Aktuell - BIOspektrum

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WISSENSCHAFT · AKTUELL
ÿ Neurodermitis: Mutationen im Filaggrin-Gen (mit)verantwortlich für Schuppenflechte?
ÿ Escherichia coli – der Klassiker seit 120 Jahren
ÿ PPARγ im Fokus – wie viele Zielmoleküle hat ein Arzneistoff?
Gen in den Schlagzeilen
Neurodermitis: Mutationen im Filaggrin-Gen (mit)verantwortlich für
Schuppenflechte?
ó Die atopische Dermatitis
(Neurodermitis) gehört zu den
häufigsten entzündlichen Hauterkrankungen – in Europa sind
davon bis zu einem Fünftel der Kinder betroffen. Die Erkrankung tritt oft auch zusammen
mit Heuschnupfen und Asthma auf. Nachdem
kürzlich gezeigt werden konnte, dass NullMutationen im Filaggrin-Gen (FLG) für die Ausprägung der Fischschuppenkrankheit (Ichthyosis vulgaris) verantwortlich sind, prüfte ein
europäisches Konsortium unter Federführung
von Irwin McLean (Dundee, Schottland) und
Alan Irvine (Dublin, Irland) die Hypothese, dass
weitere Mutationen bzw. Polymorphismen im
FLG-Gen eine Prädisposition für die weitverbreitete Form der Neurodermitis darstellen.
Tatsächlich zeigen die fünf häufigsten europä-
ischen Mutationen eine starke Assoziation mit
mittleren bis schweren Formen kindlicher Ekzeme. Die Studie ergab weiterhin, dass diese
Mutationen stammesgeschichtlich alt sind und
sich in konservierten Haplotypen lange erhalten haben. Das FLG-Gen (Chromosom 1;
1q21.3) ist Teil eines Gen-Clusters, das spät
in der Differenzierung der Hautzellen exprimiert wird; Filaggrin ist die Hauptproteinkomponente der Keratohyalin-Granula der Epidermis von Säugern (A. Sandilands et mult. al.,
Nat. Genet. 39 (2007) 650–654).
Die Arbeit wirft zwei wichtige Fragen auf:
Da das FLG-Gen sehr starke repetitive Ele-
mente aufweist, könnte es sein,
dass mit der „klassischen“ SNPTechnologie keine Assoziation
festgestellt worden wäre. Daher
haben die Autoren das Gen für ihre Studien
direkt sequenziert. Die zweite Frage ergibt sich
aus dem hohen stammesgeschichtlichen Alter
der Mutationen. Das Vorkommen von populationsspezifischen Spektren der Mutationen,
die für eine Prävalenz verantwortlich sind, deutet auf einen Vorteil der Heterozygoten in der
Vergangenheit. Die Autoren spekulieren darüber, ob die Träger von FLG-Mutationen aufgrund ihrer spröden Haut einer Antikörperbildung eher ausgesetzt sind als die „Wildtypen“
mit glatter Haut.
Jochen Graw, Neuherberg ó
Mikroorganismus in den Schlagzeilen
Escherichia coli – der Klassiker seit 120 Jahren
ó Als Theodor Escherich vor gut 120 Jahren
ein „bacterium coli commune“ erstmals
beschrieb, ahnte er sicher nicht, wie „commun“ dieser Mikroorganismus für Biologen
eines Tages sein würde. Heute repräsentiert
Escherichia coli einen der wichtigsten und am
besten charakterisierten mikrobiellen Modellorganismen der Molekularbiologie. Wie alle
Vertreter der Enterobacteriaceae ist E. coli ubiquitär verbreitet und ein Teil der kommensalen
Flora des Menschen und warmblütiger Tiere.
Im Alltag ist diese Art vor allem als Indikator für
fäkale Verunreinigungen von Bedeutung. Als
Produktionsstamm dient E. coli in der Biotechnologie zur industriellen Produktion einer
Vielzahl von chemischen Verbindungen und
einer Reihe von pharmakologisch relevanten
Proteinen wie dem Insulin. Diese Produktionsund Laborstämme sind jedoch definierte auxotrophe Mutanten, die nicht mehr viel von der
beträchtlichen geno- und phänotypischen
Diversität wildtypischer Isolate aufweisen. Bislang wurden acht komplette E. coli-Genome
sequenziert, deren Größen um bis zu 1 Mb,
also etwa einem Fünftel des E. coli K-12Genoms, variieren und vermutlich mit Anpassungen an unterschiedliche Lebensbedingungen einhergehen.
Neben dem Vorkommen als Kommensale
tritt E. coli auch als wichtiger Krankheitserreger in Erscheinung. Bereits kurz nach der Entdeckung durch Theodor Escherich in Würzburg
postulierte Adolphe Lesage 1897 die Existenz
verschiedener apathogener und pathogener E.
coli-Stämme. Heute unterscheidet man intestinal pathogene E. coli-Varianten, die Durchfallerkrankungen hervorrufen, von extraintestinal pathogenen E. coli, die Harnwegsinfektionen, Sepsis oder Neugeborenen-Meningitis
auslösen. Die Charakterisierung dieser pathogenen E. coli-Stämme führte zur Identifizierung wichtiger Grundprinzipien der Wirkungsweise von Pathogenitätsfaktoren und ihrer horizontalen Übertragung auf andere Bakterien,
wie Typ I-Sekretionssysteme oder die Pathogenitätsinseln.
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von
E. coli-Bakterien in einem Biofilm.
Sir Aldo Castellani und Albert J. Chalmers
benannten 1919 das „bacterium coli commune“
nach seinem Entdecker in „Escherichia coli“
um. Anlässlich des 150. Geburtstages von Theodor Escherich veranstaltet die Universität
Würzburg in Zusammenarbeit mit einer Reihe
von deutschen und europäischen Wissenschaftsorganisationen im Oktober ein Internationales Symposium „E. coli – Facets of a
versatile pathogen“ (www.ecoli2007.uni-wuerzburg.de), das den aktuellen Stand der modernen E. coli-Forschung umfassend darstellen
wird.
Ulrich Dobrindt, Würzburg ó
BIOspektrum | 04.07 | 13. Jahrgang
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Arzneistoff in den Schlagzeilen
PPARγγ im Fokus – wie viele Zielmoleküle hat ein Arzneistoff?
ó „Mehr Herzinfarkte nach Antidiabetikum“ –
was steckt dahinter? Am 21. Mai veröffentlichten Bruce M. Psaty und Curt D. Furberg
(New Engl. J. Med. 356 (2007) 10.1056/NEJMe078099) eine Metaanalyse von 42 klinischen Studien mit dem Diabetes-Medikament
Rosiglitazon. Die Autoren berichten, dass das
Herzinfarktrisiko nach Einnahme von Rosiglitazon um 43 % zunimmt. In BIOspektrum 3/07
wurde über ein erhöhtes Knochenbruchrisiko
nach Einnahme der Glitazone berichtet. Und
was kommt als Nächstes? Aus der aktuellen
Diskussion sind zwei wesentliche Schlussfolgerungen zu treffen. Erstens: Transkriptionsfaktoren haben viele Zielgene, und damit können Arzneistoffe, die sie modulieren, auch viele biologische Effekte auslösen. Die zahlreichen erwünschten und unerwünschten Wirkungen von Cortison, die über nukleäre Rezeptoren vermittelt werden, sind das beste Bei-
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spiel. Die Rote Liste nennt für das CortisonDerivat Prednisolon mehr als 19 Indikationen
und 24 unerwünschte Wirkungen. Warum sollte dies für Glitazone anders sein? Glitazone
aktivieren den PPARγ-Rezeptor (Abb.) und
regulieren darüber die Transkription von Genen
des Glucose- und Fettstoffwechsels. Das mag
wesentlich zur Senkung des Blutzuckers bei
Diabetikern beitragen. Aber sie können mehr:
In einer Microarrayanalyse an Knochenmarkzellen veränderte Rosiglitazon die Expression
von über 6.700 Genen (C. Lecka-Czernik et al.,
Endocrinol. 148 (2007) 903–911)!
Und zweitens: Surrogatparameter – in diesem Fall die Senkung des Nüchternblutzuckers
oder des glyzierten Hämoglobins – müssen
nicht unbedingt mit einer Verbesserung des
Krankheitsverlaufs einhergehen. Eine verbesserte Blutzuckereinstellung sollte nach allgemeiner Meinung zu einer Abnahme der kar-
Abb. entnommen
aus R. T. Nolte et
al., Nature 395
(1998) 137.
diovaskulären Komplikationen führen – das
wurde auch für die Glitazone erwartet. Selbst
wenn die neue Metaanalyse mit größter Vorsicht interpretiert wird – Rosiglitazon reduziert
das Herzinfarktrisiko nicht, es steigert es eher!
Das war aus experimentellen Untersuchungen
im Tiermodell längst bekannt (C. A. Lygate et
al., Cardiovasc. Res. 58 (2003) 632–637).
Trotzdem sollten Glitazone nun nicht gleich
verdammt werden. Die Indikation für ihren klinischen Einsatz muss aber besser definiert
werden. Die hohe Zahl der durch Glitazone
regulierten Gene lässt hoffen – vielleicht wird
daraus noch ein Krebsmedikament. Am Ende
gilt: keine Hauptwirkung ohne Nebenwirkung!
Lutz Hein, Freiburg ó
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