Betreuung von Patientinnen mit Risiken für Depressionen, Psychosen und Angstzuständen in der Schwangerschaft, unter der Geburt und in der Stillzeit Dr. Ferdinand von Baumgarten Neurologe, Psychiater; Psychotherapeut Max Planck Str. 15 97204 Höchberg It isn´t just blues 20 % der Schwangeren haben psychische Probleme von Krankheitswert -Depressionen -Vorübergehende psychotische Störungen -Bipolare Störungen -Generalisierte Angststörung -Panikstörung -Schizoaffektive Störung -Schizophrene Störungen Psychodynamische Aspekte der Schwangerschaft Die Entbindung ist eine Separationserfahrung • • • • • • Reaktivierung früherer Trennungserfahrungen Angstentstehung durch die anstehende Trennung vom Kind und den Verlust der Symbiose (Separationsmodell ) Reaktivierung latenter Autonomie-Abhängigkeitkonflikte Reaktivierung abgespaltener u.U. traumatischer Erfahrungen (Mißbrauch) durch Körpergedächtnis im Rahmen der gynäkologischen Behandlung Vermehrte unspezifische Aggression (arousal, aggressive Bestrebung im Dienst des Schutzes des Säuglings- „Der gefährlichste Bär ist der mit kleinem Kind…“) Entstehung von Zwangshandlungen oder Angst durch unterdrücke Aggressivität (Versuch sich selber unter Kontrolle zu bringen: Waschen Putzen Ordnen) Anthropologische und psychologische Aspekte einer Geburt Die Frau verliert vorübergehend ihre Autonomie und bedarf des gesellschaftlichen Schutzes • • • • • • Rückbesinnung auf die eigene Mutter Vermehrtes Anlehnungsbedürfniss: junge Mütter müssen anders behandelt werden als andere Menschen Therapeut muss modellhaft Zuwendung und Fürsorglichkeit ausstrahlen Therapeut sollte Lebenseinschnitt der Geburt (Aufgabe der Berufstätigkeit, Veränderung in der Partnerschaft, Verantwortungsübernahme der Frau ) würdigen Unterbewusste Wünsche der Frau die sich mit der Kindsgeburt verbinden: Wiedererlangung der Symbiose, Kittung bei Partnerschaftskonflikt, Unabhängigkeitserklärung an die eigene Mutter, Anerkennungskonflikte Divergierende Rollenerwartung der Gesellschaft Differenzierte Betreuung psychischer Störungen Psychotherapeutische Verfahren sollten nach Möglichkeit Grundlage der Betreuung sein In Schwangerschaft und Stillzeit sind die Möglichkeiten einer Psychopharmakotherapie eingeschränkt und somit auf das Nötigste zu begrenzen Vorraussetzung dafür ist eine möglichst genaue diagnostische Einordnung der Störungen Diese soll eine möglichst zuverlässige Risikoeinschätzung ermöglichen Globale Einteilungen wie Depression, Angst und Psychose reichen dafür nicht aus Affektive Erkrankungen Depressive Episode Rezidivierende depressive Episoden Manie Bipolare Störung Manische Episoden Depressive Episoden Mischzustände Depressive Episoden Leitsymptome: Anhedonie, gedrückte Stimmung Verminderung von Antrieb und Aktivität Vegetative Störungen Schuldgefühle, Gedanken über eigene Wertlosigkeit Verstimmung unabhängig von Lebensumständen Früherwachen, Morgentief Psychomotorische Hemmung Dauer: 6 Wochen bis ca 12 Monate Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht (F32.0), mittelgradig (F 32.1) oder schwer (F32.2 und F 32.3) zu bezeichnen Quantifizierung durch Hamilton Depressionsskala F33. Rezidivierende depressive Störung • • • • • • • • Auftreten von mehr als einer depressiven Episode im Leben eines Menschen Keine manischen Episoden Stimmungskongruente psychotische Symptome möglich Schwerere Formen : Gemeinsamkeiten mit früheren Konzepten der Melancholie, vitalen Depression und endogenen Depression Erstmanifestation: zwischen Kindheit und Senium Beginn: akut oder schleichend Dauer : wenige Wochen bis viele Monaten Möglichkeit des Auftretens einer manischen Episode bleibt immer bestehen Bei Auftreten einer manischen Episode ist die Diagnose in bipolare affektive Störung zu ändern (F31.-) F33.-Rezidivierende Depressive StörungDiagnostische Einteilung I F33.0 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode leicht ist (siehe F32.0), ohne Manie in der Anamnese. F33.1 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode mittelgradig ist (siehe F32.1), ohne Manie in der Anamnese. F33.2 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist, wobei die gegenwärtige Episode schwer ist, ohne psychotische Symptome (siehe F32.2) und ohne Manie in der Anamnese. F33.-Rezidivierende Depressive StörungDiagnostische Einteilung II F33.3 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen Eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden gekennzeichnet ist; die gegenwärtige Episode ist schwer, mit psychotischen Symptomen (siehe F32.3), ohne vorhergehende manische Episoden. Endogene Depression mit psychotischen Symptomen F33.4 Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert Manische Episode F30.0 Hypomanie Anhaltende, leicht gehobene Stimmung Gesteigerten Antrieb und Aktivität Auffallendes Gefühl von Wohlbefinden und körperlicher und seelischer Leistungsfähigkeit Gesteigerte Geselligkeit, Gesprächigkeit, übermäßige Vertraulichkeit Gesteigerte Libido Vermindertes Schlafbedürfnis Führt meist nicht zu einem Abbruch der Berufstätigkeit oder zu sozialer Ablehnung Manische Episoden (nicht rezidivierend, nicht abwechselnd mit depressiven Episoden) F30.1 Manie ohne psychotische Symptome • • • • • • Stimmung: situationsinadäquat gehoben, zwischen sorgloser Heiterkeit und fast unkontrollierbarer Erregung Vermehrter Antrieb Starke Ablenkbarkeit Größenideen, übertriebenem Optimismus Verlust normaler sozialer Hemmungen Leichtsinniges, rücksichtsloses oder in Bezug auf die Umstände unpassendes und persönlichkeitsfremdes Verhalten Manische Episoden (nicht rezidivierend, nicht abwechselnd mit depressiven Episoden) F30.2 Manie mit psychotischen Symptomen Zusätzlich: Wahn (zumeist Größenwahn) oder Halluzinationen (zumeist Stimmen, die unmittelbar zum Betroffenen sprechen) Erregung, ausgeprägte körperliche Aktivität und Ideenflucht bis zur Kommunikationsunfähigkeit Bipolare Störungen F31.3 Bipolare affektive Störung, gegenwärtig leichte oder mittelgradige depressive Episode F31.4 Bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome F31.5 Bipolare affektive Psychose, gegenwärtig schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen F20.- Schizophrenie Kardinalsymptome betreffen: •Denken •Wahrnehmung •Affekt Bewußtseinsklarheit und intellektuellen Fähigkeiten in der Regel nicht beeinträchtigt, obwohl sich im Laufe der Zeit gewisse kognitive Defizite entwickeln können F20.- Schizophrenie Wichtigste psychopathologische Phänomene: Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Wahnwahrnehmung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten, Stimmen, die in der dritten Person den Patienten kommentieren oder über ihn sprechen, Denkstörungen und Negativsymptome Verlauf : kontinuierlich episodisch mit zunehmenden oder stabilen Defiziten sein Episoden mit vollständiger oder unvollständiger Remission F20.- Schizophrenie F20.0 Paranoide Schizophrenie -Beständige, häufig paranoide Wahnvorstellungen -Akustischen Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen -Störungen der Stimmung, des Antriebs und der Sprache F20.1 Hebephrene Schizophrenie -Affektiven Veränderungen stehen im Vordergrund -Wahnvorstellungen und Halluzinationen flüchtig und bruchstückhaft -Verantwortungsloses und unvorhersehbares Verhalten -Manierismen F20.- Schizophrenie • F20.2 Katatone Schizophrenie Psychomotorischen Störungen stehen im Vordergrund: Erregung , Stupor , Befehlsautomatismus und Negativismus alternieren persistierende Zwangshaltungen und -stellungen • F20.3 Undifferenzierte Schizophrenie Atypische Schizophrenie F20.- Schizophrenie • F20.4 Postschizophrene Depression Länger anhaltende depressive Episode, im Anschluß an eine schizophrene Krankheit „Positive" oder "negative" schizophrene Symptome vorhande, beherrschen aber nicht mehr das klinische Bild • F20.5 Schizophrenes Residuum Chronisches Stadium gekennzeichnet durch langandauernde, jedoch nicht unbedingt irreversible "negative" Symptome : psychomotorische Verlangsamung, verminderte Aktivität, Affektverflachung, Passivität und Initiativemangel, qualitative und quantitative Sprachverarmung, geringe nonverbale Kommunikation durch Gesichtsausdruck, Blickkontakt, Modulation der Stimme und Körperhaltung, Vernachlässigung der Körperpflege und nachlassende soziale Leistungsfähigkeit F22.- Anhaltende wahnhafte Störungen Diese Gruppe enthält eine Reihe von Störungen, bei denen ein langandauernder Wahn das einzige oder das am meisten ins Auge fallende klinische Charakteristikum darstellt F22.0 Wahnhafte Störung Eine Störung charakterisiert durch die Entwicklung eines einzelnen Wahns oder mehrerer aufeinander bezogener Wahninhalte, die im allgemeinen lange, manchmal lebenslang, andauern F23.- Akute vorübergehende psychotische Störungen Heterogene Gruppe von Störungen, gekennzeichnet durch: • • • akuten Beginn innerhalb von 2 Wochen psychotischen Symptome (Wahnvorstellungen, Halluzinationen und andere Wahrnehmungsstörungen) schwere Störung des normalen Verhaltens Unter Therapie schnelle, vollständige Besserung in der Regel innerhalb weniger Monate, oft bereits nach wenigen W ochen oder nur Tagen F23.0 Akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome einer Schizophrenie Eine akute psychotische Störung mit Halluzinationen, Wahnphänomenen und Wahrnehmungsstörungen Sehr unterschiedliche Ausgeprägung: z.T. von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde wechselnd Emotionales Aufgewühltsein mit intensiven vorübergehenden Glücksgefühlen, Ekstase oder Angst und Reizbarkeit Charakteristisch: Vielgestaltigkeit und Unbeständigkeit des klinischen Bilds Beginn: abrupt, innerhalb weniger Tage Schnelle und anhaltende Rückbildung der Symptome ohne Rückfall F23.1 Akute polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie In der überwiegenden Zeit auch einige für die Schizophrenie typische Symptome vorhanden Wenn die schizophrenen Symptome andauern, ist die Diagnose in Schizophrenie (F20.-) zu ändern F23.2 Akute schizophreniforme psychotische Störung Eine akute psychotische Störung, bei der die psychotischen Symptome vergleichsweise stabil sind und die Kriterien für Schizophrenie (F20.-) erfüllen, aber weniger als einen Monat bestanden haben F25 Schizoaffektive Störungen Episodische Störungen, bei denen sowohl affektive als auch schizophrene Symptome auftreten, aber die weder die Kriterien für Schizophrenie noch für eine depressive oder manische Episode erfüllen F41.0 Panikstörung [episodisch paroxysmale Angst] Wesentliche Kennzeichen sind wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sind Plötzlich auftretendes Herzklopfen, Brustschmerz Erstickungsgefühle, Schwindel Entfremdungsgefühle (Depersonalisation oder Derealisation) Sekundär Furcht: Kontrollverlust Angst, „wahnsinnig“ zu werden F41.1 Generalisierte Angststörung • • • Generalisierte und anhaltende Angst : keine Beschränkung auf bestimmte Umgebungsbedingungen, "frei flottierende“ Angst Variable Symptome: Ständige Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Oberbauchbeschwerden Furcht vor eigenem Tode oder Tod / Erkrankung / Unfall Angehöriger Risikopatientinnen • Psychiatrische Erkrankung in der Vorgeschichte Depression/Manie/Bipolare Störung Psychose Angststörung Schwere Anpassungsstörung Bekannte Persönlichkeitsstörung Neurotische Störung • • Schwere biographische Belastungsfaktoren Aktuelle soziale Belastungsfaktoren Psychodiagnostisches Erstgespräch beim Gynäkologen • • • • • • psychiatrische Vorerkrankungen in der Eigenanamnese (Depressionen, Sucht, autoaggressive Verhaltensweisen) in der Familienanamnese aktuelle Befindlichkeit : Stimmung, Antrieb, Nachtschlaf, Belastbarkeit, Konzentration und Aufmerksamkeit Soziale Situation: Partnerschaft, unterstützendes soziales Netz, sozialökonomischer Status Bindungsanamnese: Beziehung zur eigenen Mutter, Beziehung zu wichtigen Dritten, Traumata / aversive sexuelle Erlebnisse, frühkindliche Deprivationen, frühe Krankenhausaufenthalte somatische Erkrankungen unter psychiatrischen Gesichtspunkten: Psychosomatosen, chronische Schmerzzustände Primordialpersönlichkeit Borderline Patientinnen, infantile und histrionische Persönlichkeiten, ängstliche Persönlichkeitsstörungen Mögliche Verläufe Depressive Episode In der Anamnese Depressive Episode Manische Episode Manisch depressiver Mischzustand Rezidivierende Depressive Störung Bipolare Störung Bipolare Störung Bewertung der depressiven Episode unter dem Hintergrund der Familienanamnese Etablierung eines therapeutischen Bündnisses Risikoabschätzung für ein Rezidiv Weiterführung einer evt. bestehenden antidepressiven Medikation Erstellung eines Notfallinterventionsplans in interdisziplinärer Absprache Mögliche Verläufe Manische Episode In der Anamnese Manische Episode Depressive Episode Manisch depressiver Mischzustand Bewertung der manischen Episode unter dem Hintergrund der Familienanamnese Etablierung eines therapeutischen Bündnisses Risikoabschätzung für ein Rezidiv Erstellung eines Notfallinterventionsplans in interdisziplinärer Absprache Sofortige Verfügbarkeit einer psychiatrischen Intervention Mögliche Verläufe Psychotische Episode Schizophren > 1 Monat In der Anamnese Schizophrene Psychotische Episode Postschizophrene Depression Postschizophrener Residualzustand Herstellung eines therapeutischen Bündnisses Fortführung einer bestehenden antipsychotischen Medikation Bei Depression und Residualzustand: Psychotherapie, SSRI Sofortige Verfügbarkeit einer psychiatrischen Intervention Erstellung eines Notfallinterventionsplans in interdisziplinärer Absprache Mögliche Verläufe Psychotische Episode schizophreniform < 1 MonatIn der Anamnese Schizophrene Psychotische Episode Psychotische Episode schizophrenieform Schizophrenie Akute vorübergehende psychotische Störung Herstellung eines therapeutischen Bündnisses Sofortige Verfügbarkeit einer psychiatrischen Intervention Erstellung eines Notfallinterventionsplans in interdisziplinärer Absprache Günstige Prognose Mögliche Verläufe Akut polymorphe Psychotische Episode In der Anamnese Angst Glück Mögliche kurze, unkomplizierte polymorph psychotische Episode Sofortige Verfügbarkeit psychiatrischer Betreuung im Bedarfsfall Günstige Prognose Mögliche Verläufe Angst In der Anamnese Generalisierte Angststörung Panikstörung Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie Verhaltenstherapie Entspannungsverfahren: autogenes Training, Muskelrelaxation nach Jakobson Mögliche Verläufe Chronisch Subdepressive Stimmung über Jahre Dystthymie Angststörung Panikstörung Depressive Episode Psychotherapie, Verhaltenstherapie, Entspannungsverfahren Bei depressiver Episode: psychiatrische Therapie mit Indikationsstellung Für psychopharmakologische Behandlung (SSRI) Ausblick • • • • • Erstellung von diagnosespezifischen Leitlinien in interdisziplinärer Zusammenarbeit Erweiterung des Diagnosespektrums auf Persönlichkeitsund Essstörungen Implementierung des screenings und der interdisziplinären Kommunikation in den Vorsorgeplan Schaffung eines Internetforums zum Erfahrungsaustausch Regelmäßige Treffen der Arbeitsgemeinschaft