STK - Zeitschrift 4/2000 Artikel 10

Werbung
STK - Zeitschrift 4/2000 Artikel 10
Neurontin - ein Antikonvulsivum bewährt sich in der Schmerztherapie
Gabapentin, ein modernes Antiepileptikum, hat sich nun auch hierzulande nach seinem Siegeszug in
den USA als Schmerzmittel etabliert. In Deutschland erhielt Neurontin jetzt die erweiterte Indikation
für neuropathische Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie und postzosterischer Neuralgie.
Bei Neuropathien lindert es Dauerschmerzen und die attackenförmigen Schmerzsalven
gleichermaßen, so dass es bei Polyneuropathien und postzosterischen Neuralgien bereits ein Mittel
der ersten Wahl darstellt. Aufgrund seiner guten Verträglichkeit rückt ist es auch in der Onkologie bei
neuropathischen Schmerzen als Ko-Analgetikum an die erste Stelle. In Kombination mit Opioiden
verspricht es bei gemischten Krebsschmerzen eine schnell wirksame und verträgliche Analgesie
ohne unerwünschte Interaktionen mit Chemotherapeutika.
Bei zentralen Schmerzsyndromen lohnt sich ebenfalls ein Therapieversuch mit diesem
Antikonvulsivum. Zu diesem Resümee kamen die Experten beim Neurontinsymposium in Hamburg.
Chemisch gleicht Gabapentin dem
Neurotransmitter GABA und wurde durch seine
zusätzlichen 5 Kohlenstoffringe liquorgängig.
Im ZNS führt es zur indirekten Anreicherung des
hemmenden GABA an den übererregbaren
Nervenzellen. Es lindert nicht den akuten
Schmerz, sondern wirkt selektiv beim
neuroplastisch veränderten Nervensystem
analgetisch. Klinisch besticht Neurontin im
Vergleich zu älteren Antikonvulsiva durch seine
gute Verträglichkeit: Es besitzt keine wirksamen
Metaboliten, keine Interaktionen und beeinflusst
nicht die Begleitmedikation. An der Leber
kommt es weder zu Induktion noch Hemmung,
es wird unverändert renal ausgeschieden,
erläuterte Prof. BURKHART BROMM, Hamburg, in
seiner Einführung.
Wie entstehen neuropathische Schmerzen?
Bei neuropathischen Schmerzen entsteht die Hyperalgesie auf der Rückenmarksebene durch drei
verschiedene Pathomechanismen, erklärte Prof. JÜRGEN SANDKÜHLER, Heidelberg. Am Rückenmark kommt
es:
1. zur Langzeitpotenzierung der synaptischen Übertragungsstärke,
2. zum Verlust von inhibitorischen Interneuronen durch die neurotoxische Wirkung des Glutamats und
3. zur Reorganisation von synaptischen Verbindungen.
http://www.stk-ev.de/2003/pages/zeitschrift/z4_00/art_410.html (1 von 4)19.03.2004 15:22:46
STK - Zeitschrift 4/2000 Artikel 10
Gabapentin - Mittel der Wahl gegen Neuropathien
Gabapentin wirkt bei neuropathischen Schmerzen in Dosierungen von 1200-3600mg
analgetisch. Dies wurde bei der postherpetischen und der diabetischen Neuropathie in
großen plazebokontrollierten Studien gezeigt. Es reduziert sowohl den
Spontanschmerz als auch die plötzlich einschießenden Schmerzattacken. Der Mythos,
dass es als Antikonvulsivum nur die attackenförmigen Schmerzen lindert, ist längst
widerlegt, betonte Prof. RALF BARON, Kiel. Es bessert auch die mechanische Allodynie
und die Kälte-Allodynie. Aufgrund seiner Verträglichkeit hat Gabapentin Carbamazepin
bei diesen Indikationen abgelöst und ersetzt zunehmend auch Amitriptylin als Mittel
der ersten Wahl.
Ralf Baron, Kiel
Hinter neuropathischen Schmerzen stecken eine Reihe verschiedener Schmerzsyndrome, deren klinische
Charakteristika der Spontanschmerz mit brennenden Dauerschmerzen und einschießenden Schmerzattacken
sowie der evozierte Schmerz mit der Berührungsallodynie sind. Klinisch bedeutsam sind die postherpetische
Neuralgie (PHN), die Polyneuropathie (diabetisch, alkoholisch), seltener das komplexe regionale
Schmerzsyndrom und die posttraumatische Neuralgie. Brennende Dauerschmerzen entstehen vermutlich
durch ständig aktive, spontan aktive sensibilisierte periphere Nozizeptoren. Die Häufigkeit von
einschießenden Attacken ist unbekannt, bei der PHN liegt sie bei 50%. Die dynamische Allodynie entsteht
durch falsch verschaltete A -Fasern, die auf C-Faser umgestellt werden. Ähnlich lässt sich die KälteHyperalgesie durch eine Fehlschaltung der A -Faser auf nozizeptive Fasern interpretieren. Histologische
Befunde bei der PHN zeigen, dass es auch zur Neuronendegeneration kommt, so dass die bunte Klinik der
Neuropathien durch Neuronendegeneration und Sensibilisierung mit Fehlverschaltungen zustande kommt.
Aufgrund der verschiedenen Pathomechanismen, die hinter einer Neuropathie stecken können, sprechen
nicht alle Patienten auf dasselbe Medikament an. Dies gilt auch für Gabapentin, aber bei 59% ist die Response
sehr gut, erläuterte der Kieler Experte. Responder auf Gabapentin dürften die Patienten sein, bei denen es zur
zentralen Sensibilisierung mit einer Überaktivierung der peripheren Verschaltung gekommen ist. Kein
Ansprechen ist zu erwarten, wenn die Neuronendegeneration im Vordergrund steht. Klinisch können diese
Patienten aber nicht identifiziert werden und daher empfiehlt sich ein Therapieversuch mit Gabapentin. Derzeit
gilt als Standardtherapie der Neuropathie noch das trizyklische Antidepressivum, scheitert dies, kommt
Gabapentin in einer Dosis von 900-1800mg täglich zum Einsatz. Für die diabetische Neuropathie wurde in
einer Vergleichsstudie aber bereits gezeigt, dass Gabapentin dem Amitriptylin insbesondere aufgrund
besserer Verträglichkeit überlegen war. Daher wird vermutlich Neurontin das Amitriptylin als Mittel der Wahl
ebenfalls ablösen, prophezeite der Kieler Experte. Versagt die Therapie, kommen schwache Opioide, dann
stark wirksame Opioide und topische Medikamente zum Einsatz.
Mit Gabapentin gegen zentrale Schmerzen
http://www.stk-ev.de/2003/pages/zeitschrift/z4_00/art_410.html (2 von 4)19.03.2004 15:22:46
STK - Zeitschrift 4/2000 Artikel 10
Schmerzsyndrome, z.B. durch eine ponto-mesenzephale Läsion gelindert werden. Eine interessante Kasuistik,
bei der die Wirksamkeit von Gabapentin durch Linderung der pathologischen laserevozierten Potentiale belegt
werden konnte, präsentierte Dr. med. JÜRGEN LORENZ, Hamburg. Es handelte sich um ein schweres zentrales
Schmerzsyndrom, das bei einem 41jährigen Patienten mit multiplen Hämangiomen bei einem Morbus HippelLindau nach Entfernung eines zerebellären Hämangioms auftrat.
Postoperativ traten brennende krampfartige Schmerzen im Fuß auf. In der Kernspintomographie fand sich
eine lemniskale Läsion. Dieser Patient wurde mit Carbamazepin, NSAR und Opioiden sowie einer
Grenzstrangblockade erfolglos vorbehandelt. Er sprach auf Gabapentin in einer Tagesdosis von 1800mg/d gut
an. Die vorher fast unerträglichen Schmerzen auf der VAS-Skala von 9 sanken auf VAS 4. Parallel dazu
verschwanden die ultraspäten pathologischen laserevozierten Potentiale der C-Fasern. Der Rückgang der
Schmerzen und der ultraspäten Potentiale belegen die antinozeptive oder defacilitative Wirkung von
Gabapentin, die ohne globale ZNS-Dämpfung erzielt wurde.
Neurontin - Das Ko-Analgetikum der Wahl bei neuropathischen Krebsschmerzen
Neuropathien treten bei Krebs häufig auf und sind negative Prognosefaktoren. Gerade
bei neuropathischen Krebsschmerzen ist Neurontin als Ko-Analgetikum ein Mittel der
Wahl, berichtete Dr. med. MARIANNE KLOKE, Essen. Es ist ebenso effektiv wie das
Carbamazepin und kann im Unterschied zum Carbamazepin schneller innerhalb einer
Woche aufdosiert werden. Tagesdosierungen von 900 mg - 1800 mg täglich reichen
meist bei dieser Indikation. In Kombination mit Opioiden erhöht es deren Absorption
und reduziert die Elimination, so dass sich eventuell Opioide einsparen lassen. Gerade
bei Krebskranken finden sich häufig Organfunktionseinbußen und eine
Polypharmakotherapie. Gabapentin besitzt hier Vorteile, da es nicht in der Leber
metabolisiert wird, keine Enzyminduktion oder -hemmung auslöst und nicht an Eiweiße
bindet.
Marianne Kloke, Essen
Neuropathien bei Krebskranken können Folge der Therapie, tumorassoziiert, direkt durch den Tumor bedingt
sein, oder durch eine postherpetische Neuralgie entstehen. Diagnostisch erfordern sie eine sorgfältige
Abklärung mit körperlicher Untersuchung, bildgebender Diagnostik und neurophysiologischer Untersuchung.
Um keine Tumoren zu übersehen, müssen verschiedene bildgebende Verfahren stets bei der Ursachensuche
kombiniert werden. In einer eigenen retrospektiven Studie an 275 Tumorpatienten zeigte KLOKE, dass sich rein
neuropathische Schmerzen bei n=16, oft kombinierte neuropathische/ nozizeptive (n = 80) und nozizeptive
Neuropathien (n =168) dahinter verbergen.
Der Primärtumor und das Tumorstadium sind keine Kriterien für das Auftreten von Neuropathien und deren
Schmerzverteilung: In allen Tumorstadien können Neuropathien auftreten, manchmal sind sie Erstsymptome
des Tumors. Hinter Tumorschmerzen stecken bei 63-83% somatische Schmerzen, bei 9-16% neuropathische
und bei jedem dritten Mischformen.
Abb. 1: Antikonvulsiva bei neuropathischen Schmerzen von Krebskranken.
Was hilft gegen diese kombinierten Schmerzen?
http://www.stk-ev.de/2003/pages/zeitschrift/z4_00/art_410.html (3 von 4)19.03.2004 15:22:46
STK - Zeitschrift 4/2000 Artikel 10
Ko-Analgetika mit gesicherter Wirksamkeit sind neben den Antidepressiva nur die Antikonvulsiva, betonte die
Essener Onkologin. Kortikosteroide sollten nur in Einzelfällen zum Einsatz kommen und Antiarrhythmika
spielen gar keine Rolle in der Onkologie. Für den Einsatz von Neurontin beim Krebsschmerz spricht auch
seine gute Kombinierbarkeit mit Opioiden. Die analgetische Wirkung von beiden Substanzen wird verstärkt, so
dass sich evtl. Opioide einsparen lassen.
http://www.stk-ev.de/2003/pages/zeitschrift/z4_00/art_410.html (4 von 4)19.03.2004 15:22:46
Herunterladen