14 2. Vorlesung / 14.3.2002 / Aigner DISSOZIATIVE STÖRUNGEN Klassifikationsschema ICD-10 F F F F F F F F F F 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Organische / symptomatische psychische Störungen Substanzinduzierte psychische Störungen Schizophrene, wahnhafte psychische Störungen Affektive Störungen Neurotische und Belastungsstörungen Verhaltensauffälligkeiten und körperliche Faktoren Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen Intelligenzminderung Entwicklungsstörungen Psychische Störungen mit Beginn in Kindheit und Jugend Unterteilung nach Phänomenologie Belastungsfaktoren Ängste Zwänge Belastungen körperliche Beschwerden Phobien Panikstörung Zwangsstörungen PTSD Anpassungsstörung dissoziative somatoforme Störungen F40/F41 F42 F43 F44/F45 [im Vordergrund] Ursprünglich fiel alles unter „hysterische Neurose“ (im ICD-9), dann Aufspaltung (weil Begriff „hysterisch“ eine Bedeutungsverschlechterung durchgemacht hat) in viele verschiedene Untergruppen; Großteil davon = dissoziative Störungen, ein anderer Teil = somatoforme Störungen 15 Dissoziative Störungen werden unterteilt in: • • • • • • • • • dissoziative Amnesie dissoziative Fugue (Fluchtzustände) dissoziativer Stupor (Bewegungsarmut) Trance und Besessenheitszustände dissoziative Bewegungsstörungen dissoziative Krampfanfälle dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen Konversionsstörungen, gemischt und verschiedene Restkategorien (= sonstige dissoziative Störungen) Begriff Dissoziation: komplexer psychophysiologischer Prozess, bei dem es zu Desintegration von psychischen Funktionen (= Bewusstseinsveränderungen) kommt, wie: • Erinnerungen an Vergangenheit [Bei Dissoziation kommt es • Identitätsbewusstsein zu Abspaltung eines dieser • unmittelbare Empfindungen Bereiche -> wird nicht • Wahrnehmung des Selbst wahrgenommen] Beispiel: vgl. Einschlafzuckungen: = nicht willkürlich ausgelöste Bewegungen; gewisser Bereich hat sich schon selbstständig gemacht... So ähnlich muss man sich dissoziativen Zustand vorstellen, obwohl DAS hier NICHT pathologisch ist! Dissoziations-Störungen: • Störungen der Organisation des Bewusstseins • Identität -> Fugue (Patient läuft weg, fährt mit Auto fort, ohne dass ihm das bewusst ist, merkt es erst z.B. wenn er schon 100km weg von daheim ist) Î multiple Persönlichkeitsstörung (noch umstritten, inwiefern es das gibt) • Gedanken -> Amnesie • Wahrnehmung -> Depersonalisation / Derealisation (kommt z.B. auch bei starker Angst bzw. Panik vor, dabei kommt es zum „Röhrensehen“; wenn z.B. in Fußballstadion Panik ausbricht, laufen alle zu EINER Tür, Folge: viele werden zu Tode getrampelt; kommt z.B. auch vor in todesnahen Erlebnissen (Eindruck, dass man den eigenen Körper verlässt, entsteht); weiteres Beispiel = veränderte Zeitwahrnehmung in Extremsituationen (Zeit läuft scheinbar extrem langsam ab...) Fazit: Dissoziative Erlebnisse sind nicht sooooo selten! 16 Ätiopathologische Modelle: Dissoziative Symptome ALLEIN sind NICHT pathologisch! Pathologisch sind sie erst, wenn sie unkontrolliert und immer wieder auftreten. • psychobiologische Hypothese: „Totstellreflex“; unreife Entwicklungszustände des ZNS und der Psyche bieten besondere Vulnerabilität für die Entwicklung bleibender psychobiologischer Störungen (z.B. Trauma... Später, bei Erinnerung daran, kommt es zu apportivem Totstellreflex -> Wiederauslösung; vor allem bei traumatisierten Kindern im späteren Alter) Beim Totstellreflex dominiert der Parasympathicus -> daher: Stupor • kognitionsbiologische Hypothese: Dissoziation als erlernter Mechanismus einer Traumaerfahrung, der sich in neurologischen Strukturen niederschlägt • Entwicklungspsychologische Hypothese: in frühen Entwicklungsstufen laufen viele psychischen Abläufe parallel; Integrationsfähigkeit entwickelt sich erst später (Janet). Bei Kindern ist erhöhtes dissoziatives Potential physiologisch. Trauma in Kindheit führt zu „phobic anxiety depersonalization syndrome“ (Roth 1960) • Selbstpsychologische Sicht: Kohäsion des Selbst durch kontinuierliche Selbst-Objekt-Erfahrungen; bei traumatisierten Kindern werden Teile des Selbst abgespalten [z.B. bei multipler Persönlichkeit -> keine kontinuierliche Selbstbeziehung; immer neue Identitäten werden entwickelt, die mit der ursprünglichen nichts mehr zu tun haben. Soziale Probleme spielen wahrscheinlich eine große Rolle dabei; zugrunde liegen diskontinuierliche Selbstbeziehungen] Epidemiologie: Prävalenz: • 0,001 – 0,3%; 1 pro 10.000 Einwohner; 0,5 – 2% der psychiatrischen Patienten [hauptsächlich Konversionsstörung / Lähmungen, Krampfanfälle] • Frauen : Männer = 2:1 bis 10:1; bis zu 90% Frauen • am häufigsten: Trance und Besessenheit („not otherwise specified“) [in 3. Welt häufig; kulturelle Gründe! Ist aber hier NICHT pathologisch! Pathologisch ist nur das unkontrollierte Auftreten der Trance!] 17 Konversionsstörungen (Kampfhammer 2001): • epidemiologisches Auftreten von Konversionssymptomen in Kriegszeiten oder nach Katastrophen [vgl. „Kriegszitterer“ nach dem 1. und 2. Weltkrieg. Ähnliche Phänomene traten auch im Golfkrieg auf -> Saddam Hussein muss kein Kampfgas ausgelassen haben, sondern diverse Probleme der Betroffenen können auch Wirkungen der Extremsituation auf das Nervensystem sein] • pseudoneurologisch [schauen aus wie neurologische Erkrankungen; Hemi- oder Monoparäsien; schaut aus wie Epilepsie... Im Unterschied dazu: Gedächtnislücke nach einem Schlag auf den Kopf = neurologische Störung] • zeitliche Assoziation zu Trauma • keine willentliche Kontrolle möglich • Tendenz klinischer Syndrome, die nun mit eigenständiger Pathophysiologie und zum Teil mit genetischen Korrelaten beschrieben werden, die noch zur Jahrhundertwende als typisch hysterische Konversionsbildung (Migräne, thoraic outlet syndrome, faziale Dyskirasien, Dystonien), wie z.B. Fall Freud Emmy von N. als Hysterie, beschrieben, würde heute als Tic-Erkrankung gelten. • Ö Nicht trennen in Körper und Seele, sondern Interaktion der beiden muss bei der Diagnose beachtet werden! S. Freud: „Hysterie“ entsteht aus: • • • • infantilen Sexualerlebnissen assoziativ geweckter Erinnerung an frühere Erlebnisse psychischem Konflikt erblicher Veranlagung oder degenerativer Verkümmerung Freud vs. Wagner-Jauregg [= 1. österreichischer Psychiater, der den Nobelpreis bekam!]: „Kriegszitterer“ wurden Strombehandlung unterzogen (bekamen Stromstöße in Hoden), weil man sie für Simulanten hielt, die nicht mehr zurück an die Front wollten. Freud meinte, Patienten würden sehr wohl in den Krieg ziehen wollen, KÖNNTEN aber nicht... Nach dem Krieg große Streiterei darüber, ob sich Wagner-Jauregg mit seiner Strombehandlung etwas zuschulden hat kommen lassen. Ihm wurde Sadismus gegenüber den Patienten vorgeworfen. Gutachten von Freud dazu: Kriegszitterer können mit Psychotherapie erfolgreich behandelt werden. 18 Diagnose von dissoziativen Störungen: 1) Exploration: • bisherige ärztliche und/oder psychische Bemühungen (Diagnose + therapeutische Interventionen) • Gesamtdauer, Ausprägung, Variabilität der Symptomatik vor allem bezüglich Situation und spezifischer Wandlung in zeitlichem Zusammenhang mit Interventionen oder akuteren, im weiteren Sinn als „Stress“ verstehbaren Ereignissen • subjektive Hypothesenbildung vom Patienten (und dessen Eltern) hat wesentlichen Einfluss auf Verlauf der Erkrankung und der Einstellung dem Arzt gegenüber! Welches subjektive Krankheitsmodell hat der Patient? Hat er ein rein biologisches Krankheitsmodell, so ist es schwer, an ihn heranzukommen, und er wird wahrscheinlich „Doctor Shopping“ betreiben. 2) körperliche Untersuchung (neurologisch): • sollte durchgeführt werden, auch wenn bereits eine ausführliche somatische Diagnostik erfolgt ist (neurologische Untersuchung besonders sorgfältig durchführen und nötigenfalls wiederholen!) • im weiteren Verlauf aber sparsam damit umgehen (hat Patient ein biologisches Krankheitsmodell, glaubt er, dass die Ursache für seine Krankheit noch nicht gefunden worden ist, und will pausenlos untersucht werden) • allerdings darf die adäquate (Verlaufs-)Diagnostik einer eventuellen organischen (Vor-)Erkrankung nicht vernachlässigt werden (Zeitkontingenz!) [Bei symptomkontingenten Untersuchungen kommt es zur Verschlechterung des Symptoms; z.B. Angst vor Gehirntumor -> CT... Patient will immer öfter eines! Daher bei dissoziativen Symptomen daraus aufpassen!] 3) Verhaltensbeobachtung (Interaktion): • wenn möglich unmittelbare Beobachtung des Symptoms, wobei deutliche Diskrepanz zwischen Schweregrad, Dramatik des Symptoms und entsprechender Sorge sowie Ausdrucksverhalten des Patienten bzw. der Eltern bestehen kann, aber nicht muss 19 4) Zusatzuntersuchungen: Apparative, Labor- und Testdiagnostik: ja, aber möglichst sparsam! • testpsychologische Diagnostik (immer orientierende, bei Bedarf aber auch spezifischere Leistungsdiagnostik) • Familiendiagnostik • bei anhaltender, prinzipieller diagnostischer Unsicherheit sollen somatische und psychologische Diagnostik stets parallel durchgeführt werden, vor allem zum Ausschluss progressiver neurologischer Erkrankungen (wie z.B. Multiple Sklerose, ZNS-Beteiligung bei systematischem Lupus Erythematodes) • EEG, soweit angemessen bildgebende Verfahren • serologische Diagnostik (Blut, Liquor) Cave: vorherige Sensibilisierung der Facharzt-Kollegen in Richtung einer wünschenswerten therapeutischen Grundhaltung kann für spätere therapeutische Arbeit sehr wichtig sein. Einige spezielle Hinweise [für positive Diagnostik, d.h. wenn das vorhanden ist, kann es keine dissoziative Störung sein]: • neurologische Untersuchung: Im Liegen sind grobe Kraft und Motilität in • pädiatrisch-interne Untersuchung: beim dissoziativen Krampfanfall der Regel seitengleich ohne Befund werden sich im Allgemeinen Verletzungsfolgen, wie z.B. Zungenbiss [oder Stuhl- und Harn-Nicht-Halten-Können] finden • bei spezieller Indikation: Seh- bzw. Hörtest mit den in der Regel hierbei • bei sogenannter „Hysteroepilepsie“ (Mischbild genuiner und gegebenen ziemlich sicheren Ausschlussmöglichkeiten organisch determinierter Funktionsausfälle „aufgepropfter“ psychogener Anfälle): unmittelbar postictal Bestimmung der Serum-Prolaction Spezielle diagnostische Hinweise zur Beobachtung von Lähmungserscheinungen: • Im Bereich der Arme ist in der Regel die nicht dominante Seite betroffen bzw. stärker betroffen • bei Störungen des Stehen und Gehens = eventuell Überkreuzung, eine aktive Innervation erfordernde antagonistische Bewegung zu beobachten 20 • instrumentelle Hilfen werden in der Regel selbstverständlich angenommen (z.B. Rollstuhl, Krücken) • Stürze werden durch phantasievolle, variantenreiche Einbeziehung der Umgebung meist vermieden • Eindruck energieaufwändiger, eventuell bis zur Groteske unökonomischer bis artistischer Bewegungsabläufe, die in ihrer Ausprägung meist von der aktuellen sozialen Situation (Zuwendungschancen!) mit abhängig sind Artifizielle Störungen (Hospital-Hopper-Syndrom; Münchhausen-Syndrom): • Die Motivation des Verhaltens bleibt oft unklar. • Häufig bestehen andere psychiatrische Erkrankungen (Störungen der Impulskontrolle, Schizophrenie, affektive Störungen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen) • Eine Simulation muss ausgeschlossen werden [Patient schädigt sich selbst, um ins Spital aufgenommen zu werden (z.B. komplizierter Beinbruch oder er steckt sich dauernd irgendwas in eine Operationswunde, um das Verheilen zu verhindern, damit er im Spital bleiben kann) -> ist KEINE Simulation, da sich der Patient ja als krank ERLEBT!] 21 SOMATOFORME STÖRUNGEN DSM-IV ICD-10 Somatisierungsstörung Somatisierungsstörung undifferenzierte somatoforme Störung undifferenzierte Somatisierungsstörung somatoforme autonome Funktionsstörung Schmerzstörung anhaltende somatoforme Schmerzstörung Hypochondrie hypochondrische Störung körperdysmorphe Störung körperdysmorphe Störung kommt nicht vor Neurasthenie Konversionsstörung Konversionsstörung Neurasthenie: • • Störung mit chronischer Erschöpfung, wurde als typisch für junge, weiße Frauen der gehobenen Mittel- und Oberschicht angesehen. Als man entdeckte, dass es auch schwarze Männer haben können, verschwand diese Erkrankung aus dem amerikanischen Klassifikationsschema DSM. Dort heißt die Neurasthenie jetzt „chronic fatigue syndrome“. Ist eine Wahrnehmungsstörung der eigenen Energiefähigkeit; ist eine komplexe Störung, die nicht auf Phänomene einer postviralen Genese zurückgeführt werden kann 22 • • funktionelle Störung, für die biologische Faktoren Trigger sein können aufrechterhaltende Faktoren = psychischer Natur -> sie können unterbrochen werden, wodurch sich die Krankheit bessert Somatisierungsstörung: • • • • Vollbild chronisch erkrankt vor dem 30. Lebensjahr (DSM) ICD: Symptome müssen 2 Jahre vorhanden sein multiple somatische Beschwerden, die nicht erklärt werden können Somatoforme autonome Funktionsstörung: • dazu gehören: Herzneurose, Colon irritabile (= Reizdarm) Anhaltende somatoforme Schmerzstörung: • • Schmerzen in bestimmten Körperteilen oder im ganzen Körper chronifizierte Schmerzsymptome Hypochondrische Störung: • Angst, eine Krankheit zu haben -> Patient will ständige Untersuchungen Körperdysmorphe Störung: • Überzeugung, irgendwas am Körper wäre nicht in Ordnung (z.B. Nase zu lang, Beine zu kurz, usw.) -> ist stark im Kommen, da Zugang zu Schönheitsoperationen immer leichter wird (Möglichkeit, sich rezidivierend operieren zu lassen, wird immer größer) BEGRIFF DER SOMATISIERUNG: • W. Sterkel (1908): erstmalige Verwendung des Begriffs; psychodynamische Konversion • Bridges & Goldberg (1985): operationale Definition von Somatisierung als typische Präsentationsform einer genuinen psychiatrischen Störung [d.h. jemand kommt mit körperlichen Symptomen, hat aber eigentlich eine psychiatrische Erkrankung] • Lipowski (1988): Krankheitsverhalten, Tendenz psychosozialen Stress in Form von körperlichen Symptomen wahrzunehmen, zu kommunizieren und hierfür medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen [z.B. psychosomatische Kopfschmerzen, die zu Teufelskreis Hypochondrie werden] • Kellner (1990): multimodales Bedingungssystem, keine diskrete klinische Identität, kein einheitlicher pathologischer Prozess 23 KONZEPT DER SOMATISIERUNGSSTÖRUNG: • Entwicklung der Definition: Briquet, St.-Louis-Schule, Feighner-Kriterien bis DSM-IV • somatischer Symptom-Index (SSI) 4/6 [4 bedeutet: weniger als 4 Symptome bei Männern -> keine Somatisierungsstörung; 6 bedeutet: weniger als 6 Symptome bei Frauen -> keine Somatisierungsstörung. Symptome müssen über längere Zeit bestehen und klinisch nicht erklärbar sein] • Annahme eines breiten Somatisierungsspektrums • weitgehend theoriefrei gehalten • warum sie entsteht, weiß man nicht; mögliche Ursachen = psychosozialer Stress, Vergiftung, Konflikt, usw. • mindestens 2 Jahre lang multiple und körperliche Symptome, die durch keine diagnostizierbare Krankheit erklärbar sind • eventuell vorliegende Erkrankung erklärt nicht Schwere, Ausmaß, Vielfalt und Dauer der körperlichen Beschwerden oder die damit verbundene soziale Behinderung • häufige Konsultationen, Selbstmedikation [bei chronischen Schmerzen wirken schmerzstillende Medikamente bonifizierend, d.h. die Symptome bleiben!] • 6 oder mehr Symptome aus mindestens 2 der folgenden Gruppen: Î Haut- und Schmerzsymptome: ¾ Klagen über Fleckigkeit oder Farbveränderungen der Haut ¾ Schmerzen in den Gliedern, Extremitäten oder Gelenken ¾ unangenehme Taubheit oder Kribbelgefühl Î urogenitale Symptome: ¾ Dysurie (kein Harn) oder Klagen über Miktionshäufigkeit (zuviel Harnlassen müssen) ¾ unangenehme Empfindung in und um den Genitalbereich ¾ Klagen über ungewöhnlichen oder verstärkten vaginalen Ausfluss Î kardiovaskuläre Symptome: ¾ Atemlosigkeit ohne Anstrengung ¾ Brustschmerzen 24 Î gastrointestinale Symptome: ¾ Bauchschmerzen, Übelkeit, Gefühl der Überblähung, schlechter Geschmack im Mund oder extrem belegte Zunge ¾ Klagen über Erbrechen oder Reurgitation (Wiederheraufwürgen) von Speisen ¾ Klagen über häufigen Durchfall oder austritt von Flüssigkeit aus dem Darm SOMATOFORME AUTONOME FUNKTIONSSTÖRUNG: • • • • in DSM-IV kein Analogon; nur in ICD-10. Für künftige Versionen des DSM autonome Funktionsstörung (autonomic arousal disorder) typische organbezogene Symptomkomplexe allgemeines psychovegetatives Syndrom dazu gehören: Herzneurose, Hyperventilationssyndrom, Colon irritabile NEURASTHENIE: • • • • Begriff von Beard & Van Deusen (1869) anhaltende und quälende Erschöpfungsgefühle, Müdigkeit und Schwäche bei geringer geistiger oder geringer körperlicher Anstrengung Dauer der Störung = mindestens 3 Monate heißt in Amerika Chronic Fatigue Syndrome SCHMERZSTÖRUNG -> verschiedene Gruppen: • • • nur psychische Faktoren spielen eine Rolle mit psychischen und medizinischen Faktoren (z.B. Bandscheibenvorfall dabei) -> organisch nachweisbar nur auf medizinische Faktoren zurückführbar (z.B. Rheuma) [Künstliche Teilung, da in Wirklichkeit ein Kontinuum! Bei Chronifizierung spielen IMMER psychosoziale Faktoren eine Rolle!] HYPOCHONDRIE ALS ZWANGSSPEKTRUMSTÖRUNG: • angstinduzierend = Zwangsgedanken: ¾ angstinduzierende Gedanken und Gefühle ¾ ständig wiederkehrende Besorgnis, an einer Krankheit zu leiden • angstreduzierend = Zwangshandlungen: ¾ hypochondrisches Kontrollieren von Körperfunktionen und Körpermerkmalen ¾ wiederholtes Aufsuchen unterschiedlicher Ärzte (Doctor Shopping) ¾ Versichern: permanentes Einfordern zusätzlicher Hilfsbefunde trotz der Versicherung verschiedener Ärzte, dass keine organische Erkrankung besteht [Nosophobie = keine körperlichen Beschwerden, aber Angst davor; ist KEINE Hypochondrie!] 25 Ätiologie: • • • • Genetik: familiäre Häufung Neurobiologie: 1. Befunde Lerntheorie: häufige Beschwerden im Rahmen einer körperlichen Erkrankung als „Kristallisationspunkt“. Symptomatik stellt eine „Verbalisierung“ dar. Psychodynamik: körperliches Erleben von Konflikten. Körperliche Empfindung + starker Affekt scheinen im frühen Kindesalter identisch zu sein [d.h. Gefühl der Angst geht einher mit Angstsymptomen; Kinder spüren vor allem den körperlichen Anteil und benennen das als Angst; hat nicht gelernt, was Emotion ist, wenn diese körperlichen Wahrnehmungen später fehl interpretiert werden] Merke: • • steht internistische Problematik im Vordergrund -> Somatisierung steht psychisches Problem im Vordergrund -> Konversionsstörung Therapie: • somatische Diagnostik (sehr wichtig ZUERST! Zur Sicherheit unbedingt abklären, ob z.B. Brustschmerzen Indiz für drohenden Herzinfarkt sein können) • Psychotherapie (z.B. kognitive Verhaltenstherapie) • Psychopharmakotherapie: TZA, SSRI, DAS, NaSSA ¾ TZA = trizyklische Antidepressiva; wenn Schmerz im Vordergrund steht. Double-blind-Studien haben gute Wirkung gezeigt. z.B. bei chronischem Kopfweh, neuropathologischen Schmerzen. Noradrenerge, absteigende Bahnen = betroffen, histamine Komponenten [Histamin wirkt als Schmerzmodulator]. Viele Rezeptoren -> breiteres Wirkungsspektrum. Nachteil: mehr Nebenwirkungen, da toxischer (bei Multimorbidität können sie oft nicht mehr gegeben werden, daher besser für jüngere Leute) ¾ SSRI = Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren; wenn Depression im Vordergrund steht ¾ DAS = doppelter Antagonismus serotonerg ¾ NaSSA = noradrenerg + serotonadronerg (kleineres Wirkungsspektrum) 26 ESSSTÖRUNGEN F5 Auffälligkeiten im Verhalten Essstörungen mit körperlichen Faktoren Schlafstörungen Sexuelle Funktionsstörungen Psychische und Verhaltensstörungen im Wochenbett Missbrauch von nicht abhängigkeitserzeugenden Substanzen (z.B. Hormone) Zu den Essstörungen gehören z.B.: • • • • Anorexia nervosa (= Magersucht) Bulimia nervosa (= Brechsucht Essattacken bei anderen psychischen Störungen Erbrechen bei psychischen Störungen Andere Einteilungen: 1) Psychogene Essstörungen: o o o o Anorexia nervosa bulimische Magersucht Bulimia nervosa Adipositas 2) quantitative und qualitative Essstörungen: o quantitative Essstörungen: Anorexia nervosa Bulimia nervosa Binge-Eating-Disorder o qualitative Essstörungen: Pica-Syndrom [etwas essen, das nicht als Nahrung geeignet ist, z.B. Klopapier] Food-Pica [essen von rohen Kartoffeln, Kartoffelschalen, etc. -> d.h. Nahrungsmittel essen, die nicht unmittelbar zum Verzehr geeignet sind] Psychogene Essstörungen: • • Störungen der Nahrungsaufnahme (Dysorexie) Störungen des Körpergewichts (Dysponderosis) ohne organische Ursachen 27 Body-Mass-Index: Berechnung: BMI = kg / m2 • • • • • • BMI < 13: Hospitalisierung! Anorexie: BMI < 17,5 Normalgewicht: BMI 20 – 25 Grad I = Übergewicht: BMI 25 – 30 Grad II = Adipositas: BMI 30 – 40 (lebensverkürzend!) Grad II = schwere Adipositas: BMI über 40 (sehr lebensverkürzend) Abweichungen vom Normgewicht: • behandlungsbedürftiges Übergewicht: Normalgewicht + 30% • Übergewicht: Normalgewicht + 10 – 20% Normgewicht nach Broca [= älter]: Berechnung: Körpergröße – 100 in kg • • • Ideal: Normalgewicht – 10% bei Frauen / Normalgewicht – 15% bei Männern behandlungsbedürftiges Übergewicht: < 70% des Normalgewichts lebensbedrohendes Übergewicht: < 50% des Idealgewichts ANOREXIA NERVOSA: • • • • • mindestens 15% unter Normalgewicht Gewichtsverlust durch Vermeidung von kalorienreichen Speisen, BMI unter 17,5 Körperschema-Störung („zu fett“) Endokrine Störung (z.B. Amenorrhoe) keine Fressattacken, keine Gier zu essen BULIMIA NERVOSA: • • • • • Fressattacken Gier zu essen Gewichtszunahme wird entgegengetreten durch: ¾ selbstinduziertes Erbrechen ¾ Missbrauch von Abführmitteln ¾ zeitweilige Hungerperioden ¾ Gebrauch von Appetitzüglern, SD-Präparaten, Diuretika [Entwässerungsmittel] Prävalenz = 2% Frauen 18-35 Jahre Komplikationen: Elektrolytentgleisung + Tetanie, epileptische Anfälle, kardiale Arrhythmie 28 PICA-STÖRUNG: • • • • ständiges Essen ungenießbarer Stoffe mindestens 1 Monat lang Essen unangemessener Stoffe = Entwicklungsstufe angemessen Essverhalten ist nicht Teil einer kulturell anerkannten Praxis nicht organische Pica im Erwachsenenalter / im Kindesalter • Man unterscheidet: Î Food-Pica: ¾ Stärke (Amylophagie) ¾ rohe Kartoffeln (Geomelophagie) Î Non-Food-Pica: ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ • Pica-Komplikationen: ¾ ¾ ¾ ¾ • Erde, Lehm (Geophagie) Steine (Lithophagie) Schnee, Eis (Pagophagie) Exkremente (Koprophagie = sexuelle Perversion) spitze Gegenstände (Acuphagie, z.B. bei Häftlingen) Intoxikation Infektion (z.B. Erde -> Würmer) Verletzung Bezoarbildung (Haare essen, z.B. bei Tichotrillomanie) Pica-Therapie: ¾ je nach zugrunde liegender Problemsituation ¾ umschriebener Mangelzustand? [Tiere schlecken z.B. Wände ab, wenn sie Kalkmangel haben; daher auch beim Menschen abklären, ob so was vorliegt] ¾ neuropsychiatrische Grundkrankheit abchecken