380_421_BIOsp_0407.qxd 382 12.06.2007 11:36 Uhr Seite 382 WISSENSCHAFT · AKTUELL ÿ Neurodermitis: Mutationen im Filaggrin-Gen (mit)verantwortlich für Schuppenflechte? ÿ Escherichia coli – der Klassiker seit 120 Jahren ÿ PPARγ im Fokus – wie viele Zielmoleküle hat ein Arzneistoff? Gen in den Schlagzeilen Neurodermitis: Mutationen im Filaggrin-Gen (mit)verantwortlich für Schuppenflechte? ó Die atopische Dermatitis (Neurodermitis) gehört zu den häufigsten entzündlichen Hauterkrankungen – in Europa sind davon bis zu einem Fünftel der Kinder betroffen. Die Erkrankung tritt oft auch zusammen mit Heuschnupfen und Asthma auf. Nachdem kürzlich gezeigt werden konnte, dass NullMutationen im Filaggrin-Gen (FLG) für die Ausprägung der Fischschuppenkrankheit (Ichthyosis vulgaris) verantwortlich sind, prüfte ein europäisches Konsortium unter Federführung von Irwin McLean (Dundee, Schottland) und Alan Irvine (Dublin, Irland) die Hypothese, dass weitere Mutationen bzw. Polymorphismen im FLG-Gen eine Prädisposition für die weitverbreitete Form der Neurodermitis darstellen. Tatsächlich zeigen die fünf häufigsten europä- ischen Mutationen eine starke Assoziation mit mittleren bis schweren Formen kindlicher Ekzeme. Die Studie ergab weiterhin, dass diese Mutationen stammesgeschichtlich alt sind und sich in konservierten Haplotypen lange erhalten haben. Das FLG-Gen (Chromosom 1; 1q21.3) ist Teil eines Gen-Clusters, das spät in der Differenzierung der Hautzellen exprimiert wird; Filaggrin ist die Hauptproteinkomponente der Keratohyalin-Granula der Epidermis von Säugern (A. Sandilands et mult. al., Nat. Genet. 39 (2007) 650–654). Die Arbeit wirft zwei wichtige Fragen auf: Da das FLG-Gen sehr starke repetitive Ele- mente aufweist, könnte es sein, dass mit der „klassischen“ SNPTechnologie keine Assoziation festgestellt worden wäre. Daher haben die Autoren das Gen für ihre Studien direkt sequenziert. Die zweite Frage ergibt sich aus dem hohen stammesgeschichtlichen Alter der Mutationen. Das Vorkommen von populationsspezifischen Spektren der Mutationen, die für eine Prävalenz verantwortlich sind, deutet auf einen Vorteil der Heterozygoten in der Vergangenheit. Die Autoren spekulieren darüber, ob die Träger von FLG-Mutationen aufgrund ihrer spröden Haut einer Antikörperbildung eher ausgesetzt sind als die „Wildtypen“ mit glatter Haut. Jochen Graw, Neuherberg ó Mikroorganismus in den Schlagzeilen Escherichia coli – der Klassiker seit 120 Jahren ó Als Theodor Escherich vor gut 120 Jahren ein „bacterium coli commune“ erstmals beschrieb, ahnte er sicher nicht, wie „commun“ dieser Mikroorganismus für Biologen eines Tages sein würde. Heute repräsentiert Escherichia coli einen der wichtigsten und am besten charakterisierten mikrobiellen Modellorganismen der Molekularbiologie. Wie alle Vertreter der Enterobacteriaceae ist E. coli ubiquitär verbreitet und ein Teil der kommensalen Flora des Menschen und warmblütiger Tiere. Im Alltag ist diese Art vor allem als Indikator für fäkale Verunreinigungen von Bedeutung. Als Produktionsstamm dient E. coli in der Biotechnologie zur industriellen Produktion einer Vielzahl von chemischen Verbindungen und einer Reihe von pharmakologisch relevanten Proteinen wie dem Insulin. Diese Produktionsund Laborstämme sind jedoch definierte auxotrophe Mutanten, die nicht mehr viel von der beträchtlichen geno- und phänotypischen Diversität wildtypischer Isolate aufweisen. Bislang wurden acht komplette E. coli-Genome sequenziert, deren Größen um bis zu 1 Mb, also etwa einem Fünftel des E. coli K-12Genoms, variieren und vermutlich mit Anpassungen an unterschiedliche Lebensbedingungen einhergehen. Neben dem Vorkommen als Kommensale tritt E. coli auch als wichtiger Krankheitserreger in Erscheinung. Bereits kurz nach der Entdeckung durch Theodor Escherich in Würzburg postulierte Adolphe Lesage 1897 die Existenz verschiedener apathogener und pathogener E. coli-Stämme. Heute unterscheidet man intestinal pathogene E. coli-Varianten, die Durchfallerkrankungen hervorrufen, von extraintestinal pathogenen E. coli, die Harnwegsinfektionen, Sepsis oder Neugeborenen-Meningitis auslösen. Die Charakterisierung dieser pathogenen E. coli-Stämme führte zur Identifizierung wichtiger Grundprinzipien der Wirkungsweise von Pathogenitätsfaktoren und ihrer horizontalen Übertragung auf andere Bakterien, wie Typ I-Sekretionssysteme oder die Pathogenitätsinseln. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von E. coli-Bakterien in einem Biofilm. Sir Aldo Castellani und Albert J. Chalmers benannten 1919 das „bacterium coli commune“ nach seinem Entdecker in „Escherichia coli“ um. Anlässlich des 150. Geburtstages von Theodor Escherich veranstaltet die Universität Würzburg in Zusammenarbeit mit einer Reihe von deutschen und europäischen Wissenschaftsorganisationen im Oktober ein Internationales Symposium „E. coli – Facets of a versatile pathogen“ (www.ecoli2007.uni-wuerzburg.de), das den aktuellen Stand der modernen E. coli-Forschung umfassend darstellen wird. Ulrich Dobrindt, Würzburg ó BIOspektrum | 04.07 | 13. Jahrgang 380_421_BIOsp_0407.qxd 12.06.2007 11:36 Uhr Seite 383 383 Arzneistoff in den Schlagzeilen PPARγγ im Fokus – wie viele Zielmoleküle hat ein Arzneistoff? ó „Mehr Herzinfarkte nach Antidiabetikum“ – was steckt dahinter? Am 21. Mai veröffentlichten Bruce M. Psaty und Curt D. Furberg (New Engl. J. Med. 356 (2007) 10.1056/NEJMe078099) eine Metaanalyse von 42 klinischen Studien mit dem Diabetes-Medikament Rosiglitazon. Die Autoren berichten, dass das Herzinfarktrisiko nach Einnahme von Rosiglitazon um 43 % zunimmt. In BIOspektrum 3/07 wurde über ein erhöhtes Knochenbruchrisiko nach Einnahme der Glitazone berichtet. Und was kommt als Nächstes? Aus der aktuellen Diskussion sind zwei wesentliche Schlussfolgerungen zu treffen. Erstens: Transkriptionsfaktoren haben viele Zielgene, und damit können Arzneistoffe, die sie modulieren, auch viele biologische Effekte auslösen. Die zahlreichen erwünschten und unerwünschten Wirkungen von Cortison, die über nukleäre Rezeptoren vermittelt werden, sind das beste Bei- BIOspektrum | 04.07 | 13. Jahrgang spiel. Die Rote Liste nennt für das CortisonDerivat Prednisolon mehr als 19 Indikationen und 24 unerwünschte Wirkungen. Warum sollte dies für Glitazone anders sein? Glitazone aktivieren den PPARγ-Rezeptor (Abb.) und regulieren darüber die Transkription von Genen des Glucose- und Fettstoffwechsels. Das mag wesentlich zur Senkung des Blutzuckers bei Diabetikern beitragen. Aber sie können mehr: In einer Microarrayanalyse an Knochenmarkzellen veränderte Rosiglitazon die Expression von über 6.700 Genen (C. Lecka-Czernik et al., Endocrinol. 148 (2007) 903–911)! Und zweitens: Surrogatparameter – in diesem Fall die Senkung des Nüchternblutzuckers oder des glyzierten Hämoglobins – müssen nicht unbedingt mit einer Verbesserung des Krankheitsverlaufs einhergehen. Eine verbesserte Blutzuckereinstellung sollte nach allgemeiner Meinung zu einer Abnahme der kar- Abb. entnommen aus R. T. Nolte et al., Nature 395 (1998) 137. diovaskulären Komplikationen führen – das wurde auch für die Glitazone erwartet. Selbst wenn die neue Metaanalyse mit größter Vorsicht interpretiert wird – Rosiglitazon reduziert das Herzinfarktrisiko nicht, es steigert es eher! Das war aus experimentellen Untersuchungen im Tiermodell längst bekannt (C. A. Lygate et al., Cardiovasc. Res. 58 (2003) 632–637). Trotzdem sollten Glitazone nun nicht gleich verdammt werden. Die Indikation für ihren klinischen Einsatz muss aber besser definiert werden. Die hohe Zahl der durch Glitazone regulierten Gene lässt hoffen – vielleicht wird daraus noch ein Krebsmedikament. Am Ende gilt: keine Hauptwirkung ohne Nebenwirkung! Lutz Hein, Freiburg ó