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Schatzbriefe zum Nulltarif – Die Spekulation mit der Angst
Jens Berger · Donnerstag den 24. Mai 2012
Das gab es noch nie. Bei der gestrigen Versteigerung von zweijährigen
Bundesschatzbriefen mit einem Kupon von 0,0% konnte die Finanzagentur ein
Rekordergebnis erzielen. Gegen einen Abschlag von 0,07% kann sich der Bund nun
4,5 Milliarden Euro zinslos von privaten Investoren leihen. Marktbeobachter gehen
bereits davon aus, dass in den nächsten Monaten für deutsche Staatsanleihen sogar
Negativzinsen erzielt werden könnten. Was vordergründig ein Grund zur Freude ist,
weist jedoch auf eine tiefe Verwerfung des Finanzsystems hin. Offenbar spekulieren
die Finanzinstitute auf einen Kollaps der Eurozone – anders ist die Flucht in den
sicheren Hafen „Bundesschatzbrief“ nicht zu erklären. Von Jens Berger
Der bei Politikern beliebte Satz vom vermeintlich fehlenden Vertrauen der
„Finanzmärkte“ in den Staat sollte nach den jüngsten Entwicklungen auf den Märkten
für Staatsanleihen endgültig auf dem – mittlerweile überbelegten – neoliberalen
Phrasenfriedhof begraben werden. Der deutsche Staat leiht sich mittlerweile Geld,
ohne dass er dafür Zinsen zahlen muss. Bei Geldmarktpapieren mit sechsmonatiger
Laufzeit (Schatzwechsel) konnte der Bund bereits vor einigen Wochen eine
Negativrendite von 0,01% erzielen – die Gläubiger geben dem Bund also de facto
Geld, damit sie ihm noch mehr Geld leihen können. Für die langfristigen zehnjährigen
Anleihen zahlt der Bund momentan 1,77% Zinsen. Das ist niedriger als die
Zielinflation und entspricht somit einem negativen Realzins. Auch die heute
versteigerten zweijährigen Anleihen mit einem Kupon von 0,0% reihen sich nahtlos in
den Trend ein, der an den Sekundärmärkten vorgegeben wird.
Zu den Fachbegriffen und Hintergründen siehe: Ergänzungen und Erklärungen zum
Artikel »Der „Schuldenschnitt“ und das Kleingedruckte«
Warum sollte ein Investor dem Staat Geld leihen, ohne dafür auch nur einen einzigen
Cent Zinsen zu bekommen? Die großen Banken haben die Möglichkeit, ihre freien
Gelder zum Zinssatz von 0,25% bei der Einlagenfazilität der EZB zu parken. Davon
machen die Banken auch regen Gebrauch, momentan werden mehr als 760 Mrd. Euro
bei der EZB geparkt. Aus finanzmathematischer Sicht macht es also keinen Sinn, die
freien Gelder zu einem weitaus schlechteren Zinssatz in deutsche Staatsanleihen zu
stecken, die per Definition immer unsicherer als die Einlagenfazilität sind. Daher
greift auch die populäre, von vielen Finanzjournalisten kolportierte, Erklärung nicht,
die Anleger suchten nach Sicherheit. Auch Privatanleger, die keinen Zugriff auf die
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EZB haben, könnten ihre Ersparnisse weitaus besser verzinst auf einem
Tagesgeldkonto bei einer Sparkasse anlegen, für das der deutsche Staat in voller
Höhe die Garantie übernimmt.
Wer das Mysterium der zinslosen Bundesschatzbriefe erkunden will, wird die Antwort
nicht durch rationale, sondern durch irrationale Erwägungen finden. Es gibt eine
Käuferklientel, die sich durch den Besitz deutscher Staatsanleihen eine besondere
Sicherheit verspricht. Dies sind reiche Privatpersonen und Unternehmen aus den
Ländern, die auf der Angriffsliste der Spekulanten stehen. Die Wahrscheinlichkeit,
dass Griechenland aus der Eurozone ausscheidet, ist durchaus real. Und aus heutiger
Sicht besteht auch eine – wenn auch kleine – Wahrscheinlichkeit, dass in zwei Jahren,
also dann, wenn der eingangs genannte Bundesschatzbrief ausläuft, auch in Ländern
wie Italien, Spanien, Portugal oder Irland der Euro nicht mehr das einzige
Zahlungsmittel ist. Bei einer Währungsreform werden jedoch in der Regel sämtliche
Konten in die neue Währung umgewandelt. Der deutsche Staat wird seine Schulden
jedoch immer in einer harten Währung zurückzahlen, egal ob sie nun Euro oder – was
sehr unwahrscheinlich ist – D-Mark heißen wird. Südeuropäer, die ihr Geldvermögen
gegen eine mögliche Währungsumstellung absichern wollen, haben also gute Gründe,
dem deutschen Staat ihr Geld zu leihen. Hierbei geht es dann nicht um Renditen und
Zinserträge, sondern um die Bewahrung des Vermögens.
Je größer die Gefahr eines Euro-Austritts eines Landes oder gar eines EuroZusammenbruchs wird, desto mehr Fluchtkapital findet seinen Weg nach
Deutschland. Wenn man sich die Target-2-Salden anschaut, die direkte Rückschlüsse
auf die Kapitalflucht von Süd nach Nord ziehen lassen, kann einem nur angst und
bange werden. Der deutsche Staat profitiert so ganz direkt von der Angst, die er
selbst durch seine indoktrinierte Politik anfacht und verantwortet.
Die Spekulation mit der Angst kann sich dabei auch für Banken und Großanleger
lohnen. Wer heute eine Anleihe ohne Verzinsung kauft und kein Kapitalflüchtling ist,
hofft in der Regel darauf, dass die Kurse dieser Papiere noch besser werden, die
Rendite also noch schlechter wird. Selbstverständlich können Anleihen auf dem
Sekundärmarkt auch negative Renditen haben. Dies trifft bereits heute für
Schuldverschreibungen der Schweiz zu, deren zweijährige Staatsanleihen an den
Sekundärmärkten eine negative Rendite von 0,18% notieren. Im Fall der Schweiz
kommt jedoch neben der Kapitalflucht auch noch die Währungsspekulation als Motiv
in Betracht. Wer weiß schon, wie lange die Schweiz die feste Bindung des Franken an
den Euro halten kann?
Sollte die Eurokrise sich also verschärfen, sind auch für deutsche Staatsanleihen
negative Renditen durchaus denkbar. Wer sich heute diese Papiere kauft, spekuliert
demnach auf negative Renditen. Wenn die Anleihen, die heute eine 0%-Rendite haben,
sich durch eine Panik in Südeuropa auf eine negative Rendite „verteuern“ (bei
Anleihen verlaufen Rendite und Kurs genau andersherum), hat der Anleger, der die
Papiere heute erworben hat und später wieder verkauft, einen Gewinn gemacht –
einen Gewinn, der umso größer ausfällt, desto größer die Panik ist.
Was uns heute als „gute Nachricht“ für Deutschland verkauft wird, ist bei näherer
Betrachtung also alles andere als eine gute Nachricht – weder für Deutschland noch
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für Europa. Es wird schon wieder spekuliert und gezockt, was das Zeug hält. Diesmal
spekuliert man auf den Zusammenbruch der Eurozone und die größten Krisentreiber
sind die Profiteure. Diese Spekulation könnte jedoch mit der Einführung von
Eurobonds gestoppt werden. Wenn die deutsche Regierung sich weiterhin gegen
Eurobonds ausspricht, befeuert sie die Spekulation mit der Angst.
Dieser Beitrag wurde publiziert am Donnerstag den 24. Mai 2012 um 09:32
in der Kategorie: Euro und Eurokrise, Finanzen und Währung, Finanzkrise.
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