MUSIK und DRAMA Mitteilungen des Richard Wagner Verbandes Berlin-Brandenburg e.V. Jahrgang 2007, Nr. 22, Juli 2007 Editorial „Nicht nur Salome und Elektra“ von Matthias Spruß Kammersängerin Inge Borkh im Gespräch mit Klaus Geitel Liebe Mitglieder, liebe Leserin, lieber Leser, am 19. März 2007 haben die Mitglieder des Richard Wagner Verbandes BerlinBrandenburg e.V. einen neuen Vorstand gewählt. Mit großer Mehrheit wurde Herrn Rainer Fineske das Vertrauen ausgesprochen, als neuer 1. Vorsitzender für die kommenden drei Jahre die Vereinsgeschäfte erfolgreich zu lenken. Auch alle weiteren Vorstandsmitglieder wurden in ihrer jeweiligen Funktion mit großen Mehrheiten von der Mitgliederversammlung bestätigt. Der neue Vorstand des Richard Wagner Verbandes e.V.: 1. Vorsitzender Rainer Fineske 2. Vorsitzende Angelika Fessmann Dieter Kahle Schriftführer Schatzmeister Dr. Rüdiger Vogler Sonderaufgaben 1 (Red. Musik und Drama) Matthias Spruß B ei hochsommerlichen Temperaturen gab es am 21. Mai 2007 kurz vor 18 Uhr keinen freien Sitzplatz mehr im Auditorium, als Opernlegende Inge Borkh zu Gast beim Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V. war. Vital wie eh und je präsentierte sie sich im Gespräch mit Klaus Geitel. Für mich, dem es nicht vergönnt war, die großartige Sängerin live auf der Bühne erleben zu können und dem ihre herrliche Stimme nur von vielen Einspielungen bekannt ist, war der Abend eine wunderbare Reise durch die Operngeschichte. Inge Borkh ließ für die Anwesenden noch einmal die kleinen und großen Stationen ihres Sängerlebens Revue passieren. Sonderaufgaben 2 (Musikwiss. Begleitung) Dieter Reuscher Sonderaufgaben 3 (Reisen) Christian Christiani Zu Beginn der Amtsperiode des neuen Vorstandes freue ich mich, Ihnen auch „Musik und Drama“ in einem neuen Layout präsentieren zu können. Sie werden vieles Bewährte wiederfinden, aber auch Neuerungen, die Sie auf ungewöhnliche Veröffentlichungen oder Ereignisse hinweisen möchten. Gerne greife ich dabei auch künftig Ihre Informationen und Anregungen auf. „Musik und Drama“ wird Sie wie gewohnt über die Veranstaltungen des Verbandes und mit musikwissenschaftlichen Beiträgen zum Leben und Werk Richard Wagners informieren. Ich wünsche Ihnen zunächst eine interessante Lektüre der neuen Ausgabe und bis zum baldigen Wiedersehen im September eine erholsame und schöne Sommerzeit. Eigentlich wollte sie lieber Schauspielerin werden. Am Reinhardt-Semi- nar des Burgtheaters in Wien wurde sie ausgebildet. Die Bühnen in Linz und Basel bildeten das Entree für ihr Operndebüt in Luzern. Ihren internationalen Durchbruch erreichte Inge Borkh in der deutschsprachigen Erstauff ührung von Menottis „Konsul“ in Basel und dann einige Monate später 1951 an der Städtischen Oper in Berlin. Eine Weltkarriere begann. Inge Borkh war „Nicht nur Salome und Elektra“. Sie war die „Senta“ im „Fliegenden Holländer“, sie war Verdis „Lady Macbeth“. Ihre darstellerische Gesangskraft hat sich unvergesslich, nicht nur bei ihren Fans, eingebrannt. Die humorvolle und sympathische Sängerin ließ erstaunliche Einblicke in ihre künstlerische Arbeit zu. Ein Patentrezept gegen Lampenfieber gab uns Inge Borkh nicht. „Champagner hilft jedenfalls nicht gegen Lampenfieber. Es geht weg, wenn man die Ihr Matthias Spruß Nr. 22, Juli 2007 MUSIK UND DRAMA 1 Rolle lebt; man muss in die Figur einfach hineinkriechen.“ Deutliche Worte fand die Sängerin auch für das moderne Regietheater. „Es geht um ein gemeinsames Ringen um ein Konzept und um gleichberechtigte Zusammenarbeit. Modernisierung muss heute schon sein, aber das Werk muss erhalten bleiben“, so die Künstlerin. „Wenn Absurditäten da sind, kann das nicht richtig sein“, wofür sie beim Publikum spontanen Beifall erntete. „Wir geben ein unglaubliches Geld aus, damit wir zum Narren gehalten werden.“ Den Kontakt zum Theater hat sie nie verloren und hat ihren Besuch in Berlin genutzt, um verschiedene Opernauff ührungen und Konzerte zu besuchen. Wer mehr über die Künstlerin erfahren möchte, sei auf die Publikationen „Ich komme vom Theater nicht los… Erinnerungen und Einsichten von Inge Borkh“ und „Nicht nur Salome und Elektra. Inge Borkh im Gespräch mit Thomas Voigt“ verwiesen. Besonderer Dank gilt Klaus Geitel, der in kurzweiliger und pointierter Weise das Gespräch führte und damit den Appell, vielleicht die Verpflichtung Inge Borkhs unvergessen macht: „Oper lebt immer! Oper wird nie untergehen!“. Matthias Spruß „Cosima“ Vortrag von Sabine Sonntag über Cosima Wagner und die neue Oper von Siegfried Matthus E s sollte ein Vortrag werden über die „Intendantin Cosima Wagner“ werden. Aber dann fiel uns, genauer gesagt Herrn Professor Fürstenau, noch rechtzeitig ein, dass es ja eine Woche vor der Uraufführung der Oper „Cosima“ von Siegfried Matthus gut passen würde, wenn Sabine Sonntag uns eine Einführung in die neue Oper geben würde. Und so hat die Hannoveraner Musikwissenschaftlerin Proben am Staatstheater Braunschweig besucht, um uns einen authentischen Bericht über das Stück, die Personen, die musikalische und Handlungsstruktur zu geben und was wir von der Interpretation bei der Premierenaufführung erwarten dürften. Aber zunächst fehlte auch ein Porträt des Komponisten Siegfried Matthus (1934) nicht. Sein Weg führte vom Rainer Fineske bedankt sich für den Vortrag im Namen des Richard Wagner Verbandes bei Sabine Sonntag MUSIK UND DRAMA 2 Nr. 22 , Juli 2007 Meisterschüler Hans Eislers u.a. über die Zusammenarbeit mit Felsenstein und Friedrich als Komponist und Berater der Komischen Oper Berlin zu einer Professur, zu Mitgliedschaften in mehreren Akademien der Künste und – flankiert von vielen Preisen und Ehrungen – schließlich seit 1991 zur Künstlerischen Leitung der Kammeroper Schloss Rheinsberg. Die Liste seiner Kompositionen enthält neben seinen bisher mehr als zehn Opern alle Gattungen von der Instrumental- und Vokalmusik. Er wird neben Udo Zimmermann als der bedeutendste zeitgenössische Komponist der ehemaligen DDR eingeschätzt. Auch eine kurze Charakterisierung von Cosima im richtigen Leben war Inhalt des lebendigen Vortrags von Sabine Sonntag. Cosima Wagner hatte offenbar eine große Anziehungskraft auf Männer, sie war Geliebte und Ehefrau von großen Männern der Musikgeschichte, war Mutter von fünf Kindern und besaß daneben ein starkes Organisationsund Durchsetzungsvermögen. Sie war weit vor der Zeit der breiten Emanzipationsbewegung die erste bedeutende Intendantin in der Welt der Oper. Ihr ist es maßgeblich zu verdanken, dass im Festspielhaus in Bayreuth ein genuiner, ausschließlich dem Werk des Meisters gewidmeter Festspielort während ihrer Intendanz von 1883 bis 1906 gefestigt wurde. Sie war auch Regisseurin außerhalb Bayreuths und Gründerin des Wagner-Konservatoriums, sozusagen die Chefin der „Firma Wagner“. Tausende von Briefen hat sie geschrieben, nicht nur im „geschäftlichen“ Sinne. Zu ihren Verehrern zählte Friedrich Nietzsche, der große deutsche Philosoph, für ihn sicherlich auch ein Zugang zum Meister, den er in den früheren Jahren hoch verehrte. Nietzsche brachte es auf 32 Besuche der Wagners in Tribschen. Nun zur Oper „Cosima“. Sie spielt vorwiegend nach der Einweisung Nietzsches in einer Heilanstalt. Von dort kommt Kunde, dass er sich mit einer Oper beschäftigt. Er hat tatsächlich, wenn auch nicht erfolgreich und von Wagner und anderen sogar verhöhnt, selbst komponiert. Bei Besuchen in der Heilanstalt versucht Cosima den Inhalt der Oper auszukundschaften. Den Wunsch Nietzsches nach einer Aufführung in Bayreuth lehnt sie wegen des Verdachts, es handle sich über eine Geschichte zu Ungunsten der Wagners, ab. Diese Situation ist für Matthus Grundlage für seine Oper. Zunächst verbreitet er „eine unglaubliche Geschichte“ über das Auffinden einer unvollendeten Oper von Friedrich Nietzsche, von der uns der Komponist bei seinem Besuch in unserem Verband selbst berichtete (siehe Musik und Drama Nr.21, Seite 4, Januar 2007). Er nimmt Fragmente der „Nietzsche-Original“-Partituren, unterlegt ein Libretto, das weitgehend aus Originalschriften und Briefen zusammengefügt wird, und verbindet das Ganze mit einer Rahmenhandlung. Das Szenarium besteht aus insgesamt 13 Szenen, dabei als „Klammer“ der alte Nietzsche einerseits und der Dialog Cosima und Prof. Binswanger, Chef der Heilanstalt, andererseits. Dazwischen werden Rückblenden in Form von einzelnen Szenen aus Wagners Leben eingebaut, kommentiert vom alten Nietzsche. Matthus hat sein Dithyrambos „Klage der Ariadne“, Monolog für Bariton und Orchester, vorangestellt und endet in deklamatorischem Gesangsstil mit Nietzsches Dionysos-Tanz in den Wahnsinn. Auch Wagner ist immer wieder gegenwärtig: zahlreiche musikalische Zitate, vor allem aus „Tristan“, „Meistersinger“ und „Parsifal“ sind eingearbeitet. Nach Matthus’ eigener Vorstellung im vergangenen Herbst hat nun Sabine Sonntags sachkundige Einführung Interesse und Spannung für die folgende Doppelpremiere in Braunschweig und Gera ganz erheblich beflügelt. Dr. Jürgen Moeller „Cosima“ in Braunschweig Erste Uraufführung der Oper von Siegfried Matthus E Es war eine kurze Musikreise zu einer überraschenden Opernpremiere. Zuerst eine Busfahrt durch eine vorsommerliche Flachlandschaft mit gerade glühend gelb leuchtenden Rapsfeldern nahe bei Braunschweig. In der Stadt dann schöne wieder aufgebaute Fachwerkhäuser, eine neu errichtete Fassade des Stadtschlosses und ein romanisch-gotischer Dom, erbaut zur Zeit Heinrich des Löwen, der Stolz zu Ross in Bronze auf dem Domplatz reitet. Rahmenhandlung herum gefügt sowie auch einen Prolog vorangesetzt. Im geradlinigen, angenehm klar und weitläufig wirkenden Staatstheater folgte die Uraufführung der Oper „Cosima“, die in mehrerer Hinsicht verblüffte. Ein dramatisches Puzzlespiel, das auch vom Publikum eine gespannte Aufmerksamkeit forderte. Eine bizarre Geschichte in der Regie von Kerstin Maria Pöhler. Da gibt es geheimnisvoll düstere Szenen nach einem Skript, das – man staune – von Friedrich Nietzsche, dem Dichter und Philosophen geschrieben sein und im Schloss Rheinsberg bei Potsdam aufgefunden sein soll. Es ist Cosima Wagner gewidmet, die von Nietzsche leidenschaftlich und hoffnungslos geliebt wurde. Der Komponist Siegfried Matthus, der schon zahlreiche Opern schrieb, hat eine In dem anspruchsvoll theatralischen Bühnenbild von Frank Fellmann taucht eine zweite, eine ältere Cosima in Nietzsches Irrenanstalt auf, die fürchtet, in des Dichters Werk könne es Passagen geben, die ihr schädlich werden könnten. Karan Armstrong bringt das in strenger Haltung und Würde. Man sieht ihr gerne zu. Der Bariton Richard Salter, der mit zeitgenössischer Musik vertraut ist, brilliert in seiner Doppelrolle und verkörpert unglaublich das Wesen des Geistesgestörten zu einer dramatischen Aufruhrmusik. Susanna Pütters singt in der Rolle der jungen Cosima, eingeengt zwischen Bülow, dem jungen Nietzsche und König Ludwig II., mit klarer Diktion. So pendelt diese Oper zwischen Realismus und Wahnsinn, Historie und Phantasie. Zudem tauchen auch Passagen aus „Tristan und Isolde“, „Parsifal“ und andere Kompositionen zwischendurch immer wieder auf. Matthus selbst hatte kürzlich in einer Pressekonferenz gesagt, dass das kom- „Cosima“ in Gera Zweite Uraufführung der Oper von Siegfried Matthus N achdem der Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V. am 28. April 2007 die Uraufführung der Oper “Cosima“ von Siegfried Matthus in Braunschweig besucht hatte, konnten wir uns in Gera, wo die zweite Uraufführung von “Cosima“ in Verbindung mit der Einweihung des sanierten Opernhauses statt fand, ebenfalls von einer wunderbaren Regiearbeit überzeugen. Zwei Uraufführungen stellen eine völlig ungewöhnliche Angelegenheit dar. Zudem im Fall einer sogenannten Ringuraufführung, also einer Koproduk- plizierte Beziehungsgeflecht zwischen Cosima, Nietzsche und Richard Wagner, vor allem aber das Ausdrucksbedürfnis Nietzsches ihn gereizt habe. Einen weiteren Farbton geben in „Cosima“ der Chor und das Solo-Cellospiel von Richard Groock. Am Pult begleitet Jonas Alber aufmerksam. Eine leichte künstlerische Kost ist Siegfried Matthus neue Oper also nicht. Doch die Vielfalt des Komponisten vermag das Publikum nachdenklich zu stimmen. Es gab viel zustimmenden Beifall am Schluss und auch auf der anschließenden Premierenfeier gab es viele Gespräche, in denen manch Fragezeichen mitschwang. Verlorene Zeit war es in Braunschweig auf jeden Fall nicht. Gisela Huwe tion und eines gemeinsamen Auftrages der beiden Opernhäuser an Siegfried Matthus für seine Oper “Cosima“. Aufgrund des bekannten Inhalts der Oper war vorgegeben, in welcher dramatisch-psychologischer Thematik uns die Szene dargebracht werden sollte. In Gera hatte Martin Schüler für die Regie verantwortlich gezeichnet. Der Nr. 22, Juli 2007 MUSIK UND DRAMA 3 erfahrene Intendant des Staatstheater Cottbus ist ein Mann, der sein Handwerk außerordentlich versteht. Allein die Umsetzung der einzelnen Charaktere, von der musikalischen Anlage des Komponisten auf die Darstellung der Sänger zu übertragen, war mehr als überzeugend. Alle fühlten sich in den Bann der Inszenierung gezogen. erst gar nicht versucht, dass Ganze in die Gegenwart zu verlegen. Im Gegenteil hatte man das Gefühl, hier ist niemand der Versuchung des oft übersteigerten Regietheaters ausgesetzt. Wenn Musiktheater immer so spannend und stringent wie in Gera ist, dann muss einem um die Gattung Oper nicht bange sein. Auch die Bühnen- und Kostümbildarbeiten kamen hier voll zur Entfaltung und es wurde Die Partie des Dr. Nietzsche wurde von Teruhiko Komori gesungen, der nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch auf das Beste überzeugte. Er war sicherlich der Star des Abends. Stimmlich war auch in Gera alles der Premiere angemessen und alle Personen waren sehr gut besetzt. „Richard Wagner und das Urheberrecht“ Z uweilen findet sich auch in nicht-musik wissenschaftlichen Publikationen ein Beitrag, der sich mit dem Leben und dem Werk Richard Wagners auseinandersetzt. In der im Beck-Verlag erscheinenden Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 10/2007, Seite 653 ff.), einer Fachzeitschrift für Rechtsanwälte und Notare, analysiert Dr. Sebastian Wündisch Wagners Verhältnis zum Urheberrecht. Der Autor ist Rechtsanwalt in Dresden. Der Beitrag schließt an die 2004 im Berliner Wissenschaftsverlag erschienene Monografie gleichen Titels des Verfassers an. Wündisch beschreibt Wagners Verlagsbeziehungen zu den seinerzeit bedeutenden Verlagshäusern Breitkopf & Härtel in Leipzig und B’Schotts Schatz liest Shaw U m die Theaterstücke des großen irischen Dramatikers George Bernhard Shaw (1856 – 1950), dem Literatur-Nobelpreisträger von 1926 (und Oscar Preisträger von 1938 für „Pygmalion“), ist es in Deutschland still geworden. Nur selten finden sie noch den Weg auf deutsche Bühnen. Inzwischen ist Shaw den Freunden des Musiktheaters fast präsenter als den Literaten. Nicht allein, dass seine Komödie „Pygmalion“ die Vorlage für eines der erfolg- MUSIK UND DRAMA 4 Nr. 22 , Juli 2007 und Söhne in Mainz. Er erläutert das historische Verlagsrecht mit seinen Unzulänglichkeiten, bishin zu Wagners Schwierigkeiten, den inländischen Verlegern den vertragswidrigen Verkauf des Verlagsrechts nach Frankreich und Italien zu erklären, da er das Verlagsrecht für alle Länder und Zeiten bereits übertragen hatte. Besonders interessiert haben ihn, Wagner, diese juristischen Feinheiten ohnehin nicht, so der Autor. Wündisch setzt sich intensiv mit dem Aufführungsrecht der Werke und insbesondere mit der Schutzdauer des „Parsifal“ auseinander. In seinen Schlussbemerkungen stellt er fest: „ Wollte man ein Resumée über Wagners Verhältnis zum Urheberrecht reichsten Musicals lieferte – für „My Fair Lady“. Vielmehr gehören einige seiner „Gelegenheitsschriften“ zu den Meilensteinen der Wagner-Literatur. „Perfekte Wagnerianer“ kennen seine Einführung zum Ring des Nibelungen, „A perfect Wagnerite“ von 1896 (auf Deutsch unter dem Titel „Ein Wagner-Brevier“ erhältlich). Schon der leicht ironische Titel zeigt, wie weit diese Werkeinführung entfernt ist von dem nationalistisch-verquasten Germanentum und Antisemitismus, die J. H. Chamberlain zeitgleich in die Wagnerliteratur einführte. Shaws prä- Natürlich war auch Cosima in den Rollen der jungen und der alten Partie stimmlich, jugendlich schmeichelnd und hochdramatisch spannend in der Stimme und im Ausdruck, sehr gut besetzt worden. Mit dem Chor und der hervorragenden Leistung der Philharmonie Thüringen unter der Leitung des GMD Eric Solén war der Abend eine gelungene Premiere mit hoffentlich noch vielen und ausverkauften Aufführungen. Rainer Fineske ziehen, so erkannte er frühzeitig dessen Bedeutung für die Verwertung seiner Werke und seinen Lebensunterhalt – ohne freilich die Feinheiten tatsächlich verstehen zu wollen. Die angemessene Aufführung seiner Werke war ihm ein Herzensbedürfnis…Getrieben von seinen finanziellen Nöten zeigte er Phantasie bei der Vertragsgestaltung und suchte nach neuen Verwertungsmöglichkeiten.“ Insgesamt ein exzellenter Artikel, der in weiten Teilen ohne juristische Fachterminologie auskommt und sich damit auch dem rechtlich unkundigen Leser gut erschließt. Die Zeitschrift kann über den Fachbuchhandel bezogen werden, aber auch in großen Bibliotheken eingesehen werden. Matthias Spruß gnante „Übersetzung“ des „Ring“ in zeitgenössische Situationen und Charaktere der Wagnerzeit ist nicht nur äußerst unterhaltsam zu lesen, sondern zeigt uns auch, wie Zeitgenossen Wagners den „Ring“ als politische Parabel verstanden haben. Für seine Lesung beim Wagnerverband am 19. Februar 2007 hatte Hans-Jürgen Schatz nicht diesen Klassiker ausgesucht, sondern weniger bekannte Kritiken und Gelegenheitsschriften G.B. Shaws über Wagner und die Bayreuther Festspiele von 1889 und 1894. Shaws Berichte aus dem Bayreuther Festspiel- A.Fessmann, H.-J. Schatz, Prof. G. Fürstenau haus – von ihm auch als „Hörsaal“ beschrieben – sind voller Ironie und scharfsinniger Beobachtungen. Für Bayreuth-Besucher, denen es an Verständnis für den Schlingensief„Parsifal“ mangelt, mag es ein geringer Trost sein zu erfahren, dass sich auch der Parsifal-Besucher von 1889 über die „völlige Ignorierung der Wagnerschen Regieanweisungen“ beschwerte. Dass der immerhin hell erleuchtete Gral mit einem offensichtlich elektrischen Kabel verbunden war, dürfte wohl kaum irgendeinem anti-sakralen Regiekonzept geschuldet gewesen sein. Umso überraschender, dass uns dieses Inszenierungsdetail bisher noch nicht wieder begegnet ist… Auf den Spuren Fontanes A uch in diesem Jahr wurde die Sommerpause durch eine erlebnisreiche Bus-Exkursion eingeleitet. Mit Freude genossen wir die landschaftliche Schönheit der Mark Brandenburg, ihre teilweise wieder rekonstruierten Herrenhäuser, ihre schmucken Dörfer mit den sie umgebenden Wäldern und Feldern, auf denen das golden schimmernde Getreide reift. War früher alles besser? Bei der „Parsifal“-Aufführung vom 01. August 1894 in Bayreuth täuscht die Begeisterung für das Werk Wagners Shaw nicht über Mängel der Aufführung hinweg. „Schmach und Schande“ lässt er verbal über die Sängerbesetzung ergehen. Dass er beim „Tannhäuser“ nur ein „Sängerbrüllen“ wahrnimmt, wäre für uns heute kaum mehr von Interesse, würde nicht der Vergleich mit dem Gesangsideal in London – auch bei Wagner-Aufführungen – folgen. Wenn diese Beobachtung zutrifft, hätte es damals sehr unterschiedliche Schulen des Wagnergesangs gegeben. Während der Wohlklang als Selbstzweck also anscheinend in Bayreuth keine Priorität hatte, staunt der Londoner Besucher über die Inszenierung des „Lohengrin“ (besuchte Vorstellung: 8.8.1894). Da diese übrigens von Cosima Wagner stammte – es war das Jahr der Bayreuther Premiere des Lohengrin – ist Shaws faszinierte und detailreiche Beschreibung, etwa der Chorbewegungen im Finale, eine einzigartige Quelle zur Aufführungsgeschichte. Die hellsichtige Beobachtung und Ironisierung liegt Shaw mehr als die musiktheoretische Aussage. Was Shaw anlässlich des 100. Mozart-Geburtstags über die Größe von Komponisten Leben erweckten. Gestärkt durch duftenden Kaffee und Kuchen erreichten wir nach kurzer Zeit das Dorf Kleßen. Auch hier erlebten wir ein „Auferstanden aus Ruinen“, allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen. An das geschmackvoll restaurierte Herrenhaus schmiegen sich ein Englischer Garten und ein Märkischer Gutsgarten von bezaubernder Schönheit. Als wir an dem geschichtsträchtigen Ort Friesack vorbeifuhren, erinnerte uns der sachkundige Reiseleiter daran, dass hier einst die Schlacht gegen Schweden geschlagen wurde und durch das „Edikt von Potsdam“ (1685) die Ansiedlung vieler Hugenotten begann. Kleine Meilensäulen rechts und links der guten Straßen erinnerten an die einstige Präsenz von Brandenburg-Preußen. Erste Station unserer Reise war das reizvolle Dorf Ribbeck, durch Theodor Fontane noch immer im Bewusstsein vieler Menschen. Hier durften wir sehr eindrucksvoll erleben, wie Mut und persönliches Engagement eine dem Verfall Nach einer Mittagspause in Stölln, geweihte alte Feldsteinkirche zu neuem jenem Ort, in dem der Pionier des zu sagen hat, klingt wunderbar intelligent – ist aber mangels konkreter Beispiele in der Argumentation kaum überprüfbar. „Wagner ist größer als Beethoven, wie Mozart größer als Haydn war“ – diesen Glauben des 19. und 20. Jahrhunderts an einen qualitativen Fortschritt in der Kunst hält Shaw für „Unsinn“ – und verfolgt ihn dann doch weiter. Shaws Anmerkung, „Wagner aus zweiter Hand (sei) unerträglicher, weil prätentiöser, als Mozart aus zweiter Hand“, ist nachvollziehbar. Debussy, Schönberg, Pfitzner dürfte er allerdings in seine Betrachtung noch nicht einbezogen haben und damit auch nicht hinreichend beschreiben. Besonders kurzweilig sind diese alten Zeitungskritiken, wenn sie von HansJürgen Schatz so liebevoll ausgewählt und zusammengestellt und so präzise und geistreich vorgetragen werden. Wenn sie zudem mit etwa gleichzeitig entstandenen Wagner-Klaviertranskriptionen von Rubinstein, Busoni und Liszt kombiniert werden, tritt neben das literarisch-journalistische auch ein musikalisches Wagner-Bild aus zweiter Hand – literarische und musikalische Gelegenheitswerke zwar, aber wertvolle Dokumente der Wagner-Rezeption auf der Schwelle zwischen 19. und 20. Jahrhundert. Christian Christiani Fliegens, Otto von Lilienthal, 1896 tödlich verunglückte, war das nächste Ziel die über tausendjährige Stadt Havelberg. Die Oberstadt beherrscht ein wuchtiger Dom, der als dreischiffige Hallenkirche im gotischen Stil errichtet und über eine prachtvolle barocke Innenausstattung verfügt. Viele hatten die Möglichkeit, das Ende des Gottesdienstes mit prachtvoller Orgel- und vokaler Renaissancemusik zu erleben. Vor den Toren des ungemein beeindruckenden Sakralbaus erfreute ein Domfest alt und jung. Unterhalb des Domes St. Marien findet man die einstige Fischerstadt, sehenswert durch die alte Stadtstruktur. Erfüllt von vielen Eindrücken erreichten wir über die „Straße der Romanik“ die nicht minder reizvolle Altmark, die Wiege Preußens. Das prächtig restaurierte Schloss Döbbelin mit sei- Nr. 22, Juli 2007 MUSIK UND DRAMA 5 ner alten Patronatskirche, der Familiengruft und seinem herrlichen Park waren eine Augenweide. Die Residenz derer von Bismarck ist der Stammsitz der Familie und seit über 19 Generationen in deren Besitz. Nach einem köstlichen Kaffeetrinken begann die Heimfahrt, am Horizont grüßten die Kirchtürme von Tangermünde und Stendal, einst prächtige Hansestädte voller Reichtum, heute „Tasten Taten Träume“ Hans Pischner im Gespräch mit Karl Klebe I m Januar konnte der Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V. Herrn Prof. Hans Pischner anlässlich der Neuerscheinung seiner Autobiographie „Tasten Taten Träume“ zu einem Gespräch mit dem Musikjournalisten Karl Klebe begrüßen. Hans Pischner studierte Klavier und Cembalo bei Bronislaw von Pozniak und G. Wertheim sowie Musikwissenschaft an der Universität Breslau. Von 1933-1939 war er als Musiklehrer und Konzertsolist tätig. Nach dem Kriegsdienst und sowjetischer Gefangenschaft unterrichtete er ab 1946 an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, deren stellvertretender Direktor er 1947 wurde. 1948 ernannte man ihn zum Professor. Von 19501954 hatte Pischner die Funktion des Leiters der Hauptabteilung Musik im Staatlichen Komitee für Rundfunk der DDR. Danach ging er ins Ministerium für Kultur, zunächst von 1954-1956 als Leiter der Hauptabteilung Musik und von 1956-1963 als stellvertre- Neues von Christoph Schlingensief Richard Wagner im Urwald I n diesem Jahr wird man zum letzten Mal die umstrittene „Parsifal“-Inszenierung von Christoph Schlingensief auf dem Hügel erleben können. Bayreuth, so scheint es, ist auch in diesem Falle immer eine gute Visitenkarte. Vom „Hasifal“ (siehe Musik und Drama Nr. 17, Seite 2, 2004) ging es für den Regisseur auf seiner unruhigen Suche nach „Orten, die ihn noch überfor- MUSIK UND DRAMA 6 Nr. 22 , Juli 2007 ein Anziehungspunkt für Touristen aus nah und fern. Diese Reise war die letzte, die unser nunmehriger Vorsitzender Rainer Fineske betreute. Es hat – wie stets – alles vorzüglich geklappt. Zum wiederholten Male sei ihm Dank und Anerkennung ausgesprochen. Johannes Reuther Der Rheingoldexpress im Spielzeugmuseum in Kleßen tender Kulturminister unter Johannes R. Becher. Von 1963 –1984 war Hans Pischner Intendant der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. In den Jahren 1978 – 1990 leitete er als Präsident den Kulturbund der DDR. Außerdem war er Vorsitzender der gesamtdeutschen Neuen Bachgesellschaft und Vizepräsident der Akademie der Künste der DDR. Seit 1995 ist er Ehrenpräsident der Internationalen Gesellschaft zur Förderung junger Bühnenkünstler „BühnenReif“ (ISSA) und Gründungsmitglied des Kuratoriums der Elblandfestspiele Wittenberge. Hans Pischner gehört zu den bedeutenden Persönlichkeiten im deutschen Musikleben. Sowohl als Leiter staatlicher Einrichtungen, wie auch als Cembalist hat er sich einen Namen gemacht, der international geachtet ist. Als Intendant der Staatsoper Unter den Linden erreichte er, dass sein Haus mit dem anspruchsvollen Spielplan und dem außerordentlich homogenen Ensemble weltweites Ansehen gewann. Die Staatskapelle entwickelte sich wieder zu einem führenden europäischen Orchester. dern können“, nun direkt in den Urwald. Unterstützt vom Goethe-Institut in Sao Paulo und Rio de Janeiro sowie der Kulturstiftung des Bundes wurde im April im wohl ungewöhnlichsten Opernhaus der Welt, dem Teatro Amazonas in Manaus/Brasilien, „der Fliegende Holländer“ in Schlingensiefs bekannter Art und Weise inszeniert. Die vielfältigen und sehr unterschiedlichen Pressestimmen können August Everding sagte über Pischner, er sei ein Glücksfall unter den deutschen Opernintendanten. Im Gespräch mit Karl Klebe zeigte sich eine große Persönlichkeit, die viel zu erzählen hatte, der man aufmerksam zuhörte und an deren Lebensgeschichte man auch gerne Anteil nahm. Die Zeit war viel zu kurz, um einen Bogen über die vielen Jahre der „Musik und Politik zwischen Utopie und Realität“ zu schlagen. Selbstkritisch sagt Hans Pischner über sich: “In gewisser Weise war ich ein Träumer, habe mich täuschen, als Galionsfigur benutzen lassen. Idealen nachhängend und vom Kriegsleben gezeichnet, war ich, geblendet von der Aufbruchstimmung nach der Befreiung, vom Glauben beseelt, inmitten widriger Umstände Gutes ausrichten zu können – wer will das beurteilen?“ Die Autobiographie ist im Henschel Verlag, Berlin 2006, 240 Seiten, gebunden erschienen. Matthias Spruß hier nicht ansatzweise wiedergegeben werden. Um insbesondere einen bildhaften Eindruck des Geschehens zu erhalten und vielleicht zum Verstehen, empfehle ich neben den bekannten Fachzeitschriften den ungewöhnlichen Bericht von Marc Fischer in Vanity Fair (Nr. 17, Seite 112 ff., 2007) mit Fotos von André Vieria. Möge sich jeder sein Bild machen. Matthias Spruß Neue Wege zum Wagnerdenkmal N achdem die Gartenbauarbeiten im südlichen Tiergarten abgeschlossen worden sind, ist das Wagnerdenkmal an der Tiergartenstraße auf neuen Wegen, auch vor oder nach einem Konzertbesuch in der Philharmonie, wieder gut zu erreichen. Der Bildhauer, Maler und Dichter Gustav Heinrich Eberlein (18471926) schuf 1903 die Marmorskulptur für den Komponisten Richard Wagner. Sie misst sechs Meter in Länge, Breite und Höhe. Den Sockel bildet ein tempelartiges Haus mit umlaufenden Stufen. Auf einem Sessel mit Sphinx-Armlehnen ist Wagner sitzend dargestellt, mit Notenblättern in der Hand. Am Sockel befinden sich vier Figurengruppen, die sich auf Opern des Komponisten beziehen: „Tannhäuser“, „Götterdämmerung“, „Rheingold“ und „Parsifal“. Ein Besuch, der sich bei sommerlichen Temperaturen lohnt. Matthias Spruß Romantisches bei Wagner? D rei Opern – „Die Feen“ , „Der fliegende Holländer“ und „Lohengrin“ tragen die Signatur „Romantische Oper“; „Tannhäuser“ wird als „Große Romantische Oper“ bezeichnet. Hiernach sind beide Worte – „romantisch“ und „Oper“ – getilgt 1. Nicht aber die Sachverhalte! Zum einen haben Elemente der Oper 2 ihren Platz in jenen Werken, die Wagner als „Drama“, als „Handlung in Musik“, als „Bühnenfestspiel“, als „Bühnenweihfestspiel“ überschreibt; die „Meistersinger“ gar wollte er ursprünglich als „Oper“ signieren. Zum anderen sind Grundvorgänge frühund hochromantischer Poesie, Malerei, erst recht die des früh- und hochromantischen Theaters (also nicht nur der Oper), gegenwärtig bis in die letzten Werke hinein 3. I. Was damit gemeint sein könnte, habe ich in meinem Aufsatz über Wagners Oper „Die Feen“ 4 erörtert. E. T. A. Hoffmann, in seiner Novelle „Der Dichter und der Komponist“ 5, brachte sie auf wenige, aber sehr beredte Begriffe: „Feen, Zauber, Wunder, Verwandlungen“. Seit Friedrich von Hardenbergs (Novalis`) „Hymnen an die Nacht“, seit Friedrich Schlegels „Lucinde“ ist von bergendem Dunkel, von nächtlicher Liebe die Rede, von der Flucht aus prosaischer Tageswelt, seit E. T. A. Hoffmanns „Die Bergwerke von Faloun“ vom Weg in die Tiefe der 1 2 3 4 5 Erde, ins ewig Dunkle, in den Tod, der allein die Jugend des Suchenden bewahrt. „Wunder, Verwandlungen“ sind gerufen als Eingriffe, um Bestehendes zu verändern, oder, wenn dies unmöglich ist, in Unruhe zu versetzen, durcheinander zu wirbeln. Oder um es aufzubrechen, damit sichtbar werde, was der Tag verbirgt oder verdrängt! Eingriffe bieten Wege ins „Andere“, zugleich sind sie Vergrößerungsgläser, darin Bestehendes überdeutlich wahrnehmbar wird. Beides nun ist ineinander Das gilt sowohl für die Werke als auch für das Schrifttum – gelegentlich wird der Begriff „romantisch“ pejorativ verwendet. Sowohl des italienischen Melodrama lirico, der deutschen „Romantischen“ Oper als auch der Pariser Großen Oper: Gerade sie wirkt bis in Szenen der „Götterdämmerung“ hinein. Vgl. hierzu der Festvortrag von Jürgen Maehder auf dem Internationalen Wagner-Kongress in Berlin und das Kapitel „Wirkung ohne Ursache“ meines Buches Richard Wagner – Nachdenken über sein Gewebe (Berlin 2001) Zur literarischen Romantik vgl. u.a. Helmut Schanze (Hrsg.) Romantik-Handbuch, Stuttgart 1994 Abgedruckt in der Zeitschrift Musik und Drama Nr.15, Seite 7, Dezember 2003 Bestandteil seiner Novellen-Sammlung „Die Serapionsbrüder“. Die Novelle „Der Dichter und der Komponist“ nimmt unmittelbar Bezug auf die preußischen Kämpfe gegen Napoleon Bonaparte. Nr. 22, Juli 2007 MUSIK UND DRAMA 7 verschränkt: Der Weg ins „Andere“ schlägt um in die Einkehr ins vergrößerte, grell ausgeleuchtete „Eine“ – ins Bestehende, nur dass ihm alle Vertrautheit, alle Gemütlichkeit abhanden gekommen ist. Dies nun reagiert auf gesellschaftliche Verhältnisse, die sich für sensible Menschen als zunehmend unerträglich erweisen 6: Auf feudalständische Hierarchien, kleinkarierte Bürgerlichkeit inmitten der Städte, zugleich auf Prozesse, die Wolfgang Heise einst als „schleichende Kapitalisierung“ bezeichnet hat, im Bergbau und auf dem Büchermarkt sind sie zu besichtigen; vom Bergbau mochte Friedrich von Hardenberg, der Neffe eines Bergbauingenieurs, etliches verstehen, und die Warenproduktion auf dem Büchermarkt faszinierte, erschreckte nicht nur den jungen Jean Paul. Ganz nebenbei: Bereits zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts hatten Kitsch-Romane Hochkonjunktur; in ihnen wurden buchstäblich alle Ideale der Aufklärung und der Frühromantik Darin hat Kitsch sein Recht, er ist bitter ernst zu nehmen gestern, heute, morgen in Serie gebracht, verhökert – dies reagiert auf Bedürfnisse des Marktes bzw. der Warenproduktion und auf Bedürfnisse riesiger Leserscharen. Kitsch war und ist der Versuch, diese unterschiedlichen Bedürfnisse miteinander zu vereinen, der Versuch, Scheinantworten zu geben auf wirkliche, bislang unbeantwortete Fragen; darin hat Kitsch sein Recht, er ist bitter ernst zu nehmen gestern, heute, morgen 7. Dass er nicht nur in sogenannter Trivialliteratur, in sogenannten Unterhaltungskünsten zuhause ist, versteht sich fast von selbst; auch Romantische Lieder, Klaviermusik, Opern, noch Wagners Dramen sind davor nicht gefeit, und das muss nicht gegen sie sprechen. Zurück zu den Vokabeln frühromantischer Poesie, vor allem zu den Bildern der Nacht. Auch sie sind gerufen gegen das Bestehende, sind Eingriffe, Orte des „Anderen“, zugleich Vergrößerungsgläser, darin das „Eine“ überdeutlich wahrzunehmen ist. Kaum einer hat es deutlicher ausgesprochen als E. T. A. Hoffmann in seiner No- MUSIK UND DRAMA 8 Nr. 22 , Juli 2007 velle „Nussknacker und Mäusekönig“ – vor allem, wenn er zeigt, wie honorige Bürger sich in Vögel verwandeln oder, bei genauerem Hinsehen, als Vögel erkennbar sind. Und wenn er zeigt, dass die Akteure und Begebenheiten der Nacht unversehens auf die Tagwelt übergreifen – der Nussknacker erscheint als Prinz, er wünscht Marie als Braut, zieht mit ihr ins „Andere“! Nicht minder deutlich artikuliert es Carl Maria von Weber, und dies nicht nur in den grausigen Visionen der Wolfsschlucht. 8 Stehen hier wie dort solche Ereignisse, Bilder der Nacht ein für all das Verdrängte der Tagwelt, sind sie angefüllt mit Grauen, so stehen andere Bilder, Ereignisse der Nacht ihnen entgegen: Sie verheißen Geborgenheit, Schutz, Liebe ohne all jene Grenzen, die ihr in der feudalen und bürgerlichen Tagwelt gesetzt sind, Lösung aller Fesseln, Erlösung. Aber auch darin walten Vergrößerungsgläser – in ihnen werden Sehnsüchte wahrnehmbar, die sich durch die Zwänge der Tagwelt nicht ausmerzen lassen; in ihnen zeigt sich, dass Menschen in ihrem sozialen Wesen nicht aufgehen, dass jedem Menschen gegeben ist, Grenzen zu übersteigen, und sei es im Traume, oft im gleichen, der ihm das Bestehende übergroß, unüberwindlich präsentiert. Doppelsinnig also sind Bilder, Visionen der Nacht, doppelsinnig die Träume, doppelsinnig alle Versuche, zu sich zu kommen. Doppelsinnig sind denn auch viele Grundvorgänge der Romantik, doppelsinnig ihre Bilder und Begriffe in der Malerei, Literatur, im Theater, in der Musik, also auch in der Oper. Das hat Konsequenzen für die Werke, für ihre Sprachgefüge: Einerseits werden ganz verschiedene Künste so ineinander gefügt, dass die Unterschiede, 6 7 8 Grenzen zwischen ihnen verfließen (oder zu verfließen scheinen! In der „Anschauung des Ganzen“, so Carl Maria von Weber 9, ereignet sich dies.). Mehr noch, die miteinander vereinten Künste sollen das Leben in sich aufnehmen, Leben in Kunst verwandeln. Wiederum gilt es, Kunst, d. h. die miteinander bruchlos vereinten, verschmolzenen Künste, ins Leben zu überführen – freilich nicht ins prosaische, sondern ins illusionäre! Solcher Absicht gehorcht, im Theater, auch in der Oper, der Schritt in die illusionistische Bühne, in szenische Welten, die pure Wirklichkeit vortäuschen. Dass E. T. A. Hoffmann derlei Wunschbilder immer wieder artikuliert, wendet sich gegen den Theater-Alltag mit all den unübersehbaren Defekten, Pannen, die in unzähligen Witzen überwintern, gegen Schmiere, und voll Sarkasmus geißelt er Häuser auf der Bühne, die bestenfalls von Liliputanern bewohnt werden können, von Türen, die sich plötzlich öffnen, durch die man die behaarten Beine von Bühnenarbeitern sieht 10. Es sind aber jene Defekte, Risse, Sprünge, die ganz andere Theatervisionen auf den Plan rufen: „Der gestiefelte Kater“ von Ludwig Tieck hat sie aufs Drastischste umgesetzt – nicht sollen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Kunst, zwischen den Künsten selbst, zwischen den einzelnen Es sind aber jene Defekte, Risse, Sprünge, die ganz andere Theatervisionen auf den Plan rufen szenischen Vorgängen verfließen; statt dessen gilt es, Brüche, Sprünge ins Offene zu rücken, szenische Vorgänge aufzubrechen, Grenzen zwischen Kunst und Leben kenntlich zu machen als Widerparte, die sich unentwegt ins Gehege kommen 11. Was Tieck hier Vgl. hierzu Wolfgang Heise, Realistik und Utopie, Berlin 1982 Vgl. hierzu mein Versuch Aufbrüche in den Kitsch? In: Musik und Gesellschaft 2/ 1990 In Webers Oper „Der Freischütz“ ausdrücklich als Finale bezeichnet: In der Tat werden Ereignisse zweier Aufzüge befremdlich zusammengefasst. 9 In einer Notiz über die Oper „Undine“ von E. T. A. Hoffmann: Die einzelnen Teile verschwinden in der „Anschauung des Ganzen“. 10 So in seiner Novelle „Der vollkommene Maschinist“. Zur tragischen Ironie der Geschichte gehört, dass während der Bayreuther Premiere des „Rheingold“, im zweiten Bild, der Prospekt sich zu früh hebt und Bühnenarbeiter statt der hehren Götterburg Walhall zu sehen sind. 11 Nicht nur folgt auf der Bühne eine Absurdität der anderen, sondern das Publikum erobert sich in erbitterten Repliken aufs Vorgeführte die Bühne; sie lassen die Vorstellung buchstäblich platzen! versucht – er ist nicht der Einzige! – , wird Brecht in den zwanziger Jahren unterm Segel des Epischen oder Dialektischen Theaters aufnehmen. Fast aufs Gleiche laufen jene Grotesken hinaus, die Carl Maria von Weber in seinem Romanfragment „Tonkünstlers Leben“ 12 versammelt – vor allem die Karikaturen deutscher Oper und „romantischer Schneider“, die ihr zum gebrochenen Leben verhalfen: Von überall hergeholt sind die als „romantisch“ bezeichneten Szenensplitter, unübersehbar sind Risse, Sprünge zwischen ihnen, und was hier zusammen kommt, wird durch Übertreibung ins Lächerliche gezerrt. Weniger lächerlich geht es in der Wolfsschlucht zu, aber auch und gerade hier werden musikalische Gebilde auseinander genommen, durchleuchtet, damit ihre Bestandteile und deren brüchige Verfügung ins Hörbare rückt! Doppelsinnig ist das Wolfsschlucht-Theater nun darin, dass es beide Wege beschreitet: Den der totalen Verschmelzung aller Künste, darin eine jede Kunst Eigenschaften der anderen erhält, den der Illusion eines unteilbar Ganzen, den der Erhebung der Kunst ins illusionär Wirkliche, zugleich den Weg gnadenloser Desillusionierung, offen gelegter Risse, Brüche, des unentwegten Auseinanderbrechens. Gehorchen die Szenen aus „Tonkünstlers Leben“ der Ironie, so ist nicht sicher, wo in der Wolfsschlucht die Ironie einsetzt – Ironie, die uns im Finale der zweiten Sinfonie, im grotesken Ballspiel mit „klassischen“ Formulierungen, begegnet, erheitert oder erschreckt. Doppelsinnig, doppelbödig ist „Romantik“ insgesamt, und wer sie auf die „magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee“ 13 zu bringen sucht, könnte das Eigentliche verfehlen. Was immer darin sich an Illusionen versammelt – an bruchloser Harmonie des Ganzen oder in seiner „Anschauung“ 14, an glückseligen Träumen, an Fluchtbewegungen aus der Wirklichkeit, zunehmend an Idyllenbildern –, wird harsch gekontert, ins Gegenteil verkehrt. In übergroße Bilder des Wirklichen mit all seinen Rissen, Sprüngen, Widersprüchen. Es könnte sein, dass „Romantik“ und „Realismus“ einander nicht so feindlich gegenüber stehen, wie unzählige Literatur-, Kunst-, Theatergeschichten es weismachen wollten. Vielleicht ist Romantik Realismus besonderer Art – zumindest angemessen einer Zeit, die sie hervor gebracht hat. II. „Wagner ist Romantiker“ – so sagte es die Regisseurin Ruth Berghaus im Jahre 1979, als sie ihre Inszenierung des „Rheingold“ im Besucherrat der Staatsoper Berlin verteidigte. Und gleich danach: „Wagner hat gekämpft lebenslang, manchmal verdeckt, aber er hat gekämpft“. Beides gehört zusammen: Romantik und „Kämpfen“, d. h. Widerstehen bis zur offenen Rebellion. Und es gehören zusammen viele Illusionen, denen er im fast unentwegter Abwechselung aufsitzt (Irrtümer inbegriffen!) und ihr Gegenteil: Scharfsichtige Analysen des Bestehenden, um es auseinander zu nehmen, zu durchleuchten, Risse Beides gehört zusammen: Romantik und „Kämpfen“ aufzuzeigen, die ansonsten verdeckt werden. Beides nun, die unentwegte Illusionierung und ihr Gegenteil, wirkt bis in jede Einzelheit der Werke hinein: In das So und nicht Anders der Akteure, in die szenischen und musikalischen Vorgänge, in das Gewebe der Künste, in die Sprachgefüge! Dies festzuhalten ist einem relativ kurzen Aufsatz nicht möglich. Wenige Verweise müssen genügen. Da ist es in der Oper „Der fliegende Holländer“ der Zusammenstoß verschiedener Welten: Die Welt des Kaufmanns Daland, der Mädchen an den Spinnrädern, die Welt des Jägers Erik, Sentas Welt, Sentas Träume, die Welt der Seeleute auf der einen Seite (es sind durchaus verschiedene, ineinander sehr brüchig verfügte Welten!), die Welt des Holländers, die Welt seines Gefolges auf der anderen (wiederum nicht auf einen Nenner zu bringen). So unvereinbar diese Welten, so wenig stehen sie bloß nebeneinander. Kommen sie miteinander ins Gespann, so 12 13 14 15 durchdringen sie sich zunehmend: Sie verfremden, ja, verletzen, beschädigen sich wechselseitig. Dalands übersteigert geschäftiges Tun resultiert nicht unwesentlich aus der Begegnung mit dem Holländer, und sei es mit den Schätzen, die das Geisterschiff enthält: Also taumelt er von einer „Redeweise“ zur anderen, verwandelt er sich in einen Hausierer, der seine Waren im Bauchladen vor sich Was versucht oder aufgenommen wird, zerbricht sogleich. her trägt und sie anbietet wie Sauerbier 15; also fällt er buchstäblich mit der Tür ins Haus, überfällt er die Tochter mit seinem Ansinnen, sie möge den Fremden nicht nur wohlgefällig aufnehmen, sondern heiraten. Wiederum versucht der Holländer sich in Dalands Ton, ohne dass er darin sich ganz zurecht findet. Was versucht oder aufgenommen wird, zerbricht sogleich. Ganz anderen Zuschnitt haben jene Risse, Sprünge, die Senta bewältigen muss: Als Tochter, die den Vater erwartet und vor jedem Fremden sich ängstigt, weil er sie aus ihren Träumen reißt in prosaische Ehe, als Träumerin, die dem Alltag in seiner Enge entfliehen möchte, zunehmend am Bild des Holländers, an Erzählungen über sein Schicksal haften bleibt. Wird sie zur Grenzgängerin, so muss sie all das zerbrechen, was sie bislang fest hielt. Auch die Regelwerke jener Ballade, die sie viele Male hörte, um sie hier und jetzt und endlich selbst zu singen: Versucht sie die Geschichte des Holländers, seiner Verdammnis, der vergeblichen Suche nach Erlösung zu erzählen, so verstrickt sie sich im Erzählten: Gleich zu Anfang, wenn sie die Rufe der Holländer-Mannschaft imitiert, wiederum im zweiten Teil der Strophe, wenn sie das Geheul des Sturmes aufnimmt, ja, in den Sturm sich verwandelt, im Refrain, wenn sie zu beten anhebt. Senta ist Erzählerin, also BalladenSängerin im engeren Sinne, insofern Geschrieben kurz vor dem „Freischütz“ – also gibt es interne Beziehungen zwischen beidem! Goethe zu Eckermann im Gespräch über „Faust“. Vgl. Anmerkung 9 In diesem Falle bietet er dem fremden, reichen Holländer seine Tochter an. Nr. 22, Juli 2007 MUSIK UND DRAMA 9 sie den Erzähl-Ton vieler Balladen des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts aufnimmt; im nächsten Augenblick jedoch ist sie Natur, Sturm, Schiff, personifiziertes Heulen, Ächzen, Klagen, hernach kniet sie vor einem imaginären Altar, im Gebet um Erlösung für den Verdammten. Dass sie hin und her taumelt zwischen Epischem und Dramatischen, zwischen verschiedenen Sphären des Erzählens, Handelns, zwischen verschiedenen Existenz-Weisen, kehrt sich gegen die einzelnen Sphären selbst: Eine jede Sphäre birgt seltsame Wege, wird zunehmend rissig. Stehen die verschiedenen Teile zueinander fast quer, so verlagert sich ihr Widerstreit ins Einzelne Um dies zu erläutern: Da gibt es, gleich im ersten Teil der Strophe, befremdliche Tonarten-Schritte – von g-moll unversehens nach A-Dur, also weit über die erhoffte Zwischenstadion D-Dur hinaus. Der zweite Teil, das Sturmesheulen, kann hier unmittelbar einsetzen, um jäh auszubrechen – in grelle Dissonanzen rings um fis-moll (nicht A-Dur!) -, alsbald taumelt er zurück ins vormals ausgesparte D-Dur: Hier wie dort gibt es kein tonales Zuhause, nichts, worin man sich verber- gen kann. Erst der dritte Teil, das Gebet, verheißt Einkehr (B-Dur), um sie zurück zu nehmen. Als ob die andächtig Betende heraus gerissen, zurück geworfen werden soll in den Sturm, den sie vergeblich erzählend zu bewältigen sucht! Stehen die verschiedenen Teile zueinander fast quer, so verlagert sich ihr Widerstreit ins Einzelne, bis in die einzelnen Motive hinein, die ihrerseits fast alle aus dem Signalruf der Holländer-Mannschaft (aus der sogenannten „Holländer-Quarte“) und aus dem Schmerzmotiv (d. h. aus dem kleinen Schritt abwärts!) sich herleiten lassen: Wo aber beides, der Signalruf und das Schmerzmotiv zusammen kommen, gibt es keine Ruhe. Senta, von einer Situation zur anderen gehetzt, bricht zusammen – betroffen übernehmen die Mädchen das Gebet –, um auszubrechen, diesmal endgültig: Sie wird den Holländer erlösen, und wenn sie daran zerbricht. Sie wird zerbrechen, wird aufstehen in einer anderen Welt, wird den Holländer an die Hand nehmen auf dem Wege ins „Andere“ – zu Gott, der die unversöhnten Widersprüche miteinander versöhnt, die ungeheilten, unheilbaren Wunden heilt, zusammen bringt, was bislang auseinander getrieben, gerissen ward? In dieser Szene (nicht nur in dieser!) versammeln sich verschiedene Momente des „Romantischen“: Träume, Visionen des „Anderen“, Wege aus dem Bestehenden, mannigfache, oft genug das Mögliche überbietende Versuche, sie zu gehen, und sei es um den Preis des Scheiterns, ja, das Scheitern selbst und sein Gegenteil, beides zusammen, Illusionen (ohne die niemand je existieren kann) und ihr Gegenteil, mehr oder minder vage Ahnungen eines (unerkennbaren?) Ganzen und grelles Ausleuchten der (allzu bekannten, allzu sehr durchschauten!) Einzelheit. Hier, wie in anderen Szenen, hat sich jene Schaukel zwischen Ahnung des Ganzen (des Absoluten) und Erkenntnis des Einzelnen aufgetan, auf der den Schaukelnden „schwindlicht“ wird. 16 Solch romantische Schaukel mitsamt ihren „schwindlichten“ Insassen ist denn auch andernorts auffindbar – in Wagners „Tannhäuser“, „Lohengrin“, erst recht in seinen späten Dramen: Sie haben ohnehin in sich aufgesogen, was die früheren, noch als „Oper“ signierten Werke entwickelten – weltanschaulich und dramaturgisch, also auch musikalisch! Gerd Rienäcker 16 Vgl. hierzu Manfred Frank, Unendliche Annäherung. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt/M 1997, Seite 925 ff. Uwe Faerber: Ersichtlich gewordene Taten der Musik. Musikalische Ausdrucksbestimmungen in Wagners Ring Peter Lang. Europäischer Verlag der Wissenschaften Frankfurt / Main, Berlin, Wien etc. 2003 „M an schien sich damit zu begnügen, in der Wagnerschen Musik bestenfalls das primäre Ausdrucksmittel des Dramas zu erblicken, wobei der jeweilige Gegenstand des musikalischen Ausdrucks durch die Textdichtung bestimmt wird bzw. sich aus ihr ergibt. Wie aber die Musik nicht nur ihr Spannungsgeschehen hörbar auf uns überträgt, sondern darüber hinaus so wirken kann, dass sie die von ihr gestalteten Ausdrucksgegenstände nach dem Hören auch noch für uns sichtbar werden lässt, war bisher kein Anlass für detaillierte Untersuchungen. So ist bis zum heutigen Tage nicht klar, was Wagners Vorstellungen von den ersichtlich gewordenen Taten der Musik für seine MUSIK UND DRAMA 10 Nr. 22 , Juli 2007 Klangschöpfungen eigentlich bedeuten.“ (Seite 7) Uwe Faerber, seit vielen Jahrzehnten mit Wagner befasst, verspricht Abhilfe: Durch ein ausführliches Vorwort, durch eingehende musikpsychologische Exkurse, schließlich durch die Beschreibung nachgerade unzählbarer dramatischer Situationen, deren Musik befragt wird. Etliches ist angesprochen: Die Mehrstufigkeit musikalischer Wirkung, Raum und Zeit in der Musik, Bewegungen und Stauungen, die Assoziationshaftigkeit von Bewegungsformen etc. Von hier aus können einzelne Leitmotive und ihre Konfigurationen beschrieben und danach abgefragt werden, was sie für sich und im Zusammenhang mit der szenischen Situation mitteilen. Mit Faerbers einfühlsamen Beobachtungen sich eingehend zu beschäftigen sollte Dramaturgen und Regisseuren von Nutzen sein – diesseits und jenseits möglicher Inszenierungen der „Ring“-Tetralogie. Dass einige seiner Beschreibungen, Deutungen durchaus zutreffen, gehorcht Wagners theatralischem Gespür, darüber hinaus jenen Traditionen, in denen er komponiert: Traditionen barocker und nachbarocker Rhetorik, Traditionen der Figurenlehre, denen zufolge melodische und harmonische Wendungen als Rede-Weisen, Gesten zu verstehen sind; Traditionen des „redenden Prinzips“ in der Musik, um eine Wortwendung von Carl Philipp Emanuel Bach aufzunehmen. (Am Rande sei vermerkt, dass alle diese Traditionen ihren Dreh- und Angelpunkt im Theater, in der Oper, in theatralischen Szenen der Oratorien, Kantaten und geistlichen Konzerte haben – im Barock und danach! Dem Theater verdankt sich in letzter Instanz die Bedeutsamkeit musikalischer Rede, musikalischer Gesten. In und mit dem Theater ist Richard Wagner groß geworden!) Szene, genauer: Klang, Bild, Raum, Farbe, Bewegung etc., Probleme der Synästhesie und der Synmodalität – wie ungesichert jedoch das Terrain darauf bezogener Forschungen ist, haben Seminare und Konferenzen der letzten Jahre kenntlich gemacht. Und doch kommen Fragen auf – sie beziehen sich auf Faerbers Prämissen, auf seine Deutungen, vor allem auf die Bestimmtheit, mit der sie vorgetragen werden: Des weiteren: Wenn es um ersichtlich gewordene Taten der Musik geht, ist nicht nur nach möglichen Ausdrucksgehalten einzelner Gebilde, sondern ganz wesentlich nach kompositionstechnischen Verfahrensweisen zu fragen. Das gilt für alle Bestimmungen des So und nicht Anders der Grundthemen , für alle Bestimmungen ihrer konstitutiven Parameter und der Modalitäten ihrer Verarbeitung im Spannungsfeld von Beharren und Verändern (Am Rande vermerkt: Wagner hat den von Wolzogen eingeführten Begriff „Leitmotiv“ weder benutzt noch akzeptiert; statt dessen spricht er vom „Gewebe der Grundthemen“ – beides, „Gewebe“ und „Grundthema“ ist ernst zu nehmen!). Das gilt für alle Erörterungen zur Satztechnik, erst recht zur Orchestration, zur Formbildung usw. usf.. Inwieweit lassen Assoziationsfelder musikalischer Gebilde sich so eindeutig festmachen, wie der Autor es meint? Neuere Musikpsychologie weiß es anders; ihr stehen wahre Dickichte sogenannt außermusikalischer Gegebenheiten vor Augen, von denen emotive (und, bitte schön, auch rationale!) Wirkungen der Musik abhängen. Was Musik ist, was sie bedeutet, was von ihr ausgeht, lässt sich nicht anders denn historisch konkret und in vielschichtigen sozialen, kulturellen Kontexten bestimmen. Hinein spielen, aufgrund des Zusammenwirkens von Musik und Dies alles muss Faerbers Beobachtungen nicht entgegenstehen; nur wäre ihnen gelegentlich der Konjunktiv anzuraten, damit das Hypothetische kenntlich wird. Und es gilt für die Bestimmung sehr unterschiedlicher Zusammenhänge szenischer und musikalischer Dramaturgie. Zu alldem nun gibt es bedeutende musik- und musiktheaterwissenschaftliche Arbeiten – erinnert sei vor allem an die von Claus Steffen Mahnkopf und Richard Klein initiierte und mit eindringenden Analysen versehene Anthologie „Richard Wagner. Konstrukteur der Moderne“. Hat Uwe Faerber dergleichen zur Kenntnis genommen? Es wäre seinem Anliegen, seinen Befunden sehr nützlich gewesen. Es gibt wenig Literaturangaben, und schon dies befremdet. Und es stehen Diskrepanzen zwischen Beabsichtigtem und Eingelöstem im Raume, die der Rezensent nicht unerwähnt lassen möchte: So innovativ, wie der Uwe Faerber vorgibt, sind Anliegen, Fragestellungen und Befunde nicht! Gerd Rienäcker Vorankündigung Montag, 17. September 2007 Tertianum-Residenz Passauer Straße 5-7 17.00 Uhr Jour- fi xe, anschließend 18.00 Uhr „Herrin des Hügels“ Oliver Hilmes stellt sein Buch über das Leben der Cosima Wagner vor. Oliver Hilmes © Maximilian Lautenschläger Alle weiteren Termine entnehmen Sie bitte unserer Halbjahresübersicht auf der Homepage. Nr. 22, Juli 2007 MUSIK UND DRAMA 11 Wir über uns Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Interesse an der Gründung einer Richard-Wagner-Stipendienstiftung, aus der die ersten Richard Wagner Verbände 1908 hervorgingen. Der Berliner Verband konstituierte sich dann im Jahre 1909. Inzwischen gibt es weltweit über 120 Richard Wagner Verbände in über 40 Ländern. Wir, der Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V., wollen das Verständnis für das Werk Richard Wagners wecken und vertiefen, das künstlerische Leben in Berlin mitgestalten und den künstlerischen Nachwuchs fördern. Darüber hinaus unterstützen wir die auf Wunsch Richard Wagners gegründete und in Bayreuth bestehende Richard-Wagner-Stipendienstiftung und setzen uns im Sinne Richard Wagners für den Fortbestand der Bayreuther Festspiele ein. Die Durchführung wissenschaftlicher Vorträge zum Werk Richard Wagners, aber auch zu anderen Themen der Musikkultur, bilden einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit. Auch die Unterstützung von Forschungsvorhaben, speziell an Berliner Hochschulen und die Förderung künstlerischer Vorhaben, vorrangig an Opernhäusern Berlins, sehen wir als unsere Aufgabe an. Wir führen in der Regel einmal im Monat eine Veranstaltung durch, wo wir zunächst ungezwungen über aktuelle Ereignisse diskutieren und den persönlichen Kontakt pflegen. Anschließend haben wir Künstler oder Wissenschaftler zu Gast, deren Vorträge sich überwiegend mit dem Werk Richard Wagners befassen. Wir reisen zu interessanten Opernaufführungen und veranstalten Konzerte mit unseren Stipendiaten. Unsere Ehrenmitglieder sind: Ks. Theo Adam Luci Brauer Prof. Götz Friedrich † Ks. René Kollo Deborah Polaski Christian Thielemann Impressum Musik und Drama Nr. 22, Juli 2007 Herausgeber Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e.V. MUSIK UND DRAMA 12 Nr. 22 , Juli 2007 AUFNAHMEANTRAG Ich beantrage die Mitgliedschaft im Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e. V. Ich zahle: den satzungsmäßigen Mindestbeitrag von: € sowie jährlich eine freiwillige Spende von: € Familienname: Vorname: Straße, Nummer: PLZ, Ort: Geburtsdatum: Telefon: Fax: E-Mail: Ich bin mit der Aufnahme der o. g. Daten in das Mitgliederverzeichnis einverstanden: Datum: Unterschrift: Sollten wir auch Ihr Interesse am Richard Wagner Verband BerlinBrandenburg e. V. geweckt haben, füllen Sie bitte das obenstehende Beitrittsformular aus und schicken es an die angegebene Adresse. Jährliche Beitragssätze: Mitglieder Studenten, Auszubildende, Erwerbslose Jur. Personen (Institutionen) 40 € 25 € 100 € Diese Sätze reichen für die Deckung der Kosten nicht aus, daher bitten wir unsere Mitglieder, über den Mindestbeitrag hinaus eine jährliche Spende zu leisten. Redaktion Matthias Spruß Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors wieder. Kontakt: Den Aufnahmeantrag sowie weitere Korrespondenz richten Sie bitte an den: Richard Wagner Verband Berlin-Brandenburg e. V. Helmstedter Str. 12 10717 Berlin Tel Fax Mail Web 030 864 23 674 030 864 23 695 [email protected] www.wagnerverband-berlin.de KTO 256 169 101 BLZ 100 100 10 Postbank Berlin Gestaltung und Satz Ulrich Puhlfürst [email protected]