Überblick Knoten und Zöpfe 1 Motivierende Fragen Spin Jonglage Chiralität 2 Zöpfe Wie modelliert man Zöpfe? Wie rechnet man mit Zöpfen? Anwendung auf Dirac–Zöpfe 3 Knoten Wie modelliert man Knoten? Wie rechnet man mit Knoten? Gibt es inverse Knoten? Michael Eisermann 22. September 2012 Mathetag für Schüler an der Universität Stuttgart www.igt.uni-stuttgart.de/eiserm/popularisation/#Mathetag2012 2/34 1/34 Knoten sind überall in unserer 3-dimensionalen Welt Knoten finden sich auch in den Naturwissenschaften (a) Biologie 3/34 (c) theoretische Physik (b) Chemie (d) Mathematik 4/34 Vorläufer im 19. Jahrhundert Knotentabellen von Tait–Little–Kirkman, 1870–1890 Carl Friedrich Gauß (1777-1855) William Thomson, Lord Kelvin (1824-1907) deutscher Mathematiker, Physiker, Astronom, Professor in Göttingen englischer Physiker und Ingenieur, Professor in Glasgow 5/34 Erstes Experiment: Spin und Dirac–Zöpfe Objekt Lässt sich der folgende Zopf entwirren? eine volle Drehung Lässt sich der folgende doppelt so komplizierte“ Zopf entwirren? ” Objekt Knotentabellen von Tait–Little–Kirkman, 1870–1890 6/34 zwei volle Drehungen Fragen präzisieren und passende Werkzeuge erstellen: Was ist ein Zopf? Welche Bewegungen sind erlaubt? Was ist ein Dirac–Zopf? Welche Bewegungen sind erlaubt? Welche Hindernisse gibt es bei möglichen Umformungen? 7/34 §1.1 8/34 Zweites Experiment: Topologische Jonglage Drittes Experiment: Chiralität Ist die Kleeblattschlinge äquivalent zu ihrem Spiegelbild? Kann man ein Seil verknoten mit nur einer Hand? ?=? die Kleeblattschlinge Kann man ein Seil ebenso entknoten? ihr Spiegelbild ?=? geschlossen Fragen präzisieren und passende Werkzeuge erstellen: Was ist ein Knoten? Welche Bewegungen sind erlaubt? Wie kann man Knoten miteinander verknüpfen? Gibt es inverse Knoten, sozusagen Anti-Knoten“? ” Spiegelbild Ist der Achterknoten äquivalent zu seinem Spiegelbild? ?=? der Achterknoten ? sein Spiegelbild ?=? geschlossen Spiegelbild 9/34 §1.3 §1.2 Wie modelliert man Zöpfe? 10/34 Wie modelliert man Zöpfe? Die Länge ist unwesentlich: Die Stränge sind flexibel, sie dürfen sich bewegen. Erstes Modell: Schlechte Nachricht: In diesem ersten Modell sind alle Zöpfe gleich. = = = Elementare Bewegungen: §2.1 = , = = = Besseres Modell: = Wir fixieren die Enden links und rechts. Nur in der Mitte dürfen sich die Stränge bewegen. , = . Satz (Emil Artin 1925) Diese Bewegungen reichen bereits aus. 11/34 §2.1 12/34 Wir können Zöpfe verknüpfen! Die Verknüpfung von Zöpfen Zöpfe auf n Strängen erlauben eine Verknüpfung: ∗ Ist sie assoziativ? Ja! ∗ ∗ c = a b = b ∗ c a ∗ := Welche Rechenregeln gelten hier? 1 Ist diese Verknüpfung assoziativ? Ist diese Verknüpfung kommutativ? ∗ a∗b=b∗a 3 und 4 a ∗ a−1 = 1 und b ∗ 1∗a=a Gibt es zu jedem Zopf einen inversen Zopf? §2.2 ∗ b c = a b c c = a b c = a Gibt es ein neutrales Element? a∗1=a a ∗ Ist sie kommutativ? Nein! (a ∗ b) ∗ c = a ∗ (b ∗ c) 2 b a b a−1 ∗ a = 1 a∗b = a b∗a 13/34 §2.2 14/34 Die Verknüpfung von Zöpfen Die Verknüpfung von Zöpfen: Zusammenfassung Gibt es ein neutrales Element? Ja! Wir können mit Zöpfen rechnen wie mit Zahlen! ∗ = a Die Verknüpfung von Zöpfen ist assoziativ: = a 1 (a ∗ b) ∗ c = a ∗ (b ∗ c) a Es gibt ein neutrales Element 1, nämlich den trivialen Zopf: ∗ = = a 1 a a∗1=1∗a=a a Zu jedem Zopf a gibt es einen inversen Zopf a−1 , sein Spiegelbild: Gibt es zu jedem Zopf einen inversen Zopf? Ja! ∗ a a ∗ a−1 = a−1 ∗ a = 1 = a−1 Definition Eine Verknüpfung mit diesen Eigenschaften heißt Gruppe. a∗a−1 = = Satz (Emil Artin 1925) = 1 §2.2 Die Verknüpfung von Zöpfen auf n Strängen ist eine Gruppe, (Bn , ∗). 15/34 §2.2 16/34 Wie kann man diese Gruppen verstehen? Der Drall ist eine Invariante n = 1: Auf nur einem Strang ist jeder Zopf trivial: n = 2: Zöpfe auf zwei Strängen verstehen wir auch noch gut: ..., , −2 , −1 , 0 , Der Drall ist eine Abbildung v : (Bn , ∗) → (Z, +) mit v = +1, v = −1, v(a ∗ b) = v(a) + v(b). , +1 , ... +2 Nachweis der Invarianz: v 6= = +1 v +3 Die Anzahl der Kreuzungen kann sich bei Bewegung ändern. Beispiel: Zum Beispiel gilt ! +1+1−1 +3 v Was zählt ist der Drall v : (B2 , ∗) → (Z, +). v = +1, v = −1, v(a ∗ b) = v(a) + v(b). v Korollar (Folgerung aus dem Satz von Artin) Zöpfe auf zwei Strängen werden durch ihren Drall klassifiziert. 17/34 §2.2 §2.2 =v = +1 + 1 − 1 = 1 = v = v , , . 18/34 Das Phänomen des Spin Wir ersetzen die rechte Wand durch ein kleineres Objekt. Ist der folgende Dirac–Zopf z äquivalent zum trivialen Zopf? Beweis? Objekt Objekt Dirac–Zöpfe (Theorie des Elektrons, Nobel–Preis 1933) eine volle Drehung Der Schlüssel ist folgende Beobachtung: ! Die Stränge können sich nun um das Objekt herum bewegen: Objekt −v Ist der Dirac–Zopf z 2 äquivalent zum trivialen Zopf? Beweis? Dirac–Zöpfe verhalten sich genauso wie Artin–Zöpfe. Einzige Neuerung: Dirac–Zöpfe erlauben diese zusätzliche Bewegung. §2.3 =4 Objekt ein Zopf = ein Zopf Objekt ein Zopf ein Zopf v ! 19/34 §2.3 zwei volle Drehungen 20/34 Topologische Jonglage Wie modelliert man Knoten? Beobachtung — In einem allzu naiven Modell sind alle Knoten gleich: Kann man ein Seil verknoten mit nur einer Hand? Kann man ein Seil ebenso entknoten? ~ ~ ~ Zwei Modelle sind möglich (und erweisen sich als gleichwertig): lang/offen Komplementäre Strategien: Um zu beweisen, dass etwas möglich ist, genügt es, es zu tun. Mathematiker nennen dies einen konstruktiven Beweis“. ” Um zu beweisen, dass etwas unmöglich ist, genügt es nicht, zu scheitern. In diesem Fall müssen wir das Hindernis verstehen. . . geschlossen Wie zuvor darf sich der Strang bewegen. 21/34 §3.1 §3.0 22/34 Reidemeister–Züge Wir können Knoten verknüpfen! Die folgenden Züge ändern das Diagramm, nicht aber den Knoten: Auch Knoten erlauben eine Verknüpfung: ∗ ~ ~ ~ := A B A∗B Ist sie assoziativ? (A ∗ B) ∗ C = A ∗ (B ∗ C)? Ja, klar! A B C A B C ∗ ∗ = ∗ = B C A B C A ∗ ∗ = ∗ = B C A B C Gibt es ein neutrales Element? A ∗ 1 = A und 1 ∗ A = A? Ja, klar! ∗ Satz (Kurt Reidemeister 1926) = 1 A Diese Bewegungen reichen bereits aus. §3.1 A ∗ 23/34 §3.2 1 A = A A 24/34 Die Verknüpfung von Knoten Dreifärbungen (Ralph Fox 1971) Wir betrachten ein Knotendiagramm und färben es blau, rot und grün. Ist sie kommutativ? A ∗ B = B ∗ A? = = = = = = = A = ? A Dabei verlangen wir folgende Regeln: 1 An jeder Kreuzung treffen entweder alle drei Farben zusammen oder nur eine einzige. (Wir verbieten zweifarbige Kreuzungen.) 2 Der Eingang ist blau; der Ausgang wird es dann auch sein. Gibt es Inverse? A ∗ A−1 = 1 und A−1 ∗ A = 1? ∗ A T = T’ T’ ? Das präzisiert unsere Frage zur topologischen Jonglage“! ” Für jedes Knotendiagramm D sei col(D) die Anzahl der Dreifärbungen. Wir finden zum Beispiel col(A) = 3 aber col(T ) = col(T 0 ) = 1. 25/34 §3.2 §3.2 26/34 Dreifärbungen sind invariant! Gibt es inverse Knoten? Satz (Fox 1971) Die Kleeblattschlinge erlaubt genau 3 Dreifärbungen: A Aus D ∼ D0 folgt col(D) = col(D0 ). A A Beweis. Reidemeister–Züge transportieren die Färbungen: Daraus folgt, dass die Kleeblattschlinge nicht trivial ist: Das ist keine Dreifärbung. 6∼ ~ col(A)=3 ~ ~ Besser noch: Wir finden col(A ∗ B) = col(A) · col(B). A ~ ~ col(T )=1 ∗ B = A B Aus A ∗ B = 1 folgt demnach col(A) · col(B) = 1. Das ist unmöglich! Satz Umgekehrt gilt daher: Aus col(D) 6= col(D0 ) folgt D 6∼ D0 . §3.2 Zur Kleeblattschlinge gibt es keinen inversen Knoten. 27/34 §3.3 Das löst unsere ursprüngliche Frage zur topologischen Jonglage“! 28/34 Zusammenfassung Ein topologischer Zaubertrick Ein Zauberer hält ein unverknotetes Seil an beiden Enden. Er behauptet, ohne loszulassen das Seil verknoten zu können. Wir können mit Zöpfen rechnen wie mit Zahlen. −→ Gruppe. Der Drall veranschaulicht das Phänomen des Spin. −→ Invariante. Auch mit Knoten können wir rechnen. Hier fehlen aber die Inversen. Zur Kleeblattschlinge existiert kein Anti-Knoten. −→ Invariante. Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! www.igt.uni-stuttgart.de/eiserm/popularisation/ #Mathetag2012 Ist dieses Kunststück auf ehrliche Weise möglich? Ein mathematischer Zauber–Trick Ist der Mazur–Trick ein Beweis oder ein Schwindel? Satz Diese schöne Rechnung gibt es auch für Zahlen. Für alle Knoten A und B gilt: Aus A ∗ B = 1 folgt A = B = 1. Beweis-Idee (nach Barry Mazur 1962) A ~ = A = A = A Wir wissen BA = AB = 1. 0 = 0 + 0 + 0 + 0 + ... = + (1 − 1) + (1 − 1) + (1 − 1) + ... B A (1 − 1) = 1 −1 +1 −1 +1 −1 +1 + ... = A B A B A B A = 1 + (−1 + 1) + (−1 + 1) + (−1 + 1) + ... = A B = 1 + 0 + 0 + 0 + ... = 1 B A A B B A A B A B = Knoten Das darf doch nicht wahr sein! Aber wo liegt der Fehler? ~ = = §3.3 30/34 29/34 §3.3 §3.3 unendliche Knoten Knoten 31/34 §3.3 32/34 Zerlegung von Knoten Primfaktorzerlegung von Knoten In Donalds Luftschlauch sind einige Knoten. Wie viele sind es?“ ” Ein Knoten A heißt prim oder auch unzerlegbar, wenn aus jeder Zerlegung A = B ∗ C stets entweder B = 1 oder C = 1 folgt. Z.B. ist die Kleeblattschlinge prim. Es gibt unendlich viele weitere. Satz (Schubert 1949) Jeder Knoten lässt sich eindeutig in ein Produkt von Primknoten zerlegen. Die natürlichen Zahlen (N, ·) erfreuen sich derselben Eigenschaft! Korollar Die Verknüpfung von Knoten entspricht der Multiplikation natürlicher Zahlen. Fragen präzisieren und passende Werkzeuge erstellen: Wie lässt sich ein Knoten in Teilknoten zerlegen? Gibt es unzerlegbare Knoten? Wie erkennt man diese? Ist die Zerlegung in unzerlegbare Knoten eindeutig? §3.3 Produkt von Zahlen ←→ Verknüpfung von Knoten Einselement ←→ trivialer Knoten 33/34 §3.3 Primzahlen ←→ Primknoten 34/34