Biodiversität und Welternährung

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Biodiversität und Welternährung
Prof. Dr. Hartwig de Haen
Vortrag auf der Gemeinsamen Tagung der Gesellschaft für Pflanzenbauswissenschaften und der
Gesellschaft für Pflanzenzüchtung zum Thema ‚Biodiversität in der Pflanzenproduktion’
Göttingen 1. und 2. Oktober 2008
Die meisten Menschen haben heute Zugang zu einer enormen Vielfalt an Nahrungsmitteln. Der
globale Handel ermöglicht sogar den Verbrauch von Produkten aus weit entfernten
Produktionsstandorten. Dieses nach Vielfalt und Menge reiche Angebot an Agrarprodukten ist nur
möglich, weil die praktische Landwirtschaft über eine genügende biologische Diversität, also über
eine relativ große Auswahl von Arten, Pflanzensorten und Tierrassen, verfügt, um eine immer
differenzierter werdende Nachfrage seitens der Verbraucher zu befriedigen.
Wird diese Biodiversität bei weiter wachsender Nachfrage nach Agrarprodukten für die Ernährung
und für andere Verwendungen auch in Zukunft ausreichen? Kann eine hohe biologische Vielfalt auch
einen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers leisten?
Diese Fragen nach dem Zusammenhang von Biodiversität und Welternährung betreffen die Zukunft
menschlicher Existenz. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sind gleichermaßen gefordert, nach
Antworten zu suchen, und zwar sowohl in Bezug auf die Rolle der natürlichen wie die Bedeutung der
landwirtschaftlichen Biodiversität.
Natürliche Biodiversität, also die Vielfalt von wildlebenden Arten, von genetischen Merkmalen und
Ökosystemen, hat für eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion eine Vielzahl von Funktionen:
Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, Rezyklierung von Pflanzennährstoffen, Gewährleistung von
Pollenflug, Reservoir an genetischen Merkmalen für die Züchtung, Regulierung von Seuchen und
Krankheiten, Eindämmung von Erosion und Klimaschutz.
Landwirtschaftliche Biodiversität umfasst die in der Produktion von Agrarprodukten genutzten oder
nutzbaren Arten, Sorten und Rassen sowie die von Tier- und Pflanzenzüchtern genutzten genetischen
Ressourcen. Sie ist Voraussetzung einer produktiven, effizienten und nachhaltigen Landwirtschaft. .
Schon seit den 30er Jahren und deutlicher seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts haben
Wissenschaftler vor einem dramatischen Verlust an beiden Formen von Biodiversität als Folge
menschlicher Eingriffe gewarnt und zu dringenden Maßnahmen aufgerufen, um diesen Verlust zu
stoppen oder jedenfalls einzudämmen.
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Die Kurzfassungen der Vorträge und Poster werden herausgegeben als Mitteilungen der Gesellschaft
für Pflanzenbauwissenschaften, Band 20, 2008, und Vorträge für Pflanzenzüchtung, Heft 77, 2008.
Herausgeber: A. Herrmann und F. Taube, Gesellschaft für Pflanzenbauwissenschaften, Verlag
Schmidt & Klaunig KG, Kiel 2008. Im Druck.
2
Erhaltung der Biodiversität – Erfolge und Handlungsbedarf
Seitdem ist weltweit viel getan worden, um die natürliche Biodiversität besser zu schützen. Viele
Länder haben entsprechende Gesetze erlassen. Seit 1992 gibt es ein internationales Übereinkommen
über die biologische Vielfalt. In breiten Teilen der Bevölkerung ist das Bewusstsein über die
lebenswichtigen Funktionen biologisch intakter Ökosysteme gestärkt worden.
Auch für die landwirtschaftliche Biodiversität ist viel erreicht worden. Im Bereich der pflanzlichen
Produktion, auf die dieser Beitrag konzentriert ist, reicht das Maßnahmenbündel von ex-situ
Programmen zur Einlagerung pflanzengenetischer Ressourcen über die Sequenzierung pflanzlicher
Genome bis zum internationalen Abkommen über pflanzengenetische Ressourcen, das in der FAO
ausgehandelt wurde und 2004 in Kraft trat.
Konnte durch diese Maßnahmen ein Rückgang der für die Landwirtschaft relevanten Biodiversität
verhindert oder jedenfalls verlangsamt werden? Genaue Messungen gibt es nicht. Aber es gibt
Anhaltspunkte.
Die Wissenschaft versteht heute die Bestimmungsgründe der so genannten Generosion sehr viel besser
als früher. Unbestreitbar ist es ein Erfolg, dass es heute mit einem weltweiten Genbankensystem
Möglichkeiten gibt, auch die Arten und Sorten zu erhalten, die derzeit in der Praxis nicht mehr zum
Einsatz kommen. Jedenfalls für die vier wichtigen Kulturpflanzen Weizen, Reis, Mais und Kartoffeln
sind 95 Prozent der existierenden Diversität in Genbanken gesammelt ist1. Insgesamt lagern ca. 1,5
Millionen unterschiedliche Saatproben in 1400 Genbanken. Im Februar 2008 kam im natürlichen Frost
im arktischen Svalbard eine besonders sichere globale Genbank für doppelte Proben hinzu.
Als Erfolg muss auch bewertet werden, dass die moderne Pflanzenzüchtung, einschließlich der
Gentechnik, heute effektiver und gezielter Neukombinationen genetischer Merkmale durchführen und
den Landwirten Sorten mit sehr speziellen Eigenschaften anbieten kann. Das 2004 in Kraft getretene
Internationale Abkommen über pflanzengenetische Ressourcen kann, wenn es einmal voll angewandt
wird, den Zugang der Züchter zu genetischem Material weiter erleichtern und die Rechte der
indigenen Bevölkerungen und Bauern als Züchter von Landsorten anerkennen .
Dies alles sind beachtliche Erfolge. Aber sie reichen nicht aus, um die relevante biologische
Vielfalt auf einem hohen Niveau zu halten. Es gibt vier kritische Trends, deren Fortsetzung
Gefahr bedeut für die Zukunft einer nachhaltigen und produktiven Landwirtschaft.
1
Fowler, C, Crop Diversity Topics, No. 8, 2007
3
Erstens: Gefahr für die natürliche Biodiversität. Ackerbau und Weideland nehmen inzwischen
etwa 40 Prozent der globalen Landfläche ein. Damit ist die Fläche, auf der sich natürliche
Biodiversität erhalten konnte, trotz teilweise recht strenger Umwelt- und Naturschutzauflagen auf
weniger als zwei Drittel der Landfläche eingeschränkt. Der Klimawandel verändert darüber
hinaus spürbar das Gleichgewicht vieler Ökosysteme. Besonders betroffen sind Länder der
südlichen Hemisphäre. Nach Schätzung des International Panel on Climate Change sind als Folge
des Klimawandels 30 Prozent aller Arten vom Aussterben bedroht. Träfe dies auch nur zum Teil ein,
wären wichtige der genanten Funktionen der Ökosysteme für eine produktive und stabile pflanzliche
Produktion gestört. Es würde auch das Reservoir an natürlicher Biodiversität schrumpfen, aus dem
Züchter in Zukunft die genetische Vielfalt der Kulturpflanzen anreichern könnten.
Zweitens: Rückgang der Biodiversität im Anbau. Im Laufe des letzten Jahrhunderts haben
Kommerzialisierung und technischer Fortschritt immer mehr Bauern veranlasst, sich auf weniger
Pflanzenarten und Hochleistungssorten zu spezialisieren. Die Mehrheit der Menschheit lebt heute
von nur 15 Arten und ein paar hundert Sorten, die über 90 Prozent der Nahrungsenergie liefern2.
Historisch waren es einmal mehrere tausend Arten und pro Art deutlich mehr Sorten. Vor allem
war der Anteil der genetisch meist besonders heterogenen Landsorten deutlich höher. Mit diesem
Prozess der zunehmenden Konzentration und genetischen Homogenisierung steigt die
Risikoanfälligkeit größerer Flächen gegenüber Seuchen und Krankheiten. Die großen Schäden
durch Blattdürre bei Mais 1970 in den USA ist nur eines von vielen Beispielen. Qualset und
Shands haben dazu einen alarmierenden Bericht veröffentlicht3.
Wenn künftig auch in den Entwicklungsländern immer mehr Bauern ihre eigene Selektion
besonders heterogener Landsorten aufgeben, dann versiegt auch eine wichtige traditionelle Quelle
ständig neu entstehender Diversität, von der die Pflanzenzüchtung weltweit profitiert hat. Denn
die meisten unserer Hauptkulturpflanzen stammen bekanntlich aus Gebieten in den heutigen
Entwicklungsländern, zum Beispiel Weizen und Gerste aus dem Nahen Osten, Mais, Bohnen und
Kartoffeln aus Lateinamerika. IN den biologischen Herkunftsgebieten unserer Kulturpflanzen
findet man auch heute noch eine sehr viel größere Diversität im bäuerlichen Feld und der
umliegenden Natur, die aber schnell weiter zurückgehen wird, wenn es nicht gelingt, mehr so
genannte in-situ Programme zu realisieren, die Bauern und lokalen Züchtern Anreize zur weiteren
Arbeit mit traditionellen Landsorten geben, die sie auf lokalen Saatgutmärkten tauschen.
2
Gepts, P., Plant Genetic Resources Conservation and Utilization – The Accomplishments and Future of a
Societal Insurance Policy. Crop Science, Vol. 46 (2006), p. 2278-2292
3
Qualset, C.O and H. L. Shands, Safeguarding the future of US agriculture: The need to collect threatened
collections of crop diversity worldwide. Washington 2005 ( www.grcp.ucdavis.edu/publications/SafeAgdex.htm)
4
Drittens: unvollständige und unsichere Erfassung in Genbanken. Außer den erwähnten vier
Hauptkulturpflanzen ist ein großer Teil der pflanzlichen Biodiversität bisher nicht in Genbanken
erfasst und daher in Gefahr verloren zu gehen. Vor allem Pflanzen, die wie Cassava oder
Sorghum die tägliche Grundnahrung on Millionen von Menschen in ärmeren Ländern liefern, sind
kaum erfasst. Hinzu kommt, dass die Hälfte aller Saatgutproben in Entwicklungsländern lagert, wo
sie oft aufgrund von Kapitalmangel nur unvollkommen gesichert und zugänglich sind.
Viertens: Lückenhafte Informationen. Es hat zwar in den Methoden moderner Dokumentation,
Gensequenzierung und Informationsverarbeitung der in Genbanken eingelagerten Saaten
Fortschritte gegeben. Ein großer Teil des eingelagerten Materials ist aber bisher nur unvollständig
dokumentiert. Noch lückenhafter ist die Dokumentation der potentiell nutzbaren wilden
Verwandten unserer Kulturpflanzen.
Biodiversität zur Sicherung der Welternährung
In welchem Ausmaß die genannten Trends tatsächlich eine Gefahr für die Welternährung darstellen,
kann heute nur mit einem gewissen Maß an Unsicherheit beurteilt werden. Man kann sich nicht damit
beruhigen, dass moderner Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung selbst aus einer schrumpfenden
biologischen Vielfalt noch hinreichend leistungsstarke Sorten und Anbausysteme entwickeln können.
Denn auch die modernste Züchtungstechnik kann pflanzliche Eigenschaften zwar neu kombinieren,
aber nicht neu schaffen, wenn sie einmal verloren sind. Was genau zu tun ist, sollte mehr als bisher
Gegenstand interdisziplinärer Forschung und politischer Entscheidungen sein.
Ausgangspunkt aller Analysen und Planungen müssen Vorstellungen über den zukünftigen Bedarf
an Nahrung und agrarischen Rohstoffen sein. Diese lassen sich beim heutigen Stand der
Perspektiven in drei Punkten zusammenfassen:
Erstens wird sich bis zum Jahre 2050 die globale Nachfrage nach Nahrungsmitteln aufgrund von
Bevölkerungs- und Einkommenswachstum vermutlich noch einmal verdoppeln. Der größte Zuwachs
wird in den Entwicklungsländern erfolgen4.
Zweitens wird die Nachfrage nach Diversität deutlich steigen. Die Anteile an höherwertigen
Nahrungsmitteln, an Obst, Gemüse und pflanzlichen Ölen sowie tierischen Produkten steigen.
Entsprechend wird der Anteil von direkt verzehrtem Getreide und Knollenfrüchten sinken und der
Anteil von Futtergetreide zunehmen.
4
Schmidhuber/FAO, How to feed nine billion people in 2050. Unveröffentlichtes Papier der FAO. 2008
5
Drittens: Sicherung der Welternährung muss über die Deckung der Marktnachfrage hinausgehen.
Ziel muss es auch sein, die Armen und Hungernden zu befähigen, besseren Zugang zu einer für ein
gesundes und aktives Leben ausreichenden Ernährung zu haben. Die Zahl der chronisch
Unterernährten dürfte heute bei knapp einer Milliarde liegen, nachdem sie aufgrund der jüngsten
Preissteigerungen um weitere 100 Millionen angewachsen ist. Die meisten von ihnen leben auf dem
Lande in Entwicklungsländern. Ihre Haupterwerbsquelle ist die eigene Landwirtschaft. Nur hier
besteht für die meisten von ihnen eine echte Chance, durch Investitionen in Human- und Sachkapital
Einkommenssteigerungen zu erzielen und damit Hunger und Armut zu überwinden.
Bessere Ernährung der Hungernden bedeutet aber nicht nur Zugang zu mehr Menge, sondern auch
mehr Diversität in der Zusammensetzung der Nahrung. Weltweit leiden mehrere Milliarden Menschen
unter verstecktem Hunger, verursacht durch Mangel an Mikronährstoffen wie Eisen, Vitamin A oder
Zink. Betroffen sind Menschen in allen Regionen. Versteckter Hunger ist aber vor allem unter den
Armen in Entwicklungsländern verbreitet, deren Nahrung hohe Anteile an Mais, Weizen oder Hirse
aufweist, aber geringe Anteile an Obst, Gemüse, Fleisch oder Fisch. Jährlich sterben etwa 6 Millionen
Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten, die die meisten bei besserer, d. h. auch reichhaltigerer
Ernährung, überleben würden Mikronährstoffmangel verursacht nicht nur menschliches Leid, sondern
als Folge von verminderter Lernfähigkeit, Krankheit und Arbeitsausfällen volkswirtschaftliche
Kosten in mehrstelliger Milliardenhöhe. Hier liegt eine große Herausforderung Pflanzenbau und
Pflanzenzüchtung, zur Überwindung dieses Mangels beizutragen.
Auf diesen enormen Zuwachs des Nahrungsbedarfs in den nächsten 40 Jahren müssen sich
Landwirtschaft und Züchtung schon heute vorbereiten. Hinzu kommt die Reaktion auf die wachsende
Nachfrage nach agrarischen Rostoffen für die Bioenergie. Ein weiterer Anstieg der Umwandlung von
Agrarprodukten in Bio-Energie hätte beim heutigen Stand der Technik nicht nur sehr fragliche
Wirkungen auf Treibhausbilanz und Klima. Bei knappen Flächen und Wasser stellt er auch eine sehr
ernst zu nehmende Konkurrenz zur Welternährung dar. Das gilt jedenfalls solange es bei der ersten
Generation der Biotreibstoffe und bei den Subventionen in Milliardenhöhe auf Biotreibstoffe bleibt.
Die praktische Landwirtschaft muss an einer hohen pflanzlichen Vielfalt aus einem doppelten
Grund interessiert sein. Zum einen sind die Ansprüche der Verbraucher an Vielfalt zu befriedigen, und
dies in angemessener regionaler Differenzierung. Zum anderen ist die Landwirtschaft auf eine Vielfalt
von Arten und Sorten angewiesen, die an die unterschiedlichen Standortbedingungen angepasst sind.
In den letzten 40 Jahren ist es der Landwirtschaft weltweit gelungen, die Agrarproduktion fast zu
verdreifachen. Sogar pro Kopf ist die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln um über 20 Prozent auf
heute 2800 kcal gestiegen. Besonders groß war der Anstieg in den Entwicklungsländern. Diese
historische Leistung setzt trotz leicht rückläufigen Wachstumsbedarfs Maßstäbe für die Zukunft.
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Entsprechend steht natürlich auch die Pflanzenzüchtung vor großen Herausforderungen. Neue
Sorten müssen, um wettbewerbsfähig zu sein, gegenüber bestehenden nicht nur ertragreicher sein. Sie
müssen auch eine verbesserte Resistenz gegenüber sich ständig wandelnden Krankheitserregern sowie
Toleranz gegen immer neuen Stressfaktoren aufweisen, wobei Trockenheitstoleranz vielfach eine
immer größere Rolle spielt. Hinzu kommen neue Qualitätsanforderungen des Marktes.
Zeit zum Handeln
Damit Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung über genügend biologische Vielfalt verfügen, um auch in
Zukunft eine ausreichende Menge und Vielfalt von Nahrungsmitteln zu produzieren, sind verstärkte
Anstrengungen erforderlich. Da zwei Trends gegenläufig sind, nämlich rückläufige Biodiversität und
wachsender Bedarf, drängt die Zeit zum Handeln. Dabei sollte sich die Diskussion in Wissenschaft
und Politik m. E. auf fünf Punkte konzentrieren.
1. Die Steigerung der pflanzlichen Ertragspotentiale sollte weiter hohe Priorität haben
Um bis zum Jahr 2050 die Nahrungsproduktion noch einmal zu verdoppeln, müssen vor allem die
genetischen Ertragspotentiale gesteigert werden, denn einer Ausdehnung von Flächen sind immer
mehr Grenzen gesetzt, und vielfach auch einer weiteren Steigerung der Intensität von Düngung und
Pflanzenschutz. Der Anteil von 70 Prozent, den Ertragssteigerungen am weltweiten
Produktionswachstum in den letzten 40 Jahren hatten, muss daher wahrscheinlich eher noch höher
werden. Gemessen an diesen Anforderungen sollten wir alarmiert sein, dass Statistiken weltweit eine
Rückläufigkeit im Wachstum der Erträge zeigen. Wohl nicht zufällig sind während dieser Zeit auch
die Ausgaben für Agrarforschung zurückgegangen.
Neben der Flächenproduktivität muss an vielen Standorten die Wasserproduktivität als Zuchtziel an
Bedeutung gewinnen. In immer mehr Regionen ist in den letzten Jahren die Effizienz der Ausnutzung
von Regen- oder Bewässerungswasser zu einem spürbaren Engpass geworden.
2. Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung müssen sich gezielt auf die Folgen des Klimawandels
vorbereiten
Der Klimawandel bringt weltweit Verschiebungen der pflanzlichen Wachstumsbedingungen und
Vegetationszeiten mit sich, die schon heute erkennbar sind. Besonders stark verändert der
Klimawandel die Wachstumsbedingungen an vielen tropischen und subtropischen Standorten, und
damit in Ländern, für die gerade die ansonsten sehr effektive privatwirtschaftliche Pflanzenzüchtung
relativ weniger tätig ist. Genetische Merkmale der Resistenz gegen Krankheiten, Toleranz gegenüber
extremen Wettereinflüssen, insbesondere Trockenheit oder Überflutung, werden als Zuchtziele an
Bedeutung gewinnen müssen, und zwar nach Möglichkeit, ohne dabei zu sehr auf hohe
Ertragspotentiale zu verzichten.
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3. Biofortifizierung sollte als Zuchtziel verstärkte Beachtung erfahren
Die weltweite Verbreitung von Mikronährstoffmangel.ist eine weitere große Herausforderung für die
Pflanzenzüchtung. Der Mangel kann grundsätzlich zwar einerseits durch die Einnahme fehlender
Mikronährstoffe in Tablettenform und zum anderen durch Diversifizierung der konsumierten
Nahrungsmittel erreicht werden. Aber besonders in Entwicklungsländern, wo der versteckte Hunger
weit verbreitet ist, stoßen beide Wege an Grenzen. Mehr Erfolg verspricht die Biofortifizierung der
ohnehin weithin konsumierten Hauptnahrungspflanzen, also die züchterische Anreicherung von Reis,
Weizen, Mais, Hirse oder Kassava mit den im Mangel befindliche Mikronährstoffen Vitamin A, Eisen,
Zink oder anderen. Auf diesem Gebiet gibt es nicht nur das bekannte Erfolgsbeispiel des Golden Rice,
sondern mehrere neuere globale Initiativen. Noch ist der Durchbruch zur Praxisreife nicht auf breiter
Front geschafft. Aber gerade deshalb gibt es in Anbetracht des enormen Potentials für die Linderung
menschlichen Leids und großer wirtschaftlicher Nutzen gute Argumente, diese Forschung weiter zu
unterstützen, auch seitens der Forschungsförderung in Deutschland.
4. Eine hohe Biodiversität sollte zum gesellschaftlichen Ziel höchster Priorität erklärt werden.
Die genannten Herausforderungen der Zukunft machen eines sehr deutlich: der Bedarf an pflanzlicher
Vielfalt wird in Zukunft eher noch ansteigen. Denn erstens ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass
die Produktion von Agrarprodukten nach Menge, Diversität und Qualität noch für weitere Jahrzehnte
deutlich gesteigert werden muss. Zweitens müssen Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung diese
Steigerung möglich machen, ohne ex ante genau wissen zu können, welche Kombination an
genetischen Ertrags- und Qualitätsmerkmalen, an Merkmalen der Krankheitsresistenz und
Stresstoleranz an den verschiedenen Standorten erforderlich sein werden. Klimawandel wird den
Anpassungsbedarf weiter beschleunigen.
Unter solchen Bedingungen empfiehlt sich im Allgemeinen eine gute und sichere Vorsorge, also in
diesem Fall das Vorhalten einer möglichst großen Biodiversität, vergleichbar der breiten Streuung
eines Wertpapierdepots. Ziel des „Portefolios an biologischen Wertpapieren“ muss es sein, Optionen
für die Zukunft zu erhalten, so dass die Gefahr minimiert wird, dass genetische Merkmale irrreversibel
verloren gehen, die eines Tages einen Wert in Millionenhöhe haben könnten.
Um ein Beispiel zu geben: vor kurzem hat der Züchter und Friedensnobelpreisträger Norman Borlaug
vor der drohenden Katastrophe einer weiteren Verbreitung des neuen Typs von Schwarzrost bei
Weizen hingewiesen, der 1999 erstmalig in Uganda auftauchte und sich seitdem ausbreitet. Ein
großflächiger Ernteausfall bei Weizen könnte katastrophale Wirkungen für die Welternährung. Nach
Borlaug ist keine der heutigen Sorten gegen den neuen, außerordentlich aggressiven Stamm dieses
Pilzes resistent. Er ruft daher zu einer massiven weltweiten Kampagne der Züchter auf, die
bestehenden Sorten durch neue zu ersetzen.
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Das aber setzt voraus, dass die Züchter Zugang zu ausreichender biologischer Vielfalt haben, aus der
sie die gesuchte Resistenzeigenschaft identifizieren können. Geht es heute um Resistenz gegen
Schwarzrost, mag es morgen um andere genetische Eigenschaften gehen.
Die praktische Investition in dieses biologische Portefolio erfordert eine ausreichende öffentliche und
private Finanzierung. Denn es ist nach dem Urteil von Experten ein breites Spektrum von Maßnahmen
erforderlich: die Sicherung und Erweiterung der ex-situ Einlagerungen um weitere Pflanzenarten
ebenso wie die schwierige, aber notwendige konzeptionelle Fortentwicklung von in-situ Programmen,
mit denen vor allem in den genetischen Herkunftsregionen der wichtigsten Kulturpflanzen, also in
heutigen Entwicklungsländern, traditionelle Selektionsprozesse erhalten werden sollten. Notwendig
ist weiterhin die Aufstockung der öffentlichen Budgets für Grundlagenforschung in der Züchtung und
vor allem für die systematische Dokumentation der genetischen Merkmale landwirtschaftlich
genutzter Arten und Sorten sowie ihrer wilden Verwandten. Ein wichtiger Schritt zur Sicherung einer
hohen pflanzlichen Diversität durch freien und transparenten Austausch ist auch von der vollen
Anwendung des Internationalen Abkommens über pflanzengenetische Ressourcen zu erwarten,
insbesondere der darin vorgesehenen Finanzierungsmechanismen, durch die ein faires ‚benefit
sharing’ zwischen Bereitstellern und Nutzern der genetischen Materialien erreicht werden soll.
5. Investitionen in ländliche Räume, insbesondere Agrarforschung und Züchtung in den
Entwicklungsländern sollten höhere Priorität bekommen
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der größte Zuwachs des Nahrungsverbrauchs in den
Entwicklungsländern zu erwarten ist. Einen Teil dieses Verbrauchs werden diese Länder aus Importen
decken. Hierauf können sich Landwirte und Züchter in den Exportländern Europas, Amerikas und
Asiens einstellen. Der überwiegende Anteil des Mehrverbrauchs wird aber aus der eigenen Produktion
in den Entwicklungsländern selbst kommen müssen. Erfolgsbeispiele in allen Entwicklungsregionen
zeigen, dass dies der einzig nachhaltige Weg ist, auf dem Hunger und Armut überwunden und
Entwicklung in Gang gebracht werden können. Insofern muss unbedingt an alle Verantwortlichen
appelliert werden, den Negativtrend der Investitionen in Landwirtschaft und ländliche Räume endlich
umzudrehen. Dabei sollten auch die ex-situ und in-situ Erhaltung der genetischen Ressourcen sowie
deren Nutzung in lokalen Züchtungsprogrammen einen hohen Stellenwert haben, zumal die
privatwirtschaftliche Pflanzenzüchtung sich bisher relativ wenig in und für die Entwicklungsländer
engagiert.
Höhere Investitionen in die biologische Vielfalt und in deren Nutzung in Entwicklungsländern lägen
nicht nur im Interesse der Überwindung von Hunger und Armut in den Entwicklungsländern selbst,
sondern wären in Anbetracht der weltweiten Bedeutung der genetischen Ressourcen dieser Regionen
auch ein Beitrag zur Sicherung von Biodiversität und Ernährung weltweit.
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Schluss:
Biodiversität ist ein globales öffentliches Gut von höchstem ökologischen, gesellschaftlichem
und wirtschaftlichen Wert, in das zu investieren sich lohnt. Die Erhaltung einer möglichst
hohen Diversität pflanzengenetischer Ressourcen ist zwar nur eine von mehreren wichtigen
Voraussetzungen für die Sicherung der Welternährung. Aber sie ist eine unverzichtbare
Notwendigkeit. Cary Fowler, Executive Director des Global Crop Diversity Trust, hat das
gerade so ausgedrückt: „Es gibt kein denkbares Szenario, in dem wir fortfahren können, die
Nahrung, die wir brauchen, zu produzieren, ohne über ausreichende pflanzliche Diversität zu
verfügen“.5
5
C. Fowler, zitiert in ‘Scientists Behind “Doomsday Seed Vault” Accelerate Search For Traits Needed To
Breed Climate-Proof Crops’. Global Crop Diversity Trust, Press release 19 September 2008
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