik Liblar von der
Schweigepflicht für den Fall eines stationären Krankenhausaufenthaltes.
Ich erteile den Mitarbeitern der Fachklinik Liblar Postvollmacht und erkläre mich damit
einverstanden, daß die Verwaltung an mich adressierte Post in Empfang nimmt.
Mir ist bekannt, dass die Fachklinik Liblar gegenüber Justizbehörden auf Antrag zur Auskunft
über Mitarbeit in der Therapie, Zukunftsprognose und die Art des Abschlusses meiner
Behandlung verpflichtet ist. Informationen über Inhalte des Therapieverlaufs werden den
Behörden nicht übermittelt.
Ich bin damit einverstanden, dass meine derzeitige und später meine künftige Adresse
Behörden und anderen Einrichtungen mitgeteilt wird.
____________________________
(Datum, Unterschrift)
Ich bin damit einverstanden, dass nach der Aufnahmephase ein Foto von mir gemacht wird,
das gegebenenfalls einer schriftlichen Rückinformation an Ihren Drogenberater oder die
Entgiftung beigelegt oder auf einem entsprechenden Schreiben aufgedruckt wird.
____________________________
(Datum, Unterschrift)
Ich bin davon in Kenntnis gesetzt worden, dass ich bei einem Abbruch der Behandlung die
volle Verantwortung für die möglichen Folgen selbst trage und die Fachklinik Liblar jede
Haftung ausschließt. Dies gilt insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden,
Rückzahlungsforderungen durch den Kostenträger, mögliche Rentenkürzungen oder
justizielle Folgen.
Ich weiß, dass die Klinik ihrer Meldepflicht gegenüber der Staatsanwaltschaft nachkommen
wird, falls dies für meine Person erforderlich ist.
____________________________
(Datum, Unterschrift)
188
Einverständniserklärung
Seite 2
Hiermit erkläre ich mich damit einverstanden, dass die Fachklinik Liblar im Falle einer
disziplinarischen Entlassung oder eines Abbruches meinerseits keine Haftung für den
unsachgemäßen Verbleib meines mitgebrachten persönlichen Eigentums übernimmt.
Grundsätzlich bin ich dazu verpflichtet, meinen persönlichen Besitz beim Verlassen der
Klinik mitzunehmen. Falls ich möchte, dass meine Sachen auch nach meinem Weggang aus
der Klinik aufbewahrt werden, so bin ich dazu verpflichtet, sie vor dem Verlassen der Klinik
zusammenzuräumen und in dem dafür vorgesehenen Raum deutlich lesbar mit meinem
Namen versehen zu deponieren.
Die Klinik wird dann diese Sachen zwei Monate dort aufbewahren. Sollten diese Privatsachen
innerhalb von zwei Monaten nicht abgeholt sein, so werden sie an Bedürftige weitergegeben.
Dies gilt ebenso für das abgegebene Pfand-Geld. Sollte das Pfand nach zwei Monaten nicht
abgeholt sein, wird es dem Soli-Fond der Patienten zur Verfügung gestellt.
Es ist der Klinik nicht möglich, Privatsachen an ehemalige Patienten zurückzuschicken!
____________________________
(Datum, Unterschrift)
Ich bin damit einverstanden, mich im Falle eines Therapieabbruchs zunächst noch 24 Stunden
im Gebäude der Fachklinik Liblar aufzuhalten. Auch in dieser Zeit bin ich verpflichtet, mich
an alle im Haus geltenden Regeln zu halten!
Diese Zeitspanne von 24 Stunden kann zum Überdenken der negativen Konsequenzen eines
Abbruchs genutzt werden.
Die Zeitspanne ermöglicht der Verwaltung, alle notwendigen Formalitäten vorzubereiten. Erst
nach Ablauf der 24 Stunden kann ich meine hier hinterlegten Wertsachen und Papiere sowie
meine Koffer und Taschen ausgehändigt bekommen.
____________________________
(Datum, Unterschrift)
189
Verpflichtungserklärung
•
Ich verpflichte mich während der gesamten Behandlung zur Abstinenz.
•
Ich verpflichte mich zur aktiven Mitarbeit während der Rehabilitationsmaßnahme.
•
Ich verpflichte mich, die im Haus geltenden Regeln zu achten.
•
Ich verpflichte mich, Rückmeldungen von Mitarbeitern und Mitrehabilitanden
anzuhören und mich damit auseinander zu setzen.
•
Ich verpflichte mich, das Eigentum der Klinik respektvoll zu behandeln.
•
Ich verpflichte mich, eigene Abstinenzverletzungen oder die meiner Mitrehabilitanden
unverzüglich einem Mitarbeiter mitzuteilen.
•
Ich verpflichte mich zur Verantwortung für die Abstinenz und das Verhalten meiner
Besucher.
•
Die Mitarbeiter der Fachklinik Liblar verpflichten sich im Gegenzug zu einer offenen
Zusammenarbeit nach bestem Wissen und Gewissen.
_________________________
_____________________
Datum und Unterschrift des Rehabilitanden
Unterschrift des Therapeuten
190
Rehabilitand:
FK Liblar 10-3-26 - 2
Therapiestandards
Der Prozess der Abstinenzentwicklung:
Rekonvaleszenzphase: Dauer: min. 2,5 Jahre (30 Monate), dazu gehören die Rehabilitationsphase
I und II
(Therapie und
Adaption)
Stabilisierungsphase:
5 - 6 Jahre
Gefährdungsphase:
lebenslänglich
In der Regel beinhaltet die Rekonvaleszenzphase 6 + 3 Monate (Therapie + Adaption) in unserer
Einrichtung.
Bitte erledigen Sie während dieser Zeit die folgenden Aufgaben und lassen Sie diese
abzeichnen:
1. Klärung allgemeiner behördlicher und
Datum
Bemerkungen/
organisatorischer Angelegenheiten
Unterschrift
•
Beantragung/Prüfung ALG II/Sozialhilfe & Klärung
der Krankenversicherung
•
Bewerbungsmappe erstellen
•
Schuldenregulation erörtern
2. Erarbeitung lebensgeschichtlicher bedeutsamer
Faktoren für die Abhängigkeitserkrankung
•
eigenverantwortliche Vereinbarung und
Wahrnehmung von Einzelgesprächen (alle 2-3
Wochen)
•
Vorstellung der Lebensgeschichte in der
Bezugsgruppe
•
•
Datum
Bemerkungen/
Unterschrift
Datum
Bemerkungen/
Unterschrift
Vorstellung der Suchtgeschichte in der
Bezugsgruppe
•
Auseinandersetzung mit der Funktionalität des
Drogenkonsums
•
Thematisierung des Prozesses der
Abstinenzentwicklung (zeitliche Perspektive)
•
Erstellung des Delinquenzverlaufs und Vorstellung
in der Bezugsgruppe
3. Auseinandersetzung mit der eigenen
Beziehungsgestaltung und den eigenen
Beziehungsmustern
191
•
Darstellung des bisherigen sozialen Netzes
•
Darstellung der Beziehungen und Freundschaften
aktuell in der Gruppe
•
Übernahme von Verantwortung: Aufgaben, Jobs
etc. für Gruppe und Hausgemeinschaft
•
Angehörigen- / Bezugspersonengespräch mit
Therapeut
Training der Kontaktaufnahme zu drogenfreien
Kreisen/Menschen
•
•
Emotionale Belastungserprobung (z. B. Heimfahrt)
•
Problematisierung des alten Umfeldes (z.B.
Auflösung / Trennung von alter Wohnung etc.)
4. Klärung und Vorbereitung der zukünftigen
beruflichen Perspektive
•
•
•
Bemerkungen/
Unterschrift
Datum
Bemerkungen/
Unterschrift
Datum
Bemerkungen/
Unterschrift
Berufsfindung: Neuorientierung oder
Weiterqualifizierung von Vorhandenem/ggf.
schulische Ergänzungen
Abklärung der beruflichen
Reintegrationsmöglichkeiten
Information über berufliche/ schulische Perspektiven
Belastungserprobung (Besuch im BIZ/ggf. Herman
Hesse Schule etc.)
•
Planung einer adäquaten Nachbehandlung
•
Orientierung am künftigen gewöhnlichen
Aufenthaltsort
5. Aufbau und Entwicklung einer aktiven sinnvollen
Freizeitgestaltung
•
Kontaktaufnahme zu Vereinen oder anderen
Freizeitanbietern
Durchführung regelmäßiger wöchentlicher
Freizeitaktivitäten; verpflichtend gekoppelt an den
Einzelausgang/Nachweis per Laufzettel
•
Besuch einer Selbsthilfegruppe (mindestens einmal
während der Behandlung!)
•
Tagesfahrten und Unternehmungen planen für sich
selbst und für die Gruppe
•
Datum
Aufgaben der Rekonvaleszenzphase allgemein:
192
•
Delinquenzfreiheit
•
Konfliktfähigkeit
•
Kritikfähigkeit
•
Frustrationstoleranz
•
Anpassungsfähigkeit
•
Übernahme von Verantwortung
•
sorgsamer Umgang mit Gesundheit
•
durch gesunde Ernährung
•
Stressmanagement
•
Funktionalität des Drogenkonsums
193
Anhang D Handouts Psychoedukation
Bedingungsfaktoren der Suchtentstehung
Modell der Suchttrias nach Kielholz und Ladewig
Süchtige Verhaltensweisen entstehen aus den Interaktionen folgender
Merkmale:
Droge
Person
Umgebung
Finden Sie Beispiele aus ihrem eigenen Leben für die einzelnen Merkmale:
Person:
Umgebung:
Droge:
194
Kriterien der Abhängigkeit
1. Starkes Verlangen nach der Droge.
Eigene Erfahrungen hierzu:
2. Kontrollverlust oder erfolglose Versuche, keine Drogen zu konsumieren.
Eigene Erfahrungen hierzu:
3. Körperliche Entzugserscheinungen nach Absetzen der Droge.
Eigene Erfahrungen hierzu:
4. Toleranzentwicklung gegenüber der Drogenwirkung.
Eigene Erfahrungen hierzu:
5. Vernachlässigung von Interessen und Verpflichtungen.
Eigene Erfahrungen hierzu:
6. Trotz eindeutig schädlicher Folgen wird der Drogenkonsum vorgesetzt.
Eigene Erfahrungen hierzu:
Kriterien nach WHO 1991 ICD-10
195
Pro und Contra des drogenfreien Lebens
Leben mit
Drogen
Vorteile
Nachteile
Leben ohne
Drogen
Vorteile
Nachteile
196
Name:
Datum:
Problemkuchen
Eigene Notizen:
197
Soziales Netz
Menschen, mit denen
man zusammen wohnt
Nachbarn/
Freunde
Professionelle Helfer
Randzone
MittelMMitt
zone
Kernzone
Verwandte
Kollegen
Name:
Datum:
198
P ATIENTENFRAGEBOGEN
Dieser Fragebogen soll uns
Rehabilitationsangebots geben.
Aufschluss
über
Ihre
Einschätzung
unseres
Sie können die Fragen selbstverständlich anonym beantworten. Somit helfen Sie uns, die
Qualität unserer Arbeit ständig zu überprüfen und zu verbessern.
Wir danken für Ihre Mitarbeit.
Bitte kreuzen Sie die für Sie zutreffende Zahl an.
Ich bin in Gruppe
1
2
3
4
1. Wie sind Sie mit dem Rehabilitationsprogramm zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
1
sehr gut
Begründung:
2. Wie sind Sie mit der medizinischen Versorgung zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
1
sehr gut
1
sehr gut
1
sehr gut
1
sehr gut
Begründung:
3. Wie sind Sie mit dem Pflegedienst zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
Begründung:
4. Wie sind Sie mit der Gruppentherapie zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
Begründung:
5. Wie sind Sie mit der Einzeltherapie zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
Begründung:
199
6. Wie sind Sie mit der Arbeitstherapie zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
1
sehr gut
Begründung:
7. Wie sind Sie mit der Sport- und Bewegungstherapie zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
1
sehr gut
Begründung:
8. Wie sind Sie mit der Gestaltungstherapie zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
1
sehr gut
1
sehr gut
2
1
sehr gut
2
1
sehr gut
1
sehr gut
Begründung:
9. Wie sind Sie mit der Großgruppe zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
Begründung:
10. Wie sind Sie mit der Hauswirtschaft zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
Begründung:
11. Wie sind Sie mit der Küche zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
Begründung:
12. Wie sind Sie mit der Verwaltung zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
Begründung:
13. Wie sind Sie mit den Freizeitangeboten zufrieden?
Ungenügend
6
5
4
3
2
1
sehr gut
200
Begründung:
14. Wie sind Sie mit den Selbsthilfegruppen zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
1
sehr gut
1
sehr gut
Begründung:
15. Wie sind Sie mit dem Raumangebot zufrieden?
ungenügend
6
5
4
3
2
Begründung:
16. Wie hilfreich empfinden Sie die Familienseminare?
ungenügend
6
5
4
3
2
1
sehr gut
Begründung:
17. Ich habe meine Therapieziele erreicht:
gar nicht
teilweise
ganz
Begründung:
18. Ich habe einen Nachsorge- / Weiterbehandlungsplan erarbeitet:
ja
nein
Begründung:
19. Ich werde diesen Plan anwenden:
ja
nein
Begründung:
20. Würden Sie die Klinik einem guten Freund weiterempfehlen?
ja
nein
Begründung:
201
21. Welche Mitarbeiter erlebten Sie als hilfreich in der:
1. Gruppentherapie:
_____________________________________
2. Arbeitstherapie:
_____________________________________
3. Gestaltungstherapie:
_____________________________________
4. Sporttherapie:
_____________________________________
5. Pflegedienst:
_____________________________________
6. Ärztliche Betreuung
Intern (Im Hause)
--------------------------------
Extern (Außer Haus)
--------------------------------
7. Küche:
_____________________________________
8. Verwaltung:
_____________________________________
22. Verglichen mit dem, was Sie erwartet haben, waren die folgenden Bereiche der
Klinik
viel schlechter
1.
Qualität der
Behandlung
2.
Qualität der
Unterbringung
3.
Erfolg der
Behandlung
ein wenig schlechter
ein wenig besser
viel besser
Wenn Sie möchten, begründen Sie Ihre Einschätzung hier:
Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!
202
Danksagung
Bei Herrn Dr. Schneider möchte ich mich sehr für die fachliche Unterstützung und die Geduld
bedanken, mit der er mich bei der Erstellung der Masterarbeit begleitet hat. Ebenso gilt mein
Dank
Herrn
Professor
Schwarzer
für
seine
Unterstützung
im
Prozess
der
Masterarbeitserstellung.
Dem Team der Fachklinik Liblar danke ich für die fachliche und kollegiale Unterstützung.
Besonders bedanke ich mich für die Möglichkeit der flexiblen Arbeitszeitgestaltung und die
unproblematischen Vertretungen, wenn die Masterarbeit mal wieder vermehrt Zeit
„konsumierte“.
Traute Mühlfeld hat mich besonders in den letzten Wochen mit Rat und Tat unterstützt, dafür
mein herzlicher Dank.
Erftstadt, Februar 2011
Tanja Lang
203
Einverständniserklärung
Ich bin damit einverstanden, dass meine Masterarbeit mit dem Titel „Behandlungspfade in
der Suchttherapie“ in der Bibliothek der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Köln,
ausgestellt wird.
___________________
Tanja Lang
Erftstadt, den 25.02.2011
204
Versicherungserklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Masterarbeit „Behandlungspfade in der
Suchttherapie“ selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel
benutzt habe.
____________________
Tanja Lang
Erftstadt, den 25.02.2011
205
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