Psychiatrie, Psychotherapie und ­psychosomatische Medizin | 6 Neurotische und somatoforme Störungen Foto: ccvision 38 Lernpaket 2 6 Neurotische und somatoforme Störungen 6.1 Begriffsklärung In ICD-10 und DSM-IV wurde der aus der psychoanalytischen Theorie stammende Begriff „Neurose“ durch die deskriptiv neutrale, sehr weit gefasste Bezeichnung „neurotische Störung“ ersetzt, die auf eine heterogene Gruppe von „krankhaften Störungen der Erlebnisverarbeitung“ angewendet wird. 6.2 Angststörungen 6.2.1 Grundlagen Definition Gemeinsames Merkmal aller Angststörungen: Angst + vegetative Symptome + Phobophobie („Angst vor der Angst“) mit Vermeidungsverhalten. Epidemiologie: Lebenszeitprävalenz: bis zu 15 % der Bevölkerung; häufige Komorbiditäten: depressive Episode (→ ungünstiger Verlauf mit erhöhter Suizidgefahr), Alkohol-, Drogen- und/ oder Medikamentenabhängigkeit. Lerntipp Einnahme von „Beruhigungsmitteln“ (z. B. Alkohol, Benzodiazepine) zur Dämpfung der Angst → häufig Substanzabhängigkeit! Ätiologie: ▪▪ genetische Prädisposition, vermutlich Dysfunktion im Bereich des GABA- und serotonergen Systems ▪▪ lerntheoretischer Ansatz: Angststörungen werden durch Konditionierung erworben und aufrechterhalten: Ein primär neutraler Stimulus wird zum Angstobjekt, wenn er wiederholt mit unangenehmen Ereignissen gekoppelt ist (klassische Konditionierung) → Vermeidung der angstauslösenden Situationen → kurzfristige Entlastung, aber Persistenz der „Grundangst“ (operante Konditionierung); häufig im Verlauf Erweiterung des Spektrums angstauslösender Situationen (Generalisation) ▪▪ kognitiv-behaviorale Theorien: Modelllernen und kognitive Schemata als wichtige Faktoren für die Aufrechterhaltung von Angst Sicht: unzureichend bewältigte innere und äußere Konflikte, bei denen die bisherigen unbewussten Bewältigungsstrategien versagen. ▪▪ psychoanalytische Formen der Angst: Angstsymptome umfassen immer die Triade Emotion, Kognition und Motorik bzw. Vegetativum. Unterscheidung nach der Kernsymptomatik (Abb. 6.1): ▪▪ Panikstörung: plötzlich und scheinbar grundlos auftretende Angstanfälle ▪▪ Agoraphobie: Panikattacken, wenn eine „Flucht“ aus der Situation nur schwer möglich ist, in engen Räumen, aber auch auf weiten Plätzen ohne „Sicherheit“ ▪▪ generalisierte Angststörung: nicht objekt- oder situationsbezogene, lang andauernde (frei flottierende) Angst ▪▪ objekt- oder situationsbezogene Angst: –– soziale Phobie: Angst vor sozialen Situationen –– spezifische Phobie: Angst vor Objekten oder nichtsozialen Situationen –– hypochondrische Störung: Angst vor Krankheit oder Ansteckung ▪▪ zeitlich begrenzte Zukunftsangst: depressive Episode ▪▪ Verfolgungsangst: Schizophrenie ▪▪ Angst, begleitet von Zwangsgedanken und/oder -handlungen: Zwangsstörung. Pharmakotherapie: ▪▪ akut bei Angstanfällen: (kurzfristig!) kurzwirksame Benzodiazepine ▪▪ Erhaltungstherapie, Rezidivprophylaxe: Antidepressiva, v. a. SSRI (S. 77) und dual wirksame Antidepressiva (Venla­ flaxin, Duloxetin); Trizyklika wie Imipramin zwar ebenfalls wirksam, aber schlechter verträglich; bei Angstpatienten hohe Sensibilität gegenüber Nebenwirkungen → langsames Einschleichen der Medikamente; starke vegetative Symptome → evtl. zusätzlich β-Blocker. Psychotherapie: ▪▪ Aufklärung über den „Teufelskreis der Angst“ ▪▪ kognitiv-behaviorale Verhaltenstherapie: Aufdecken und Korrektur fehlerhafter, eingefahrener kognitiver Muster und Denkabläufe (Betrachtung der körperlichen Symptome nicht als Ursache der Angst, sondern als Konsequenz der dysfunk- aus: Endspurt Klinik – Psychiatrie, Psychosomatik – Skript 14 (ISBN 9783131744616) © 2013 Georg Thieme Verlag KG 6.2 Angststörungen 6.2.2 Phobische Störungen Definition Übersteigerte, objekt- oder situationsgebundene Angst, die ausschließlich oder überwiegend durch eindeutig definierte, eigentlich ungefährliche Situationen oder Objekte ausgelöst wird: Die Patienten wissen, dass die Angst unbegründet ist, können sich aber nicht gegen sie wehren → Vermeidungsverhalten. Agoraphobie (F40.0) Epidemiologie: Beginn meist im 3. Lebensjahrzehnt, ♀ > ♂. Klinik: unüberwindbare Furcht, Straßen oder öffentliche Plätze zu betreten oder zu überqueren und sich in Menschenansammlungen aufzuhalten → ausgeprägtes Vermeidungsverhalten → oft Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder sogar das Verlassen der eigenen Wohnung nicht mehr möglich; in Begleitung von Bezugspersonen meist geringere Angst; häufig begleitende Panikstörung: Befinden sich die Patienten in einer angstauslösenden Situation und sehen keine Möglichkeit, diese schnell zu verlassen, entwickeln sie eine Panikattacke (S. 40). Verlauf: unbehandelt meist chronisch, häufig Entwicklung von depressiven Episoden. Therapie: meist Kombination von SSRI (S. 77) und nichtmedikamentösen Verfahren (kognitive Verhaltenstherapie mit Expositionstraining, tiefenpsychologisch fundierte Therapieverfahren, Soziotherapie, Entspannungstraining). Lerntipp Beispiel für eine Agoraphobie aus einer Prüfungsfrage: Eine junge, körperlich gesunde Frau hat zunehmend Angst, ihre Wohnung zu verlassen. Die Angst ist besonders stark in überfüllten Bussen, auf öffentlichen Plätzen, beim Schlangestehen an einer Kasse oder in geschlossenen Räumen (z. B. im Theater) und nimmt ab, wenn die Patientin in Begleitung vertrauter Personen ist. krankhafte Angst im Rahmen von Angststörungen objekt- und/oder situationsbezogene „Phobien“ spezifische Phobien (z. B. Agoraphobie, Tierphobie) soziale Phobie bei anderen psychischen Erkrankungen Synonyme: Anthropophobie, soziale Neurose (F40.1) Epidemiologie: ca. 5–10 % der Bevölkerung; Beginn häufig schon bei Kindern und Jugendlichen; ♂ : ♀ ≈ 1 : 1. Klinik: Angst vor Situationen, in denen sich die Patienten der Beobachtung und ggf. Kritik durch andere Menschen ausgesetzt fühlen (z. B. Prüfungen, Partys, Halten von Vorträgen): Befürchtung, sich zu blamieren oder unangenehm bzw. peinlich aufzufallen → Angst, Unsicherheit, vegetative Symptome (z. B. Erröten, Schwitzen, Zittern) → Vermeidungsverhalten → u. a. schulische bzw. berufliche Einschränkungen, soziale Isolation (soziale „Abwärtsspirale“); Bewusstsein, dass die Angst übertrieben und unvernünftig ist. Therapie: psychotherapeutische Maßnahmen wie soziales Kompetenztraining mit Üben sozialer Fertigkeiten, kognitivbehaviorale Therapie (S. 69); ggf. ergänzend SSRI. Verlauf: frühzeitiger Therapiebeginn → gute Prognose; allerdings selten frühzeitiges Aufsuchen eines Arztes, da auch diese Form der sozialen Interaktion gefürchtet wird; unbehandelt meist chronischer Verlauf, häufig depressive Episoden. Lerntipp Prägen Sie sich die soziale Phobie ein. Sie kann sich z. B. so äußern: Eine 25-Jährige zeigt seit einigen Jahren eine von ihr selbst als übermäßig empfundene Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und dabei in peinliche oder erniedrigende Situationen zu geraten. Sie vermeidet daher Situationen, in denen sie sich prüfender Beobachtung ausgesetzt fühlt. Sind diese nicht zu vermeiden, fühlt sie Angst und zeigt vegetative Symptome wie Erröten, Schwitzen, Händezittern oder Angst, erbrechen zu müssen. Der private und berufliche Alltag ist deutlich eingeschränkt. Spezifische Phobie Synonym: isolierte Phobie (F40.2) Epidemiologie: ca. 10 % der Bevölkerung; Beginn häufig in der Kindheit; ♀ > ♂. Klinik: Angst + vegetative Symptome durch streng begrenzte Situationen oder Objekte, z. B. Tiere (Zoophobie) wie SchlanAbb. 6.1 Differenzialdiagnostik von Angststörungen. [nach: Kasper, Volz, Psychiatrie und Psychotherapie compact, Thieme, 2009] Angst normale Angst Soziale Phobie bei medizinischen Erkrankungen z. B. Hyperthyreose objekt- und situationsunabhängige „frei flottierende Angst“ akut anfallsartig „Panikattacken“ kontinuierlich „generalisierte Angststörung“ aus: Endspurt Klinik – Psychiatrie, Psychosomatik – Skript 14 (ISBN 9783131744616) © 2013 Georg Thieme Verlag KG L er npa k e t 2 tionalen Kognitionen), reizkonfrontierende Maßnahmen (S. 68), soziales Kompetenztraining (v. a. bei sozialer Phobie) ▪▪ Entspannungsverfahren (S. 72) → „Gegenkonditionierung“ (kein Angsterleben im entspannten Zustand) ▪▪ Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien (S. 70): Aufdecken und Bearbeiten der zugrunde liegenden inneren und äußeren Konflikte. 39 40 Psychiatrie, Psychotherapie und ­psychosomatische Medizin | 6 Neurotische und somatoforme Störungen gen, Hunde oder Spinnen/Insekten, geschlossene Räume (Klaustrophobie), Höhe (Akrophobie), Infektionen oder Dunkelheit (praktisch alle Objekte oder Situationen können phobisch besetzt werden) → mehr oder weniger einschränkendes Vermeidungsverhalten; Diagnosestellung nur, wenn Leidensdruck auf Seite des Patienten besteht. Therapie: Expositionsverfahren (S. 68), unterstützend oder alternativ Antidepressiva mit serotonerger Wirkung, z. B. SSRI (S. 77) wie Paroxetin sowie Venlafaxin. (äußere Reize) körperliche Symptome Wahrnehmung Lerntipp Das IMPP beschreibt eine spezifische Phobie (Akrophobie) so: Ein Dachdecker empfindet, sobald er auf einem Dach ist, Schwindelgefühle, einen Druck auf der Brust, Übelkeit, Atemschwierigkeiten, Herzrasen und eine panische Angst, abzustürzen. Diese Empfindungen treten nur auf Gerüsten oder Dächern auf und schränken die Arbeitsfähigkeit des Mannes massiv ein. physiologische Veränderungen („körperliche Stressreaktion“) Gedanken („Gefahr“) Angstgefühle 6.2.3 Panikstörung Synonym: episodisch paroxysmale Angst (F41.0) (sichtbares Verhalten) Definition Störungsbild mit wiederkehrenden, schweren Panikattacken, die nicht vorhersehbar sind und sich auf kein konkretes Objekt und keine konkrete Situation beziehen (objektlose Angst). Epidemiologie: Beginn am häufigsten in der 3. Lebensdekade; ♀ > ♂. Klinik: Panikattacken mit intensiver Angst, begleitet von bedrohlichen Gedanken (z. B. Befürchtung zu kollabieren, die Kontrolle zu verlieren oder zu sterben) und körperlichen Beschwerden, z. B. kardiovaskulären (z. B. Tachykardie, Brustschmerzen [DD: Herzinfarkt]), neurologischen (z. B. Zittern, Schwindel, Ohnmachtsgefühl), abdominellen (z. B. Übelkeit, Diarrhö, Magenschmerzen), respiratorischen (z. B. Dyspnoe) oder vegetativen Symptomen (z. B. Hitzewallungen, Schweißausbruch); plötzlicher Beginn der Attacken, Maximum nach wenigen Minuten, Dauer mindestens einige Minuten; im Verlauf ausgeprägte „Angst vor der Angst“ (Phobophobie) → sozialer Rückzug und Isolation. Verlauf: unbehandelt meist chronisch; in bis zu 30 % d. F. im Verlauf depressive Episoden oder Medikamenten- und/oder Alkoholabhängigkeit. Therapie: ▪▪ akut: kurzwirksame Benzodiazepine (cave: Abhängigkeitsgefahr!) ▪▪ langfristig: SSRI (S. 77); Psychotherapie: Psychoedukation, Erklärung des individuellen Angstkreises (Abb. 6.2), kognitiv-behaviorale Therapie mit Expositionstraining, tiefenpsychologisch fundierte Verfahren, Entspannungstraining. Abb. 6.2 Angstkreis mit den Faktoren „Wahrnehmung“, „Gedanken“, „Angstgefühle“, „körperliche Stressreaktion“ und „körperliche Symptome“: Die Patienten interpretieren körperliche Symptome (z. B. schneller Herzschlag) als gefährlich und angstauslösend. Die Angst verstärkt die körperlichen Symptome, was wiederum die Angst potenziert, bis hin zu einem Gefühl, die Kontrolle oder den Verstand zu verlieren. [aus: Laux, Möller, Memorix Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme, 2011] Lerntipp Beispiel für eine Panikstörung: Ein 27-Jähriger klagt über etwa 2 ×/Woche auftretende Angstzustände. Bestimmte Auslöser sind nicht bekannt. Die Attacken dauern bis zu 15 min und sind geprägt von Todesangst und körperlichen Symptomen (Schweißausbrüche, Schwindelgefühl, Herzklopfen, thorakale Enge, Dyspnoe). Eine kardiovaskuläre Ursache wurde mehrfach ausgeschlossen. Der Patient traut sich kaum noch, seine Wohnung zu verlassen. Die Einnahme eines Benzodiazepins schwächt die Attacken zwar jeweils ab, vermindert deren Häufigkeit aber nicht. Die Frage bezieht sich auf die adäquate medikamentöse Therapie für diesen Patienten (SSRI). 6.2.4 Generalisierte Angststörung Synonym: Angstneurose (F41.1) Klinik: über mehrere Wochen anhaltende, an den meisten Tagen bestehende, ausgeprägte Angst, die nicht auf bestimmte Situationen beschränkt ist, sondern alltägliche Situationen wie Gesundheit, Arbeit und neue Anforderungen umfasst; „frei flottierende“ Angst, die sich an verschiedene Gedanken heftet → Anspannung, Nervosität, häufig vegetative Übererregbarkeit (→ körperliche Beschwerden), ständige Sorgen um Alltag und Zukunft. Therapie: SSRI, Venlafaxin oder Buspiron (S. 74), Entspannungsverfahren, verhaltenstherapeutische Maßnahmen, tiefenpsychologisch fundierte Therapien. aus: Endspurt Klinik – Psychiatrie, Psychosomatik – Skript 14 (ISBN 9783131744616) © 2013 Georg Thieme Verlag KG 6.3 Zwangsstörung Beispiel für eine generalisierte Angststörung aus einer Prüfungsfrage: Eine 25-jährige Frau leidet seit ca. 1 Jahr unter thorakalen Druckgefühlen mit Schwierigkeiten durchzuatmen, Herzklopfen mit Schweißausbrüchen und Schwindelgefühl. Eine kardiovaskuläre Ursache wurde ausgeschlossen, was die Patientin beruhigt (Abgrenzung zur somatoformen oder hypochondrischen Störung!), die Beschwerden aber nicht zum Abklingen bringt. Insbesondere bei neuen Anforderungen wird die Patientin nervös, sie fühlt sich muskulär angespannt und berichtet über Einschlafstörungen. Zudem ist sie ständig besorgt, dass ihren Angehörigen etwas zustoßen könne. Die Beschwerden halten mehr oder weniger kontinuierlich an. Zwangsgedanken/-impulse sich stereotyp wiederholende, negative Gedanken (z.B. „Ich habe vergessen, den Herd auszumachen, das Haus könnte abbrennen.“) belastende Gefühle Angst, Ekel, Scham, Anspannung Zwangshandlungen ritualisierte Gegengedanken (z.B. Zählen oder Beten) oder -handlungen (z.B. vielfaches Kontrollieren des Herdes vor dem Verlassen des Hauses) Prüfungshighlights Angststörungen: –– ! lerntheoretische Erklärung der Entstehung –– Symptomatik: –– !!! Agoraphobie –– !! soziale Phobie –– !! spezifische Phobie –– ! Panikstörung –– ! generalisierte Angststörung –– Therapie: –– ! Agoraphobie –– ! Panikstörung –– ! spezifische Phobie. 6.3 Zwangsstörung Synonyme: anankastische Neurose, Zwangsneurose (F42.-) Definition Den Patienten drängen sich – gegen ihren inneren Widerstand – immer wieder bestimmte Vorstellungen, Denkinhalte und/oder Handlungsimpulse auf, die als dem eigenen Ich zugehörig erkannt, aber als unangenehm, unsinnig und Ichfremd empfunden werden. Der Versuch, sie zu unterdrücken, löst Angst aus. Epidemiologie: Lebenszeitprävalenz: ca. 2 %; Beginn meist im 3. Lebensjahrzehnt; ♀ : ♂ ≈ 1 : 1; einzelne Zwangssymptome kommen auch als Begleitsymptome anderer psychischer Erkrankungen vor. Ätiologie: ▪▪ genetische Prädisposition, wahrscheinlich Dysfunktionalität des kortikostriatalen Neurotransmittersystems ▪▪ psychoanalytische Sicht: Störungen in der Selbstständigkeitsfindung während der analen Phase (Tab. 12.1) → übermäßige Anpassung an die Normen anderer, Angstbewältigung durch Kontrolle ▪▪ lerntheoretische Sicht: Zwangsgedanken als konditionierte Stimuli auf Angst (Abb. 6.3): Koppelung eines ursprünglich neutralen Stimulus (z. B. Schmutz) an einen starken negativen Affekt (Angst, heftige Abneigung) → stellvertretender Angstauslöser; Ängste ↓ durch Zwangshandlungen (negative Verstärkung) → immer häufigere Ausführung der Zwangshandlungen (operante Konditionierung). verstärkt langfristig Erleichterung vorübergehendes Nachlassen der belastenden Gefühle Abb. 6.3 Lerntheoretischer Ansatz zur Entstehung von Zwangsstörungen. [aus: Leucht, Förstl, Kurzlehrbuch Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme, 2012] Klinik: ▪▪ Zwangsgedanken (z. B. „Habe ich auf dem Heimweg jemanden angefahren?“) beschäftigen den Patienten immer wieder stereotyp und quälend und können das Denken so weit beherrschen, dass keine alltäglichen und notwendigen Entscheidungen mehr möglich sind → Auslösung von Ängsten, die nur durch Zwangshandlungen gemildert werden können ▪▪ Zwangshandlungen werden immer wieder stereotyp in ritualisierter Weise (Zwangsritual bzw. -zeremoniell) ausgeführt (z. B. Wasch- oder Kontrollzwang). Wird die Abfolge der Handlungen nicht peinlich genau eingehalten, beginnt der Patient das Ritual von vorne, u. U. über einen Großteil des Tages; Versuch, die Zwangshandlungen zu verhindern → massive Angst ▪▪ Zwangsimpulse: sich aufdrängende Vorstellungen oder Handlungen, die dem Wertesystem des Patienten widersprechen, häufig mit aggressivem (z. B. dranghafter Impuls, jemanden zu verletzen), obszönem oder blasphemischem Charakter; aggressive Zwangsimpulse werden fast nie ausgeführt. Komorbiditäten: häufig depressive Episoden und Angststörungen. Lerntipp Denken Sie bei folgendem Fall an eine Zwangsstörung: Eine 29-Jährige leidet seit Wochen zunehmend an quälenden, sich ihr aufdrängenden Befürchtungen, sich durch den Kontakt mit Objekten oder anderen Menschen zu beschmutzen. In der Folge „muss“ sie ein zeitaufwändiges Ritual durchführen, durch das sie sich deutlich belastet und eingeschränkt fühlt. Diagnostik: Diagnosestellung möglich, wenn typische Zwangssymptome über > 2 Wochen bestehen, > 1 Stunde/Tag in Anspruch nehmen und die normalen Aktivitäten einschränken; Yale Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS) → Beurteilung des Schweregrads. aus: Endspurt Klinik – Psychiatrie, Psychosomatik – Skript 14 (ISBN 9783131744616) © 2013 Georg Thieme Verlag KG L er npa k e t 2 Lerntipp 41