Musik und Drama - Richard-Wagner-Verband Berlin

Werbung
MUSIK und DRAMA
Mitteilungen des Richard Wagner Verbandes Berlin-Brandenburg e.V.
Jahrgang 2007, Nr. 22, Juli 2007
Editorial
„Nicht nur Salome und Elektra“
von Matthias Spruß
Kammersängerin Inge Borkh im Gespräch mit Klaus Geitel
Liebe Mitglieder,
liebe Leserin, lieber Leser,
am 19. März 2007 haben die Mitglieder
des Richard Wagner Verbandes BerlinBrandenburg e.V. einen neuen Vorstand
gewählt. Mit großer Mehrheit wurde
Herrn Rainer Fineske das Vertrauen
ausgesprochen, als neuer 1. Vorsitzender für die kommenden drei Jahre die
Vereinsgeschäfte erfolgreich zu lenken.
Auch alle weiteren Vorstandsmitglieder
wurden in ihrer jeweiligen Funktion
mit großen Mehrheiten von der Mitgliederversammlung bestätigt.
Der neue Vorstand des Richard Wagner Verbandes e.V.:
1. Vorsitzender
Rainer Fineske
2. Vorsitzende
Angelika Fessmann
Dieter Kahle
Schriftführer
Schatzmeister
Dr. Rüdiger Vogler
Sonderaufgaben 1 (Red. Musik und Drama)
Matthias Spruß
B
ei hochsommerlichen Temperaturen gab es am 21. Mai 2007
kurz vor 18 Uhr keinen freien
Sitzplatz mehr im Auditorium, als
Opernlegende Inge Borkh zu Gast
beim Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V. war. Vital wie
eh und je präsentierte sie sich im Gespräch mit Klaus Geitel.
Für mich, dem es nicht vergönnt war,
die großartige Sängerin live auf der
Bühne erleben zu können und dem
ihre herrliche Stimme nur von vielen
Einspielungen bekannt ist, war der
Abend eine wunderbare Reise durch
die Operngeschichte.
Inge Borkh ließ für die Anwesenden
noch einmal die kleinen und großen
Stationen ihres Sängerlebens Revue
passieren.
Sonderaufgaben 2 (Musikwiss. Begleitung) Dieter Reuscher
Sonderaufgaben 3 (Reisen)
Christian Christiani
Zu Beginn der Amtsperiode des neuen Vorstandes freue ich mich, Ihnen
auch „Musik und Drama“ in einem
neuen Layout präsentieren zu können.
Sie werden vieles Bewährte wiederfinden, aber auch Neuerungen, die Sie
auf ungewöhnliche Veröffentlichungen
oder Ereignisse hinweisen möchten.
Gerne greife ich dabei auch künftig
Ihre Informationen und Anregungen
auf. „Musik und Drama“ wird Sie wie
gewohnt über die Veranstaltungen des
Verbandes und mit musikwissenschaftlichen Beiträgen zum Leben und Werk
Richard Wagners informieren.
Ich wünsche Ihnen zunächst eine interessante Lektüre der neuen Ausgabe und bis
zum baldigen Wiedersehen im September
eine erholsame und schöne Sommerzeit.
Eigentlich wollte sie lieber Schauspielerin werden. Am Reinhardt-Semi-
nar des Burgtheaters in Wien wurde
sie ausgebildet. Die Bühnen in Linz
und Basel bildeten das Entree für
ihr Operndebüt in Luzern. Ihren internationalen Durchbruch erreichte
Inge Borkh in der deutschsprachigen
Erstauff ührung von Menottis „Konsul“ in Basel und dann einige Monate
später 1951 an der Städtischen Oper
in Berlin. Eine Weltkarriere begann.
Inge Borkh war „Nicht nur Salome
und Elektra“. Sie war die „Senta“
im „Fliegenden Holländer“, sie war
Verdis „Lady Macbeth“. Ihre darstellerische Gesangskraft hat sich unvergesslich, nicht nur bei ihren Fans,
eingebrannt.
Die humorvolle und sympathische
Sängerin ließ erstaunliche Einblicke
in ihre künstlerische Arbeit zu. Ein
Patentrezept gegen Lampenfieber gab
uns Inge Borkh nicht. „Champagner
hilft jedenfalls nicht gegen Lampenfieber. Es geht weg, wenn man die
Ihr Matthias Spruß
Nr. 22, Juli 2007
MUSIK UND DRAMA
1
Rolle lebt; man muss in die Figur einfach hineinkriechen.“
Deutliche Worte fand die Sängerin
auch für das moderne Regietheater.
„Es geht um ein gemeinsames Ringen
um ein Konzept und um gleichberechtigte Zusammenarbeit. Modernisierung muss heute schon sein, aber
das Werk muss erhalten bleiben“, so
die Künstlerin. „Wenn Absurditäten
da sind, kann das nicht richtig sein“,
wofür sie beim Publikum spontanen
Beifall erntete. „Wir geben ein unglaubliches Geld aus, damit wir zum
Narren gehalten werden.“
Den Kontakt zum Theater hat sie
nie verloren und hat ihren Besuch
in Berlin genutzt, um verschiedene
Opernauff ührungen und Konzerte
zu besuchen.
Wer mehr über die Künstlerin erfahren möchte, sei auf die Publikationen
„Ich komme vom Theater nicht los…
Erinnerungen und Einsichten von
Inge Borkh“ und „Nicht nur Salome
und Elektra. Inge Borkh im Gespräch
mit Thomas Voigt“ verwiesen.
Besonderer Dank gilt Klaus Geitel,
der in kurzweiliger und pointierter
Weise das Gespräch führte und damit den Appell, vielleicht die Verpflichtung Inge Borkhs unvergessen
macht: „Oper lebt immer! Oper wird
nie untergehen!“.
Matthias Spruß
„Cosima“
Vortrag von Sabine Sonntag über Cosima Wagner und die neue Oper von Siegfried Matthus
E
s sollte ein Vortrag werden
über die „Intendantin Cosima
Wagner“ werden. Aber dann
fiel uns, genauer gesagt Herrn Professor Fürstenau, noch rechtzeitig ein,
dass es ja eine Woche vor der Uraufführung der Oper „Cosima“ von Siegfried Matthus gut passen würde, wenn
Sabine Sonntag uns eine Einführung
in die neue Oper geben würde. Und
so hat die Hannoveraner Musikwissenschaftlerin Proben am Staatstheater
Braunschweig besucht, um uns einen
authentischen Bericht über das Stück,
die Personen, die musikalische und
Handlungsstruktur zu geben und was
wir von der Interpretation bei der Premierenaufführung erwarten dürften.
Aber zunächst fehlte auch ein Porträt
des Komponisten Siegfried Matthus
(1934) nicht. Sein Weg führte vom
Rainer Fineske bedankt sich für den Vortrag im Namen des
Richard Wagner Verbandes bei Sabine Sonntag
MUSIK UND DRAMA
2
Nr. 22 , Juli 2007
Meisterschüler Hans Eislers u.a. über
die Zusammenarbeit mit Felsenstein
und Friedrich als Komponist und Berater der Komischen Oper Berlin zu
einer Professur, zu Mitgliedschaften
in mehreren Akademien der Künste
und – flankiert von vielen Preisen
und Ehrungen – schließlich seit 1991
zur Künstlerischen Leitung der Kammeroper Schloss Rheinsberg. Die Liste
seiner Kompositionen enthält neben
seinen bisher mehr als zehn Opern alle
Gattungen von der Instrumental- und
Vokalmusik. Er wird neben Udo Zimmermann als der bedeutendste zeitgenössische Komponist der ehemaligen
DDR eingeschätzt.
Auch eine kurze Charakterisierung
von Cosima im richtigen Leben war
Inhalt des lebendigen Vortrags von Sabine Sonntag.
Cosima Wagner hatte offenbar eine
große Anziehungskraft auf Männer, sie
war Geliebte und Ehefrau von großen
Männern der Musikgeschichte, war
Mutter von fünf Kindern und besaß
daneben ein starkes Organisationsund Durchsetzungsvermögen. Sie war
weit vor der Zeit der breiten Emanzipationsbewegung die erste bedeutende
Intendantin in der Welt der Oper. Ihr
ist es maßgeblich zu verdanken, dass im
Festspielhaus in Bayreuth ein genuiner,
ausschließlich dem Werk des Meisters
gewidmeter Festspielort während ihrer
Intendanz von 1883 bis 1906 gefestigt
wurde. Sie war auch Regisseurin außerhalb Bayreuths und Gründerin des
Wagner-Konservatoriums, sozusagen
die Chefin der „Firma Wagner“.
Tausende von Briefen hat sie geschrieben, nicht nur im „geschäftlichen“
Sinne. Zu ihren Verehrern zählte
Friedrich Nietzsche, der große deutsche Philosoph, für ihn sicherlich auch
ein Zugang zum Meister, den er in den
früheren Jahren hoch verehrte. Nietzsche brachte es auf 32 Besuche der
Wagners in Tribschen.
Nun zur Oper „Cosima“. Sie spielt
vorwiegend nach der Einweisung
Nietzsches in einer Heilanstalt. Von
dort kommt Kunde, dass er sich mit
einer Oper beschäftigt. Er hat tatsächlich, wenn auch nicht erfolgreich und
von Wagner und anderen sogar verhöhnt, selbst komponiert. Bei Besuchen
in der Heilanstalt versucht Cosima den
Inhalt der Oper auszukundschaften.
Den Wunsch Nietzsches nach einer
Aufführung in Bayreuth lehnt sie wegen des Verdachts, es handle sich über
eine Geschichte zu Ungunsten der
Wagners, ab.
Diese Situation ist für Matthus Grundlage für seine Oper. Zunächst verbreitet
er „eine unglaubliche Geschichte“ über
das Auffinden einer unvollendeten
Oper von Friedrich Nietzsche, von der
uns der Komponist bei seinem Besuch
in unserem Verband selbst berichtete
(siehe Musik und Drama Nr.21, Seite
4, Januar 2007). Er nimmt Fragmente
der „Nietzsche-Original“-Partituren,
unterlegt ein Libretto, das weitgehend
aus Originalschriften und Briefen zusammengefügt wird, und verbindet
das Ganze mit einer Rahmenhandlung. Das Szenarium besteht aus insgesamt 13 Szenen, dabei als „Klammer“
der alte Nietzsche einerseits und der
Dialog Cosima und Prof. Binswanger, Chef der Heilanstalt, andererseits.
Dazwischen werden Rückblenden in
Form von einzelnen Szenen aus Wagners Leben eingebaut, kommentiert
vom alten Nietzsche. Matthus hat sein
Dithyrambos „Klage der Ariadne“,
Monolog für Bariton und Orchester,
vorangestellt und endet in deklamatorischem Gesangsstil mit Nietzsches
Dionysos-Tanz in den Wahnsinn.
Auch Wagner ist immer wieder gegenwärtig: zahlreiche musikalische Zitate,
vor allem aus „Tristan“, „Meistersinger“
und „Parsifal“ sind eingearbeitet.
Nach Matthus’ eigener Vorstellung im
vergangenen Herbst hat nun Sabine
Sonntags sachkundige Einführung Interesse und Spannung für die folgende
Doppelpremiere in Braunschweig und
Gera ganz erheblich beflügelt.
Dr. Jürgen Moeller
„Cosima“ in Braunschweig
Erste Uraufführung der Oper von Siegfried Matthus
E
Es war eine kurze Musikreise
zu einer überraschenden Opernpremiere. Zuerst eine Busfahrt
durch eine vorsommerliche Flachlandschaft mit gerade glühend gelb
leuchtenden Rapsfeldern nahe bei
Braunschweig. In der Stadt dann schöne wieder aufgebaute Fachwerkhäuser,
eine neu errichtete Fassade des Stadtschlosses und ein romanisch-gotischer
Dom, erbaut zur Zeit Heinrich des Löwen, der Stolz zu Ross in Bronze auf
dem Domplatz reitet.
Rahmenhandlung herum gefügt sowie
auch einen Prolog vorangesetzt.
Im geradlinigen, angenehm klar und
weitläufig wirkenden Staatstheater
folgte die Uraufführung der Oper „Cosima“, die in mehrerer Hinsicht verblüffte. Ein dramatisches Puzzlespiel,
das auch vom Publikum eine gespannte
Aufmerksamkeit forderte. Eine bizarre
Geschichte in der Regie von Kerstin
Maria Pöhler. Da gibt es geheimnisvoll
düstere Szenen nach einem Skript, das
– man staune – von Friedrich Nietzsche, dem Dichter und Philosophen geschrieben sein und im Schloss Rheinsberg bei Potsdam aufgefunden sein
soll. Es ist Cosima Wagner gewidmet,
die von Nietzsche leidenschaftlich und
hoffnungslos geliebt wurde. Der Komponist Siegfried Matthus, der schon
zahlreiche Opern schrieb, hat eine
In dem anspruchsvoll theatralischen
Bühnenbild von Frank Fellmann
taucht eine zweite, eine ältere Cosima in Nietzsches Irrenanstalt auf, die
fürchtet, in des Dichters Werk könne
es Passagen geben, die ihr schädlich
werden könnten. Karan Armstrong
bringt das in strenger Haltung und
Würde. Man sieht ihr gerne zu.
Der Bariton Richard Salter, der mit zeitgenössischer Musik vertraut ist, brilliert
in seiner Doppelrolle und verkörpert unglaublich das Wesen des Geistesgestörten
zu einer dramatischen Aufruhrmusik.
Susanna Pütters singt in der Rolle der
jungen Cosima, eingeengt zwischen
Bülow, dem jungen Nietzsche und König Ludwig II., mit klarer Diktion.
So pendelt diese Oper zwischen Realismus und Wahnsinn, Historie und
Phantasie. Zudem tauchen auch Passagen aus „Tristan und Isolde“, „Parsifal“
und andere Kompositionen zwischendurch immer wieder auf.
Matthus selbst hatte kürzlich in einer
Pressekonferenz gesagt, dass das kom-
„Cosima“ in Gera
Zweite Uraufführung der Oper von Siegfried Matthus
N
achdem der Richard Wagner
Verband Berlin-Brandenburg e.V. am 28. April 2007
die Uraufführung der Oper “Cosima“ von Siegfried Matthus in Braunschweig besucht hatte, konnten wir
uns in Gera, wo die zweite Uraufführung von “Cosima“ in Verbindung mit
der Einweihung des sanierten Opernhauses statt fand, ebenfalls von einer
wunderbaren Regiearbeit überzeugen.
Zwei Uraufführungen stellen eine völlig ungewöhnliche Angelegenheit dar.
Zudem im Fall einer sogenannten Ringuraufführung, also einer Koproduk-
plizierte Beziehungsgeflecht zwischen
Cosima, Nietzsche und Richard Wagner, vor allem aber das Ausdrucksbedürfnis Nietzsches ihn gereizt habe.
Einen weiteren Farbton geben in „Cosima“ der Chor und das Solo-Cellospiel von Richard Groock. Am Pult
begleitet Jonas Alber aufmerksam.
Eine leichte künstlerische Kost ist
Siegfried Matthus neue Oper also
nicht. Doch die Vielfalt des Komponisten vermag das Publikum nachdenklich zu stimmen. Es gab viel zustimmenden Beifall am Schluss und
auch auf der anschließenden Premierenfeier gab es viele Gespräche, in denen manch Fragezeichen mitschwang.
Verlorene Zeit war es in Braunschweig
auf jeden Fall nicht.
Gisela Huwe
tion und eines gemeinsamen Auftrages
der beiden Opernhäuser an Siegfried
Matthus für seine Oper “Cosima“.
Aufgrund des bekannten Inhalts der
Oper war vorgegeben, in welcher dramatisch-psychologischer Thematik uns
die Szene dargebracht werden sollte.
In Gera hatte Martin Schüler für die
Regie verantwortlich gezeichnet. Der
Nr. 22, Juli 2007
MUSIK UND DRAMA
3
erfahrene Intendant des Staatstheater
Cottbus ist ein Mann, der sein Handwerk außerordentlich versteht. Allein
die Umsetzung der einzelnen Charaktere, von der musikalischen Anlage
des Komponisten auf die Darstellung
der Sänger zu übertragen, war mehr
als überzeugend. Alle fühlten sich in
den Bann der Inszenierung gezogen.
erst gar nicht versucht, dass Ganze in
die Gegenwart zu verlegen. Im Gegenteil hatte man das Gefühl, hier ist
niemand der Versuchung des oft übersteigerten Regietheaters ausgesetzt.
Wenn Musiktheater immer so spannend und stringent wie in Gera ist,
dann muss einem um die Gattung
Oper nicht bange sein. Auch die Bühnen- und Kostümbildarbeiten kamen
hier voll zur Entfaltung und es wurde
Die Partie des Dr. Nietzsche wurde
von Teruhiko Komori gesungen, der
nicht nur stimmlich, sondern auch
schauspielerisch auf das Beste überzeugte. Er war sicherlich der Star des
Abends.
Stimmlich war auch in Gera alles der
Premiere angemessen und alle Personen waren sehr gut besetzt.
„Richard Wagner und das Urheberrecht“
Z
uweilen findet sich auch in
nicht-musik wissenschaftlichen Publikationen ein Beitrag, der sich mit dem Leben und dem
Werk Richard Wagners auseinandersetzt. In der im Beck-Verlag erscheinenden Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 10/2007, Seite 653 ff.),
einer Fachzeitschrift für Rechtsanwälte und Notare, analysiert Dr. Sebastian
Wündisch Wagners Verhältnis zum
Urheberrecht. Der Autor ist Rechtsanwalt in Dresden. Der Beitrag schließt
an die 2004 im Berliner Wissenschaftsverlag erschienene Monografie
gleichen Titels des Verfassers an.
Wündisch beschreibt Wagners Verlagsbeziehungen zu den seinerzeit bedeutenden Verlagshäusern Breitkopf
& Härtel in Leipzig und B’Schotts
Schatz liest Shaw
U
m die Theaterstücke des
großen irischen Dramatikers
George Bernhard Shaw
(1856 – 1950), dem Literatur-Nobelpreisträger von 1926 (und Oscar Preisträger von 1938 für „Pygmalion“),
ist es in Deutschland still geworden.
Nur selten finden sie noch den Weg
auf deutsche Bühnen. Inzwischen ist
Shaw den Freunden des Musiktheaters
fast präsenter als den Literaten. Nicht
allein, dass seine Komödie „Pygmalion“ die Vorlage für eines der erfolg-
MUSIK UND DRAMA
4
Nr. 22 , Juli 2007
und Söhne in Mainz. Er erläutert das
historische Verlagsrecht mit seinen
Unzulänglichkeiten, bishin zu Wagners Schwierigkeiten, den inländischen
Verlegern den vertragswidrigen Verkauf des Verlagsrechts nach Frankreich
und Italien zu erklären, da er das Verlagsrecht für alle Länder und Zeiten
bereits übertragen hatte. Besonders
interessiert haben ihn, Wagner, diese
juristischen Feinheiten ohnehin nicht,
so der Autor.
Wündisch setzt sich intensiv mit dem
Aufführungsrecht der Werke und insbesondere mit der Schutzdauer des
„Parsifal“ auseinander.
In seinen Schlussbemerkungen stellt er
fest: „ Wollte man ein Resumée über
Wagners Verhältnis zum Urheberrecht
reichsten Musicals lieferte – für „My
Fair Lady“. Vielmehr gehören einige
seiner „Gelegenheitsschriften“ zu den
Meilensteinen der Wagner-Literatur.
„Perfekte Wagnerianer“ kennen seine
Einführung zum Ring des Nibelungen, „A perfect Wagnerite“ von 1896
(auf Deutsch unter dem Titel „Ein
Wagner-Brevier“ erhältlich). Schon
der leicht ironische Titel zeigt, wie
weit diese Werkeinführung entfernt
ist von dem nationalistisch-verquasten
Germanentum und Antisemitismus,
die J. H. Chamberlain zeitgleich in die
Wagnerliteratur einführte. Shaws prä-
Natürlich war auch Cosima in den
Rollen der jungen und der alten Partie
stimmlich, jugendlich schmeichelnd
und hochdramatisch spannend in der
Stimme und im Ausdruck, sehr gut
besetzt worden.
Mit dem Chor und der hervorragenden Leistung der Philharmonie
Thüringen unter der Leitung des
GMD Eric Solén war der Abend eine
gelungene Premiere mit hoffentlich
noch vielen und ausverkauften Aufführungen.
Rainer Fineske
ziehen, so erkannte er frühzeitig dessen
Bedeutung für die Verwertung seiner
Werke und seinen Lebensunterhalt –
ohne freilich die Feinheiten tatsächlich
verstehen zu wollen. Die angemessene
Aufführung seiner Werke war ihm ein
Herzensbedürfnis…Getrieben von seinen finanziellen Nöten zeigte er Phantasie bei der Vertragsgestaltung und
suchte nach neuen Verwertungsmöglichkeiten.“
Insgesamt ein exzellenter Artikel, der
in weiten Teilen ohne juristische Fachterminologie auskommt und sich damit auch dem rechtlich unkundigen
Leser gut erschließt.
Die Zeitschrift kann über den Fachbuchhandel bezogen werden, aber
auch in großen Bibliotheken eingesehen werden.
Matthias Spruß
gnante „Übersetzung“ des „Ring“ in
zeitgenössische Situationen und Charaktere der Wagnerzeit ist nicht nur
äußerst unterhaltsam zu lesen, sondern
zeigt uns auch, wie Zeitgenossen Wagners den „Ring“ als politische Parabel
verstanden haben.
Für seine Lesung beim Wagnerverband
am 19. Februar 2007 hatte Hans-Jürgen Schatz nicht diesen Klassiker ausgesucht, sondern weniger bekannte Kritiken und Gelegenheitsschriften G.B.
Shaws über Wagner und die Bayreuther
Festspiele von 1889 und 1894. Shaws
Berichte aus dem Bayreuther Festspiel-
A.Fessmann, H.-J. Schatz, Prof. G. Fürstenau
haus – von ihm auch als „Hörsaal“
beschrieben – sind voller Ironie und
scharfsinniger Beobachtungen.
Für Bayreuth-Besucher, denen es an
Verständnis für den Schlingensief„Parsifal“ mangelt, mag es ein geringer
Trost sein zu erfahren, dass sich auch
der Parsifal-Besucher von 1889 über
die „völlige Ignorierung der Wagnerschen Regieanweisungen“ beschwerte.
Dass der immerhin hell erleuchtete
Gral mit einem offensichtlich elektrischen Kabel verbunden war, dürfte
wohl kaum irgendeinem anti-sakralen
Regiekonzept geschuldet gewesen sein.
Umso überraschender, dass uns dieses
Inszenierungsdetail bisher noch nicht
wieder begegnet ist…
Auf den Spuren Fontanes
A
uch in diesem Jahr wurde die
Sommerpause durch eine erlebnisreiche
Bus-Exkursion
eingeleitet.
Mit Freude genossen wir die landschaftliche Schönheit der Mark Brandenburg,
ihre teilweise wieder rekonstruierten
Herrenhäuser, ihre schmucken Dörfer
mit den sie umgebenden Wäldern und
Feldern, auf denen das golden schimmernde Getreide reift.
War früher alles besser? Bei der „Parsifal“-Aufführung vom 01. August
1894 in Bayreuth täuscht die Begeisterung für das Werk Wagners Shaw
nicht über Mängel der Aufführung
hinweg. „Schmach und Schande“ lässt
er verbal über die Sängerbesetzung ergehen. Dass er beim „Tannhäuser“ nur
ein „Sängerbrüllen“ wahrnimmt, wäre
für uns heute kaum mehr von Interesse, würde nicht der Vergleich mit dem
Gesangsideal in London – auch bei
Wagner-Aufführungen – folgen. Wenn
diese Beobachtung zutrifft, hätte es
damals sehr unterschiedliche Schulen
des Wagnergesangs gegeben.
Während der Wohlklang als Selbstzweck also anscheinend in Bayreuth
keine Priorität hatte, staunt der Londoner Besucher über die Inszenierung des
„Lohengrin“ (besuchte Vorstellung:
8.8.1894). Da diese übrigens von Cosima Wagner stammte – es war das Jahr
der Bayreuther Premiere des Lohengrin – ist Shaws faszinierte und detailreiche Beschreibung, etwa der Chorbewegungen im Finale, eine einzigartige
Quelle zur Aufführungsgeschichte.
Die hellsichtige Beobachtung und
Ironisierung liegt Shaw mehr als die
musiktheoretische Aussage. Was Shaw
anlässlich des 100. Mozart-Geburtstags über die Größe von Komponisten
Leben erweckten. Gestärkt durch duftenden Kaffee und Kuchen erreichten
wir nach kurzer Zeit das Dorf Kleßen.
Auch hier erlebten wir ein „Auferstanden aus Ruinen“, allerdings unter ganz
anderen Voraussetzungen. An das geschmackvoll restaurierte Herrenhaus
schmiegen sich ein Englischer Garten
und ein Märkischer Gutsgarten von
bezaubernder Schönheit. Als wir an
dem geschichtsträchtigen Ort Friesack
vorbeifuhren, erinnerte uns der sachkundige Reiseleiter daran, dass hier
einst die Schlacht gegen Schweden geschlagen wurde und durch das „Edikt
von Potsdam“ (1685) die Ansiedlung
vieler Hugenotten begann. Kleine Meilensäulen rechts und links der guten
Straßen erinnerten an die einstige Präsenz von Brandenburg-Preußen.
Erste Station unserer Reise war das
reizvolle Dorf Ribbeck, durch Theodor
Fontane noch immer im Bewusstsein
vieler Menschen. Hier durften wir sehr
eindrucksvoll erleben, wie Mut und persönliches Engagement eine dem Verfall Nach einer Mittagspause in Stölln,
geweihte alte Feldsteinkirche zu neuem jenem Ort, in dem der Pionier des
zu sagen hat, klingt wunderbar intelligent – ist aber mangels konkreter
Beispiele in der Argumentation kaum
überprüfbar. „Wagner ist größer als
Beethoven, wie Mozart größer als
Haydn war“ – diesen Glauben des 19.
und 20. Jahrhunderts an einen qualitativen Fortschritt in der Kunst hält
Shaw für „Unsinn“ – und verfolgt ihn
dann doch weiter. Shaws Anmerkung,
„Wagner aus zweiter Hand (sei) unerträglicher, weil prätentiöser, als Mozart
aus zweiter Hand“, ist nachvollziehbar.
Debussy, Schönberg, Pfitzner dürfte er
allerdings in seine Betrachtung noch
nicht einbezogen haben und damit
auch nicht hinreichend beschreiben.
Besonders kurzweilig sind diese alten
Zeitungskritiken, wenn sie von HansJürgen Schatz so liebevoll ausgewählt
und zusammengestellt und so präzise
und geistreich vorgetragen werden.
Wenn sie zudem mit etwa gleichzeitig
entstandenen
Wagner-Klaviertranskriptionen von Rubinstein, Busoni
und Liszt kombiniert werden, tritt neben das literarisch-journalistische auch
ein musikalisches Wagner-Bild aus
zweiter Hand – literarische und musikalische Gelegenheitswerke zwar, aber
wertvolle Dokumente der Wagner-Rezeption auf der Schwelle zwischen 19.
und 20. Jahrhundert.
Christian Christiani
Fliegens, Otto von Lilienthal, 1896
tödlich verunglückte, war das nächste
Ziel die über tausendjährige Stadt Havelberg. Die Oberstadt beherrscht ein
wuchtiger Dom, der als dreischiffige
Hallenkirche im gotischen Stil errichtet und über eine prachtvolle barocke
Innenausstattung verfügt. Viele hatten
die Möglichkeit, das Ende des Gottesdienstes mit prachtvoller Orgel- und
vokaler Renaissancemusik zu erleben.
Vor den Toren des ungemein beeindruckenden Sakralbaus erfreute ein
Domfest alt und jung. Unterhalb des
Domes St. Marien findet man die einstige Fischerstadt, sehenswert durch
die alte Stadtstruktur.
Erfüllt von vielen Eindrücken erreichten wir über die „Straße der Romanik“
die nicht minder reizvolle Altmark,
die Wiege Preußens. Das prächtig
restaurierte Schloss Döbbelin mit sei-
Nr. 22, Juli 2007
MUSIK UND DRAMA
5
ner alten Patronatskirche, der Familiengruft und seinem herrlichen Park
waren eine Augenweide. Die Residenz
derer von Bismarck ist der Stammsitz
der Familie und seit über 19 Generationen in deren Besitz.
Nach einem köstlichen Kaffeetrinken
begann die Heimfahrt, am Horizont
grüßten die Kirchtürme von Tangermünde und Stendal, einst prächtige
Hansestädte voller Reichtum, heute
„Tasten Taten Träume“
Hans Pischner im Gespräch mit Karl Klebe
I
m Januar konnte der Richard
Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V. Herrn Prof. Hans Pischner anlässlich der Neuerscheinung seiner
Autobiographie „Tasten Taten Träume“
zu einem Gespräch mit dem Musikjournalisten Karl Klebe begrüßen.
Hans Pischner studierte Klavier und
Cembalo bei Bronislaw von Pozniak
und G. Wertheim sowie Musikwissenschaft an der Universität Breslau.
Von 1933-1939 war er als Musiklehrer und Konzertsolist tätig. Nach dem
Kriegsdienst und sowjetischer Gefangenschaft unterrichtete er ab 1946 an
der Hochschule für Musik Franz Liszt
in Weimar, deren stellvertretender Direktor er 1947 wurde. 1948 ernannte
man ihn zum Professor. Von 19501954 hatte Pischner die Funktion des
Leiters der Hauptabteilung Musik im
Staatlichen Komitee für Rundfunk der
DDR. Danach ging er ins Ministerium
für Kultur, zunächst von 1954-1956
als Leiter der Hauptabteilung Musik
und von 1956-1963 als stellvertre-
Neues von Christoph Schlingensief
Richard Wagner im Urwald
I
n diesem Jahr wird man zum letzten Mal die umstrittene „Parsifal“-Inszenierung von Christoph Schlingensief auf dem Hügel
erleben können. Bayreuth, so scheint
es, ist auch in diesem Falle immer
eine gute Visitenkarte. Vom „Hasifal“ (siehe Musik und Drama Nr. 17,
Seite 2, 2004) ging es für den Regisseur auf seiner unruhigen Suche
nach „Orten, die ihn noch überfor-
MUSIK UND DRAMA
6
Nr. 22 , Juli 2007
ein Anziehungspunkt für Touristen
aus nah und fern.
Diese Reise war die letzte, die unser
nunmehriger Vorsitzender Rainer
Fineske betreute. Es hat – wie stets
– alles vorzüglich geklappt. Zum
wiederholten Male sei ihm Dank und
Anerkennung ausgesprochen.
Johannes Reuther
Der Rheingoldexpress im Spielzeugmuseum in Kleßen
tender Kulturminister unter Johannes
R. Becher. Von 1963 –1984 war Hans
Pischner Intendant der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. In den Jahren
1978 – 1990 leitete er als Präsident den
Kulturbund der DDR. Außerdem war
er Vorsitzender der gesamtdeutschen
Neuen Bachgesellschaft und Vizepräsident der Akademie der Künste der
DDR. Seit 1995 ist er Ehrenpräsident
der Internationalen Gesellschaft zur
Förderung junger Bühnenkünstler
„BühnenReif“ (ISSA) und Gründungsmitglied des Kuratoriums der
Elblandfestspiele Wittenberge.
Hans Pischner gehört zu den bedeutenden Persönlichkeiten im deutschen
Musikleben. Sowohl als Leiter staatlicher Einrichtungen, wie auch als
Cembalist hat er sich einen Namen
gemacht, der international geachtet
ist. Als Intendant der Staatsoper Unter
den Linden erreichte er, dass sein Haus
mit dem anspruchsvollen Spielplan
und dem außerordentlich homogenen
Ensemble weltweites Ansehen gewann.
Die Staatskapelle entwickelte sich wieder zu einem führenden europäischen
Orchester.
dern können“, nun direkt in den Urwald.
Unterstützt vom Goethe-Institut in
Sao Paulo und Rio de Janeiro sowie
der Kulturstiftung des Bundes wurde
im April im wohl ungewöhnlichsten
Opernhaus der Welt, dem Teatro
Amazonas in Manaus/Brasilien, „der
Fliegende Holländer“ in Schlingensiefs
bekannter Art und Weise inszeniert.
Die vielfältigen und sehr unterschiedlichen Pressestimmen können
August Everding sagte über Pischner,
er sei ein Glücksfall unter den deutschen Opernintendanten.
Im Gespräch mit Karl Klebe zeigte sich
eine große Persönlichkeit, die viel zu
erzählen hatte, der man aufmerksam
zuhörte und an deren Lebensgeschichte man auch gerne Anteil nahm. Die
Zeit war viel zu kurz, um einen Bogen
über die vielen Jahre der „Musik und
Politik zwischen Utopie und Realität“
zu schlagen.
Selbstkritisch sagt Hans Pischner
über sich: “In gewisser Weise war ich
ein Träumer, habe mich täuschen, als
Galionsfigur benutzen lassen. Idealen
nachhängend und vom Kriegsleben
gezeichnet, war ich, geblendet von der
Aufbruchstimmung nach der Befreiung, vom Glauben beseelt, inmitten
widriger Umstände Gutes ausrichten
zu können – wer will das beurteilen?“
Die Autobiographie ist im Henschel
Verlag, Berlin 2006, 240 Seiten, gebunden erschienen.
Matthias Spruß
hier nicht ansatzweise wiedergegeben werden. Um insbesondere einen
bildhaften Eindruck des Geschehens
zu erhalten und vielleicht zum Verstehen, empfehle ich neben den bekannten Fachzeitschriften den ungewöhnlichen Bericht von Marc Fischer
in Vanity Fair (Nr. 17, Seite 112 ff.,
2007) mit Fotos von André Vieria.
Möge sich jeder sein Bild machen.
Matthias Spruß
Neue Wege zum Wagnerdenkmal
N
achdem die Gartenbauarbeiten im südlichen Tiergarten abgeschlossen worden
sind, ist das Wagnerdenkmal an der
Tiergartenstraße auf neuen Wegen,
auch vor oder nach einem Konzertbesuch in der Philharmonie, wieder
gut zu erreichen.
Der Bildhauer, Maler und Dichter
Gustav Heinrich Eberlein (18471926) schuf 1903 die Marmorskulptur für den Komponisten Richard
Wagner. Sie misst sechs Meter in
Länge, Breite und Höhe. Den Sockel
bildet ein tempelartiges Haus mit
umlaufenden Stufen. Auf einem Sessel mit Sphinx-Armlehnen ist Wagner
sitzend dargestellt, mit Notenblättern
in der Hand. Am Sockel befinden
sich vier Figurengruppen, die sich auf
Opern des Komponisten beziehen:
„Tannhäuser“, „Götterdämmerung“,
„Rheingold“ und „Parsifal“.
Ein Besuch, der sich bei sommerlichen Temperaturen lohnt.
Matthias Spruß
Romantisches bei Wagner?
D
rei Opern – „Die Feen“ ,
„Der fliegende Holländer“
und „Lohengrin“ tragen die
Signatur „Romantische Oper“; „Tannhäuser“ wird als „Große Romantische
Oper“ bezeichnet. Hiernach sind beide Worte – „romantisch“ und „Oper“
– getilgt 1. Nicht aber die Sachverhalte!
Zum einen haben Elemente der Oper 2
ihren Platz in jenen Werken, die Wagner als „Drama“, als „Handlung in
Musik“, als „Bühnenfestspiel“, als
„Bühnenweihfestspiel“ überschreibt;
die „Meistersinger“ gar wollte er ursprünglich als „Oper“ signieren. Zum
anderen sind Grundvorgänge frühund hochromantischer Poesie, Malerei, erst recht die des früh- und hochromantischen Theaters (also nicht nur
der Oper), gegenwärtig bis in die letzten Werke hinein 3.
I. Was damit gemeint sein könnte,
habe ich in meinem Aufsatz über
Wagners Oper „Die Feen“ 4 erörtert.
E. T. A. Hoffmann, in seiner Novelle
„Der Dichter und der Komponist“ 5,
brachte sie auf wenige, aber sehr beredte Begriffe: „Feen, Zauber, Wunder, Verwandlungen“. Seit Friedrich
von Hardenbergs (Novalis`) „Hymnen
an die Nacht“, seit Friedrich Schlegels
„Lucinde“ ist von bergendem Dunkel,
von nächtlicher Liebe die Rede, von der
Flucht aus prosaischer Tageswelt, seit
E. T. A. Hoffmanns „Die Bergwerke
von Faloun“ vom Weg in die Tiefe der
1
2
3
4
5
Erde, ins ewig Dunkle, in den Tod,
der allein die Jugend des Suchenden
bewahrt.
„Wunder, Verwandlungen“ sind gerufen als Eingriffe, um Bestehendes zu
verändern, oder, wenn dies unmöglich
ist, in Unruhe zu versetzen, durcheinander zu wirbeln. Oder um es aufzubrechen, damit sichtbar werde, was der
Tag verbirgt oder verdrängt! Eingriffe
bieten Wege ins „Andere“, zugleich
sind sie Vergrößerungsgläser, darin
Bestehendes überdeutlich wahrnehmbar wird. Beides nun ist ineinander
Das gilt sowohl für die Werke als auch für das Schrifttum – gelegentlich wird der Begriff „romantisch“
pejorativ verwendet.
Sowohl des italienischen Melodrama lirico, der deutschen „Romantischen“ Oper als auch der Pariser
Großen Oper: Gerade sie wirkt bis in Szenen der „Götterdämmerung“ hinein. Vgl. hierzu der Festvortrag
von Jürgen Maehder auf dem Internationalen Wagner-Kongress in Berlin und das Kapitel „Wirkung ohne
Ursache“ meines Buches Richard Wagner – Nachdenken über sein Gewebe (Berlin 2001)
Zur literarischen Romantik vgl. u.a. Helmut Schanze (Hrsg.) Romantik-Handbuch, Stuttgart 1994
Abgedruckt in der Zeitschrift Musik und Drama Nr.15, Seite 7, Dezember 2003
Bestandteil seiner Novellen-Sammlung „Die Serapionsbrüder“. Die Novelle „Der Dichter und der
Komponist“ nimmt unmittelbar Bezug auf die preußischen Kämpfe gegen Napoleon Bonaparte.
Nr. 22, Juli 2007
MUSIK UND DRAMA
7
verschränkt: Der Weg ins „Andere“
schlägt um in die Einkehr ins vergrößerte, grell ausgeleuchtete „Eine“ – ins
Bestehende, nur dass ihm alle Vertrautheit, alle Gemütlichkeit abhanden
gekommen ist. Dies nun reagiert auf
gesellschaftliche Verhältnisse, die sich
für sensible Menschen als zunehmend
unerträglich erweisen 6: Auf feudalständische Hierarchien, kleinkarierte
Bürgerlichkeit inmitten der Städte, zugleich auf Prozesse, die Wolfgang Heise einst als „schleichende Kapitalisierung“ bezeichnet hat, im Bergbau und
auf dem Büchermarkt sind sie zu besichtigen; vom Bergbau mochte Friedrich von Hardenberg, der Neffe eines
Bergbauingenieurs, etliches verstehen,
und die Warenproduktion auf dem
Büchermarkt faszinierte, erschreckte
nicht nur den jungen Jean Paul.
Ganz nebenbei: Bereits zu Beginn
des neunzehnten Jahrhunderts hatten
Kitsch-Romane Hochkonjunktur; in
ihnen wurden buchstäblich alle Ideale
der Aufklärung und der Frühromantik
Darin hat Kitsch sein Recht,
er ist bitter ernst zu nehmen
gestern, heute, morgen
in Serie gebracht, verhökert – dies reagiert auf Bedürfnisse des Marktes bzw.
der Warenproduktion und auf Bedürfnisse riesiger Leserscharen. Kitsch war
und ist der Versuch, diese unterschiedlichen Bedürfnisse miteinander zu vereinen, der Versuch, Scheinantworten
zu geben auf wirkliche, bislang unbeantwortete Fragen; darin hat Kitsch
sein Recht, er ist bitter ernst zu nehmen gestern, heute, morgen 7. Dass er
nicht nur in sogenannter Trivialliteratur, in sogenannten Unterhaltungskünsten zuhause ist, versteht sich fast
von selbst; auch Romantische Lieder,
Klaviermusik, Opern, noch Wagners
Dramen sind davor nicht gefeit, und
das muss nicht gegen sie sprechen.
Zurück zu den Vokabeln frühromantischer Poesie, vor allem zu den Bildern der Nacht. Auch sie sind gerufen
gegen das Bestehende, sind Eingriffe,
Orte des „Anderen“, zugleich Vergrößerungsgläser, darin das „Eine“ überdeutlich wahrzunehmen ist. Kaum
einer hat es deutlicher ausgesprochen
als E. T. A. Hoffmann in seiner No-
MUSIK UND DRAMA
8
Nr. 22 , Juli 2007
velle „Nussknacker und Mäusekönig“
– vor allem, wenn er zeigt, wie honorige Bürger sich in Vögel verwandeln
oder, bei genauerem Hinsehen, als Vögel erkennbar sind. Und wenn er zeigt,
dass die Akteure und Begebenheiten
der Nacht unversehens auf die Tagwelt übergreifen – der Nussknacker
erscheint als Prinz, er wünscht Marie
als Braut, zieht mit ihr ins „Andere“!
Nicht minder deutlich artikuliert es
Carl Maria von Weber, und dies nicht
nur in den grausigen Visionen der
Wolfsschlucht. 8
Stehen hier wie dort solche Ereignisse,
Bilder der Nacht ein für all das Verdrängte der Tagwelt, sind sie angefüllt
mit Grauen, so stehen andere Bilder,
Ereignisse der Nacht ihnen entgegen:
Sie verheißen Geborgenheit, Schutz,
Liebe ohne all jene Grenzen, die ihr
in der feudalen und bürgerlichen Tagwelt gesetzt sind, Lösung aller Fesseln,
Erlösung. Aber auch darin walten Vergrößerungsgläser – in ihnen werden
Sehnsüchte wahrnehmbar, die sich
durch die Zwänge der Tagwelt nicht
ausmerzen lassen; in ihnen zeigt sich,
dass Menschen in ihrem sozialen Wesen nicht aufgehen, dass jedem Menschen gegeben ist, Grenzen zu übersteigen, und sei es im Traume, oft im
gleichen, der ihm das Bestehende übergroß, unüberwindlich präsentiert.
Doppelsinnig also sind Bilder, Visionen der Nacht, doppelsinnig die
Träume, doppelsinnig alle Versuche,
zu sich zu kommen. Doppelsinnig sind
denn auch viele Grundvorgänge der
Romantik, doppelsinnig ihre Bilder
und Begriffe in der Malerei, Literatur,
im Theater, in der Musik, also auch in
der Oper.
Das hat Konsequenzen für die Werke,
für ihre Sprachgefüge: Einerseits werden ganz verschiedene Künste so ineinander gefügt, dass die Unterschiede,
6
7
8
Grenzen zwischen ihnen verfließen
(oder zu verfließen scheinen! In der
„Anschauung des Ganzen“, so Carl
Maria von Weber 9, ereignet sich dies.).
Mehr noch, die miteinander vereinten Künste sollen das Leben in sich
aufnehmen, Leben in Kunst verwandeln. Wiederum gilt es, Kunst, d. h.
die miteinander bruchlos vereinten,
verschmolzenen Künste, ins Leben zu
überführen – freilich nicht ins prosaische, sondern ins illusionäre! Solcher
Absicht gehorcht, im Theater, auch in
der Oper, der Schritt in die illusionistische Bühne, in szenische Welten, die
pure Wirklichkeit vortäuschen. Dass
E. T. A. Hoffmann derlei Wunschbilder immer wieder artikuliert, wendet sich gegen den Theater-Alltag mit
all den unübersehbaren Defekten,
Pannen, die in unzähligen Witzen
überwintern, gegen Schmiere, und
voll Sarkasmus geißelt er Häuser auf
der Bühne, die bestenfalls von Liliputanern bewohnt werden können, von
Türen, die sich plötzlich öffnen, durch
die man die behaarten Beine von Bühnenarbeitern sieht 10.
Es sind aber jene Defekte, Risse,
Sprünge, die ganz andere Theatervisionen auf den Plan rufen: „Der gestiefelte Kater“ von Ludwig Tieck hat
sie aufs Drastischste umgesetzt – nicht
sollen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Kunst, zwischen den Künsten selbst, zwischen den einzelnen
Es sind aber jene Defekte,
Risse, Sprünge,
die ganz andere Theatervisionen
auf den Plan rufen
szenischen Vorgängen verfließen; statt
dessen gilt es, Brüche, Sprünge ins
Offene zu rücken, szenische Vorgänge aufzubrechen, Grenzen zwischen
Kunst und Leben kenntlich zu machen
als Widerparte, die sich unentwegt ins
Gehege kommen 11. Was Tieck hier
Vgl. hierzu Wolfgang Heise, Realistik und Utopie, Berlin 1982
Vgl. hierzu mein Versuch Aufbrüche in den Kitsch? In: Musik und Gesellschaft 2/ 1990
In Webers Oper „Der Freischütz“ ausdrücklich als Finale bezeichnet: In der Tat werden Ereignisse zweier
Aufzüge befremdlich zusammengefasst.
9 In einer Notiz über die Oper „Undine“ von E. T. A. Hoffmann: Die einzelnen Teile verschwinden in der
„Anschauung des Ganzen“.
10 So in seiner Novelle „Der vollkommene Maschinist“. Zur tragischen Ironie der Geschichte gehört, dass
während der Bayreuther Premiere des „Rheingold“, im zweiten Bild, der Prospekt sich zu früh hebt und
Bühnenarbeiter statt der hehren Götterburg Walhall zu sehen sind.
11 Nicht nur folgt auf der Bühne eine Absurdität der anderen, sondern das Publikum erobert sich in
erbitterten Repliken aufs Vorgeführte die Bühne; sie lassen die Vorstellung buchstäblich platzen!
versucht – er ist nicht der Einzige! – ,
wird Brecht in den zwanziger Jahren
unterm Segel des Epischen oder Dialektischen Theaters aufnehmen. Fast
aufs Gleiche laufen jene Grotesken
hinaus, die Carl Maria von Weber in
seinem Romanfragment „Tonkünstlers Leben“ 12 versammelt – vor allem
die Karikaturen deutscher Oper und
„romantischer Schneider“, die ihr zum
gebrochenen Leben verhalfen: Von
überall hergeholt sind die als „romantisch“ bezeichneten Szenensplitter,
unübersehbar sind Risse, Sprünge zwischen ihnen, und was hier zusammen
kommt, wird durch Übertreibung ins
Lächerliche gezerrt. Weniger lächerlich
geht es in der Wolfsschlucht zu, aber
auch und gerade hier werden musikalische Gebilde auseinander genommen,
durchleuchtet, damit ihre Bestandteile
und deren brüchige Verfügung ins
Hörbare rückt! Doppelsinnig ist das
Wolfsschlucht-Theater nun darin, dass
es beide Wege beschreitet: Den der totalen Verschmelzung aller Künste, darin eine jede Kunst Eigenschaften der
anderen erhält, den der Illusion eines
unteilbar Ganzen, den der Erhebung
der Kunst ins illusionär Wirkliche,
zugleich den Weg gnadenloser Desillusionierung, offen gelegter Risse, Brüche, des unentwegten Auseinanderbrechens. Gehorchen die Szenen aus
„Tonkünstlers Leben“ der Ironie, so ist
nicht sicher, wo in der Wolfsschlucht
die Ironie einsetzt – Ironie, die uns im
Finale der zweiten Sinfonie, im grotesken Ballspiel mit „klassischen“ Formulierungen, begegnet, erheitert oder
erschreckt.
Doppelsinnig, doppelbödig ist „Romantik“ insgesamt, und wer sie auf
die „magere Schnur einer einzigen
durchgehenden Idee“ 13 zu bringen
sucht, könnte das Eigentliche verfehlen. Was immer darin sich an Illusionen versammelt – an bruchloser
Harmonie des Ganzen oder in seiner
„Anschauung“ 14, an glückseligen
Träumen, an Fluchtbewegungen aus
der Wirklichkeit, zunehmend an Idyllenbildern –, wird harsch gekontert,
ins Gegenteil verkehrt. In übergroße
Bilder des Wirklichen mit all seinen
Rissen, Sprüngen, Widersprüchen.
Es könnte sein, dass „Romantik“ und
„Realismus“ einander nicht so feindlich gegenüber stehen, wie unzählige
Literatur-, Kunst-, Theatergeschichten
es weismachen wollten. Vielleicht ist
Romantik Realismus besonderer Art
– zumindest angemessen einer Zeit,
die sie hervor gebracht hat.
II. „Wagner ist Romantiker“ – so sagte
es die Regisseurin Ruth Berghaus im
Jahre 1979, als sie ihre Inszenierung
des „Rheingold“ im Besucherrat der
Staatsoper Berlin verteidigte. Und
gleich danach: „Wagner hat gekämpft
lebenslang, manchmal verdeckt, aber
er hat gekämpft“.
Beides gehört zusammen: Romantik
und „Kämpfen“, d. h. Widerstehen bis
zur offenen Rebellion. Und es gehören zusammen viele Illusionen, denen
er im fast unentwegter Abwechselung
aufsitzt (Irrtümer inbegriffen!) und
ihr Gegenteil: Scharfsichtige Analysen
des Bestehenden, um es auseinander
zu nehmen, zu durchleuchten, Risse
Beides gehört zusammen:
Romantik und „Kämpfen“
aufzuzeigen, die ansonsten verdeckt
werden. Beides nun, die unentwegte
Illusionierung und ihr Gegenteil,
wirkt bis in jede Einzelheit der Werke
hinein: In das So und nicht Anders
der Akteure, in die szenischen und
musikalischen Vorgänge, in das Gewebe der Künste, in die Sprachgefüge! Dies festzuhalten ist einem relativ
kurzen Aufsatz nicht möglich. Wenige Verweise müssen genügen.
Da ist es in der Oper „Der fliegende
Holländer“ der Zusammenstoß verschiedener Welten: Die Welt des Kaufmanns Daland, der Mädchen an den
Spinnrädern, die Welt des Jägers Erik,
Sentas Welt, Sentas Träume, die Welt
der Seeleute auf der einen Seite (es sind
durchaus verschiedene, ineinander
sehr brüchig verfügte Welten!), die
Welt des Holländers, die Welt seines
Gefolges auf der anderen (wiederum
nicht auf einen Nenner zu bringen).
So unvereinbar diese Welten, so wenig
stehen sie bloß nebeneinander. Kommen sie miteinander ins Gespann, so
12
13
14
15
durchdringen sie sich zunehmend: Sie
verfremden, ja, verletzen, beschädigen
sich wechselseitig.
Dalands übersteigert geschäftiges Tun
resultiert nicht unwesentlich aus der
Begegnung mit dem Holländer, und
sei es mit den Schätzen, die das Geisterschiff enthält: Also taumelt er von
einer „Redeweise“ zur anderen, verwandelt er sich in einen Hausierer, der
seine Waren im Bauchladen vor sich
Was versucht
oder aufgenommen wird,
zerbricht sogleich.
her trägt und sie anbietet wie Sauerbier 15; also fällt er buchstäblich mit der
Tür ins Haus, überfällt er die Tochter
mit seinem Ansinnen, sie möge den
Fremden nicht nur wohlgefällig aufnehmen, sondern heiraten. Wiederum
versucht der Holländer sich in Dalands
Ton, ohne dass er darin sich ganz zurecht findet. Was versucht oder aufgenommen wird, zerbricht sogleich.
Ganz anderen Zuschnitt haben jene
Risse, Sprünge, die Senta bewältigen
muss: Als Tochter, die den Vater erwartet und vor jedem Fremden sich
ängstigt, weil er sie aus ihren Träumen
reißt in prosaische Ehe, als Träumerin,
die dem Alltag in seiner Enge entfliehen möchte, zunehmend am Bild des
Holländers, an Erzählungen über sein
Schicksal haften bleibt. Wird sie zur
Grenzgängerin, so muss sie all das zerbrechen, was sie bislang fest hielt. Auch
die Regelwerke jener Ballade, die sie
viele Male hörte, um sie hier und jetzt
und endlich selbst zu singen: Versucht
sie die Geschichte des Holländers,
seiner Verdammnis, der vergeblichen
Suche nach Erlösung zu erzählen, so
verstrickt sie sich im Erzählten: Gleich
zu Anfang, wenn sie die Rufe der Holländer-Mannschaft imitiert, wiederum
im zweiten Teil der Strophe, wenn sie
das Geheul des Sturmes aufnimmt,
ja, in den Sturm sich verwandelt, im
Refrain, wenn sie zu beten anhebt.
Senta ist Erzählerin, also BalladenSängerin im engeren Sinne, insofern
Geschrieben kurz vor dem „Freischütz“ – also gibt es interne Beziehungen zwischen beidem!
Goethe zu Eckermann im Gespräch über „Faust“.
Vgl. Anmerkung 9
In diesem Falle bietet er dem fremden, reichen Holländer seine Tochter an.
Nr. 22, Juli 2007
MUSIK UND DRAMA
9
sie den Erzähl-Ton vieler Balladen des
achtzehnten und frühen neunzehnten
Jahrhunderts aufnimmt; im nächsten Augenblick jedoch ist sie Natur,
Sturm, Schiff, personifiziertes Heulen,
Ächzen, Klagen, hernach kniet sie vor
einem imaginären Altar, im Gebet um
Erlösung für den Verdammten. Dass
sie hin und her taumelt zwischen Epischem und Dramatischen, zwischen
verschiedenen Sphären des Erzählens,
Handelns, zwischen verschiedenen
Existenz-Weisen, kehrt sich gegen die
einzelnen Sphären selbst: Eine jede
Sphäre birgt seltsame Wege, wird zunehmend rissig.
Stehen die verschiedenen Teile
zueinander fast quer,
so verlagert sich ihr Widerstreit
ins Einzelne
Um dies zu erläutern: Da gibt es,
gleich im ersten Teil der Strophe, befremdliche Tonarten-Schritte – von
g-moll unversehens nach A-Dur, also
weit über die erhoffte Zwischenstadion D-Dur hinaus. Der zweite Teil, das
Sturmesheulen, kann hier unmittelbar
einsetzen, um jäh auszubrechen – in
grelle Dissonanzen rings um fis-moll
(nicht A-Dur!) -, alsbald taumelt er zurück ins vormals ausgesparte D-Dur:
Hier wie dort gibt es kein tonales Zuhause, nichts, worin man sich verber-
gen kann. Erst der dritte Teil, das Gebet, verheißt Einkehr (B-Dur), um sie
zurück zu nehmen. Als ob die andächtig Betende heraus gerissen, zurück geworfen werden soll in den Sturm, den
sie vergeblich erzählend zu bewältigen
sucht! Stehen die verschiedenen Teile
zueinander fast quer, so verlagert sich
ihr Widerstreit ins Einzelne, bis in die
einzelnen Motive hinein, die ihrerseits
fast alle aus dem Signalruf der Holländer-Mannschaft (aus der sogenannten
„Holländer-Quarte“) und aus dem
Schmerzmotiv (d. h. aus dem kleinen
Schritt abwärts!) sich herleiten lassen:
Wo aber beides, der Signalruf und das
Schmerzmotiv zusammen kommen,
gibt es keine Ruhe. Senta, von einer Situation zur anderen gehetzt, bricht zusammen – betroffen übernehmen die
Mädchen das Gebet –, um auszubrechen, diesmal endgültig: Sie wird den
Holländer erlösen, und wenn sie daran
zerbricht. Sie wird zerbrechen, wird
aufstehen in einer anderen Welt, wird
den Holländer an die Hand nehmen
auf dem Wege ins „Andere“ – zu Gott,
der die unversöhnten Widersprüche
miteinander versöhnt, die ungeheilten,
unheilbaren Wunden heilt, zusammen
bringt, was bislang auseinander getrieben, gerissen ward?
In dieser Szene (nicht nur in dieser!)
versammeln sich verschiedene Momente des „Romantischen“: Träume,
Visionen des „Anderen“, Wege aus dem
Bestehenden, mannigfache, oft genug
das Mögliche überbietende Versuche,
sie zu gehen, und sei es um den Preis
des Scheiterns, ja, das Scheitern selbst
und sein Gegenteil, beides zusammen,
Illusionen (ohne die niemand je existieren kann) und ihr Gegenteil, mehr
oder minder vage Ahnungen eines
(unerkennbaren?) Ganzen und grelles
Ausleuchten der (allzu bekannten,
allzu sehr durchschauten!) Einzelheit.
Hier, wie in anderen Szenen, hat sich
jene Schaukel zwischen Ahnung des
Ganzen (des Absoluten) und Erkenntnis des Einzelnen aufgetan, auf der den
Schaukelnden „schwindlicht“ wird. 16
Solch romantische Schaukel mitsamt
ihren „schwindlichten“ Insassen ist
denn auch andernorts auffindbar – in
Wagners „Tannhäuser“, „Lohengrin“,
erst recht in seinen späten Dramen:
Sie haben ohnehin in sich aufgesogen,
was die früheren, noch als „Oper“ signierten Werke entwickelten – weltanschaulich und dramaturgisch, also
auch musikalisch!
Gerd Rienäcker
16 Vgl. hierzu Manfred Frank, Unendliche Annäherung. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik,
Frankfurt/M 1997, Seite 925 ff.
Uwe Faerber: Ersichtlich gewordene Taten der Musik. Musikalische Ausdrucksbestimmungen in Wagners Ring
Peter Lang. Europäischer Verlag der Wissenschaften Frankfurt / Main, Berlin, Wien etc. 2003
„M
an schien sich damit zu
begnügen, in der Wagnerschen Musik bestenfalls das primäre Ausdrucksmittel
des Dramas zu erblicken, wobei der
jeweilige Gegenstand des musikalischen Ausdrucks durch die Textdichtung bestimmt wird bzw. sich
aus ihr ergibt. Wie aber die Musik
nicht nur ihr Spannungsgeschehen
hörbar auf uns überträgt, sondern
darüber hinaus so wirken kann, dass
sie die von ihr gestalteten Ausdrucksgegenstände nach dem Hören auch
noch für uns sichtbar werden lässt,
war bisher kein Anlass für detaillierte
Untersuchungen. So ist bis zum heutigen Tage nicht klar, was Wagners
Vorstellungen von den ersichtlich gewordenen Taten der Musik für seine
MUSIK UND DRAMA
10
Nr. 22 , Juli 2007
Klangschöpfungen eigentlich bedeuten.“ (Seite 7)
Uwe Faerber, seit vielen Jahrzehnten
mit Wagner befasst, verspricht Abhilfe: Durch ein ausführliches Vorwort,
durch eingehende musikpsychologische Exkurse, schließlich durch
die Beschreibung nachgerade unzählbarer dramatischer Situationen,
deren Musik befragt wird. Etliches
ist angesprochen: Die Mehrstufigkeit
musikalischer Wirkung, Raum und
Zeit in der Musik, Bewegungen und
Stauungen, die Assoziationshaftigkeit
von Bewegungsformen etc.
Von hier aus können einzelne Leitmotive und ihre Konfigurationen
beschrieben und danach abgefragt
werden, was sie für sich und im Zusammenhang mit der szenischen
Situation mitteilen. Mit Faerbers
einfühlsamen Beobachtungen sich
eingehend zu beschäftigen sollte
Dramaturgen und Regisseuren von
Nutzen sein – diesseits und jenseits möglicher Inszenierungen der
„Ring“-Tetralogie. Dass einige seiner
Beschreibungen, Deutungen durchaus zutreffen, gehorcht Wagners
theatralischem Gespür, darüber hinaus jenen Traditionen, in denen er
komponiert: Traditionen barocker
und nachbarocker Rhetorik, Traditionen der Figurenlehre, denen zufolge
melodische und harmonische Wendungen als Rede-Weisen, Gesten zu
verstehen sind; Traditionen des „redenden Prinzips“ in der Musik, um
eine Wortwendung von Carl Philipp
Emanuel Bach aufzunehmen. (Am
Rande sei vermerkt, dass alle diese
Traditionen ihren Dreh- und Angelpunkt im Theater, in der Oper, in
theatralischen Szenen der Oratorien,
Kantaten und geistlichen Konzerte
haben – im Barock und danach!
Dem Theater verdankt sich in letzter
Instanz die Bedeutsamkeit musikalischer Rede, musikalischer Gesten.
In und mit dem Theater ist Richard
Wagner groß geworden!)
Szene, genauer: Klang, Bild, Raum,
Farbe, Bewegung etc., Probleme der
Synästhesie und der Synmodalität
– wie ungesichert jedoch das Terrain
darauf bezogener Forschungen ist,
haben Seminare und Konferenzen
der letzten Jahre kenntlich gemacht.
Und doch kommen Fragen auf – sie
beziehen sich auf Faerbers Prämissen,
auf seine Deutungen, vor allem auf
die Bestimmtheit, mit der sie vorgetragen werden:
Des weiteren: Wenn es um ersichtlich gewordene Taten der Musik
geht, ist nicht nur nach möglichen
Ausdrucksgehalten einzelner Gebilde, sondern ganz wesentlich nach
kompositionstechnischen
Verfahrensweisen zu fragen. Das gilt für
alle Bestimmungen des So und nicht
Anders der Grundthemen , für alle
Bestimmungen ihrer konstitutiven
Parameter und der Modalitäten ihrer
Verarbeitung im Spannungsfeld von
Beharren und Verändern (Am Rande
vermerkt: Wagner hat den von Wolzogen eingeführten Begriff „Leitmotiv“
weder benutzt noch akzeptiert; statt
dessen spricht er vom „Gewebe der
Grundthemen“ – beides, „Gewebe“
und „Grundthema“ ist ernst zu nehmen!). Das gilt für alle Erörterungen
zur Satztechnik, erst recht zur Orchestration, zur Formbildung usw. usf..
Inwieweit lassen Assoziationsfelder
musikalischer Gebilde sich so eindeutig festmachen, wie der Autor
es meint? Neuere Musikpsychologie weiß es anders; ihr stehen wahre
Dickichte sogenannt außermusikalischer Gegebenheiten vor Augen,
von denen emotive (und, bitte schön,
auch rationale!) Wirkungen der Musik abhängen. Was Musik ist, was sie
bedeutet, was von ihr ausgeht, lässt
sich nicht anders denn historisch
konkret und in vielschichtigen sozialen, kulturellen Kontexten bestimmen. Hinein spielen, aufgrund des
Zusammenwirkens von Musik und
Dies alles muss Faerbers Beobachtungen nicht entgegenstehen; nur
wäre ihnen gelegentlich der Konjunktiv anzuraten, damit das Hypothetische kenntlich wird.
Und es gilt für die Bestimmung sehr
unterschiedlicher Zusammenhänge
szenischer und musikalischer Dramaturgie.
Zu alldem nun gibt es bedeutende
musik- und musiktheaterwissenschaftliche Arbeiten – erinnert sei
vor allem an die von Claus Steffen
Mahnkopf und Richard Klein initiierte und mit eindringenden Analysen versehene Anthologie „Richard
Wagner. Konstrukteur der Moderne“. Hat Uwe Faerber dergleichen
zur Kenntnis genommen? Es wäre
seinem Anliegen, seinen Befunden
sehr nützlich gewesen. Es gibt wenig
Literaturangaben, und schon dies befremdet. Und es stehen Diskrepanzen
zwischen Beabsichtigtem und Eingelöstem im Raume, die der Rezensent
nicht unerwähnt lassen möchte: So
innovativ, wie der Uwe Faerber vorgibt, sind Anliegen, Fragestellungen
und Befunde nicht!
Gerd Rienäcker
Vorankündigung
Montag, 17. September 2007
Tertianum-Residenz
Passauer Straße 5-7
17.00 Uhr Jour- fi xe, anschließend
18.00 Uhr „Herrin des Hügels“
Oliver Hilmes stellt sein Buch über
das Leben der Cosima Wagner vor.
Oliver Hilmes
© Maximilian Lautenschläger
Alle weiteren Termine entnehmen
Sie bitte unserer Halbjahresübersicht auf der Homepage.
Nr. 22, Juli 2007
MUSIK UND DRAMA
11
Wir über uns
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts
gab es Interesse an der Gründung einer
Richard-Wagner-Stipendienstiftung,
aus der die ersten Richard Wagner
Verbände 1908 hervorgingen. Der
Berliner Verband konstituierte sich
dann im Jahre 1909. Inzwischen gibt
es weltweit über 120 Richard Wagner
Verbände in über 40 Ländern.
Wir, der Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V., wollen das Verständnis für das Werk Richard Wagners
wecken und vertiefen, das künstlerische
Leben in Berlin mitgestalten und den
künstlerischen Nachwuchs fördern.
Darüber hinaus unterstützen wir die
auf Wunsch Richard Wagners gegründete und in Bayreuth bestehende
Richard-Wagner-Stipendienstiftung
und setzen uns im Sinne Richard
Wagners für den Fortbestand der
Bayreuther Festspiele ein.
Die Durchführung wissenschaftlicher
Vorträge zum Werk Richard Wagners,
aber auch zu anderen Themen der
Musikkultur, bilden einen weiteren
Schwerpunkt der Arbeit. Auch die Unterstützung von Forschungsvorhaben,
speziell an Berliner Hochschulen und
die Förderung künstlerischer Vorhaben, vorrangig an Opernhäusern Berlins, sehen wir als unsere Aufgabe an.
Wir führen in der Regel einmal im
Monat eine Veranstaltung durch, wo
wir zunächst ungezwungen über aktuelle Ereignisse diskutieren und den
persönlichen Kontakt pflegen. Anschließend haben wir Künstler oder
Wissenschaftler zu Gast, deren Vorträge sich überwiegend mit dem Werk
Richard Wagners befassen.
Wir reisen zu interessanten Opernaufführungen und veranstalten Konzerte
mit unseren Stipendiaten.
Unsere Ehrenmitglieder sind:
Ks. Theo Adam
Luci Brauer
Prof. Götz Friedrich †
Ks. René Kollo
Deborah Polaski
Christian Thielemann
Impressum
Musik und Drama Nr. 22, Juli 2007
Herausgeber
Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V.
MUSIK UND DRAMA
12
Nr. 22 , Juli 2007
AUFNAHMEANTRAG
Ich beantrage die Mitgliedschaft
im Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e. V.
Ich zahle:
den satzungsmäßigen Mindestbeitrag von:
€
sowie jährlich eine freiwillige Spende von:
€
Familienname:
Vorname:
Straße, Nummer:
PLZ, Ort:
Geburtsdatum:
Telefon:
Fax:
E-Mail:
Ich bin mit der Aufnahme der o. g. Daten
in das Mitgliederverzeichnis einverstanden:
Datum:
Unterschrift:
Sollten wir auch Ihr Interesse am
Richard Wagner Verband BerlinBrandenburg e. V. geweckt haben,
füllen Sie bitte das obenstehende Beitrittsformular aus und schicken es an
die angegebene Adresse.
Jährliche Beitragssätze:
Mitglieder
Studenten, Auszubildende,
Erwerbslose
Jur. Personen (Institutionen)
40 €
25 €
100 €
Diese Sätze reichen für die Deckung der
Kosten nicht aus, daher bitten wir unsere Mitglieder, über den Mindestbeitrag
hinaus eine jährliche Spende zu leisten.
Redaktion
Matthias Spruß
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben
die Meinung des jeweiligen Autors wieder.
Kontakt:
Den Aufnahmeantrag sowie weitere
Korrespondenz richten Sie bitte an den:
Richard Wagner Verband
Berlin-Brandenburg e. V.
Helmstedter Str. 12
10717 Berlin
Tel
Fax
Mail
Web
030 864 23 674
030 864 23 695
[email protected]
www.wagnerverband-berlin.de
KTO 256 169 101
BLZ 100 100 10
Postbank Berlin
Gestaltung und Satz
Ulrich Puhlfürst
[email protected]
Herunterladen