189 Zur Frage des Vorkommens von sterisch auslesenden Enzymen

Werbung
189
Zur Frage des Vorkommens von sterisch auslesenden Enzymen
im carcinomatösen Organismus
Feststellungen zu zwei vorläufigen Mitteilungen
von E. Waldschmidt-Leitz und Mitarbeitern*)
Von
H. Bayerle und F. H. Podloucky
(Aus dem Pathologischen Institut der Universität München)
(Der Schriftleitung zugegangen am 11. April 1940)
E. Waldschmidt-Leitz und. Mitarbeiter haben in ihrer
ersten Mitteilung festgestellt, daß im Gegensatz zu Normaleren
Carcinomseren racemische Peptide wie d,l-Leucyl-glycin, d,lGlutaminyl-glycin, d,l-Glutaminyl-glycin-äthylester über 50°/0 zu
spalten vermögen. Es sind also in diesen Carcinomseren neben
den üblichen Peptidasen auch solche von abgewandelter Wirksamkeit vorhanden: eben d-Peptidasen. Es wurde in dieser
Mitteilung die Prüfung der Spaltbarkeit der reinen d-Komponente in Aussicht gestellt. Wir konnten im Verlauf der Bearbeitung ähnlicher Fragestellungen die Waldschmidt-Leitz sehen Ergebnisse nachprüfen, mußten aber feststellen1), daß
Carcinomseren racemische Peptide — abgesehen von einigen
Ausnahmen — (drei von 50 verschiedenen) nicht über 50°/0
spalten. Die' Waldschmidt-Leitzschen Ergebnisse waren
nicht reproduzierbar. In der zweiten vorläufigen Mitteilung
teilten die genannten Autoren weitere Bestätigungen ihrer Untersuchungen aus der I. Arbeit mit, die sie an anderen racemischen Substraten und an den reinen Antipoden der Peptide
festgestellt hatten und kündigten deren Veröffentlichung an.
Ferner wurde in dieser Mitteilung gezeigt, daß im Serum von
Eatten nach Injektion von d,l-Peptid eine d-Peptidspaltung nachzuweisen ist, und daß Mäuse, denen d,l-Peptid intravenös gegeben wurde, gegen eine Tumorentwicklung (Benzpyrentumor)
resistent sind.
*) Diese Z. 202, IV (1939); 263, I (1940).
J
) Biochem. Z. 304, 259 (1940); Z. Krebsforsch., im Druck.
Hoppe-Seyler's Zeitschrift f. physiol. Chemie. 264
14
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 2:51 AM
H. Bayerle und F. H. Podloucky,
190
Tabelle T
Spaltbarkeit von d-Leueyl-glycin
durch Normal- und Carcinomserum
Peptidlösung: 0,470g Pcptid (Firma Hoffmann-La Koche) wurden mit
0,62 ccm 2,5 n-NH8 und 4,15 ccm m/3-Primärpliosphat in 25 ccm H20
gelöst.
Versuchsansätze: 1,5 ccra Peptidlösung + 3,5 ccm Serum, Versuchszeit
36 Stunden (in einigen Fällen 48 Stunden), pH= 7,70—8,0, Temperatur 40°;
Titrationsprobe = 2 ccm. Zahlen der Tabelle bedeuten verbrauchte alkoholische KOH n/20.
Seren: Carcinom- und Normalseren wurden frisch verwendet. Die Fälle
sind durchaus eindeutig, klar und sicher. Die Tierseren stammen aus
sicheren Brown-Pearce-Fällen. In der unteren Spalte der Tabelle
befinden sich einige Ansätze, in denen d,l-Leucyl-glycin verwendet
wurde anstatt der reinen d-Komponente. Die Spaltung erreicht in
diesen Fällen ihr übliches Maß.
I
„i
U
Diagnose
96
98
103
29
30
31
32
110
111
53
59
30
S erum-Eigenspalt.
Verbr. alkoholische
n/20-KOH nach
Verbr. alkoholische
n/20-KOH nach
0
36 Diffe0
36 Diffe- °/0
SpalStdn. Stdn. renz tung Stdn. Stdn. renz
o>2
52
53
54
55
56
57
58
59
Peptidversuch
Menschl. Ca-Gaumen .
Ca-Mamma .
Ca-Haut . .
Ca- Kehlkopf
Ca-Nase . .
Ca-Zunge . .
Ca- Augenlid
Ca - Metast.
Achseldrüse . . . .
Kan. Brown-Pearce .
»j
>»
»
»j
·
Menschl. Norinal-Kniegelenkserguß . . .
Menschl. Norm.-Wunde
„
Normal. Prellung
Menschlich. Normal.
Furunkel
Kaninchen normal . .
J»
vffl. oben
"
1
·
·
3,42
3,53
3,75
3,37
3,52
3,53
3,56
3,15
3,47
3,33
3,00
3,01
3,47
3,53
_
—
—
—
—
—
—
1,75
1,77
2,00
1,92
2,05
2,30
2,05
1,69
1,77
1,82
1,92
1,50
2,17
1,60
3,59
2,77
3,47
3,07
3,28 (— )0,31 —
2,60 (— )0,17 —
3,47
0,00 —
2,89 (— )0,18 —
2,13
1,30
2,10
1,28
1,70 (-)0,43
1,30
0,00
2,05 (-) ,
1,30
0,02
3,61 3,27 (-)0,34
3,56 3,45 (— )0,11 —
—
1,92
2,12
1,47 (-)0,45
1,56 (-)0,4G
3,64
1,58
1,53 (-)0,05
(-)0,27
(-)0,06
(-)0,42
(-)0,37
(-)0,51
(-)0,06
(~)0,03
3,33 f-0031
\
/ V )«·»·*·
(-)0,06
0,00
(— ) 0 18
0,00
(-)0,55
(-)0,45
3,71 3,40 / \ Q ^
2,10 1,70 (_)0,40
3,40 3,22 (-) ' 8
1,08 1,87
3,27 3,25 (-) ! 2
0,00
1,75 1,75
—
3,67 4,13 (+)0,46 19,0
d, 1 - Peptid
3,78 4^30
0,*48 20^0
3,52 4,20
0,68 28,5
J., · V
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 2:51 AM
Zur Frage des Vorkommens von sterisch auslesenden Enzymen usw.
191
Zu diesen Ergebnissen möchten wir im folgenden Stellung
nehmen.
I. Zur Frage einer Spaltung von d-Peptid durch Carcinom-Serum
Wir haben, wie wir oben mitteilten, racemische Peptide,
(d,l-Leucyl-glycin, d,l-Alanyl-glycin, d,l-Glutaininyl-glycin, d,lGlutamiDyl-glycinester) in den weitaus überwiegenden Fällen
durch Carciuomserum als durchaus normal spaltbar gefunden.
An 11 weiteren menschlichen Carcinomseren, 4 normalen menschlichen Seren und in 3 Seren von B r own- P earce- Tumorkaninchen
haben wir die Spaltbarbeit der reinen d-Komponenten von
Leucyl-glycin und Leucyl-glycyl-glycin geprüft. Wir fanden in
allen Fällen diese Peptide als völlig unspaltbar. Einige von
diesen Seren wurden zur Kontrolle auch auf d,l-Leucyl-glycinspaltung untersucht, wobei sich niemals eine über 50°/0 gehende
Spaltung erzielen ließ. Die Seren zeigten in vielen Fällen eine
nicht unerhebliche Eigenspaltung, für die es verschiedene Erklärungen gibt. Jedenfalls war zwischen Haupt- und Leerversuchen kaum ein Unterschied, so daß sich mit anderen
Worten die Peptidversuche wie die Leerversuche verhielten. Die
Belege finden sich in den Tab. I und II.
Tabelle II
Serum
||
Ycrs.-Nuinmer ||
Spaltbarkeit von d-Leucyl-glycyl-glycin durch Carcinomseren
Peptidlösung: 0,459 g Peptid (Firma Hoffmann-La Koche) wurden mit
0,72 ccm 0,25 n-NH3 und 1,5 ccm NH4C1 und 3,75 ccm Phosphatpuffer
(pH = 7,0) in 15 ccm H20 gelöst.
Versuchsansätze und alles übrige wielbei Tab. 1.
60
61
62
Diagnose
Peptidversuch
Serum-Eigensp alt.
Verbr. alkoliolisclie
n/20-KOH nach
Verbr. alkoholische
/20nach
4 0 - Diffe0
Stdn. Stdn. renz
Menschl. Ca-Sigmoid .
„
Ca-Prostata .
„
Ca-Magen. .
°/o
0
40 DiffeSpalStdn.
renz
Stdn.
tung
5,12 4,57 (-) ,
—
5,19 5,15 (-)0,04
5,24 4,77 (-)0,47
0,00
1,80 1,80
1,95 1,67 (-)0,28
2,10 2,13
0,03
. Zur Frage des Auftretens von d-Peptidase als Abwehrreaktion
Nach den Ergebnissen der Abderhaldenschen Lehre von
den Abwehrfermenten ist es durchaus verständlich und über14*
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 2:51 AM
192
H. Bayerle und F. H. Podloucky,
rascht keineswegs, wenn nach parenteraler^Zufuhr eines d-Peptids
als Folge eine d-Peptidspaltung auftritt. Überraschend ist lediglich, daß nach Injektion von d,l-Valyl-glycin, d,l-Leucyl-diglycin
gespalten wird — also ein anderes d,l-Dipeptid — da doch sonst
strengste Spezifitätsverhältnisse angetroffen werden. Wir haben
im Rahmen einer etwas andersartigen Untersuchung mehreren
Kaninchen d,l-Peptid injiziert. Es konnte dann zwar im Serum
vereinzelt eine d,l-Peptidspaltung über 50°/0 festgestellt werden,
aber es war — wie schon oben gesagt — die Ausnahme und
ohne irgendeine Gesetzmäßigkeit. Die entsprechenden Daten
veröffentlichen wir an anderer Stelle.
III. Zum Versuch 2 der Waldschmidt-Leitzschen Publikation
Wir können nicht umhin, gegen diesen Versuch entschieden
kritisch Stellung zu nehmen. Die Waldschmidt-Leitzschen
Abbildungen vermögen infolge ihrer Unscharfe kein einwandfreies Bild zu geben. Mit Mühe läßt sich bei der ersten Maus
der oberen Reihe links ein rundliches tumorähnliches Gebilde
erkennen. Völlig unklar aber sind die übrigen Abbildungen.
Überraschen muß, daß die verwendeten 8 Mäuse alle den Versuch bis zum Schluß überstanden, obwohl das häufige Einspritzen
einer Flüssigkeit in die Schwanzvene in Verbindung mit der
Pinselung von Benzpyren keinen zu unterschätzenden Eingriff
bedeutet. Nach unseren Beobachtungen ist es nie gelungen, alle
für einen Versuch angesetzten Tiere während der Beobachtungszeit am Leben zu erhalten. Es ist weiterhin bedauerlich, daß
aus dem Text nicht eindeutig hervorgeht, ob wirklich ein Tumor
vorhanden ist oder nicht. „Eine starke Schuppung der Haut
und durchwegs starke Abmagerung" ist noch kein Anzeichen für
eine Carcinomentwicklung. Die Frage, ob es sich um einen
Tumor handelt oder nicht, hätte durch die histologische Untersuchung leicht geklärt werden können. Auch die hochgradige
Kachexie bzw. den starken Gewichtsverlust, den WaldschmidtLeitz und Mitarbeiter beschreiben, konnten wir nie beobachten.
Nach 30 Tagen ist bei den Versuchen von Waldschmidt-Leitz in
allen 4 Fällen durchschnittlich ein Gewichtsverlust von 50 °/0, zum
Teil mehr, vorhanden. Dabei lebten die Tiere aber noch wesentlich
länger, nämlich 50 Tage, denn da war „bei dreien allgemeine
Kachexie und Anzeichen von Carcinomentwicklung zu bemerken".
Wir möchten darauf hinweisen, daß Waldschmidt-Leitz
mit seinen Feststellungen von d-Enzymen im Serum in einen
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 2:51 AM
Zur Frage des Vorkommens von sterisch auslesenden Enzymen usw.
193
inneren Widerspruch zur Kögischen Theorie — die ja der Ausgangspunkt aller dieser Fragestellungen \var — gerät. Die Kögische Theorie des destruktiven Wachstums besagt, „man könne sich
gut vorstellen, daß normale Zellen dem Vordringen von Tumorzellen keinen Einhalt bieten können, da ihnen die betreffenden
proteolytischen Fermente fehlen". Wenn nun aber d-Fermente
im Carcinomserurn auftreten, dann müssen sie auch in der nicht
carcinomatösen Umgebung des Tumors sein und die falschen
Proteine der Garcinomzellen abbauen und damit das infiltrierende
Wachstum und das Auftreten der Metastasen verhindern können.
Das destruktive Vordringen der Carcinomzellen kann dann nicht
nach Kögl und Erxleben mit einem Mangel an d-Fermenten
erklärt werden, da ja das Serum keineswegs auf das Blut beschränkt ist, sondern alle Körperteile durchtränkt und damit auch
in der Umgebung des Tumors und in diesem selbst vorhanden
sein muß.
Wir können bei der Beurteilung des 2. Versuches von Waldschmidt-Leitz aber auch einen unmittelbar einschlägigen eigenen
Versuch zur Kritik mit hinzuziehen. Dieser Versuch hatte den
Hauptzweck, die Verträglichkeit und das Schicksal von d-Peptiden
und Tuinorproteinen (extrakten) im Tierversuch zu prüfen. Dabei
wurden verschiedenen Kaninchen Brown-Pearce-Tumoren implantiert. Kontrolltieren wurde außerdem im Abstand von 2 Tagen
racemisches Peptid und Brown-Pearce-Tumorextrakt intravenös
und subkutan gegeben. Wir möchten in diesem Zusammenhang
nicht näher auf den gesamten Fragenkomplex eingehen. Doch
läßt sich schon jetzt das Versuchsergebnis dahin zusammenfassen,
daß jene Tiere, welche injiziert wurden, sämtlich Tumoren bekamen, die sich abnorm rasch entwickelten und vergrößerten,
Tumoren, die besonders blutreich und typisch waren. Die injizierten
Tiere starben zudem wesentlich früher als die nicht behandelten
Tiere. Vgl. Obersicht.
Unsere vorliegenden Feststellungen haben nicht den Zweck,
den gesamten von Waldschmidt-Leitz behandelten Fragenkomplex abzulehnen. Wir wenden uns aber entschieden gegen
die Allgemeingültigkeit der Waldschmidt-Leitzschen Ergebnisse. Unmöglich kann auf Grund zahlenmäßig so geringer Untersuchungen von den Autoren der Anspruch auf die absolute Richtigkeit ihrer Ergebnisse erhoben werden. Wie wir in mehreren
Arbeiten, die schon erschienen oder im Druck sind, an einem
weitaus größeren Untersuchungsmaterial nachweisen konnten, sind
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 2:51 AM
H. Bayerle und F. H. Podloucky,
194
.·§ § &
-
»0^2
a
4-
H
30
«
fl
t
+·ίί-
1
gls
gls
Λ» ^"P.
• <S> Ο- Ο- d
ο
CO
ο
a
ι -M
TO
^
Sllli
Λ S > · *» °
b
c
CJ 0 Ci
.; ·5 δ
.a E-· s.
s g«3
ϊ*· _Η
IPss
5J8iuiunj<[
0
ooo(
O5O
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 2:51 AM
Zur Frage des Vorkommens von steriseh auslesenden Enzymen usw.
195
die Ergebnisse von Waldschmidt-Leitz zumindest noch unbewiesen und die daraus gezogenen Folgerungen stark verfrüht.
Probleme, wie Diagnose und Therapie des Krebses können bei
ihrer großen Wichtigkeit gar nicht klar genug in ihrer Schwierigkeit gesehen werden.
Bei Abschluß dieser Zeilen erhielten wir eine im Band 16,
Heft 2 (1940) der „Fermentforschung" veröffentlichte Arbeit von
E. Abderhalden und Gr. Caesar mit dem Titel: „Über das
Verhalten von Dipeptiden, in denen Aminosäuren der d-Reihe
enthalten sind, bei der Einwirkung von Preßsäften aus Geweben
und von Blutserum". In dieser Arbeit wird an einigen Fällen
von Normal- und Carcinomseren die Spaltbarkeit von Glycyl-disoleucin und Glycyl-d-norleucin untersucht. Sie konnten keine
Spaltung des d-Peptids feststellen. Sie kommen zu der Feststellung, daß Dipeptide, in denen d-Aminosäuren enthalten sind,
vom Carcinomserum nicht gespalten werden.
Unauthenticated
Download Date | 5/12/16 2:51 AM
Herunterladen