Epidemiologie 18.11.2008 Seminar Klinische Psychologie Dr. Hans Linster, Dipl-Psych Referentinnen. Lynn Kalinowski, Rose Engel Seminar Klinische Psychologie WS 0809 1 Epidemiologie = die Untersuchung der Verteilung und der Determinanten von gesundheitsbezogenen Zuständen oder Ereignissen in umschriebenen Bevölkerungsgruppen sowie die Anwendung dieser Ergebnisse zur Steuerung von Gesundheitsproblemen. Seminar Klinische Psychologie WS 0809 2 Epidemiologie y die Untersuchung der Verteilung und der Determinanten Æ Prävalenz, Inzidenz y von gesundheitsbezogenen Zuständen oder Ereignissen Æ psychische Störungen y in umschriebenen Bevölkerungsgruppen Æ Allgemeinbevölkerung, Risikogruppen, Insassen Einrichtung y eine sowie die Anwendung dieser Ergebnisse zur Steuerung von Gesundheitsproblemen. Æ 1. Interpretation Æ Ursachenforschung Æ 2. Prävention, Versorgung Seminar Klinische Psychologie WS 0809 3 Prävalenz = Anteil der Personen in einer definierten Population, der a) zu einem bestimmten Zeitpunkt = Punktprävalenz b) innerhalb eines bestimmten Zeitraums = Periodenprävalenz eine interessierende Zielgröße aufzeigt. (z.B: psychische Störungen) Seminar Klinische Psychologie WS 0809 4 Inzidenz = Anzahl der Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum und einer definierten Population Seminar Klinische Psychologie WS 0809 5 Aufgabenbereiche 1. 2. 3. 4. 5. 6. Untersuchung der Verteilung Untersuchung des Bedarfs, der Inanspruchnahme und Evaluation von Gesundheitsdiensten Untersuchung des „natürlichen“ Verlaufs Entwicklung / Verbesserung von Klassifikation und Erfassungsmethoden Risikofaktorenforschung Entwicklung von Interventions- und Präventionsmaßnahmen Seminar Klinische Psychologie WS 0809 6 1. Untersuchung der Verteilung y Bestimmung der Auftretenshäufigkeit ◦ in spezifischen Populationen x Vulnerabilität, Stressoren / Resilienz, Unterstützung ◦ in Allgemeinbevölkerung Æ Evaluation/ Planung von Versorgungsmaßnahmen Seminar Klinische Psychologie WS 0809 7 Studiendesigns y Klinische Studien y VPn: Patienten keine Generalisierung möglich seltene Störungen y zufällige Stichprobenziehung seltene Störungen Generalisierung möglich Beobachtungsstudien Beobachtung von Korrelationen interne Validität Manipulation nicht möglich große Stichproben ökologische Validität y Querschnittsstudien mehrere Personen – ein Zpkt. Methodik Durchführung Allgemeinbevölkerungsstudien Experimentelle Studien Manipulation & Randomisierung interne Validität y Längsschnittstudien eine Person - Zeitraum Dürchführung Methodik Seminar Klinische Psychologie WS 0809 8 2. Untersuchung von Gesundheitsdiensten Bedarf vs. Inanspruchnahme/ Angebot Æ Versorgungssituation y Evaluation der Wirksamkeit y Seminar Klinische Psychologie WS 0809 9 3.) Untersuchung des „natürlichen“ Verlaufs y Erstmanifestation Æ in welchem Alter? Dauer y Wiederauftreten y Komorbidität y Beeinträchtigungen y Æ Selektionsbias Seminar Klinische Psychologie WS 0809 10 4.) Entwicklung / Verbesserung von Klassifikation und Erfassungsmethoden y y y Symptomlisten Schwellenwerte Mindestzeitdauer Problem: nicht alle empirisch begründbar Æ Nichtentsprechung = gesund Æ! Weiterentwicklung Seminar Klinische Psychologie WS 0809 11 5.) Risikofaktorenforschung = analytische Epidemiologie 1. Kausalfaktoren (Welche Faktoren verursachen eine psychische 2. Störung?) Einflussfaktoren (Welche Faktoren beeinflussen den Verlauf psychischer Störungen?) Î Î Biopsychosoziale Modelle interne & externe FaktorenSeminar Klinische Psychologie WS 0809 12 6.) Entwicklung von Interventions- und Präventionsmaßnahmen Aufgabe: Versucht aufbauend auf den gegebenen Daten, bisherigen Inhalten der Vorlesung „Klinische Psychologie“ und eigenen Ideen eventuelle Kausalfaktoren für die oben genannten Störungen zu formulieren. Welche Interventions- und Präventionsmaßnahmen würdet ihr daraufhin vorschlagen? (seid ruhig ein bisschen kreativ) Haltet eure Ergebnisse schriftlich fest. Seminar Klinische Psychologie WS 0809 13 Gruppenarbeit y Substanzstörungen ◦ Prävention x Aufklärung, Beratung, Kreativität fördern, Alternative Freizeitgestaltung, soziale Kompetenzen fördern, Ausbildung fördern, Zugang zu legalen Drogen einschränken, Arbeitsplätze schaffen, Stressmanagement ◦ Intervention x Entzug, Entspannungstraining, Probleme im Privatleben/ Beruf bearbeiten, Medikamentöse (Methadon/Heroin), Komorbidität angehen, Gruppentherapie, Kontrolle, Selbsthilfegruppen, Seminar Klinische Psychologie WS Nachsorge 0809 14 Gruppenarbeit y Angststörungen ◦ Prävention x Primäre Prävention: Selbstbewusstsein von Kindern stärken, soziales Netz, x (sekundäre Prävention)Aufklärung Bevölkerung/ Mediziner/Erzieher/Lehrer (Angst ist therapierbar, kürzerer Weg zur Behandlung), Zusammenarbeit Psychologen/Mediziner. Angst bei Kindern mehr beachten, Verarbeitung von Traumata unterstützen. ◦ Intervention x Verhaltenstherapie bei Erwachsenen/Kindern Entspannungstraining, Kompetenztraining, Seminar Klinische Psychologie WS 0809 15 Gruppenarbeit y Affektive Störungen ◦ Prävention x Stressmanagement (Beratungsstellen, alleinerziehende unterstützen, mehr Psychologen in Betrieben und Schulen, Aufklärungsarbeit /Lehrer (Enttabuisierung, Destigmatisierung), Gewaltprävention, Erstversorgung Traumatisierter, Familienpolitik ◦ Intervention x Therapie , Medikamente, Förderung von Selbsthilfe, Familienpolitik, soziale Kompetenz steigern, Selbstbehauptungstraining Seminar Klinische Psychologie WS 0809 16 Prävalenz psychischer Störungen in Deutschland Bundes-Gesundheitssurvey 1998/99 Erste von der Regierung beauftragte bundesweite Studie zur Erforschung der Prävalenz somatischer und psychischer Störungen. 12 Monats Prävalenz für eine nach DSM-IV klassifizierte Störung 31% Bezogen auf die Gesamtbevölkerung Seminar Klinische Psychologie WS 0809 17 Prävalenz psychischer Störungen in Deutschland DSM‐IV‐ Diagnosen Somatoforme Störungen Panikstörung generalisierte Angststörung Phobien Depression Dysthymie Bipolare Störungen Essstörungen Zwangsstörungen Alkohol Drogen Psychotische Störungen 11 2,3 2,5 6,91 Mio. 12,6 8,3 4,5 5,82 Mio. 1,3 0,3 0,7 2,11 Mio. 3,7 0,6 2,6 0 Wittchen, H.- U. & Jacobi, F. 2001 5 10 15 Seminar Klinische Psychologie WS 0809 18 65 % Lebenszeitprävalenz, davon Angststörungen Lebenszeitprävalenz Substanzstörungen Affektive Störungen 9,2 - 24,9 % 17,7- 26,6 % 5,5 - 19,8 % Erst15 Jahre manifestation 21 Jahre 26 Jahre Komorbidität 62 % 45 % 61 % Versorgung Bis zu 75 % 34 % 52,5 % Seminar Klinische Psychologie WS 0809 19 Prävalenz psychischer Störungen im Ländervergleich Problem: ◦ Unterschiedliche Kriterien und Gewichtungen der Symptome in den einzelnen LänderKlassifikationssystemen. ◦ Unterschiedliche Zusammenfassung von Störungsbildern ◦ Stichprobengröße und -verteilung Seminar Klinische Psychologie WS 0809 20 Prävalenz psychischer Störungen im Ländervergleich Daraus folgt: von 34 Studien, die die Prävalenz Psychischer Störungen in der Gesamtbevölkerung untersuchen, wurden 5 als methodisch vergleichbar eingestuft . Seminar Klinische Psychologie WS 0809 21 Prävalenz psychischer Störungen im Ländervergleich Angststörungen 5,60% 3,80% Substanzstörungen Affektive Störungen 0,00% 12,40% 18,10% 17,20% 14,50% USA (NCS‐R) 11,30% 8,90% 7,90% 7,20% USA (NCS) Niederlande Australien 9,50% 11,30% 7,60% 6,60% 11,90% 5,00% 10,00% Deutschland 15,00% 20,00% Seminar Klinische Psychologie WS 0809 22 Prävalenz psychischer Störungen im Ländervergleich y Angststörungen: ◦ Range zwischen 5,6% (Australien) und 18,1% (USA NCS-R) x In der Australischen Studie sind keine spezifischen Phobien enthalten. Spezifische Phobien stellen einen Anteil von 7,1% bis 8,7% in den anderen Studien sind. x Im USA NCS-R sind zusätzlich Zwangsstörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen enthalten. Seminar Klinische Psychologie WS 0809 23 Prävalenz psychischer Störungen im Ländervergleich Angststörungen 5,60% 3,80% Substanzstörungen Affektive Störungen 0,00% 12,40% 18,10% 17,20% 14,50% USA (NCS‐R) 11,30% 8,90% 7,90% 7,20% USA (NCS) Niederlande Australien 9,50% 11,30% 7,60% 6,60% 11,90% 5,00% 10,00% Deutschland 15,00% 20,00% Seminar Klinische Psychologie WS 0809 24 Prävalenz psychischer Störungen im Ländervergleich y Substanzstörungen: ◦ Range zwischen 7,2% (Deutschland) und 11,3% (USA NCS) keine signifikanten Unterschiede. ◦ Im USA NCS-R nur 3,8%. x Verwendet einen anderen Algorithmus für Substanzstörungen. Seminar Klinische Psychologie WS 0809 25 Prävalenz psychischer Störungen im Ländervergleich Angststörungen 5,60% 3,80% Substanzstörungen Affektive Störungen 0,00% 12,40% 18,10% 17,20% 14,50% USA (NCS‐R) 11,30% 8,90% 7,90% 7,20% USA (NCS) Niederlande Australien 9,50% 11,30% 7,60% 6,60% 11,90% 5,00% 10,00% Deutschland 15,00% 20,00% Seminar Klinische Psychologie WS 0809 26 Prävalenz psychischer Störungen im Ländervergleich y Affektive Störungen: ◦ Range zwischen 6,6% (Australien) und 11,9% (Deutschland) x Australien keine Bipolaren Störungen erfasst. x Unterschiedliche Beurteilungen der Schwere der Erkrankung. x Unterschiedliche Klassifikationssysteme x USA: NCS DSM-III-R 10,3% Major Depression und NCS-R DSM-IV 6,7% Major Depression Seminar Klinische Psychologie WS 0809 27 Die Versorgungssituation in Deutschland Behandlungsquote Deutschland gesamt N=4181 Irgendeine Diagnose 36,4% Substanzmissbrauch 29,0% Affektive Störungen 50,1% Angststörungen - Panikstörung/gen. Angstst. 43,6% 67,4% Somatoforme Störungen 40,5% Andere Störungen 54,2% Seminar Klinische Psychologie WS 0809 Bundesgesundheitssurvey 1998, Behandlungsquoten bei den wichtigsten Störungsgruppen in Deutschland (in Auszügen) 28 Die Versorgungssituation in Deutschland y Der Begriff Behandlung ist in dieser Studie sehr weit gefasst. Um als behandelt zu gelten genügt ein Kontakt zu einer Institution im Zusammenhang mit der Psychischen Störung. ◦ Hausarztbesuch, ambulante oder stationäre Psychiatrisch/psychotherapeutische Dienste. ◦ Ca.10% aller Betroffenen erhalten eine adäquate Therapie nach modernen wissenschaftlichen Kriterien. ◦ Unterschiedliche Störungen, unterschiedliche Versorgungsquote. ◦ Unterschiedliche Versorgung Stadt/Land. Seminar Klinische Psychologie WS 0809 29 Versorgungssituation y WHO Europa und USA: • 35,5% bis 50,3% aller schweren Störungen im Jahr vor dem Interview ohne Behandlung. y Entwicklungsländer: • 76,3% bis 85,4% aller schweren Störungen im Jahr vor dem interview ohne Behandlung. Seminar Klinische Psychologie WS 0809 30 Umsetzung der Präventions-/Interventionsvorschläge Mögliche Gründe für die schlechte deutsche und weltweite Versorgung psychischer Störungen? Chancen angesichts der schlechten Grundversorgung für: Prävention? Intervention? Seminar Klinische Psychologie WS 0809 31 Literatur Baumeister, H., Härter, M. (2005).Epidemiologie. In F. Petermann & H. Reinecker (Hrsg.). Handbuch der Psychologie: Handbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie (S. 247-254). Göttingen: Hogrefe – Verlag. Baumeister, H., Härter, M. (2007). Prevalence of mental disorders based on general population surveys. Social Psychiatry Psychiatric Epidemologie., 42, 537-546. Jacobi, F., Wittchen, H.-U., Hölting, C. et al. (2004). Prevalence, co morbidity and correlates of mental disorders in the general population: result from the German Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychological Medicine, 34, 597-611. Lieb, R. (2005). Epidemiologie. In M.Perez & U. Baumann (Hrsg.), Lehrbuch Klinische Psychologie – Psychotherapie (3., vollständig überarbeitete Auflage, S. 147-169). Bern: Verlag Hans Huber Demyttenaere, K., Bruffaerts, R., Posada-Villa, J. et al.(2004). Prevalence, severity, and unmet need for treatment of mental disorders in the World Health Organisation World Mental Health Surveys. JAMA, 291 (21), 2581-2590. Wittchen, H.-U., Jacobi, F. (2001). Die versorgungssituation psychischer Störungen in Deutschland. Eine klinisch-epidemologische Abschätzung anhand des Bundes-Gesundheitssurveys 1998. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 44, 993 - 1000 Seminar Klinische Psychologie WS 0809 32